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ZESO 03/15

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SKOS CSIAS COSAS<br />

Schweizerische Konferenz für Sozialhilfe<br />

Conférence suisse des institutions d’action sociale<br />

Conferenza svizzera delle istituzioni dell’azione sociale<br />

Conferenza svizra da l’agid sozial<br />

ZeSo<br />

Zeitschrift für Sozialhilfe<br />

<strong>03</strong>/<strong>15</strong><br />

Grundkompetenzen bildungsDefizite sind ein armutsrisiko iiz das<br />

seco publiziert einen IIZ-leitfaden privates engagement für die integration eine<br />

reportage, ein porträt und das zeso-interview zeigen, wie es funktionieren kann


SCHWERPUNKT14–25<br />

GRUNDkompetenzen<br />

Das Risiko, von der Sozialhilfe abhängig zu<br />

werden, wird vom Faktor ungenügende Grundkompetenzen<br />

stark mitbestimmt. Rund ein Drittel<br />

der Sozialhilfebeziehenden hat Defizite bei den<br />

Grundkompetenzen. Je länger jemand von der<br />

Sozialhilfe abhängig ist, desto grösser ist die<br />

Wahrscheinlichkeit, dass ein Förderbedarf bei<br />

den Grundkompetenzen besteht. Aus Sicht der<br />

Sozialdienste stellt sich die Frage, mit welchen<br />

Massnahmen und Konzepten sie die Förderung<br />

von Grundkompetenzen bei ihren Klientinnen und<br />

Klienten verbessern können, damit diese bessere<br />

Chancen auf eine Intergration in den Arbeitsmarkt<br />

haben.<br />

<strong>ZESO</strong> zeitschrift für sozialhilfe<br />

Herausgeberin Schweizerische konferenz für Sozialhilfe SKOS,<br />

www.skos.ch Redaktionsadresse Redaktion <strong>ZESO</strong>, SKOS,<br />

Monbijoustrasse 22, Postfach, CH-3000 Bern 14, zeso@skos.ch,<br />

Tel. <strong>03</strong>1 326 19 19 Redaktion Michael Fritschi, Regine Gerber<br />

Redaktionelle begleitung Dorothee Guggisberg Autorinnen<br />

und Autoren in dieser Ausgabe Anne Beney, Willy Benz, Aurélia<br />

Bétrisey, Heinrich Dubacher, Anna Fliedner, Bernhard Grämiger,<br />

Dorothee Guggisberg, Fredy Huber, Christin Kehrli, Paula Lanfranconi,<br />

Cäcilia Märki, Karin Meier, Fritz Mühlemann, Anne Müller,<br />

Andreas Rupp, Cyrille Salort, Mira Schär, Beat Walti Titelbild<br />

Rudolf Steiner layout Marco Bernet, mbdesign Zürich Korrektorat<br />

Karin Meier Druck und Aboverwaltung Rub Media, Postfach,<br />

3001 Bern, zeso@rubmedia.ch, Tel. <strong>03</strong>1 740 97 86 preise<br />

Jahresabonnement CHF 82.– (für SKOS-Mitglieder CHF 69.–),<br />

Einzelnummer CHF 25.–. Jahresabonnement ausland CHF 120.–.<br />

© SKOS. Nachdruck nur mit Genehmigung der Herausgeberin.<br />

Die <strong>ZESO</strong> erscheint viermal jährlich.<br />

ISSN 1422-0636 / 112. Jahrgang<br />

Bild: Keystone<br />

Erscheinungsdatum: 7. September 20<strong>15</strong><br />

Die nächste Ausgabe erscheint im Dezember 20<strong>15</strong>.<br />

2 ZeSo 3/<strong>15</strong> inhalt


INHALT<br />

5 Bildung als Potenzial stärken.<br />

Kommentar von Dorothee Guggisberg<br />

6 13 Fragen an Willy Benz<br />

8 Praxis: Den Lehrabschluss nicht<br />

bestanden: Müssen die Eltern ihren<br />

Sohn weiter unterstützen?<br />

9 Serie «Monitoring Sozialhilfe»:<br />

Unterschiedliche kantonale<br />

Vorschriften bei der Verwandtenunterstützung<br />

10 «Teilhaben kann man nur, wenn man<br />

auch die Chance dazu erhält»<br />

Interview mit Hedy Graber<br />

14 SCHWERPUNKT:<br />

Grundkompetenzen<br />

16 Das Fehlen von Grundkompetenzen<br />

ist ein gesamtgesellschaftliches<br />

Problem<br />

18 Förderung der Grundkompetenzen im<br />

Kontext der Sozialhilfe<br />

20 Vom «Illettrismuskurs» bis zur Vorbereitung<br />

auf die Berufsfachschule<br />

22 Tippen ist für sie noch keine<br />

Selbstverständlichkeit<br />

24 Es braucht mehr Übungs- und<br />

Anwendungsmöglichkeiten<br />

DIE KULTURCHEFIN<br />

IIZ-Leitfaden<br />

DIE FREIWILLIGE PATIN<br />

Das Migros-Kulturprozent fördert mit seinen<br />

Projekten die gesellschaftliche Teilhabe<br />

und folgt damit einem Leitgedanken, der<br />

demjenigen der Sozialhilfe nicht unähnlich<br />

ist. Im <strong>ZESO</strong>-Interview spricht Leiterin<br />

Hedy Graber über soziales Engagement,<br />

Individualisierungstendenzen und darüber,<br />

wie sich der Kulturbegriff verändert hat.<br />

10<br />

Sozialdienste und RAV sollen bei der<br />

arbeitsmarktlichen Beratung und der<br />

Stellenvermittlung enger zusammenarbeiten<br />

und mit ihren Kernkompetenzen zur<br />

Optimierung des Integrationsprozesses von<br />

Erwerbslosen beitragen. Das Seco fördert<br />

diese Zusammenarbeit mit einem Leitfaden.<br />

26<br />

Das Caritas-Projekt «mit mir» vermittelt<br />

Kindern aus finanziell oder sozial belasteten<br />

Familien eine Patin oder einen Paten. Dass<br />

dabei Beziehungen entstehen können, die<br />

für beide Seiten bereichernd sind, zeigt<br />

ein Besuch bei Mariann Bahr und ihrem<br />

Patenmädchen Beatriz in Luzern.<br />

26 Arbeitslosenversicherung und Sozialhilfe<br />

unterstützen sich gegenseitig<br />

28 Die Betreuung durch Tandems führt<br />

zu effizienteren Lösungen<br />

30 Reportage: Zweitausend Ideen für die<br />

gemeinsame Zeit<br />

32 «Check Your Chance» – Gemeinsam<br />

gegen die Jugendarbeitslosigkeit<br />

34 Forum: Gedanken zur<br />

Sozialhilfedebatte von Beat Walti<br />

35 Lesetipps und Veranstaltungen<br />

36 Porträt: Ruth Schucan leitet einen<br />

Mittagstisch für Asylsuchende<br />

DIE UNERMüdliche<br />

30<br />

Ruth Schucan engagiert sich immer wieder<br />

für Menschen mit schwierigem Schicksal.<br />

Das neuste Projekt der 72-Jährigen ist<br />

ein Mittagstisch für Asylsuchende, der<br />

sich inzwischen zum wohl grössten<br />

Klassenzimmer Zürichs entwickelt hat.<br />

36<br />

inhalt 3/<strong>15</strong> ZeSo<br />

3


KOMMENTAR<br />

Bildung als Potenzial stärken<br />

Wer eine Ausbildung macht, gehört nicht<br />

in die Sozialhilfe. Die Forderung der SKOS<br />

«Stipendien statt Sozialhilfe» gilt nach wie<br />

vor. Durch die Verstärkung des Stipendienwesens<br />

soll die Sozialhilfeabhängigkeit<br />

von jungen Menschen in Ausbildung<br />

vermieden werden. Beispielsweise hat der<br />

Kanton Waadt sein Stipendienwesen konsequent<br />

umgebaut und verfügt heute über<br />

ein erfolgreiches Projekt, das Jugendliche<br />

in Ausbildung mit Unterstützungsleistungen<br />

beim Übergang in die Berufswelt<br />

begleitet. In den letzten Jahren haben vereinzelte<br />

Kantone ihre Stipendiengesetze<br />

revidiert und das Stipendienkonkordat ist<br />

zustande gekommen. Am 14. Juni wurde<br />

nun die Stipendieninitiative zur Harmonisierung<br />

der staatlichen Unterstützungsbeiträge<br />

an Studierende von Volk und<br />

Ständen klar verworfen.<br />

Das Abstimmungsresultat führt vor<br />

Augen, dass Bildungsvorlagen mit dem<br />

Ziel der Harmonisierung von Bildungsleistungen<br />

und der Zugangsöffnung<br />

für alle nach wie vor einen schweren<br />

Stand haben. Trotz dieser Ablehnung<br />

muss die Eliminierung ungleicher<br />

Bildungschancen auf der politischen<br />

Agenda bestehen bleiben. Der ungleiche<br />

Zugang zur höheren Bildung, der<br />

untere und bildungsferne Schichten<br />

benachteiligt, ist nicht nur unter<br />

dem Aspekt der Chancengleichheit<br />

stossend. Vielmehr ist hinlänglich<br />

bekannt, dass nur, wer Zugang zu<br />

Bildung hat, auch Chancen auf dem<br />

Arbeitsmarkt hat. Lebenslanges<br />

Lernen ist längstens als Konzept anerkannt.<br />

Was für die tertiäre Bildung und<br />

die Berufsbildung gelten soll, hat sein<br />

Gegenstück im Erwerb von Basisqualifikationen<br />

und von Grundkompetenzen.<br />

Wer in der Schweiz keinen geradlinigen<br />

Bildungsparcours absolviert hat, verfügt<br />

oft nicht über die dringend notwendigen<br />

Voraussetzungen für eine Qualifizierung<br />

für den Arbeitsmarkt. Einer nicht<br />

zu unterschätzenden Anzahl von<br />

Schweizerinnen und Schweizern,<br />

vor allem aber Menschen mit<br />

Migrationshintergrund, fehlt es aber gerade<br />

an den notwendigen Basiskenntnissen und<br />

Schlüsselkompetenzen für das Bestehen<br />

im Arbeitsmarkt.<br />

Entsprechende Massnahmen sind deshalb<br />

dringend nötig. Das Weiterbildungsgesetz,<br />

das 2017 in Kraft treten soll, sieht den Erwerb<br />

von Grundkompetenzen explizit vor. Das ist<br />

äusserst positiv. Nur braucht es dazu die nötigen<br />

finanziellen Mittel. Aus Sicht der SKOS<br />

sind diese in einem Umfang bereitzustellen,<br />

dass ernsthafte Projekte, mit denen mittelund<br />

langfristig die Zahl der Sozialhilfebeziehenden<br />

und die sozialen Kosten insgesamt<br />

reduziert werden können, tatsächlich durchgeführt<br />

und wirksam werden können.<br />

Dorothee Guggisberg<br />

Geschäftsführerin SKOS<br />

aktuell 3/<strong>15</strong> ZeSo<br />

5


Lehrabschluss nicht bestanden:<br />

Müssen Eltern weiter unterstützen?<br />

Ein junger Mann ohne Ausbildung arbeitet nicht und lebt bei den Eltern. Ob diese verpflichtet sind,<br />

ihn mit Volljährigenunterhalt zu unterstützen, hängt von vier Voraussetzungen ab.<br />

Frage<br />

Ein junger Mann, der vor zehn Monaten<br />

seine Lehrabschlussprüfung nicht bestanden<br />

hat, arbeitet nicht und lebt bei seinen<br />

Eltern. Diese sind nicht länger bereit, ihn<br />

zu finanzieren. Deshalb meldet er sich beim<br />

Sozialamt, das ihn auffordert, sich vom<br />

RAV beraten zu lassen. Der junge Mann<br />

kommt zur Einsicht, dass ihm das Nachholen<br />

des Lehrabschlusses die besten Perspektiven<br />

bietet. Sind die Eltern verpflichtet,<br />

ihn während der Lehre zu unterstützen?<br />

Grundlagen<br />

Die Unterhaltspflicht der Eltern dauert bis<br />

zur Volljährigkeit des Kindes. Hat es dann<br />

noch keine angemessene Ausbildung,<br />

müssen die Eltern – soweit es ihnen nach<br />

den gesamten Umständen zugemutet werden<br />

darf – für seinen Unterhalt aufkommen,<br />

bis eine entsprechende Ausbildung<br />

ordentlicherweise abgeschlossen werden<br />

kann (vgl. Art. 277 ZGB). Das volljährige<br />

Kind soll weder auf eine Erstausbildung<br />

verzichten noch eine begonnene Erstausbildung<br />

abbrechen müssen, weil es sich<br />

um seinen Lebensunterhalt kümmern<br />

muss. Der Volljährigenunterhalt soll das<br />

Absolvieren einer angemessenen Ausbildung<br />

ermöglichen und dazu muss der<br />

Unterhalt sichergestellt sein. Volljährigenunterhalt<br />

ist geschuldet, wenn vier Voraussetzungen<br />

kumulativ erfüllt sind.<br />

1. Fehlen einer angemessenen Ausbildung:<br />

Der Volljährigenunterhalt steht in engem<br />

Zusammenhang mit der elterlichen<br />

Erziehungspflicht, zu der gemäss<br />

PRAXIS<br />

In dieser Rubrik werden exemplarische Fragen aus<br />

der Sozialhilfe praxis an die «SKOS-Line» publiziert<br />

und beantwortet. Die «SKOS-Line» ist ein webbasiertes<br />

Beratungsangebot für SKOS-Mitglieder.<br />

Der Zugang erfolgt über www.skos.ch Mitgliederbereich<br />

(einloggen) SKOS-Line.<br />

Art. 302 Abs. 2 ZGB auch gehört, dem<br />

Kind eine seinen Fähigkeiten und Neigungen<br />

entsprechende allgemeine<br />

und berufliche Ausbildung zu ermöglichen.<br />

Die Ausbildung muss es dem<br />

Kind erlauben, seine vollen Fähigkeiten<br />

zum Erlangen der finanziellen<br />

Unabhängigkeit zu nutzen. Die Eltern<br />

haben dem Kind so lange beizustehen,<br />

wie es diese Ausbildung erfordert<br />

(vgl. BGer 5C.249/2006 E. 3.2).<br />

2. Zumutbarkeit der Unterhaltsleistung in<br />

persönlicher und finanzieller Hinsicht:<br />

Unter dem Gesichtspunkt der Zumutbarkeit<br />

sind nicht nur die wirtschaftlichen<br />

Verhältnisse der Eltern, sondern<br />

auch die persönliche Beziehung zwischen<br />

den Unterhaltspflichtigen und<br />

dem Kind zu beachten. Eltern und<br />

Kinder sind einander allen Beistand,<br />

alle Rücksicht und Achtung schuldig,<br />

die das Wohl der Gemeinschaft erfordert<br />

(Art. 272 ZGB). Eine schuldhafte<br />

Verletzung dieser Pflicht, namentlich<br />

wenn das Kind die Beziehung zu den<br />

Eltern bewusst abbricht oder sich dem<br />

Kontakt entzieht, kann die Zahlung<br />

von Volljährigenunterhalt unzumutbar<br />

machen, selbst wenn die Eltern<br />

dazu wirtschaftlich in der Lage wären<br />

(BGer 5A_5<strong>03</strong>/2012 E.3.1 und<br />

3.3.2).<br />

3. Zielstrebigkeit der Ausbildung: Das<br />

Kind muss die Ausbildung in normaler<br />

Zeit abschliessen, das heisst, es hat sich<br />

mit Eifer oder zumindest gutem Willen<br />

der Ausbildung zu widmen. Die Eltern<br />

sind nicht unbedingt bis zum Abschluss<br />

einer Ausbildung zur Unterhaltsleistung<br />

verpflichtet. Ebenso wenig gibt es<br />

eine absolute Altersgrenze. Der Student,<br />

der seine Zeit verliert, hat keinen Unterhaltsanspruch;<br />

aber eine Verzögerung<br />

wegen erfolgloser Perioden oder gelegentlichem<br />

Ausfall führt für sich alleine<br />

nicht zum Verlust des Unterhaltsanspruchs<br />

(vgl. BGE 117 II 127 E. 3.b).<br />

4. Mangelnde Eigenversorgungskapazität<br />

des Kindes: Die Eigenverantwortung<br />

des Kindes geht der Unterhaltspflicht<br />

der Eltern vor (vgl. Art. 276 Abs. 3 ZGB).<br />

Diese Eigenverantwortung besteht<br />

unabhängig von der wirtschaftlichen<br />

Leistungsfähigkeit der Eltern. Soweit mit<br />

der Ausbildung vereinbar, muss das Kind<br />

nach Volljährigkeit alle Möglichkeiten<br />

ausschöpfen, um den Unterhalt während<br />

der Ausbildung selbst zu bestreiten (vgl.<br />

BGer 5C.<strong>15</strong>0/2005 E. 4.4.1). Dies gilt<br />

erst recht, wenn das Kind grundsätzlich<br />

in der Lage wäre, selber für seinen Unterhalt<br />

aufzukommen, auch wenn es noch<br />

keine angemesse Erstausbildung abgeschlossen<br />

hat. Während eines längeren<br />

Ausbildungsunterbruchs ist von einem<br />

Ruhen der elterlichen Unterhaltspflicht<br />

auszugehen.<br />

Antwort<br />

Aktuell ruht die Unterhaltspflicht der<br />

Eltern, weil der junge Mann grundsätzlich<br />

in der Lage wäre, seinen Lebensunterhalt<br />

mit eigener Arbeitstätigkeit zu finanzieren.<br />

Sobald er sich wieder in einer Ausbildung<br />

befindet, lebt die Unterhaltspflicht der<br />

Eltern wieder auf. Im Hinblick darauf sollte<br />

frühzeitig geprüft werden, ob den Eltern<br />

nach den gesamten Umständen zugemutet<br />

werden kann, für seinen Unterhalt aufzukommen.<br />

Es ist empfehlenswert, die Frage<br />

mit dem jungen Mann und den Eltern<br />

möglichst früh zu diskutieren und eine<br />

Einigung herbeizuführen. Sollte keine<br />

Einigung zustande kommen, muss die<br />

Sozialhilfe leistende Sozialbehörde – nicht<br />

das volljährige Kind – den Anspruch auf<br />

gerichtlichem Weg klären (vgl. Art. 289<br />

Abs. 2 ZGB), also gegen die Eltern eine<br />

Klage beziehungsweise vorerst ein Schlichtungsgesuch<br />

einreichen.<br />

•<br />

Heinrich Dubacher<br />

Kommission Richtlinien und Praxis der SKOS<br />

8 ZeSo 3/<strong>15</strong> praxis


Unterschiedliche Regeln bei der<br />

Verwandtenunterstützung<br />

Der dritte Beitrag der Serie «Monitoring Sozialhilfe» befasst sich mit den kantonalen Vorschriften zur<br />

Beteiligung von Verwandten am Unterhalt von sozialhilfebedürftigen Familienmitgliedern.<br />

Leistungen der Sozialhilfe sind subsidiär<br />

und bedarfsabhängig. Sie werden erst gewährt,<br />

wenn das eigene Einkommen, das<br />

eigene Vermögen, Renten oder Unterhaltsansprüche<br />

zur Deckung des minimalen<br />

Bedarfs nicht ausreichen. Die Subsidiarität<br />

beschränkt sich nicht nur auf persönliche<br />

finanzielle Möglichkeiten und Leistungen<br />

von Sozialversicherungen, sondern bezieht<br />

auch die Familie mit ein (Art. 328 ZGB).<br />

Die SKOS-Richtlinien empfehlen den<br />

Sozialdiensten im Abschnitt F.4, die familienrechtliche<br />

Unterstützungspflicht bei<br />

Verwandten mit überdurchschnittlichem<br />

Einkommen beziehungsweise Vermögen in<br />

Betracht zu ziehen. Sie geben weiter einen<br />

Anhaltspunkt, ab wann eine sorgfältige und<br />

genaue Prüfung durchgeführt und darauf<br />

basierend eine monatliche Unterstützungssumme<br />

berechnet und vereinbart werden<br />

soll. Das ist der Fall bei einem steuerbaren<br />

Einkommen ab 120 000 Franken pro Jahr<br />

für eine Einzelperson respektive 180 000<br />

Franken für Paare. Dieses massgebliche<br />

Einkommen kann für jedes minderjährige<br />

Kind um 20 000 Franken erhöht werden.<br />

Bei den Vermögen empfehlen die Richtlinien,<br />

ab 250 000 Franken für Einzelpersonen,<br />

500 000 für Paare und zusätzlich<br />

40 000 Franken pro minderjähriges Kind<br />

eine Unterstützung anzufragen. Diese<br />

Beträge gelten seit Januar 2009.<br />

Die Mehrheit folgt den Empfehlungen<br />

17 Kantone haben diese Empfehlungen in<br />

ihre Gesetzgebung oder in ihr kantonales<br />

Handbuch für Sozialhilfe aufgenommen.<br />

Der Kanton Obwalden stützt sich darauf,<br />

ohne dies im Sozialhilfegesetz explizit zu<br />

erwähnen. Die Kantone Wallis und Appenzell-Ausserrhoden<br />

wenden nach wie vor die<br />

Empfehlungen von 2008 an, die rund<br />

halb so hohe Grenzen für das Einfordern<br />

von Verwandtenunterstützung vorsehen.<br />

In den Kantonen Genf und Waadt basieren<br />

die Regelungen ebenfalls auf den SKOS-<br />

Richtlinien. Jedoch wird nicht zwischen<br />

«Monitoring Sozialhilfe»<br />

Die Artikelserie zum «Monitoring Sozialhilfe»<br />

gewährt Einblicke in die Vielfalt der kantonalen<br />

Sozialhilfe-Bestimmungen und deren konkrete<br />

Umsetzung in der Praxis.<br />

Einkommen und Vermögen unterschieden,<br />

sondern diese beiden Grössen werden<br />

im «Revenu déterminant» zusammengefasst.<br />

Wenn eine Einzelperson ein Einkommen<br />

von über <strong>15</strong>0 000 Franken (Genf)<br />

respektive 130 000 Franken (Waadt) aufweist<br />

und ein Paar mehr als 200 000<br />

Franken respektive 180 000 Franken,<br />

werden sie bezüglich Unterstützungsleistungen<br />

für ihre sozialhilfeabhängigen<br />

Verwandten kontaktiert. Drei Kantone<br />

(Appenzell-Innerrhoden, Thurgau und Uri)<br />

schränken die Unterstützungspflicht nicht<br />

weiter ein und prüfen die Möglichkeiten im<br />

Einzelfall.<br />

Als einziger Kanton verzichtet der Kanton<br />

Basel-Landschaft seit 2014 gänzlich<br />

darauf, die Unterstützungsmöglichkeiten<br />

durch Verwandte zu prüfen. Der Entscheid<br />

basiert auf einer Kosten-/Nutzen-Analyse,<br />

die zum Schluss kam, dass die Zahl der<br />

potenziellen Unterstützungsfälle durch Verwandte<br />

derart gering ist, dass eine systematische<br />

Prüfung nicht wirtschaftlich ist. Eine<br />

Prüfung ausschliesslich in Vermutungsfällen<br />

lehnte der Kanton mit der Begründung<br />

ab, dass dies die Tür für Willkür öffne.<br />

Dort wo die Sozialhilfe eine kommunale<br />

Aufgabe ist, kann die Praxis der einzelnen<br />

Gemeinden von den Empfehlungen der<br />

Kantone allerdings abweichen. Das bei den<br />

kantonalen Sozialämtern 2014 durchgeführte<br />

Monitoring zeigt, dass 19 Amtsstellen<br />

annehmen, dass ihre Empfehlungen<br />

von den Gemeinden mehrheitlich umgesetzt<br />

werden. Fünf kantonale Amtsstellen<br />

gehen hingegen davon aus, dass höchstens<br />

in der Hälfte der Fälle nach der empfohlenen<br />

Praxis vorgegangen wird. Auch hier<br />

wohl vor allem deshalb, weil sich Aufwand<br />

und Ertrag einer aufwändigen Prüfung für<br />

kleine Sozialdienste kaum rechnen. Auch<br />

die Statistik des Sozialamts Bern weist<br />

auf die geringe Bedeutung dieses Instruments<br />

hin. Die Zahl der eingeforderten<br />

Unterstützungen kann an zwei Händen<br />

abgezählt werden. Die einkassierten Rückzahlungen<br />

liegen vermutlich unter den für<br />

diese Prüfung aufgewendeten Personalkosten.<br />

Offizielle Zahlen gibt es wenige.<br />

Die Unterstützungspflicht erstreckt sich<br />

auf die Verwandtschaft in direkter Linie, das<br />

heisst auf Kinder, Eltern und Grosseltern. In<br />

der Praxis ist der Rückgriff über zwei Generationen<br />

schwierig. Bei einem Paar müssen<br />

bei der Prüfung der Unterstützungspflicht<br />

von Grosseltern aus Gründen der Gleichbehandlung<br />

formal alle vier Grosselternpaare<br />

respektive alle acht Grosseltern, vorausgesetzt,<br />

dass sie noch leben, einer Prüfung<br />

unterzogen werden. Weigern sich Verwandte,<br />

die geforderte Unterstützung zu leisten,<br />

müssen die Sozialdienste eine Zivilklage<br />

antreten, da sie nicht weisungsbefugt sind.<br />

Fazit<br />

Auf gesetzlicher Ebene können grob drei<br />

verschiedene Praktiken unterschieden werden,<br />

wie und ob Verwandte von sozialhilfebedürftigen<br />

Menschen zu deren Unterstützung<br />

herbeigezogen werden: die Prüfung<br />

des Einzelfalls ab einer bestimmten Einkommens-<br />

und Vermögenslimite, die Prüfung<br />

ohne Vermögenslimite und der gänzliche<br />

Verzicht auf eine Prüfung aufgrund<br />

einer Kosten-/Nutzen-Abwägung. Wie andere<br />

Instrumente im Zusammenhang mit der<br />

Sozialhilfe wird auch die Verwandtenunterstützung<br />

in den Kantonen unterschiedlich<br />

gehandhabt. Entsprechend wird der Sinn<br />

und Zweck der Verwandtenunterstützung<br />

in Fachkreisen unterschiedlich beurteilt<br />

und teilweise kontrovers diskutiert. •<br />

Christin Kehrli<br />

Leiterin Fachbereich Grundlagen SKOS<br />

SKOS-RICHTLINIEN 3/<strong>15</strong> ZeSo<br />

9


Das Fehlen von Grundkompetenzen ist<br />

ein gesamtgesellschaftliches Problem<br />

Die Erhöhung der Teilnahmequoten an Bildungsmassnahmen ist eine komplexe, kostenintensive<br />

Aufgabe. Sier erfordert klare Ziele, eine ausreichende Finanzierung sowie eine optimale Zusammenarbeit<br />

zwischen den beteiligten Akteuren.<br />

Das Fehlen von Grundkompetenzen wirkt sich auf mehreren Ebenen<br />

negativ aus: Betroffene Personen haben Schwierigkeiten, sich<br />

im Alltag zurechtzufinden. Sie sind akut gefährdet, aus dem<br />

Arbeitsprozess auszuscheiden oder sie sind bereits arbeitslos.<br />

Personen mit ungenügenden Grundkompetenzen haben oft ein<br />

sehr tiefes Selbstwertgefühl in Bezug auf ihre Arbeits- und Lernleistungsfähigkeit,<br />

verfügen über eine schlechtere Gesundheit als<br />

der Durchschnitt der Bevölkerung – und sie sind überdurchschnittlich<br />

oft von Armut betroffen. Betriebe wiederum können<br />

Mitarbeitende mit ungenügenden Grundkompetenzen nicht<br />

flexibel einsetzen und dadurch deren Leistungspotenzial nicht<br />

voll ausschöpfen. Volkswirtschaftlich wirkt sich die Problematik<br />

unter anderem auf die Höhe der Sozialkosten aus. Gemäss einer<br />

Studie des Büros BASS aus dem Jahr 2007 sind 18 Prozent der<br />

Arbeitslosen nur aufgrund ihrer Leseschwäche arbeitslos. Das<br />

Fehlen von Lesekompetenzen kostet die Arbeitslosenversicherung<br />

jährlich eine Milliarde Franken.<br />

Die vom Bundesamt für Statistik durchgeführte «Adult Literacy<br />

and Lifeskills (ALL)»-Studie zeigt, dass rund 800 000 Erwachsene<br />

in der Schweiz – das sind 16 Prozent der erwachsenen Wohnbevölkerung<br />

– einen einfachen Text nicht verstehen. Rund 430 000<br />

Erwachsene haben grosse Schwierigkeiten, einfache Rechenaufgaben<br />

zu lösen. Betroffen von dieser Problematik sind keinesfalls ausschliesslich<br />

Personen mit Migrationshintergrund. Auch sehr viele<br />

Schweizerinnen und Schweizer, die notabene die gesamte Schulzeit<br />

in der Schweiz absolviert haben und deren Muttersprache die<br />

Lokalsprache ist, bekunden Mühe mit den Grundkompetenzen.<br />

Personen mit ungenügenden Grundkompetenzen haben oft<br />

lückenhafte und von Misserfolgen geprägte Schulkarrieren hinter<br />

sich. 30 Prozent der Erwachsenen, die nur die obligatorische<br />

Schulzeit absolviert haben, verfügen über ungenügende Lesekompetenzen,<br />

so die ALL-Studie. Eine tiefe Qualifikation ist der<br />

grösste sozio-ökonomische Risikofaktor für ungenügende Grundkompetenzen.<br />

Ein weiterer bedeutender Risikofaktor ist der<br />

Migrationshintergrund: 44 Prozent der fremdsprachigen Einwanderer<br />

haben Mühe mit Lesen und 31 Prozent haben Probleme<br />

mit Alltagsmathematik. Weitere Risikofaktoren sind hohes Alter<br />

sowie tiefe berufliche Stellung.<br />

Geringe Teilnahme an Bildungsmassnahmen<br />

Die ALL-Studie zeigt auch: 28 Prozent der Sozialhilfebeziehenden<br />

verfügen über ungenügende Grundkompetenzen (siehe auch<br />

Beitrag S. 18f.). Nur sehr wenige der betroffenen Erwachsenen<br />

gehen ihr Defizit mit dem Besuch einer Bildungsmassnahme<br />

aktiv an. Weniger als ein Prozent der Erwachsenen mit Leseschwierigkeiten<br />

besuchen einen Kurs in Lesen und Schreiben.<br />

Die Gründe für diese tiefe Teilnahme sind vielfältig. Einerseits<br />

besteht nicht in allen Regionen der Schweiz ein adäquates<br />

Bildungsangebot im Bereich Grundkompetenzen. Andererseits<br />

existieren finanzielle, berufliche, soziale und zeitliche Barrieren,<br />

die die Zielgruppen daran hindern, ein Bildungsangebot im<br />

Bereich Grundkompetenzen nachzufragen und erfolgreich daran<br />

teilzunehmen.<br />

Die öffentliche Hand hat es bisher nicht geschafft, diese Barrieren<br />

in Zusammenarbeit mit den Weiterbildungsanbietern<br />

wesentlich zu senken und die Teilnahmequote zu erhöhen. Das<br />

liegt insbesondere daran, dass zu wenig finanzielle Mittel für<br />

die unabdingbaren Sensibilisierungs- und Werbemassnahmen<br />

für die bestehenden Kursangebote zu Verfügung stehen. Trotz<br />

der insgesamt deutlich erhöhten politischen Sensibilität für das<br />

Thema Grundkompetenzen haben sich in den letzten zehn Jahren<br />

die in den Kantonen verfügbaren Budgets nicht erhöht. Im Gegen-<br />

Ohne Basiswissen bleibt der Zugang zu vielen Tätigkeiten verwehrt.<br />

<br />

Bild: Keystone<br />

16 ZeSo 3/<strong>15</strong> SCHWERPUNKT


grundkompetenzen<br />

teil: Aktuell stehen die bestehenden Budgets für die Förderung der<br />

Grundkompetenzen in mehreren Kantonen aufgrund von Sparbemühungen<br />

unter Druck.<br />

Für einen Paradigmen-Wechsel<br />

Eine weitere Hauptproblematik ist der Zugang zu den Betroffenen.<br />

Von der ALL-Studie ist bekannt, dass 64 Prozent der Erwachsenen<br />

mit tiefen Grundkompetenzen erwerbstätig sind und nie<br />

mit Stellen der öffentlichen Hand, beispielsweise mit den Förderstrukturen<br />

von ALV, IV und Sozialhilfe, in Kontakt kommen. In<br />

jüngster Zeit wird deshalb mit Projekten verstärkt versucht, über<br />

die Arbeitgeber einen Zugang zu schaffen und den Arbeitsplatz als<br />

Lernort für die Förderung von Grundkompetenzen zu nutzen<br />

(www.alice.ch/GO2). Damit dieser Ansatz gelingt, muss ein nicht<br />

zu unterschätzender Paradigmen-Wechsel bei der Angebotsgestaltung<br />

erfolgen: Die bestehenden Weiterbildungsangebote im Bereich<br />

Grundkompetenzen sind allgemeine Kurse, die auf das Aufholen<br />

von Defiziten ausgerichtet sind. Damit der Zugang über die<br />

Betriebe funktioniert, braucht es aber firmenspezifische Angebote,<br />

die konsequent auf die Bedürfnisse des Arbeitsplatzes sowie der<br />

Mitarbeitenden ausgerichtet sind.<br />

Die Erhöhung der Teilnahme ist eine komplexe, kostenintensive<br />

Aufgabe, die klare Ziele und Massnahmen, eine ausreichende<br />

Finanzierung sowie eine optimale Zusammenarbeit zwischen den<br />

beteiligten Akteuren erfordert. Mit dem Weiterbildungsgesetz<br />

(WeBiG), das vom Parlament im Juni 2014 verabschiedet wurde,<br />

besteht die (historische) Gelegenheit, diese Aufgabe anzugehen.<br />

Der Gesetzgeber hat dem Bund und den Kantonen den Auftrag<br />

erteilt, sich gemeinsam dafür einzusetzen, den Erwachsenen den<br />

Erwerb und Erhalt von Grundkompetenzen zu ermöglichen.<br />

Zur Umsetzung des Auftrags wurde ein sogenannter Fördertatbestand<br />

geschaffen, was bedeutet, dass der Bund und die Kantone<br />

zweckgebundene finanzielle Mittel bereitstellen müssen. Für<br />

die bevorstehende Umsetzung des WeBiG ist es nun zentral, dass<br />

die angestrebte Förderung so organisiert wird, dass die beschriebenen<br />

Probleme wirksam gelöst werden können.<br />

Hoffen auf das Weiterbildungsgesetz<br />

Die Umsetzung, die in der Verordnung zum Gesetz vorgesehen ist,<br />

fordert vor allem die Kantone: Sie sollen vierjährige kantonale Programme<br />

im Bereich Grundkompetenzen entwickeln und die auf<br />

nationaler Ebene gemeinsam festgelegten strategischen Ziele umsetzen.<br />

Mit diesen Programmen sollen die Kantone eine ihren Realitäten<br />

entsprechende Auswahl von Massnahmen, Angeboten<br />

oder Projekten treffen, die zur Zielerreichung beitragen. Es ist vorgesehen,<br />

dass sich der Bund mit jeweils maximal 50 Prozent an<br />

Was sind Grundkompetenzen?<br />

Zu den Grundkompetenzen von Erwachsenen gehören die<br />

Kompetenz, einfache Texte lesen und verstehen zu können<br />

(Literalität) sowie einfache mathematische Fragestellungen<br />

zu lösen (Alltagsmathematik), die Fähigkeit Informations- und<br />

Kommunikationstechnologien (IKT) zu nutzen sowie die Beherrschung<br />

der lokalen Amtssprache (Sprachkompetenz).<br />

www.alice.ch/de/themen/grundkompetenzen<br />

den kantonalen Programmen beteiligt. Positiv an dieser Umsetzungsstruktur<br />

ist, dass gemeinsame nationale Ziele existieren und<br />

dass die Kantone die Fördermassnahmen dennoch flexibel ausgestalten<br />

und auf ihre Bedürfnisse abstimmen können. Vorbild für<br />

dieses «Programmmodell» ist die aktuelle Praxis bei der Integrationsförderung.<br />

Dort schliesst das Staatssekretariat für Migration<br />

SEM auf Grundlage einer gemeinsamen Strategie von Bund und<br />

Kantonen vierjährige Vereinbarungen zur Umsetzung von kantonalen<br />

Integrationsprogrammen (KIP) ab. Ein KIP orientiert sich<br />

an der Strategie von Bund und Kantonen, hält die kantonalen Ziele<br />

und Massnahmen fest und definiert, welche Wirkungen erzielt<br />

werden sollen.<br />

Der Ansatz, gleich wie bei der Integrationsförderung auf die<br />

Strukturen der Kantone zu setzen, ist sinnvoll. Die Kantone können<br />

sowohl über eine flexible Ausgestaltung von Leistungsvereinbarungen<br />

mit Weiterbildungsanbietern als auch über Bildungsangebote<br />

im Rahmen der Regelstrukturen effektive Massnahmen<br />

zur Förderung der Grundkompetenzen umsetzen. Ein grosses<br />

Problem zeigt sich allerdings bei der Finanzierung. Bis jetzt hat<br />

der Bund lediglich jährlich zwei Millionen Franken für die Umsetzung<br />

des Weiterbildungsgesetzes vorgesehen. Die IG Grundkompetenzen,<br />

ein Verbund von 21 Organisationen, hat berechnet,<br />

dass für eine effektive Erhöhung der Teilnehmerzahlen ein Bundesbeitrag<br />

von rund 12 Millionen Franken notwendig ist. Es ist<br />

zu hoffen, dass das Parlament im Rahmen der Diskussion um die<br />

BFI-Botschaft die Fehlkalkulation des Bundes noch korrigiert und<br />

die Mittel für die Förderung der Grundkompetenzen wesentlich<br />

erhöht.<br />

•<br />

Bernhard Grämiger<br />

Schweizerischer Verband für Weiterbildung SVEB<br />

Koordinator IG Grundkompetenzen<br />

SCHWERPUNKT 3/<strong>15</strong> ZeSo<br />


Förderung der Grundkompetenzen im<br />

Kontext der Sozialhilfe<br />

Im Rahmen des nationalen Projekts «GO Sozialhilfe» wird untersucht, wie die Förderung von<br />

Grundkompetenzen bei Sozialhilfebeziehenden verbessert werden kann und welche Rollen die<br />

beteiligten Organisationen und ihre Mitarbeitenden dabei spielen.<br />

28 Prozent der Sozialhilfebeziehenden haben geringe Lesekompetenzen.<br />

Diese Quote aus der «Adult Literacy and Lifeskills<br />

(ALL)»-Studie aus dem Jahr 2006 hat in den vergangenen Jahren<br />

tendenziell eher noch zugenommen. Die Risikofaktoren, die zu einer<br />

dauerhaften Abhängigkeit von der Sozialhilfe führen, sind jenen<br />

sehr ähnlich, die Schwierigkeiten bei den Grundkompetenzen<br />

begünstigen: zunehmendes Alter, kein Berufsabschluss, tiefe<br />

Qualifikation der Eltern, Migrationshintergrund in Verbindung<br />

mit geringen Sprachkenntnissen und eine tiefe berufliche Stellung.<br />

Je länger Personen von der Sozialhilfe abhängig sind, desto<br />

grösser ist die Wahrscheinlichkeit, dass bei ihnen im Bereich der<br />

Grundkompetenzen ein Förderbedarf besteht. Vieles deutet darauf<br />

hin, dass das vorhandene Potenzial für die Förderung der<br />

Grundkompetenzen im Kontext der Sozialhilfe bisher zu wenig<br />

genutzt wird. Aus Sicht der Sozialdienste stellt sich also die Frage,<br />

mit welchen Massnahmen und Konzepten sie die Förderung der<br />

Grundkompetenzen ihrer Klientinnen und Klienten aktiver angehen<br />

können und welche Voraussetzungen dafür erfüllt sein müssen.<br />

Im Folgenden werden erste Erkenntnisse und Erfahrungen<br />

mit der Förderung der Grundkompetenzen in Zusammenarbeit<br />

mit der Sozialhilfe, die im Rahmen des Projekts «GO Sozialhilfe»<br />

gesammelt wurden, vorgestellt.<br />

Förderung der Grundkompetenzen im Kontext der Sozialhilfe<br />

sind bisher jedoch vielerorts noch nicht ausreichend vorhanden:<br />

Es fehlt zum einen an passenden Bildungsangeboten und zum<br />

anderen am Bewusstsein, dass die Förderung der Grundkompetenzen<br />

ein wichtiges Kriterium zur Unabhängigkeit der Klienten<br />

sein kann. Hinzu kommt, dass das Ansprechen von Defiziten, die<br />

von den betroffenen Personen selbst häufig systematisch verborgen<br />

werden, mit Hürden verbunden ist. Eine kurze und gezielte<br />

Weiterbildung respektive Sensibilisierung der Sozialberatenden<br />

zum Erkennen und Ansprechen vorhandener Schwierigkeiten ist<br />

hier hilfreich. Solche Inputs können beispielsweise durch Sensibilisierungsfachpersonen<br />

des Dachverbands Lesen und Schreiben<br />

erfolgen.<br />

Standortbestimmung konkretisiert den Lernbedarf<br />

Eine Standortbestimmung durch eine Fachperson hilft, den Förderbedarf<br />

zu konkretisieren und den individuellen Lernbedarf sicht-<br />

Strategische Entscheidung des Sozialdienstes<br />

Grundvoraussetzung für die Förderung von Basiskompetenzen<br />

von Sozialhilfebeziehenden ist die Klärung der Rollen und Aufgaben<br />

der beteiligten Personen und Institutionen sowie die Konzeption<br />

geeigneter Bildungsmassnahmen. Die Entscheidung, die Förderung<br />

von Grundkompetenzen als Aufgabe des Sozialdienstes zu<br />

definieren und in die internen Abläufe zu integrieren, ist auf strategischer<br />

Ebene, also von den für die Führung des Sozialdienstes<br />

verantwortlichen Personen zu treffen. Zur Strategie und deren<br />

Umsetzung gehört als wesentlicher Baustein die Zusammenarbeit<br />

mit einem oder mehreren Bildungsanbietern, die geeignete Bildungsmassnahmen<br />

für Sozialhilfebeziehende anbieten und umsetzen<br />

können.<br />

Den Sozialberatenden kommt aufgrund ihres direkten Kontakts<br />

zu den Klientinnen und Klienten und aufgrund ihrer Qualifikation<br />

die Rolle zu, Personen mit Förderbedarf zu identifizieren und<br />

ihnen die Teilnahme an einer Bildungsmassnahme im Bereich<br />

Grundkompetenzen vorzuschlagen. Die Voraussetzungen für die<br />

Eine gute Zusammenarbeit zwischen Bildungsanbietern und<br />

Sozialdiensten ist zentral für die Konzeption guter Angebote.<br />

Bild: Keystone<br />

18 ZeSo 3/<strong>15</strong> SCHWERPUNKT


grundkompetenzen<br />

bar zu machen. Für die Förderung der Grundkompetenzen kommen<br />

aufgrund von Erfahrungen vor allem Personen mit deutscher<br />

Muttersprache oder Migrantinnen und Migranten mit guten<br />

mündlichen Deutschkenntnissen in Frage.<br />

Bei der Konzeption einer Bildungsmassnahme ist ein niederschwelliger,<br />

alltags- und handlungsorientierter Ansatz zweckdienlich,<br />

mit dem Ziel, die Ressourcen der Teilnehmenden in den<br />

Bereichen mündliche und schriftliche Kommunikation, Alltagsmathematik<br />

und Informations- und Kommunikationstechnologien<br />

zu stärken und zu erweitern. Wichtig sind daher auch methodische<br />

Fähigkeiten, wie sie beispielsweise für die Analyse und Planung<br />

von komplexeren Alltagsanforderungen nötig sind. Bei der Gestaltung<br />

der Lerneinheiten steht der konkrete Nutzen im Alltag im<br />

Mittelpunkt: grössere Sicherheit bezüglich Schrift- und Zahlungsverkehr<br />

gewinnen, die Belege von Arzt und Krankenkasse ordnen,<br />

ein Handy-Abo kündigen oder den Pin-Code des Bankkontos zu<br />

ändern, die Anfahrt zu einem Bewerbungsgespräch planen usw.<br />

Für die Zielgruppe sind kurze modulare Bildungsmassnahmen<br />

im Umfang von 30 bis 40 Stunden gut geeignet. Aufgrund der<br />

oft vorhandenen Mehrfachproblematiken der Zielgruppe ist ein<br />

modularer Aufbau günstig. So können jene, die sich für einen längeren<br />

Bildungsprozess entscheiden, weitere Module besuchen.<br />

Projekt «GO Sozialhilfe»<br />

Im Rahmen des Projekts «GO Sozialhilfe – Förderung der Grundkompetenzen<br />

in der Sozialhilfe» hat der Schweizerische Verband für Weiterbildung<br />

(SVEB) gemeinsam mit den beteiligten Partnern erste Erfahrungen<br />

mit der Förderung der Grundkompetenzen in Zusammenarbeit mit der<br />

Sozialhilfe gesammelt. Sozialdienste, die sich für eine Grundkompetenzförderung<br />

im Rahmen der Sozialhilfe interessieren und die zur Vertiefung<br />

der Erkenntnisse und zur Erprobung und Weiterentwicklung des Konzepts<br />

beitragen möchten, melden sich bitte bei der Autorin.<br />

Kontakt: caecilia.maerki@alice.ch<br />

Zusammenarbeit mit den Sozialberatenden<br />

Die Konzeption und Umsetzung der Bildungsmassnahmen sind<br />

Sache der Bildungsanbieter. Die Basis für gute Angebote bildet eine<br />

gute Zusammenarbeit mit den Sozialberatenden. Idealerweise erfolgen<br />

Standortbestimmungen sowie die Begleitung und Beratung der<br />

Klienten in Bezug auf ihre Lernziele durch den Bildungsanbieter.<br />

Dieser sorgt für die erfolgreiche Umsetzung der Bildungsmassnahme<br />

und ermöglicht eine positive Lernerfahrung, die vorhandene<br />

Ressourcen aktiviert und im Alltag unmittelbar nützlich ist. Um den<br />

Nutzen besser zu garantieren, sollen die Teilnehmenden eigene<br />

Themen einbringen können. Daher braucht es Kursleitende, die<br />

rollend planen und neu auftauchende Bedürfnisse kurzfristig in<br />

den Unterricht integrieren können. Weitere wichtige Faktoren sind<br />

die Unterstützung des Transfers des Gelernten in den Alltag und die<br />

aktive Gestaltung der Schnittstelle zu den Sozialberatenden. Die<br />

persönlichen Coaching-Gespräche zwischen Kursteilnehmern und<br />

dem Bildungsanbieter begleiten die individuellen Lernschritte<br />

auch im Hinblick auf Planung und Umsetzung von Anschlusslösungen<br />

gemeinsam mit den Sozialberatenden.<br />

Eine wichtige Rolle kommt auch der Sensibilisierung der<br />

politischen Entscheidungsträger für die Potenziale der Grundkompetenzförderung<br />

im Kontext der Sozialhilfe zu. Als Rahmengesetz<br />

hat das Weiterbildungsgesetz die Aufgabe, die Förderung von<br />

Grundkompetenzen in Spezialgesetzen zu begünstigen. In diesem<br />

Zusammenhang muss die Vermittlung von Grundkompetenzen in<br />

der Sozialhilfe als wichtiges Instrument der Integrationsförderung<br />

weiterentwickelt werden, denn die Förderung der Grundkompetenzen<br />

ist bei den Sozialen Diensten am richtigen Ort. In einer<br />

nächsten Phase des Projekts «Go Sozialhilfe» soll nun die Wirkung<br />

der Grundkompetenzförderung auf die persönliche Unabhängigkeit<br />

und die Unterstützung des Ablösungsprozesses von der Sozialhilfe<br />

überprüft werden.<br />

•<br />

Cäcilia Märki<br />

Leiterin Grundkompetenzen<br />

Schweizerischer Verband für Weiterbildung SVEB<br />

SCHWERPUNKT 3/<strong>15</strong> ZeSo<br />


Es braucht mehr Übungs- und<br />

Anwendungsmöglichkeiten<br />

Fehlende Grundkompetenzen spielen bei den meisten Personen in der Sozialhilfe eine bestimmende<br />

Rolle. Doch damit Förderkurse nachhaltig wirken, sind bessere Übungsstrukturen und eine intensivere<br />

Begleitung der Kursteilnehmerinnen und Kursteilnehmer durch die Sozialarbeitenden notwendig.<br />

Betrachtungen zum Thema Grund- und Schlüsselkompetenzen aus Sicht der Sozialhilfepraxis.<br />

Je weiter der Begriff Grundkompetenzen gefasst wird, desto offensichtlicher<br />

wird, dass ein Mangel an Grundkompetenzen, insbesondere,<br />

wenn sie kumuliert auftreten, bei den meisten Personen<br />

in der Sozialhilfe eine bestimmende Rolle spielt – sei es als Grund<br />

für das Abgleiten in die Sozialhilfeabhängigkeit oder beim Versuch,<br />

sich von der Sozialhilfe abzulösen. Eine absolut zentrale Rolle<br />

spielen dabei Kenntnisse der lokalen Sprache. Sie sind für eine<br />

erfolgreiche Arbeitsintegration heutzutage unerlässlich. Personen<br />

ohne Deutschkenntnisse haben es sehr schwer, eine Arbeitsstelle<br />

zu finden – am ehesten funktioniert das noch in Betrieben, die von<br />

Migranten mit ähnlichem kulturellem Hintergrund geführt werden.<br />

Dieses Problem hat sich in den letzten zwanzig Jahren durch<br />

den markanten Rückgang von Industriearbeitsplätzen mit Serienarbeitscharakter<br />

verschärft.<br />

Fehlt das Verständnis für die Abläufe in der Schweiz, wirkt sich<br />

dies ebenfalls erschwerend auf die Arbeitsintegration aus, aber<br />

auch beispielsweise auf den Umgang mit der Sozialhilfe vorgelagerten<br />

Leistungsträgern wie regionalen Arbeitsvermittlungszentren<br />

(RAV) oder der Invalidenversicherung. Diese Problematiken<br />

betreffen alle Bevölkerungsgruppen in der Sozialhilfe, die auf<br />

eine niederschwellige Beschäftigung angewiesen sind und häufig<br />

über keine Erstausbildung verfügen. Unser System stellt für Migrantinnen<br />

und Migranten jedoch eine besondere Herausforderung<br />

dar. Der Wille und die Fähigkeit, sich darauf einzulassen,<br />

erleichtern viele Zugänge.<br />

Wer nicht in der Lage ist, «amtlichen» Forderungen nachzukommen,<br />

muss entsprechende Konsequenzen tragen. Versäumt<br />

jemand beispielsweise einen Termin beim RAV, muss eine<br />

schriftliche Begründung nachgereicht werden. Diese darf sehr<br />

einfach verfasst sein, doch viele Leute haben Schwierigkeiten,<br />

sich schriftlich auszudrücken und fürchten, den Anforderungen<br />

nicht zu genügen. In der Folge geben sie keine Stellungnahme<br />

ab und müssen deshalb mit Sanktionen rechnen. Diesen<br />

Personen bereitet auch das Schreiben von Bewerbungen grosse<br />

Mühe. Schlechte Computerkenntnisse und ein fehlender Computer<br />

wiederum erschweren die Arbeits- und Wohnungssuche<br />

massiv.<br />

Migranten mit Sprachschwierigkeiten sind für die gegenseitige<br />

Verständigung zudem oft auf Personen angewiesen, die bei<br />

Behördenkontakten dolmetschen. Im Alltagsleben übernehmen<br />

häufig die Kinder diese Aufgabe, was zu ungesunden Rollenumkehrungen<br />

führt. So wird jeder Umgang mit Behörden oder<br />

Schulen umständlich und jedes Beratungs- oder Bewerbungsgespräch,<br />

die Wohnungssuche und so weiter sind mit grossem Aufwand<br />

verbunden.<br />

Zum Erwerb von Grundkompetenzen braucht es ein langfristiges<br />

Engagement. <br />

Bild: Keystone<br />

Problemfeld Schlüsselkompetenzen<br />

Vor allem bei jungen Sozialhilfebeziehenden steht tendenziell häufiger<br />

die Problematik von fehlenden Schlüsselkompetenzen im<br />

Vordergrund: Kein Verständnis fürs Lernen (im Sinn von: Lernen<br />

ist sinnvoll), für Pünktlichkeit und Genauigkeit, wenig Durchhaltewillen<br />

und wenig Frustrationstoleranz sowie Schwierigkeiten, sich<br />

einordnen, organisieren oder eine bestimmte Situation reflektie-<br />

24 ZeSo 3/<strong>15</strong> SCHWERPUNKT


grundkompetenzen<br />

ren zu können. Dass diese Problematiken oft schon in der Schulzeit<br />

ein Thema sind, wirkt sich negativ auf Anschlusslösungen aus.<br />

Immerhin geht einigen Jugendlichen noch «der Knopf auf» und<br />

sie starten verspätet eine Erstausbildung, während der sie mit<br />

Sozialhilfe unterstützt werden.<br />

Eine Schlüsselkompetenz im weitergefassten Sinn ist die Fähigkeit,<br />

soziale Kontakte zu pflegen und mit anderen Menschen<br />

umgehen zu können. Ist sie nicht vorhanden, kann in schwierigen<br />

Situationen keine Hilfestellung durch ein eigenes Netz beansprucht<br />

werden. Sozialhilfebeziehende verfügen tendenziell über<br />

kleine Netzwerke. Da vielen oft die Ideen fehlen, wie Kontakte<br />

oder Aktivitäten auch mit wenig Geld gepflegt werden können,<br />

nimmt ihre Isolation noch zu. Ein nicht adäquater Umgang mit<br />

anderen Menschen erschwert die Integration in den Arbeitsmarkt<br />

oder führt wieder zu Stellenverlusten. Und ebenfalls wichtig ist<br />

das Verfügen über lebenspraktische Kompetenzen. Dies betrifft<br />

insbesondere den Umgang mit Geld, etwa dessen Einteilung und<br />

das Bezahlen von Rechnungen. Fehlen Wohnkompetenzen, kann<br />

dies zum Wohnungsverlust führen. Auch die Körperpflege oder<br />

Kochen sind wichtige lebenspraktische Kompetenzen. Immer wieder<br />

fällt auf, dass sich Sozialhilfebeziehende schlecht und einseitig<br />

ernähren.<br />

In Bezug auf zur Verfügung stehende Fördermöglichkeiten gibt<br />

es grosse Unterschiede, je nach Gemeinde, politischer Konstellation<br />

und örtlichem Spardruck. Auf unserer Stelle sind die Bedingungen<br />

gut. Wenn eine Förderung in einem bestimmten Bereich<br />

von den Sozialarbeitenden als sinnvoll betrachtet wird und sich<br />

gut begründen lässt, können die vorhandenen Möglichkeiten in<br />

der Regel genutzt werden. Dazu steht in unserer Region auch eine<br />

gute Auswahl von Förderangeboten zur Verfügung. Doch damit<br />

allein lassen sich die wenigsten Probleme lösen. Einerseits hat es<br />

die Sozialhilfe meist mit denjenigen Personen zu tun, bei denen<br />

eine Kumulation von Problemlagen vorhanden ist und die somit<br />

auch schwerer integrierbar sind. Andererseits sind viele Kurse<br />

Nachhaltige Begleitungen<br />

sind leider kaum<br />

finanzierbar. Sie werden<br />

allenfalls durch Freiwillige<br />

geleistet.<br />

ohne regelmässige Kontakte und ohne konkrete Übungs- und<br />

Anwendungsmöglichkeiten nicht allzu nachhaltig. Einzelne Kursbesucher<br />

kommen beispielsweise trotz Sprachkurs nicht über den<br />

absoluten Grundwortschatz hinaus. Um mehr Nachhaltigkeit zu<br />

erreichen, bräuchte es mehr Leute, die mit den Sozialhilfebeziehenden<br />

regelmässig üben oder die mit ihnen nicht nur Bewerbungen<br />

schreiben, sondern diese auch im Zusammenhang auswerten<br />

und besprechen. Solche Begleitungen sind leider kaum<br />

finanzierbar. Sie werden allenfalls durch Freiwillige geleistet.<br />

Am wichtigsten und erfolgversprechendsten für die Integration<br />

in den Arbeitsmarkt im Sinne von «Stützkursen» sind Praktikumsstellen<br />

im ersten Arbeitsmarkt. Dort werden Schlüsselkompetenzen<br />

geübt, Kontakte geknüpft und es kann Deutsch gesprochen<br />

werden. Dies fördert insbesondere wiederum das Selbstvertrauen<br />

in die eigenen Fähigkeiten der Teilnehmenden. Allerdings setzen<br />

auch die IV und die RAV auf diese Strategie – die Nachfrage übersteigt<br />

somit das Angebot. Die Akquisition und Begleitung solcher<br />

Praktika benötigt viel Zeit.<br />

Fazit<br />

Die grösste Schwierigkeit bei mangelnden Grundkompetenzen<br />

besteht gerade darin, dass es eben Grund-Kompetenzen sind, die<br />

fehlen. Diese lassen sich selten in zeitlich beschränkten Kursen<br />

vermitteln. Bedenkt man, wie viele Jahre die Schulausbildung und<br />

die Sozialisation in der Schweiz in Anspruch nehmen, müssen die<br />

Erwartungen in die Wirkung solcher Kurse relativiert werden. Förderkurse<br />

für Grundkompetenzen können in einigen Fällen hilfreich<br />

sein oder einen Anstoss geben. Das Vorhandensein dieser Angebote<br />

ist durchaus wichtig! Am wichtigsten jedoch ist die<br />

Möglichkeit, dass Sozialarbeitende die Klientinnen und Klienten<br />

intensiver begleiten können. Dazu gehören die sorgfältige Auswahl<br />

der Kurse und deren Organisation, teilweise Begleitungen zu Erstgesprächen,<br />

Rücksprachen mit Anbietern, allenfalls sogar die<br />

Akquisition von Praktikums- oder Trainingsplätzen. Und insbesondere<br />

die stetige Motivation und Ermutigung der Sozialhilfebeziehenden,<br />

die Angebote zu nutzen, Gelerntes anzuwenden und<br />

sich zu vernetzen. Ebenfalls dazu gehört etwas Nachdruck und das<br />

Auswerten oder die Anpassung einer nicht gelungenen Strategie.<br />

Dies bedingt eine dafür angemessene Anzahl der Fälle pro Sozialarbeitende,<br />

die mit der aktuellen Auslastung oft nur sehr oberflächlich<br />

mit ihren Klienten arbeiten können.<br />

•<br />

Anna Fliedner<br />

Sozialarbeiterin<br />

Soziale Beratungsdienste Horw<br />

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