10 <strong>Grand</strong><strong>Prix</strong><strong>Suisse</strong> Sport NZZ am Sonntag � 26.Juli2009 Berner Autorennen 1934–1954 Motorsport der Spitzenklasse Im Bremgartenwald Zwei Jahrzehnte lang wurde auf der Bremgarten-Rundstrecke bei Bern Motorsport gezeigt, der international zu den grossen Prüfungen zählte. Die Veranstaltung zog jedes Mal Zehntausende von Zuschauern an, allesamt fasziniert von der Unmittelbarkeit des Rennsports Tankstopp von August Momberger anno 1934 – der Feuerwehrmann ist einsatzbereit. Der <strong>Grand</strong> <strong>Prix</strong> von Europa 1948 läuft, 74 000 Zuschauer fiebern mit. Max Christen nach dem 2. Rang im Preis von Bremgarten 1939, umringt von Fans. Zaungäste am Rennen von 1939 – mit Eleganz gegen dröhnende Motoren. Der Österreicher Rupert Hollaus 1954 auf seiner NSU in der Forsthauskurve. Die erste Kurve nach der Zielgeraden am GP <strong>Suisse</strong> 1949: Ferrari führt vor Maserati. Schon in der ersten Runde des GP <strong>Suisse</strong> 1953 kommt
NZZ am Sonntag � 26. Juli 2009 <strong>Grand</strong><strong>Prix</strong><strong>Suisse</strong> Sport 11 Jacques Swaters mit dem Ferrari von der Strecke ab. FOTOS: ADRIANO CIMAROSTI FOTOS: MARKUS FORTE Mit vollem Einsatz durch die Kurve: Georg Kaufmann am Steuer des Lagonda M45 auf der privaten Rennstrecke Anneau du Rhin. Die Nase im Wind, die Füsse am Glutofen Oldtimer-Rennwagen sind laut, heiss und selbst mit 75 Jahren noch sehr schnell. Das macht das Fahren zum nachhaltigen Erlebnis für alle Sinne. Von Remo Geisser Er ist ein Ungetüm. Anderthalb Tonnen schwer, vierschrötig, das Lenkrad so gross wie eine Familienpizza. 1934 wurde der Lagonda Rapide M45 in England gebaut. Ein Jahr später gewann dieses Modell das 24-Stunden-Rennen von Le Mans. Und noch heute startet der Motor beim ersten Druck auf den Anlasserknopf. Die sechs Zylinder stampfen und lassen den Oldtimer erzittern, der Motor brummt und gluckert. Als höre man das Benzin durch seine Adern fliessen. Auf einer Landstrasse im Elsass überlässt Georg Kaufmann, der Besitzer des Lagonda, das Steuer dem Passagier. Dieser ergreift das grosse Rad, senkt den Kopf und schaut entgeistert hinunter zu den Pedalen. Das Gas in der Mitte, links die Kupplung, rechts die Bremse. So sei das bei vielen alten Rennwagen, sagt Kaufmann. «Das erleichterte es, beim Hinunterschalten gleichzeitig zu kuppeln und zu bremsen.» Ja, das Schalten. Könner kuppeln bei jedem Gangwechsel zweimal – zuerst, wenn sie den einen Gang rausnehmen, und wieder, wenn sie den nächsten einlegen. Mit Zwischengas! Der Unerfahrene will die kostbare Maschine sanft behandeln, sieht aber bald ein, dass hier eine energische Intervention verlangt ist: Ein kraftvoller Tritt aufs Kupplungspedal, den Ganghebel mit einem Ruck nach vorn schieben – nein, das Getriebe knirscht nicht. Dann löst sich der linke Fuss, der rechte sucht das Mittelgas. Und das gewaltige Drehmoment des 4,5-Liter-Motors drischt das Auto sofort nach vorne. Zweiter Gang, dritter Gang. Der Wind weht einem um die Nase, die Bäume fliegen vorbei. Frankreichs Radarpolizisten sind zum Glück anderweitig beschäftigt, denn der Lagonda prescht trotz seinen 75 Lenzen über die Strasse wie ein junges Rennpferd. In den Kurven zeigen sich die Tücken des rein mechanischen Vehikels. Bewegt man das Lenkrad nur leicht, passiert gar nichts. Man muss richtig drehen und dabei einige Kraft aufwenden – einen Oldtimer zu fahren, ist körperliche Arbeit. Auch die Bremsen reagieren nur auf resolute Tritte. Zudem muss sich der Fahrer auf Überraschungen gefasst machen. Stampft er aufs Bremspedal, schlingert der Wagen bald nach rechts, bald nach links. Und wenn er Glück hat, zieht das Vehikel auch einmal geradeaus. So wird all das, was in einem modernen Auto blinder Automatismus ist, im alten Rennwagen zur heiklen Aufgabe. Mit den Finessen mag sich der Unerfahrene nicht beschäftigen. Da gäbe es zum Beispiel einen Knopf, mit dem die Zündung mechanisch der Tourenzahl des Motors angepasst werden kann. Bei Bergrennen dreht der Könner bald nach links, bald nach rechts, damit der Wagen immer möglichst viel Kraft entwickelt. Jetzt setzt sich der Könner wieder ans Steuer und lenkt den Boliden an die Einfahrt zum Anneau du Rhin in der Nähe von Colmar. Auf der Rennstrecke bolzen bereits ein paar hochgetunte Kleinwagen. Georg Kaufmann tritt das Gaspedal durch, der Lagonda rast die Gerade hoch. Die Tacho-Nadel zeigt gegen 180 km/h, und der Passagier wird sich ängstlich bewusst, wo er sich befindet. Im Lagonda gibt es weder Sicherheitsgurten noch Überrollbügel. «Wenn es das Auto überschlägt, hofft man, dass man rausfällt», hat Kaufmann gesagt. Der Haltegriff aussen an der Karosserie vermag die Angst nicht zu vertreiben. Er sieht aus, als sei er von einem Ikea-Möbel abgeschraubt worden. Trotzdem klammert Wo Oldtimer fahren Privat-Circuit sich der Beifahrer fest, so gut er kann, und er rutscht weit hinunter in den Fussraum. Vielleicht ist man dort ja sicher. Auf jeden Fall ist es heiss, denn der Motor und der an der Beifahrerseite entlanggezogene Auspuff glühen. Georg Kaufmann ist in seinem Element. Er stampft und hebelt mit vollem Körpereinsatz, prügelt das alte Gefährt durch Kurven und Schikanen. Wenn das Heck des Lagonda ausbricht, fängt es der Fahrer mit energischen Griffen ins Steuer wieder auf. Ab und zu pfeift ein GTI auf Slicks vorbei, aber das kann den Spass des Oldtimer-Fahrers nicht schmälern. Auch der Passagier hat inzwischen Vertrauen gefasst, jubelt und lacht unter dem Helm. Was er hier erlebt, ist eine völlig neue Dimension des Autofahrens. Er fühlt sich nicht entrückt wie in den hochtechnisierten Wagen der Neuzeit, sondern ist mit allen Sinnen in der lauten, heissen, windigen Wirklichkeit. Doch kurz ist das Vergnügen. Kaufmann biegt vom Circuit ab, verabschiedet sich und entschwindet im Lagonda auf der Landstrasse. Der Gast steuert sein modernes Gefährt nach Hause. Autobahn, Klimaanlage, DRS 3 – warum nur muss er ständig gähnen? Oldtimer-Rennwagen können in der Schweiz nur begrenzt bewegt werden. DieRally-unddieLangstrecken-Boliden haben in der Regel eine Strassenzulassung, alle anderen dürfen nur auf gesicherten Rundkursen gefahren werden. Da es solche in der Schweiz nicht gibt, ist die nächste Gelegenheit der Anneau du Rhin bei Colmar in Frankreich. Diese Strecke ist in Privatbesitz und kann von den Aktionären fast jeden Abend fürs Training benutzt werden.OftwerdendiealtenAutosaber auch in Rennen eingesetzt. Davon gibt es im In- und Ausland mittlerweile so viele, dass sich die Oldtimer-Fahrer praktisch jedes Wochenende die Startgelegenheiten aussuchen können. (reg.) Technik von 1934: Ein Lederriemen sichert die Kühlerhaube. Blick unter die Motorhaube.