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Schulkonflikte - demokratisches sachsen

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Forum:Theater findet im Rahmen des Programms<br />

„Demokratisches Sachsen!“ der Deutschen Kinder-<br />

und Jugendstiftung, gefördert durch das Sächsische<br />

Staatsministerium für Soziales statt.<br />

ideen für mehr! Ganztägig lernen. ist ein Programm<br />

der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung, gefördert<br />

durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung<br />

und den Europäischen Sozialfonds.<br />

<strong>Schulkonflikte</strong><br />

wahrnehmen, verändern, gestalten<br />

Mit dem Forum:Theater sieben Jahre<br />

an Sachsens Schulen unterwegs<br />

von Walter Henckel<br />

eine PublikationsReihe deR deutschen kindeR- und jugendstiftung im Rahmen von „ideen füR mehR! ganztägig leRnen.“


<strong>Schulkonflikte</strong><br />

wahrnehmen, verändern, gestalten<br />

Mit dem Forum:Theater sieben Jahre an<br />

Sachsens Schulen unterwegs


Impressum Inhalt<br />

<strong>Schulkonflikte</strong><br />

wahrnehmen, verändern, gestalten<br />

Mit dem Forum:Theater sieben Jahre an Sachsens Schulen<br />

unterwegs<br />

Herausgeber & Redaktion:<br />

Servicestelle Ganztagsangebote Sachsen<br />

Eine Kooperation des Sächsischen Staatsministeriums für Kultus<br />

und der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung<br />

Mit freundlicher Unterstützung von:<br />

Gestaltung/Satz: Projektschmiede gGmbH Dresden<br />

Copyright: Deutsche Kinder- und Jugendstiftung<br />

Fotos: Peter Zimolong (www.peter-zimolong.de/photoz)<br />

Die Fotos sind während eines Projekttages mit der Klasse 6A der<br />

46. Mittelschule im Theaterhaus Rudi entstanden.<br />

Theaterpädagogisches Zentrum Sachsen e. V.<br />

im Theaterhaus Rudi<br />

Fechnerstraße 2a, 01139 Dresden<br />

Tel/Fax: (03 51) 42 25 410<br />

Email: tpz-<strong>sachsen</strong>@gmx.de<br />

www.tpz-<strong>sachsen</strong>.de<br />

Servicestelle Ganztagsangebote Sachsen,<br />

Hoyerswerdaer Straße 1, 01099 Dresden<br />

Tel: (03 51) 56 34 762<br />

Email: serviceteam.gta@smk.<strong>sachsen</strong>.de<br />

Website: www.<strong>sachsen</strong>.ganztaegig-lernen.de<br />

Druck: Otto Verlag & Druckerei GmbH & Co. KG<br />

Auflage: 500 Exemplare, Dresden 2008, 1. Auflage<br />

Vorworte 3<br />

1. Was ist Forum:Theater? 10<br />

2. „Wie alles anfing?“ 14<br />

Boal in einer Mittelschule in der Sächsischen Schweiz<br />

(2001/2002)<br />

3. „Flucht nach vorn – Methodenwechsel dringend gesucht!“ 28<br />

Von Boal zum Rollenspiel und wieder zurück – Theaterarbeit<br />

mit benachteiligten Jugendlichen<br />

(2003/2004)<br />

4. „Endlich Luft zum Atmen haben!“ 38<br />

Lehrer entdecken vier Tage das Forum:Theater für sich<br />

(10/2006)<br />

5. „Als das Kind in den Brunnen gefallen war!“ 52<br />

Nachbereitung einer dramatischen Mobbing-Geschichte<br />

(11/2006)<br />

6. „Wir wissen von nichts!“ 63<br />

Mobbing gibt es auch in einer intakten Klasse<br />

(11/2007)<br />

7. „Wie wirkt Forum:Theater?“ 68<br />

1. Denn wir wissen nicht, was wir tun – unser Tun ist meist<br />

durch unbewusste Handlungen geprägt.<br />

2. Ein lebendiges Bild sehen<br />

3. Sich ein Bild machen<br />

4. Das Bild verändern<br />

5. Forum:Theater ermöglicht die Arbeit an einer Bilderserie<br />

8. Kompetenzen des Spielleiters im Forum:Theater 74<br />

9. Glossar 77<br />

10. Stimmen zum Forum:Theater 83<br />

11. Zum Autor 86<br />

12. Literaturliste 88<br />

2 3


Vorwort Vorwort<br />

Im Jahr 2001 startete das Modellprogramm Sächsische Jugend für<br />

Demokratie der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung in Zusammenarbeit<br />

mit dem Sächsischen Staatsministerium für Soziales. Ziel war<br />

und ist es – heute unter dem Programm-Namen Demokratisches Sachsen!<br />

– Kindern und Jugendlichen Demokratie erlebbar zu machen. Mit<br />

verschiedensten Projekten, die alle an der Lebenswelt der jungen<br />

Menschen ansetzen, erfahren sie Selbstwirksamkeit, Partizipation<br />

und <strong>demokratisches</strong> Miteinander.<br />

Neben der Dimension des eigenen Erlebens und Erfahrens brauchen<br />

Menschen, die ihren Platz in der Gesellschaft selbstbewusst gestalten<br />

und an der Gemeinschaft teilhaben, Wissen und Kompetenzen, dies<br />

auch tun zu können. Eine wichtige Demokratiekompetenz ist Konfliktfähigkeit.<br />

Dieser Begriff meint, eine Auseinandersetzung aufzunehmen,<br />

sie konstruktiv zu bewältigen und nach Möglichkeit bereits im<br />

Vorfeld zu vermeiden. Der Umgang mit Konflikten umfasst nicht nur<br />

das Suchen einer angemessenen Lösung, sondern auch das Schaffen<br />

guter Beziehungen, den Aufbau einer fairen Streitkultur sowie die<br />

Stärkung von Toleranz und Offenheit<br />

Das Projekt Forum:Theater (ehemals mit dem Namen „Widerwort &<br />

Widerspiel“) eignet sich in besonderer Weise zur Auseinandersetzung<br />

mit Konflikten. Zum einen thematisiert es Konflikte direkt, zum anderen<br />

ermöglicht es den Beteiligten, in die Theaterszenen einzugreifen<br />

und sie so mitzubestimmen. Die Zielgruppe – Jugendliche - erfahren<br />

damit spielerisch in Szenen aus dem Alltag, dass sie Situationen<br />

durch eigenes Handeln bestimmen und dass oft ein Satz oder eine<br />

Geste Eskalationen verhindern können.<br />

Der Zugang über das Theaterspiel macht dabei die große Wirkung<br />

aus: Jugendliche wechseln die Perspektive auf eine Alltagsszene, sie<br />

können die Zeit anhalten, um über Handlungsmöglichkeiten nachzudenken<br />

und sie reflektieren so ganz bewusst ihr eigenes Verhalten<br />

und ihre zugrunde liegenden Muster und Wertvorstellungen.<br />

Die Ausführungen in dieser Broschüre gelten für alle Schulen, aber<br />

insbesondere für Schulen mit Ganztagsangeboten. Denn gerade diese<br />

Schulen müssen sich an dem Ziel eines pädagogisch gestalteten<br />

Lern-, Lebens- und Erfahrungsraumes orientieren und versuchen,<br />

dieses Ziel mit vielfältigen Angeboten und einer pädagogischen Gesamtstruktur<br />

Schritt für Schritt anzustreben, bzw. auch – zumindest<br />

teilweise – zu erreichen.<br />

Eine Schule mit Ganztagsangeboten braucht nicht nur im täglichen<br />

Schulleben Computer, Sportangebote und den Schulclub, sondern<br />

auch kreative, von außerhalb kommende Erwachsene, die jungen<br />

Menschen mit verschiedensten Methoden in ihrer Selbstentwicklung<br />

unterstützen und ernsthafter Gesprächspartner sind: ob im Rahmen<br />

des Deutschunterrichts, in Freizeitangeboten, im Englischkurs und in<br />

der Ethikdiskussion.<br />

Theater ist etwas ganz Besonderes, was wir unseren Schülerinnen<br />

und Schülern in Schule und Unterricht mitgeben können, sowohl auf<br />

als auch vor der Bühne.<br />

Viel Spaß und Anregungen für das eigene Tun wünschen Ihnen<br />

das Programm Demokratisches Sachsen! der Deutschen Kinder- und<br />

Jugendstiftung sowie die Servicestelle Ganztagsangebote Sachsen.<br />

4 5


Vorwort Vorwort<br />

In dieser Broschüre stelle ich einige Berichte über unsere „Konflikt-<br />

Arbeit“ mit der Methode des Forum:Theaters nach Augusto Boal an<br />

sächsischen Schulen vor. Ich glaube, die Texte vermitteln auch einen<br />

Eindruck unserer eigenen Entwicklung. Mögen die frühen noch geprägt<br />

sein von Irritationen über ein aggressives, kindliches und desinteressiertes<br />

Schülerverhalten, so wird dieses Verhalten später zur<br />

Grundlage der Arbeit. Die Souveränität im Umgang mit den Konflikten<br />

an Schulen kann durch die vielen Erfahrungen kontinuierlich wachsen.<br />

Daraus lässt sich sicherlich auch allgemein schlussfolgern, dass<br />

die Methode des immer wiederkehrenden „trial and error“ oder auch<br />

„des Weges, der das Ziel ist“ letztendlich zum Erfolg führt. Notwendig<br />

für diesen Weg ist das boalsche Forum:Theatergerüst, das über eine<br />

große Klarheit verfügt.<br />

Die Texte mögen auch den etwas pointierten Eindruck vermitteln, als<br />

„wimmele“ es an sächsischen Schulen nur so von Opfern und Tätern<br />

von Mobbing, verbaler und körperlicher Gewalt sowie hilfloser und<br />

überforderter Lehrer. Ich bitte hier um Ihr Verständnis, da ich nicht<br />

beurteilen kann, welcher der Normalzustand an sächsischen Schulen<br />

ist. In der Regel werden wir eingeladen, wenn es ein aktuelles<br />

Problem gibt und die Schule glaubt, eine „Problemklasse“ könne<br />

von der Methode des Forum:Theaters profitieren bzw. wenn einzelne<br />

Lehrer das Erlernen von sozialem Verhalten für notwendig erachten.<br />

Wir sind hauptsächlich an Mittelschulen, weniger an Gymnasien und<br />

überhaupt nicht an Grundschulen tätig. Im Verhältnis zur Gesamtzahl<br />

sächsischer Schulen haben wir nur mit einer begrenzten Anzahl an<br />

Schulen zusammengearbeitet.<br />

Ich glaube aber, dass das nicht wirklich relevant ist. Wir können sehr<br />

froh sein, dass wir in Sachsen keine „amerikanischen“ oder „französischen“<br />

Verhältnisse in Bezug auf Gewalt haben. Dass dies so ist,<br />

ist ein Verdienst der Bildungspolitik, der täglichen harten Arbeit der<br />

Lehrer und Eltern, die ihre Kinder auf dem Entwicklungsweg begleiten<br />

und der Schüler, die sich ihrer Verantwortung bereits in jungen Jahren<br />

bewusst sind. Nichtsdestotrotz zeigt unsere Arbeit im Forum:Theater<br />

Symptome auf. Symptome, die häufig ursächlich nichts mit der Schule<br />

zu tun haben, die sich aber im Schulalltag zeigen und ausdrücken.<br />

Das heißt, dass sie da sind und unsere tägliche Arbeit belasten, uns<br />

aber auch erfreuen.<br />

Hier meine ich sehr wohl, dass die Arbeit mit dem Forum:Theater<br />

beispielgebend sein kann, denn sie vermag auf eine ungewöhnliche,<br />

weil spielerische, kreative und bildhafte Weise bestehende Probleme<br />

und Konflikte aufzuzeigen. Diese Konflikte sind damit ans Tageslicht<br />

getreten, und nun können wir mithilfe unserer menschlichen, pädagogischen,<br />

psychologischen und bildungspolitischen Instrumente<br />

entscheiden, ob wir uns ihnen intensiver zuwenden wollen oder ob<br />

wir sie wieder in unser Unbewusstes versinken lassen.<br />

Vor dieser Entscheidung stehen heute meines Erachtens die am „Prozess<br />

Schule“ beteiligten Interessengruppen. Das sind:<br />

Bildungspolitik, Hochschulen und Professoren in der Lehre, Erzieher<br />

im Vorschulalter, Schulleiter und Lehrer, Eltern, externe Anbieter kultureller<br />

Bildung und nicht zuletzt die Schüler<br />

Um die Brisanz zu veranschaulichen, möchte ich das Ergebnis einer<br />

repräsentativen Standbilder-Parade anführen, die während einer<br />

viertägigen Fortbildungswerkstatt zum Forum:Theater von den neun<br />

teilnehmenden Lehrerinnen – es gab keinen männlichen Teilnehmer<br />

– an sächsischen Mittelschulen aus dem Raum Dresden erstellt wurde.<br />

Jede Lehrerin hatte die Aufgabe, ein Standbild aus vier Teilnehmerinnen<br />

zum Thema „Schulalltag“ zu bilden. Aus den entstandenen<br />

neun Standbildern sollte anschließend „Das Bild der Bilder“ erstellt<br />

werden, das heißt es war die Quintessenz der neun Bilder zu fokussieren.<br />

So ergaben sich die vier folgenden Themen/Begriffe, denen<br />

alle Teilnehmerinnen zustimmten:<br />

Desinteresse – Gewalt – Verantwortungsübernahme – Zerrissenheit<br />

Das im Anschluss daran geführte Gespräch zeigte die Betroffenheit<br />

aller Teilnehmerinnen. Verallgemeinert man die Aussagen der neun<br />

Erfahrungsbilder, dann bedeutet dies, dass der tägliche Schulall-<br />

tag – ich empfehle, es nicht nur an den sächsischen Mittelschulen im<br />

6 7


Vorwort Vorwort<br />

Raum Dresden festzumachen – allgegenwärtig von den vier Themen<br />

Desinteresse – Gewalt – Verantwortungsübernahme – Zerrissenheit<br />

geprägt ist. Jeder Lehrer muss sich täglich damit auseinandersetzen,<br />

was zu einer großen seelischen und physischen Belastung führt und<br />

ständig die Frage und den Wunsch nach dem Einsatz geeigneter Methoden<br />

nach sich zieht. Damit stehen sächsische Schulen vor entscheidenden<br />

Fragen:<br />

Wie sehr ist uns bewusst, dass der Beruf des Lehrers immer mit Desinteresse,<br />

Gewalt und Zerrissenheit als negative Erscheinungsformen<br />

konfrontiert wird? Wie gut sind wir vorbereitet und geschult, um mit<br />

dieser Problematik umzugehen?<br />

Ich möchte noch ein Wort zur Erzählweise der Berichte sagen. Ihr Ton<br />

ist subjektiv; an vielen Stellen vertrete ich eine bestimmte Haltung.<br />

Es ist die Haltung Desjenigen, der sich zu einer bestimmten, nicht<br />

vorhersehbaren Situation plötzlich verhalten muss. Häufig sind dies<br />

Situationen, in denen mir keine Theorie und kein gelerntes Verhaltensmuster<br />

weiter helfen. Aus meiner Sicht – und dies macht die Subjektivität<br />

des Erzählten aus – muss ich direkt, spontan, angemessen<br />

und vorwärts schauend, d.h. progressiv auf die Situation reagieren.<br />

Hier helfen mir vor allem meine Ich-Stärke, meine Lebenserfahrung,<br />

meine Empathie mit den Jugendlichen sowie die Klarheit der Methode<br />

des Forum:Theaters von Augusto Boal. Andere Pädagogen reagieren<br />

möglicherweise anders und haben mit ihrer Methode ebenfalls Erfolg.<br />

Hier kommt es wirklich ganz auf die Persönlichkeit des Pädagogen<br />

an. Allgemein verbindliche Rezepte kann es in der Arbeit mit den<br />

Jugendlichen nicht geben. Mit den folgenden Berichten möchte ich<br />

Sie einladen, mich auf meinem Weg durch einige sächsische Schulen<br />

zu begleiten.<br />

Walter Henckel<br />

8 9


1. Was ist Forum:Theater? 1. Was ist Forum:Theater?<br />

Wahrnehmen – Verändern – Gestalten<br />

Der brasilianische Theaterregisseur und Pädagoge Augusto Boal<br />

(Jahrgang 1931) entwickelte in den Sechzigerjahren des letzten Jahrhunderts<br />

eine Methode, die Konflikte auf spielerische Weise bearbeitet<br />

und neu gestaltet. Ziel ist es, das eigene Denken und Handeln<br />

in den Mittelpunkt zu stellen. Insbesondere das Forumtheater macht<br />

den sonst passiven Zuschauer zum Akteur auf der Bühne. Es besteht<br />

aus:<br />

• Wahrnehmen: Durch szenisches Spiel werden typische Kon-<br />

fliktsituationen aus dem Alltagsbereich dargestellt und so für<br />

Spieler und Zuschauer eindrücklich erlebbar.<br />

• Verändern: Ein Spielleiter (Joker) regt das Eingreifen durch die<br />

bis zu diesem Zeitpunkt passiven Zuschauer an und begleitet<br />

den jetzt einsetzenden Veränderungsprozess. Zuschauer wer-<br />

den zu Akteuren, verändern aus ihrer jeweiligen Perspektive<br />

die Handlung und versuchen, den dargestellten Konflikt zu lö-<br />

sen.<br />

• Gestalten: Durch die neu gewonnenen Erfahrungen und Ein-<br />

blicke wird eine bewusste Einflussnahme auf Konflikte im All-<br />

tag ermöglicht.<br />

Forum:Theater in Sachsen<br />

Seit 2001 führen wir als Theaterpädagogisches Zentrum Sachsen e.V.<br />

(TPZ) im Rahmen des Projektes „Demokratisches Sachsen!“ regelmäßig<br />

Kurse und Projekttage an sächsischen Schulen durch. Im Mittelpunkt<br />

stehen Konflikte, die Schüler und Pädagogen täglich selbst erleben.<br />

Die Konflikte werden in unseren Projekten gemeinsam gespielt<br />

und Zuschauern – meist den Mitschülern oder Schülern anderer Klassen<br />

– zur Konfliktlösung angeboten. Diese Zuschauer werden zum<br />

aktiven Teil der Aufführung. Jeder Einzelne kann im Unterschied zu<br />

anderen Konfliktlösungsstrategien seine Vorschläge spielerisch und<br />

nicht nur verbal einbringen.<br />

• Forum:Theater bietet einen methodischen Leitfaden<br />

• Forum:Theater ist einfach und lebensnah<br />

• Forum:Theater ermöglicht soziales Lernen durch Theaterspiel<br />

• Forum:Theater bedeutet spielerisches Handeln<br />

• Forum:Theater bedeutet das Herangehen an unbekannte oder<br />

verloren gegangene Ressourcen<br />

• Forum:Theater ist körperlicher Ausdruck, wo Sprache eher<br />

Barrieren aufbaut<br />

• Forum:Theater ist ganzheitliches Handeln und sinnlich-kon-<br />

kretes Erleben<br />

• Forum:Theater kann die Lehrer-Schüler-Situation vorüberge-<br />

hend aufheben, um sie mit sinnlich kreativen Mitteln neu zu<br />

gestalten<br />

• Forum:Theater ist für Schulen geeignet und erprobt<br />

Die Methode<br />

Augusto Boals überschaubares und einfaches Grundraster verwandelt<br />

sich überraschend schnell in einen kreativen Prozess, in dem alle<br />

zu Mitwirkenden und Handelnden werden. Die Arbeit strukturiert sich<br />

in vier Teilbereiche:<br />

1. Erwärmung: Spielerische Übungen helfen der Gruppe, Vorurteile<br />

und Skepsis zu überwinden.<br />

2. Bildertheater/Statuentheater: Die Ansichten der Teilnehmer und<br />

die Stimmung in der Gruppe werden in Bildern sichtbar und bear-<br />

beitet.<br />

3. Finden und Proben von Szenen: Die Teilnehmer finden in Klein-<br />

gruppen ihre selbst erlebten, beobachteten oder fiktiven Konflikt-<br />

szenen. Diejenigen, die für das Spiel interessant sind, werden<br />

ausgesucht und geprobt.<br />

4. Das Forum:Theater: Die Gruppen spielen ihre Szenen und diese<br />

werden durch das Eingreifen der Zuschauer verwandelt. Varianten<br />

entstehen, die für Gesprächsstoff sorgen. Daraus werden Lösun-<br />

gen sichtbar.<br />

10 11


1. Was ist Forum:Theater? 1. Was ist Forum:Theater?<br />

Das TPZ Sachsen bietet FORUM:THEATER in folgenden Formen<br />

an:<br />

1. Projekttage für Schüler<br />

2. Pädagogische Tage/Impulsworkshops für Lehrer<br />

3. Spielleiterausbildung für Lehrer, Pädagogen und<br />

Sozialarbeiter<br />

4. Spielleiterausbildung für Studenten der Pädagogik<br />

und des Lehramts<br />

Forum:Theater entwickelt ein Gefühl und ein Interesse an der gemeinsamen<br />

Verantwortung für eine individuelle Problemstellung oder ein<br />

gesamtgesellschaftliches Anliegen. Das macht die Methode besonders<br />

wertvoll für die Entwicklung sozialer Kompetenzen und eines Demokratieverständnisses,<br />

das Mitbestimmung braucht.<br />

In unseren Projekten arbeiten wir mit Pädagogen oder Schülern ab<br />

der Klassenstufe 5 an Themen aus den Bereichen Schule und Schulumfeld.<br />

Die Themen werden entweder im Vorfeld besprochen oder<br />

durch geeignete Übungen gefunden.<br />

Wir unterstützen insbesondere Lehrer, die ihre Kompetenzen als<br />

Spielleiter im Forumtheater entwickeln wollen.<br />

Wie kommen Interessenten und das TPZ Sachsen zusammen?<br />

Informiert werden die Pädagogen über die sächsischen Bildungsagenturen<br />

und/oder über Briefe an die Schulen bzw. über Pädagogen,<br />

die bereits Erfahrungen mit dem Forum:Theater gemacht haben.<br />

Interessenten setzten sich anschließend mit dem Projektleiter in Verbindung,<br />

um Rahmenbedingungen und konkrete Termine zu vereinbaren.<br />

Drei Gruppen von Interessenten lassen sich ausmachen:<br />

a. bereits in der Theaterarbeit tätige Lehrer, die einen Neigungs-<br />

kurs oder das Fach Darstellendes Spiel unterrichten. Diese<br />

Gruppe sucht Theatermethoden und Übungen, um den Unter-<br />

richt zu bereichern.<br />

b. Pädagogen/Schulsozialarbeiter, die in ihrer Gruppe/Klasse<br />

mit einem konkreten Konflikt konfrontiert sind und einen Lö-<br />

sungsansatz suchen<br />

c. Lehrer, die im fächerverbindenden Unterricht (zwei Wochen<br />

pro Schuljahr) neue innovative Unterrichtsformen ausprobie-<br />

ren wollen<br />

Das Projekt selbst findet in den meisten Fällen ganztägig im Rahmen<br />

von Projekttagen, die am Vormittag beginnen, statt. Als sehr produktiv<br />

haben sich dabei das Verlassen der Schulräume und die Verwirklichung<br />

eines Projekttages im Theaterhaus Rudi bewährt.<br />

Theaterpädagogisches Zentrum Sachsen e.V.<br />

im Theaterhaus Rudi<br />

Fechnerstraße 2a, 01139 Dresden<br />

Tel/Fax: (03 51) 42 25 410<br />

Mail: tpz-<strong>sachsen</strong>@gmx.de<br />

www.tpz-<strong>sachsen</strong>.de<br />

12 13


2. „Wie alles anfing?“ 2. „Wie alles anfing?“<br />

Boal in einer Mittelschule in der Sächsischen Schweiz<br />

(2001/2002)<br />

Im September 2001 startete das Modellprogramm der Deutschen Kinder-<br />

und Jugendstiftung Sächsische Jugend für Demokratie in Kooperation<br />

mit dem Sächsischen Staatsministerium für Soziales. Unser<br />

Projekt, es hieß damals noch „Widerwort und Widerspiel“, wurde als<br />

eines der ersten Projekte diese Programms aktiv. Durch eine Lehrerin,<br />

die Mitglied im TPZ Sachsen war, konnten wir ihre Schule kurzfristig<br />

für unser Theaterprojekt interessieren. Wir starteten Ende Oktober<br />

2001. Der Kurs war zunächst bis Ende Mai 2002 geplant und fand<br />

einmal wöchentlich als AG mit zwei Schulstunden statt.<br />

I. Die Rahmenbedingungen<br />

Die Mittelschule befindet sich im ländlichen Raum, ca. 20 km von<br />

Dresden entfernt. Sie verfügt über ein intaktes und ansprechendes<br />

Schulgelände mit mehreren alten Kastanien auf dem Schulhof. Das<br />

Gebäude entstammt der Gründerzeit. Bilder, Skulpturen und Collagen<br />

von Schülern beleben die Wände im Inneren. Der erste Eindruck<br />

war positiv: Diese Schule hat Struktur, es herrscht Ordnung und Sauberkeit,<br />

„jeder weiß, was er zu tun hat.“ Das Theaterprojekt fand im<br />

Musikzimmer statt.<br />

Gemeinsam mit einem Kollegen, der im Hauptberuf Lehrer ist, leitete<br />

ich das Boal-Projekt. Während des Projektzeitraumes kam es zweimal<br />

vor, dass nur einer von uns beiden zur Verfügung stand. Nach<br />

intensiver Boal-Lektüre, drei Vorbereitungswerkstätten mit erfahrenen<br />

Boal-Dozenten und unserer eigenen vielfältigen praktischen Theatererfahrung<br />

und -arbeit war es unser erstes Boal-Projekt, das wir<br />

eigenverantwortlich leiteten.<br />

Unsere Kontaktlehrerin unterrichtete an der Schule und nahm eine<br />

Mittlerposition zwischen uns und der Schule ein. Insgesamt entwickelte<br />

sich alles sehr schnell. Eine gewisse Unsicherheit bestand,<br />

da nicht geklärt war, ob das Projekt über den Mai hinaus fortgesetzt<br />

werden würde. Zwar war es wichtig, erst einmal zu beginnen und<br />

gemeinsame Erfahrungen mit der Schule und den Schülern zu sammeln,<br />

andererseits gab es kaum Planungssicherheit – ein Zustand,<br />

der Projektarbeit eigen ist – und auch die Frage der Nachhaltigkeit<br />

des Forum:Theaters war zu diesem Zeitpunkt gänzlich offen.<br />

Angesprochen wurden Schüler der Klassenstufe 7, denn einige unter<br />

ihnen konnten bereits Erfahrungen im Schultheaterspiel vorweisen,<br />

wie die Rücksprache mit der Direktorin ergab. Unsere Kontaktlehrerin<br />

unterrichtete in einer dieser Klassen. Wir gewannen das Interesse<br />

der Schüler, indem wir morgens durch die beiden Klassen gingen und<br />

mit ihnen direkt im Klassenraum einige praktische Übungen durchführten.<br />

Am Ende fragten wir nach, wer Interesse an unserem Projekt<br />

habe. Es meldeten sich ca. 25 Schüler.<br />

II. Zielstellung des Projektes<br />

Das Boal-Projekt war ein Angebot auf freiwilliger Basis in Form einer<br />

Arbeitsgemeinschaft. Den Schülern sollte <strong>demokratisches</strong> und<br />

tolerantes Verhalten nahegebracht werden, indem wir ihr eigenes<br />

Verhalten im Umgang mit Freunden, Mitschülern, Lehrern und Eltern<br />

gemeinsam spielerisch reflektieren wollten. Für das Ende des ersten<br />

Schulhalbjahres strebten wir eine Forum:Theater-Aufführung vor den<br />

Klassenkameraden an, damit diese sehen konnten, was in der vergangenen<br />

Zeit geleistet wurde, und nicht zuletzt auch, um den Teilnehmern<br />

eine Anerkennung und Wertschätzung für ihr freiwilliges Engagement<br />

zu vermitteln. Dass das Projekt mit einem Höhepunkt, wie<br />

es das Landesschülertheatertreffen im Mai 2002 im Theater Junge<br />

Generation darstellte, enden sollte, war zu Beginn nicht absehbar.<br />

Zum ersten Treffen kamen 13 Schüler. Letztendlich blieben bis zur<br />

Aufführung im Theater Junge Generation acht Schüler dabei. Das<br />

zeigt, wie schwierig und aufwendig eine offene Projektarbeit ist, die<br />

auf freiwilliger Teilnahme beruht. Es ist aber eine Arbeit, die sich<br />

langfristig auszahlt und das Schulklima verändert. Bedingungen und<br />

Besonderheiten dabei sind:<br />

• hoher Personalaufwand<br />

• damit sind höhere Kosten verbunden<br />

• nur einzelne Schüler werden angesprochen – nicht die Masse<br />

• Bereitschaft, sich auf Neues einzulassen, muss vorhanden<br />

sein<br />

14 15


2. „Wie alles anfing?“ 2. „Wie alles anfing?“<br />

Nicht Quantität, sondern Qualität<br />

Theaterprojekte in Schulen sind keine<br />

Massenveranstaltungen. Theaterspiel erfordert<br />

immer die individuelle Ansprache<br />

und Teilnahme. (Eine Ausnahme bildet<br />

hier die Theaterarbeit im Grundschulalter<br />

und in der Klassenstufe 5. Für diese Altersstufe<br />

ist Forum:Theater nicht geeignet, da<br />

es Anforderungen an den Einzelnen und<br />

sein individuelles Verhalten stellt.) Ich<br />

halte eine Zahl von maximal 15 Schülern<br />

für realistisch. Das zeigt, mit welch großen<br />

Problemen der Lehrer im Fach Darstellendes<br />

Spiel, das es 2001/2002 noch in<br />

Sachsen gab, zu kämpfen hat, denn in der<br />

Regel muss er 20 bis 30 Schüler zu beschäftigen<br />

wissen. Theater beruht immer auf aktiver Teilnahme,<br />

aber es ist nahezu unmöglich, eine solch hohe Schülerzahl<br />

gezielt und persönlich zu führen – besonders in der Zeit, in der sich<br />

die Schüler in der Pubertät befinden.<br />

III. Die Arbeitsgemeinschaft<br />

1. Regelwerk – Regelmäßige Teilnahme<br />

Nach dem ersten Treffen, das sich ganz dem Kennenlernen widmete,<br />

stellten wir gemeinsam mit den Schülern Regeln auf. Die Schüler<br />

wollten:<br />

• eine angenehme Lautstärke herstellen<br />

• albernes Lachen vermeiden, aber Lachen<br />

zulassen, wenn es angebracht ist<br />

• Meinungsverschiedenheiten achten<br />

• private Streits nicht hier ausleben<br />

• Spielregeln einhalten und kontrollieren<br />

Trotz dieser Maßnahmen war die regelmäßige Teilnahme ein ständiges<br />

Problem. So waren beim zweiten Treffen lediglich vier Schüler<br />

anwesend. Niemand hatte uns darüber unterrichtet, dass eine der<br />

7. Klassen am Wandertag teilnahm. Dieses Informationsdefizit kam<br />

noch einige Male vor. Was bedeutet das?<br />

• Neue und kleine Angebote werden in einer Organisationsstruk-<br />

tur wie der Schule oft übersehen, außer der Lehrerkonferenz<br />

gibt es kein Informationsnetzwerk.<br />

• Neues hat es immer schwer, d. h. hier ist ein hohes Maß an<br />

Flexibilität des Dozenten gefragt. Er muss auch in der Lage<br />

sein, plötzlich nur mit einem oder zwei Schülern zu arbeiten<br />

und dabei diese bei Laune zu halten.<br />

• Gleichzeitig muss sich der Dozent ständig vergegenwärtigen,<br />

ob das Lernziel erreicht werden kann oder ob die Rahmenbe-<br />

dingungen, die Struktur oder die Methode gegebenenfalls ver-<br />

ändert werden müssen.<br />

• Nachdem diese Unregelmäßigkeiten zum dritten Mal vorkamen,<br />

konsultierten wir die Schulleiterin. Zu ihr pflegten wir beständig<br />

den Kontakt und Austausch. Sie war für unser theaterprakti-<br />

sches Angebot sehr offen. Die Schulleiterin bedauerte die Schwie-<br />

rigkeiten und erklärte, dass es offene und freiwillige Angebote<br />

in der Schule immer schwer haben. Sie bot an, einen Eltern-<br />

brief zu schreiben, in dem die genauen Termine genannt und<br />

die Eltern gebeten werden, durch ihre Unterschrift die Teilnah-<br />

me der Kinder sicherzustellen.<br />

Nach dieser Maßnahme funktionierte die regelmäßige Anwesenheit<br />

der Schüler besser.<br />

16 17


2. „Wie alles anfing?“ 2. „Wie alles anfing?“<br />

2. Methodische Vorgehensweise<br />

Methodisch gaben wir eine sich regelmäßig wiederholende Grundstruktur<br />

vor.<br />

1. Erwärmungsphase 15 Minuten<br />

2. Spielphase 15-30 Minuten<br />

3. Arbeit an Szenen und der aktuellen 45 Minuten<br />

Zielstellung des Tages<br />

4. Ausklang mit Spiel 5-10 Minuten<br />

Bei Konzentrationsschwächen nahmen wir einen Methodenwechsel<br />

vor. Wir setzten dann beispielsweise Bewegungsspiele ein oder kamen<br />

auf den Bau von Standbildern zurück. Unsere Erfahrung zeigte,<br />

dass bei einem offenen und ständig wechselnden Angebot, wie es<br />

dem Theaterspiel eigen ist, eine klare Struktur und ein Orientierung<br />

gebender Rahmen absolut notwendig sind. Es geht dabei um wiederkehrende<br />

Rhythmen, die ein Gefühl von Sicherheit, Kontinuität und<br />

Abwechslung garantieren.<br />

3. Welche Themen wurden angesprochen und bearbeitet?<br />

3.1 Die Einstiegsphase<br />

In den ersten beiden Sitzungen motivierten wir die Schüler vor allem<br />

durch spielerische Themen, zu denen sie in Form von Standbildern<br />

Stellung nehmen sollten.<br />

Fußball – Kartenspiel – Schlägerei – Musikchor – Freizeit – der Sanitäter<br />

– das Unfallopfer: Diese Szenen ließen wir dann in ein offenes<br />

Rollenspiel münden oder wir ergänzten sie durch weitere Standbilder.<br />

Diese dienen der Ausdrucksfähigkeit, und dazu müssen die Beteiligten<br />

eine angemessene Körpersprache finden. Sie fixieren Haltungen,<br />

die Wesentliches erzählen.<br />

In der dritten Zusammenkunft baten wir die Schüler, eine selbst erlebte<br />

Geschichte zu erzählen, die sie noch immer beschäftigt und die<br />

ihnen besonders im Gedächtnis geblieben ist. Die Geschichte solle<br />

zudem einen Konflikt enthalten. Die Schüler erzählten Geschichten<br />

zu folgenden drei Themen:<br />

a. Die Geschlechterfrage<br />

Schüler R. „Das Liebespaar und die drei Jungen“<br />

b. Familie<br />

Schüler N. „Der Anschiss des Vaters“<br />

Schüler R. „Der Karpfenfang mit dem Vater“<br />

Schüler R. „Der Streit mit dem Bruder“<br />

c. Freizeit, Schule<br />

Schüler M. „Judostreit mit einem älteren Schüler“<br />

Schüler S. „Absturz von der Rodelbahn“<br />

Schüler O. „Hilfe für einen Freund“<br />

Das einzige Mädchen, S., weigerte sich eine Geschichte zu erzählen.<br />

Nun ging es um die Arbeit an der Geschichte. Alle wollten die Liebesgeschichte<br />

nachspielen. Wir ließen uns darauf ein, obwohl uns klar<br />

war, dass diese Geschichte spielerisch nicht sehr ergiebig sein konnte:<br />

Drei Jungen verfolgen ein Liebespaar, verstecken sich und geraten<br />

dabei in Gefahr, von einer steilen Böschung abzurutschen.<br />

Wichtig ist hier, überhaupt erst einmal ins Spiel zu kommen, sich zu<br />

erproben, Spannungen aufzubauen und szenisches Arbeiten kennenzulernen.<br />

Folgerichtig machte es den Schülern Spaß, zumal es<br />

ein Pärchen in der Gruppe gab, die das Liebespaar spielen mussten.<br />

Als wir dann tiefer gehen wollten, – Wie ist das, wenn sie sich so in<br />

Gefahr begeben? (die drei Jungen klammerten sich an einem steilen<br />

Abhang fest) Was denken sie in so einer Situation? Was fühlen sie?<br />

– waren die Schüler überfordert. Sie verloren die Lust und wurden<br />

unkonzentriert.<br />

3.2 Das Forum:Theater – Konflikte, Szenen, Augenblicke in Schule<br />

und Alltag<br />

Nach dieser Einführungsphase kamen wir methodisch zum<br />

Forum:Theater. Hier ist es für den Dozenten wichtig, sich ein Bild von<br />

der Schule, den beteiligten Schülern sowie der Klasse zu machen.<br />

Dazu eignen sich Standbilder sehr gut, da sie das Wesentliche bildlich<br />

ausdrücken. Spricht jede Figur noch einen charakteristischen<br />

18 19


2. „Wie alles anfing?“ 2. „Wie alles anfing?“<br />

Satz, der zu der Situation passt, so erhalten wir einen ersten Eindruck<br />

möglicher Konflikte und Stimmungen.<br />

Wir setzen um:<br />

Standbild der Klasse 7A<br />

Standbild der Klasse 7B<br />

Standbild der Lehrer der Schule<br />

Standbild der Hofpause<br />

Das Standbild der Hofpause ergab:<br />

- Gruppe dicht beieinander, ein Junge, R., steht rauchend draußen<br />

- jeder sagt einen charakteristischen Satz zu seiner Haltung<br />

D.: Eh, ich hau Dir ein paar.<br />

R. (mit Zigarette): Ich geb` mal einen aus.<br />

O.: Bist Du traurig?<br />

R. 2: Ne, ich bin nicht traurig, du quatschst mich dumm an!<br />

F.: Schmeiß mal eine rüber!<br />

S.: Du bist nicht clean, du bist nicht sauber.<br />

S. (einziges Mädchen): Mir ist kalt.<br />

M. (ihr Freund): Du Frostbeule!<br />

Erstaunlich an diesen Äußerungen ist, dass sie neben der Aggressivität<br />

(die leider zum Schulalltag gehört) auch Gefühle und Bedürfnisse<br />

zeigen.<br />

Szenisches Arbeiten<br />

1. „Die Schlägerei im Bus“<br />

Ein Junge, F., beschreibt die selbst erlebte Szene:<br />

Nach der Schule warten Schüler auf den Bus. Als er dann kommt,<br />

drängeln die Schüler beim Einsteigen. Im Bus kommt es zwischen<br />

zwei Schülern zu einer Schlägerei. F. beschreibt den Aufbau des<br />

Busses, die Fahrgäste und ihr Verhalten. Nach dieser langen Schil-<br />

derung spielen die Schüler die Szene. Mit unserer Hilfe übernimmt<br />

F. die Spielleitung. Nach zweimaligem Spielen gibt es keine Ände-<br />

rungsvorschläge.<br />

Bei der Auswertung in der nächsten<br />

Stunde beklagen alle, dass F.<br />

die Geschichte viel zu lang erzählt<br />

habe und dass das ermüdend sei.<br />

Auf unsere Frage, warum niemand<br />

eingegriffen habe, finden sie keine<br />

Antwort. Ein Schüler sagt: „Bei<br />

uns gibt es nicht gleich „Mecker“.<br />

Im Unterricht gibt es immer gleich<br />

„Mecker“. Sie müssen ins Sekretariat<br />

gehen und einen Zettel für die<br />

Schülerakte holen.“<br />

2. Szenen zu <strong>Schulkonflikte</strong>n<br />

1. Schüler provozieren eine Lehrerin („Machen sie fertig“), indem<br />

eine Schülerin immer Kaugummis herumreicht, alle kauen Kau-<br />

gummi.<br />

2. Lehrer kränkt Schülerin, indem er ihr vorwirft, sie habe ge-<br />

spickt.<br />

3. Straßenszenen: Ein größerer Junge droht mit Schlägen. Was<br />

tun?<br />

4. Mein Kollege beschreibt der Gruppe eine Konfliktszene, die ihn<br />

selbst betrifft bzw. die seine Klasse mit einem anderen Lehrer hat-<br />

te: Der Lehrer macht langweiligen Unterricht, die Schüler reagie-<br />

ren gelangweilt. Der Lehrer will den Unterricht am nächsten Tag in<br />

der siebenten Stunde wiederholen. Als er kommt, verschiebt er<br />

den Unterricht auf die achte Stunde. Die Schüler verlassen die<br />

Schule. Am nächsten Tag lässt der Lehrer eine Kurzkontrolle<br />

schreiben, worüber die Schüler empört sind. Dazu wurden Stand-<br />

bilder gebaut.<br />

20 21


2. „Wie alles anfing?“ 2. „Wie alles anfing?“<br />

3. Familienkonflikte<br />

1. Der Vater schlägt sofort zu<br />

2. Die List des Sohnes: er verschleppt das Thema, lenkt seinen Va-<br />

ter vom Thema ab<br />

Diese und andere Szenen haben wir im Laufe der AG gespielt, szenisch<br />

vergrößert und mithilfe des Forum:Theaters verändert.<br />

4. Präsentationen als Höhepunkte des Forum:Theaters<br />

Wie geplant präsentierten wir in der Schule zum Abschluss des ersten<br />

Halbjahres eine Forumtheater-Aufführung, die für alle Beteiligten ein<br />

Höhepunkt war. Damit wurde(n)<br />

• noch einmal die Erfahrungen des Halbjahres gebündelt.<br />

• die Arbeit der Schüler in besonderer Weise anerkannt.<br />

• in die Schule hineingewirkt.<br />

• andere Lehrer und Schüler oft zum ersten Mal mit dieser Arbeit<br />

vertraut gemacht.<br />

4.1 Die Schulpräsentation<br />

Die Aufführung wurde erfolgreich in der Aula präsentiert. Es gelang<br />

• alle 80 Spieler und Zuschauer an den Auflockerungs- und Er-<br />

wärmungsspielen vor der Präsentation zu beteiligen.<br />

• Schüler anderer Klassen auf die Bühne zu holen, die bei der<br />

Forumtheater-Aufführung eingegriffen und Neues ausprobiert<br />

haben.<br />

• Die Präsentation war eine Bestätigung für unsere Gruppe.<br />

4.2 Präsentation beim Landesschülertheatertreffen im Mai 2002 im<br />

Theater Junge Generation<br />

Dieses Großereignis war für die Jugendlichen sehr wichtig, denn neben<br />

den „normalen“ Theateraufführungen der anderen Schulen war<br />

diese Art des offenen Theaters, bei dem der Zuschauer eingreifen<br />

kann, für alle Beteiligten eine interessante und neue Erfahrung.<br />

Wichtig war,<br />

• Resonanz durch andere Schüler, vor allem Gymnasiasten, zu<br />

erfahren. Wie spielen sie? Wie drücken sie sich aus? Es gibt<br />

auch noch andere Sichtweisen. Erstmals haben sie erfahren,<br />

wie es ist, wenn man zu leise spricht oder sich gestisch nicht<br />

deutlich genug ausdrückt.<br />

• einen Leistungsvergleich zu spüren. Das ist eine Form der Aner-<br />

kennung. Zwar müssen die Jugendlichen auch geschützt wer-<br />

den, andererseits können sie auch zu den Aufführungen der<br />

anderen etwas sagen.<br />

• dass sie gemeinsame Workshops mit anderen Schülern erlebt<br />

haben.<br />

• dass sie drei Tage zusammen waren, weg von zu Hause, ohne<br />

Schule, selbstbestimmt.<br />

Dieses „Aus-dem–Alltag-Gehen“ ist für die Jugendlichen sehr wichtig.<br />

Es stärkt ihr Selbstgefühl, ihr Selbstbewusstsein, sie sind zur Selbstständigkeit<br />

aufgefordert.<br />

5. Kontakt in die Schule hinein<br />

5.1 Parallel zu unserer Arbeit im Rahmen der AG haben wir auch versucht,<br />

in die Schule hinein zu wirken.<br />

• Das Projekt wurde in der Lehrerkonferenz durch die Projektlei-<br />

terin vorgestellt.<br />

• Es gab einen sehr guten, regelmäßigen Kontakt zur Direktorin.<br />

• Wir standen in Kontakt zu den beiden Lehrern, die die Streit-<br />

schlichterausbildung anleiten.<br />

• Es wurde eine Wandzeitung mit Fotos und Texten angefertigt.<br />

5.2 Lehrerwerkstatt<br />

Ganz wichtig war der Lehrerworkshop, den wir mit sieben Lehrern der<br />

Schule an einem Samstag von 10–17 Uhr im Theaterhaus Rudi durchgeführt<br />

haben. Es war sehr interessant zu erfahren, dass Lehrer oft<br />

genauso hilf- und ratlos wie Schüler sind.<br />

22 23


2. „Wie alles anfing?“ 2. „Wie alles anfing?“<br />

Themen:<br />

• langweilige Dienstberatung – keiner sagt etwas/schweigen!<br />

• Schüler-Lehrer-Situation:<br />

Schüler machen, was sie wollen – wechseln einfach die<br />

Plätze<br />

Lehrerin wartet, macht keinen Unterricht. Eine Stunde lang<br />

passiert nichts.<br />

• Sportlehrer! Ein Schüler lässt einen Knaller los, der Lehrer<br />

greift massiv ein.<br />

Plötzlich steht die Mutter des Schülers mit dessen zwei älteren<br />

Brüdern da und erkundigt sich, was hier passiert sei? Sie drohen<br />

mit Gewalt.<br />

In der Auswertung beschrieben die Lehrer, dass die Erwärmungsphase<br />

sehr interessant gewesen sei. Bei den Konfliktszenen kamen wir<br />

über einen Anfang nicht hinaus. Insgesamt sei der Workshop zu kurz<br />

gewesen. Eine ganz wichtige Erfahrung war folgende: Festgefahrene<br />

Positionen werden in Bewegung gesetzt.<br />

IV. Auswertung: „Wie alles anfing – Forum:Theater in einer<br />

sächsischen Mittelschule“<br />

Zusammenfassend lässt sich zu diesem Forum:Theater-Projekt<br />

sagen:<br />

1. Die Schüler sind sehr jung und der Aufwand ist außerge-<br />

wöhnlich. Da es sich um Kinder (12–13 Jahre) handelt, wird<br />

ein spielerischer, abwechslungsreicher, einfacher und das<br />

Unterhaltungsbedürfnis der Jugendlichen befriedigender Zu-<br />

gang erforderlich. Konflikte werden im spielerischen, oft unbe-<br />

wussten Nachvollzug bearbeitet, nicht auf der bewussten<br />

Ebene.<br />

2. Ein hohes Reflexionsniveau ist nicht möglich. Es gibt Schwie-<br />

rigkeiten bei der Suche nach alternativen Handlungsmöglich-<br />

keiten in vorgestellten Konfliktsituationen. Das liegt zum ei-<br />

nen an der brachliegenden, nicht geförderten Fantasie der Kin-<br />

der, sich andere Lösungen überhaupt vorstellen zu können,<br />

zum anderen aber auch an den allgegenwärtigen aggressiven<br />

Reizen und Spannungen, welche sie mit Schule, Lehrern und<br />

Mitschülern verbinden und wohl auch tagtäglich erleben. Es<br />

wird von ihnen eine schnelle Reaktion verlangt, welche meist<br />

aggressiv ausfällt. So ist ihr Reaktionsmuster in der Regel Ag-<br />

gression, begleitet von unrealistischen Machtfantasien. Ei-<br />

gene Gefühle der Ohnmacht dürften der Hintergrund für die-<br />

ses Verhalten sein.<br />

3. Wenden wir noch einmal einen Blick auf die entscheidende<br />

Frage, die diese Arbeit in einer ganz normalen sächsischen<br />

Mittelschule geprägt hat: Warum verhalten sich viele Schüler<br />

bei einem freiwilligen und offenen Angebot häufig destruktiv,<br />

unkonzentriert und albern? Aus unserer Sicht ist dies eine<br />

Reaktion auf die normale Schulsituation, mit der die Schüler<br />

tagtäglich konfrontiert sind: Frontalunterricht – autoritär,<br />

überfordernd, erschöpfend. Auch die Kommunikation verläuft<br />

in der Regel mittels Anweisungen. Es entsteht eine Drucksi-<br />

tuation und Konkurrenz zu Mitschülern. Weiterhin kann es<br />

auch eine Reaktion auf die familiäre Situation sein, wo<br />

vielleicht. Desinteresse herrscht bzw. mit Gewalt gedroht<br />

und/oder diese sogar ausgeübt wird.<br />

24 25


2. „Wie alles anfing?“ 2. „Wie alles anfing?“<br />

4. Gewährt man den Schülern Freiheiten, dann müssen sie al-<br />

les Aufgestaute erst einmal loswerden. Diesem Bedürfnis<br />

dient bei Boal die Erwärmungs- und Spielphase. Trotzdem<br />

zeigt sich, dass das oft nicht ausreichend ist, denn der Druck<br />

ist größer. In diesem Fall geht der Dozent in seinem Lernziel<br />

zurück und bietet mehr Spielangebote an. Aber selbst dann<br />

sind die aufgestauten Konflikte so präsent, dass die Schüler<br />

sie ständig ausleben müssen: miteinander rangeln, sich sto-<br />

ßen, lachen, sich untereinander ablenken. Damit ist ein Do-<br />

zent, der von außerhalb kommt und wenig Zeit zur Verfügung<br />

hat, meistens überfordert.<br />

5. Wichtig wäre bei dieser Methode ein dauerhafter Kontakt<br />

zur Schule. Mit Flüchtigkeit oder Einmaligkeit ist hier nichts<br />

zu erreichen. Der Kontakt muss weit in die Schule<br />

hineinreichen, d. h. zu Schulleitern, Vertrauenslehrern, Streit<br />

schlichtern, Lehrern, Schülern, Schülerräten, weiteren Initia-<br />

tiven, Eltern etc. Immer wieder müssten neue überraschende An-<br />

gebote offeriert werden, die das Interesse der gesamten Schu-<br />

le wecken. Nur so wird erfahrbar, dass im Inneren der Schule<br />

eine neue Form des sozialen Miteinanders erprobt wird. Um<br />

eine Nachhaltigkeit zu erreichen, müsste ein solches Konflikt-<br />

training von der Schule gefordert und auch aus ihr herausge-<br />

tragen werden. Kommen externe Projektleiter, sollten sie<br />

selbst bei geringer Stundenzahl in den Schulrhythmus und<br />

den Informationsfluss<br />

integriert<br />

werden.<br />

6. Der Auftraggeber sollte den Projektleitern viel Gestaltungs-<br />

raum lassen. Eine offene Form ist eine sehr gute Möglichkeit,<br />

Demokratie und Toleranz zu praktizieren. Dafür braucht es<br />

einen langen Atem, denn die offene Beteiligung der Schü-<br />

ler – insbesondere an einer Mittelschule – ist ungewohnt und<br />

überfordert zunächst fast alle. Langfristig gesehen ist dieser<br />

Weg mit seinen kommunikativen Angeboten, der Nutzung der<br />

Potenziale des Spiels und seiner auf das soziale Verhalten zie-<br />

lenden Methode ein großer Gewinn für alle Beteiligten.<br />

26 27


3. „Flucht nach vorn – Methodenwechsel dringend gesucht!“ 3. „Flucht nach vorn – Methodenwechsel dringend gesucht!“<br />

Von Boal zum Rollenspiel und wieder zurück – Theaterarbeit<br />

mit benachteiligten Jugendlichen (2003/2004)<br />

Die Vorgeschichte: Auf der Suche nach einer Gruppe von arbeitslosen<br />

Jugendlichen<br />

Nachdem ich mehrere Boal-Projekte in Schulen, vor allem mit Schülern,<br />

aber auch mit Lehrern sowie Seminare mit Lehramts- und Sozialpädagogikstudenten<br />

realisiert hatte, suchte ich eine neue Zielgruppe.<br />

Hintergrund dafür war, dass in der Debatte über die Arbeitsmarktreformen<br />

arbeitslose Jugendliche in der öffentlichen Wahrnehmung nur<br />

eine geringe Rolle spielten. Mir erschien es wichtig, einen Einblick in<br />

einen wesentlichen Bereich unserer Gesellschaft zu bekommen. Mit<br />

der konkreten und sehr praktisch orientierten Theatermethode des<br />

Forum:Theaters von Augusto Boal sah ich eine gute Zugangschance.<br />

Das Forum:Theater sollte eine Hilfestellung zur Bewältigung des Alltags<br />

arbeitsloser Jugendlicher geben.<br />

Ein Gespräch mit dem Direktor des Arbeitsamts, heute Arbeitsagentur,<br />

ergab, dass eine Realisierungschance über eine der Beschäftigungsgesellschaften<br />

und die dort arbeitenden Sozialpädagogen<br />

möglich sei. Tatsächlich erhielt ich eine Woche nach dem Gespräch<br />

einen Anruf von der Sozialpädagogin Frau H. vom SUFW, dem Sächsischen<br />

Umschulungs- und Fortbildungswerk. Sie teilte mir mit, dass<br />

sie mein Angebot und die Theatermethode Augusto Boals sehr interessiere.<br />

Somit vereinbarte ich mit Frau H. einen Ortstermin.<br />

Ich staunte sehr, als ich erstmals das imposante Gelände des Umschulungszentrums<br />

im Dresdner Westen betrat, das eigens für Jugendliche<br />

eingerichtet wurde, welche Schulanforderungen nicht oder<br />

nur sehr mangelhaft erfüllten bzw. durch Kriminalität oder Drogen<br />

aus ihrem sozialen Umfeld herausgefallen waren. Ich sah mehrere<br />

Gruppen von vorwiegend männlichen Jugendlichen, die meisten<br />

bekleidet im „Blaumann“, die in den unterschiedlichsten Gewerken<br />

tätig waren. Das war kein Theaterpublikum; Kultur, Kunst, Literatur<br />

oder Theater interessierten diese Jugendlichen wohl nicht sonderlich.<br />

Trotzdem sicherte Frau H. mir zu, dass auf freiwilliger Basis eine Gruppe<br />

Jugendlicher zusammenkäme, da sei sie ganz sicher.<br />

Zitate der Jugendlichen:<br />

Was brachte uns das ,,Theaterspiel“ für unsere persönliche Entwicklung?<br />

Seit dem Winter 2003 nehmen wir, zwei Vorbereitungsgruppen in den<br />

Bereichen Holztechnik sowie Garten- und Landschaftsbau, aus dem<br />

Sächsischen Umschulungs- und Fortbildungswerk Dresden e.V. an einem<br />

Projekt der ,,Sächsischen Jugend für Demokratie“ teil. In Form des<br />

Forumtheaters nach Augusto Boal werden durch das Darstellen der<br />

selbst erlebten Situationen und die Veränderung des Verhaltens der<br />

Beteiligten verschiedene Lösungsmöglichkeiten der konfliktreichen<br />

Situationen erlebbar. Wir gewannen dabei einen kleinen Einblick in<br />

das Theaterleben. Schauspielerische Vorkenntnisse besaß niemand<br />

von uns, doch das war auch nicht erforderlich. Es zählte zunächst,<br />

dass jeder von uns die Bereitschaft zur Beteiligung, viele Ideen, Spaß<br />

an der körperlichen Bewegung und eine kleine Portion Ausdauer zum<br />

spielerischen Umsetzen mitbrachte.<br />

Vorbereitung<br />

Nun hatte ich die Zusage von Frau H., dass eine Gruppe von zehn<br />

Jugendlichen mich erwartete. Aus der gemeinsamen Erfahrung heraus,<br />

dass es notwendig ist, viele Partner in ein solches Projekt einzubinden,<br />

führten wir noch ein Gespräch mit dem Direktor des Umschulungswerkes.<br />

Meister, Dozenten und Lehrer müssen wissen, was<br />

ihre Jugendlichen machen, sie müssen möglichst umfangreich in ein<br />

solch „fremdes“ Projekt eingebunden werden. Frau H. war sehr interessiert,<br />

die Methode kennenzulernen, und so vereinbarten wir, dass<br />

sie ständig den Kurs begleiten sollte, einerseits um zu lernen, andererseits<br />

um als möglicher „Puffer“ bei Konflikten zu vermitteln. Ebenso<br />

besuchten die beiden Leiter der beteiligten Gruppen „Holz“ und<br />

„Garten“ einen Vormittag lang unsere Theaterarbeit und beteiligten<br />

sich sehr aktiv. Mir war klar, dass ich mit sehr einfachen Mitteln an<br />

die Jugendlichen herantreten musste. Also wählte ich in der Erwärmungsphase<br />

viele spielerische Angebote, klare szenische Vorgaben,<br />

einfache Konflikte und als Einstiegsphase auch Arbeit mit den Mitteln<br />

des Rollenspiels.<br />

28 29


3. „Flucht nach vorn – Methodenwechsel dringend gesucht!“ 3. „Flucht nach vorn – Methodenwechsel dringend gesucht!“<br />

Die Arbeit mit den Jugendlichen<br />

Im November 2003 begann die Arbeit mit zehn Jugendlichen. Sie endete<br />

im Juli 2004 (zu einem späteren Zeitpunkt wurde sie mit anderen<br />

Jugendlichen im Theaterhaus Rudi einmal im Monat fünf Stunden lang<br />

fortgesetzt). Es handelte sich um Jugendliche, die den Hauptschulabschluss<br />

nicht oder nur sehr mäßig bewältigt hatten und nun für<br />

ein Jahr im Umschulungswerk ausgebildet wurden, um anschließend<br />

doch noch eine Lehrstelle auf dem freien Arbeitsmarkt zu bekommen.<br />

Allerdings waren ihre Aussichten denkbar schlecht. Im zunehmenden<br />

Verlauf der Arbeit bekam ich einen immer tieferen Einblick in das<br />

Umfeld der Jugendlichen, also vor allem in ihre Erfahrungen bei den<br />

Berufspraktika und in ihr Freizeitverhalten. Insgesamt gab es ca. 20<br />

Treffen, die ich anfangs auf fünf Schulstunden terminiert hatte, um<br />

Zeit und Muße für die Konflikte zu haben, verkürzte meine Vorgabe<br />

aber bereits nach dem zweiten Zusammentreffen auf drei Stunden,<br />

da sonst alle Beteiligten überfordert gewesen wären.<br />

Es war nicht möglich, ausschließlich mit der Boal-Methode zu arbeiten.<br />

Der Wunsch und das Problembewusstsein, an selbst erlebten<br />

Gewaltszenen zu arbeiten, waren gering. Erst als der fünfzehnjährige<br />

M. eines Morgens mit blauem, geschwollenem Auge und einer ganz<br />

persönlichen Erfahrung vor die Gruppe trat – am Abend vorher war er,<br />

eine Zigarette rauchend, vor dem Elternhaus von einem Betrunkenen<br />

mit einem Faustschlag niedergeschlagen worden –, war die Betroffenheit<br />

in der Gruppe spürbar, die eine so wichtige Voraussetzung für<br />

das Arbeiten mit der Boal-Methode ist. Im Nachspielen der Szene, im<br />

Ausprobieren verschiedener Lösungen sammelten die Jugendlichen<br />

neue Erfahrungen. Oberflächlich gesehen vermittelte die Gruppe den<br />

Eindruck von Coolness und Sicherheit. Aber allein die Tatsache, dass<br />

die Jugendlichen aus meiner Sicht kaum bereit waren, ihr eigenes<br />

Verhalten genauer zu beobachten, verweist darauf, dass die Konflikte<br />

sehr tief liegen und von einer Schicht aus Coolness und Albernheit<br />

überlagert werden. Dies zeigte sich besonders in einer Szene, die der<br />

sechzehnjährige R. vorstellte: Zu Silvester kam es zwischen zwei betrunkenen<br />

Cliquen wegen eines nichtigen Anlasses zu einer Massenschlägerei.<br />

Es war mir nicht möglich, diese Szene mit spielerischen<br />

Mitteln, ergänzenden Szenen oder kleinen Änderungen zu vertiefen.<br />

Die Jugendlichen wollten hier keine Lösung und bemühten sich daher<br />

auch um keine.<br />

Der Begriff des Konfliktes war in dieser Gruppe weiter zu fassen und<br />

auch zu vereinfachen. Zunehmend nutzte ich einfache Rollenspiele,<br />

um Konflikte zu gestalten. Es ist wichtig, die Boal-Methode zu erweitern:<br />

Ausgehend von der besonderen Lebenssituation der Jugendlichen<br />

müssen Situationen gefunden werden, die sie im Alltag nicht<br />

bewältigen können und die durch spielerische Erfahrungs- und Verhaltensmöglichkeiten<br />

geübt werden. So spielten wir u. a.:<br />

• Gespräch mit meinem Arbeitsamtsachbearbeiter<br />

• Bewerbungsgespräche<br />

• der erste Arbeitstag an unterschiedlichen Arbeitsplätzen<br />

• Begegnung mit unterschiedlichen Chefs – Wie verhalte ich<br />

mich?<br />

• Kundenberatung in einem Handygeschäft; BMX Fahrradge-<br />

schäft<br />

• „Ein Türsteher wird gesucht“ – Stellensuche an den unter-<br />

schiedlichsten Orten (Flughafen, Krankenhaus, Bank, Zoo,<br />

Werttransport, Disco)<br />

Trotz dieser Erweiterungen der Methode war das Problembewusstsein<br />

der Jugendlichen kaum entwickelt. Äußerlich gesehen hatten sie<br />

einen nur geringen „Leidensdruck“ und verspürten wenig Lust, ihre<br />

Situation zu reflektieren. Häufig neigten sie zu kindlichem Verhalten,<br />

sie zeigten Unlust, Müdigkeit, Albernheit und Konzentrationsschwächen.<br />

Ausgangspunkt der Boal-Methode sind eigene Erfahrungen der<br />

Ohnmacht in konkreten alltäglichen Situationen und der Wunsch,<br />

daran etwas zu ändern. Genau an diesem Punkt muss angesetzt werden:<br />

an dem Verlangen, etwas zu verändern und dafür auch den nötigen<br />

Willen aufzubringen.<br />

Zitat der Jugendlichen:<br />

Unsere Ideen – Beispiel: Wir diskutierten alle, welche Alltagssituationen<br />

jeder von uns bereits erlebt hat und überlegten gemeinsam, wie<br />

wir diese darstellen können. Ein gutes Beispiel war die selbst erlebte<br />

30 31


3. „Flucht nach vorn – Methodenwechsel dringend gesucht!“ 3. „Flucht nach vorn – Methodenwechsel dringend gesucht!“<br />

Situation eines Jugendlichen, der vor seinem Haus noch schnell eine<br />

Zigarette geraucht hatte. Er wurde von einem alkoholisierten Mann<br />

angesprochen, ob er nicht noch eine Zigarette für ihn übrig hätte. Die<br />

Situation eskalierte, sodass es zu einer Prügelei kam. Wir stellten die<br />

verschiedensten Szenen gemeinsam zusammen und es wurde für uns<br />

,,Laienschauspieler“ ernst . Jeder von uns übernahm eine Rolle und<br />

die Szene wurde nachgespielt. Wir probierten aus, was passiert wäre,<br />

wenn sich das „Opfer“ anders verhalten hätte. Wir staunten nicht<br />

schlecht, welche schauspielerischen Fähigkeiten in Einzelnen von uns<br />

schlummerten. Spaß bereitete uns das Spiel ’ne ganze Menge und jeder<br />

wurde auch enorm gefordert, z. B. lernten wir, uns über einen längeren<br />

Zeitraum zu konzentrieren, uns besser beherrschen zu können<br />

und uns für schöne Dinge im Leben zu begeistern.<br />

Anfang und Grundgerüst<br />

Gerade für das Theaterspiel – dem oft der Hang zum Chaotischen<br />

nachgesagt wird – ist Strukturbildung entscheidend. Daher empfiehlt<br />

Boal, jedes Treffen mit einer Einführungs- und Erwärmungsphase<br />

zu beginnen. In dieser Anfangsphase wird spielerisches Handeln<br />

und damit das Herangehen an unbekannte oder verloren gegangene<br />

Ressourcen, ganzheitliches Handeln und sinnlich-konkretes Erleben<br />

sowie körperlichen Ausdruck – wo Sprache eher Barrieren aufbaut –<br />

geübt und gelehrt. Auch im Umschulungszentrum war diese Erwärmungsphase<br />

beliebt. Sie gab den Jugendlichen die Möglichkeit, sich<br />

selbst, ihre Spiellust, ihren Körper und die Mitspieler auf neue und<br />

ungewohnte Weise<br />

kennenzulernen.<br />

In der zweiten Übungsphase wird versucht, das Thema der jeweiligen<br />

Zusammenkunft gemeinsam zu finden und zu entwickeln. Dabei<br />

muss der Dozent unbedingt mehrere Vorschläge mitbringen, die an<br />

das letzte Treffen anknüpfen. Wir begannen mit persönlich erlebten<br />

Ereignissen: Jeder sollte Geschichten erzählen, besonders aus früheren<br />

Zeiten, z. B. aus der Grundschule, Lehrer-Schüler-Konflikte, aber<br />

auch Konflikte im Freundeskreis oder Konfliktszenen, von denen die<br />

Schüler gehört bzw. die sie im Fernsehen gesehen hatten. Am dramatischsten<br />

war die Geschichte des sechzehnjährigen P., der in der<br />

Grundschule miterlebte, wie zwei Mittelschüler einen anderen Schüler<br />

aus dem Fenster hielten. Es gab noch viele weitere Szenen zum<br />

Schulalltag, sodass sich als Einstieg Konfliktszenen zwischen Lehrern<br />

und Schülern anboten.<br />

In der dritten Phase arbeiteten wir systematisch an einem Thema. Es<br />

ging dabei um das Verhältnis einer Klasse zu ihrem Lehrer, den sie wenig<br />

respektierten und den sie mit kleinen Papierschnipseln bewarfen.<br />

Der Lehrer war eindeutig das „Opfer“, doch die Schüler interessierte<br />

das kaum. Daher probierten wir es mit einem anderen Konfliktfall: In<br />

einer Gruppe von Jugendlichen wurde ein Mitschüler „gemobbt“. Das<br />

stieß zunächst auf Interesse, gerade auch die Eskalation der Gewalt,<br />

bald verloren sie aber auch hier die Lust am Thema.<br />

Mir war klar, dass ich von ihnen eine größere Ernsthaftigkeit verlangen<br />

musste. Nachdem ich feststellte, dass sie überwiegend mich arbeiten<br />

ließen und sich selbst eher die unterhaltenden Teile herauspickten,<br />

machte ich ihnen dieses Verhalten deutlich: Der Staat tut hier etwas<br />

für sie, sie haben einen engagierten Ausbilder, sie haben eine Sozialpädagogin,<br />

ich biete ihnen den Kurs an, sie bekommen immerhin 200<br />

€ monatlich als Bezahlung. Aber was ist ihre Grundhaltung, was ist<br />

ihre Gegenleistung? Sie wollen Spaß und Unterhaltung haben. In der<br />

Folge brachte ich immer wieder das Problem der Ernsthaftigkeit ins<br />

Spiel: Wir machen das nicht nur zum Spaß. Es geht um eure Zukunft.<br />

Ihr müsst euch einbringen. Ihr habt auch eine Verantwortung für das<br />

Gelingen des Seminars. Nach dieser offenen Kritik an ihrem Verhalten<br />

ließ ich die Jugendlichen das für sie gegenwärtig wichtigste Wort<br />

32 33


3. „Flucht nach vorn – Methodenwechsel dringend gesucht!“ 3. „Flucht nach vorn – Methodenwechsel dringend gesucht!“<br />

aufschreiben. Anschließend las jeder seins vor. In den Worten kommt<br />

die ganze Ernsthaftigkeit, Sehnsucht und Tiefe der Jugendlichen zum<br />

Ausdruck.<br />

Worte der Jugendlichen:<br />

Vertrauen<br />

Beruf<br />

Lehrausbildung<br />

Schule<br />

Teamfähigkeit/Entwicklung<br />

Gewalt<br />

anerkannt werden<br />

Freiheit<br />

Zukunft<br />

Worte der Erwachsenen:<br />

Gemeinsamkeit geäußert von der Sozialpädagogin<br />

Annahme geäußert von der betreuenden Psychologin<br />

Arbeit geäußert von mir<br />

Es ist also keineswegs so, dass die Jugendlichen nicht an Konflikten<br />

und Problemen interessiert wären, nur sind diese von so grundsätzlicher<br />

Natur, dass eine Lösung für sie geradezu utopisch erscheint.<br />

Die Jugendlichen pendeln zwischen ihrer Ohnmacht und ihren Allmachtsfantasien<br />

hin und her. Im weiteren Verlauf der Arbeit kam ich<br />

in Leerphasen immer wieder auf diese Begriffe zurück und wir suchten<br />

Übungen oder Spielszenen zu den einzelnen Begriffen. Sie bildeten<br />

ein verstecktes Grundgerüst unserer gemeinsamen Begegnungen.<br />

Dazu entwickelte ich mit den Jugendlichen ein Regelwerk. In der Folge<br />

versuchte ich, diese Grundregeln anzuwenden, was von ihnen aber<br />

immer wieder umgangen wurde.<br />

Dennoch waren die Regeln wichtig, sodass ich sie immer wieder in<br />

die Gruppe einbrachte. Auf diese Weise merkten die Jugendlichen,<br />

dass es eine Struktur gab. Das vermittelte Sicherheit.<br />

Persönliches<br />

Unsere Arbeit wurde immer wieder durch zwei- bis dreiwöchige Praktika<br />

unterbrochen. Es ist wichtig, die Jugendlichen an dieser Stelle<br />

nach ihren Erfahrungen zu befragen. Weiterhin ist es von großer Bedeutung,<br />

ihr soziales und familiäres Umfeld kennenzulernen und zu<br />

erfahren, was sie eigentlich in ihrer Freizeit machen.<br />

Hier zeigte sich ein eher erschreckendes Bild: Die Dauer der Praktika<br />

selbst wird immer kürzer, oft sind sie nur noch zwei bis drei Wochen<br />

lang. Immer weniger Betriebe nehmen überhaupt noch Praktikanten.<br />

Die Aussicht auf eine Lehrstelle ist minimal. Die beim Praktikum<br />

gemachten Erfahrungen sind positiv und es ist spürbar, dass die Jugendlichen<br />

an diesen Aufgaben und in dieser Arbeitswelt reifen. Doch<br />

bereits nach zwei Wochen ist das Praktikum wieder zu Ende und die<br />

Jugendlichen wissen nicht weiter. Ihr „Überlebens-“ oder „Selbstrettungsinstinkt“<br />

ist nur gering ausgebildet. Als ich zu dieser Thematik<br />

Szenen improvisieren ließ (z. B.: „Stelle Dir vor, du bist allein in einer<br />

Wüste, du hast nichts zu essen, nur noch wenig zu trinken, du hörst<br />

die Tiere heulen und brüllen. Was tust du?“), leugneten sie, jemals<br />

in eine solche Situation zu kommen bzw. gaben sie an, dass sie ja<br />

ihr Handy bei sich hätten, mit dem sie telefonieren und Hilfe holen<br />

könnten.<br />

Die berufliche Ausweglosigkeit und die eigene Passivität belasten<br />

die Jugendlichen erheblich. Das führt zur weiteren Inaktivität – ein<br />

Circulus vitiosus entsteht. Verstärkend kommt hinzu, dass sie in ihrer<br />

Freizeit weitgehend sich selbst überlassen sind. Keiner war in einem<br />

Verein oder einer festen Struktur organisiert. Nach all diesen persönlichen<br />

Darstellungen kann ich weit besser verstehen, warum viele<br />

Jugendliche häufig so lethargisch sind. Das schwach entwickelte Ich<br />

wird betäubt durch Alkohol, passive Unterhaltung vor dem Fernseher<br />

− die Jugendlichen lassen sich einfach treiben.<br />

So versuchte ich herauszubekommen, wie die „Teamfähigkeit“ der<br />

Jugendlichen entwickelt war, ob sie in der Lage waren, sich in gemeinsamen<br />

Projekten gegenseitig zu stärken. Dazu bot ich ihnen Rollenspiele<br />

an. So sollten z. B. vier Jugendliche für eine junge Familie<br />

34 35


3. „Flucht nach vorn – Methodenwechsel dringend gesucht!“ 3. „Flucht nach vorn – Methodenwechsel dringend gesucht!“<br />

eine Einbauküche einrichten. Wie einigen sie sich, ohne in Streit zu<br />

geraten? Eine andere Gruppe musste eine Küche für ein altes Ehepaar<br />

aufbauen. Auch hier hatten es die Jugendlichen schwer, sich derartige<br />

Situationen überhaupt vorzustellen. Und wenn es ihnen doch gelang,<br />

dann übernahm einer die Führung und die anderen ließen sich<br />

von ihm leiten. Auffällig ist, dass sie in den Spielszenen viel zu wenig<br />

Verantwortung übernahmen. Deshalb legte ich eine Reihenfolge fest,<br />

in der jeder immer wiederkehrende Ideen bzw. Beiträge ins Spiel einbringen<br />

musste. Das klappte besser.<br />

Spannend wurde es, als P. von seinem Praktikum im Handy-Geschäft<br />

berichtete. Es gab keine Konflikte mit dem Chef und seiner Mitarbeiterin,<br />

sie waren ein sehr gutes Team. Eventuell konnte er hier eine<br />

Lehrstelle bekommen. Das interessierte uns alle. Wir wollten wissen,<br />

wie er mit den unterschiedlichen Kunden umgehen kann. Dies spielten<br />

wir, und dieses Mal waren alle sehr aktiv. Wir stellten unterschiedliche<br />

Figuren dar: ein alter, schwerhöriger Mann, der hereinkommt<br />

und nichts versteht; ein junger Aufschneider-Typ; ein Ausländer, der<br />

kaum deutsch spricht; ein Betrunkener; ein Dieb. In allen Situationen<br />

zeigte sich P. sehr aufgeschlossen. Er war freundlich und ging auf die<br />

unterschiedlichsten Kunden sehr individuell und geduldig ein. Was<br />

besonders auffiel, war, dass er immer für den jeweiligen Kunden eine<br />

Lösung finden wollte und sich als ein wirklich guter Kundenberater<br />

herausstellte. Das bestätigte seine Begabung und machte deutlich,<br />

dass das Handy-Geschäft eine wirklich gute Wahl träfe, wenn es ihm<br />

eine Lehrstelle anböte.<br />

Besonders interessierte die Jugendlichen der Umgang mit älteren Arbeitskollegen.<br />

M. traf beispielsweise im Praktikum auf einen Mann,<br />

der überhaupt nicht mit ihm redete. Stundenlang saßen sie nebeneinander<br />

im Auto, kein Wort fiel. Auch erklärte er M. seine Arbeit nicht.<br />

So probierten wir unterschiedliche Verhaltensweisen für M. aus und<br />

er war froh, unterschiedliche Handlungsweisen an sich selbst erfahren<br />

zu können.<br />

Schluss<br />

In diesem Projekt zeigte sich, dass die Theatermethode Augusto Boals<br />

eine gute Grundlage bietet, um auch mit schwierigen, ich-schwachen<br />

Jugendlichen zusammenzuarbeiten. Voraussetzung ist, dass<br />

Vereinfachungen, wie ich sie oben beschrieben habe, genutzt und<br />

umgesetzt werden. Entscheidend ist dabei, flexibel auf die Jugendlichen<br />

zu reagieren, sie so anzunehmen, wie sie sind und sie auf ihrer<br />

„Albernheits- und Unsinnsebene“ zu akzeptieren. Gleichzeitig ist es<br />

notwendig, klare Grenzen zu setzen, Regeln einzuführen und nachdrücklich<br />

für das Gelingen des Kurses die Verantwortung der Jugendlichen<br />

einzufordern.<br />

Mit dem Theaterspiel erkannten wir, welche Verantwortung jeder<br />

trägt, um zum guten Gelingen beizutragen. Wir überlegten weiter,<br />

wie wir in konfliktreichen Situationen reagieren können und<br />

was das für Auswirkungen auf den Ausgang der Situation haben<br />

kann. Wir konnten erkennen, dass unser eigenes Verhalten einen<br />

großen Einfluss darauf hat, wie eine Situation ausgeht. Dadurch,<br />

dass wir dies darstellten, konnten wir einen neuen Blick auf die<br />

erlebte Situation werfen. Es war interessant zu sehen, wie viele<br />

Möglichkeiten und Situationen unser tägliches Leben uns bietet<br />

und wie wir darauf Einfluss nehmen können.<br />

36 37


4. „Endlich Luft zum Atmen haben“ 4. „Endlich Luft zum Atmen haben“<br />

Lehrer entdecken vier Tage das Forum:Theater für sich<br />

(10/2006)<br />

In den Herbstferien 2006 kamen neun Lehrerinnen zu einer viertägigen<br />

Forum:Theater-Werkstatt im Saal des Theaterhauses Rudi zusammen.<br />

Der Kurs umfasste 32 Schulstunden (24 Zeitstunden), jeweils<br />

von 9 Uhr bis 15.30 Uhr. Die Teilnehmerinnen kamen aus Mittelschulen<br />

in Dresden und dem Dresdner Umland. Viele verfügten über Erfahrungen<br />

im praktischen Theaterspiel (Darstellendes Spiel; Schultheater).<br />

Der erste Tag<br />

1.1 Wir begannen mit einer Vorstellungsrunde, in der vor allem die<br />

Interessen und die Bedürfnisse der Beteiligten im Mittelpunkt standen.<br />

Zwei Wünsche wurden von den Teilnehmerinnen formuliert: Einige<br />

wünschten theaterpraktische Hinweise, z. B. „von der Idee zur<br />

Inszenierung“, die andere Gruppe war an Konfliktbearbeitungen auf<br />

spielerische Weise interessiert. Der Werkstattleiter zeigte sich bemüht,<br />

beide Interessen zu befriedigen, was aus meiner Sicht gelang,<br />

da sich immer wieder theaterpraktische Umsetzungsfragen ergaben,<br />

die von mir an Beispielen erläutert werden konnten.<br />

Daran schloss sich die Erwärmungsphase an. Ihre Bedeutung ist von<br />

großem Wert, da sie sowohl Ritual wie Öffnung in die ungewohnte<br />

Spiel-, Konflikt- und Ausdruckswelt des Forum:Theaters ist. Im Laufe<br />

der vier Tage versuchte ich, den Teilnehmerinnen viele Übungen und<br />

deren Sinn zu vermitteln.<br />

1.2 Die Erwärmungsphase stellt das „Eingangstor“ in die praktische<br />

Arbeit dar. Sie sollte für den Pädagogen jederzeit abrufbar sein. Bei<br />

Unruhe, Konzentrationsschwächen oder Ermüdungserscheinungen<br />

der Beteiligten können die Übungen eingesetzt werden. Dadurch entsteht<br />

ein sinnvoller Ausgleich zu den einseitigen Belastungen, denen<br />

Schüler im Schulalltag ausgesetzt sind und die sich im Wesentlichen<br />

auf Sitzen, Zuhören, Denken und sich am Unterricht verbal und kognitiv<br />

zu beteiligen beschränken. In den bewegungsorientierten Übungen<br />

erfahren die Schüler auf strukturierte Weise, dass Spiel, Bewegung<br />

und Ausdrucksvermögen auch im Unterricht und im scheinbar<br />

so spielfeindlichen Klassenraum möglich sind. Die Lehrerinnen ergänzten<br />

meine Vorschläge mit Übungen aus ihrem Erfahrungsschatz.<br />

Im Abschlussgespräch bestätigten alle Beteiligten, dass die Erwärmungsphasen<br />

am Beginn eines Werkstatttages wichtig und notwendig<br />

waren und sie eine Vielzahl von Beispielen mit nach Hause und<br />

in die praktische Schularbeit nehmen können (Ich verzichte hier auf<br />

die detaillierte Wiedergabe der Übungen und verweise auf Punkt 8<br />

„Methodischer Leitfaden mit praktischen Übungsbeispielen“ und auf<br />

Punkt 10 „Die Literaturliste“. Ein sehr praktisches Buch mit vielen<br />

Übungen ist: Augusto Boal, Theater der Unterdrückten, Übungen und<br />

Spiele für Schauspieler und Nicht-Schauspieler, Suhrkamp 1989).<br />

1.3 Theaterpraktische Übungen am ersten Tag:<br />

• Zwei Partner finden sich, der eine (Bildhauer) baut eine Sta-<br />

tue, der andere stellt sich dazu als „Material“ (Statue) zur Ver-<br />

fügung.<br />

• Die Statuen werden durch einen Museumsdirektor zu einem<br />

Statuenpark aufgebaut. Die Bildhauer wandern hindurch und<br />

schauen sich die unterschiedlichen Statuen an. Im Mittelpunkt<br />

steht dabei die Wahrnehmung: Gibt es Ähnlichkeiten zwischen<br />

den Statuen? Gibt es Verbindungen? Gibt es ein ständig wie-<br />

derkehrendes Thema bzw. eine sich wiederholende Ausdrucks-<br />

form?<br />

• Anhand der Haltung der Statue formuliert der Bildhauer jeweils<br />

einen zu ihr passenden Satz. Diesen müssen die Statuen auf<br />

ein Zeichen der Besucher hin wiederholen.<br />

• Die Statuen können einen „inneren“ Monolog halten, d. h. sie<br />

sprechen von ihren Gedanken, Gefühlen, etc.: Wer sind sie?<br />

Was tun sie gerade? Die Bildhauer stellen W-Fragen: Wer bist<br />

du? Was machst du? Warum machst du es? Wo bist du? Wozu<br />

machst du es?<br />

• Es finden sich verschiedene zueinander passende Statuen zu-<br />

sammen.<br />

38 39


4. „Endlich Luft zum Atmen haben“ 4. „Endlich Luft zum Atmen haben“<br />

Das Ziel dieser Übung besteht darin, starke theatralische Bilder<br />

zu finden. Die Teilnehmer erfahren, wie wichtig und hilfreich eine<br />

Form sein kann, die sich nachahmen lässt. Hier helfen häufig –<br />

ähnlich wie im späteren szenischen Arbeitsprozess – minimale<br />

Mittel bei der Gestaltung (Gesten, Vergrößern, Haltung, Bühnenpräsenz).<br />

Standbilder regen die Fantasie mit einfachen Mitteln an.<br />

1.4 Gesprächskreis<br />

Nach diesem praktischen Einstieg mit zwei Standbildern zu den<br />

Themen „Die typische Lehrerhaltung“ und „Die typische Schülerhaltung“<br />

bildeten wir wieder einen Gesprächskreis. Zunächst tauschten<br />

wir die bisher gemachten Erfahrungen aus, wobei die Teilnehmer die<br />

praktischen Übungen als anregend beschrieben. Daran schloss sich<br />

die Themensuche für unsere weitere Arbeit an. Die Teilnehmer schlugen<br />

vor:<br />

• Respektlosigkeit von Schülern gegenüber älteren Menschen<br />

in einer Straßenbahn/Problem der fehlenden Umgangsformen;<br />

selbst behinderte Schüler regen sich über Behinderte auf<br />

• Schüler machen keine Hausaufgaben<br />

• Gespräch zwischen Eltern und Lehrern, Eltern werden immer<br />

anspruchsvoller und unverschämter<br />

• Schüler machen Unsinn, doch sie werden von ihren Eltern ge-<br />

schützt<br />

• Eltern eines Kindes aus der 6. Klasse kommen zu einer Lehrerin<br />

und fragen: Was soll ich mit meinem Kind machen? Bitte helfen<br />

Sie mir!<br />

• Auswüchse antiautoritärer Erziehung sind spürbar<br />

• Kollegen, die sich nie einbringen, z. B. beim fächerübergreifen-<br />

den Unterricht<br />

• neues Konzept einer Ganztagsschule: Wie soll damit umgegan-<br />

gen werden?<br />

1.5 Gruppenstandbild „Lehrer sein!“<br />

Mit diesem Material im Hintergrund erweiterten wir die Arbeit mit<br />

Statuen, nun sollten Gruppenstandbilder entstehen. Wir bildeten<br />

zwei Gruppen und jede Teilnehmerin hatte die Aufgabe, ein Bild zum<br />

Thema „Lehrer sein!“ aus den anderen Teilnehmern zu bauen. Am<br />

Ende musste sich „der Bildhauer“ schließlich selbst in sein Bild einordnen.<br />

Daran schloss sich die Präsentation aller neun Bilder in einer<br />

„Parade“ an. Erst jetzt kam es zu Beschreibungen und einer kurzen<br />

Reflexion. Die Fragestellung lautete: Welches gemeinsame Thema ist<br />

in allen Bildern enthalten? Ziel war es, daraus „das Bild der Bilder<br />

zu erstellen“, also die Quintessenz aller neun Bilder zu fokussieren.<br />

Dabei ergaben sich letztendlich vier zentrale Themen. Alle Teilnehmerinnen<br />

stimmten folgenden vier Begriffen zu:<br />

Desinteresse – Gewalt – Verantwortungsübernahme – Zerrissenheit<br />

Das sich daran anschließende Gespräch zeigte, dass alle Teilnehmerinnen<br />

davon betroffen sind. Der Lehrerberuf ist durch große und<br />

vielfältige Herausforderungen charakterisiert, die weit über die fachliche<br />

Vermittlung von Lehrinhalten hinausgehen. Verallgemeinert man<br />

die neun Erfahrungsbilder, dann bedeutet dies, dass der tägliche<br />

40 41


4. „Endlich Luft zum Atmen haben“ 4. „Endlich Luft zum Atmen haben“<br />

Schulalltag allgegenwärtig von diesen vier herausgearbeiteten Themen<br />

geprägt ist. Jeder Lehrer muss sich ständig damit auseinandersetzen.<br />

Das führt zu einer großen seelischen Belastung.<br />

Wie sehr ist uns bewusst, dass der Beruf des Lehrers es immer<br />

mit Desinteresse, Gewalt und Zerrissenheit als negative Erscheinungsformen<br />

zu tun hat? Wie sehr sind wir darauf vorbereitet und<br />

geschult, um mit dieser Problematik umzugehen?<br />

1.6 Zwei Spielszenen entstehen<br />

Erneut gingen wir in zwei Gruppen und erarbeiteten mit ihnen zwei<br />

Spielszenen zu den Bildern und bisherigen Vorschlägen:<br />

• Elterngespräch<br />

• Problematik im Lehrerzimmer: Ein Schüler vertritt nationalsozi-<br />

alistische Ansichten, die Klassenlehrerin weigert sich einzu-<br />

greifen: „Warum schlafende Hunde wecken?“<br />

Hier stellte ich die Methode des Forum:Theaters von Augusto Boal vor.<br />

Boal baut seine Szenen immer vor dem Hintergrund auf, dass es Täter<br />

und Opfer bzw. einen Protagonisten und einen Antagonisten gibt.<br />

Ich wies darauf hin, dass diese Einteilung für die westeuropäischen<br />

Demokratien nicht zutreffend sei. Boal hatte sein Konzept Anfang der<br />

60er Jahre unter den Bedingungen der brasilianischen Militärdiktatur<br />

entwickelt. In seinem neuesten Buch „Der Regenbogen der Wünsche“<br />

reagiert Boal auf diese anderen Lebensbedingungen in Westeuropa,<br />

indem er auch sogenannte „introspektive Methoden“ vorstellt. Er orientiert<br />

sich damit an unterschiedlichen psychologischen Ansätzen,<br />

die auf der Erkenntnis aufbauen, dass es selten eine Eindeutigkeit<br />

gibt. Der Täter hat häufig Opferanteile und das Opfer Täteranteile.<br />

Wir müssen lernen, sehr genau hinzuschauen, ob das Opfer wirklich<br />

das Opfer ist und der Täter tatsächlich der Täter. Das ist sehr schwierig,<br />

da wir häufig gar keine ausreichenden Hintergrundinformationen<br />

haben, gerade in der Schule, wo das familiäre, das soziale, das<br />

gruppendynamische Umfeld einer Klasse mit 25 bis 30 Schülern dem<br />

Lehrer nicht wirklich bekannt sein kann.<br />

Beispiel zur Täter-Opfer-Problematik<br />

Diese Schwierigkeiten konnten wir an dem Beispiel „Lehrerzimmer“<br />

beobachten. Die Szene zeigte Lehrerinnen im Lehrerzimmer. Am<br />

Ende weigert sich die Klassenlehrerin, etwas gegen den Schüler K.<br />

zu unternehmen, der nationalsozialistische Ansichten vertritt. Dabei<br />

wurde deutlich, dass die Lehrerin sich von vornherein dagegen entschieden<br />

hatte, sich öffentlich zur Haltung des Schülers zu äußern.<br />

Hintergrund war eine gestörte Kommunikation zwischen den Lehrerinnen.<br />

Zwei von ihnen unterhielten sich demonstrativ laut über das<br />

aggressive Verhalten des Schülers K., ohne die Klassenlehrerin zu beteiligen,<br />

obwohl sie sahen, dass diese anwesend war. Sie sprachen<br />

quasi „über ihren Kopf hinweg“. Anschließend war diese „gekränkt“<br />

und weigerte sich. Hier kann unmöglich festgestellt werden, wer Täter<br />

und wer Opfer ist, vielmehr wurde vor allem der Konflikt unter den<br />

Lehrerinnen deutlich.<br />

Der zweite Tag<br />

Am Anfang wiederholten wir die Übungen vom Vortag. Den Teilnehmerinnen<br />

wurde Zeit gelassen, sich Notizen zu machen.<br />

2.1 Erwärmungsphase: neue Übungen<br />

Im Zentrum standen zunächst Körpererfahrungen: den eigenen Körper<br />

wahrnehmen, den eigenen Körper erfahren, die Wichtigkeit der<br />

Atmung (Bauchatmung), der Einsatz der Stimme, einzelne Körperteile<br />

isolieren. Daran schlossen sich Übungen zum Thema Laufen an: verschiedene<br />

Gangarten erproben, Kontakt zu Teilnehmern aufnehmen,<br />

aufeinander zugehen, immer den ganzen Raum nutzen, ein Raumgefühl<br />

entwickeln, das sehr wichtig für das Medium Theater und Theaterarrangements<br />

ist, einzelne darstellerische Übungen, z. B. „Das<br />

Bild vervollständigen“ (complete the image): Zwei Teilnehmer kommunizieren<br />

in Form von Standbildern miteinander. Einer löst sich aus<br />

dem Standbild und bietet ein neues an, der Partner antwortet darauf<br />

mit einem neuen Standbild. So entsteht eine Standbilder-Sequenz.<br />

42 43


4. „Endlich Luft zum Atmen haben“ 4. „Endlich Luft zum Atmen haben“<br />

2.2 Erweiterung der Arbeitstechniken<br />

der gestrigen Gruppenstandbilder<br />

Die zwei Gruppen wählten jeweils<br />

ein markantes Gruppenstandbild des<br />

vorherigen Tages. Dies nennen wir<br />

das Realbild, denn es zeigt die Situation,<br />

wie sie ist. Nun sollte ein Idealbild,<br />

also unser Wunschzustand,<br />

geformt werden. Anschließend wurden<br />

zwei Übergangsbilder eingebaut,<br />

sodass jede Gruppe insgesamt vier<br />

Bilder zeigte. In jedem Bild bekam<br />

jede Figur einen Satz. Die Übergänge<br />

von Bild zu Bild wurden in Zeitlupe<br />

gespielt, was der Deutlichkeit der<br />

Szene dient. Außerdem macht es<br />

vom spielerischen Aspekt her Spaß<br />

und die Teilnehmer üben damit das<br />

Formbewusstsein. Die Szenen wurden in<br />

Gruppenarbeit vorbereitet.<br />

Bei der Präsentation wurde eine Szene zwischen einem Lehrer und<br />

drei Schülern gezeigt. Das Realbild verdeutlichte eine ausschließliche<br />

Fokussierung des Lehrers auf die Sachebene, offensichtlich ging<br />

es ihm darum, „Wissen zu vermitteln“. Die Schüler standen hintereinander,<br />

konnten also nicht miteinander reden. Im nächsten Bild<br />

lockerte sich die starre Situation. Im vierten Bild kommunizierten<br />

schließlich alle vier Teilnehmer im Kreis. Es wurde deutlich – auch<br />

durch die Entwicklung der Sätze – dass zu diesem Zeitpunkt die Beziehungsebene<br />

für alle Beteiligten wichtig wurde.<br />

2.3 Gesprächskreis<br />

Ich verteilte ein Informationsblatt zu den „Aufgaben des Spielleiters“.<br />

Darin werden die notwendigen Kompetenzen des Spielleiters<br />

im Forum:Theater beschrieben (siehe Anhang):<br />

• analytische Kompetenz<br />

• Kompetenz im Theaterspielen<br />

• gruppendynamische Kompetenz<br />

Die unterschiedlichen Kompetenzen – sie vertieften die Problematik<br />

„Täter“ und „Opfer“ –eindeutig festzulegen, interessierte die Teilnehmerinnen,<br />

sie traten in einen lebendigen Erfahrungsaustausch (diese<br />

Momente gab es immer wieder).<br />

Eine Teilnehmerin beschrieb in Bezug auf die analytische Kompetenz<br />

ein Mobbing-Ereignis, das in ihrer Schule stattgefunden hatte und<br />

das dramatisch endete: Der „gemobbte Schüler Moritz“ (Name fiktiv)<br />

verletzte auf dem Schulheimweg einen Schüler mit einem Messer am<br />

Bein.<br />

Das Ereignis bewegte alle so sehr, dass sich die Gruppe entschloss,<br />

diesen aktuellen Fall genauer zu untersuchen. Wie kann es zu solch<br />

einem dramatischen Ereignis kommen? Wo liegen die Drehpunkte?<br />

Wo ist ein Eingreifen möglich? Wer trägt Verantwortung für die Eskalation?<br />

Die betroffene Lehrerin beschrieb zunächst den Vorfall und die Hintergründe<br />

der Tat, soweit sie Kenntnis davon hatte. Sie war neu an der<br />

Schule und erst seit sechs Wochen die Klassenlehrerin dieser 9. Klasse.<br />

Ihres mangelhaften Informationsstandes war sie sich bewusst.<br />

Sie beschrieb die Klasse, das familiäre Umfeld von Moritz, die offensichtliche<br />

Dominanz der Mutter und ihren persönlichen Eindruck, den<br />

sie von dem Schüler hatte.<br />

2.4 Gruppenarbeit<br />

Wieder fanden sich zwei Gruppen zusammen. Sie sollten die aus ihrer<br />

Sicht wichtigsten Szenen auswählen, szenisch anlegen, üben und der<br />

anderen Gruppe vorstellen.<br />

44 45


4. „Endlich Luft zum Atmen haben“ 4. „Endlich Luft zum Atmen haben“<br />

2.5 Präsentation<br />

1. Gruppe: Moritz ist neu in der Klasse. Wie reagiert diese auf<br />

ihn?<br />

2. Gruppe: Moritz befindet sich mit den anderen in der Pause.<br />

Wie reagiert die Klasse auf ihn?<br />

Wir reflektierten die dargestellten Szenen und unterbreiteten zunächst<br />

Änderungsvorschläge. Dann erklärte ich die Methode des<br />

Forum:Theaters, bei der es entscheidend ist, dass die Szenen gespielt<br />

werden. Auf gesprochene<br />

Sprache und Diskussionen,<br />

unsere bisherigen<br />

Kommunikationsformen,<br />

verzichteten wir von nun<br />

an. Die neuen Vorschläge<br />

wurden direkt vom Ideengeber<br />

spielerisch in die<br />

Szene eingebaut, und<br />

alle Mitspieler mussten im Rahmen<br />

ihrer Rolle auf das neue Spielangebot<br />

reagieren<br />

Der dritte Tag<br />

3.1 Wir begannen wieder mit der Erwärmungsphase. Wir standen im<br />

Kreis und dieses Mal übernahmen zunächst einige Lehrerinnen die<br />

Leitung (Spiel mit zwei Bällen, Bälle gehen immer wieder den gleichen<br />

Weg). Dann übernahm ich die Leitung und führte neue Übungen<br />

ein: Spiel mit imaginären Bällen, die Bälle verändern sich; imaginäre<br />

Gegenstände werden herumgereicht, die Gegenstände verändern<br />

sich. Im Kreis wurde eine Haltung, eine Geste oder ein kurzer Satz<br />

weitergegeben. Daran schlossen sich kurze szenische Übungen an.<br />

Ein imaginärer Koffer wurde ausgepackt, der Partner war „Zuspieler“,<br />

indem er ebenfalls Dinge herausholte. Er fragte den „Besitzer“ nach<br />

der Bewandtnis dieser Gegenstände. So entstand ein witziger, die<br />

Fantasie anregender Dialog, der das Zusammenspielen schult.<br />

3.2 Fortsetzung der Arbeit an den Szenen vom vorherigen Tag<br />

Eine Gruppe präsentiert ihre Spielszene. Die Szene gliedert sich wie<br />

folgt:<br />

• Schüler ärgern Moritz<br />

• der Lehrer interveniert<br />

• anschließendes Gespräch nach der Stunde zwischen dem Leh-<br />

rer und Moritz<br />

Die Lehrerinnen probierten mit der Methode des Forum:Theaters andere<br />

Verhaltensweisen aus. Dabei durfte Moritz als Spieler nicht ausgetauscht<br />

werden, denn Moritz ist Moritz und wir mussten versuchen,<br />

ihn zu verstehen und mit ihm umzugehen. Er lebt seine typischen<br />

Verhaltensweisen aus. Die Umwelt muss lernen, anders damit umzugehen,<br />

was auch bedeutet, Moritz zu einem anderen Verhalten zu<br />

motivieren. Dies sind die Spielregeln des Forum:Theaters nach Boal,<br />

bei dem das darstellende Nachvollziehen und Erproben der realen<br />

Vorlagen unsere „noch schlummernde“ soziale Fantasie und Kreativität<br />

hervorlocken sollen. Dabei müssen wir uns darum bemühen,<br />

bei aller spielerischen Freiheit und den gelegentlich auftauchenden<br />

absurden Lösungsvorschlägen, die durchaus befreienden Charakter<br />

haben können, auf dem Boden der Realität zu bleiben. Es sollte immer<br />

um konkrete Lösungen gehen, die mit den Mitwirkenden der vorgestellten<br />

Szene umzusetzen sind. Hilfreich ist dabei eine dreistufige<br />

Vorgehensweise:<br />

wahrnehmen – verstehen – reagieren<br />

Wir befanden uns noch in der Recherchephase, d. h.<br />

• wir mussten erst einmal wahrnehmen, was Moritz macht,<br />

• dann mussten wir versuchen, es zu verstehen oder nachzu-<br />

empfinden,<br />

• und schließlich mussten wir lernen, darauf anders zu reagie-<br />

ren.<br />

46 47


4. „Endlich Luft zum Atmen haben“ 4. „Endlich Luft zum Atmen haben“<br />

Wie soll mit randalierenden und unverschämten Schülern umgegangen<br />

werden?<br />

Die Szene zeigte zunächst vorrangig das laute und aggressive Verhalten<br />

der meisten Schüler. Mehrere Lehrerinnen fanden den Mut, in<br />

die Szene einzusteigen und neue Verhaltensweisen zu erproben. Im<br />

Forum:Theater wird nicht über die Szene nachgedacht und gesprochen<br />

– dies kann und muss im Anschluss geschehen –, sondern konkrete<br />

praktische Handlungs- und Lösungsmuster werden entwickelt<br />

und erlernt. Diese können wie folgt aussehen:<br />

• Status senken, scheinbare Kumpelhaftigkeit plus Ironie<br />

• die Zügel trotzdem in der Hand behalten<br />

• Herrsche und teile!<br />

• zum „guten“ Teil der Klasse gehen<br />

• Regeln einführen, z. B.: „Wir reden uns ordentlich an, sagen<br />

nicht: Du schwule Sau!“<br />

• Sitzordnung verändern<br />

• die Schüler nicht gegen die eigene Person aufbringen<br />

• möglichst nicht laut werden<br />

• Beziehung der Schüler untereinander aufbauen<br />

• gutes Verhalten loben – schlechtes Verhalten erschweren<br />

An dieser Stelle arbeiteten wir an der Fortsetzung der Szenen um Moritz.<br />

Geprobt wurde das Gespräch Lehrer – Moritz nach dem Unterricht.<br />

Wieder experimentieren mehrere Lehrerinnen mit unterschiedlichen<br />

Möglichkeiten. Es zeigte sich dabei, dass die Person des Lehrers<br />

große Verantwortung zu tragen hat:<br />

• Es besteht die Gefahr, dass der Lehrer die eigenen Grenzen<br />

nicht kennt.<br />

• Wie viel kann man sich selbst zumuten?<br />

• Man darf sich selbst nicht überfordern!<br />

• Es können Bedürfnisse und Erwartungen bei einzelnen Schülern<br />

geweckt werden, die der Lehrer gar nicht befriedigen kann.<br />

3.3 Gesprächskreis<br />

Die Reflexion im Gesprächskreis zeigte, dass die Mobbing-Geschichte<br />

um Moritz äußerst komplex ist. Es gibt fünf Beteiligte:<br />

Justiz/Polizei – Jugendamt – Schule – Familie – Moritz<br />

Wer informiert wen? Wer organisiert den Kontakt? Wer moderiert den<br />

Prozess? Es wurde deutlich, dass bestimmte Beteiligte hier komplett<br />

ausfielen. Es fand unter den Beteiligten kein Informationsfluss statt.<br />

Moritz war im Moment zu Hause, die Schule hatte ihn vorläufig beurlaubt,<br />

aber was anschließend mit ihm passieren sollte, konnte keiner<br />

sagen.<br />

Nach zwei Tagen intensiven Eintauchens in die Problematik suchten<br />

wir einen gemeinsamen Abschluss der Moritz-Szene. Negative Energien<br />

sind nur begrenzt zu<br />

ertragen – ein Faktum, an<br />

das sich der Schulalltag<br />

leider nicht zu halten vermag.<br />

Einmal mehr wurde<br />

spürbar, welche Anforderungen<br />

an den Beruf des<br />

Lehrers gestellt werden.<br />

3.4 Neue Themensuche/Gesprächskreis<br />

Die Lehrerinnen machten Vorschläge für den letzten gemeinsamen<br />

Tag:<br />

• ein ADS-kranker Schüler in der Klasse, bei der Klassenfahrt<br />

wurden seine Medikamente vergessen<br />

• Risiken beim Schulausflug: Die Lehrerin macht der Schulleite-<br />

rin Vorwürfe, dass sie nicht ausreichend informiert wurde. Hin-<br />

terher findet kein klärendes Gespräch statt.<br />

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4. „Endlich Luft zum Atmen haben“ 4. „Endlich Luft zum Atmen haben“<br />

Der vierte Tag<br />

Nach der Konzentration und der Ernsthaftigkeit der vergangenen Tage<br />

war es wichtig, diesen Tag spielerisch und leicht zu beginnen.<br />

4.1 Spielerische Erwärmung<br />

• Spiegelspiel, Fechten, Körper an Körper<br />

• Spiele: Anschleichen, Dompteur, mehrere Mörderspiele<br />

• vier Personen stehen sich gegenüber, eine sagt Eigenschafts-<br />

wörter, die gegenüberliegende Reihe muss sie sofort umset-<br />

zen<br />

• im Tigerwald passiert etwas (alte Frau, Tiger, Samurai)<br />

• zwei Gruppen machen Schattenboxen<br />

4.2 Gruppenarbeit<br />

Zwei Gruppen arbeiten an einer Szene.<br />

• förderverbindender Unterricht, eine Lehrerin ist sehr aktiv, sie<br />

macht Vorschläge, organisiert, hat Ideen, die anderen blockie-<br />

ren<br />

Die Szene wird einstudiert und dann präsentiert. Mit der Methode<br />

des Forum:Theaters gibt es mehrere Lösungsvorschläge.<br />

4.3 Forumtheater mit einem Text – Gruppenarbeit<br />

Ich gab jeder Gruppe einen Zeitungsartikel über eine extrem gewalttätige<br />

Schülerszene: Auf einer Klassenfahrt zünden Schüler nachts im<br />

Schlafsaal einen Mitschüler an und filmen die Szene mit ihren Handys.<br />

Der Artikel thematisiert unterschiedliche Haltungen der am Prozess<br />

Beteiligten: Opferverhalten, Verhalten der Klasse am nächsten<br />

Morgen im Speisesaal, Lehrerverhalten, Verhalten der Schulleitung,<br />

Elternverhalten. Ich stellte dazu folgende Aufgabe: Die beiden Gruppen<br />

sollten den Text szenisch umsetzen. Dazu setzte ich einen klaren<br />

Rahmen, der für Theaterarbeit generell sehr wichtig ist:<br />

• Bitte nicht mehr als drei Szenen gestalten<br />

• klare Bilder – an der Standbildarbeit orientieren<br />

• kurze, knappe Dialoge<br />

• bitte so umsetzen, als arbeiteten Sie mit und für Ihre Klasse<br />

Die Arbeitsphasen im Einzelnen:<br />

• Einstudieren der Szenen in den kleinen Gruppen<br />

• Präsentieren der Szenen vor den anderen Teilnehmern<br />

Wir achteten diesmal zunächst auf den theatralischen Aufbau der<br />

Szenen (Schulung der theatralen Kompetenz)<br />

• Deutlichkeit der Szene<br />

• Deutlichkeit des Konflikts, d. h. der Spielerhaltung<br />

• Raumnutzung<br />

• Konzentration auf das Wesentliche mittels Kombination von<br />

Standbild und Spielszene (Prinzip: Verlangsamung)<br />

• Sprachliche Verdichtung<br />

• Steigerung/Dramaturgie<br />

Jetzt schließt sich die Forum:Theater-Phase an, die Szene wird verändert:<br />

Es gibt mehrere Lösungsvorschläge, in Anbetracht der Zeit<br />

werden sie diesmal diskursiv eingebracht.<br />

4.4 Abschlussgespräch<br />

Die Teilnehmerinnen beschrieben die positive und arbeitsintensive<br />

Grundstimmung aller Beteiligten über den gesamten Zeitraum der<br />

vier Tage. Sie fühlten sich<br />

bereichert und bestärkt<br />

und nahmen Konkretes<br />

und Handhabbares mit in<br />

ihren Alltag. Das Wichtigste<br />

war: Sie glaubten, die<br />

Methode anwenden zu<br />

können. Die Teilnehmerinnen<br />

gewannen einen individuellen<br />

Blick auf die eigenen Handlungsweisen,<br />

gerade auch dadurch, dass die Kolleginnen „ihre“<br />

Szenen spielten und veränderten. Die Vorgehensweise<br />

der „kleinen Schritte“ war sehr wichtig, denn dadurch wurde<br />

der logische Nachvollzug möglich. Positiv hervorgehoben wurde außerdem<br />

das sensible und individuelle Eingehen des Werkstattleiters<br />

auf die Problematik der Lehrer und den Lernort Schule.<br />

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5. „Als das Kind in den Brunnen Gefallen war!“ 5. „Als das Kind in den Brunnen Gefallen war!“<br />

Nachbereitung einer dramatischen Mobbing-Geschichte<br />

(11/2006)<br />

1. Die Vorbereitung<br />

Aus der intensiven Arbeit mit den Lehrerinnen zum Forum:Theater<br />

(siehe hier Kapitel 4 „Endlich Luft zum Atmen! – Lehrer entdecken<br />

vier Tage das Forum:Theater für sich“) wurde von der vom dramatischen<br />

Mobbingvorfall betroffenen Lehrerin die Frage an mich herangetragen,<br />

ob das Forum:Theater auch eine geeignete Form sei, um<br />

direkt mit der Klasse das aktuelle Thema zum Fall des Schülers Moritz<br />

(Name fiktiv), der einen anderen Mitschüler mit einem Messer verletzt<br />

hat, nachzubearbeiten.<br />

Gerne erklärte ich mich bereit, gemeinsam mit der Lehrerin, die gleichzeitig<br />

die Klassenlehrerin der betroffenen Klasse war, einen Projekttag<br />

zu diesem Thema an der Schule durchzuführen. Es war notwendig,<br />

das Thema ohne Zeitdruck zu bearbeiten, daher planten wir den<br />

Projekttag von 8.30-13.15Uhr. Eine Vorbesprechung mit der Klassenlehrerin<br />

und dem Schulleiter wurde von 8-8.30Uhr festgesetzt.<br />

Die 9. Klasse bestand aus 24 Schülern (19 Mittelschüler, 5 Hauptschüler).<br />

Der Schüler Moritz war von der Schule beurlaubt worden.<br />

Nun stand die Entscheidung an, ob Moritz wieder in die Klasse zurückkehren<br />

soll, bzw. ob er in eine andere Klasse gehen oder ob der<br />

Schulausschluss aufrechterhalten werden soll. Angesichts der Brisanz<br />

des Themas und meiner Verantwortung legte ich Wert auf eine präzise<br />

Planung des Projekttages. Folgende Ziele sollten erreicht werden:<br />

• Die Schüler erfahren, wie es zu dieser Eskalation gekommen<br />

ist.<br />

• Ablauf des Geschehens. Was geschah vorher? Was folgte<br />

danach?<br />

• Die Schüler erfahren, warum das geschehen konnte?<br />

• hinterfragen ihres Täter-/Opfer-Verständnisses<br />

• den eigenen Anteil am Konfliktverlauf erkennen; sehen, wo<br />

bin ich (mit) verantwortlich<br />

• Hätte der Konflikt auch anders verlaufen können?<br />

• Wo gab es Punkte, an denen ein anderes Verhalten, den<br />

Konflikt in eine andere Richtung hätten lenken können? Wo<br />

gab es Möglichkeiten der Intervention?<br />

• Was will die Klasse für die Zukunft? Was sind ihre Bedürfnis-<br />

se?<br />

• Was passiert mit dem Schüler Moritz in Zukunft?<br />

• Kann er wieder in die Klasse zurückkommen?<br />

• Was ist das Bedürfnis der Klasse?<br />

2. Der Projekttag – großes Interesse bei den Schülern<br />

Die Klasse arbeitete sehr gut mit. Überraschend war, dass sich alle an<br />

allen Phasen des Prozesses beteiligten. Jeder (!) brachte sich ein. Das<br />

zeigt, für wie brisant die Schüler das Thema einschätzten, wie es den<br />

Schülern zu schaffen machte und wie jeder Einzelne an einer Bearbeitung<br />

interessiert war. Keiner war an diesem Tag vom Prozess ausgeschlossen,<br />

was auch, gerade angesichts der Dauer des Projekttages,<br />

sehr erstaunlich ist. Wir machten lediglich einmal zwanzig Minuten<br />

und einmal fünf Minuten Pause. Es wurde annähernd fünf Zeitstunden<br />

durchgearbeitet.<br />

3. Erwärmungsphase<br />

Einmal mehr zeigte sich, dass die Erwärmungsphase das „Einstiegstor“<br />

in die Methodik des Forum:Theaters ist. Mit Bewegung, Spiel,<br />

Partner- und Gruppenübungen und der vorsichtigen Hinführung zu<br />

Ausdrucksformen des Theaters, wie z. B. die Standbildarbeit, wurden<br />

die Beteiligten neugierig auf den weiteren Prozess gemacht. Gerade<br />

bei diesem Thema war es wichtig, zwischendurch auch zu lachen und<br />

nicht alle Motivation, Lebensfreude und Fantasie mit einer eventuellen<br />

„Moralkeule“ zu erschlagen. Das Kind war in den Brunnen gefallen<br />

und nun war es wichtig, sich ihm liebevoll zuzuwenden. Wichtig<br />

für den Prozess ist, dass aufrichtige Gefühle zugelassen werden können<br />

und dass der Dozent Wert auf die Beachtung der Gefühle aller<br />

Beteiligten legt.<br />

52 53


5. „Als das Kind in den Brunnen Gefallen war!“ 5. „Als das Kind in den Brunnen Gefallen war!“<br />

4. Das erste Standbild: „Wie fühle ich mich zurzeit in der Klasse?“<br />

Zu zweit (Bildhauer/Modell) erarbeiteten die Schüler ein Standbild<br />

zum Thema „Wie fühle ich mich zurzeit in der Klasse?“. Anschließend<br />

gab es eine Parade der Standbilder, d. h. die einzelnen Bilder ziehen<br />

auf einer Bühne langsam am Publikum vorbei. Jedes Bild „friert“<br />

(freeze) für fünf Sekunden in der Mitte der Bühne ein, dann kommt<br />

das nächste Bild in den Blick. Die Parade dient der Bestandsaufnahme<br />

und sagt etwas über die Zusammensetzung der Klasse aus. Mittels<br />

der Bilder gab es folgende Rückmeldungen der Schüler:<br />

• zufriedene Haltungen (Gesichtsausdruck)<br />

• körperlich präsente und offene Haltungen<br />

• wenige Anti- und Abwehrhaltungen<br />

• wenige gelangweilte Haltungen<br />

Insgesamt präsentierten sich die Jungen eher cool, während die<br />

Mädchen mehr ihr Äußeres zeigten<br />

und ihre „Klamotten“ präsentierten.<br />

Mein Eindruck war, dass es sich hier<br />

um altersadäquate Schülerhaltungen<br />

handelte, die Klasse also einen<br />

durchaus intakten Eindruck machte.<br />

5. Das Klassenstandbild<br />

Das Klassenstandbild zeigt das Bild<br />

bzw. die mögliche Rollenverteilung<br />

in der Klasse: Homogenität – Gruppenbildung<br />

– Rangordnung – Machtkämpfe<br />

– Alphapositionen – Sündenbock<br />

– Außenseiter – Clown etc.<br />

Deutlich erkennbar war, dass es in<br />

der Klasse drei Jungengruppen und<br />

zwei Mädchengruppen gibt. Eine<br />

Mädchengruppe suchte den Kontakt<br />

zu einer Jungengruppe, die andere<br />

Gruppe der Mädchen stand etwas<br />

abseits. Nachdem sich diese Gruppe selber sehen konnte, korrigierte<br />

sie ihren Standort. Die drei Jungengruppen standen für sich. Es gab<br />

lose Übergänge durch einzelne Schüler. Eine Jungengruppe setzte<br />

sich etwas aggressiv vor die anderen beiden Gruppen. Die Haltungen<br />

waren insgesamt eher offen. Trotzdem zeigte sich, dass die Klasse<br />

unterschwellig eher heterogen aufgeteilt ist.<br />

6. Klassenstandbild mit Moritz<br />

Jetzt hatten die Schüler die Aufgabe, Moritz in das bestehende Klassenbild<br />

einzubauen. Hier wurde die Dimension des Konfliktes sofort<br />

sichtbar. Moritz gehörte aktuell nicht mehr der Gemeinschaft an – er<br />

war „draußen“! Die Vorschläge der Schüler waren im Einzelnen:<br />

• Moritz steht mit dem Rücken zur Klasse an der Tür und hält sich<br />

die Ohren zu.<br />

• Moritz steht in der äußersten, der Klasse gegenüberliegenden<br />

Ecke und zeigt mit dem Finger auf die Klasse.<br />

• Dieselbe Stelle: Moritz verschränkt die Arme vor dem Körper.<br />

• Dieselbe Stelle: Moritz sitzt in der Ecke.<br />

• Dieselbe Stelle: Moritz provoziert mit dem Finger.<br />

Ein Mädchen machte einen Vorschlag, der den kommunikativen Kontakt<br />

und auch die Not von Moritz thematisierte:<br />

• Moritz sitzt der Klasse gegenüber auf einem Stuhl und streckt<br />

die geöffneten Arme der Klasse entgegen.<br />

7. Gesprächskreis – Materialsammlung – Bestandaufnahme:<br />

„An welche Schulszenen mit Moritz könnt ihr euch erinnern?“<br />

Im Anschluss an die sehr eindrucksvollen und spannungsgeladenen<br />

Standbilder, die in allen Beteiligten Emotionen und Gefühle ausgelöst<br />

hatten, war es wichtig, miteinander zu sprechen. Der Konflikt musste<br />

verbalisiert, d. h. „in Worte gefasst“ werden. Im Gespräch wurden<br />

Hintergründe des Konfliktes sichtbar. Aufgabe war es, in möglichst<br />

knapper Form eine Begegnung mit Moritz zu beschreiben. Die Schüler<br />

waren gerne dazu bereit. Folgende „Moritz-Szenen“ wurden erzählt:<br />

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5. „Als das Kind in den Brunnen Gefallen war!“ 5. „Als das Kind in den Brunnen Gefallen war!“<br />

• Moritz schmeißt einen Blumentopf auf D.<br />

• Moritz kommt neu in die Klasse und steht in der Ecke.<br />

• Moritz macht ein Mädchen wegen ihrer Schlüpfer an.<br />

• Moritz schreibt mit.<br />

• Moritz ist kurz vorm Heulen.<br />

• Moritz fragt A., ob sie schon einmal Sex gehabt habe.<br />

• Moritz wird von Schülern der 10. Klasse verprügelt.<br />

• Moritz wird an der Bushaltestelle mit Schneebällen beworfen.<br />

• Moritz bekommt von Schülern der 10. Klasse die Beine an den<br />

Kopf gedrückt. Das muss sehr schmerzhaft sein.<br />

• Moritz hat ein gutes Allgemeinwissen.<br />

• Der Streit entsteht durch gegenseitige Provokationen. Der<br />

Schüler sagt: „Moritz staut immer Wut an.“<br />

• Moritz wartet darauf, dass er angesprochen wird.<br />

• Moritz arbeitet im Unterricht nicht mit.<br />

• Moritz arbeitet in Geschichte gut mit.<br />

Den Szenenbeschreibungen ist zu entnehmen, dass Moritz in der<br />

Klasse offensichtlich schon länger die Rolle eines Außenseiters hat.<br />

Nur wenige Schüler kennen ihn genauer und haben mit ihm Kontakt.<br />

8. Moritz und seine Familie<br />

Ich fragte die Schüler, ob sie Moritz auch privat in seiner Familie<br />

oder mit seiner Familie erlebt haben. Folgende Aussagen wurden gemacht:<br />

• „Moritz. hat keine schöne Kindheit gehabt.“<br />

• „Moritz muss immer seine kleine Schwester abholen und auf<br />

sie aufpassen.“<br />

• „Moritz kriegt nichts zu essen, nur eine Schnitte.“<br />

• „Moritz lebt in seiner eigenen Welt, er hat sich seine eigene<br />

Welt aufgebaut.“<br />

• „Die Eltern leben getrennt.“<br />

• „Die Eltern haben sich viel in seinem Beisein gestritten.“<br />

• „Mit dem Vater klappt es, mit der Mutter nicht.“<br />

9. Wie war der Tathergang?<br />

Der Schüler D. erzählte, wie er die Szene mit dem Messer erlebt hat.<br />

Die beiden Schüler hatten schon länger Konflikte miteinander. D.<br />

fühlte sich beleidigt und provoziert. Er sagte zu Moritz: „Ich hau dir<br />

eine auf`’s Maul!“, woraufhin dieser gelacht hat. Dann ist D. mit dem<br />

Fahrrad an Moritz vorbeigefahren und Moritz hat wieder gelacht. Daraufhin<br />

ist D. Moritz mit dem Fahrrad in die Ferse gefahren. D. ist abgestiegen<br />

und es kam zur Schlägerei. Plötzlich hatte Moritz das Messer<br />

in der Hand und stach D. damit ins Bein.<br />

Zwei Schüler waren Zeugen und bestätigen weitgehend den Verlauf<br />

der Szene.<br />

10. Was denken die Mitschüler über den Vorfall?<br />

• „Die Tat war geplant.“<br />

• „Er hat der Polizei gesagt, dass er in Notwehr gehandelt hat.“<br />

• „Er wollte sich Respekt verschaffen.“<br />

• „Die Tat war nicht geplant.“<br />

• „Er hat das Messer für den Notfall dabei gehabt.“<br />

• „Er hat uns das Messer vorher gezeigt.“<br />

In der Forum:Theater-Arbeit ist es wichtig, nicht zu werten. Unterschiedliche<br />

Aussagen bleiben nebeneinander stehen. Ihre Stichhaltigkeit<br />

kann im Spiel erprobt werden. Dazu werden zu den jeweiligen<br />

Aussagen Szenen entwickelt und vorgestellt. Dabei zeigt sich dann<br />

meist, was stimmt und was nicht stimmt, denn Schüler kommentieren<br />

die Szene, probieren etwas Neues/Anderes aus, bzw. der Dozent<br />

fordert mit den sogenannten „Probetechniken“ dazu auf, tiefer in den<br />

Konflikt und die dargestellte Person/Figur hineinzugehen.<br />

11. Arbeit in kleinen Gruppen an Spielszenen<br />

Ich erklärte den Schülern die Methode des Forum:Theaters nach Augusto<br />

Boal. Dazu werden vier Gruppen mit je sechs Schülern gebildet.<br />

Wir mischten die Gruppen neu, indem wir von eins bis vier abzählen<br />

ließen und anschließend die Gruppen nach den Zahlen aufteilten. Die<br />

Schüler beschwerten sich über diese Vorgehensweise, weil sie lieber<br />

„mit ihren Leuten zusammenbleiben“ wollten. Ich bat sie, an diesem<br />

56 57


5. „Als das Kind in den Brunnen Gefallen war!“ 5. „Als das Kind in den Brunnen Gefallen war!“<br />

Tag auch mit anderen Mitschülern zusammenzuarbeiten, verbunden<br />

mit dem Hinweis, dass das für die Klasse und für die Lösung des<br />

Konfliktes wichtig sei. Jede Gruppe sollte sich zwei Szenen aus den<br />

Vorschlägen auswählen<br />

und diese dann der Klasse<br />

vorstellen. Dazu hatten<br />

sie dreißig Minuten<br />

Vorbereitungszeit. Die<br />

Klassenlehrerin und ich<br />

gingen zu den einzelnen<br />

Gruppen und begleiteten<br />

die Gruppenarbeit. Nach<br />

kleinen Impulsen lief dieser Prozess<br />

in den Gruppen sehr konzentriert und<br />

eigenständig ab.<br />

12. Präsentation der Gruppenergebnisse<br />

Gruppe 1<br />

1. „Blumentopfszene“: Moritz wird von D. und der Gruppe pro-<br />

voziert. Er wirft einen Blumentopf nach D. Die Sekretärin<br />

kommt dazu und versucht zu intervenieren. Sie fordert beide<br />

Schüler auf, den Klassenraum aufzuräumen.<br />

2. Eine Gruppe von Schülern sitzt beisammen. Moritz kommt in<br />

die Klasse, er wird provoziert: „Na, du Assi, alles klar?“, „Na,<br />

du Anton!“ usw.<br />

Gruppe 2<br />

1. Moritz besucht mit seiner Familie den Rummelplatz. Die Mut-<br />

ter geht mit der kleinen Schwester zur Losbude. Moritz soll<br />

sitzen bleiben und warten. Es kommen Mitschüler, sie wollen,<br />

dass er mit ihnen mitgeht. Er sagt, er dürfe nicht und „sackt in<br />

sich zusammen“. Die Schüler lachen ihn aus.<br />

2. Vier Schüler gegen Moritz. Ein Lehrer kommt dazu, er will ein-<br />

greifen, Moritz rennt vor dem Lehrer weg.<br />

3. Moritz fragt ein Mädchen nach ihrem Schlüpfer. Das Mädchen<br />

regt sich auf, ein zweites Mädchen unterstützt sie: „Bist du<br />

noch ganz sauber?“ Die beiden Mädchen gehen weg.<br />

Gruppe 3<br />

1. Die Gruppe spielt die „Messerstichszene“ nach. Es kommt<br />

zum Moment des Zustechens. D. liegt verletzt am Boden, die<br />

Schüler helfen ihm. Sein Bein wird verbunden, er bekommt<br />

von allen Hilfe und Aufmerksamkeit; der Krankenwagen fährt<br />

vor.<br />

Gruppe 4<br />

1. Rummelplatz: Moritz ist mit seinem Stiefvater, seiner Mutter<br />

und seiner kleinen Schwester unterwegs. Die Familie will mit<br />

dem Riesenrad fahren. Es gibt einen Sonderpreis für drei Passa-<br />

giere. Moritz möchte auch mitfahren. Der Stiefvater sagt: „ Du<br />

bleibst hier und wartest!“ Moritz wartet. Als die drei von der<br />

Fahrt zurückkommen, reagiert er sauer und tritt gegen einen<br />

Mülleimer.<br />

2. Die Gruppe redet schlecht über Moritz.<br />

13. Großer Gesprächskreis<br />

Ich frage die Schüler, was ihnen an den Szenen aufgefallen ist:<br />

• „Viel Gewalt!“<br />

• „Alles war sehr ernst gespielt, das zeigt, dass es uns wichtig<br />

ist.“<br />

• „Die Szenen haben die Wirklichkeit gezeigt, so ist es!“<br />

Ich frage sie, in welchen Szenen Moritz eindeutig Täter gewesen ist:<br />

• Blumentopfszene<br />

• Unterwäscheszene<br />

• Rummelplatz, als er gegen den Mülleimer getreten hat<br />

• Messerszene<br />

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5. „Als das Kind in den Brunnen Gefallen war!“ 5. „Als das Kind in den Brunnen Gefallen war!“<br />

Ich frage nach: War er in diesen Szenen wirklich immer Täter? Was<br />

passierte denn vor der Tat, bevor er aggressiv reagierte?<br />

• Die Schüler geben zu, dass sie ihn oft provozieren.<br />

• Aber: Er trägt seinen Teil dazu bei, denn „er rastet immer gleich<br />

aus!“<br />

14. Forum:Theater<br />

Ich schlug den Schülern jetzt den Einsatz der Forum:Theater-Methode<br />

vor, d. h. wir spielten eine Szene und sie konnten als Zuschauer eingreifen,<br />

in dem sie in die Rolle eines der Spieler schlüpften und neue<br />

Handlungsvorschläge ausprobierten. Heiner Müller nennt dies in einem<br />

Buch ein „Laboratorium der sozialen Phantasie“. Die Schüler<br />

entschieden sich für die „Blumentopfszene“.<br />

• Die Szene wird einmal gespielt.<br />

• Die Szene wird das zweite Mal gespielt: Das neue Spielangebot<br />

betrifft Moritz’ Verhalten. Moritz zieht sich zurück, er lässt sich<br />

nicht provozieren, sondern brabbelt vor sich hin.<br />

• Die Szene wird das dritte Mal gespielt: Der Hauptprovokateur<br />

wird ausgewechselt, er provoziert Moritz nicht mehr. Die Szene<br />

eskaliert nicht.<br />

• Die Szene wird das vierte Mal gespielt: Die Gruppe schlichtet<br />

zwischen beiden, dadurch kommt es nicht zur Schlägerei.<br />

Die Schüler sehen an diesen Lösungsvorschlägen, wie ein bestimmtes<br />

Verhalten eine bestimmte Reaktion auslöst. So kommt es beispielsweise<br />

nicht zu einer Schlägerei, wenn nicht provoziert wird,<br />

oder die unbeteiligten Mitschüler müssen nicht die „Schafe“ sein,<br />

sondern können eingreifen. Mit diesen Lösungsansätzen entwickelt<br />

die Forum:Theater-Methode tatsächlich ein „Laboratorium der sozialen<br />

Phantasie“. Es mag ein Laboratorium in seinen Anfängen sein,<br />

aber es gibt Ansätze, die jetzt bei langfristiger Forum:Theater-Arbeit<br />

weiter verfolgt werden sollten.<br />

Wie sich der Einzelne entscheidet, bleibt ihm überlassen, aber er sieht<br />

zumindest sein Verhalten und sich selbst im Spiegel des anderen.<br />

Entscheidend dafür ist das visuelle Bild, welches er tatsächlich sieht<br />

und nicht nur hört bzw. darüber belehrt wird. Dadurch hat er – möglicherweise<br />

das erste Mal in seinem Leben – alternative Verhaltensweisen<br />

kennenlernen können. (Siehe hierzu auch Kapitel 8. „Wie<br />

Forum:Theater wirkt!“)<br />

15. Die Methode „Der Polizist im Kopf“<br />

Mir war es wichtig, dass die Schüler anhand eines anderen Bildes<br />

noch einmal sehen konnten, wie sehr Moritz auch Opfer war, z. B. in<br />

den Familienszenen, und welche innere Zerrissenheit damit einhergeht.<br />

Augusto Boal hat für die Darstellung dieser Problematik die Metapher<br />

„Polizist im Kopf“ gewählt. Häufig haben wir in Lebenssituationen<br />

mehrere „Polizisten“ in unserem Kopf, die verhindern, dass wir<br />

handeln und adäquat auf eine Situation reagieren. Ursache dafür ist,<br />

dass unterschiedliche Emotionen, Gedanken, Wünsche oder Ängste<br />

im Inneren des Menschen miteinander „im Kampf liegen“ und deshalb<br />

eine eindeutige Reaktion ausbleibt. Da ist etwas in uns, das verbietet!<br />

Dazu spielten wir noch einmal kurz die „Rummelplatzszene“, in der<br />

Moritz nicht mit dem Riesenrad mitfahren durfte. Jetzt „froren“ wir das<br />

Bild des allein wartenden Moritz ein. Welche inneren Gedanken und<br />

Gefühle sehen wir in dieser Situation in ihm? Die Zuschauer konnten<br />

mit einer klaren körperlichen Haltung und einem Satz darstellen, was<br />

sie sahen. Wichtig ist dabei, immer nur einen Gedanken, ein Gefühl<br />

auszudrücken. Es gab drei „Polizist-im-Kopf-Angebote“ aus der Gruppe:<br />

• „Ich bin nichts wert.“<br />

• „Mein ganzes Leben ist vollkommen sinnlos.“<br />

• „Ich bin total wütend.“<br />

Hier zeigte sich die resignierende, depressive, in Not befindliche Seite<br />

Moritz’, aber auch die gefährliche Seite des Täters Moritz.<br />

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5. „Als das Kind in den Brunnen Gefallen war!“ 6. „Wir wissen von nichts!“<br />

16. Abschlussgesprächskreis<br />

Die Zeit schritt voran und alle waren in diesem Konflikt ein großes<br />

Stück weitergegangen. Jetzt war es an der Zeit, zu einem Abschlussgespräch<br />

zu kommen.<br />

- Ich fragte die Klasse, wie sie den Vormittag erlebt hat?<br />

- Was dachten sie jetzt über Moritz und den Konflikt?<br />

- Sollte Moritz wieder in die Klasse kommen oder nicht?<br />

Die Schüler waren in dieser Abschlussrunde sehr aktiv und lebendig.<br />

Haupttenor: Es wäre nicht gut, wenn er wieder in die Klasse käme!<br />

Gründe dafür waren:<br />

• Die Mitschüler haben das Vertrauen verloren.<br />

• Sie haben Angst vor ihm.<br />

• „Ich würde mich nicht sicher fühlen.“<br />

• „Er hat die Grenze überschritten!“<br />

• „Vielleicht will er sich an uns rächen!“<br />

Sie machten Vorschläge bzw. wiesen auf Aspekte des Problems hin:<br />

• Er sollte auf eine andere Schule gehen, da kann er es besser<br />

machen!<br />

• Will Moritz überhaupt in die Klasse zurückkommen?<br />

• „Moritz ist krank! Das kommt von zu Hause.“<br />

• „Wir kennen ihn noch nicht so lange.“<br />

Ganz am Ende unseres anspruchsvollen und lebendigen Projekttages<br />

wies ich noch einmal darauf hin, dass die Schule/Klasse, die Polizei/das<br />

Gericht, das Jugendamt, die Familie und Moritz selbst an der<br />

Lösung dieses schwerwiegenden Konfliktes beteiligt seien und sein<br />

müssten. Jeder der am Prozess Beteiligten müsse seine Verantwortung<br />

wahrnehmen, eine wirkliche Lösung könne es nur im Zusammenspiel<br />

aller Beteiligten geben.<br />

Auch die Schüler müssten ihre eigene Verantwortung sehen und sich<br />

fragen, an welcher Stelle sie ihn provoziert und dazu beigetragen<br />

haben, dass die Situation eskaliert ist. Beratende Gespräche seien<br />

mit dem Jugendamt, den Schulpsychologen oder auch mit mir möglich.<br />

Orientieren könnten sie sich an den „Streitschlichtern“, die es<br />

an ihrer Schule gibt.<br />

Am Ende zeichnete sich deutlich die Tendenz ab, dass die Schüler<br />

und Schülerinnen mehrheitlich dazu neigen, Moritz nicht mehr in die<br />

Klasse aufzunehmen. Tatsächlich haben sie sich später so entschieden.<br />

Der Schüler Moritz wurde nicht der Schule verwiesen, sondern er<br />

besucht fortan die Parallelklasse.<br />

Mobbing gibt es auch in einer intakten Klasse (11/2007)<br />

In diesem Beitrag möchte ich zeigen, wie es geschehen kann, dass<br />

man als Dozent in eine „intakte“ Klasse kommt und plötzlich im Laufe<br />

des Arbeitsprozesses feststellt, dass es in der Klasse ein Mobbing-<br />

Opfer gibt, das von allen mit der „lockersten Selbstverständlichkeit“<br />

und ohne den geringsten Anflug einer kritischen Selbstbefragung<br />

oder Gewissensnot schlechtgemacht wird. Es gilt hier rasch zu reagieren,<br />

da die Schüler ihr Gegenüber mit solch überraschenden „Infos“<br />

auch testen wollen. Auf diese Weise versuchen sie herauszufinden,<br />

wie ernst es der Dozent meint oder ob er jemand ist, der „nur über die<br />

Sache redet und gute Ratschläge gibt“. Bei dieser Klasse erschrak ich<br />

darüber, wie weit sich der Gruppenprozess schon verselbstständigt<br />

hatte. Alle wirkten sympathisch, nett und aufgeschlossen, und dann<br />

kamen mit der größten Selbstverständlichkeit plötzlich die ungeheuerlichsten<br />

Gemeinheiten zur Sprache.<br />

Am Projekttag nahmen 24 Schüler einer 7. Klasse aus einer ostsächsischen<br />

Kleinstadt teil. Die äußeren Bedingungen waren hervorragend,<br />

da wir uns außerhalb der Schule in einer neuen, großzügig<br />

angelegten Stadt- und Kreisbibliothek trafen und mit zwei Dozenten<br />

arbeiten konnten. Es war bereits das dritte Jahr, dass wir mit ein und<br />

derselben Lehrerin und immer neuen Klassen zusammenarbeiteten.<br />

Von der Lehrerin waren die Schüler auf unseren „Konflikte-Tag“ bereits<br />

vorbereitet worden, gemeinsam hatten sie die Kurzgeschichte<br />

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6. „Wir wissen von nichts!“ 6. „Wir wissen von nichts!“<br />

„Wie Licht schmeckt“ gelesen. Darin steht ein Junge im Zentrum, der<br />

mit seinen Gefühlen nicht adäquat umgehen kann. Er lernt ein Mädchen<br />

kennen, das ihn sehr beeindruckt. Allerdings glaubt er, dass<br />

sie sich verstelle, indem sie vorgebe blind zu sein – was aber nicht<br />

der Wirklichkeit entspreche. Das ärgert ihn, er fühlt sich nicht ernst<br />

genommen und entwickelt starke Aggressionen gegen sie. Leider ist<br />

es ihm nicht möglich, das Mädchen, welches tatsächlich blind ist,<br />

anzusprechen.<br />

Erwärmungsphase<br />

In Anlehnung an die Geschichte „Wie Licht schmeckt“ und das darin<br />

vorkommende blinde Mädchen konnten wir Vertrauens- und Erfahrungsübungen<br />

zum Thema „blind<br />

sein“ durchführen. Oft sind die Schüler<br />

mit solchen Übungen überfordert,<br />

hier aber waren sie durch das Lesen<br />

der Geschichte und die Gespräche<br />

darüber sensibilisiert. Wichtig dabei<br />

war, ihre Sinne zu schulen, also das<br />

Auge zu entlasten und sich stattdessen<br />

nur mit den Ohren, anhand des<br />

Geruchs und von Gefühlen zu orientieren.<br />

In Partnerübungen ging es<br />

um Vertrauen, Konzentration, Wahrnehmung<br />

und Kommunikation ohne<br />

Stimme, wobei die Schüler sehr gut<br />

mitmachten.<br />

Statuentheater<br />

Die Geschichte nahmen wir zum Anlass,<br />

um über Vorurteile zu sprechen und<br />

diese bei sich selbst zu entdecken. Daraus<br />

entstand in meiner Gruppe eine sehr spannende,<br />

aber auch überraschende und komplexe Arbeit: Schnell zeigte<br />

sich, dass unser Thema die Mitschülerin T. sein musste. T. war<br />

an diesem Tag nicht Teilnehmerin in meiner Gruppe, sondern in der<br />

meines Kollegen. Die Schüler redeten ständig abfällig über sie und<br />

kamen immer wieder auf sie zurück. „Über Abwesende soll man nicht<br />

reden“, lautet ein Grundsatz meiner Arbeit. Da ich aber wusste, dass<br />

wir später im großen Plenum einander wieder begegnen würden, fand<br />

ich die Arbeit an diesem Thema angemessen und notwendig. Ich forderte<br />

die Schüler daher auf, eine Statue zu ihrer Mitschülerin T. zu<br />

bauen:<br />

• Wie sehen die Schüler die Mitschülerin T.?<br />

• Wie wünschen sie sich die Mitschülerin T.?<br />

Es folgte eine Parade dieser Standbilder. Deutlich wurde die Ablehnung<br />

von T. Bei den Wunschbildern fiel den Schülern kaum etwas ein<br />

bzw. hatten die Bilder eine „unrealistische, lächerlich machende Tendenz“.<br />

Gruppenarbeit<br />

Anschließend bildeten wir zwei Gruppen und jede sollte eine Szene<br />

mit der Schülerin T. darstellen.<br />

Szene 1: Ein Schüler beschimpft T., weil er glaubt, dass sie ihn die<br />

ganze Zeit angucke. Die Lehrerin versucht, den Konflikt zu lösen,<br />

was aber nicht gelingt. In einem ersten Lösungsansatz bittet die<br />

Lehrerin die beiden Schüler nach der Stunde zu einem Gespräch,<br />

aber auch hier verweigert sich der Schüler, der T. beschimpfte.<br />

Szene 2: Es ist Pause, die Schüler bleiben im Klassenraum. Zwei<br />

Mädchen sprechen die Schülerin T. an. Diese schaut weg. Daraufhin<br />

fragt eine der Schülerinnen: „Warum guckst du so komisch?“<br />

Das nimmt der Schüler R. zum Anlass, immer wieder heftig gegen<br />

die Rückenlehne von T. zu treten. Eine Schülerin versucht, ihn<br />

daran zu hindern, es gelingt ihr aber nicht. Jetzt kommt eine Lehrerin<br />

und unterbindet den Streit.<br />

In der kleinen Gruppe probieren die Schüler dazu mehrere Lösungsansätze<br />

aus: Lehrer auswechseln, T. auswechseln, T. sagt etwas etc.<br />

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6. „Wir wissen von nichts!“ 6. „Wir wissen von nichts!“<br />

Plenum aller Schüler<br />

Jetzt trafen wir uns alle wieder im Plenum, und auch die Schülerin T.<br />

nahm daran teil. Ich setzte mich neben sie, da ich wusste, dass es<br />

jetzt um sie gehen würde und ich ihr unterstützend zur Seite stehen<br />

wollte. Ich bat zunächst die andere Gruppe, ihre Szenen vorzustellen.<br />

Hier ging es sowohl um verbale als auch um körperliche Gewalt. T.<br />

spielte keine Rolle, allerdings war sie eine aktive Mitspielerin.<br />

Jetzt mussten wir unsere Szenen vorspielen. Zunächst moderierte ich<br />

und beschrieb den Prozess unserer Gruppe. Ich erklärte, dass sich<br />

während der Arbeit das Thema „Die Schülerin T.“ entwickelt habe und<br />

dass es aus meiner Sicht besser sei, das Thema anzusprechen, als<br />

es unter den Tisch zu kehren. Jetzt fragte ich die Schülerin T., ob sie<br />

damit einverstanden sei, dass wir die Szenen vorspielen und gemeinsam<br />

nach Lösungen suchen. Sie bejahte das.<br />

Wir führten unsere zwei Szenen vor. Sobald die Schüler anfingen zu<br />

spielen, zeigte sich bei ihnen eine unerwartete Ernsthaftigkeit. All<br />

das, was in meiner Gruppe zunächst so locker und selbstverständlich<br />

wirkte, war es plötzlich nicht mehr. Es zeigte sich, dass hier ein Konflikt<br />

unterschwellig wirkte. Das geregelte, öffentliche Spiel hob ihn<br />

aus dem Zustand des Unbewussten an die Oberfläche des Bewusstseins<br />

und machte ihn somit bearbeitbar. Einige Schüler schlugen vor,<br />

Rollen auszutauschen, allerdings mehr aus Gründen der Äußerlichkeiten<br />

(„Weil der bzw. die das besser spielen kann.“).<br />

Jetzt sprachen wir über das Gesehene. Erneut zeigte sich, dass die<br />

Klasse heftige Vorurteile gegen die Schülerin T. hat:<br />

• „Sie stinkt.“<br />

• „Sie zieht fünf Tage dieselben Socken an.“<br />

• „Sie guckt immer weg.“<br />

• „Sie ist schlampig.“<br />

• „Sie ist ungekämmt.“<br />

• „Nach dem Sportunterricht stinkt sie immer.“<br />

Ich bat die Schülerin T. darauf zu antworten, und sie äußerte sich<br />

sehr klar: Es sei doch normal, dass man nach dem Sport etwas unangenehm<br />

rieche. Ich bestätigte das und sagte zudem, dass ich die<br />

ganze Zeit neben T. säße, aber nichts gerochen hätte. Im weiteren<br />

Verlauf des Gesprächs stellte sich heraus, dass T., obwohl sie ständig<br />

gehänselt wird und sich auch körperlich bedroht fühlen musste,<br />

keine Hilfe bei den Lehrern sucht. Sie sagte selbst, dass sie keine<br />

Petze sein wolle. Sie habe einen Sehfehler und manchmal zittere<br />

sie, das liege in der Familie. Deutlich wurde, dass einige Schülerinnen<br />

durchaus gerne Kontakt mit T. aufnehmen würden. Hier läge die<br />

Chance für eine Lösung des Problems. Ich bestärkte die Mädchen darin,<br />

auf T. zuzugehen und etwas gemeinsam mit ihr zu unternehmen,<br />

z. B. einen Kinobesuch.<br />

Auch die Lehrerin bekräftigte, dass sie das Thema aufnehmen werde<br />

und dass es eine Regelung geben müsse. Aus ihrer Sicht sei es wichtig,<br />

gemeinsam ein Regelwerk aufzustellen, in welchem verankert ist,<br />

wie man miteinander umgeht. An diese<br />

Regeln müssen sich alle halten.<br />

Resümee<br />

Wieder einmal war es erstaunlich, wie<br />

gut die Schüler mitmachten. Beiden<br />

Gruppen gefielen die neue Erfahrung<br />

und die Arbeit mit den Konfliktszenen.<br />

Obwohl die von mir geleitete Gruppe<br />

zunächst einen sehr intakten Eindruck<br />

machte, fand ich die Problematik bezüglich<br />

ihrer Mitschülerin T. erschreckend.<br />

Der Tag zeigte aber, dass es<br />

möglich ist, dieses Problem offen anzusprechen.<br />

Dies war nicht zuletzt ein<br />

großes Verdienst der Schülerin T., die<br />

einen wachen, gefühlvollen und kooperativen<br />

Eindruck machte und froh<br />

war, dass ihre Probleme in der Klasse zur Sprache gebracht<br />

wurden.<br />

66 67


7. Wie wirkt Forum:Theater? 7. Wie wirkt Forum:Theater?<br />

Es stellt sich nach diesen vielen praktischen Beispielen die Frage, wie<br />

es der Methode des Forum:Theaters gelingt, eine Wirkung zu erzielen.<br />

Was ist das Besondere an der Forum:Theater-Methode?<br />

1. „Denn wir wissen nicht, was wir tun“ – Unser Tun ist meist<br />

durch unbewusste Handlungen geprägt<br />

Ausgangspunkt für unsere Erfahrungen im Schulalltag ist die Beobachtung,<br />

dass sich Verhaltensweisen von Schülern und Lehrern in<br />

der Regel verselbstständigen und sich zu einem gewissen Muster<br />

verfestigen. Es gibt ein bestimmtes Klassenbild, und innerhalb der<br />

Klasse haben sich ziemlich klare Rollenverteilungen (der Redner, der<br />

Reinquatscher, der Zuspätkommer, die Zicke, der Klopper, der Angeber,<br />

der Schwänzer, der Verteidiger, der Hausaufgabenvergesser, der<br />

Außenseiter etc.) entwickelt.<br />

Erfahrungen aus dem Elternhaus, dem gesellschaftlichen Umfeld,<br />

dem Freundeskreis und dem Freizeitverhalten fließen in den Schulalltag<br />

ein und beeinflussen den Unterrichtsverlauf und das Verhalten<br />

des einzelnen Schülers und Lehrers. So ist die Atmosphäre unterschwellig<br />

oft angefüllt mit Verdrängungen, Aggressionen und Enttäuschungen,<br />

von denen sich die Beteiligten befreien wollen und müssen<br />

und die dann in Form von Konflikten (lat. conflictus: Zusammenstoß/<br />

Kampf) sichtbar werden.<br />

Das System Schule hat für die Klärung bzw. Lösung dieses Sachverhaltes<br />

keine wirklichen Methoden entwickelt. Als normative Instrumente<br />

wurden bisher das Betragen (Sozialverhalten) und die Bewertung<br />

durch Noten eingesetzt. Früher reichte das in der Regel aus, um dem<br />

Lehrer das Arbeiten zu ermöglichen und die Schüler zum Mitmachen<br />

oder Aussteigen zu motivieren. Diese beiden Instrumente scheinen<br />

mir heute aber nicht mehr ausreichend zu sein. Viele Schüler haben<br />

diese Normen – in der Regel werden sie durch die Familie gesetzt –<br />

nie kennengelernt und können sie somit weder verinnerlichen noch<br />

interessieren sie sich dafür.<br />

2. Ein lebendiges Bild sehen<br />

Dem Theater ist es seit 2500 Jahren generell gemäß, wesentliche<br />

menschliche und gesellschaftliche Ereignisse in die Gegenwart<br />

zu holen und sie dadurch bewusstseinsfähig zu machen. Das<br />

Forum:Theater verstärkt diese Fähigkeit, indem der Teilnehmer selbst<br />

auf der Bühne aktiv wird. Ein Geschehen, das, wie eben beschrieben,<br />

normalerweise unbewusst und ohne Reflexion abläuft, wird erneut<br />

erinnert und noch einmal ohne moralischen Zeigefinger in Bezug zur<br />

Gegenwart gestellt. Alle Beteiligten werden dadurch in die Lage versetzt,<br />

sich eine eigene Meinung von dem Geschehen zu bilden. Ein<br />

lebendiges Bild (Standbild; selbst erlebte<br />

Konfliktszene, dargestellt in einer<br />

Theaterform) hat gegenüber dem<br />

rein verbalen Austausch ungeahnte,<br />

nachhaltig wirkende Vorzüge: Es ergreift<br />

den Betrachter über den starken<br />

Sinneseindruck des Sehens, er<br />

kann sich ihm nur schwer entziehen.<br />

Da er selbst aktiv am Bildgeschehen<br />

beteiligt ist und somit Teil des Bildes<br />

ist, hat er dazu ein sehr persönliches<br />

Verhältnis – denn es ist sein eigenes<br />

Bild. Dadurch wird es ihm möglich,<br />

sich aktiv einzubringen.<br />

3. Sich ein Bild machen<br />

Was passiert, wenn ich von einem Ereignis,<br />

an dem ich beteiligt war, ein<br />

Bild erhalte und es mir erneut ansehen kann?<br />

1. Ich sehe das Abbild des Geschehens<br />

Das von mir erlebte Ereignis ist nicht mehr ein der Normalität<br />

zuzuordnendes Geschehen, sondern es wird aus dem Alltag herausgeholt.<br />

Es wird durch das Abbild „angehalten“. Mein Erlebnis<br />

wird beobachtbar. Damit wird es als wieder Holbares und Wiederholbares<br />

erfahren. Es wird aus seiner Einmaligkeit herausgerissen<br />

und erneut in den Lauf der Zeit gestellt. Vergangenheit<br />

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7. Wie wirkt Forum:Theater? 7. Wie wirkt Forum:Theater?<br />

und Gegenwart können sich begegnen (ich erlebe das Vergangene<br />

mithilfe des Abbildes heute und kann es mit heutigen Augen<br />

betrachten).<br />

2. Das Bild wird plastisch<br />

Durch die Wiederholbarkeit gewinnt das Bild an Plastizität, es<br />

verliert seine dramatischen oder auch spektakulären Züge. Handlungszusammenhänge<br />

werden erahnbar bzw. sichtbar, dadurch<br />

können Hintergründe deutlich werden.<br />

3. Jedes Bild enthält Polaritäten<br />

Die Eigenart jedes Bildes ist, dass es aus mehreren Polaritäten<br />

besteht. Jedes Bild hat ein Zentrum, meist ist das das Geschehen<br />

in der Bildmitte. Es hat außerdem unterschiedliche Farben, d. h.<br />

übertragen auf eine Forum:Theater-Szene werden verschiedene<br />

Haltungen (Mitläufer, Außenseiter, aktiv Beteiligte, kritische Beobachter<br />

etc.) sichtbar, wodurch das Bild wiederum Linien bekommt<br />

und Akzente gesetzt werden. Genau diese Differenzierungen<br />

werden im Forum:Theater anschaulich gemacht.<br />

4. Viele Protagonisten – Zum Protagonisten werden<br />

Die dargestellte Szene (meist ein Konflikt) kann von allen Teilnehmern<br />

unter anderen Gesichtspunkten gesehen werden. Jeder<br />

Einzelne kann sich und sein Verhalten beobachten, und indem er<br />

das Geschehen neu gestaltet, hat er die Möglichkeit, selbst zum<br />

Protagonisten zu werden.<br />

4. Das Bild verändern<br />

Nachdem die notwendigen Schritte – „ein lebendiges Bild sehen“<br />

und „sich ein Bild machen“ – im Forum:Theater durch die Erwärmungsphase,<br />

die Standbilderphase, die Konflikt-sammlungsphase,<br />

die Probenphase und die Präsentation umgesetzt wurden, kommt der<br />

entscheidende Punkt – auch für den Pädagogen: Die Beteiligten müssen<br />

sich zu dem Bild äußern, indem sie sich in einer bestimmten Weise<br />

verhalten. Das bestehende Bild muss verändert werden, damit es<br />

seine „Macht“ verliert und damit sichtbar wird, dass es auch andere<br />

Entwicklungs- und Handlungsabläufe geben kann. Vieles davon kann<br />

der Pädagoge, wenn er den Weg bis hierher in aller Offenheit, Partizipation<br />

und Klarheit gegangen ist, schon erreicht haben. Denn allein<br />

die Tatsache, dass diesen Konflikten ohne moralische Besserwisserei<br />

so viel Zeit und Raum eingeräumt wird, hat eine klärende und befreiende<br />

Wirkung auf die Teilnehmer. Nichtsdestotrotz stehen jetzt unsere<br />

Moral- und Wertvorstellungen im Vordergrund und fließen in den<br />

Arbeitsprozess ein. Was wollen die Beteiligten? Wünschen sie eine<br />

Veränderung? Wie könnten diese Veränderungen aussehen?<br />

Dieser Prozess darf nicht forciert werden. Er muss aus der Gruppe<br />

heraus entstehen.<br />

Es gibt hierfür Ausnahmen, wenn z. B. eine Regelverletzung so stark<br />

ist, dass die Autorität und die Wertvorstellungen des Pädagogen auf<br />

den Plan gerufen werden müssen bzw. eine Strafe ausgesprochen<br />

werden muss. In der Regel handelt es sich aber um eingeschliffene<br />

Verhaltensweisen (siehe Kapitel 1), und die vermag kein moralischer<br />

Hinweis zu verändern. An dieser Stelle ist sehr stark „das Fingerspitzengefühl“<br />

des Pädagogen gefragt, denn es ist möglich, dass ihm<br />

plötzlich alle Türen wieder verschlossen werden, die er im bisherigen<br />

Prozess mühsam bei den Teilnehmern öffnen konnte.<br />

Zumeist besteht für den Pädagogen in dieser Arbeitsphase die Aufgabe,<br />

Handlungshilfen und Trainingsmethoden zur Verfügung zu<br />

stellen. Hierbei muss er zum einen Probentechniken einsetzen, die<br />

das Spiel und den Konflikt verdeutlichen und verändern können, zum<br />

anderen ist er jetzt als Mensch, Pädagoge und Psychologe gefragt,<br />

denn es beginnt eine offene und unbekannte Arbeitsphase, in der<br />

er improvisieren, reagieren und unterstützen muss. Die Methoden<br />

der Probentechniken wurden in den Berichten dargestellt, sie werden<br />

hier noch einmal kurz zusammengefasst:<br />

1. Rollenwechsel<br />

„Der Täter“ spielt nicht sich selbst, er ist entweder der Regisseur<br />

der Szene, der Beobachter oder einer der anderen Teilnehmer.<br />

2. Wechsel in der Spielweise<br />

Die Spielszenen brauchen eine Form, sonst verlieren sie ihren<br />

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7. Wie wirkt Forum:Theater? 7. Wie wirkt Forum:Theater?<br />

Bildcharakter und werden zu chaotisch. Folgende Möglichkeiten<br />

gibt es:<br />

- in Zeitlupe spielen<br />

- stumm als Pantomime spielen<br />

- mit wenigen Worten (3–5) spielen<br />

- die Spielweise vergrößern<br />

3. Probentechniken<br />

- eine Spielszene wieder in ein Standbild zurückversetzen<br />

- mit drei Wünschen das Bild verändern<br />

- ein neuer Regisseur darf das Bild anders gestalten<br />

- „Stoppe und denke nach! Was fällt dir jetzt in diesem Mo-<br />

ment ein?“<br />

- einen „inneren Monolog“ über die Person, die ich spiele,<br />

führen etc.<br />

- Hilfs–Ich(e) einsetzen<br />

- die Szene davor entwickeln<br />

- die Szene danach entwickeln<br />

- mehrere neue Szenen entwickeln (zu Hause, Begegnung in<br />

der Freizeit, Begegnung in zehn Jahren etc.)<br />

In den meisten Fällen gibt es in der Anwendung dieser Mittel kein<br />

Richtig oder Falsch. Die Vorschläge der Teilnehmer sprechen für sich<br />

selber. Sie dokumentieren den Ist-Stand der Gruppe, der Klasse und<br />

der Teilnehmer und ihre Konfliktfähigkeit sowie ihr Bedürfnis nach<br />

Lösungen. Daher sollten die Vorschläge nebeneinander stehenbleiben<br />

und die Teilnehmer aufgefordert werden, selbst zu entscheiden,<br />

welche davon sie bevorzugen.<br />

Der Einzelne tritt aus seiner Rolle<br />

Dieser Teil der Arbeit ist der schwierigste, denn er erfordert von den am<br />

Konflikt Beteiligten ein Heraustreten aus ihrer Rolle. Bisher war der Arbeitsprozess<br />

vor allem ein Gruppenprozess, und der Einzelne konnte<br />

sich innerhalb der Gruppe sicher fühlen, sich zurückhalten oder auch<br />

hervortreten. Jetzt ist er anders gefordert: Er muss vor die Klasse treten<br />

und als Individuum einen neuen Vorschlag erproben. Damit macht er sich<br />

angreifbar und verliert möglicherweise die Anerkennung der Gruppe.<br />

Hier liegt eines der Hauptprobleme, warum viele Änderungsvorschläge<br />

für den Pädagogen oft unbefriedigend sind. So wird häufig von<br />

Schülern ein anderes Lehrerverhalten vorgestellt (gewünscht) – autoritär,<br />

grob, strafend. Mit diesen Wünschen geben die Schüler unbewusst<br />

alle Verantwortung ab. Genau das könnte dann in der weiteren<br />

Arbeit mit dem anwesenden Lehrer thematisiert werden.<br />

Die Ebene des Spiels hilft dem Einzelnen, aus seiner Rolle herauszutreten<br />

Das Theater hat einen weiteren wesentlichen Vorteil, und das ist seine<br />

Spielebene. Diese ermöglicht es dem Einzelnen im geschützten<br />

Rahmen eines Spiels, seine Ideen als individuelle Persönlichkeit vor<br />

anderen auszuprobieren. Das, was die Klasse im normalen Unterricht<br />

sanktionieren würde, kann sich hier plötzlich als Fantasie, als Idee<br />

oder als Wunsch des Unbewussten entfalten. Es geht also für den Pädagogen<br />

auch darum, diese Spielebene zu bewahren und den Schülern<br />

das sich an der Realität orientierende Forum:Theater auch als ein<br />

„spielerisches, soziales Erprobungslaboratorium“ zu vermitteln.<br />

5. Forum:Theater ermöglicht die Arbeit an einer Bilderserie<br />

So lernen die am Prozess Teilnehmenden, sich zu den Bildern zu verhalten.<br />

Jeder Einzelne kann für sich im Schutz des „spielerisch sozialen<br />

Erprobungslaboratoriums“ wählen und entscheiden, welche Lösungen<br />

er bevorzugt. Damit bietet Forum:Theater dem Individuum die<br />

Möglichkeit, sein Ich im Schutz und mithilfe der Gruppe zu stärken.<br />

Ich-Stärkung ist ein wesentlicher und notwendiger Prozess auf dem<br />

Entwicklungsweg des Jugendlichen. Der Einzelne kann damit positiv<br />

auf sein Umfeld einwirken – sowohl in der Phase, in der der Konflikt<br />

zu eskalieren droht, wie auch in der Phase danach, in der es darum<br />

geht, neue Lösungen und Umgangsformen zu entwickeln.<br />

Der Pädagoge muss deutlich machen, dass wir selbst für unsere Bilder<br />

verantwortlich sind. Sie kommen nicht von alleine auf uns zu,<br />

sondern wir können sie gestalten. Dazu müssen wir wissen, was wir<br />

wollen und versuchen es umzusetzen.<br />

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8. Kompetenzen des Spielleiters im Forum:Theater 8. Kompetenzen des Spielleiters im Forum:Theater<br />

Für viele Teilnehmer<br />

ist die Methode des<br />

Forum:Theaters gänzlich<br />

neu. Es ist wichtig, dass<br />

sie wiederholt eingesetzt<br />

wird, damit alle Beteiligten<br />

lernen, diesen lebendigen<br />

„Konfliktmuskel“<br />

zu trainieren.<br />

1. analytische Kompetenz<br />

2. Theaterkompetenz<br />

3. psychologische und moderierende Kompetenz<br />

1. Analytische Kompetenz<br />

1.1 Was geschieht in der Szene?<br />

Beschreiben Sie, was Sie gesehen haben!<br />

Strukturieren Sie, was Sie gesehen haben!<br />

Vermeiden Sie vorschnelles Bewerten!<br />

1.2 Was können Sie über den Täter in der Szene sagen?<br />

1.3 Was können Sie über das Opfer in der Szene sagen?<br />

Können Sie Anteile eines Opfers im Täter erkennen?<br />

Können Sie Anteile eines Täters im Opfer erkennen?<br />

1.4 Beschreiben Sie die anderen anwesenden Personen!<br />

1.5 Welche Funktion übernehmen diese?<br />

1.6 Erstellen Sie ein Soziogramm des Beziehungs- und Konflikt-<br />

geflechts!<br />

2. Theaterkompetenz<br />

2.1 Wie ist mein Verhältnis zum Theater?<br />

Warum möchte ich mit den Mitteln des Theaters arbeiten?<br />

Bin ich auch selbst bereit zu spielen?<br />

2.2 Szenischer Aufbau/Nutzung des Raumes<br />

Dramaturgie, Verständlichkeit der Szene, Bildhaftigkeit<br />

2.3 Deutlichkeit der Figuren und ihrer Haltungen zum Gesamtge-<br />

schehen<br />

Typisierung von Figuren, Hervorhebung/Akzentuierung<br />

2.4 Deutlichkeit des Konflikts<br />

2.5 Klarheit, Kürze und Verständlichkeit des Dialogs<br />

2.6 Hilfsmittel wie Kostüme, Requisiten, Bühnenelemente u. a.<br />

2.7 Spiellust, Engagement, Kreativität aller Teilnehmer<br />

3. Psychologische und moderierende Kompetenz<br />

3.1 Zusammensetzung der Gruppe unter sozialen Gesichtspunk-<br />

ten<br />

- Aktivität/Energie<br />

- Klassenstandbild/Gruppenbildung/<br />

Verhältnis Jungen – Mädchen<br />

- Gibt es Personen, die Orientierung bieten?<br />

- Rollenverteilung (Mitläufer, Außenseiter, Meinungsmacher,<br />

„Alpha-Tiere“ etc.)<br />

- Gruppendynamik<br />

- Unterschiedliche Interessenlagen<br />

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8. Kompetenzen des Spielleiters im Forum:Theater 9. Glossar/Übungsbeispiele<br />

3.2 Motivation der Teilnehmer<br />

3.3 Wünsche der Teilnehmer<br />

Sehen sie Konflikte, leiden sie darunter, wünschen sie eine<br />

Änderung?<br />

3.4 Ziele der Teilnehmer<br />

3.5 Aufgabe für den Dozenten<br />

Schaffung einer Win-win-Situation für alle<br />

3.6 zur Verfügung stehende Instrumente<br />

gute Laune, gemeinsame Zielvorstellung, Druck, Moral etc.<br />

3.7 Anleitung der Szenen: Wie motiviere ich das Publikum dazu,<br />

einzugreifen?<br />

Wie verhindere ich eine Dominanz des Jokers?<br />

Walter Henckel<br />

Das Glossarium soll Ihnen helfen, unbekannte Begriffe zu verstehen<br />

und Sie neugierig auf das Forum:Theater zu machen. Es kann nur ein<br />

erster Einstieg sein. Ich verweise hier insbesondere auf: Augusto Boals,<br />

Theater der Unterdrückten, Übungen und Spiele für Schauspieler<br />

und Nichtschauspieler, Frankfurt am Main 1989.<br />

AUGUSTO BOAL<br />

Geboren 1931 in Rio de Janeiro, Begründer des Forumtheaters und<br />

anderer Theaterformen der Partizipation<br />

BILDERTHEATER/STATUENTHEATER<br />

Es bietet die Möglichkeit, die Meinung des Einzelnen in Bildern ausgedrückt<br />

zu sehen und die Stimmung in der Gruppe herauszuarbeiten.<br />

Diese von Augusto Boal entwickelte Technik ist unser Schlüssel<br />

zu Themen, die später szenisch aufgearbeitet werden können.<br />

Wir arbeiten mit:<br />

Realbild – die wirkliche Situation<br />

Idealbild – was wir uns wünschen<br />

Übergangsbild – der Weg zum Ideal<br />

Der sogenannte Jahrmarkt der Bilder ist eine Bildfolge mit Musik, die<br />

eindrucksvoll und nonverbal von der gefühlten Jetzt-Situation zeugt.<br />

ARBEIT MIT STANDBILDERN<br />

• In der Regel arbeiten zwei Menschen bei diesem Übungsteil<br />

zusammen: Der eine „verwendet“ den anderen als Material<br />

und baut aus ihm eine Skulptur (Statue). Diese Statuen wer-<br />

den als Grundlage für Themen und Problemstellungen genutzt.<br />

Das Arbeiten mit Statuen eignet sich sehr gut als Einstieg in<br />

das Forum:Theater.<br />

• Es entsteht ein kommunikatives Arbeiten zwischen Bildhauer<br />

und Objekt (zwei Personen).<br />

• Es wird ein thematischer Einstieg gefunden: alltägliche Situati-<br />

onen der Teilnehmer,<br />

• allgemeine und besondere Themen, Konfliktsituationen.<br />

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9. Glossar/Übungsbeispiele 9. Glossar/Übungsbeispiele<br />

• Fixierung von Haltungen, Mimik, Gestik, Beziehungen, Wahrn-<br />

ehmungen<br />

• die Schaffung einer Gesprächsgrundlage<br />

• die Möglichkeit, allgemeine Verhaltensweisen abzuleiten<br />

• die Einbeziehung von immer größeren Teilen der Gruppe (Grup-<br />

penstandbilder)<br />

TECHNIKEN DES STATUENBAUS<br />

• Zweierübung: „Führen und Folgen“ oder „Die magische Hand“:<br />

Der Geführte muss der Handfläche des Partners „magisch“ mit<br />

seiner Nasenspitze folgen, nie sollte sich der Abstand zwi-<br />

schen Nase und Hand verringern. Beide Spieler bewegen sich<br />

durch den Raum. Der Geführte muss allen Bewegungen des An-<br />

führers folgen.<br />

Dann werden die Rollen gewechselt. Nach einer Weile, wenn<br />

sich beide „eingespielt“ haben, wird eine imaginäre Verbin-<br />

dung zu anderen Körperteilen hergestellt. Jetzt hält der Anfüh-<br />

rer seine Hand dicht an die Schulter, dies ist die neue Verbin-<br />

dungslinie zwischen beiden: Hand und Schulter. Der Geführte<br />

folgt der Hand mit seiner Schulter, dann wechselt der Anführer<br />

zum Knie, zum Po, zur Zehenspitze – immer folgt der Partner<br />

dieser neuen Aufforderung. Es handelt sich hierbei um ein<br />

nonverbales Kommunizieren, und genau das ist der Sinn: Wir<br />

verständigen uns ohne Sprache und direkten Körperkontakt,<br />

und doch bringe ich meinen Partner dazu, dass er genau das<br />

macht, was ich möchte. Mit diesem Spiel habe ich die Technik<br />

erworben, eine Statue ohne Sprache und Körperkontakt zu<br />

bauen. Möchte ich beispielsweise, dass mein Gegenüber den<br />

Kopf senkt, dann gehe ich mit meiner Hand ca. 15 cm vor seine<br />

Stirn und beuge die Hand nach unten, sodass er folgen muss.<br />

• Generell ist es wichtig, ohne Sprache zu arbeiten. Sollten Sie<br />

wenig Zeit haben, dann können Sie die Statue auch mit direk-<br />

tem Körperkontakt formen.<br />

DAS FORUMTHEATER<br />

In Form eines sehr kurzen Vortrags mit geeigneter Visualisierung werden<br />

Motive, Entstehung und die Person Augusto Boals beschrieben.<br />

Die Begriffe KONFLIKT, PROTAGONIST, ANTAGONIST und JOKER sollen<br />

erklärt werden (siehe dazu Literaturliste unter Augusto Boal).<br />

ERWÄRMUNG<br />

Hier handelt es sich um Übungen, die der Gruppe helfen, ihre Vorurteile<br />

und ihre Skepsis zu überwinden. Es erfolgt eine Annäherung an<br />

den Spielleiter und an die Menschen,<br />

mit denen man im Projekt anders umgehen<br />

soll als gewohnt. Die Übungen<br />

dieser Phase sollen „entautomatisieren“,<br />

also Bewegungsabläufe infrage<br />

stellen, um neue Möglichkeiten zu<br />

entdecken. Die Erwärmungsphase ist<br />

ein unverzichtbarer Teil der Arbeit<br />

mit dem Forum:Theater, da sie uns<br />

ermöglicht, in die andere Welt des<br />

Spiels, des Ausdrucks, der Sinne, der<br />

Körperlichkeit, des Miteinanders zu<br />

gelangen.<br />

FORUM<br />

Die Spielregeln werden allen Beteiligten<br />

erklärt. Die Gruppen zeigen ihre<br />

Szenen und die Zuschauer greifen<br />

ein. Ein einzelner Zuschauer kann die Handlung durch ein<br />

lautes STOPP anhalten. Dann sagt er, wen er spielen möchte<br />

und wo die Spielszene wieder beginnen soll. Die Mitspieler stellen<br />

sich auf das neue Spielangebot im Rahmen ihrer Rolle ein.<br />

Zum Forum gehört auch die Auswertung der Varianten, um sinnvolle<br />

und wirkungsvolle Lösungen herauszustellen. Die Beteiligten klären,<br />

warum bestimmte Lösungsmodelle nicht funktionieren. Das Forum<br />

kann öffentlich sein.<br />

INTROSPEKTIVE METHODEN<br />

Im Zuge seiner Erfahrungen in Westeuropa erweiterte Augusto Boal<br />

seit den 80er Jahren seine Methode um introspektive Anteile. In<br />

den westeuropäischen Demokratien ist eine eindeutige Zuweisung<br />

78 79


9. Glossar/Übungsbeispiele 9. Glossar/Übungsbeispiele<br />

in Unterdrücker und Unterdrückter (Protagonist/Antagonist) – wie<br />

es in vielen autoritären bzw. diktatorischen Systemen noch möglich<br />

ist – problematisch geworden. Das einzelne Individuum trägt immer<br />

auch Täter-/Opferanteile bzw. sowohl Anteile des Unterdrückers als<br />

auch des Unterdrückten in sich. Die introspektiven Anteile spielen<br />

eine große Rolle bei Konflikten und ihrer Bewältigung. Sie sind dem<br />

Spieler meistens unbekannt. In den Spielszenen können sie von den<br />

Zuschauern wahrgenommen werden. Diese Wahrnehmungen werden<br />

durch neue Spielfiguren, die die bisherigen Konfliktszenen ergänzen,<br />

ausgedrückt und in speziellen Methoden weiterentwickelt, z. B.:<br />

1. Regenbogen der Wünsche<br />

2. Polizist im Kopf<br />

3. Das Analytische Bild<br />

4. Rashomon<br />

Diese Methoden sind zum großen Teil dem Psychodrama und der Pädagogik<br />

von Boals Freund Paulo Freire entlehnt und von Boal weiterentwickelt<br />

worden. Sie verlangen ein komplexes Wissen und eine<br />

große Menschenerfahrung, denn sie betreten häufig den Bereich der<br />

Therapie, d. h. den Seelenbereich des einzelnen Menschen.<br />

JOKER – SPIELLEITER<br />

Boal nennt den Spielleiter Joker. Der Joker hat die Aufgabe, für eine<br />

bestimmte Gruppe und ihr gewähltes Problem gemeinsam mit den<br />

Spielern eine adäquate Darstellungsform zu entwickeln. Er stellt an<br />

jedem konkreten Beispiel exemplarisch das Wesen der Methode, ihre<br />

Regeln und Ausdrucksmittel heraus. Der Joker vermittelt zwischen<br />

den Zuschauern und den Spielern.<br />

Über welches Basiswissen und über welche Fähigkeiten sollte der<br />

Joker verfügen?<br />

• Klarheit der Methode: Der Joker bewegt sich im Zwischenbe-<br />

reich von künstlerisch-theatralischer und pädagogisch-psycho-<br />

logischer Arbeit. Er muss für die Abgrenzung und die Verbin-<br />

dung der Bereiche sensibilisiert sein.<br />

• Erfahrungen als Spielleiter/Spielpädagoge: Der Joker ist Grup-<br />

penleiter. Er organisiert die Form der Begegnung zwischen den<br />

Spielern. Damit beeinflusst er den Prozess der Gruppenbil-<br />

dung. Seine Kenntnisse zu Gruppenprozessen und seine Erfah-<br />

rungen mit Gruppen sind unerlässlich.<br />

• Persönlichkeit, ästhetisches Verständnis: Der Joker transpor-<br />

tiert Inhalte, die er mit den Spielern auswählt, spielbar macht<br />

und für die er neue Handlungsmuster entwirft. Das setzt vor-<br />

aus, dass er verantwortlich handelt, demokratische Mitbestim-<br />

mung seitens der Spieler und später der Zuschauer unbedingt<br />

zulässt und dass er ein Gespür für die Wirksamkeit von Szenen<br />

entwickelt.<br />

PARTNERÜBUNGEN<br />

An die Übung in der großen Gruppe schließen sich häufig Partnerübungen<br />

an. Sie haben das Ziel, Vertrauen, Rücksichtnahme, Kontakt,<br />

Wahrnehmung, Verantwortung und Freude zu vermitteln und schulen<br />

so das Miteinander. Wichtig ist häufig, dass die Übungen einen spielerischen<br />

Charakter haben.<br />

PROBENTECHNIKEN<br />

Die Zuschauer sagen, was sie auf der Bühne gesehen haben. Daraus<br />

ergeben sich Fragen zu den Szenen, die mithilfe von Probetechniken<br />

geklärt werden können.<br />

Der Spielleiter bietet folgende Techniken an (wiederum original nach<br />

BOAL):<br />

• stummes Spielen<br />

• spielen in doppeltem Tempo<br />

• innerer Monolog<br />

• spielen in Zeitlupe<br />

• Fragen des Publikums innerhalb der Rolle beantworten u.a.<br />

Die Gruppen haben Zeit, die Verbesserungsvorschläge umzusetzen<br />

(siehe dazu auch Kapitel 7: Wie wirkt Forum:theater?).<br />

SOZIOGRAMM<br />

Einer der Teilnehmer gruppiert die anderen Teilnehmer um sich herum,<br />

die räumliche Distanz entspricht dabei der jeweils dargestellten<br />

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9. Glossar/Übungsbeispiele 10. Stimmen zum Forum:Theater<br />

Beziehung (verwendbar als Probentechnik beim Klassenstandbild<br />

oder bei der Bearbeitung eines Konflikts, um die Rolle und die Beziehungen<br />

des Täters/Opfers in der Klasse zu beleuchten).<br />

In der weiteren Arbeit (introspektive Methoden) kann der Teilnehmer<br />

auch die anderen Teilnehmer als Stellvertreter der für ihn wichtigsten<br />

Bezugspersonen einsetzen.<br />

SZENEN FINDEN UND PROBEN<br />

Die Schüler oder Pädagogen erzählen in Kleingruppen ihre Konfliktszenen.<br />

Die für das Spiel interessanten und geeigneten werden ausgesucht<br />

und in Kleingruppen geprobt. Der Spielleiter berät und unterstützt<br />

die Jugendlichen oder Erwachsenen bei der theatralischen<br />

Umsetzung. Für die Umsetzung werden Musik, Kostüme oder Requisiten<br />

angeboten.<br />

ÜBUNGEN IM KREIS<br />

Übungen im Kreis sind ein sehr guter Einstieg, da alle Beteiligten im<br />

gemeinsamen Zusammenspiel beschäftigt sind.<br />

Der Klatschkreis (in Varianten)<br />

Ein Klatschen wird an den Nachbarn weitergereicht. Das Klatschen<br />

wandert im Kreis.<br />

Aufgaben:<br />

- gleiches Tempo halten<br />

- beschleunigen<br />

- sich anschauen, das Klatschen abnehmen<br />

- Richtungswechsel<br />

- mehrere Klatscher<br />

- den direkten Nachbar mit einem Doppelklatschen überspringen<br />

- ein Klatschen zu einem Partner quer durch den Raum geben<br />

- eine Bewegung mit einem Körperteil ausführen, damit einen an-<br />

deren im Kreis treffen, dieser reagiert pantomimisch<br />

Bei dieser Wahrnehmungsschulung zeigt sich häufig, dass es belebend<br />

ist, von einer Grundübung auszugehen und diese in Varianten<br />

weiterzuentwickeln.<br />

„Die Darstellung des Klassenbildes spiegelte für mich die Realität<br />

der Klassensituation wider und bestätigte mir eine Rangordnung. Die<br />

Schüler würden die Situation gern ändern, wenn sie den Mut dazu<br />

hätten. Ich fand es sehr gut, dass Sie die momentanen Probleme sofort<br />

aufgegriffen und mit den Schülern so gesprochen haben.<br />

Ebenso war für alle die Biografie des Aussteigers aus einer Szene interessant.<br />

Alle hörten zu. Es bewegte sie. Besonders deutlich konnte<br />

ich das bei T. beobachten. Sie war erschüttert. … Wir gehen nachdenklich<br />

ins Wochenende.“<br />

Anke J., Lehrerin an einer Lern- und Förderschule<br />

„Wenn man mal mit Aussiedlern redet, dann sind die ganz zugänglich.<br />

Man müsste mal ein Fest organisieren, wo man die andere Kultur<br />

kennenlernt oder Fußball spielen mit gemischten Mannschaften.“<br />

Schüler einer Mittelschule<br />

„Die Schüler kannten diese Methode der Konfliktbewältigung nicht.<br />

Für mich selbst war es spannend zu erfahren, dass dies der beste<br />

Weg war, mit der Klasse zu einer Lösung zu finden. Alle anderen Klärungsversuche<br />

wären nur in endlosen Diskussionen geendet. Dadurch,<br />

dass die Schüler ihre eigenen Situationen dargestellt haben,<br />

erhielten sie einen anderen Blick auf das Problem und erkannten sich<br />

selbst auch viel besser.“<br />

Birgit S., Lehrerin an einer Mittelschule<br />

„An der Methode Augusto Boals interessiert und beglückt mich die<br />

Offenheit des theaterpädagogischen Ansatzes. Ein überschaubares<br />

Grundraster – das sicherlich nicht so einfach zu handhaben ist – verwandelt<br />

sich in einen kreativen Prozess, in dem alle zu Mitwirkenden<br />

und Handelnden werden. Jeder kann sich in diesem Prozess auf seine<br />

Art einbringen, während die Gesamtgruppe – angeleitet durch den<br />

Dozenten/Joker – für die Qualität der gemachten Erfahrungen verantwortlich<br />

ist. Dadurch ermöglicht Boals Methode ein fruchtbares<br />

Wechselspiel zwischen Ich und Gruppe.“<br />

Walter H., Dozent<br />

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10. Stimmen zum Forum:Theater 10. Stimmen zum Forum:Theater<br />

Ein Junge, der ständig geärgert wird: „ Du musst mich nicht so nachmachen,<br />

so bin ich gar nicht!“ Am Ende des Projekttages findet der<br />

Junge gut, dass das Problem einmal offen angesprochen wurde.<br />

Schüler einer Mittelschule<br />

Am Anfang: „Spielt ihr gerne Theater?“ – „Nö, nicht so!“ Am Ende:<br />

„Macht euch das Spaß?“ – „Ja!“<br />

Schüler einer Lern- und Förderschule<br />

„Die Schüler zeigen sich zunächst skeptisch, die Übungen und Spiele<br />

sind ihnen offenbar ganz fremd. Erstaunlich schnell lassen sie sich<br />

jedoch darauf ein und entwickeln rasch Spielfreude. Obwohl beim<br />

Einstieg in die Arbeit mit Konfliktstatuen zunächst viele Schüler behaupten,<br />

sie hätten sich noch nie unter Druck gefühlt, bringen sie<br />

nach und nach ihre persönlichen Erlebnisse ein. Beeindruckend offen<br />

und ernsthaft arbeiten sie z. B. an der Szene zum Überfall an der<br />

nächtlichen Haltestelle und benennen dabei auch Gefühle wie Angst<br />

und Ohnmacht, die sie anfänglich ausgeblendet haben.“<br />

Kerstin R. Dozentin<br />

„Bereits zum dritten Mal arbeiteten wir mit Pädagogen des Theaterpädagogischen<br />

Zentrums Sachsen zum Thema „Faustrecht“ zusammen.<br />

Unproblematisch gestaltete sich die Organisation der Veranstaltungen.<br />

Rücksprachen und Absprachen mit den Theaterpädagogen<br />

klappten.<br />

Den Schülern unserer 7. Klassen gefiel diese andere Art von „Theater“,<br />

besonders das langsame Herantasten an das Spiel. Ohne es zu<br />

bemerken, wurden die Kinder dem eigentlichen Ziel gegenüber aufgeschlossen,<br />

motiviert und vorbereitet.<br />

Diese andere Möglichkeit, sich mit aktuellen eigenen Problemen<br />

auseinanderzusetzen, beeindruckte die Schüler. Oft spiegelte sich<br />

Erstaunen auf den Gesichtern darüber wider, wie einzelne „stille“<br />

Schüler in „laute“ Rollen schlüpfen konnten, diese verkörperten und<br />

damit die Wirklichkeit abbildeten.<br />

Ehrlich und offen setzten sie sich mit Konflikten innerhalb der Klasse<br />

auseinander. Die Jungen und Mädchen zeigten sich schon betroffen<br />

darüber, wie sie mit bestimmten Klassenkameraden umgehen.<br />

Es war so, als ob sie sich selbst in den kurzen Sequenzen einen Spiegel<br />

vorhielten. Die absolute Rücknahme des Lehrers aus dem Prozess<br />

der Konfliktbenennung, Darstellung und Lösung sowie die geschickte<br />

Steuerung der Theaterpädagogen lösten bei den Schülern Nachdenken<br />

aus, eigenes soziales Verhalten kam indirekt auf den Prüfstein.<br />

Obwohl keine vollständige Bewältigung des Problems erreicht wurde,<br />

hatten die Mädchen und Jungen an diesem Tag für die Klassengemeinschaft<br />

einen gemeinsamen Schritt in die richtige Richtung getan.<br />

Vielen Dank an das Theaterpädagogische Zentrum in Dresden!“<br />

Kathrin O., Lehrerin einer Mittelschule<br />

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11. Zum Autor 11. Zum Autor<br />

Walter Henckel, geb. 1957 in Marburg/Lahn, Studium der Theaterwissenschaft<br />

und Germanistik in Frankfurt/Main, Engagements am<br />

Rheinischen Landestheater Neuss und von 1990 bis 1996 am Theater<br />

Junge Generation Dresden, seit 1996 freiberuflich, Leiter des<br />

Allraunen Theaters. Dramatische Arbeiten: Das Ostritzer Pferd; Welle<br />

mit Clowns; KönigPhilalethes (Spiel zum 200. Geburtstag von König<br />

Johann); ALMA.ZEITREISE (175 Jahre TU Dresden); Der Gössel (100<br />

Jahre Margon)<br />

Auswahl an Inszenierungen:<br />

DIE KATZE von Horst Hawemann<br />

STRUWWELPETER von Gerd Knappe<br />

BRENNENDE FINSTERNIS von Antonio Buero Vallejo<br />

PTE-HO-I-YA-PI von Gerd Knappe<br />

F. K. Wächters IXYPSILONZETT<br />

DIE HAUT DES DIONYSOS mit Texten von Gerd Knappe u. a.<br />

DAS GROSSE TESTAMENT nach Francois Villon<br />

DAS TRAUMKISSEN von Jukio Mishima<br />

DAS OSTRITZER PFERD (Text und Regie)<br />

WELLE MIT CLOWNS (Text und Regie)<br />

SALLINGER von Bernard Marie Koltès<br />

KÖNIG PHILALETHES (Text und szenische Lesung)<br />

DIE SIEBEN GÄNGE DES ERICH KÄSTNER (Text und Inszenierung)<br />

DER STREIT nach Marivaux<br />

TRAUMSPIEL.STRINDBERG<br />

DIE ZEIT UND DAS ZIMMER von Botho Strauß<br />

DER GEIZIGE von Molière<br />

SIEGFRIED UND KRIEMHILD<br />

ERICH KÄSTNER RALLYE<br />

MERLIN nach Tankred Dorst<br />

BECKETT100 im Societaetstheater<br />

ICH HABE EINEN TRAUM, Theaterschule im Theaterhaus Rudi<br />

SCHERZ, SATIRE, IRONIE UND TIEFERE BEDEUTUNG nach Christian<br />

Dietrich Grabbe<br />

RILKE – DER UNDATIERBARE in der Stasi-U-Haft Dresden u. a.<br />

Theaterpädagogische Arbeiten: Vor- und Nachbereitungen in Schulen;<br />

Aufbau des Jugendclubs im Theater Junge Generation; Sprecher<br />

der AG Kinder- und Jugendtheater Ost; Gründer der Erich Kästner-Tage<br />

in Dresden; Vorstandsmitglied des Erich Kästner Museums Dresden;<br />

Gründer der Kinderstraßenbahn Lottchen; freiberuflicher Regisseur,<br />

vor allem auch im Jugendbereich; zahlreiche Theaterprojekte<br />

mit Jugendlichen, insbesondere auch in und mit Schulen; Herbst<br />

1998–Sommer 2007 Künstlerischer Leiter der Theaterschule im Theaterhaus<br />

Rudi; Stückentwicklungen mit Jugendlichen; 2001–2006<br />

Mitarbeit im Modellprojekt „Sächsische Jugend für Demokratie –<br />

Widerwort und Widerspiel“, dabei Anwendung der theaterpädagogischen<br />

Methode von Augusto Boal; seit 2007 Projektleitung von<br />

Forum:Theater nach Augusto Boal im Rahmen von „Demokratisches<br />

Sachsen!“; Sommersemester 2004 – Sommersemester 2006 Dozent<br />

an der TU DRESDEN, Sozialpädagogik; Seminar/Übung: Konflikte<br />

spielen: Die Methode Augusto Boals; TU Dresden, Soziologie: Kultur<br />

und Management, Seminar/Übung: Kommunikation und Rhetorik;<br />

DIU – Dresden International University, Kultur & Management, Seminar/Übung:<br />

Kommunikationstechniken.<br />

Kulturmanager (VWA): zahlreiche Projekte als verantwortlicher Projektmanager<br />

Walter Henckel<br />

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12. Literaturliste<br />

Literatur<br />

1. Augusto Boal: Theater der Unterdrückten. Suhrkamp Verlag,<br />

Frankfurt/M. 1989.<br />

2. Augusto Boal: Der Regenbogen der Wünsche. Kallmeyer Ver-<br />

lag, Seelze 1999.<br />

3. Gerd Koch und Marianne Streisand (Hrsg.): Wörterbuch der<br />

Theaterpädagogik. Ort? Schibri-Verlag 2003.<br />

4. Viola Spolin: Improvisationstechniken für Pädagogik, Thera-<br />

pie und Theater. Junfermann Verlag, Paderborn 1993.<br />

5. Doris Müller-Weith, Lilly Neumann, Bettina Stoltenhoff-Erd-<br />

mann: Theatertherapie – ein Handbuch. Junfermann Verlag,<br />

Paderborn 2002.<br />

6. Hajo Brücken: Gegen die Gewalt anspielen – Vom Um-<br />

gang mit Aggressionen. Burckhardthaus-Laetare Verlag GmbH,<br />

Offenbach/M. 1999.<br />

7. Reiner Steinweg: Das Lehrstück. Brechts Theorie einer poli-<br />

tisch-ästhetischen Erziehung. Metzler Verlag, Tübingen<br />

1976.<br />

8. PeterSimhandl:StanislawskiLesebuch.EditionSigmar.Bohn--<br />

Verlag, Berlin 1992.<br />

9. Keith Johnstone: Improvisation und Theater. Alexander Verlag,<br />

Berlin 1995.<br />

10. Eva Leveton: Mut zum Psychodrama. Verlag Iskopress, Salz-<br />

hausen 2000.<br />

11. Johan Huizinga: Homo Ludens. Vom Ursprung der Kultur im<br />

Spiel, Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 1987.<br />

12. Friedemann Schulz von Thun: Miteinander Reden 1–3. Ro-<br />

wohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2001.<br />

13. Michael Batz, Horst Schroth: Theater zwischen Tür und Angel,<br />

Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 1983.<br />

14. Ulrich Baer: 666 Spiele. Kalmeyerische Verlagsbuchhand-<br />

lung,Ort? 1994.<br />

Zeitschriften<br />

Korrespondenzen, Zeitschrift für Theaterpädagogik, Schibri Verlag

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