Schulkonflikte - demokratisches sachsen
Schulkonflikte - demokratisches sachsen
Schulkonflikte - demokratisches sachsen
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Forum:Theater findet im Rahmen des Programms<br />
„Demokratisches Sachsen!“ der Deutschen Kinder-<br />
und Jugendstiftung, gefördert durch das Sächsische<br />
Staatsministerium für Soziales statt.<br />
ideen für mehr! Ganztägig lernen. ist ein Programm<br />
der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung, gefördert<br />
durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung<br />
und den Europäischen Sozialfonds.<br />
<strong>Schulkonflikte</strong><br />
wahrnehmen, verändern, gestalten<br />
Mit dem Forum:Theater sieben Jahre<br />
an Sachsens Schulen unterwegs<br />
von Walter Henckel<br />
eine PublikationsReihe deR deutschen kindeR- und jugendstiftung im Rahmen von „ideen füR mehR! ganztägig leRnen.“
<strong>Schulkonflikte</strong><br />
wahrnehmen, verändern, gestalten<br />
Mit dem Forum:Theater sieben Jahre an<br />
Sachsens Schulen unterwegs
Impressum Inhalt<br />
<strong>Schulkonflikte</strong><br />
wahrnehmen, verändern, gestalten<br />
Mit dem Forum:Theater sieben Jahre an Sachsens Schulen<br />
unterwegs<br />
Herausgeber & Redaktion:<br />
Servicestelle Ganztagsangebote Sachsen<br />
Eine Kooperation des Sächsischen Staatsministeriums für Kultus<br />
und der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung<br />
Mit freundlicher Unterstützung von:<br />
Gestaltung/Satz: Projektschmiede gGmbH Dresden<br />
Copyright: Deutsche Kinder- und Jugendstiftung<br />
Fotos: Peter Zimolong (www.peter-zimolong.de/photoz)<br />
Die Fotos sind während eines Projekttages mit der Klasse 6A der<br />
46. Mittelschule im Theaterhaus Rudi entstanden.<br />
Theaterpädagogisches Zentrum Sachsen e. V.<br />
im Theaterhaus Rudi<br />
Fechnerstraße 2a, 01139 Dresden<br />
Tel/Fax: (03 51) 42 25 410<br />
Email: tpz-<strong>sachsen</strong>@gmx.de<br />
www.tpz-<strong>sachsen</strong>.de<br />
Servicestelle Ganztagsangebote Sachsen,<br />
Hoyerswerdaer Straße 1, 01099 Dresden<br />
Tel: (03 51) 56 34 762<br />
Email: serviceteam.gta@smk.<strong>sachsen</strong>.de<br />
Website: www.<strong>sachsen</strong>.ganztaegig-lernen.de<br />
Druck: Otto Verlag & Druckerei GmbH & Co. KG<br />
Auflage: 500 Exemplare, Dresden 2008, 1. Auflage<br />
Vorworte 3<br />
1. Was ist Forum:Theater? 10<br />
2. „Wie alles anfing?“ 14<br />
Boal in einer Mittelschule in der Sächsischen Schweiz<br />
(2001/2002)<br />
3. „Flucht nach vorn – Methodenwechsel dringend gesucht!“ 28<br />
Von Boal zum Rollenspiel und wieder zurück – Theaterarbeit<br />
mit benachteiligten Jugendlichen<br />
(2003/2004)<br />
4. „Endlich Luft zum Atmen haben!“ 38<br />
Lehrer entdecken vier Tage das Forum:Theater für sich<br />
(10/2006)<br />
5. „Als das Kind in den Brunnen gefallen war!“ 52<br />
Nachbereitung einer dramatischen Mobbing-Geschichte<br />
(11/2006)<br />
6. „Wir wissen von nichts!“ 63<br />
Mobbing gibt es auch in einer intakten Klasse<br />
(11/2007)<br />
7. „Wie wirkt Forum:Theater?“ 68<br />
1. Denn wir wissen nicht, was wir tun – unser Tun ist meist<br />
durch unbewusste Handlungen geprägt.<br />
2. Ein lebendiges Bild sehen<br />
3. Sich ein Bild machen<br />
4. Das Bild verändern<br />
5. Forum:Theater ermöglicht die Arbeit an einer Bilderserie<br />
8. Kompetenzen des Spielleiters im Forum:Theater 74<br />
9. Glossar 77<br />
10. Stimmen zum Forum:Theater 83<br />
11. Zum Autor 86<br />
12. Literaturliste 88<br />
2 3
Vorwort Vorwort<br />
Im Jahr 2001 startete das Modellprogramm Sächsische Jugend für<br />
Demokratie der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung in Zusammenarbeit<br />
mit dem Sächsischen Staatsministerium für Soziales. Ziel war<br />
und ist es – heute unter dem Programm-Namen Demokratisches Sachsen!<br />
– Kindern und Jugendlichen Demokratie erlebbar zu machen. Mit<br />
verschiedensten Projekten, die alle an der Lebenswelt der jungen<br />
Menschen ansetzen, erfahren sie Selbstwirksamkeit, Partizipation<br />
und <strong>demokratisches</strong> Miteinander.<br />
Neben der Dimension des eigenen Erlebens und Erfahrens brauchen<br />
Menschen, die ihren Platz in der Gesellschaft selbstbewusst gestalten<br />
und an der Gemeinschaft teilhaben, Wissen und Kompetenzen, dies<br />
auch tun zu können. Eine wichtige Demokratiekompetenz ist Konfliktfähigkeit.<br />
Dieser Begriff meint, eine Auseinandersetzung aufzunehmen,<br />
sie konstruktiv zu bewältigen und nach Möglichkeit bereits im<br />
Vorfeld zu vermeiden. Der Umgang mit Konflikten umfasst nicht nur<br />
das Suchen einer angemessenen Lösung, sondern auch das Schaffen<br />
guter Beziehungen, den Aufbau einer fairen Streitkultur sowie die<br />
Stärkung von Toleranz und Offenheit<br />
Das Projekt Forum:Theater (ehemals mit dem Namen „Widerwort &<br />
Widerspiel“) eignet sich in besonderer Weise zur Auseinandersetzung<br />
mit Konflikten. Zum einen thematisiert es Konflikte direkt, zum anderen<br />
ermöglicht es den Beteiligten, in die Theaterszenen einzugreifen<br />
und sie so mitzubestimmen. Die Zielgruppe – Jugendliche - erfahren<br />
damit spielerisch in Szenen aus dem Alltag, dass sie Situationen<br />
durch eigenes Handeln bestimmen und dass oft ein Satz oder eine<br />
Geste Eskalationen verhindern können.<br />
Der Zugang über das Theaterspiel macht dabei die große Wirkung<br />
aus: Jugendliche wechseln die Perspektive auf eine Alltagsszene, sie<br />
können die Zeit anhalten, um über Handlungsmöglichkeiten nachzudenken<br />
und sie reflektieren so ganz bewusst ihr eigenes Verhalten<br />
und ihre zugrunde liegenden Muster und Wertvorstellungen.<br />
Die Ausführungen in dieser Broschüre gelten für alle Schulen, aber<br />
insbesondere für Schulen mit Ganztagsangeboten. Denn gerade diese<br />
Schulen müssen sich an dem Ziel eines pädagogisch gestalteten<br />
Lern-, Lebens- und Erfahrungsraumes orientieren und versuchen,<br />
dieses Ziel mit vielfältigen Angeboten und einer pädagogischen Gesamtstruktur<br />
Schritt für Schritt anzustreben, bzw. auch – zumindest<br />
teilweise – zu erreichen.<br />
Eine Schule mit Ganztagsangeboten braucht nicht nur im täglichen<br />
Schulleben Computer, Sportangebote und den Schulclub, sondern<br />
auch kreative, von außerhalb kommende Erwachsene, die jungen<br />
Menschen mit verschiedensten Methoden in ihrer Selbstentwicklung<br />
unterstützen und ernsthafter Gesprächspartner sind: ob im Rahmen<br />
des Deutschunterrichts, in Freizeitangeboten, im Englischkurs und in<br />
der Ethikdiskussion.<br />
Theater ist etwas ganz Besonderes, was wir unseren Schülerinnen<br />
und Schülern in Schule und Unterricht mitgeben können, sowohl auf<br />
als auch vor der Bühne.<br />
Viel Spaß und Anregungen für das eigene Tun wünschen Ihnen<br />
das Programm Demokratisches Sachsen! der Deutschen Kinder- und<br />
Jugendstiftung sowie die Servicestelle Ganztagsangebote Sachsen.<br />
4 5
Vorwort Vorwort<br />
In dieser Broschüre stelle ich einige Berichte über unsere „Konflikt-<br />
Arbeit“ mit der Methode des Forum:Theaters nach Augusto Boal an<br />
sächsischen Schulen vor. Ich glaube, die Texte vermitteln auch einen<br />
Eindruck unserer eigenen Entwicklung. Mögen die frühen noch geprägt<br />
sein von Irritationen über ein aggressives, kindliches und desinteressiertes<br />
Schülerverhalten, so wird dieses Verhalten später zur<br />
Grundlage der Arbeit. Die Souveränität im Umgang mit den Konflikten<br />
an Schulen kann durch die vielen Erfahrungen kontinuierlich wachsen.<br />
Daraus lässt sich sicherlich auch allgemein schlussfolgern, dass<br />
die Methode des immer wiederkehrenden „trial and error“ oder auch<br />
„des Weges, der das Ziel ist“ letztendlich zum Erfolg führt. Notwendig<br />
für diesen Weg ist das boalsche Forum:Theatergerüst, das über eine<br />
große Klarheit verfügt.<br />
Die Texte mögen auch den etwas pointierten Eindruck vermitteln, als<br />
„wimmele“ es an sächsischen Schulen nur so von Opfern und Tätern<br />
von Mobbing, verbaler und körperlicher Gewalt sowie hilfloser und<br />
überforderter Lehrer. Ich bitte hier um Ihr Verständnis, da ich nicht<br />
beurteilen kann, welcher der Normalzustand an sächsischen Schulen<br />
ist. In der Regel werden wir eingeladen, wenn es ein aktuelles<br />
Problem gibt und die Schule glaubt, eine „Problemklasse“ könne<br />
von der Methode des Forum:Theaters profitieren bzw. wenn einzelne<br />
Lehrer das Erlernen von sozialem Verhalten für notwendig erachten.<br />
Wir sind hauptsächlich an Mittelschulen, weniger an Gymnasien und<br />
überhaupt nicht an Grundschulen tätig. Im Verhältnis zur Gesamtzahl<br />
sächsischer Schulen haben wir nur mit einer begrenzten Anzahl an<br />
Schulen zusammengearbeitet.<br />
Ich glaube aber, dass das nicht wirklich relevant ist. Wir können sehr<br />
froh sein, dass wir in Sachsen keine „amerikanischen“ oder „französischen“<br />
Verhältnisse in Bezug auf Gewalt haben. Dass dies so ist,<br />
ist ein Verdienst der Bildungspolitik, der täglichen harten Arbeit der<br />
Lehrer und Eltern, die ihre Kinder auf dem Entwicklungsweg begleiten<br />
und der Schüler, die sich ihrer Verantwortung bereits in jungen Jahren<br />
bewusst sind. Nichtsdestotrotz zeigt unsere Arbeit im Forum:Theater<br />
Symptome auf. Symptome, die häufig ursächlich nichts mit der Schule<br />
zu tun haben, die sich aber im Schulalltag zeigen und ausdrücken.<br />
Das heißt, dass sie da sind und unsere tägliche Arbeit belasten, uns<br />
aber auch erfreuen.<br />
Hier meine ich sehr wohl, dass die Arbeit mit dem Forum:Theater<br />
beispielgebend sein kann, denn sie vermag auf eine ungewöhnliche,<br />
weil spielerische, kreative und bildhafte Weise bestehende Probleme<br />
und Konflikte aufzuzeigen. Diese Konflikte sind damit ans Tageslicht<br />
getreten, und nun können wir mithilfe unserer menschlichen, pädagogischen,<br />
psychologischen und bildungspolitischen Instrumente<br />
entscheiden, ob wir uns ihnen intensiver zuwenden wollen oder ob<br />
wir sie wieder in unser Unbewusstes versinken lassen.<br />
Vor dieser Entscheidung stehen heute meines Erachtens die am „Prozess<br />
Schule“ beteiligten Interessengruppen. Das sind:<br />
Bildungspolitik, Hochschulen und Professoren in der Lehre, Erzieher<br />
im Vorschulalter, Schulleiter und Lehrer, Eltern, externe Anbieter kultureller<br />
Bildung und nicht zuletzt die Schüler<br />
Um die Brisanz zu veranschaulichen, möchte ich das Ergebnis einer<br />
repräsentativen Standbilder-Parade anführen, die während einer<br />
viertägigen Fortbildungswerkstatt zum Forum:Theater von den neun<br />
teilnehmenden Lehrerinnen – es gab keinen männlichen Teilnehmer<br />
– an sächsischen Mittelschulen aus dem Raum Dresden erstellt wurde.<br />
Jede Lehrerin hatte die Aufgabe, ein Standbild aus vier Teilnehmerinnen<br />
zum Thema „Schulalltag“ zu bilden. Aus den entstandenen<br />
neun Standbildern sollte anschließend „Das Bild der Bilder“ erstellt<br />
werden, das heißt es war die Quintessenz der neun Bilder zu fokussieren.<br />
So ergaben sich die vier folgenden Themen/Begriffe, denen<br />
alle Teilnehmerinnen zustimmten:<br />
Desinteresse – Gewalt – Verantwortungsübernahme – Zerrissenheit<br />
Das im Anschluss daran geführte Gespräch zeigte die Betroffenheit<br />
aller Teilnehmerinnen. Verallgemeinert man die Aussagen der neun<br />
Erfahrungsbilder, dann bedeutet dies, dass der tägliche Schulall-<br />
tag – ich empfehle, es nicht nur an den sächsischen Mittelschulen im<br />
6 7
Vorwort Vorwort<br />
Raum Dresden festzumachen – allgegenwärtig von den vier Themen<br />
Desinteresse – Gewalt – Verantwortungsübernahme – Zerrissenheit<br />
geprägt ist. Jeder Lehrer muss sich täglich damit auseinandersetzen,<br />
was zu einer großen seelischen und physischen Belastung führt und<br />
ständig die Frage und den Wunsch nach dem Einsatz geeigneter Methoden<br />
nach sich zieht. Damit stehen sächsische Schulen vor entscheidenden<br />
Fragen:<br />
Wie sehr ist uns bewusst, dass der Beruf des Lehrers immer mit Desinteresse,<br />
Gewalt und Zerrissenheit als negative Erscheinungsformen<br />
konfrontiert wird? Wie gut sind wir vorbereitet und geschult, um mit<br />
dieser Problematik umzugehen?<br />
Ich möchte noch ein Wort zur Erzählweise der Berichte sagen. Ihr Ton<br />
ist subjektiv; an vielen Stellen vertrete ich eine bestimmte Haltung.<br />
Es ist die Haltung Desjenigen, der sich zu einer bestimmten, nicht<br />
vorhersehbaren Situation plötzlich verhalten muss. Häufig sind dies<br />
Situationen, in denen mir keine Theorie und kein gelerntes Verhaltensmuster<br />
weiter helfen. Aus meiner Sicht – und dies macht die Subjektivität<br />
des Erzählten aus – muss ich direkt, spontan, angemessen<br />
und vorwärts schauend, d.h. progressiv auf die Situation reagieren.<br />
Hier helfen mir vor allem meine Ich-Stärke, meine Lebenserfahrung,<br />
meine Empathie mit den Jugendlichen sowie die Klarheit der Methode<br />
des Forum:Theaters von Augusto Boal. Andere Pädagogen reagieren<br />
möglicherweise anders und haben mit ihrer Methode ebenfalls Erfolg.<br />
Hier kommt es wirklich ganz auf die Persönlichkeit des Pädagogen<br />
an. Allgemein verbindliche Rezepte kann es in der Arbeit mit den<br />
Jugendlichen nicht geben. Mit den folgenden Berichten möchte ich<br />
Sie einladen, mich auf meinem Weg durch einige sächsische Schulen<br />
zu begleiten.<br />
Walter Henckel<br />
8 9
1. Was ist Forum:Theater? 1. Was ist Forum:Theater?<br />
Wahrnehmen – Verändern – Gestalten<br />
Der brasilianische Theaterregisseur und Pädagoge Augusto Boal<br />
(Jahrgang 1931) entwickelte in den Sechzigerjahren des letzten Jahrhunderts<br />
eine Methode, die Konflikte auf spielerische Weise bearbeitet<br />
und neu gestaltet. Ziel ist es, das eigene Denken und Handeln<br />
in den Mittelpunkt zu stellen. Insbesondere das Forumtheater macht<br />
den sonst passiven Zuschauer zum Akteur auf der Bühne. Es besteht<br />
aus:<br />
• Wahrnehmen: Durch szenisches Spiel werden typische Kon-<br />
fliktsituationen aus dem Alltagsbereich dargestellt und so für<br />
Spieler und Zuschauer eindrücklich erlebbar.<br />
• Verändern: Ein Spielleiter (Joker) regt das Eingreifen durch die<br />
bis zu diesem Zeitpunkt passiven Zuschauer an und begleitet<br />
den jetzt einsetzenden Veränderungsprozess. Zuschauer wer-<br />
den zu Akteuren, verändern aus ihrer jeweiligen Perspektive<br />
die Handlung und versuchen, den dargestellten Konflikt zu lö-<br />
sen.<br />
• Gestalten: Durch die neu gewonnenen Erfahrungen und Ein-<br />
blicke wird eine bewusste Einflussnahme auf Konflikte im All-<br />
tag ermöglicht.<br />
Forum:Theater in Sachsen<br />
Seit 2001 führen wir als Theaterpädagogisches Zentrum Sachsen e.V.<br />
(TPZ) im Rahmen des Projektes „Demokratisches Sachsen!“ regelmäßig<br />
Kurse und Projekttage an sächsischen Schulen durch. Im Mittelpunkt<br />
stehen Konflikte, die Schüler und Pädagogen täglich selbst erleben.<br />
Die Konflikte werden in unseren Projekten gemeinsam gespielt<br />
und Zuschauern – meist den Mitschülern oder Schülern anderer Klassen<br />
– zur Konfliktlösung angeboten. Diese Zuschauer werden zum<br />
aktiven Teil der Aufführung. Jeder Einzelne kann im Unterschied zu<br />
anderen Konfliktlösungsstrategien seine Vorschläge spielerisch und<br />
nicht nur verbal einbringen.<br />
• Forum:Theater bietet einen methodischen Leitfaden<br />
• Forum:Theater ist einfach und lebensnah<br />
• Forum:Theater ermöglicht soziales Lernen durch Theaterspiel<br />
• Forum:Theater bedeutet spielerisches Handeln<br />
• Forum:Theater bedeutet das Herangehen an unbekannte oder<br />
verloren gegangene Ressourcen<br />
• Forum:Theater ist körperlicher Ausdruck, wo Sprache eher<br />
Barrieren aufbaut<br />
• Forum:Theater ist ganzheitliches Handeln und sinnlich-kon-<br />
kretes Erleben<br />
• Forum:Theater kann die Lehrer-Schüler-Situation vorüberge-<br />
hend aufheben, um sie mit sinnlich kreativen Mitteln neu zu<br />
gestalten<br />
• Forum:Theater ist für Schulen geeignet und erprobt<br />
Die Methode<br />
Augusto Boals überschaubares und einfaches Grundraster verwandelt<br />
sich überraschend schnell in einen kreativen Prozess, in dem alle<br />
zu Mitwirkenden und Handelnden werden. Die Arbeit strukturiert sich<br />
in vier Teilbereiche:<br />
1. Erwärmung: Spielerische Übungen helfen der Gruppe, Vorurteile<br />
und Skepsis zu überwinden.<br />
2. Bildertheater/Statuentheater: Die Ansichten der Teilnehmer und<br />
die Stimmung in der Gruppe werden in Bildern sichtbar und bear-<br />
beitet.<br />
3. Finden und Proben von Szenen: Die Teilnehmer finden in Klein-<br />
gruppen ihre selbst erlebten, beobachteten oder fiktiven Konflikt-<br />
szenen. Diejenigen, die für das Spiel interessant sind, werden<br />
ausgesucht und geprobt.<br />
4. Das Forum:Theater: Die Gruppen spielen ihre Szenen und diese<br />
werden durch das Eingreifen der Zuschauer verwandelt. Varianten<br />
entstehen, die für Gesprächsstoff sorgen. Daraus werden Lösun-<br />
gen sichtbar.<br />
10 11
1. Was ist Forum:Theater? 1. Was ist Forum:Theater?<br />
Das TPZ Sachsen bietet FORUM:THEATER in folgenden Formen<br />
an:<br />
1. Projekttage für Schüler<br />
2. Pädagogische Tage/Impulsworkshops für Lehrer<br />
3. Spielleiterausbildung für Lehrer, Pädagogen und<br />
Sozialarbeiter<br />
4. Spielleiterausbildung für Studenten der Pädagogik<br />
und des Lehramts<br />
Forum:Theater entwickelt ein Gefühl und ein Interesse an der gemeinsamen<br />
Verantwortung für eine individuelle Problemstellung oder ein<br />
gesamtgesellschaftliches Anliegen. Das macht die Methode besonders<br />
wertvoll für die Entwicklung sozialer Kompetenzen und eines Demokratieverständnisses,<br />
das Mitbestimmung braucht.<br />
In unseren Projekten arbeiten wir mit Pädagogen oder Schülern ab<br />
der Klassenstufe 5 an Themen aus den Bereichen Schule und Schulumfeld.<br />
Die Themen werden entweder im Vorfeld besprochen oder<br />
durch geeignete Übungen gefunden.<br />
Wir unterstützen insbesondere Lehrer, die ihre Kompetenzen als<br />
Spielleiter im Forumtheater entwickeln wollen.<br />
Wie kommen Interessenten und das TPZ Sachsen zusammen?<br />
Informiert werden die Pädagogen über die sächsischen Bildungsagenturen<br />
und/oder über Briefe an die Schulen bzw. über Pädagogen,<br />
die bereits Erfahrungen mit dem Forum:Theater gemacht haben.<br />
Interessenten setzten sich anschließend mit dem Projektleiter in Verbindung,<br />
um Rahmenbedingungen und konkrete Termine zu vereinbaren.<br />
Drei Gruppen von Interessenten lassen sich ausmachen:<br />
a. bereits in der Theaterarbeit tätige Lehrer, die einen Neigungs-<br />
kurs oder das Fach Darstellendes Spiel unterrichten. Diese<br />
Gruppe sucht Theatermethoden und Übungen, um den Unter-<br />
richt zu bereichern.<br />
b. Pädagogen/Schulsozialarbeiter, die in ihrer Gruppe/Klasse<br />
mit einem konkreten Konflikt konfrontiert sind und einen Lö-<br />
sungsansatz suchen<br />
c. Lehrer, die im fächerverbindenden Unterricht (zwei Wochen<br />
pro Schuljahr) neue innovative Unterrichtsformen ausprobie-<br />
ren wollen<br />
Das Projekt selbst findet in den meisten Fällen ganztägig im Rahmen<br />
von Projekttagen, die am Vormittag beginnen, statt. Als sehr produktiv<br />
haben sich dabei das Verlassen der Schulräume und die Verwirklichung<br />
eines Projekttages im Theaterhaus Rudi bewährt.<br />
Theaterpädagogisches Zentrum Sachsen e.V.<br />
im Theaterhaus Rudi<br />
Fechnerstraße 2a, 01139 Dresden<br />
Tel/Fax: (03 51) 42 25 410<br />
Mail: tpz-<strong>sachsen</strong>@gmx.de<br />
www.tpz-<strong>sachsen</strong>.de<br />
12 13
2. „Wie alles anfing?“ 2. „Wie alles anfing?“<br />
Boal in einer Mittelschule in der Sächsischen Schweiz<br />
(2001/2002)<br />
Im September 2001 startete das Modellprogramm der Deutschen Kinder-<br />
und Jugendstiftung Sächsische Jugend für Demokratie in Kooperation<br />
mit dem Sächsischen Staatsministerium für Soziales. Unser<br />
Projekt, es hieß damals noch „Widerwort und Widerspiel“, wurde als<br />
eines der ersten Projekte diese Programms aktiv. Durch eine Lehrerin,<br />
die Mitglied im TPZ Sachsen war, konnten wir ihre Schule kurzfristig<br />
für unser Theaterprojekt interessieren. Wir starteten Ende Oktober<br />
2001. Der Kurs war zunächst bis Ende Mai 2002 geplant und fand<br />
einmal wöchentlich als AG mit zwei Schulstunden statt.<br />
I. Die Rahmenbedingungen<br />
Die Mittelschule befindet sich im ländlichen Raum, ca. 20 km von<br />
Dresden entfernt. Sie verfügt über ein intaktes und ansprechendes<br />
Schulgelände mit mehreren alten Kastanien auf dem Schulhof. Das<br />
Gebäude entstammt der Gründerzeit. Bilder, Skulpturen und Collagen<br />
von Schülern beleben die Wände im Inneren. Der erste Eindruck<br />
war positiv: Diese Schule hat Struktur, es herrscht Ordnung und Sauberkeit,<br />
„jeder weiß, was er zu tun hat.“ Das Theaterprojekt fand im<br />
Musikzimmer statt.<br />
Gemeinsam mit einem Kollegen, der im Hauptberuf Lehrer ist, leitete<br />
ich das Boal-Projekt. Während des Projektzeitraumes kam es zweimal<br />
vor, dass nur einer von uns beiden zur Verfügung stand. Nach<br />
intensiver Boal-Lektüre, drei Vorbereitungswerkstätten mit erfahrenen<br />
Boal-Dozenten und unserer eigenen vielfältigen praktischen Theatererfahrung<br />
und -arbeit war es unser erstes Boal-Projekt, das wir<br />
eigenverantwortlich leiteten.<br />
Unsere Kontaktlehrerin unterrichtete an der Schule und nahm eine<br />
Mittlerposition zwischen uns und der Schule ein. Insgesamt entwickelte<br />
sich alles sehr schnell. Eine gewisse Unsicherheit bestand,<br />
da nicht geklärt war, ob das Projekt über den Mai hinaus fortgesetzt<br />
werden würde. Zwar war es wichtig, erst einmal zu beginnen und<br />
gemeinsame Erfahrungen mit der Schule und den Schülern zu sammeln,<br />
andererseits gab es kaum Planungssicherheit – ein Zustand,<br />
der Projektarbeit eigen ist – und auch die Frage der Nachhaltigkeit<br />
des Forum:Theaters war zu diesem Zeitpunkt gänzlich offen.<br />
Angesprochen wurden Schüler der Klassenstufe 7, denn einige unter<br />
ihnen konnten bereits Erfahrungen im Schultheaterspiel vorweisen,<br />
wie die Rücksprache mit der Direktorin ergab. Unsere Kontaktlehrerin<br />
unterrichtete in einer dieser Klassen. Wir gewannen das Interesse<br />
der Schüler, indem wir morgens durch die beiden Klassen gingen und<br />
mit ihnen direkt im Klassenraum einige praktische Übungen durchführten.<br />
Am Ende fragten wir nach, wer Interesse an unserem Projekt<br />
habe. Es meldeten sich ca. 25 Schüler.<br />
II. Zielstellung des Projektes<br />
Das Boal-Projekt war ein Angebot auf freiwilliger Basis in Form einer<br />
Arbeitsgemeinschaft. Den Schülern sollte <strong>demokratisches</strong> und<br />
tolerantes Verhalten nahegebracht werden, indem wir ihr eigenes<br />
Verhalten im Umgang mit Freunden, Mitschülern, Lehrern und Eltern<br />
gemeinsam spielerisch reflektieren wollten. Für das Ende des ersten<br />
Schulhalbjahres strebten wir eine Forum:Theater-Aufführung vor den<br />
Klassenkameraden an, damit diese sehen konnten, was in der vergangenen<br />
Zeit geleistet wurde, und nicht zuletzt auch, um den Teilnehmern<br />
eine Anerkennung und Wertschätzung für ihr freiwilliges Engagement<br />
zu vermitteln. Dass das Projekt mit einem Höhepunkt, wie<br />
es das Landesschülertheatertreffen im Mai 2002 im Theater Junge<br />
Generation darstellte, enden sollte, war zu Beginn nicht absehbar.<br />
Zum ersten Treffen kamen 13 Schüler. Letztendlich blieben bis zur<br />
Aufführung im Theater Junge Generation acht Schüler dabei. Das<br />
zeigt, wie schwierig und aufwendig eine offene Projektarbeit ist, die<br />
auf freiwilliger Teilnahme beruht. Es ist aber eine Arbeit, die sich<br />
langfristig auszahlt und das Schulklima verändert. Bedingungen und<br />
Besonderheiten dabei sind:<br />
• hoher Personalaufwand<br />
• damit sind höhere Kosten verbunden<br />
• nur einzelne Schüler werden angesprochen – nicht die Masse<br />
• Bereitschaft, sich auf Neues einzulassen, muss vorhanden<br />
sein<br />
14 15
2. „Wie alles anfing?“ 2. „Wie alles anfing?“<br />
Nicht Quantität, sondern Qualität<br />
Theaterprojekte in Schulen sind keine<br />
Massenveranstaltungen. Theaterspiel erfordert<br />
immer die individuelle Ansprache<br />
und Teilnahme. (Eine Ausnahme bildet<br />
hier die Theaterarbeit im Grundschulalter<br />
und in der Klassenstufe 5. Für diese Altersstufe<br />
ist Forum:Theater nicht geeignet, da<br />
es Anforderungen an den Einzelnen und<br />
sein individuelles Verhalten stellt.) Ich<br />
halte eine Zahl von maximal 15 Schülern<br />
für realistisch. Das zeigt, mit welch großen<br />
Problemen der Lehrer im Fach Darstellendes<br />
Spiel, das es 2001/2002 noch in<br />
Sachsen gab, zu kämpfen hat, denn in der<br />
Regel muss er 20 bis 30 Schüler zu beschäftigen<br />
wissen. Theater beruht immer auf aktiver Teilnahme,<br />
aber es ist nahezu unmöglich, eine solch hohe Schülerzahl<br />
gezielt und persönlich zu führen – besonders in der Zeit, in der sich<br />
die Schüler in der Pubertät befinden.<br />
III. Die Arbeitsgemeinschaft<br />
1. Regelwerk – Regelmäßige Teilnahme<br />
Nach dem ersten Treffen, das sich ganz dem Kennenlernen widmete,<br />
stellten wir gemeinsam mit den Schülern Regeln auf. Die Schüler<br />
wollten:<br />
• eine angenehme Lautstärke herstellen<br />
• albernes Lachen vermeiden, aber Lachen<br />
zulassen, wenn es angebracht ist<br />
• Meinungsverschiedenheiten achten<br />
• private Streits nicht hier ausleben<br />
• Spielregeln einhalten und kontrollieren<br />
Trotz dieser Maßnahmen war die regelmäßige Teilnahme ein ständiges<br />
Problem. So waren beim zweiten Treffen lediglich vier Schüler<br />
anwesend. Niemand hatte uns darüber unterrichtet, dass eine der<br />
7. Klassen am Wandertag teilnahm. Dieses Informationsdefizit kam<br />
noch einige Male vor. Was bedeutet das?<br />
• Neue und kleine Angebote werden in einer Organisationsstruk-<br />
tur wie der Schule oft übersehen, außer der Lehrerkonferenz<br />
gibt es kein Informationsnetzwerk.<br />
• Neues hat es immer schwer, d. h. hier ist ein hohes Maß an<br />
Flexibilität des Dozenten gefragt. Er muss auch in der Lage<br />
sein, plötzlich nur mit einem oder zwei Schülern zu arbeiten<br />
und dabei diese bei Laune zu halten.<br />
• Gleichzeitig muss sich der Dozent ständig vergegenwärtigen,<br />
ob das Lernziel erreicht werden kann oder ob die Rahmenbe-<br />
dingungen, die Struktur oder die Methode gegebenenfalls ver-<br />
ändert werden müssen.<br />
• Nachdem diese Unregelmäßigkeiten zum dritten Mal vorkamen,<br />
konsultierten wir die Schulleiterin. Zu ihr pflegten wir beständig<br />
den Kontakt und Austausch. Sie war für unser theaterprakti-<br />
sches Angebot sehr offen. Die Schulleiterin bedauerte die Schwie-<br />
rigkeiten und erklärte, dass es offene und freiwillige Angebote<br />
in der Schule immer schwer haben. Sie bot an, einen Eltern-<br />
brief zu schreiben, in dem die genauen Termine genannt und<br />
die Eltern gebeten werden, durch ihre Unterschrift die Teilnah-<br />
me der Kinder sicherzustellen.<br />
Nach dieser Maßnahme funktionierte die regelmäßige Anwesenheit<br />
der Schüler besser.<br />
16 17
2. „Wie alles anfing?“ 2. „Wie alles anfing?“<br />
2. Methodische Vorgehensweise<br />
Methodisch gaben wir eine sich regelmäßig wiederholende Grundstruktur<br />
vor.<br />
1. Erwärmungsphase 15 Minuten<br />
2. Spielphase 15-30 Minuten<br />
3. Arbeit an Szenen und der aktuellen 45 Minuten<br />
Zielstellung des Tages<br />
4. Ausklang mit Spiel 5-10 Minuten<br />
Bei Konzentrationsschwächen nahmen wir einen Methodenwechsel<br />
vor. Wir setzten dann beispielsweise Bewegungsspiele ein oder kamen<br />
auf den Bau von Standbildern zurück. Unsere Erfahrung zeigte,<br />
dass bei einem offenen und ständig wechselnden Angebot, wie es<br />
dem Theaterspiel eigen ist, eine klare Struktur und ein Orientierung<br />
gebender Rahmen absolut notwendig sind. Es geht dabei um wiederkehrende<br />
Rhythmen, die ein Gefühl von Sicherheit, Kontinuität und<br />
Abwechslung garantieren.<br />
3. Welche Themen wurden angesprochen und bearbeitet?<br />
3.1 Die Einstiegsphase<br />
In den ersten beiden Sitzungen motivierten wir die Schüler vor allem<br />
durch spielerische Themen, zu denen sie in Form von Standbildern<br />
Stellung nehmen sollten.<br />
Fußball – Kartenspiel – Schlägerei – Musikchor – Freizeit – der Sanitäter<br />
– das Unfallopfer: Diese Szenen ließen wir dann in ein offenes<br />
Rollenspiel münden oder wir ergänzten sie durch weitere Standbilder.<br />
Diese dienen der Ausdrucksfähigkeit, und dazu müssen die Beteiligten<br />
eine angemessene Körpersprache finden. Sie fixieren Haltungen,<br />
die Wesentliches erzählen.<br />
In der dritten Zusammenkunft baten wir die Schüler, eine selbst erlebte<br />
Geschichte zu erzählen, die sie noch immer beschäftigt und die<br />
ihnen besonders im Gedächtnis geblieben ist. Die Geschichte solle<br />
zudem einen Konflikt enthalten. Die Schüler erzählten Geschichten<br />
zu folgenden drei Themen:<br />
a. Die Geschlechterfrage<br />
Schüler R. „Das Liebespaar und die drei Jungen“<br />
b. Familie<br />
Schüler N. „Der Anschiss des Vaters“<br />
Schüler R. „Der Karpfenfang mit dem Vater“<br />
Schüler R. „Der Streit mit dem Bruder“<br />
c. Freizeit, Schule<br />
Schüler M. „Judostreit mit einem älteren Schüler“<br />
Schüler S. „Absturz von der Rodelbahn“<br />
Schüler O. „Hilfe für einen Freund“<br />
Das einzige Mädchen, S., weigerte sich eine Geschichte zu erzählen.<br />
Nun ging es um die Arbeit an der Geschichte. Alle wollten die Liebesgeschichte<br />
nachspielen. Wir ließen uns darauf ein, obwohl uns klar<br />
war, dass diese Geschichte spielerisch nicht sehr ergiebig sein konnte:<br />
Drei Jungen verfolgen ein Liebespaar, verstecken sich und geraten<br />
dabei in Gefahr, von einer steilen Böschung abzurutschen.<br />
Wichtig ist hier, überhaupt erst einmal ins Spiel zu kommen, sich zu<br />
erproben, Spannungen aufzubauen und szenisches Arbeiten kennenzulernen.<br />
Folgerichtig machte es den Schülern Spaß, zumal es<br />
ein Pärchen in der Gruppe gab, die das Liebespaar spielen mussten.<br />
Als wir dann tiefer gehen wollten, – Wie ist das, wenn sie sich so in<br />
Gefahr begeben? (die drei Jungen klammerten sich an einem steilen<br />
Abhang fest) Was denken sie in so einer Situation? Was fühlen sie?<br />
– waren die Schüler überfordert. Sie verloren die Lust und wurden<br />
unkonzentriert.<br />
3.2 Das Forum:Theater – Konflikte, Szenen, Augenblicke in Schule<br />
und Alltag<br />
Nach dieser Einführungsphase kamen wir methodisch zum<br />
Forum:Theater. Hier ist es für den Dozenten wichtig, sich ein Bild von<br />
der Schule, den beteiligten Schülern sowie der Klasse zu machen.<br />
Dazu eignen sich Standbilder sehr gut, da sie das Wesentliche bildlich<br />
ausdrücken. Spricht jede Figur noch einen charakteristischen<br />
18 19
2. „Wie alles anfing?“ 2. „Wie alles anfing?“<br />
Satz, der zu der Situation passt, so erhalten wir einen ersten Eindruck<br />
möglicher Konflikte und Stimmungen.<br />
Wir setzen um:<br />
Standbild der Klasse 7A<br />
Standbild der Klasse 7B<br />
Standbild der Lehrer der Schule<br />
Standbild der Hofpause<br />
Das Standbild der Hofpause ergab:<br />
- Gruppe dicht beieinander, ein Junge, R., steht rauchend draußen<br />
- jeder sagt einen charakteristischen Satz zu seiner Haltung<br />
D.: Eh, ich hau Dir ein paar.<br />
R. (mit Zigarette): Ich geb` mal einen aus.<br />
O.: Bist Du traurig?<br />
R. 2: Ne, ich bin nicht traurig, du quatschst mich dumm an!<br />
F.: Schmeiß mal eine rüber!<br />
S.: Du bist nicht clean, du bist nicht sauber.<br />
S. (einziges Mädchen): Mir ist kalt.<br />
M. (ihr Freund): Du Frostbeule!<br />
Erstaunlich an diesen Äußerungen ist, dass sie neben der Aggressivität<br />
(die leider zum Schulalltag gehört) auch Gefühle und Bedürfnisse<br />
zeigen.<br />
Szenisches Arbeiten<br />
1. „Die Schlägerei im Bus“<br />
Ein Junge, F., beschreibt die selbst erlebte Szene:<br />
Nach der Schule warten Schüler auf den Bus. Als er dann kommt,<br />
drängeln die Schüler beim Einsteigen. Im Bus kommt es zwischen<br />
zwei Schülern zu einer Schlägerei. F. beschreibt den Aufbau des<br />
Busses, die Fahrgäste und ihr Verhalten. Nach dieser langen Schil-<br />
derung spielen die Schüler die Szene. Mit unserer Hilfe übernimmt<br />
F. die Spielleitung. Nach zweimaligem Spielen gibt es keine Ände-<br />
rungsvorschläge.<br />
Bei der Auswertung in der nächsten<br />
Stunde beklagen alle, dass F.<br />
die Geschichte viel zu lang erzählt<br />
habe und dass das ermüdend sei.<br />
Auf unsere Frage, warum niemand<br />
eingegriffen habe, finden sie keine<br />
Antwort. Ein Schüler sagt: „Bei<br />
uns gibt es nicht gleich „Mecker“.<br />
Im Unterricht gibt es immer gleich<br />
„Mecker“. Sie müssen ins Sekretariat<br />
gehen und einen Zettel für die<br />
Schülerakte holen.“<br />
2. Szenen zu <strong>Schulkonflikte</strong>n<br />
1. Schüler provozieren eine Lehrerin („Machen sie fertig“), indem<br />
eine Schülerin immer Kaugummis herumreicht, alle kauen Kau-<br />
gummi.<br />
2. Lehrer kränkt Schülerin, indem er ihr vorwirft, sie habe ge-<br />
spickt.<br />
3. Straßenszenen: Ein größerer Junge droht mit Schlägen. Was<br />
tun?<br />
4. Mein Kollege beschreibt der Gruppe eine Konfliktszene, die ihn<br />
selbst betrifft bzw. die seine Klasse mit einem anderen Lehrer hat-<br />
te: Der Lehrer macht langweiligen Unterricht, die Schüler reagie-<br />
ren gelangweilt. Der Lehrer will den Unterricht am nächsten Tag in<br />
der siebenten Stunde wiederholen. Als er kommt, verschiebt er<br />
den Unterricht auf die achte Stunde. Die Schüler verlassen die<br />
Schule. Am nächsten Tag lässt der Lehrer eine Kurzkontrolle<br />
schreiben, worüber die Schüler empört sind. Dazu wurden Stand-<br />
bilder gebaut.<br />
20 21
2. „Wie alles anfing?“ 2. „Wie alles anfing?“<br />
3. Familienkonflikte<br />
1. Der Vater schlägt sofort zu<br />
2. Die List des Sohnes: er verschleppt das Thema, lenkt seinen Va-<br />
ter vom Thema ab<br />
Diese und andere Szenen haben wir im Laufe der AG gespielt, szenisch<br />
vergrößert und mithilfe des Forum:Theaters verändert.<br />
4. Präsentationen als Höhepunkte des Forum:Theaters<br />
Wie geplant präsentierten wir in der Schule zum Abschluss des ersten<br />
Halbjahres eine Forumtheater-Aufführung, die für alle Beteiligten ein<br />
Höhepunkt war. Damit wurde(n)<br />
• noch einmal die Erfahrungen des Halbjahres gebündelt.<br />
• die Arbeit der Schüler in besonderer Weise anerkannt.<br />
• in die Schule hineingewirkt.<br />
• andere Lehrer und Schüler oft zum ersten Mal mit dieser Arbeit<br />
vertraut gemacht.<br />
4.1 Die Schulpräsentation<br />
Die Aufführung wurde erfolgreich in der Aula präsentiert. Es gelang<br />
• alle 80 Spieler und Zuschauer an den Auflockerungs- und Er-<br />
wärmungsspielen vor der Präsentation zu beteiligen.<br />
• Schüler anderer Klassen auf die Bühne zu holen, die bei der<br />
Forumtheater-Aufführung eingegriffen und Neues ausprobiert<br />
haben.<br />
• Die Präsentation war eine Bestätigung für unsere Gruppe.<br />
4.2 Präsentation beim Landesschülertheatertreffen im Mai 2002 im<br />
Theater Junge Generation<br />
Dieses Großereignis war für die Jugendlichen sehr wichtig, denn neben<br />
den „normalen“ Theateraufführungen der anderen Schulen war<br />
diese Art des offenen Theaters, bei dem der Zuschauer eingreifen<br />
kann, für alle Beteiligten eine interessante und neue Erfahrung.<br />
Wichtig war,<br />
• Resonanz durch andere Schüler, vor allem Gymnasiasten, zu<br />
erfahren. Wie spielen sie? Wie drücken sie sich aus? Es gibt<br />
auch noch andere Sichtweisen. Erstmals haben sie erfahren,<br />
wie es ist, wenn man zu leise spricht oder sich gestisch nicht<br />
deutlich genug ausdrückt.<br />
• einen Leistungsvergleich zu spüren. Das ist eine Form der Aner-<br />
kennung. Zwar müssen die Jugendlichen auch geschützt wer-<br />
den, andererseits können sie auch zu den Aufführungen der<br />
anderen etwas sagen.<br />
• dass sie gemeinsame Workshops mit anderen Schülern erlebt<br />
haben.<br />
• dass sie drei Tage zusammen waren, weg von zu Hause, ohne<br />
Schule, selbstbestimmt.<br />
Dieses „Aus-dem–Alltag-Gehen“ ist für die Jugendlichen sehr wichtig.<br />
Es stärkt ihr Selbstgefühl, ihr Selbstbewusstsein, sie sind zur Selbstständigkeit<br />
aufgefordert.<br />
5. Kontakt in die Schule hinein<br />
5.1 Parallel zu unserer Arbeit im Rahmen der AG haben wir auch versucht,<br />
in die Schule hinein zu wirken.<br />
• Das Projekt wurde in der Lehrerkonferenz durch die Projektlei-<br />
terin vorgestellt.<br />
• Es gab einen sehr guten, regelmäßigen Kontakt zur Direktorin.<br />
• Wir standen in Kontakt zu den beiden Lehrern, die die Streit-<br />
schlichterausbildung anleiten.<br />
• Es wurde eine Wandzeitung mit Fotos und Texten angefertigt.<br />
5.2 Lehrerwerkstatt<br />
Ganz wichtig war der Lehrerworkshop, den wir mit sieben Lehrern der<br />
Schule an einem Samstag von 10–17 Uhr im Theaterhaus Rudi durchgeführt<br />
haben. Es war sehr interessant zu erfahren, dass Lehrer oft<br />
genauso hilf- und ratlos wie Schüler sind.<br />
22 23
2. „Wie alles anfing?“ 2. „Wie alles anfing?“<br />
Themen:<br />
• langweilige Dienstberatung – keiner sagt etwas/schweigen!<br />
• Schüler-Lehrer-Situation:<br />
Schüler machen, was sie wollen – wechseln einfach die<br />
Plätze<br />
Lehrerin wartet, macht keinen Unterricht. Eine Stunde lang<br />
passiert nichts.<br />
• Sportlehrer! Ein Schüler lässt einen Knaller los, der Lehrer<br />
greift massiv ein.<br />
Plötzlich steht die Mutter des Schülers mit dessen zwei älteren<br />
Brüdern da und erkundigt sich, was hier passiert sei? Sie drohen<br />
mit Gewalt.<br />
In der Auswertung beschrieben die Lehrer, dass die Erwärmungsphase<br />
sehr interessant gewesen sei. Bei den Konfliktszenen kamen wir<br />
über einen Anfang nicht hinaus. Insgesamt sei der Workshop zu kurz<br />
gewesen. Eine ganz wichtige Erfahrung war folgende: Festgefahrene<br />
Positionen werden in Bewegung gesetzt.<br />
IV. Auswertung: „Wie alles anfing – Forum:Theater in einer<br />
sächsischen Mittelschule“<br />
Zusammenfassend lässt sich zu diesem Forum:Theater-Projekt<br />
sagen:<br />
1. Die Schüler sind sehr jung und der Aufwand ist außerge-<br />
wöhnlich. Da es sich um Kinder (12–13 Jahre) handelt, wird<br />
ein spielerischer, abwechslungsreicher, einfacher und das<br />
Unterhaltungsbedürfnis der Jugendlichen befriedigender Zu-<br />
gang erforderlich. Konflikte werden im spielerischen, oft unbe-<br />
wussten Nachvollzug bearbeitet, nicht auf der bewussten<br />
Ebene.<br />
2. Ein hohes Reflexionsniveau ist nicht möglich. Es gibt Schwie-<br />
rigkeiten bei der Suche nach alternativen Handlungsmöglich-<br />
keiten in vorgestellten Konfliktsituationen. Das liegt zum ei-<br />
nen an der brachliegenden, nicht geförderten Fantasie der Kin-<br />
der, sich andere Lösungen überhaupt vorstellen zu können,<br />
zum anderen aber auch an den allgegenwärtigen aggressiven<br />
Reizen und Spannungen, welche sie mit Schule, Lehrern und<br />
Mitschülern verbinden und wohl auch tagtäglich erleben. Es<br />
wird von ihnen eine schnelle Reaktion verlangt, welche meist<br />
aggressiv ausfällt. So ist ihr Reaktionsmuster in der Regel Ag-<br />
gression, begleitet von unrealistischen Machtfantasien. Ei-<br />
gene Gefühle der Ohnmacht dürften der Hintergrund für die-<br />
ses Verhalten sein.<br />
3. Wenden wir noch einmal einen Blick auf die entscheidende<br />
Frage, die diese Arbeit in einer ganz normalen sächsischen<br />
Mittelschule geprägt hat: Warum verhalten sich viele Schüler<br />
bei einem freiwilligen und offenen Angebot häufig destruktiv,<br />
unkonzentriert und albern? Aus unserer Sicht ist dies eine<br />
Reaktion auf die normale Schulsituation, mit der die Schüler<br />
tagtäglich konfrontiert sind: Frontalunterricht – autoritär,<br />
überfordernd, erschöpfend. Auch die Kommunikation verläuft<br />
in der Regel mittels Anweisungen. Es entsteht eine Drucksi-<br />
tuation und Konkurrenz zu Mitschülern. Weiterhin kann es<br />
auch eine Reaktion auf die familiäre Situation sein, wo<br />
vielleicht. Desinteresse herrscht bzw. mit Gewalt gedroht<br />
und/oder diese sogar ausgeübt wird.<br />
24 25
2. „Wie alles anfing?“ 2. „Wie alles anfing?“<br />
4. Gewährt man den Schülern Freiheiten, dann müssen sie al-<br />
les Aufgestaute erst einmal loswerden. Diesem Bedürfnis<br />
dient bei Boal die Erwärmungs- und Spielphase. Trotzdem<br />
zeigt sich, dass das oft nicht ausreichend ist, denn der Druck<br />
ist größer. In diesem Fall geht der Dozent in seinem Lernziel<br />
zurück und bietet mehr Spielangebote an. Aber selbst dann<br />
sind die aufgestauten Konflikte so präsent, dass die Schüler<br />
sie ständig ausleben müssen: miteinander rangeln, sich sto-<br />
ßen, lachen, sich untereinander ablenken. Damit ist ein Do-<br />
zent, der von außerhalb kommt und wenig Zeit zur Verfügung<br />
hat, meistens überfordert.<br />
5. Wichtig wäre bei dieser Methode ein dauerhafter Kontakt<br />
zur Schule. Mit Flüchtigkeit oder Einmaligkeit ist hier nichts<br />
zu erreichen. Der Kontakt muss weit in die Schule<br />
hineinreichen, d. h. zu Schulleitern, Vertrauenslehrern, Streit<br />
schlichtern, Lehrern, Schülern, Schülerräten, weiteren Initia-<br />
tiven, Eltern etc. Immer wieder müssten neue überraschende An-<br />
gebote offeriert werden, die das Interesse der gesamten Schu-<br />
le wecken. Nur so wird erfahrbar, dass im Inneren der Schule<br />
eine neue Form des sozialen Miteinanders erprobt wird. Um<br />
eine Nachhaltigkeit zu erreichen, müsste ein solches Konflikt-<br />
training von der Schule gefordert und auch aus ihr herausge-<br />
tragen werden. Kommen externe Projektleiter, sollten sie<br />
selbst bei geringer Stundenzahl in den Schulrhythmus und<br />
den Informationsfluss<br />
integriert<br />
werden.<br />
6. Der Auftraggeber sollte den Projektleitern viel Gestaltungs-<br />
raum lassen. Eine offene Form ist eine sehr gute Möglichkeit,<br />
Demokratie und Toleranz zu praktizieren. Dafür braucht es<br />
einen langen Atem, denn die offene Beteiligung der Schü-<br />
ler – insbesondere an einer Mittelschule – ist ungewohnt und<br />
überfordert zunächst fast alle. Langfristig gesehen ist dieser<br />
Weg mit seinen kommunikativen Angeboten, der Nutzung der<br />
Potenziale des Spiels und seiner auf das soziale Verhalten zie-<br />
lenden Methode ein großer Gewinn für alle Beteiligten.<br />
26 27
3. „Flucht nach vorn – Methodenwechsel dringend gesucht!“ 3. „Flucht nach vorn – Methodenwechsel dringend gesucht!“<br />
Von Boal zum Rollenspiel und wieder zurück – Theaterarbeit<br />
mit benachteiligten Jugendlichen (2003/2004)<br />
Die Vorgeschichte: Auf der Suche nach einer Gruppe von arbeitslosen<br />
Jugendlichen<br />
Nachdem ich mehrere Boal-Projekte in Schulen, vor allem mit Schülern,<br />
aber auch mit Lehrern sowie Seminare mit Lehramts- und Sozialpädagogikstudenten<br />
realisiert hatte, suchte ich eine neue Zielgruppe.<br />
Hintergrund dafür war, dass in der Debatte über die Arbeitsmarktreformen<br />
arbeitslose Jugendliche in der öffentlichen Wahrnehmung nur<br />
eine geringe Rolle spielten. Mir erschien es wichtig, einen Einblick in<br />
einen wesentlichen Bereich unserer Gesellschaft zu bekommen. Mit<br />
der konkreten und sehr praktisch orientierten Theatermethode des<br />
Forum:Theaters von Augusto Boal sah ich eine gute Zugangschance.<br />
Das Forum:Theater sollte eine Hilfestellung zur Bewältigung des Alltags<br />
arbeitsloser Jugendlicher geben.<br />
Ein Gespräch mit dem Direktor des Arbeitsamts, heute Arbeitsagentur,<br />
ergab, dass eine Realisierungschance über eine der Beschäftigungsgesellschaften<br />
und die dort arbeitenden Sozialpädagogen<br />
möglich sei. Tatsächlich erhielt ich eine Woche nach dem Gespräch<br />
einen Anruf von der Sozialpädagogin Frau H. vom SUFW, dem Sächsischen<br />
Umschulungs- und Fortbildungswerk. Sie teilte mir mit, dass<br />
sie mein Angebot und die Theatermethode Augusto Boals sehr interessiere.<br />
Somit vereinbarte ich mit Frau H. einen Ortstermin.<br />
Ich staunte sehr, als ich erstmals das imposante Gelände des Umschulungszentrums<br />
im Dresdner Westen betrat, das eigens für Jugendliche<br />
eingerichtet wurde, welche Schulanforderungen nicht oder<br />
nur sehr mangelhaft erfüllten bzw. durch Kriminalität oder Drogen<br />
aus ihrem sozialen Umfeld herausgefallen waren. Ich sah mehrere<br />
Gruppen von vorwiegend männlichen Jugendlichen, die meisten<br />
bekleidet im „Blaumann“, die in den unterschiedlichsten Gewerken<br />
tätig waren. Das war kein Theaterpublikum; Kultur, Kunst, Literatur<br />
oder Theater interessierten diese Jugendlichen wohl nicht sonderlich.<br />
Trotzdem sicherte Frau H. mir zu, dass auf freiwilliger Basis eine Gruppe<br />
Jugendlicher zusammenkäme, da sei sie ganz sicher.<br />
Zitate der Jugendlichen:<br />
Was brachte uns das ,,Theaterspiel“ für unsere persönliche Entwicklung?<br />
Seit dem Winter 2003 nehmen wir, zwei Vorbereitungsgruppen in den<br />
Bereichen Holztechnik sowie Garten- und Landschaftsbau, aus dem<br />
Sächsischen Umschulungs- und Fortbildungswerk Dresden e.V. an einem<br />
Projekt der ,,Sächsischen Jugend für Demokratie“ teil. In Form des<br />
Forumtheaters nach Augusto Boal werden durch das Darstellen der<br />
selbst erlebten Situationen und die Veränderung des Verhaltens der<br />
Beteiligten verschiedene Lösungsmöglichkeiten der konfliktreichen<br />
Situationen erlebbar. Wir gewannen dabei einen kleinen Einblick in<br />
das Theaterleben. Schauspielerische Vorkenntnisse besaß niemand<br />
von uns, doch das war auch nicht erforderlich. Es zählte zunächst,<br />
dass jeder von uns die Bereitschaft zur Beteiligung, viele Ideen, Spaß<br />
an der körperlichen Bewegung und eine kleine Portion Ausdauer zum<br />
spielerischen Umsetzen mitbrachte.<br />
Vorbereitung<br />
Nun hatte ich die Zusage von Frau H., dass eine Gruppe von zehn<br />
Jugendlichen mich erwartete. Aus der gemeinsamen Erfahrung heraus,<br />
dass es notwendig ist, viele Partner in ein solches Projekt einzubinden,<br />
führten wir noch ein Gespräch mit dem Direktor des Umschulungswerkes.<br />
Meister, Dozenten und Lehrer müssen wissen, was<br />
ihre Jugendlichen machen, sie müssen möglichst umfangreich in ein<br />
solch „fremdes“ Projekt eingebunden werden. Frau H. war sehr interessiert,<br />
die Methode kennenzulernen, und so vereinbarten wir, dass<br />
sie ständig den Kurs begleiten sollte, einerseits um zu lernen, andererseits<br />
um als möglicher „Puffer“ bei Konflikten zu vermitteln. Ebenso<br />
besuchten die beiden Leiter der beteiligten Gruppen „Holz“ und<br />
„Garten“ einen Vormittag lang unsere Theaterarbeit und beteiligten<br />
sich sehr aktiv. Mir war klar, dass ich mit sehr einfachen Mitteln an<br />
die Jugendlichen herantreten musste. Also wählte ich in der Erwärmungsphase<br />
viele spielerische Angebote, klare szenische Vorgaben,<br />
einfache Konflikte und als Einstiegsphase auch Arbeit mit den Mitteln<br />
des Rollenspiels.<br />
28 29
3. „Flucht nach vorn – Methodenwechsel dringend gesucht!“ 3. „Flucht nach vorn – Methodenwechsel dringend gesucht!“<br />
Die Arbeit mit den Jugendlichen<br />
Im November 2003 begann die Arbeit mit zehn Jugendlichen. Sie endete<br />
im Juli 2004 (zu einem späteren Zeitpunkt wurde sie mit anderen<br />
Jugendlichen im Theaterhaus Rudi einmal im Monat fünf Stunden lang<br />
fortgesetzt). Es handelte sich um Jugendliche, die den Hauptschulabschluss<br />
nicht oder nur sehr mäßig bewältigt hatten und nun für<br />
ein Jahr im Umschulungswerk ausgebildet wurden, um anschließend<br />
doch noch eine Lehrstelle auf dem freien Arbeitsmarkt zu bekommen.<br />
Allerdings waren ihre Aussichten denkbar schlecht. Im zunehmenden<br />
Verlauf der Arbeit bekam ich einen immer tieferen Einblick in das<br />
Umfeld der Jugendlichen, also vor allem in ihre Erfahrungen bei den<br />
Berufspraktika und in ihr Freizeitverhalten. Insgesamt gab es ca. 20<br />
Treffen, die ich anfangs auf fünf Schulstunden terminiert hatte, um<br />
Zeit und Muße für die Konflikte zu haben, verkürzte meine Vorgabe<br />
aber bereits nach dem zweiten Zusammentreffen auf drei Stunden,<br />
da sonst alle Beteiligten überfordert gewesen wären.<br />
Es war nicht möglich, ausschließlich mit der Boal-Methode zu arbeiten.<br />
Der Wunsch und das Problembewusstsein, an selbst erlebten<br />
Gewaltszenen zu arbeiten, waren gering. Erst als der fünfzehnjährige<br />
M. eines Morgens mit blauem, geschwollenem Auge und einer ganz<br />
persönlichen Erfahrung vor die Gruppe trat – am Abend vorher war er,<br />
eine Zigarette rauchend, vor dem Elternhaus von einem Betrunkenen<br />
mit einem Faustschlag niedergeschlagen worden –, war die Betroffenheit<br />
in der Gruppe spürbar, die eine so wichtige Voraussetzung für<br />
das Arbeiten mit der Boal-Methode ist. Im Nachspielen der Szene, im<br />
Ausprobieren verschiedener Lösungen sammelten die Jugendlichen<br />
neue Erfahrungen. Oberflächlich gesehen vermittelte die Gruppe den<br />
Eindruck von Coolness und Sicherheit. Aber allein die Tatsache, dass<br />
die Jugendlichen aus meiner Sicht kaum bereit waren, ihr eigenes<br />
Verhalten genauer zu beobachten, verweist darauf, dass die Konflikte<br />
sehr tief liegen und von einer Schicht aus Coolness und Albernheit<br />
überlagert werden. Dies zeigte sich besonders in einer Szene, die der<br />
sechzehnjährige R. vorstellte: Zu Silvester kam es zwischen zwei betrunkenen<br />
Cliquen wegen eines nichtigen Anlasses zu einer Massenschlägerei.<br />
Es war mir nicht möglich, diese Szene mit spielerischen<br />
Mitteln, ergänzenden Szenen oder kleinen Änderungen zu vertiefen.<br />
Die Jugendlichen wollten hier keine Lösung und bemühten sich daher<br />
auch um keine.<br />
Der Begriff des Konfliktes war in dieser Gruppe weiter zu fassen und<br />
auch zu vereinfachen. Zunehmend nutzte ich einfache Rollenspiele,<br />
um Konflikte zu gestalten. Es ist wichtig, die Boal-Methode zu erweitern:<br />
Ausgehend von der besonderen Lebenssituation der Jugendlichen<br />
müssen Situationen gefunden werden, die sie im Alltag nicht<br />
bewältigen können und die durch spielerische Erfahrungs- und Verhaltensmöglichkeiten<br />
geübt werden. So spielten wir u. a.:<br />
• Gespräch mit meinem Arbeitsamtsachbearbeiter<br />
• Bewerbungsgespräche<br />
• der erste Arbeitstag an unterschiedlichen Arbeitsplätzen<br />
• Begegnung mit unterschiedlichen Chefs – Wie verhalte ich<br />
mich?<br />
• Kundenberatung in einem Handygeschäft; BMX Fahrradge-<br />
schäft<br />
• „Ein Türsteher wird gesucht“ – Stellensuche an den unter-<br />
schiedlichsten Orten (Flughafen, Krankenhaus, Bank, Zoo,<br />
Werttransport, Disco)<br />
Trotz dieser Erweiterungen der Methode war das Problembewusstsein<br />
der Jugendlichen kaum entwickelt. Äußerlich gesehen hatten sie<br />
einen nur geringen „Leidensdruck“ und verspürten wenig Lust, ihre<br />
Situation zu reflektieren. Häufig neigten sie zu kindlichem Verhalten,<br />
sie zeigten Unlust, Müdigkeit, Albernheit und Konzentrationsschwächen.<br />
Ausgangspunkt der Boal-Methode sind eigene Erfahrungen der<br />
Ohnmacht in konkreten alltäglichen Situationen und der Wunsch,<br />
daran etwas zu ändern. Genau an diesem Punkt muss angesetzt werden:<br />
an dem Verlangen, etwas zu verändern und dafür auch den nötigen<br />
Willen aufzubringen.<br />
Zitat der Jugendlichen:<br />
Unsere Ideen – Beispiel: Wir diskutierten alle, welche Alltagssituationen<br />
jeder von uns bereits erlebt hat und überlegten gemeinsam, wie<br />
wir diese darstellen können. Ein gutes Beispiel war die selbst erlebte<br />
30 31
3. „Flucht nach vorn – Methodenwechsel dringend gesucht!“ 3. „Flucht nach vorn – Methodenwechsel dringend gesucht!“<br />
Situation eines Jugendlichen, der vor seinem Haus noch schnell eine<br />
Zigarette geraucht hatte. Er wurde von einem alkoholisierten Mann<br />
angesprochen, ob er nicht noch eine Zigarette für ihn übrig hätte. Die<br />
Situation eskalierte, sodass es zu einer Prügelei kam. Wir stellten die<br />
verschiedensten Szenen gemeinsam zusammen und es wurde für uns<br />
,,Laienschauspieler“ ernst . Jeder von uns übernahm eine Rolle und<br />
die Szene wurde nachgespielt. Wir probierten aus, was passiert wäre,<br />
wenn sich das „Opfer“ anders verhalten hätte. Wir staunten nicht<br />
schlecht, welche schauspielerischen Fähigkeiten in Einzelnen von uns<br />
schlummerten. Spaß bereitete uns das Spiel ’ne ganze Menge und jeder<br />
wurde auch enorm gefordert, z. B. lernten wir, uns über einen längeren<br />
Zeitraum zu konzentrieren, uns besser beherrschen zu können<br />
und uns für schöne Dinge im Leben zu begeistern.<br />
Anfang und Grundgerüst<br />
Gerade für das Theaterspiel – dem oft der Hang zum Chaotischen<br />
nachgesagt wird – ist Strukturbildung entscheidend. Daher empfiehlt<br />
Boal, jedes Treffen mit einer Einführungs- und Erwärmungsphase<br />
zu beginnen. In dieser Anfangsphase wird spielerisches Handeln<br />
und damit das Herangehen an unbekannte oder verloren gegangene<br />
Ressourcen, ganzheitliches Handeln und sinnlich-konkretes Erleben<br />
sowie körperlichen Ausdruck – wo Sprache eher Barrieren aufbaut –<br />
geübt und gelehrt. Auch im Umschulungszentrum war diese Erwärmungsphase<br />
beliebt. Sie gab den Jugendlichen die Möglichkeit, sich<br />
selbst, ihre Spiellust, ihren Körper und die Mitspieler auf neue und<br />
ungewohnte Weise<br />
kennenzulernen.<br />
In der zweiten Übungsphase wird versucht, das Thema der jeweiligen<br />
Zusammenkunft gemeinsam zu finden und zu entwickeln. Dabei<br />
muss der Dozent unbedingt mehrere Vorschläge mitbringen, die an<br />
das letzte Treffen anknüpfen. Wir begannen mit persönlich erlebten<br />
Ereignissen: Jeder sollte Geschichten erzählen, besonders aus früheren<br />
Zeiten, z. B. aus der Grundschule, Lehrer-Schüler-Konflikte, aber<br />
auch Konflikte im Freundeskreis oder Konfliktszenen, von denen die<br />
Schüler gehört bzw. die sie im Fernsehen gesehen hatten. Am dramatischsten<br />
war die Geschichte des sechzehnjährigen P., der in der<br />
Grundschule miterlebte, wie zwei Mittelschüler einen anderen Schüler<br />
aus dem Fenster hielten. Es gab noch viele weitere Szenen zum<br />
Schulalltag, sodass sich als Einstieg Konfliktszenen zwischen Lehrern<br />
und Schülern anboten.<br />
In der dritten Phase arbeiteten wir systematisch an einem Thema. Es<br />
ging dabei um das Verhältnis einer Klasse zu ihrem Lehrer, den sie wenig<br />
respektierten und den sie mit kleinen Papierschnipseln bewarfen.<br />
Der Lehrer war eindeutig das „Opfer“, doch die Schüler interessierte<br />
das kaum. Daher probierten wir es mit einem anderen Konfliktfall: In<br />
einer Gruppe von Jugendlichen wurde ein Mitschüler „gemobbt“. Das<br />
stieß zunächst auf Interesse, gerade auch die Eskalation der Gewalt,<br />
bald verloren sie aber auch hier die Lust am Thema.<br />
Mir war klar, dass ich von ihnen eine größere Ernsthaftigkeit verlangen<br />
musste. Nachdem ich feststellte, dass sie überwiegend mich arbeiten<br />
ließen und sich selbst eher die unterhaltenden Teile herauspickten,<br />
machte ich ihnen dieses Verhalten deutlich: Der Staat tut hier etwas<br />
für sie, sie haben einen engagierten Ausbilder, sie haben eine Sozialpädagogin,<br />
ich biete ihnen den Kurs an, sie bekommen immerhin 200<br />
€ monatlich als Bezahlung. Aber was ist ihre Grundhaltung, was ist<br />
ihre Gegenleistung? Sie wollen Spaß und Unterhaltung haben. In der<br />
Folge brachte ich immer wieder das Problem der Ernsthaftigkeit ins<br />
Spiel: Wir machen das nicht nur zum Spaß. Es geht um eure Zukunft.<br />
Ihr müsst euch einbringen. Ihr habt auch eine Verantwortung für das<br />
Gelingen des Seminars. Nach dieser offenen Kritik an ihrem Verhalten<br />
ließ ich die Jugendlichen das für sie gegenwärtig wichtigste Wort<br />
32 33
3. „Flucht nach vorn – Methodenwechsel dringend gesucht!“ 3. „Flucht nach vorn – Methodenwechsel dringend gesucht!“<br />
aufschreiben. Anschließend las jeder seins vor. In den Worten kommt<br />
die ganze Ernsthaftigkeit, Sehnsucht und Tiefe der Jugendlichen zum<br />
Ausdruck.<br />
Worte der Jugendlichen:<br />
Vertrauen<br />
Beruf<br />
Lehrausbildung<br />
Schule<br />
Teamfähigkeit/Entwicklung<br />
Gewalt<br />
anerkannt werden<br />
Freiheit<br />
Zukunft<br />
Worte der Erwachsenen:<br />
Gemeinsamkeit geäußert von der Sozialpädagogin<br />
Annahme geäußert von der betreuenden Psychologin<br />
Arbeit geäußert von mir<br />
Es ist also keineswegs so, dass die Jugendlichen nicht an Konflikten<br />
und Problemen interessiert wären, nur sind diese von so grundsätzlicher<br />
Natur, dass eine Lösung für sie geradezu utopisch erscheint.<br />
Die Jugendlichen pendeln zwischen ihrer Ohnmacht und ihren Allmachtsfantasien<br />
hin und her. Im weiteren Verlauf der Arbeit kam ich<br />
in Leerphasen immer wieder auf diese Begriffe zurück und wir suchten<br />
Übungen oder Spielszenen zu den einzelnen Begriffen. Sie bildeten<br />
ein verstecktes Grundgerüst unserer gemeinsamen Begegnungen.<br />
Dazu entwickelte ich mit den Jugendlichen ein Regelwerk. In der Folge<br />
versuchte ich, diese Grundregeln anzuwenden, was von ihnen aber<br />
immer wieder umgangen wurde.<br />
Dennoch waren die Regeln wichtig, sodass ich sie immer wieder in<br />
die Gruppe einbrachte. Auf diese Weise merkten die Jugendlichen,<br />
dass es eine Struktur gab. Das vermittelte Sicherheit.<br />
Persönliches<br />
Unsere Arbeit wurde immer wieder durch zwei- bis dreiwöchige Praktika<br />
unterbrochen. Es ist wichtig, die Jugendlichen an dieser Stelle<br />
nach ihren Erfahrungen zu befragen. Weiterhin ist es von großer Bedeutung,<br />
ihr soziales und familiäres Umfeld kennenzulernen und zu<br />
erfahren, was sie eigentlich in ihrer Freizeit machen.<br />
Hier zeigte sich ein eher erschreckendes Bild: Die Dauer der Praktika<br />
selbst wird immer kürzer, oft sind sie nur noch zwei bis drei Wochen<br />
lang. Immer weniger Betriebe nehmen überhaupt noch Praktikanten.<br />
Die Aussicht auf eine Lehrstelle ist minimal. Die beim Praktikum<br />
gemachten Erfahrungen sind positiv und es ist spürbar, dass die Jugendlichen<br />
an diesen Aufgaben und in dieser Arbeitswelt reifen. Doch<br />
bereits nach zwei Wochen ist das Praktikum wieder zu Ende und die<br />
Jugendlichen wissen nicht weiter. Ihr „Überlebens-“ oder „Selbstrettungsinstinkt“<br />
ist nur gering ausgebildet. Als ich zu dieser Thematik<br />
Szenen improvisieren ließ (z. B.: „Stelle Dir vor, du bist allein in einer<br />
Wüste, du hast nichts zu essen, nur noch wenig zu trinken, du hörst<br />
die Tiere heulen und brüllen. Was tust du?“), leugneten sie, jemals<br />
in eine solche Situation zu kommen bzw. gaben sie an, dass sie ja<br />
ihr Handy bei sich hätten, mit dem sie telefonieren und Hilfe holen<br />
könnten.<br />
Die berufliche Ausweglosigkeit und die eigene Passivität belasten<br />
die Jugendlichen erheblich. Das führt zur weiteren Inaktivität – ein<br />
Circulus vitiosus entsteht. Verstärkend kommt hinzu, dass sie in ihrer<br />
Freizeit weitgehend sich selbst überlassen sind. Keiner war in einem<br />
Verein oder einer festen Struktur organisiert. Nach all diesen persönlichen<br />
Darstellungen kann ich weit besser verstehen, warum viele<br />
Jugendliche häufig so lethargisch sind. Das schwach entwickelte Ich<br />
wird betäubt durch Alkohol, passive Unterhaltung vor dem Fernseher<br />
− die Jugendlichen lassen sich einfach treiben.<br />
So versuchte ich herauszubekommen, wie die „Teamfähigkeit“ der<br />
Jugendlichen entwickelt war, ob sie in der Lage waren, sich in gemeinsamen<br />
Projekten gegenseitig zu stärken. Dazu bot ich ihnen Rollenspiele<br />
an. So sollten z. B. vier Jugendliche für eine junge Familie<br />
34 35
3. „Flucht nach vorn – Methodenwechsel dringend gesucht!“ 3. „Flucht nach vorn – Methodenwechsel dringend gesucht!“<br />
eine Einbauküche einrichten. Wie einigen sie sich, ohne in Streit zu<br />
geraten? Eine andere Gruppe musste eine Küche für ein altes Ehepaar<br />
aufbauen. Auch hier hatten es die Jugendlichen schwer, sich derartige<br />
Situationen überhaupt vorzustellen. Und wenn es ihnen doch gelang,<br />
dann übernahm einer die Führung und die anderen ließen sich<br />
von ihm leiten. Auffällig ist, dass sie in den Spielszenen viel zu wenig<br />
Verantwortung übernahmen. Deshalb legte ich eine Reihenfolge fest,<br />
in der jeder immer wiederkehrende Ideen bzw. Beiträge ins Spiel einbringen<br />
musste. Das klappte besser.<br />
Spannend wurde es, als P. von seinem Praktikum im Handy-Geschäft<br />
berichtete. Es gab keine Konflikte mit dem Chef und seiner Mitarbeiterin,<br />
sie waren ein sehr gutes Team. Eventuell konnte er hier eine<br />
Lehrstelle bekommen. Das interessierte uns alle. Wir wollten wissen,<br />
wie er mit den unterschiedlichen Kunden umgehen kann. Dies spielten<br />
wir, und dieses Mal waren alle sehr aktiv. Wir stellten unterschiedliche<br />
Figuren dar: ein alter, schwerhöriger Mann, der hereinkommt<br />
und nichts versteht; ein junger Aufschneider-Typ; ein Ausländer, der<br />
kaum deutsch spricht; ein Betrunkener; ein Dieb. In allen Situationen<br />
zeigte sich P. sehr aufgeschlossen. Er war freundlich und ging auf die<br />
unterschiedlichsten Kunden sehr individuell und geduldig ein. Was<br />
besonders auffiel, war, dass er immer für den jeweiligen Kunden eine<br />
Lösung finden wollte und sich als ein wirklich guter Kundenberater<br />
herausstellte. Das bestätigte seine Begabung und machte deutlich,<br />
dass das Handy-Geschäft eine wirklich gute Wahl träfe, wenn es ihm<br />
eine Lehrstelle anböte.<br />
Besonders interessierte die Jugendlichen der Umgang mit älteren Arbeitskollegen.<br />
M. traf beispielsweise im Praktikum auf einen Mann,<br />
der überhaupt nicht mit ihm redete. Stundenlang saßen sie nebeneinander<br />
im Auto, kein Wort fiel. Auch erklärte er M. seine Arbeit nicht.<br />
So probierten wir unterschiedliche Verhaltensweisen für M. aus und<br />
er war froh, unterschiedliche Handlungsweisen an sich selbst erfahren<br />
zu können.<br />
Schluss<br />
In diesem Projekt zeigte sich, dass die Theatermethode Augusto Boals<br />
eine gute Grundlage bietet, um auch mit schwierigen, ich-schwachen<br />
Jugendlichen zusammenzuarbeiten. Voraussetzung ist, dass<br />
Vereinfachungen, wie ich sie oben beschrieben habe, genutzt und<br />
umgesetzt werden. Entscheidend ist dabei, flexibel auf die Jugendlichen<br />
zu reagieren, sie so anzunehmen, wie sie sind und sie auf ihrer<br />
„Albernheits- und Unsinnsebene“ zu akzeptieren. Gleichzeitig ist es<br />
notwendig, klare Grenzen zu setzen, Regeln einzuführen und nachdrücklich<br />
für das Gelingen des Kurses die Verantwortung der Jugendlichen<br />
einzufordern.<br />
Mit dem Theaterspiel erkannten wir, welche Verantwortung jeder<br />
trägt, um zum guten Gelingen beizutragen. Wir überlegten weiter,<br />
wie wir in konfliktreichen Situationen reagieren können und<br />
was das für Auswirkungen auf den Ausgang der Situation haben<br />
kann. Wir konnten erkennen, dass unser eigenes Verhalten einen<br />
großen Einfluss darauf hat, wie eine Situation ausgeht. Dadurch,<br />
dass wir dies darstellten, konnten wir einen neuen Blick auf die<br />
erlebte Situation werfen. Es war interessant zu sehen, wie viele<br />
Möglichkeiten und Situationen unser tägliches Leben uns bietet<br />
und wie wir darauf Einfluss nehmen können.<br />
36 37
4. „Endlich Luft zum Atmen haben“ 4. „Endlich Luft zum Atmen haben“<br />
Lehrer entdecken vier Tage das Forum:Theater für sich<br />
(10/2006)<br />
In den Herbstferien 2006 kamen neun Lehrerinnen zu einer viertägigen<br />
Forum:Theater-Werkstatt im Saal des Theaterhauses Rudi zusammen.<br />
Der Kurs umfasste 32 Schulstunden (24 Zeitstunden), jeweils<br />
von 9 Uhr bis 15.30 Uhr. Die Teilnehmerinnen kamen aus Mittelschulen<br />
in Dresden und dem Dresdner Umland. Viele verfügten über Erfahrungen<br />
im praktischen Theaterspiel (Darstellendes Spiel; Schultheater).<br />
Der erste Tag<br />
1.1 Wir begannen mit einer Vorstellungsrunde, in der vor allem die<br />
Interessen und die Bedürfnisse der Beteiligten im Mittelpunkt standen.<br />
Zwei Wünsche wurden von den Teilnehmerinnen formuliert: Einige<br />
wünschten theaterpraktische Hinweise, z. B. „von der Idee zur<br />
Inszenierung“, die andere Gruppe war an Konfliktbearbeitungen auf<br />
spielerische Weise interessiert. Der Werkstattleiter zeigte sich bemüht,<br />
beide Interessen zu befriedigen, was aus meiner Sicht gelang,<br />
da sich immer wieder theaterpraktische Umsetzungsfragen ergaben,<br />
die von mir an Beispielen erläutert werden konnten.<br />
Daran schloss sich die Erwärmungsphase an. Ihre Bedeutung ist von<br />
großem Wert, da sie sowohl Ritual wie Öffnung in die ungewohnte<br />
Spiel-, Konflikt- und Ausdruckswelt des Forum:Theaters ist. Im Laufe<br />
der vier Tage versuchte ich, den Teilnehmerinnen viele Übungen und<br />
deren Sinn zu vermitteln.<br />
1.2 Die Erwärmungsphase stellt das „Eingangstor“ in die praktische<br />
Arbeit dar. Sie sollte für den Pädagogen jederzeit abrufbar sein. Bei<br />
Unruhe, Konzentrationsschwächen oder Ermüdungserscheinungen<br />
der Beteiligten können die Übungen eingesetzt werden. Dadurch entsteht<br />
ein sinnvoller Ausgleich zu den einseitigen Belastungen, denen<br />
Schüler im Schulalltag ausgesetzt sind und die sich im Wesentlichen<br />
auf Sitzen, Zuhören, Denken und sich am Unterricht verbal und kognitiv<br />
zu beteiligen beschränken. In den bewegungsorientierten Übungen<br />
erfahren die Schüler auf strukturierte Weise, dass Spiel, Bewegung<br />
und Ausdrucksvermögen auch im Unterricht und im scheinbar<br />
so spielfeindlichen Klassenraum möglich sind. Die Lehrerinnen ergänzten<br />
meine Vorschläge mit Übungen aus ihrem Erfahrungsschatz.<br />
Im Abschlussgespräch bestätigten alle Beteiligten, dass die Erwärmungsphasen<br />
am Beginn eines Werkstatttages wichtig und notwendig<br />
waren und sie eine Vielzahl von Beispielen mit nach Hause und<br />
in die praktische Schularbeit nehmen können (Ich verzichte hier auf<br />
die detaillierte Wiedergabe der Übungen und verweise auf Punkt 8<br />
„Methodischer Leitfaden mit praktischen Übungsbeispielen“ und auf<br />
Punkt 10 „Die Literaturliste“. Ein sehr praktisches Buch mit vielen<br />
Übungen ist: Augusto Boal, Theater der Unterdrückten, Übungen und<br />
Spiele für Schauspieler und Nicht-Schauspieler, Suhrkamp 1989).<br />
1.3 Theaterpraktische Übungen am ersten Tag:<br />
• Zwei Partner finden sich, der eine (Bildhauer) baut eine Sta-<br />
tue, der andere stellt sich dazu als „Material“ (Statue) zur Ver-<br />
fügung.<br />
• Die Statuen werden durch einen Museumsdirektor zu einem<br />
Statuenpark aufgebaut. Die Bildhauer wandern hindurch und<br />
schauen sich die unterschiedlichen Statuen an. Im Mittelpunkt<br />
steht dabei die Wahrnehmung: Gibt es Ähnlichkeiten zwischen<br />
den Statuen? Gibt es Verbindungen? Gibt es ein ständig wie-<br />
derkehrendes Thema bzw. eine sich wiederholende Ausdrucks-<br />
form?<br />
• Anhand der Haltung der Statue formuliert der Bildhauer jeweils<br />
einen zu ihr passenden Satz. Diesen müssen die Statuen auf<br />
ein Zeichen der Besucher hin wiederholen.<br />
• Die Statuen können einen „inneren“ Monolog halten, d. h. sie<br />
sprechen von ihren Gedanken, Gefühlen, etc.: Wer sind sie?<br />
Was tun sie gerade? Die Bildhauer stellen W-Fragen: Wer bist<br />
du? Was machst du? Warum machst du es? Wo bist du? Wozu<br />
machst du es?<br />
• Es finden sich verschiedene zueinander passende Statuen zu-<br />
sammen.<br />
38 39
4. „Endlich Luft zum Atmen haben“ 4. „Endlich Luft zum Atmen haben“<br />
Das Ziel dieser Übung besteht darin, starke theatralische Bilder<br />
zu finden. Die Teilnehmer erfahren, wie wichtig und hilfreich eine<br />
Form sein kann, die sich nachahmen lässt. Hier helfen häufig –<br />
ähnlich wie im späteren szenischen Arbeitsprozess – minimale<br />
Mittel bei der Gestaltung (Gesten, Vergrößern, Haltung, Bühnenpräsenz).<br />
Standbilder regen die Fantasie mit einfachen Mitteln an.<br />
1.4 Gesprächskreis<br />
Nach diesem praktischen Einstieg mit zwei Standbildern zu den<br />
Themen „Die typische Lehrerhaltung“ und „Die typische Schülerhaltung“<br />
bildeten wir wieder einen Gesprächskreis. Zunächst tauschten<br />
wir die bisher gemachten Erfahrungen aus, wobei die Teilnehmer die<br />
praktischen Übungen als anregend beschrieben. Daran schloss sich<br />
die Themensuche für unsere weitere Arbeit an. Die Teilnehmer schlugen<br />
vor:<br />
• Respektlosigkeit von Schülern gegenüber älteren Menschen<br />
in einer Straßenbahn/Problem der fehlenden Umgangsformen;<br />
selbst behinderte Schüler regen sich über Behinderte auf<br />
• Schüler machen keine Hausaufgaben<br />
• Gespräch zwischen Eltern und Lehrern, Eltern werden immer<br />
anspruchsvoller und unverschämter<br />
• Schüler machen Unsinn, doch sie werden von ihren Eltern ge-<br />
schützt<br />
• Eltern eines Kindes aus der 6. Klasse kommen zu einer Lehrerin<br />
und fragen: Was soll ich mit meinem Kind machen? Bitte helfen<br />
Sie mir!<br />
• Auswüchse antiautoritärer Erziehung sind spürbar<br />
• Kollegen, die sich nie einbringen, z. B. beim fächerübergreifen-<br />
den Unterricht<br />
• neues Konzept einer Ganztagsschule: Wie soll damit umgegan-<br />
gen werden?<br />
1.5 Gruppenstandbild „Lehrer sein!“<br />
Mit diesem Material im Hintergrund erweiterten wir die Arbeit mit<br />
Statuen, nun sollten Gruppenstandbilder entstehen. Wir bildeten<br />
zwei Gruppen und jede Teilnehmerin hatte die Aufgabe, ein Bild zum<br />
Thema „Lehrer sein!“ aus den anderen Teilnehmern zu bauen. Am<br />
Ende musste sich „der Bildhauer“ schließlich selbst in sein Bild einordnen.<br />
Daran schloss sich die Präsentation aller neun Bilder in einer<br />
„Parade“ an. Erst jetzt kam es zu Beschreibungen und einer kurzen<br />
Reflexion. Die Fragestellung lautete: Welches gemeinsame Thema ist<br />
in allen Bildern enthalten? Ziel war es, daraus „das Bild der Bilder<br />
zu erstellen“, also die Quintessenz aller neun Bilder zu fokussieren.<br />
Dabei ergaben sich letztendlich vier zentrale Themen. Alle Teilnehmerinnen<br />
stimmten folgenden vier Begriffen zu:<br />
Desinteresse – Gewalt – Verantwortungsübernahme – Zerrissenheit<br />
Das sich daran anschließende Gespräch zeigte, dass alle Teilnehmerinnen<br />
davon betroffen sind. Der Lehrerberuf ist durch große und<br />
vielfältige Herausforderungen charakterisiert, die weit über die fachliche<br />
Vermittlung von Lehrinhalten hinausgehen. Verallgemeinert man<br />
die neun Erfahrungsbilder, dann bedeutet dies, dass der tägliche<br />
40 41
4. „Endlich Luft zum Atmen haben“ 4. „Endlich Luft zum Atmen haben“<br />
Schulalltag allgegenwärtig von diesen vier herausgearbeiteten Themen<br />
geprägt ist. Jeder Lehrer muss sich ständig damit auseinandersetzen.<br />
Das führt zu einer großen seelischen Belastung.<br />
Wie sehr ist uns bewusst, dass der Beruf des Lehrers es immer<br />
mit Desinteresse, Gewalt und Zerrissenheit als negative Erscheinungsformen<br />
zu tun hat? Wie sehr sind wir darauf vorbereitet und<br />
geschult, um mit dieser Problematik umzugehen?<br />
1.6 Zwei Spielszenen entstehen<br />
Erneut gingen wir in zwei Gruppen und erarbeiteten mit ihnen zwei<br />
Spielszenen zu den Bildern und bisherigen Vorschlägen:<br />
• Elterngespräch<br />
• Problematik im Lehrerzimmer: Ein Schüler vertritt nationalsozi-<br />
alistische Ansichten, die Klassenlehrerin weigert sich einzu-<br />
greifen: „Warum schlafende Hunde wecken?“<br />
Hier stellte ich die Methode des Forum:Theaters von Augusto Boal vor.<br />
Boal baut seine Szenen immer vor dem Hintergrund auf, dass es Täter<br />
und Opfer bzw. einen Protagonisten und einen Antagonisten gibt.<br />
Ich wies darauf hin, dass diese Einteilung für die westeuropäischen<br />
Demokratien nicht zutreffend sei. Boal hatte sein Konzept Anfang der<br />
60er Jahre unter den Bedingungen der brasilianischen Militärdiktatur<br />
entwickelt. In seinem neuesten Buch „Der Regenbogen der Wünsche“<br />
reagiert Boal auf diese anderen Lebensbedingungen in Westeuropa,<br />
indem er auch sogenannte „introspektive Methoden“ vorstellt. Er orientiert<br />
sich damit an unterschiedlichen psychologischen Ansätzen,<br />
die auf der Erkenntnis aufbauen, dass es selten eine Eindeutigkeit<br />
gibt. Der Täter hat häufig Opferanteile und das Opfer Täteranteile.<br />
Wir müssen lernen, sehr genau hinzuschauen, ob das Opfer wirklich<br />
das Opfer ist und der Täter tatsächlich der Täter. Das ist sehr schwierig,<br />
da wir häufig gar keine ausreichenden Hintergrundinformationen<br />
haben, gerade in der Schule, wo das familiäre, das soziale, das<br />
gruppendynamische Umfeld einer Klasse mit 25 bis 30 Schülern dem<br />
Lehrer nicht wirklich bekannt sein kann.<br />
Beispiel zur Täter-Opfer-Problematik<br />
Diese Schwierigkeiten konnten wir an dem Beispiel „Lehrerzimmer“<br />
beobachten. Die Szene zeigte Lehrerinnen im Lehrerzimmer. Am<br />
Ende weigert sich die Klassenlehrerin, etwas gegen den Schüler K.<br />
zu unternehmen, der nationalsozialistische Ansichten vertritt. Dabei<br />
wurde deutlich, dass die Lehrerin sich von vornherein dagegen entschieden<br />
hatte, sich öffentlich zur Haltung des Schülers zu äußern.<br />
Hintergrund war eine gestörte Kommunikation zwischen den Lehrerinnen.<br />
Zwei von ihnen unterhielten sich demonstrativ laut über das<br />
aggressive Verhalten des Schülers K., ohne die Klassenlehrerin zu beteiligen,<br />
obwohl sie sahen, dass diese anwesend war. Sie sprachen<br />
quasi „über ihren Kopf hinweg“. Anschließend war diese „gekränkt“<br />
und weigerte sich. Hier kann unmöglich festgestellt werden, wer Täter<br />
und wer Opfer ist, vielmehr wurde vor allem der Konflikt unter den<br />
Lehrerinnen deutlich.<br />
Der zweite Tag<br />
Am Anfang wiederholten wir die Übungen vom Vortag. Den Teilnehmerinnen<br />
wurde Zeit gelassen, sich Notizen zu machen.<br />
2.1 Erwärmungsphase: neue Übungen<br />
Im Zentrum standen zunächst Körpererfahrungen: den eigenen Körper<br />
wahrnehmen, den eigenen Körper erfahren, die Wichtigkeit der<br />
Atmung (Bauchatmung), der Einsatz der Stimme, einzelne Körperteile<br />
isolieren. Daran schlossen sich Übungen zum Thema Laufen an: verschiedene<br />
Gangarten erproben, Kontakt zu Teilnehmern aufnehmen,<br />
aufeinander zugehen, immer den ganzen Raum nutzen, ein Raumgefühl<br />
entwickeln, das sehr wichtig für das Medium Theater und Theaterarrangements<br />
ist, einzelne darstellerische Übungen, z. B. „Das<br />
Bild vervollständigen“ (complete the image): Zwei Teilnehmer kommunizieren<br />
in Form von Standbildern miteinander. Einer löst sich aus<br />
dem Standbild und bietet ein neues an, der Partner antwortet darauf<br />
mit einem neuen Standbild. So entsteht eine Standbilder-Sequenz.<br />
42 43
4. „Endlich Luft zum Atmen haben“ 4. „Endlich Luft zum Atmen haben“<br />
2.2 Erweiterung der Arbeitstechniken<br />
der gestrigen Gruppenstandbilder<br />
Die zwei Gruppen wählten jeweils<br />
ein markantes Gruppenstandbild des<br />
vorherigen Tages. Dies nennen wir<br />
das Realbild, denn es zeigt die Situation,<br />
wie sie ist. Nun sollte ein Idealbild,<br />
also unser Wunschzustand,<br />
geformt werden. Anschließend wurden<br />
zwei Übergangsbilder eingebaut,<br />
sodass jede Gruppe insgesamt vier<br />
Bilder zeigte. In jedem Bild bekam<br />
jede Figur einen Satz. Die Übergänge<br />
von Bild zu Bild wurden in Zeitlupe<br />
gespielt, was der Deutlichkeit der<br />
Szene dient. Außerdem macht es<br />
vom spielerischen Aspekt her Spaß<br />
und die Teilnehmer üben damit das<br />
Formbewusstsein. Die Szenen wurden in<br />
Gruppenarbeit vorbereitet.<br />
Bei der Präsentation wurde eine Szene zwischen einem Lehrer und<br />
drei Schülern gezeigt. Das Realbild verdeutlichte eine ausschließliche<br />
Fokussierung des Lehrers auf die Sachebene, offensichtlich ging<br />
es ihm darum, „Wissen zu vermitteln“. Die Schüler standen hintereinander,<br />
konnten also nicht miteinander reden. Im nächsten Bild<br />
lockerte sich die starre Situation. Im vierten Bild kommunizierten<br />
schließlich alle vier Teilnehmer im Kreis. Es wurde deutlich – auch<br />
durch die Entwicklung der Sätze – dass zu diesem Zeitpunkt die Beziehungsebene<br />
für alle Beteiligten wichtig wurde.<br />
2.3 Gesprächskreis<br />
Ich verteilte ein Informationsblatt zu den „Aufgaben des Spielleiters“.<br />
Darin werden die notwendigen Kompetenzen des Spielleiters<br />
im Forum:Theater beschrieben (siehe Anhang):<br />
• analytische Kompetenz<br />
• Kompetenz im Theaterspielen<br />
• gruppendynamische Kompetenz<br />
Die unterschiedlichen Kompetenzen – sie vertieften die Problematik<br />
„Täter“ und „Opfer“ –eindeutig festzulegen, interessierte die Teilnehmerinnen,<br />
sie traten in einen lebendigen Erfahrungsaustausch (diese<br />
Momente gab es immer wieder).<br />
Eine Teilnehmerin beschrieb in Bezug auf die analytische Kompetenz<br />
ein Mobbing-Ereignis, das in ihrer Schule stattgefunden hatte und<br />
das dramatisch endete: Der „gemobbte Schüler Moritz“ (Name fiktiv)<br />
verletzte auf dem Schulheimweg einen Schüler mit einem Messer am<br />
Bein.<br />
Das Ereignis bewegte alle so sehr, dass sich die Gruppe entschloss,<br />
diesen aktuellen Fall genauer zu untersuchen. Wie kann es zu solch<br />
einem dramatischen Ereignis kommen? Wo liegen die Drehpunkte?<br />
Wo ist ein Eingreifen möglich? Wer trägt Verantwortung für die Eskalation?<br />
Die betroffene Lehrerin beschrieb zunächst den Vorfall und die Hintergründe<br />
der Tat, soweit sie Kenntnis davon hatte. Sie war neu an der<br />
Schule und erst seit sechs Wochen die Klassenlehrerin dieser 9. Klasse.<br />
Ihres mangelhaften Informationsstandes war sie sich bewusst.<br />
Sie beschrieb die Klasse, das familiäre Umfeld von Moritz, die offensichtliche<br />
Dominanz der Mutter und ihren persönlichen Eindruck, den<br />
sie von dem Schüler hatte.<br />
2.4 Gruppenarbeit<br />
Wieder fanden sich zwei Gruppen zusammen. Sie sollten die aus ihrer<br />
Sicht wichtigsten Szenen auswählen, szenisch anlegen, üben und der<br />
anderen Gruppe vorstellen.<br />
44 45
4. „Endlich Luft zum Atmen haben“ 4. „Endlich Luft zum Atmen haben“<br />
2.5 Präsentation<br />
1. Gruppe: Moritz ist neu in der Klasse. Wie reagiert diese auf<br />
ihn?<br />
2. Gruppe: Moritz befindet sich mit den anderen in der Pause.<br />
Wie reagiert die Klasse auf ihn?<br />
Wir reflektierten die dargestellten Szenen und unterbreiteten zunächst<br />
Änderungsvorschläge. Dann erklärte ich die Methode des<br />
Forum:Theaters, bei der es entscheidend ist, dass die Szenen gespielt<br />
werden. Auf gesprochene<br />
Sprache und Diskussionen,<br />
unsere bisherigen<br />
Kommunikationsformen,<br />
verzichteten wir von nun<br />
an. Die neuen Vorschläge<br />
wurden direkt vom Ideengeber<br />
spielerisch in die<br />
Szene eingebaut, und<br />
alle Mitspieler mussten im Rahmen<br />
ihrer Rolle auf das neue Spielangebot<br />
reagieren<br />
Der dritte Tag<br />
3.1 Wir begannen wieder mit der Erwärmungsphase. Wir standen im<br />
Kreis und dieses Mal übernahmen zunächst einige Lehrerinnen die<br />
Leitung (Spiel mit zwei Bällen, Bälle gehen immer wieder den gleichen<br />
Weg). Dann übernahm ich die Leitung und führte neue Übungen<br />
ein: Spiel mit imaginären Bällen, die Bälle verändern sich; imaginäre<br />
Gegenstände werden herumgereicht, die Gegenstände verändern<br />
sich. Im Kreis wurde eine Haltung, eine Geste oder ein kurzer Satz<br />
weitergegeben. Daran schlossen sich kurze szenische Übungen an.<br />
Ein imaginärer Koffer wurde ausgepackt, der Partner war „Zuspieler“,<br />
indem er ebenfalls Dinge herausholte. Er fragte den „Besitzer“ nach<br />
der Bewandtnis dieser Gegenstände. So entstand ein witziger, die<br />
Fantasie anregender Dialog, der das Zusammenspielen schult.<br />
3.2 Fortsetzung der Arbeit an den Szenen vom vorherigen Tag<br />
Eine Gruppe präsentiert ihre Spielszene. Die Szene gliedert sich wie<br />
folgt:<br />
• Schüler ärgern Moritz<br />
• der Lehrer interveniert<br />
• anschließendes Gespräch nach der Stunde zwischen dem Leh-<br />
rer und Moritz<br />
Die Lehrerinnen probierten mit der Methode des Forum:Theaters andere<br />
Verhaltensweisen aus. Dabei durfte Moritz als Spieler nicht ausgetauscht<br />
werden, denn Moritz ist Moritz und wir mussten versuchen,<br />
ihn zu verstehen und mit ihm umzugehen. Er lebt seine typischen<br />
Verhaltensweisen aus. Die Umwelt muss lernen, anders damit umzugehen,<br />
was auch bedeutet, Moritz zu einem anderen Verhalten zu<br />
motivieren. Dies sind die Spielregeln des Forum:Theaters nach Boal,<br />
bei dem das darstellende Nachvollziehen und Erproben der realen<br />
Vorlagen unsere „noch schlummernde“ soziale Fantasie und Kreativität<br />
hervorlocken sollen. Dabei müssen wir uns darum bemühen,<br />
bei aller spielerischen Freiheit und den gelegentlich auftauchenden<br />
absurden Lösungsvorschlägen, die durchaus befreienden Charakter<br />
haben können, auf dem Boden der Realität zu bleiben. Es sollte immer<br />
um konkrete Lösungen gehen, die mit den Mitwirkenden der vorgestellten<br />
Szene umzusetzen sind. Hilfreich ist dabei eine dreistufige<br />
Vorgehensweise:<br />
wahrnehmen – verstehen – reagieren<br />
Wir befanden uns noch in der Recherchephase, d. h.<br />
• wir mussten erst einmal wahrnehmen, was Moritz macht,<br />
• dann mussten wir versuchen, es zu verstehen oder nachzu-<br />
empfinden,<br />
• und schließlich mussten wir lernen, darauf anders zu reagie-<br />
ren.<br />
46 47
4. „Endlich Luft zum Atmen haben“ 4. „Endlich Luft zum Atmen haben“<br />
Wie soll mit randalierenden und unverschämten Schülern umgegangen<br />
werden?<br />
Die Szene zeigte zunächst vorrangig das laute und aggressive Verhalten<br />
der meisten Schüler. Mehrere Lehrerinnen fanden den Mut, in<br />
die Szene einzusteigen und neue Verhaltensweisen zu erproben. Im<br />
Forum:Theater wird nicht über die Szene nachgedacht und gesprochen<br />
– dies kann und muss im Anschluss geschehen –, sondern konkrete<br />
praktische Handlungs- und Lösungsmuster werden entwickelt<br />
und erlernt. Diese können wie folgt aussehen:<br />
• Status senken, scheinbare Kumpelhaftigkeit plus Ironie<br />
• die Zügel trotzdem in der Hand behalten<br />
• Herrsche und teile!<br />
• zum „guten“ Teil der Klasse gehen<br />
• Regeln einführen, z. B.: „Wir reden uns ordentlich an, sagen<br />
nicht: Du schwule Sau!“<br />
• Sitzordnung verändern<br />
• die Schüler nicht gegen die eigene Person aufbringen<br />
• möglichst nicht laut werden<br />
• Beziehung der Schüler untereinander aufbauen<br />
• gutes Verhalten loben – schlechtes Verhalten erschweren<br />
An dieser Stelle arbeiteten wir an der Fortsetzung der Szenen um Moritz.<br />
Geprobt wurde das Gespräch Lehrer – Moritz nach dem Unterricht.<br />
Wieder experimentieren mehrere Lehrerinnen mit unterschiedlichen<br />
Möglichkeiten. Es zeigte sich dabei, dass die Person des Lehrers<br />
große Verantwortung zu tragen hat:<br />
• Es besteht die Gefahr, dass der Lehrer die eigenen Grenzen<br />
nicht kennt.<br />
• Wie viel kann man sich selbst zumuten?<br />
• Man darf sich selbst nicht überfordern!<br />
• Es können Bedürfnisse und Erwartungen bei einzelnen Schülern<br />
geweckt werden, die der Lehrer gar nicht befriedigen kann.<br />
3.3 Gesprächskreis<br />
Die Reflexion im Gesprächskreis zeigte, dass die Mobbing-Geschichte<br />
um Moritz äußerst komplex ist. Es gibt fünf Beteiligte:<br />
Justiz/Polizei – Jugendamt – Schule – Familie – Moritz<br />
Wer informiert wen? Wer organisiert den Kontakt? Wer moderiert den<br />
Prozess? Es wurde deutlich, dass bestimmte Beteiligte hier komplett<br />
ausfielen. Es fand unter den Beteiligten kein Informationsfluss statt.<br />
Moritz war im Moment zu Hause, die Schule hatte ihn vorläufig beurlaubt,<br />
aber was anschließend mit ihm passieren sollte, konnte keiner<br />
sagen.<br />
Nach zwei Tagen intensiven Eintauchens in die Problematik suchten<br />
wir einen gemeinsamen Abschluss der Moritz-Szene. Negative Energien<br />
sind nur begrenzt zu<br />
ertragen – ein Faktum, an<br />
das sich der Schulalltag<br />
leider nicht zu halten vermag.<br />
Einmal mehr wurde<br />
spürbar, welche Anforderungen<br />
an den Beruf des<br />
Lehrers gestellt werden.<br />
3.4 Neue Themensuche/Gesprächskreis<br />
Die Lehrerinnen machten Vorschläge für den letzten gemeinsamen<br />
Tag:<br />
• ein ADS-kranker Schüler in der Klasse, bei der Klassenfahrt<br />
wurden seine Medikamente vergessen<br />
• Risiken beim Schulausflug: Die Lehrerin macht der Schulleite-<br />
rin Vorwürfe, dass sie nicht ausreichend informiert wurde. Hin-<br />
terher findet kein klärendes Gespräch statt.<br />
48 49
4. „Endlich Luft zum Atmen haben“ 4. „Endlich Luft zum Atmen haben“<br />
Der vierte Tag<br />
Nach der Konzentration und der Ernsthaftigkeit der vergangenen Tage<br />
war es wichtig, diesen Tag spielerisch und leicht zu beginnen.<br />
4.1 Spielerische Erwärmung<br />
• Spiegelspiel, Fechten, Körper an Körper<br />
• Spiele: Anschleichen, Dompteur, mehrere Mörderspiele<br />
• vier Personen stehen sich gegenüber, eine sagt Eigenschafts-<br />
wörter, die gegenüberliegende Reihe muss sie sofort umset-<br />
zen<br />
• im Tigerwald passiert etwas (alte Frau, Tiger, Samurai)<br />
• zwei Gruppen machen Schattenboxen<br />
4.2 Gruppenarbeit<br />
Zwei Gruppen arbeiten an einer Szene.<br />
• förderverbindender Unterricht, eine Lehrerin ist sehr aktiv, sie<br />
macht Vorschläge, organisiert, hat Ideen, die anderen blockie-<br />
ren<br />
Die Szene wird einstudiert und dann präsentiert. Mit der Methode<br />
des Forum:Theaters gibt es mehrere Lösungsvorschläge.<br />
4.3 Forumtheater mit einem Text – Gruppenarbeit<br />
Ich gab jeder Gruppe einen Zeitungsartikel über eine extrem gewalttätige<br />
Schülerszene: Auf einer Klassenfahrt zünden Schüler nachts im<br />
Schlafsaal einen Mitschüler an und filmen die Szene mit ihren Handys.<br />
Der Artikel thematisiert unterschiedliche Haltungen der am Prozess<br />
Beteiligten: Opferverhalten, Verhalten der Klasse am nächsten<br />
Morgen im Speisesaal, Lehrerverhalten, Verhalten der Schulleitung,<br />
Elternverhalten. Ich stellte dazu folgende Aufgabe: Die beiden Gruppen<br />
sollten den Text szenisch umsetzen. Dazu setzte ich einen klaren<br />
Rahmen, der für Theaterarbeit generell sehr wichtig ist:<br />
• Bitte nicht mehr als drei Szenen gestalten<br />
• klare Bilder – an der Standbildarbeit orientieren<br />
• kurze, knappe Dialoge<br />
• bitte so umsetzen, als arbeiteten Sie mit und für Ihre Klasse<br />
Die Arbeitsphasen im Einzelnen:<br />
• Einstudieren der Szenen in den kleinen Gruppen<br />
• Präsentieren der Szenen vor den anderen Teilnehmern<br />
Wir achteten diesmal zunächst auf den theatralischen Aufbau der<br />
Szenen (Schulung der theatralen Kompetenz)<br />
• Deutlichkeit der Szene<br />
• Deutlichkeit des Konflikts, d. h. der Spielerhaltung<br />
• Raumnutzung<br />
• Konzentration auf das Wesentliche mittels Kombination von<br />
Standbild und Spielszene (Prinzip: Verlangsamung)<br />
• Sprachliche Verdichtung<br />
• Steigerung/Dramaturgie<br />
Jetzt schließt sich die Forum:Theater-Phase an, die Szene wird verändert:<br />
Es gibt mehrere Lösungsvorschläge, in Anbetracht der Zeit<br />
werden sie diesmal diskursiv eingebracht.<br />
4.4 Abschlussgespräch<br />
Die Teilnehmerinnen beschrieben die positive und arbeitsintensive<br />
Grundstimmung aller Beteiligten über den gesamten Zeitraum der<br />
vier Tage. Sie fühlten sich<br />
bereichert und bestärkt<br />
und nahmen Konkretes<br />
und Handhabbares mit in<br />
ihren Alltag. Das Wichtigste<br />
war: Sie glaubten, die<br />
Methode anwenden zu<br />
können. Die Teilnehmerinnen<br />
gewannen einen individuellen<br />
Blick auf die eigenen Handlungsweisen,<br />
gerade auch dadurch, dass die Kolleginnen „ihre“<br />
Szenen spielten und veränderten. Die Vorgehensweise<br />
der „kleinen Schritte“ war sehr wichtig, denn dadurch wurde<br />
der logische Nachvollzug möglich. Positiv hervorgehoben wurde außerdem<br />
das sensible und individuelle Eingehen des Werkstattleiters<br />
auf die Problematik der Lehrer und den Lernort Schule.<br />
50 51
5. „Als das Kind in den Brunnen Gefallen war!“ 5. „Als das Kind in den Brunnen Gefallen war!“<br />
Nachbereitung einer dramatischen Mobbing-Geschichte<br />
(11/2006)<br />
1. Die Vorbereitung<br />
Aus der intensiven Arbeit mit den Lehrerinnen zum Forum:Theater<br />
(siehe hier Kapitel 4 „Endlich Luft zum Atmen! – Lehrer entdecken<br />
vier Tage das Forum:Theater für sich“) wurde von der vom dramatischen<br />
Mobbingvorfall betroffenen Lehrerin die Frage an mich herangetragen,<br />
ob das Forum:Theater auch eine geeignete Form sei, um<br />
direkt mit der Klasse das aktuelle Thema zum Fall des Schülers Moritz<br />
(Name fiktiv), der einen anderen Mitschüler mit einem Messer verletzt<br />
hat, nachzubearbeiten.<br />
Gerne erklärte ich mich bereit, gemeinsam mit der Lehrerin, die gleichzeitig<br />
die Klassenlehrerin der betroffenen Klasse war, einen Projekttag<br />
zu diesem Thema an der Schule durchzuführen. Es war notwendig,<br />
das Thema ohne Zeitdruck zu bearbeiten, daher planten wir den<br />
Projekttag von 8.30-13.15Uhr. Eine Vorbesprechung mit der Klassenlehrerin<br />
und dem Schulleiter wurde von 8-8.30Uhr festgesetzt.<br />
Die 9. Klasse bestand aus 24 Schülern (19 Mittelschüler, 5 Hauptschüler).<br />
Der Schüler Moritz war von der Schule beurlaubt worden.<br />
Nun stand die Entscheidung an, ob Moritz wieder in die Klasse zurückkehren<br />
soll, bzw. ob er in eine andere Klasse gehen oder ob der<br />
Schulausschluss aufrechterhalten werden soll. Angesichts der Brisanz<br />
des Themas und meiner Verantwortung legte ich Wert auf eine präzise<br />
Planung des Projekttages. Folgende Ziele sollten erreicht werden:<br />
• Die Schüler erfahren, wie es zu dieser Eskalation gekommen<br />
ist.<br />
• Ablauf des Geschehens. Was geschah vorher? Was folgte<br />
danach?<br />
• Die Schüler erfahren, warum das geschehen konnte?<br />
• hinterfragen ihres Täter-/Opfer-Verständnisses<br />
• den eigenen Anteil am Konfliktverlauf erkennen; sehen, wo<br />
bin ich (mit) verantwortlich<br />
• Hätte der Konflikt auch anders verlaufen können?<br />
• Wo gab es Punkte, an denen ein anderes Verhalten, den<br />
Konflikt in eine andere Richtung hätten lenken können? Wo<br />
gab es Möglichkeiten der Intervention?<br />
• Was will die Klasse für die Zukunft? Was sind ihre Bedürfnis-<br />
se?<br />
• Was passiert mit dem Schüler Moritz in Zukunft?<br />
• Kann er wieder in die Klasse zurückkommen?<br />
• Was ist das Bedürfnis der Klasse?<br />
2. Der Projekttag – großes Interesse bei den Schülern<br />
Die Klasse arbeitete sehr gut mit. Überraschend war, dass sich alle an<br />
allen Phasen des Prozesses beteiligten. Jeder (!) brachte sich ein. Das<br />
zeigt, für wie brisant die Schüler das Thema einschätzten, wie es den<br />
Schülern zu schaffen machte und wie jeder Einzelne an einer Bearbeitung<br />
interessiert war. Keiner war an diesem Tag vom Prozess ausgeschlossen,<br />
was auch, gerade angesichts der Dauer des Projekttages,<br />
sehr erstaunlich ist. Wir machten lediglich einmal zwanzig Minuten<br />
und einmal fünf Minuten Pause. Es wurde annähernd fünf Zeitstunden<br />
durchgearbeitet.<br />
3. Erwärmungsphase<br />
Einmal mehr zeigte sich, dass die Erwärmungsphase das „Einstiegstor“<br />
in die Methodik des Forum:Theaters ist. Mit Bewegung, Spiel,<br />
Partner- und Gruppenübungen und der vorsichtigen Hinführung zu<br />
Ausdrucksformen des Theaters, wie z. B. die Standbildarbeit, wurden<br />
die Beteiligten neugierig auf den weiteren Prozess gemacht. Gerade<br />
bei diesem Thema war es wichtig, zwischendurch auch zu lachen und<br />
nicht alle Motivation, Lebensfreude und Fantasie mit einer eventuellen<br />
„Moralkeule“ zu erschlagen. Das Kind war in den Brunnen gefallen<br />
und nun war es wichtig, sich ihm liebevoll zuzuwenden. Wichtig<br />
für den Prozess ist, dass aufrichtige Gefühle zugelassen werden können<br />
und dass der Dozent Wert auf die Beachtung der Gefühle aller<br />
Beteiligten legt.<br />
52 53
5. „Als das Kind in den Brunnen Gefallen war!“ 5. „Als das Kind in den Brunnen Gefallen war!“<br />
4. Das erste Standbild: „Wie fühle ich mich zurzeit in der Klasse?“<br />
Zu zweit (Bildhauer/Modell) erarbeiteten die Schüler ein Standbild<br />
zum Thema „Wie fühle ich mich zurzeit in der Klasse?“. Anschließend<br />
gab es eine Parade der Standbilder, d. h. die einzelnen Bilder ziehen<br />
auf einer Bühne langsam am Publikum vorbei. Jedes Bild „friert“<br />
(freeze) für fünf Sekunden in der Mitte der Bühne ein, dann kommt<br />
das nächste Bild in den Blick. Die Parade dient der Bestandsaufnahme<br />
und sagt etwas über die Zusammensetzung der Klasse aus. Mittels<br />
der Bilder gab es folgende Rückmeldungen der Schüler:<br />
• zufriedene Haltungen (Gesichtsausdruck)<br />
• körperlich präsente und offene Haltungen<br />
• wenige Anti- und Abwehrhaltungen<br />
• wenige gelangweilte Haltungen<br />
Insgesamt präsentierten sich die Jungen eher cool, während die<br />
Mädchen mehr ihr Äußeres zeigten<br />
und ihre „Klamotten“ präsentierten.<br />
Mein Eindruck war, dass es sich hier<br />
um altersadäquate Schülerhaltungen<br />
handelte, die Klasse also einen<br />
durchaus intakten Eindruck machte.<br />
5. Das Klassenstandbild<br />
Das Klassenstandbild zeigt das Bild<br />
bzw. die mögliche Rollenverteilung<br />
in der Klasse: Homogenität – Gruppenbildung<br />
– Rangordnung – Machtkämpfe<br />
– Alphapositionen – Sündenbock<br />
– Außenseiter – Clown etc.<br />
Deutlich erkennbar war, dass es in<br />
der Klasse drei Jungengruppen und<br />
zwei Mädchengruppen gibt. Eine<br />
Mädchengruppe suchte den Kontakt<br />
zu einer Jungengruppe, die andere<br />
Gruppe der Mädchen stand etwas<br />
abseits. Nachdem sich diese Gruppe selber sehen konnte, korrigierte<br />
sie ihren Standort. Die drei Jungengruppen standen für sich. Es gab<br />
lose Übergänge durch einzelne Schüler. Eine Jungengruppe setzte<br />
sich etwas aggressiv vor die anderen beiden Gruppen. Die Haltungen<br />
waren insgesamt eher offen. Trotzdem zeigte sich, dass die Klasse<br />
unterschwellig eher heterogen aufgeteilt ist.<br />
6. Klassenstandbild mit Moritz<br />
Jetzt hatten die Schüler die Aufgabe, Moritz in das bestehende Klassenbild<br />
einzubauen. Hier wurde die Dimension des Konfliktes sofort<br />
sichtbar. Moritz gehörte aktuell nicht mehr der Gemeinschaft an – er<br />
war „draußen“! Die Vorschläge der Schüler waren im Einzelnen:<br />
• Moritz steht mit dem Rücken zur Klasse an der Tür und hält sich<br />
die Ohren zu.<br />
• Moritz steht in der äußersten, der Klasse gegenüberliegenden<br />
Ecke und zeigt mit dem Finger auf die Klasse.<br />
• Dieselbe Stelle: Moritz verschränkt die Arme vor dem Körper.<br />
• Dieselbe Stelle: Moritz sitzt in der Ecke.<br />
• Dieselbe Stelle: Moritz provoziert mit dem Finger.<br />
Ein Mädchen machte einen Vorschlag, der den kommunikativen Kontakt<br />
und auch die Not von Moritz thematisierte:<br />
• Moritz sitzt der Klasse gegenüber auf einem Stuhl und streckt<br />
die geöffneten Arme der Klasse entgegen.<br />
7. Gesprächskreis – Materialsammlung – Bestandaufnahme:<br />
„An welche Schulszenen mit Moritz könnt ihr euch erinnern?“<br />
Im Anschluss an die sehr eindrucksvollen und spannungsgeladenen<br />
Standbilder, die in allen Beteiligten Emotionen und Gefühle ausgelöst<br />
hatten, war es wichtig, miteinander zu sprechen. Der Konflikt musste<br />
verbalisiert, d. h. „in Worte gefasst“ werden. Im Gespräch wurden<br />
Hintergründe des Konfliktes sichtbar. Aufgabe war es, in möglichst<br />
knapper Form eine Begegnung mit Moritz zu beschreiben. Die Schüler<br />
waren gerne dazu bereit. Folgende „Moritz-Szenen“ wurden erzählt:<br />
54 55
5. „Als das Kind in den Brunnen Gefallen war!“ 5. „Als das Kind in den Brunnen Gefallen war!“<br />
• Moritz schmeißt einen Blumentopf auf D.<br />
• Moritz kommt neu in die Klasse und steht in der Ecke.<br />
• Moritz macht ein Mädchen wegen ihrer Schlüpfer an.<br />
• Moritz schreibt mit.<br />
• Moritz ist kurz vorm Heulen.<br />
• Moritz fragt A., ob sie schon einmal Sex gehabt habe.<br />
• Moritz wird von Schülern der 10. Klasse verprügelt.<br />
• Moritz wird an der Bushaltestelle mit Schneebällen beworfen.<br />
• Moritz bekommt von Schülern der 10. Klasse die Beine an den<br />
Kopf gedrückt. Das muss sehr schmerzhaft sein.<br />
• Moritz hat ein gutes Allgemeinwissen.<br />
• Der Streit entsteht durch gegenseitige Provokationen. Der<br />
Schüler sagt: „Moritz staut immer Wut an.“<br />
• Moritz wartet darauf, dass er angesprochen wird.<br />
• Moritz arbeitet im Unterricht nicht mit.<br />
• Moritz arbeitet in Geschichte gut mit.<br />
Den Szenenbeschreibungen ist zu entnehmen, dass Moritz in der<br />
Klasse offensichtlich schon länger die Rolle eines Außenseiters hat.<br />
Nur wenige Schüler kennen ihn genauer und haben mit ihm Kontakt.<br />
8. Moritz und seine Familie<br />
Ich fragte die Schüler, ob sie Moritz auch privat in seiner Familie<br />
oder mit seiner Familie erlebt haben. Folgende Aussagen wurden gemacht:<br />
• „Moritz. hat keine schöne Kindheit gehabt.“<br />
• „Moritz muss immer seine kleine Schwester abholen und auf<br />
sie aufpassen.“<br />
• „Moritz kriegt nichts zu essen, nur eine Schnitte.“<br />
• „Moritz lebt in seiner eigenen Welt, er hat sich seine eigene<br />
Welt aufgebaut.“<br />
• „Die Eltern leben getrennt.“<br />
• „Die Eltern haben sich viel in seinem Beisein gestritten.“<br />
• „Mit dem Vater klappt es, mit der Mutter nicht.“<br />
9. Wie war der Tathergang?<br />
Der Schüler D. erzählte, wie er die Szene mit dem Messer erlebt hat.<br />
Die beiden Schüler hatten schon länger Konflikte miteinander. D.<br />
fühlte sich beleidigt und provoziert. Er sagte zu Moritz: „Ich hau dir<br />
eine auf`’s Maul!“, woraufhin dieser gelacht hat. Dann ist D. mit dem<br />
Fahrrad an Moritz vorbeigefahren und Moritz hat wieder gelacht. Daraufhin<br />
ist D. Moritz mit dem Fahrrad in die Ferse gefahren. D. ist abgestiegen<br />
und es kam zur Schlägerei. Plötzlich hatte Moritz das Messer<br />
in der Hand und stach D. damit ins Bein.<br />
Zwei Schüler waren Zeugen und bestätigen weitgehend den Verlauf<br />
der Szene.<br />
10. Was denken die Mitschüler über den Vorfall?<br />
• „Die Tat war geplant.“<br />
• „Er hat der Polizei gesagt, dass er in Notwehr gehandelt hat.“<br />
• „Er wollte sich Respekt verschaffen.“<br />
• „Die Tat war nicht geplant.“<br />
• „Er hat das Messer für den Notfall dabei gehabt.“<br />
• „Er hat uns das Messer vorher gezeigt.“<br />
In der Forum:Theater-Arbeit ist es wichtig, nicht zu werten. Unterschiedliche<br />
Aussagen bleiben nebeneinander stehen. Ihre Stichhaltigkeit<br />
kann im Spiel erprobt werden. Dazu werden zu den jeweiligen<br />
Aussagen Szenen entwickelt und vorgestellt. Dabei zeigt sich dann<br />
meist, was stimmt und was nicht stimmt, denn Schüler kommentieren<br />
die Szene, probieren etwas Neues/Anderes aus, bzw. der Dozent<br />
fordert mit den sogenannten „Probetechniken“ dazu auf, tiefer in den<br />
Konflikt und die dargestellte Person/Figur hineinzugehen.<br />
11. Arbeit in kleinen Gruppen an Spielszenen<br />
Ich erklärte den Schülern die Methode des Forum:Theaters nach Augusto<br />
Boal. Dazu werden vier Gruppen mit je sechs Schülern gebildet.<br />
Wir mischten die Gruppen neu, indem wir von eins bis vier abzählen<br />
ließen und anschließend die Gruppen nach den Zahlen aufteilten. Die<br />
Schüler beschwerten sich über diese Vorgehensweise, weil sie lieber<br />
„mit ihren Leuten zusammenbleiben“ wollten. Ich bat sie, an diesem<br />
56 57
5. „Als das Kind in den Brunnen Gefallen war!“ 5. „Als das Kind in den Brunnen Gefallen war!“<br />
Tag auch mit anderen Mitschülern zusammenzuarbeiten, verbunden<br />
mit dem Hinweis, dass das für die Klasse und für die Lösung des<br />
Konfliktes wichtig sei. Jede Gruppe sollte sich zwei Szenen aus den<br />
Vorschlägen auswählen<br />
und diese dann der Klasse<br />
vorstellen. Dazu hatten<br />
sie dreißig Minuten<br />
Vorbereitungszeit. Die<br />
Klassenlehrerin und ich<br />
gingen zu den einzelnen<br />
Gruppen und begleiteten<br />
die Gruppenarbeit. Nach<br />
kleinen Impulsen lief dieser Prozess<br />
in den Gruppen sehr konzentriert und<br />
eigenständig ab.<br />
12. Präsentation der Gruppenergebnisse<br />
Gruppe 1<br />
1. „Blumentopfszene“: Moritz wird von D. und der Gruppe pro-<br />
voziert. Er wirft einen Blumentopf nach D. Die Sekretärin<br />
kommt dazu und versucht zu intervenieren. Sie fordert beide<br />
Schüler auf, den Klassenraum aufzuräumen.<br />
2. Eine Gruppe von Schülern sitzt beisammen. Moritz kommt in<br />
die Klasse, er wird provoziert: „Na, du Assi, alles klar?“, „Na,<br />
du Anton!“ usw.<br />
Gruppe 2<br />
1. Moritz besucht mit seiner Familie den Rummelplatz. Die Mut-<br />
ter geht mit der kleinen Schwester zur Losbude. Moritz soll<br />
sitzen bleiben und warten. Es kommen Mitschüler, sie wollen,<br />
dass er mit ihnen mitgeht. Er sagt, er dürfe nicht und „sackt in<br />
sich zusammen“. Die Schüler lachen ihn aus.<br />
2. Vier Schüler gegen Moritz. Ein Lehrer kommt dazu, er will ein-<br />
greifen, Moritz rennt vor dem Lehrer weg.<br />
3. Moritz fragt ein Mädchen nach ihrem Schlüpfer. Das Mädchen<br />
regt sich auf, ein zweites Mädchen unterstützt sie: „Bist du<br />
noch ganz sauber?“ Die beiden Mädchen gehen weg.<br />
Gruppe 3<br />
1. Die Gruppe spielt die „Messerstichszene“ nach. Es kommt<br />
zum Moment des Zustechens. D. liegt verletzt am Boden, die<br />
Schüler helfen ihm. Sein Bein wird verbunden, er bekommt<br />
von allen Hilfe und Aufmerksamkeit; der Krankenwagen fährt<br />
vor.<br />
Gruppe 4<br />
1. Rummelplatz: Moritz ist mit seinem Stiefvater, seiner Mutter<br />
und seiner kleinen Schwester unterwegs. Die Familie will mit<br />
dem Riesenrad fahren. Es gibt einen Sonderpreis für drei Passa-<br />
giere. Moritz möchte auch mitfahren. Der Stiefvater sagt: „ Du<br />
bleibst hier und wartest!“ Moritz wartet. Als die drei von der<br />
Fahrt zurückkommen, reagiert er sauer und tritt gegen einen<br />
Mülleimer.<br />
2. Die Gruppe redet schlecht über Moritz.<br />
13. Großer Gesprächskreis<br />
Ich frage die Schüler, was ihnen an den Szenen aufgefallen ist:<br />
• „Viel Gewalt!“<br />
• „Alles war sehr ernst gespielt, das zeigt, dass es uns wichtig<br />
ist.“<br />
• „Die Szenen haben die Wirklichkeit gezeigt, so ist es!“<br />
Ich frage sie, in welchen Szenen Moritz eindeutig Täter gewesen ist:<br />
• Blumentopfszene<br />
• Unterwäscheszene<br />
• Rummelplatz, als er gegen den Mülleimer getreten hat<br />
• Messerszene<br />
58 59
5. „Als das Kind in den Brunnen Gefallen war!“ 5. „Als das Kind in den Brunnen Gefallen war!“<br />
Ich frage nach: War er in diesen Szenen wirklich immer Täter? Was<br />
passierte denn vor der Tat, bevor er aggressiv reagierte?<br />
• Die Schüler geben zu, dass sie ihn oft provozieren.<br />
• Aber: Er trägt seinen Teil dazu bei, denn „er rastet immer gleich<br />
aus!“<br />
14. Forum:Theater<br />
Ich schlug den Schülern jetzt den Einsatz der Forum:Theater-Methode<br />
vor, d. h. wir spielten eine Szene und sie konnten als Zuschauer eingreifen,<br />
in dem sie in die Rolle eines der Spieler schlüpften und neue<br />
Handlungsvorschläge ausprobierten. Heiner Müller nennt dies in einem<br />
Buch ein „Laboratorium der sozialen Phantasie“. Die Schüler<br />
entschieden sich für die „Blumentopfszene“.<br />
• Die Szene wird einmal gespielt.<br />
• Die Szene wird das zweite Mal gespielt: Das neue Spielangebot<br />
betrifft Moritz’ Verhalten. Moritz zieht sich zurück, er lässt sich<br />
nicht provozieren, sondern brabbelt vor sich hin.<br />
• Die Szene wird das dritte Mal gespielt: Der Hauptprovokateur<br />
wird ausgewechselt, er provoziert Moritz nicht mehr. Die Szene<br />
eskaliert nicht.<br />
• Die Szene wird das vierte Mal gespielt: Die Gruppe schlichtet<br />
zwischen beiden, dadurch kommt es nicht zur Schlägerei.<br />
Die Schüler sehen an diesen Lösungsvorschlägen, wie ein bestimmtes<br />
Verhalten eine bestimmte Reaktion auslöst. So kommt es beispielsweise<br />
nicht zu einer Schlägerei, wenn nicht provoziert wird,<br />
oder die unbeteiligten Mitschüler müssen nicht die „Schafe“ sein,<br />
sondern können eingreifen. Mit diesen Lösungsansätzen entwickelt<br />
die Forum:Theater-Methode tatsächlich ein „Laboratorium der sozialen<br />
Phantasie“. Es mag ein Laboratorium in seinen Anfängen sein,<br />
aber es gibt Ansätze, die jetzt bei langfristiger Forum:Theater-Arbeit<br />
weiter verfolgt werden sollten.<br />
Wie sich der Einzelne entscheidet, bleibt ihm überlassen, aber er sieht<br />
zumindest sein Verhalten und sich selbst im Spiegel des anderen.<br />
Entscheidend dafür ist das visuelle Bild, welches er tatsächlich sieht<br />
und nicht nur hört bzw. darüber belehrt wird. Dadurch hat er – möglicherweise<br />
das erste Mal in seinem Leben – alternative Verhaltensweisen<br />
kennenlernen können. (Siehe hierzu auch Kapitel 8. „Wie<br />
Forum:Theater wirkt!“)<br />
15. Die Methode „Der Polizist im Kopf“<br />
Mir war es wichtig, dass die Schüler anhand eines anderen Bildes<br />
noch einmal sehen konnten, wie sehr Moritz auch Opfer war, z. B. in<br />
den Familienszenen, und welche innere Zerrissenheit damit einhergeht.<br />
Augusto Boal hat für die Darstellung dieser Problematik die Metapher<br />
„Polizist im Kopf“ gewählt. Häufig haben wir in Lebenssituationen<br />
mehrere „Polizisten“ in unserem Kopf, die verhindern, dass wir<br />
handeln und adäquat auf eine Situation reagieren. Ursache dafür ist,<br />
dass unterschiedliche Emotionen, Gedanken, Wünsche oder Ängste<br />
im Inneren des Menschen miteinander „im Kampf liegen“ und deshalb<br />
eine eindeutige Reaktion ausbleibt. Da ist etwas in uns, das verbietet!<br />
Dazu spielten wir noch einmal kurz die „Rummelplatzszene“, in der<br />
Moritz nicht mit dem Riesenrad mitfahren durfte. Jetzt „froren“ wir das<br />
Bild des allein wartenden Moritz ein. Welche inneren Gedanken und<br />
Gefühle sehen wir in dieser Situation in ihm? Die Zuschauer konnten<br />
mit einer klaren körperlichen Haltung und einem Satz darstellen, was<br />
sie sahen. Wichtig ist dabei, immer nur einen Gedanken, ein Gefühl<br />
auszudrücken. Es gab drei „Polizist-im-Kopf-Angebote“ aus der Gruppe:<br />
• „Ich bin nichts wert.“<br />
• „Mein ganzes Leben ist vollkommen sinnlos.“<br />
• „Ich bin total wütend.“<br />
Hier zeigte sich die resignierende, depressive, in Not befindliche Seite<br />
Moritz’, aber auch die gefährliche Seite des Täters Moritz.<br />
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5. „Als das Kind in den Brunnen Gefallen war!“ 6. „Wir wissen von nichts!“<br />
16. Abschlussgesprächskreis<br />
Die Zeit schritt voran und alle waren in diesem Konflikt ein großes<br />
Stück weitergegangen. Jetzt war es an der Zeit, zu einem Abschlussgespräch<br />
zu kommen.<br />
- Ich fragte die Klasse, wie sie den Vormittag erlebt hat?<br />
- Was dachten sie jetzt über Moritz und den Konflikt?<br />
- Sollte Moritz wieder in die Klasse kommen oder nicht?<br />
Die Schüler waren in dieser Abschlussrunde sehr aktiv und lebendig.<br />
Haupttenor: Es wäre nicht gut, wenn er wieder in die Klasse käme!<br />
Gründe dafür waren:<br />
• Die Mitschüler haben das Vertrauen verloren.<br />
• Sie haben Angst vor ihm.<br />
• „Ich würde mich nicht sicher fühlen.“<br />
• „Er hat die Grenze überschritten!“<br />
• „Vielleicht will er sich an uns rächen!“<br />
Sie machten Vorschläge bzw. wiesen auf Aspekte des Problems hin:<br />
• Er sollte auf eine andere Schule gehen, da kann er es besser<br />
machen!<br />
• Will Moritz überhaupt in die Klasse zurückkommen?<br />
• „Moritz ist krank! Das kommt von zu Hause.“<br />
• „Wir kennen ihn noch nicht so lange.“<br />
Ganz am Ende unseres anspruchsvollen und lebendigen Projekttages<br />
wies ich noch einmal darauf hin, dass die Schule/Klasse, die Polizei/das<br />
Gericht, das Jugendamt, die Familie und Moritz selbst an der<br />
Lösung dieses schwerwiegenden Konfliktes beteiligt seien und sein<br />
müssten. Jeder der am Prozess Beteiligten müsse seine Verantwortung<br />
wahrnehmen, eine wirkliche Lösung könne es nur im Zusammenspiel<br />
aller Beteiligten geben.<br />
Auch die Schüler müssten ihre eigene Verantwortung sehen und sich<br />
fragen, an welcher Stelle sie ihn provoziert und dazu beigetragen<br />
haben, dass die Situation eskaliert ist. Beratende Gespräche seien<br />
mit dem Jugendamt, den Schulpsychologen oder auch mit mir möglich.<br />
Orientieren könnten sie sich an den „Streitschlichtern“, die es<br />
an ihrer Schule gibt.<br />
Am Ende zeichnete sich deutlich die Tendenz ab, dass die Schüler<br />
und Schülerinnen mehrheitlich dazu neigen, Moritz nicht mehr in die<br />
Klasse aufzunehmen. Tatsächlich haben sie sich später so entschieden.<br />
Der Schüler Moritz wurde nicht der Schule verwiesen, sondern er<br />
besucht fortan die Parallelklasse.<br />
Mobbing gibt es auch in einer intakten Klasse (11/2007)<br />
In diesem Beitrag möchte ich zeigen, wie es geschehen kann, dass<br />
man als Dozent in eine „intakte“ Klasse kommt und plötzlich im Laufe<br />
des Arbeitsprozesses feststellt, dass es in der Klasse ein Mobbing-<br />
Opfer gibt, das von allen mit der „lockersten Selbstverständlichkeit“<br />
und ohne den geringsten Anflug einer kritischen Selbstbefragung<br />
oder Gewissensnot schlechtgemacht wird. Es gilt hier rasch zu reagieren,<br />
da die Schüler ihr Gegenüber mit solch überraschenden „Infos“<br />
auch testen wollen. Auf diese Weise versuchen sie herauszufinden,<br />
wie ernst es der Dozent meint oder ob er jemand ist, der „nur über die<br />
Sache redet und gute Ratschläge gibt“. Bei dieser Klasse erschrak ich<br />
darüber, wie weit sich der Gruppenprozess schon verselbstständigt<br />
hatte. Alle wirkten sympathisch, nett und aufgeschlossen, und dann<br />
kamen mit der größten Selbstverständlichkeit plötzlich die ungeheuerlichsten<br />
Gemeinheiten zur Sprache.<br />
Am Projekttag nahmen 24 Schüler einer 7. Klasse aus einer ostsächsischen<br />
Kleinstadt teil. Die äußeren Bedingungen waren hervorragend,<br />
da wir uns außerhalb der Schule in einer neuen, großzügig<br />
angelegten Stadt- und Kreisbibliothek trafen und mit zwei Dozenten<br />
arbeiten konnten. Es war bereits das dritte Jahr, dass wir mit ein und<br />
derselben Lehrerin und immer neuen Klassen zusammenarbeiteten.<br />
Von der Lehrerin waren die Schüler auf unseren „Konflikte-Tag“ bereits<br />
vorbereitet worden, gemeinsam hatten sie die Kurzgeschichte<br />
62 63
6. „Wir wissen von nichts!“ 6. „Wir wissen von nichts!“<br />
„Wie Licht schmeckt“ gelesen. Darin steht ein Junge im Zentrum, der<br />
mit seinen Gefühlen nicht adäquat umgehen kann. Er lernt ein Mädchen<br />
kennen, das ihn sehr beeindruckt. Allerdings glaubt er, dass<br />
sie sich verstelle, indem sie vorgebe blind zu sein – was aber nicht<br />
der Wirklichkeit entspreche. Das ärgert ihn, er fühlt sich nicht ernst<br />
genommen und entwickelt starke Aggressionen gegen sie. Leider ist<br />
es ihm nicht möglich, das Mädchen, welches tatsächlich blind ist,<br />
anzusprechen.<br />
Erwärmungsphase<br />
In Anlehnung an die Geschichte „Wie Licht schmeckt“ und das darin<br />
vorkommende blinde Mädchen konnten wir Vertrauens- und Erfahrungsübungen<br />
zum Thema „blind<br />
sein“ durchführen. Oft sind die Schüler<br />
mit solchen Übungen überfordert,<br />
hier aber waren sie durch das Lesen<br />
der Geschichte und die Gespräche<br />
darüber sensibilisiert. Wichtig dabei<br />
war, ihre Sinne zu schulen, also das<br />
Auge zu entlasten und sich stattdessen<br />
nur mit den Ohren, anhand des<br />
Geruchs und von Gefühlen zu orientieren.<br />
In Partnerübungen ging es<br />
um Vertrauen, Konzentration, Wahrnehmung<br />
und Kommunikation ohne<br />
Stimme, wobei die Schüler sehr gut<br />
mitmachten.<br />
Statuentheater<br />
Die Geschichte nahmen wir zum Anlass,<br />
um über Vorurteile zu sprechen und<br />
diese bei sich selbst zu entdecken. Daraus<br />
entstand in meiner Gruppe eine sehr spannende,<br />
aber auch überraschende und komplexe Arbeit: Schnell zeigte<br />
sich, dass unser Thema die Mitschülerin T. sein musste. T. war<br />
an diesem Tag nicht Teilnehmerin in meiner Gruppe, sondern in der<br />
meines Kollegen. Die Schüler redeten ständig abfällig über sie und<br />
kamen immer wieder auf sie zurück. „Über Abwesende soll man nicht<br />
reden“, lautet ein Grundsatz meiner Arbeit. Da ich aber wusste, dass<br />
wir später im großen Plenum einander wieder begegnen würden, fand<br />
ich die Arbeit an diesem Thema angemessen und notwendig. Ich forderte<br />
die Schüler daher auf, eine Statue zu ihrer Mitschülerin T. zu<br />
bauen:<br />
• Wie sehen die Schüler die Mitschülerin T.?<br />
• Wie wünschen sie sich die Mitschülerin T.?<br />
Es folgte eine Parade dieser Standbilder. Deutlich wurde die Ablehnung<br />
von T. Bei den Wunschbildern fiel den Schülern kaum etwas ein<br />
bzw. hatten die Bilder eine „unrealistische, lächerlich machende Tendenz“.<br />
Gruppenarbeit<br />
Anschließend bildeten wir zwei Gruppen und jede sollte eine Szene<br />
mit der Schülerin T. darstellen.<br />
Szene 1: Ein Schüler beschimpft T., weil er glaubt, dass sie ihn die<br />
ganze Zeit angucke. Die Lehrerin versucht, den Konflikt zu lösen,<br />
was aber nicht gelingt. In einem ersten Lösungsansatz bittet die<br />
Lehrerin die beiden Schüler nach der Stunde zu einem Gespräch,<br />
aber auch hier verweigert sich der Schüler, der T. beschimpfte.<br />
Szene 2: Es ist Pause, die Schüler bleiben im Klassenraum. Zwei<br />
Mädchen sprechen die Schülerin T. an. Diese schaut weg. Daraufhin<br />
fragt eine der Schülerinnen: „Warum guckst du so komisch?“<br />
Das nimmt der Schüler R. zum Anlass, immer wieder heftig gegen<br />
die Rückenlehne von T. zu treten. Eine Schülerin versucht, ihn<br />
daran zu hindern, es gelingt ihr aber nicht. Jetzt kommt eine Lehrerin<br />
und unterbindet den Streit.<br />
In der kleinen Gruppe probieren die Schüler dazu mehrere Lösungsansätze<br />
aus: Lehrer auswechseln, T. auswechseln, T. sagt etwas etc.<br />
64 65
6. „Wir wissen von nichts!“ 6. „Wir wissen von nichts!“<br />
Plenum aller Schüler<br />
Jetzt trafen wir uns alle wieder im Plenum, und auch die Schülerin T.<br />
nahm daran teil. Ich setzte mich neben sie, da ich wusste, dass es<br />
jetzt um sie gehen würde und ich ihr unterstützend zur Seite stehen<br />
wollte. Ich bat zunächst die andere Gruppe, ihre Szenen vorzustellen.<br />
Hier ging es sowohl um verbale als auch um körperliche Gewalt. T.<br />
spielte keine Rolle, allerdings war sie eine aktive Mitspielerin.<br />
Jetzt mussten wir unsere Szenen vorspielen. Zunächst moderierte ich<br />
und beschrieb den Prozess unserer Gruppe. Ich erklärte, dass sich<br />
während der Arbeit das Thema „Die Schülerin T.“ entwickelt habe und<br />
dass es aus meiner Sicht besser sei, das Thema anzusprechen, als<br />
es unter den Tisch zu kehren. Jetzt fragte ich die Schülerin T., ob sie<br />
damit einverstanden sei, dass wir die Szenen vorspielen und gemeinsam<br />
nach Lösungen suchen. Sie bejahte das.<br />
Wir führten unsere zwei Szenen vor. Sobald die Schüler anfingen zu<br />
spielen, zeigte sich bei ihnen eine unerwartete Ernsthaftigkeit. All<br />
das, was in meiner Gruppe zunächst so locker und selbstverständlich<br />
wirkte, war es plötzlich nicht mehr. Es zeigte sich, dass hier ein Konflikt<br />
unterschwellig wirkte. Das geregelte, öffentliche Spiel hob ihn<br />
aus dem Zustand des Unbewussten an die Oberfläche des Bewusstseins<br />
und machte ihn somit bearbeitbar. Einige Schüler schlugen vor,<br />
Rollen auszutauschen, allerdings mehr aus Gründen der Äußerlichkeiten<br />
(„Weil der bzw. die das besser spielen kann.“).<br />
Jetzt sprachen wir über das Gesehene. Erneut zeigte sich, dass die<br />
Klasse heftige Vorurteile gegen die Schülerin T. hat:<br />
• „Sie stinkt.“<br />
• „Sie zieht fünf Tage dieselben Socken an.“<br />
• „Sie guckt immer weg.“<br />
• „Sie ist schlampig.“<br />
• „Sie ist ungekämmt.“<br />
• „Nach dem Sportunterricht stinkt sie immer.“<br />
Ich bat die Schülerin T. darauf zu antworten, und sie äußerte sich<br />
sehr klar: Es sei doch normal, dass man nach dem Sport etwas unangenehm<br />
rieche. Ich bestätigte das und sagte zudem, dass ich die<br />
ganze Zeit neben T. säße, aber nichts gerochen hätte. Im weiteren<br />
Verlauf des Gesprächs stellte sich heraus, dass T., obwohl sie ständig<br />
gehänselt wird und sich auch körperlich bedroht fühlen musste,<br />
keine Hilfe bei den Lehrern sucht. Sie sagte selbst, dass sie keine<br />
Petze sein wolle. Sie habe einen Sehfehler und manchmal zittere<br />
sie, das liege in der Familie. Deutlich wurde, dass einige Schülerinnen<br />
durchaus gerne Kontakt mit T. aufnehmen würden. Hier läge die<br />
Chance für eine Lösung des Problems. Ich bestärkte die Mädchen darin,<br />
auf T. zuzugehen und etwas gemeinsam mit ihr zu unternehmen,<br />
z. B. einen Kinobesuch.<br />
Auch die Lehrerin bekräftigte, dass sie das Thema aufnehmen werde<br />
und dass es eine Regelung geben müsse. Aus ihrer Sicht sei es wichtig,<br />
gemeinsam ein Regelwerk aufzustellen, in welchem verankert ist,<br />
wie man miteinander umgeht. An diese<br />
Regeln müssen sich alle halten.<br />
Resümee<br />
Wieder einmal war es erstaunlich, wie<br />
gut die Schüler mitmachten. Beiden<br />
Gruppen gefielen die neue Erfahrung<br />
und die Arbeit mit den Konfliktszenen.<br />
Obwohl die von mir geleitete Gruppe<br />
zunächst einen sehr intakten Eindruck<br />
machte, fand ich die Problematik bezüglich<br />
ihrer Mitschülerin T. erschreckend.<br />
Der Tag zeigte aber, dass es<br />
möglich ist, dieses Problem offen anzusprechen.<br />
Dies war nicht zuletzt ein<br />
großes Verdienst der Schülerin T., die<br />
einen wachen, gefühlvollen und kooperativen<br />
Eindruck machte und froh<br />
war, dass ihre Probleme in der Klasse zur Sprache gebracht<br />
wurden.<br />
66 67
7. Wie wirkt Forum:Theater? 7. Wie wirkt Forum:Theater?<br />
Es stellt sich nach diesen vielen praktischen Beispielen die Frage, wie<br />
es der Methode des Forum:Theaters gelingt, eine Wirkung zu erzielen.<br />
Was ist das Besondere an der Forum:Theater-Methode?<br />
1. „Denn wir wissen nicht, was wir tun“ – Unser Tun ist meist<br />
durch unbewusste Handlungen geprägt<br />
Ausgangspunkt für unsere Erfahrungen im Schulalltag ist die Beobachtung,<br />
dass sich Verhaltensweisen von Schülern und Lehrern in<br />
der Regel verselbstständigen und sich zu einem gewissen Muster<br />
verfestigen. Es gibt ein bestimmtes Klassenbild, und innerhalb der<br />
Klasse haben sich ziemlich klare Rollenverteilungen (der Redner, der<br />
Reinquatscher, der Zuspätkommer, die Zicke, der Klopper, der Angeber,<br />
der Schwänzer, der Verteidiger, der Hausaufgabenvergesser, der<br />
Außenseiter etc.) entwickelt.<br />
Erfahrungen aus dem Elternhaus, dem gesellschaftlichen Umfeld,<br />
dem Freundeskreis und dem Freizeitverhalten fließen in den Schulalltag<br />
ein und beeinflussen den Unterrichtsverlauf und das Verhalten<br />
des einzelnen Schülers und Lehrers. So ist die Atmosphäre unterschwellig<br />
oft angefüllt mit Verdrängungen, Aggressionen und Enttäuschungen,<br />
von denen sich die Beteiligten befreien wollen und müssen<br />
und die dann in Form von Konflikten (lat. conflictus: Zusammenstoß/<br />
Kampf) sichtbar werden.<br />
Das System Schule hat für die Klärung bzw. Lösung dieses Sachverhaltes<br />
keine wirklichen Methoden entwickelt. Als normative Instrumente<br />
wurden bisher das Betragen (Sozialverhalten) und die Bewertung<br />
durch Noten eingesetzt. Früher reichte das in der Regel aus, um dem<br />
Lehrer das Arbeiten zu ermöglichen und die Schüler zum Mitmachen<br />
oder Aussteigen zu motivieren. Diese beiden Instrumente scheinen<br />
mir heute aber nicht mehr ausreichend zu sein. Viele Schüler haben<br />
diese Normen – in der Regel werden sie durch die Familie gesetzt –<br />
nie kennengelernt und können sie somit weder verinnerlichen noch<br />
interessieren sie sich dafür.<br />
2. Ein lebendiges Bild sehen<br />
Dem Theater ist es seit 2500 Jahren generell gemäß, wesentliche<br />
menschliche und gesellschaftliche Ereignisse in die Gegenwart<br />
zu holen und sie dadurch bewusstseinsfähig zu machen. Das<br />
Forum:Theater verstärkt diese Fähigkeit, indem der Teilnehmer selbst<br />
auf der Bühne aktiv wird. Ein Geschehen, das, wie eben beschrieben,<br />
normalerweise unbewusst und ohne Reflexion abläuft, wird erneut<br />
erinnert und noch einmal ohne moralischen Zeigefinger in Bezug zur<br />
Gegenwart gestellt. Alle Beteiligten werden dadurch in die Lage versetzt,<br />
sich eine eigene Meinung von dem Geschehen zu bilden. Ein<br />
lebendiges Bild (Standbild; selbst erlebte<br />
Konfliktszene, dargestellt in einer<br />
Theaterform) hat gegenüber dem<br />
rein verbalen Austausch ungeahnte,<br />
nachhaltig wirkende Vorzüge: Es ergreift<br />
den Betrachter über den starken<br />
Sinneseindruck des Sehens, er<br />
kann sich ihm nur schwer entziehen.<br />
Da er selbst aktiv am Bildgeschehen<br />
beteiligt ist und somit Teil des Bildes<br />
ist, hat er dazu ein sehr persönliches<br />
Verhältnis – denn es ist sein eigenes<br />
Bild. Dadurch wird es ihm möglich,<br />
sich aktiv einzubringen.<br />
3. Sich ein Bild machen<br />
Was passiert, wenn ich von einem Ereignis,<br />
an dem ich beteiligt war, ein<br />
Bild erhalte und es mir erneut ansehen kann?<br />
1. Ich sehe das Abbild des Geschehens<br />
Das von mir erlebte Ereignis ist nicht mehr ein der Normalität<br />
zuzuordnendes Geschehen, sondern es wird aus dem Alltag herausgeholt.<br />
Es wird durch das Abbild „angehalten“. Mein Erlebnis<br />
wird beobachtbar. Damit wird es als wieder Holbares und Wiederholbares<br />
erfahren. Es wird aus seiner Einmaligkeit herausgerissen<br />
und erneut in den Lauf der Zeit gestellt. Vergangenheit<br />
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7. Wie wirkt Forum:Theater? 7. Wie wirkt Forum:Theater?<br />
und Gegenwart können sich begegnen (ich erlebe das Vergangene<br />
mithilfe des Abbildes heute und kann es mit heutigen Augen<br />
betrachten).<br />
2. Das Bild wird plastisch<br />
Durch die Wiederholbarkeit gewinnt das Bild an Plastizität, es<br />
verliert seine dramatischen oder auch spektakulären Züge. Handlungszusammenhänge<br />
werden erahnbar bzw. sichtbar, dadurch<br />
können Hintergründe deutlich werden.<br />
3. Jedes Bild enthält Polaritäten<br />
Die Eigenart jedes Bildes ist, dass es aus mehreren Polaritäten<br />
besteht. Jedes Bild hat ein Zentrum, meist ist das das Geschehen<br />
in der Bildmitte. Es hat außerdem unterschiedliche Farben, d. h.<br />
übertragen auf eine Forum:Theater-Szene werden verschiedene<br />
Haltungen (Mitläufer, Außenseiter, aktiv Beteiligte, kritische Beobachter<br />
etc.) sichtbar, wodurch das Bild wiederum Linien bekommt<br />
und Akzente gesetzt werden. Genau diese Differenzierungen<br />
werden im Forum:Theater anschaulich gemacht.<br />
4. Viele Protagonisten – Zum Protagonisten werden<br />
Die dargestellte Szene (meist ein Konflikt) kann von allen Teilnehmern<br />
unter anderen Gesichtspunkten gesehen werden. Jeder<br />
Einzelne kann sich und sein Verhalten beobachten, und indem er<br />
das Geschehen neu gestaltet, hat er die Möglichkeit, selbst zum<br />
Protagonisten zu werden.<br />
4. Das Bild verändern<br />
Nachdem die notwendigen Schritte – „ein lebendiges Bild sehen“<br />
und „sich ein Bild machen“ – im Forum:Theater durch die Erwärmungsphase,<br />
die Standbilderphase, die Konflikt-sammlungsphase,<br />
die Probenphase und die Präsentation umgesetzt wurden, kommt der<br />
entscheidende Punkt – auch für den Pädagogen: Die Beteiligten müssen<br />
sich zu dem Bild äußern, indem sie sich in einer bestimmten Weise<br />
verhalten. Das bestehende Bild muss verändert werden, damit es<br />
seine „Macht“ verliert und damit sichtbar wird, dass es auch andere<br />
Entwicklungs- und Handlungsabläufe geben kann. Vieles davon kann<br />
der Pädagoge, wenn er den Weg bis hierher in aller Offenheit, Partizipation<br />
und Klarheit gegangen ist, schon erreicht haben. Denn allein<br />
die Tatsache, dass diesen Konflikten ohne moralische Besserwisserei<br />
so viel Zeit und Raum eingeräumt wird, hat eine klärende und befreiende<br />
Wirkung auf die Teilnehmer. Nichtsdestotrotz stehen jetzt unsere<br />
Moral- und Wertvorstellungen im Vordergrund und fließen in den<br />
Arbeitsprozess ein. Was wollen die Beteiligten? Wünschen sie eine<br />
Veränderung? Wie könnten diese Veränderungen aussehen?<br />
Dieser Prozess darf nicht forciert werden. Er muss aus der Gruppe<br />
heraus entstehen.<br />
Es gibt hierfür Ausnahmen, wenn z. B. eine Regelverletzung so stark<br />
ist, dass die Autorität und die Wertvorstellungen des Pädagogen auf<br />
den Plan gerufen werden müssen bzw. eine Strafe ausgesprochen<br />
werden muss. In der Regel handelt es sich aber um eingeschliffene<br />
Verhaltensweisen (siehe Kapitel 1), und die vermag kein moralischer<br />
Hinweis zu verändern. An dieser Stelle ist sehr stark „das Fingerspitzengefühl“<br />
des Pädagogen gefragt, denn es ist möglich, dass ihm<br />
plötzlich alle Türen wieder verschlossen werden, die er im bisherigen<br />
Prozess mühsam bei den Teilnehmern öffnen konnte.<br />
Zumeist besteht für den Pädagogen in dieser Arbeitsphase die Aufgabe,<br />
Handlungshilfen und Trainingsmethoden zur Verfügung zu<br />
stellen. Hierbei muss er zum einen Probentechniken einsetzen, die<br />
das Spiel und den Konflikt verdeutlichen und verändern können, zum<br />
anderen ist er jetzt als Mensch, Pädagoge und Psychologe gefragt,<br />
denn es beginnt eine offene und unbekannte Arbeitsphase, in der<br />
er improvisieren, reagieren und unterstützen muss. Die Methoden<br />
der Probentechniken wurden in den Berichten dargestellt, sie werden<br />
hier noch einmal kurz zusammengefasst:<br />
1. Rollenwechsel<br />
„Der Täter“ spielt nicht sich selbst, er ist entweder der Regisseur<br />
der Szene, der Beobachter oder einer der anderen Teilnehmer.<br />
2. Wechsel in der Spielweise<br />
Die Spielszenen brauchen eine Form, sonst verlieren sie ihren<br />
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7. Wie wirkt Forum:Theater? 7. Wie wirkt Forum:Theater?<br />
Bildcharakter und werden zu chaotisch. Folgende Möglichkeiten<br />
gibt es:<br />
- in Zeitlupe spielen<br />
- stumm als Pantomime spielen<br />
- mit wenigen Worten (3–5) spielen<br />
- die Spielweise vergrößern<br />
3. Probentechniken<br />
- eine Spielszene wieder in ein Standbild zurückversetzen<br />
- mit drei Wünschen das Bild verändern<br />
- ein neuer Regisseur darf das Bild anders gestalten<br />
- „Stoppe und denke nach! Was fällt dir jetzt in diesem Mo-<br />
ment ein?“<br />
- einen „inneren Monolog“ über die Person, die ich spiele,<br />
führen etc.<br />
- Hilfs–Ich(e) einsetzen<br />
- die Szene davor entwickeln<br />
- die Szene danach entwickeln<br />
- mehrere neue Szenen entwickeln (zu Hause, Begegnung in<br />
der Freizeit, Begegnung in zehn Jahren etc.)<br />
In den meisten Fällen gibt es in der Anwendung dieser Mittel kein<br />
Richtig oder Falsch. Die Vorschläge der Teilnehmer sprechen für sich<br />
selber. Sie dokumentieren den Ist-Stand der Gruppe, der Klasse und<br />
der Teilnehmer und ihre Konfliktfähigkeit sowie ihr Bedürfnis nach<br />
Lösungen. Daher sollten die Vorschläge nebeneinander stehenbleiben<br />
und die Teilnehmer aufgefordert werden, selbst zu entscheiden,<br />
welche davon sie bevorzugen.<br />
Der Einzelne tritt aus seiner Rolle<br />
Dieser Teil der Arbeit ist der schwierigste, denn er erfordert von den am<br />
Konflikt Beteiligten ein Heraustreten aus ihrer Rolle. Bisher war der Arbeitsprozess<br />
vor allem ein Gruppenprozess, und der Einzelne konnte<br />
sich innerhalb der Gruppe sicher fühlen, sich zurückhalten oder auch<br />
hervortreten. Jetzt ist er anders gefordert: Er muss vor die Klasse treten<br />
und als Individuum einen neuen Vorschlag erproben. Damit macht er sich<br />
angreifbar und verliert möglicherweise die Anerkennung der Gruppe.<br />
Hier liegt eines der Hauptprobleme, warum viele Änderungsvorschläge<br />
für den Pädagogen oft unbefriedigend sind. So wird häufig von<br />
Schülern ein anderes Lehrerverhalten vorgestellt (gewünscht) – autoritär,<br />
grob, strafend. Mit diesen Wünschen geben die Schüler unbewusst<br />
alle Verantwortung ab. Genau das könnte dann in der weiteren<br />
Arbeit mit dem anwesenden Lehrer thematisiert werden.<br />
Die Ebene des Spiels hilft dem Einzelnen, aus seiner Rolle herauszutreten<br />
Das Theater hat einen weiteren wesentlichen Vorteil, und das ist seine<br />
Spielebene. Diese ermöglicht es dem Einzelnen im geschützten<br />
Rahmen eines Spiels, seine Ideen als individuelle Persönlichkeit vor<br />
anderen auszuprobieren. Das, was die Klasse im normalen Unterricht<br />
sanktionieren würde, kann sich hier plötzlich als Fantasie, als Idee<br />
oder als Wunsch des Unbewussten entfalten. Es geht also für den Pädagogen<br />
auch darum, diese Spielebene zu bewahren und den Schülern<br />
das sich an der Realität orientierende Forum:Theater auch als ein<br />
„spielerisches, soziales Erprobungslaboratorium“ zu vermitteln.<br />
5. Forum:Theater ermöglicht die Arbeit an einer Bilderserie<br />
So lernen die am Prozess Teilnehmenden, sich zu den Bildern zu verhalten.<br />
Jeder Einzelne kann für sich im Schutz des „spielerisch sozialen<br />
Erprobungslaboratoriums“ wählen und entscheiden, welche Lösungen<br />
er bevorzugt. Damit bietet Forum:Theater dem Individuum die<br />
Möglichkeit, sein Ich im Schutz und mithilfe der Gruppe zu stärken.<br />
Ich-Stärkung ist ein wesentlicher und notwendiger Prozess auf dem<br />
Entwicklungsweg des Jugendlichen. Der Einzelne kann damit positiv<br />
auf sein Umfeld einwirken – sowohl in der Phase, in der der Konflikt<br />
zu eskalieren droht, wie auch in der Phase danach, in der es darum<br />
geht, neue Lösungen und Umgangsformen zu entwickeln.<br />
Der Pädagoge muss deutlich machen, dass wir selbst für unsere Bilder<br />
verantwortlich sind. Sie kommen nicht von alleine auf uns zu,<br />
sondern wir können sie gestalten. Dazu müssen wir wissen, was wir<br />
wollen und versuchen es umzusetzen.<br />
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8. Kompetenzen des Spielleiters im Forum:Theater 8. Kompetenzen des Spielleiters im Forum:Theater<br />
Für viele Teilnehmer<br />
ist die Methode des<br />
Forum:Theaters gänzlich<br />
neu. Es ist wichtig, dass<br />
sie wiederholt eingesetzt<br />
wird, damit alle Beteiligten<br />
lernen, diesen lebendigen<br />
„Konfliktmuskel“<br />
zu trainieren.<br />
1. analytische Kompetenz<br />
2. Theaterkompetenz<br />
3. psychologische und moderierende Kompetenz<br />
1. Analytische Kompetenz<br />
1.1 Was geschieht in der Szene?<br />
Beschreiben Sie, was Sie gesehen haben!<br />
Strukturieren Sie, was Sie gesehen haben!<br />
Vermeiden Sie vorschnelles Bewerten!<br />
1.2 Was können Sie über den Täter in der Szene sagen?<br />
1.3 Was können Sie über das Opfer in der Szene sagen?<br />
Können Sie Anteile eines Opfers im Täter erkennen?<br />
Können Sie Anteile eines Täters im Opfer erkennen?<br />
1.4 Beschreiben Sie die anderen anwesenden Personen!<br />
1.5 Welche Funktion übernehmen diese?<br />
1.6 Erstellen Sie ein Soziogramm des Beziehungs- und Konflikt-<br />
geflechts!<br />
2. Theaterkompetenz<br />
2.1 Wie ist mein Verhältnis zum Theater?<br />
Warum möchte ich mit den Mitteln des Theaters arbeiten?<br />
Bin ich auch selbst bereit zu spielen?<br />
2.2 Szenischer Aufbau/Nutzung des Raumes<br />
Dramaturgie, Verständlichkeit der Szene, Bildhaftigkeit<br />
2.3 Deutlichkeit der Figuren und ihrer Haltungen zum Gesamtge-<br />
schehen<br />
Typisierung von Figuren, Hervorhebung/Akzentuierung<br />
2.4 Deutlichkeit des Konflikts<br />
2.5 Klarheit, Kürze und Verständlichkeit des Dialogs<br />
2.6 Hilfsmittel wie Kostüme, Requisiten, Bühnenelemente u. a.<br />
2.7 Spiellust, Engagement, Kreativität aller Teilnehmer<br />
3. Psychologische und moderierende Kompetenz<br />
3.1 Zusammensetzung der Gruppe unter sozialen Gesichtspunk-<br />
ten<br />
- Aktivität/Energie<br />
- Klassenstandbild/Gruppenbildung/<br />
Verhältnis Jungen – Mädchen<br />
- Gibt es Personen, die Orientierung bieten?<br />
- Rollenverteilung (Mitläufer, Außenseiter, Meinungsmacher,<br />
„Alpha-Tiere“ etc.)<br />
- Gruppendynamik<br />
- Unterschiedliche Interessenlagen<br />
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8. Kompetenzen des Spielleiters im Forum:Theater 9. Glossar/Übungsbeispiele<br />
3.2 Motivation der Teilnehmer<br />
3.3 Wünsche der Teilnehmer<br />
Sehen sie Konflikte, leiden sie darunter, wünschen sie eine<br />
Änderung?<br />
3.4 Ziele der Teilnehmer<br />
3.5 Aufgabe für den Dozenten<br />
Schaffung einer Win-win-Situation für alle<br />
3.6 zur Verfügung stehende Instrumente<br />
gute Laune, gemeinsame Zielvorstellung, Druck, Moral etc.<br />
3.7 Anleitung der Szenen: Wie motiviere ich das Publikum dazu,<br />
einzugreifen?<br />
Wie verhindere ich eine Dominanz des Jokers?<br />
Walter Henckel<br />
Das Glossarium soll Ihnen helfen, unbekannte Begriffe zu verstehen<br />
und Sie neugierig auf das Forum:Theater zu machen. Es kann nur ein<br />
erster Einstieg sein. Ich verweise hier insbesondere auf: Augusto Boals,<br />
Theater der Unterdrückten, Übungen und Spiele für Schauspieler<br />
und Nichtschauspieler, Frankfurt am Main 1989.<br />
AUGUSTO BOAL<br />
Geboren 1931 in Rio de Janeiro, Begründer des Forumtheaters und<br />
anderer Theaterformen der Partizipation<br />
BILDERTHEATER/STATUENTHEATER<br />
Es bietet die Möglichkeit, die Meinung des Einzelnen in Bildern ausgedrückt<br />
zu sehen und die Stimmung in der Gruppe herauszuarbeiten.<br />
Diese von Augusto Boal entwickelte Technik ist unser Schlüssel<br />
zu Themen, die später szenisch aufgearbeitet werden können.<br />
Wir arbeiten mit:<br />
Realbild – die wirkliche Situation<br />
Idealbild – was wir uns wünschen<br />
Übergangsbild – der Weg zum Ideal<br />
Der sogenannte Jahrmarkt der Bilder ist eine Bildfolge mit Musik, die<br />
eindrucksvoll und nonverbal von der gefühlten Jetzt-Situation zeugt.<br />
ARBEIT MIT STANDBILDERN<br />
• In der Regel arbeiten zwei Menschen bei diesem Übungsteil<br />
zusammen: Der eine „verwendet“ den anderen als Material<br />
und baut aus ihm eine Skulptur (Statue). Diese Statuen wer-<br />
den als Grundlage für Themen und Problemstellungen genutzt.<br />
Das Arbeiten mit Statuen eignet sich sehr gut als Einstieg in<br />
das Forum:Theater.<br />
• Es entsteht ein kommunikatives Arbeiten zwischen Bildhauer<br />
und Objekt (zwei Personen).<br />
• Es wird ein thematischer Einstieg gefunden: alltägliche Situati-<br />
onen der Teilnehmer,<br />
• allgemeine und besondere Themen, Konfliktsituationen.<br />
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9. Glossar/Übungsbeispiele 9. Glossar/Übungsbeispiele<br />
• Fixierung von Haltungen, Mimik, Gestik, Beziehungen, Wahrn-<br />
ehmungen<br />
• die Schaffung einer Gesprächsgrundlage<br />
• die Möglichkeit, allgemeine Verhaltensweisen abzuleiten<br />
• die Einbeziehung von immer größeren Teilen der Gruppe (Grup-<br />
penstandbilder)<br />
TECHNIKEN DES STATUENBAUS<br />
• Zweierübung: „Führen und Folgen“ oder „Die magische Hand“:<br />
Der Geführte muss der Handfläche des Partners „magisch“ mit<br />
seiner Nasenspitze folgen, nie sollte sich der Abstand zwi-<br />
schen Nase und Hand verringern. Beide Spieler bewegen sich<br />
durch den Raum. Der Geführte muss allen Bewegungen des An-<br />
führers folgen.<br />
Dann werden die Rollen gewechselt. Nach einer Weile, wenn<br />
sich beide „eingespielt“ haben, wird eine imaginäre Verbin-<br />
dung zu anderen Körperteilen hergestellt. Jetzt hält der Anfüh-<br />
rer seine Hand dicht an die Schulter, dies ist die neue Verbin-<br />
dungslinie zwischen beiden: Hand und Schulter. Der Geführte<br />
folgt der Hand mit seiner Schulter, dann wechselt der Anführer<br />
zum Knie, zum Po, zur Zehenspitze – immer folgt der Partner<br />
dieser neuen Aufforderung. Es handelt sich hierbei um ein<br />
nonverbales Kommunizieren, und genau das ist der Sinn: Wir<br />
verständigen uns ohne Sprache und direkten Körperkontakt,<br />
und doch bringe ich meinen Partner dazu, dass er genau das<br />
macht, was ich möchte. Mit diesem Spiel habe ich die Technik<br />
erworben, eine Statue ohne Sprache und Körperkontakt zu<br />
bauen. Möchte ich beispielsweise, dass mein Gegenüber den<br />
Kopf senkt, dann gehe ich mit meiner Hand ca. 15 cm vor seine<br />
Stirn und beuge die Hand nach unten, sodass er folgen muss.<br />
• Generell ist es wichtig, ohne Sprache zu arbeiten. Sollten Sie<br />
wenig Zeit haben, dann können Sie die Statue auch mit direk-<br />
tem Körperkontakt formen.<br />
DAS FORUMTHEATER<br />
In Form eines sehr kurzen Vortrags mit geeigneter Visualisierung werden<br />
Motive, Entstehung und die Person Augusto Boals beschrieben.<br />
Die Begriffe KONFLIKT, PROTAGONIST, ANTAGONIST und JOKER sollen<br />
erklärt werden (siehe dazu Literaturliste unter Augusto Boal).<br />
ERWÄRMUNG<br />
Hier handelt es sich um Übungen, die der Gruppe helfen, ihre Vorurteile<br />
und ihre Skepsis zu überwinden. Es erfolgt eine Annäherung an<br />
den Spielleiter und an die Menschen,<br />
mit denen man im Projekt anders umgehen<br />
soll als gewohnt. Die Übungen<br />
dieser Phase sollen „entautomatisieren“,<br />
also Bewegungsabläufe infrage<br />
stellen, um neue Möglichkeiten zu<br />
entdecken. Die Erwärmungsphase ist<br />
ein unverzichtbarer Teil der Arbeit<br />
mit dem Forum:Theater, da sie uns<br />
ermöglicht, in die andere Welt des<br />
Spiels, des Ausdrucks, der Sinne, der<br />
Körperlichkeit, des Miteinanders zu<br />
gelangen.<br />
FORUM<br />
Die Spielregeln werden allen Beteiligten<br />
erklärt. Die Gruppen zeigen ihre<br />
Szenen und die Zuschauer greifen<br />
ein. Ein einzelner Zuschauer kann die Handlung durch ein<br />
lautes STOPP anhalten. Dann sagt er, wen er spielen möchte<br />
und wo die Spielszene wieder beginnen soll. Die Mitspieler stellen<br />
sich auf das neue Spielangebot im Rahmen ihrer Rolle ein.<br />
Zum Forum gehört auch die Auswertung der Varianten, um sinnvolle<br />
und wirkungsvolle Lösungen herauszustellen. Die Beteiligten klären,<br />
warum bestimmte Lösungsmodelle nicht funktionieren. Das Forum<br />
kann öffentlich sein.<br />
INTROSPEKTIVE METHODEN<br />
Im Zuge seiner Erfahrungen in Westeuropa erweiterte Augusto Boal<br />
seit den 80er Jahren seine Methode um introspektive Anteile. In<br />
den westeuropäischen Demokratien ist eine eindeutige Zuweisung<br />
78 79
9. Glossar/Übungsbeispiele 9. Glossar/Übungsbeispiele<br />
in Unterdrücker und Unterdrückter (Protagonist/Antagonist) – wie<br />
es in vielen autoritären bzw. diktatorischen Systemen noch möglich<br />
ist – problematisch geworden. Das einzelne Individuum trägt immer<br />
auch Täter-/Opferanteile bzw. sowohl Anteile des Unterdrückers als<br />
auch des Unterdrückten in sich. Die introspektiven Anteile spielen<br />
eine große Rolle bei Konflikten und ihrer Bewältigung. Sie sind dem<br />
Spieler meistens unbekannt. In den Spielszenen können sie von den<br />
Zuschauern wahrgenommen werden. Diese Wahrnehmungen werden<br />
durch neue Spielfiguren, die die bisherigen Konfliktszenen ergänzen,<br />
ausgedrückt und in speziellen Methoden weiterentwickelt, z. B.:<br />
1. Regenbogen der Wünsche<br />
2. Polizist im Kopf<br />
3. Das Analytische Bild<br />
4. Rashomon<br />
Diese Methoden sind zum großen Teil dem Psychodrama und der Pädagogik<br />
von Boals Freund Paulo Freire entlehnt und von Boal weiterentwickelt<br />
worden. Sie verlangen ein komplexes Wissen und eine<br />
große Menschenerfahrung, denn sie betreten häufig den Bereich der<br />
Therapie, d. h. den Seelenbereich des einzelnen Menschen.<br />
JOKER – SPIELLEITER<br />
Boal nennt den Spielleiter Joker. Der Joker hat die Aufgabe, für eine<br />
bestimmte Gruppe und ihr gewähltes Problem gemeinsam mit den<br />
Spielern eine adäquate Darstellungsform zu entwickeln. Er stellt an<br />
jedem konkreten Beispiel exemplarisch das Wesen der Methode, ihre<br />
Regeln und Ausdrucksmittel heraus. Der Joker vermittelt zwischen<br />
den Zuschauern und den Spielern.<br />
Über welches Basiswissen und über welche Fähigkeiten sollte der<br />
Joker verfügen?<br />
• Klarheit der Methode: Der Joker bewegt sich im Zwischenbe-<br />
reich von künstlerisch-theatralischer und pädagogisch-psycho-<br />
logischer Arbeit. Er muss für die Abgrenzung und die Verbin-<br />
dung der Bereiche sensibilisiert sein.<br />
• Erfahrungen als Spielleiter/Spielpädagoge: Der Joker ist Grup-<br />
penleiter. Er organisiert die Form der Begegnung zwischen den<br />
Spielern. Damit beeinflusst er den Prozess der Gruppenbil-<br />
dung. Seine Kenntnisse zu Gruppenprozessen und seine Erfah-<br />
rungen mit Gruppen sind unerlässlich.<br />
• Persönlichkeit, ästhetisches Verständnis: Der Joker transpor-<br />
tiert Inhalte, die er mit den Spielern auswählt, spielbar macht<br />
und für die er neue Handlungsmuster entwirft. Das setzt vor-<br />
aus, dass er verantwortlich handelt, demokratische Mitbestim-<br />
mung seitens der Spieler und später der Zuschauer unbedingt<br />
zulässt und dass er ein Gespür für die Wirksamkeit von Szenen<br />
entwickelt.<br />
PARTNERÜBUNGEN<br />
An die Übung in der großen Gruppe schließen sich häufig Partnerübungen<br />
an. Sie haben das Ziel, Vertrauen, Rücksichtnahme, Kontakt,<br />
Wahrnehmung, Verantwortung und Freude zu vermitteln und schulen<br />
so das Miteinander. Wichtig ist häufig, dass die Übungen einen spielerischen<br />
Charakter haben.<br />
PROBENTECHNIKEN<br />
Die Zuschauer sagen, was sie auf der Bühne gesehen haben. Daraus<br />
ergeben sich Fragen zu den Szenen, die mithilfe von Probetechniken<br />
geklärt werden können.<br />
Der Spielleiter bietet folgende Techniken an (wiederum original nach<br />
BOAL):<br />
• stummes Spielen<br />
• spielen in doppeltem Tempo<br />
• innerer Monolog<br />
• spielen in Zeitlupe<br />
• Fragen des Publikums innerhalb der Rolle beantworten u.a.<br />
Die Gruppen haben Zeit, die Verbesserungsvorschläge umzusetzen<br />
(siehe dazu auch Kapitel 7: Wie wirkt Forum:theater?).<br />
SOZIOGRAMM<br />
Einer der Teilnehmer gruppiert die anderen Teilnehmer um sich herum,<br />
die räumliche Distanz entspricht dabei der jeweils dargestellten<br />
80 81
9. Glossar/Übungsbeispiele 10. Stimmen zum Forum:Theater<br />
Beziehung (verwendbar als Probentechnik beim Klassenstandbild<br />
oder bei der Bearbeitung eines Konflikts, um die Rolle und die Beziehungen<br />
des Täters/Opfers in der Klasse zu beleuchten).<br />
In der weiteren Arbeit (introspektive Methoden) kann der Teilnehmer<br />
auch die anderen Teilnehmer als Stellvertreter der für ihn wichtigsten<br />
Bezugspersonen einsetzen.<br />
SZENEN FINDEN UND PROBEN<br />
Die Schüler oder Pädagogen erzählen in Kleingruppen ihre Konfliktszenen.<br />
Die für das Spiel interessanten und geeigneten werden ausgesucht<br />
und in Kleingruppen geprobt. Der Spielleiter berät und unterstützt<br />
die Jugendlichen oder Erwachsenen bei der theatralischen<br />
Umsetzung. Für die Umsetzung werden Musik, Kostüme oder Requisiten<br />
angeboten.<br />
ÜBUNGEN IM KREIS<br />
Übungen im Kreis sind ein sehr guter Einstieg, da alle Beteiligten im<br />
gemeinsamen Zusammenspiel beschäftigt sind.<br />
Der Klatschkreis (in Varianten)<br />
Ein Klatschen wird an den Nachbarn weitergereicht. Das Klatschen<br />
wandert im Kreis.<br />
Aufgaben:<br />
- gleiches Tempo halten<br />
- beschleunigen<br />
- sich anschauen, das Klatschen abnehmen<br />
- Richtungswechsel<br />
- mehrere Klatscher<br />
- den direkten Nachbar mit einem Doppelklatschen überspringen<br />
- ein Klatschen zu einem Partner quer durch den Raum geben<br />
- eine Bewegung mit einem Körperteil ausführen, damit einen an-<br />
deren im Kreis treffen, dieser reagiert pantomimisch<br />
Bei dieser Wahrnehmungsschulung zeigt sich häufig, dass es belebend<br />
ist, von einer Grundübung auszugehen und diese in Varianten<br />
weiterzuentwickeln.<br />
„Die Darstellung des Klassenbildes spiegelte für mich die Realität<br />
der Klassensituation wider und bestätigte mir eine Rangordnung. Die<br />
Schüler würden die Situation gern ändern, wenn sie den Mut dazu<br />
hätten. Ich fand es sehr gut, dass Sie die momentanen Probleme sofort<br />
aufgegriffen und mit den Schülern so gesprochen haben.<br />
Ebenso war für alle die Biografie des Aussteigers aus einer Szene interessant.<br />
Alle hörten zu. Es bewegte sie. Besonders deutlich konnte<br />
ich das bei T. beobachten. Sie war erschüttert. … Wir gehen nachdenklich<br />
ins Wochenende.“<br />
Anke J., Lehrerin an einer Lern- und Förderschule<br />
„Wenn man mal mit Aussiedlern redet, dann sind die ganz zugänglich.<br />
Man müsste mal ein Fest organisieren, wo man die andere Kultur<br />
kennenlernt oder Fußball spielen mit gemischten Mannschaften.“<br />
Schüler einer Mittelschule<br />
„Die Schüler kannten diese Methode der Konfliktbewältigung nicht.<br />
Für mich selbst war es spannend zu erfahren, dass dies der beste<br />
Weg war, mit der Klasse zu einer Lösung zu finden. Alle anderen Klärungsversuche<br />
wären nur in endlosen Diskussionen geendet. Dadurch,<br />
dass die Schüler ihre eigenen Situationen dargestellt haben,<br />
erhielten sie einen anderen Blick auf das Problem und erkannten sich<br />
selbst auch viel besser.“<br />
Birgit S., Lehrerin an einer Mittelschule<br />
„An der Methode Augusto Boals interessiert und beglückt mich die<br />
Offenheit des theaterpädagogischen Ansatzes. Ein überschaubares<br />
Grundraster – das sicherlich nicht so einfach zu handhaben ist – verwandelt<br />
sich in einen kreativen Prozess, in dem alle zu Mitwirkenden<br />
und Handelnden werden. Jeder kann sich in diesem Prozess auf seine<br />
Art einbringen, während die Gesamtgruppe – angeleitet durch den<br />
Dozenten/Joker – für die Qualität der gemachten Erfahrungen verantwortlich<br />
ist. Dadurch ermöglicht Boals Methode ein fruchtbares<br />
Wechselspiel zwischen Ich und Gruppe.“<br />
Walter H., Dozent<br />
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10. Stimmen zum Forum:Theater 10. Stimmen zum Forum:Theater<br />
Ein Junge, der ständig geärgert wird: „ Du musst mich nicht so nachmachen,<br />
so bin ich gar nicht!“ Am Ende des Projekttages findet der<br />
Junge gut, dass das Problem einmal offen angesprochen wurde.<br />
Schüler einer Mittelschule<br />
Am Anfang: „Spielt ihr gerne Theater?“ – „Nö, nicht so!“ Am Ende:<br />
„Macht euch das Spaß?“ – „Ja!“<br />
Schüler einer Lern- und Förderschule<br />
„Die Schüler zeigen sich zunächst skeptisch, die Übungen und Spiele<br />
sind ihnen offenbar ganz fremd. Erstaunlich schnell lassen sie sich<br />
jedoch darauf ein und entwickeln rasch Spielfreude. Obwohl beim<br />
Einstieg in die Arbeit mit Konfliktstatuen zunächst viele Schüler behaupten,<br />
sie hätten sich noch nie unter Druck gefühlt, bringen sie<br />
nach und nach ihre persönlichen Erlebnisse ein. Beeindruckend offen<br />
und ernsthaft arbeiten sie z. B. an der Szene zum Überfall an der<br />
nächtlichen Haltestelle und benennen dabei auch Gefühle wie Angst<br />
und Ohnmacht, die sie anfänglich ausgeblendet haben.“<br />
Kerstin R. Dozentin<br />
„Bereits zum dritten Mal arbeiteten wir mit Pädagogen des Theaterpädagogischen<br />
Zentrums Sachsen zum Thema „Faustrecht“ zusammen.<br />
Unproblematisch gestaltete sich die Organisation der Veranstaltungen.<br />
Rücksprachen und Absprachen mit den Theaterpädagogen<br />
klappten.<br />
Den Schülern unserer 7. Klassen gefiel diese andere Art von „Theater“,<br />
besonders das langsame Herantasten an das Spiel. Ohne es zu<br />
bemerken, wurden die Kinder dem eigentlichen Ziel gegenüber aufgeschlossen,<br />
motiviert und vorbereitet.<br />
Diese andere Möglichkeit, sich mit aktuellen eigenen Problemen<br />
auseinanderzusetzen, beeindruckte die Schüler. Oft spiegelte sich<br />
Erstaunen auf den Gesichtern darüber wider, wie einzelne „stille“<br />
Schüler in „laute“ Rollen schlüpfen konnten, diese verkörperten und<br />
damit die Wirklichkeit abbildeten.<br />
Ehrlich und offen setzten sie sich mit Konflikten innerhalb der Klasse<br />
auseinander. Die Jungen und Mädchen zeigten sich schon betroffen<br />
darüber, wie sie mit bestimmten Klassenkameraden umgehen.<br />
Es war so, als ob sie sich selbst in den kurzen Sequenzen einen Spiegel<br />
vorhielten. Die absolute Rücknahme des Lehrers aus dem Prozess<br />
der Konfliktbenennung, Darstellung und Lösung sowie die geschickte<br />
Steuerung der Theaterpädagogen lösten bei den Schülern Nachdenken<br />
aus, eigenes soziales Verhalten kam indirekt auf den Prüfstein.<br />
Obwohl keine vollständige Bewältigung des Problems erreicht wurde,<br />
hatten die Mädchen und Jungen an diesem Tag für die Klassengemeinschaft<br />
einen gemeinsamen Schritt in die richtige Richtung getan.<br />
Vielen Dank an das Theaterpädagogische Zentrum in Dresden!“<br />
Kathrin O., Lehrerin einer Mittelschule<br />
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11. Zum Autor 11. Zum Autor<br />
Walter Henckel, geb. 1957 in Marburg/Lahn, Studium der Theaterwissenschaft<br />
und Germanistik in Frankfurt/Main, Engagements am<br />
Rheinischen Landestheater Neuss und von 1990 bis 1996 am Theater<br />
Junge Generation Dresden, seit 1996 freiberuflich, Leiter des<br />
Allraunen Theaters. Dramatische Arbeiten: Das Ostritzer Pferd; Welle<br />
mit Clowns; KönigPhilalethes (Spiel zum 200. Geburtstag von König<br />
Johann); ALMA.ZEITREISE (175 Jahre TU Dresden); Der Gössel (100<br />
Jahre Margon)<br />
Auswahl an Inszenierungen:<br />
DIE KATZE von Horst Hawemann<br />
STRUWWELPETER von Gerd Knappe<br />
BRENNENDE FINSTERNIS von Antonio Buero Vallejo<br />
PTE-HO-I-YA-PI von Gerd Knappe<br />
F. K. Wächters IXYPSILONZETT<br />
DIE HAUT DES DIONYSOS mit Texten von Gerd Knappe u. a.<br />
DAS GROSSE TESTAMENT nach Francois Villon<br />
DAS TRAUMKISSEN von Jukio Mishima<br />
DAS OSTRITZER PFERD (Text und Regie)<br />
WELLE MIT CLOWNS (Text und Regie)<br />
SALLINGER von Bernard Marie Koltès<br />
KÖNIG PHILALETHES (Text und szenische Lesung)<br />
DIE SIEBEN GÄNGE DES ERICH KÄSTNER (Text und Inszenierung)<br />
DER STREIT nach Marivaux<br />
TRAUMSPIEL.STRINDBERG<br />
DIE ZEIT UND DAS ZIMMER von Botho Strauß<br />
DER GEIZIGE von Molière<br />
SIEGFRIED UND KRIEMHILD<br />
ERICH KÄSTNER RALLYE<br />
MERLIN nach Tankred Dorst<br />
BECKETT100 im Societaetstheater<br />
ICH HABE EINEN TRAUM, Theaterschule im Theaterhaus Rudi<br />
SCHERZ, SATIRE, IRONIE UND TIEFERE BEDEUTUNG nach Christian<br />
Dietrich Grabbe<br />
RILKE – DER UNDATIERBARE in der Stasi-U-Haft Dresden u. a.<br />
Theaterpädagogische Arbeiten: Vor- und Nachbereitungen in Schulen;<br />
Aufbau des Jugendclubs im Theater Junge Generation; Sprecher<br />
der AG Kinder- und Jugendtheater Ost; Gründer der Erich Kästner-Tage<br />
in Dresden; Vorstandsmitglied des Erich Kästner Museums Dresden;<br />
Gründer der Kinderstraßenbahn Lottchen; freiberuflicher Regisseur,<br />
vor allem auch im Jugendbereich; zahlreiche Theaterprojekte<br />
mit Jugendlichen, insbesondere auch in und mit Schulen; Herbst<br />
1998–Sommer 2007 Künstlerischer Leiter der Theaterschule im Theaterhaus<br />
Rudi; Stückentwicklungen mit Jugendlichen; 2001–2006<br />
Mitarbeit im Modellprojekt „Sächsische Jugend für Demokratie –<br />
Widerwort und Widerspiel“, dabei Anwendung der theaterpädagogischen<br />
Methode von Augusto Boal; seit 2007 Projektleitung von<br />
Forum:Theater nach Augusto Boal im Rahmen von „Demokratisches<br />
Sachsen!“; Sommersemester 2004 – Sommersemester 2006 Dozent<br />
an der TU DRESDEN, Sozialpädagogik; Seminar/Übung: Konflikte<br />
spielen: Die Methode Augusto Boals; TU Dresden, Soziologie: Kultur<br />
und Management, Seminar/Übung: Kommunikation und Rhetorik;<br />
DIU – Dresden International University, Kultur & Management, Seminar/Übung:<br />
Kommunikationstechniken.<br />
Kulturmanager (VWA): zahlreiche Projekte als verantwortlicher Projektmanager<br />
Walter Henckel<br />
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12. Literaturliste<br />
Literatur<br />
1. Augusto Boal: Theater der Unterdrückten. Suhrkamp Verlag,<br />
Frankfurt/M. 1989.<br />
2. Augusto Boal: Der Regenbogen der Wünsche. Kallmeyer Ver-<br />
lag, Seelze 1999.<br />
3. Gerd Koch und Marianne Streisand (Hrsg.): Wörterbuch der<br />
Theaterpädagogik. Ort? Schibri-Verlag 2003.<br />
4. Viola Spolin: Improvisationstechniken für Pädagogik, Thera-<br />
pie und Theater. Junfermann Verlag, Paderborn 1993.<br />
5. Doris Müller-Weith, Lilly Neumann, Bettina Stoltenhoff-Erd-<br />
mann: Theatertherapie – ein Handbuch. Junfermann Verlag,<br />
Paderborn 2002.<br />
6. Hajo Brücken: Gegen die Gewalt anspielen – Vom Um-<br />
gang mit Aggressionen. Burckhardthaus-Laetare Verlag GmbH,<br />
Offenbach/M. 1999.<br />
7. Reiner Steinweg: Das Lehrstück. Brechts Theorie einer poli-<br />
tisch-ästhetischen Erziehung. Metzler Verlag, Tübingen<br />
1976.<br />
8. PeterSimhandl:StanislawskiLesebuch.EditionSigmar.Bohn--<br />
Verlag, Berlin 1992.<br />
9. Keith Johnstone: Improvisation und Theater. Alexander Verlag,<br />
Berlin 1995.<br />
10. Eva Leveton: Mut zum Psychodrama. Verlag Iskopress, Salz-<br />
hausen 2000.<br />
11. Johan Huizinga: Homo Ludens. Vom Ursprung der Kultur im<br />
Spiel, Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 1987.<br />
12. Friedemann Schulz von Thun: Miteinander Reden 1–3. Ro-<br />
wohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2001.<br />
13. Michael Batz, Horst Schroth: Theater zwischen Tür und Angel,<br />
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 1983.<br />
14. Ulrich Baer: 666 Spiele. Kalmeyerische Verlagsbuchhand-<br />
lung,Ort? 1994.<br />
Zeitschriften<br />
Korrespondenzen, Zeitschrift für Theaterpädagogik, Schibri Verlag