Die Stadt im 21. Jahrhundert - Klassenkampffeld im Wandel
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ung von Ansässigen und Kleingewerbe einher geht,<br />
ist aufgrund der Perspektive legit<strong>im</strong>. <strong>Die</strong> zukünftigen<br />
BewohnerInnen eines Quartiers definieren, wer als<br />
nächstes hinzuzieht, welche Sicherheitsmassnahmen<br />
gerechtfertigt sind und dementsprechend auch, für<br />
welche Konzerne der Standort attraktiv ist.<br />
Betrachtet man die Zusammenhänge zwischen<br />
den Veränderungen unserer Städte und des <strong>im</strong>perialistischen<br />
Kapitalismus, zeigt sich also deutlich,<br />
dass <strong>Stadt</strong>aufwertung nicht einfach ein „eigenständiger,<br />
natürlicher Vorgang <strong>im</strong> Zeichen der Zeit“ ist,<br />
sondern einer der vielen Notwendigkeiten, um den<br />
Kapitalismus am Leben zu erhalten. Der profunde<br />
Widerspruch zwischen kollektiver Produktion und<br />
privater Aneignung reproduziert sich also auch in<br />
den Städten.<br />
Das Kapital braucht zwar die gesellschaftliche<br />
Produktion, um Mehrwert zu generieren und diesen<br />
dann privat anzueignen, sichtbar aber will es die Produzierenden<br />
an sich lieber nicht. <strong>Die</strong> kapitalistische<br />
Entwicklung beeinflusst die Veränderung und Entstehung<br />
von Städten und umgekehrt - international.<br />
Urbanisierung lässt sich also nur <strong>im</strong> Gesamtkontext<br />
vom vorherrschenden kapitalistischen Akkumulationsreg<strong>im</strong>e<br />
analysieren und verstehen und ist keineswegs<br />
losgelöst von den vorherrschenden Produktionsverhältnissen<br />
und dem bestehenden bürgerlichen<br />
Verständnis von Eigentumsrecht.<br />
c) Klassenlage<br />
Vor gut 50 Jahren war die Hälfte aller Erwerbstätigen<br />
in der Schweiz in der Industrie beschäftigt; heute<br />
sind es noch knapp 26%. In der Schweiz und in<br />
anderen Industrieländern ist ein deutlicher <strong>Wandel</strong><br />
vom starken Industriesektor zum starken <strong>Die</strong>nstleistungssektor<br />
auszumachen. <strong>Die</strong>s hat einerseits mit der<br />
vorher beschriebenen Globalisierung zu tun, welche<br />
tiefgreifende Veränderungen in der kapitalistischen<br />
Produktionsweise auslöste: Industrielle Produktion<br />
wird in die Peripherie verlagert, meist also in Billiglohnländer.<br />
Kleinere Produktionsstätten verlagern<br />
ihre Einrichtung von der <strong>Stadt</strong> aufs Land, da dort<br />
der Raum günstiger ist. Weiter hat der technische<br />
Fortschritt Einfluss darauf, dass der Industriesektor<br />
auf weniger Personen zugreifen muss, gleichzeitig<br />
aber rentabler produziert. <strong>Die</strong>se Entwicklung ist der<br />
momentane Stand der sich permanent in Bewegung<br />
befindlichen Form der Mehrwertproduktion, die<br />
auch die jeweilige Zusammensetzung der ArbeiterInnenklasse<br />
best<strong>im</strong>mt. Um dies genau zu erklären, ein<br />
Blick zurück: In der Frühphase des Kapitalismus dominierten<br />
die Manufakturen, die sich durch eine geringe<br />
bis keine Arbeitsteilung charakterisierten. <strong>Die</strong><br />
Qualifikation der ArbeiterInnen war relativ hoch,<br />
ihre Austauschbarkeit begrenzt. Ebenso die Mobilität<br />
des Manufakturkapitals. <strong>Die</strong>se vor allem handwerkliche<br />
Produktionsweise best<strong>im</strong>mte über die Zusammensetzung<br />
der Klasse, vor allem FacharbeiterInnen,<br />
und somit über das Klassenbewusstsein der damaligen<br />
Zeit. <strong>Die</strong>se erste Form der Mehrwertproduktion<br />
basierte auf Ausdehnung der absoluten Arbeitszeit<br />
als auch auf deren Intensivierung. Allerdings waren<br />
der notwendigen Erhöhung der Profitmasse in diesen<br />
Formen Grenzen gesetzt.<br />
<strong>Die</strong> Profitrate konnte nur noch über die Steigerung<br />
der Produktivität vergrössert oder zumindest<br />
erhalten werden. <strong>Die</strong>s führte zwangsläufig zu einer<br />
Veränderung der Arbeitsformen und damit auch zu<br />
einer anderen Klassenzusammensetzung. <strong>Die</strong> nun<br />
vorgenommene Aufteilung des Arbeitsprozesses, beziehungsweise<br />
seine Mechanisierung, bewirkte einen<br />
technologischen Schub und eine Neuorganisation<br />
der Arbeit mit dem Ziel, die Kapitalakkumulation<br />
vorwärts zu treiben. Der <strong>im</strong> Kapitalismus angelegte<br />
Zwang zu fortlaufender technologischer Erneuerung<br />
entwickelte sich in der damaligen Phase zu einer Tendenz,<br />
die „abstrakte Arbeit“ genannt werden kann,<br />
wenn auch in der Schweiz der Anteil der eigentlichen<br />
Fliessbandarbeit <strong>im</strong>mer einen kleinen Anteil an den<br />
verschiedenen Produktionsformen hatte. Doch der<br />
handwerklich geprägte Facharbeiter wurde auch hier,<br />
sowohl durch technisch ausgebildete ArbeiterInnen<br />
als auch durch ungelernte MassenarbeiterInnen abgelöst.<br />
Von 1941 bis 1970 sank der Anteil der „alten“<br />
FacharbeiterInnen von 40% auf 26%. Der Arbeitsprozess<br />
wurde weiter differenziert, Wissen und Ausführung,<br />
Vorbereitung und Kontrolle der Arbeit aufgeteilt,<br />
das Leistungsprinzip zum alleinigen praktischen<br />
und auch ideologischen Massstab ernannt. Schon<br />
damals fiel der relative Anteil der ArbeiterInnen am<br />
Total der Mehrwertproduktion, die gesamthaft zugenommen<br />
hat, nämlich von 82% auf 57%. Das heisst,<br />
die Stellung der mit organisatorischen und planerischen<br />
Aufgaben Beschäftigen nahm laufend zu. <strong>Die</strong><br />
Zusammensetzung der Lohnabhängigen in der Industrie<br />
veränderte sich Richtung „Büro“, gemeinsame<br />
Klasseninteressen waren weniger vorhanden, Klassenkämpfe<br />
schwieriger.<br />
<strong>Die</strong> Arbeitsteilung ermöglichte die angestrebte<br />
Produktivitätssteigerung, die den Akkumulationsprozess<br />
enorm steigerte. Kleinbetriebe wurden zu<br />
grösseren Betrieben, das Kapital zunehmend zentralisiert<br />
und konzentriert, multinationale Konzerne<br />
entstanden. Es nahm die Tendenz ihren Anfang,<br />
welche bis heute andauert: Es bildete sich eine enorme<br />
Heterogenität der ArbeiterInnenklasse und eine<br />
<strong>im</strong>mer komplexer werdende Gesellschaftsstruktur.<br />
Zurück zur aktuellen Situation. <strong>Die</strong> oben beschriebene<br />
Neukonzipierung des Verwertungsprozesses der<br />
letzten Jahrzehnte verschärfte diese Differenzierung,<br />
Komplexität, Globalisierung und Parzellierung der<br />
Produktion noch und hatte auf die Klassenzusammensetzung<br />
in der Schweiz grosse Auswirkungen.<br />
Der industrielle Anteil der Mehrwertproduktion der<br />
Schweiz findet vor allem <strong>im</strong> Ausland statt. <strong>Die</strong>ser<br />
Umbruch hat auch einen enormen Einfluss auf die<br />
Struktur der Städte als Ballungszentren: Einst waren<br />
sie Hauptstätte industrieller Produktion, heute sind<br />
sie Knotenpunkt von <strong>Die</strong>nstleistung und Konsum.<br />
<strong>Die</strong> <strong>Stadt</strong> ist als Teil des <strong>Die</strong>nstleistungsbetriebs<br />
zu verstehen. Wie aufgezeigt wurde, wird in sie investiert<br />
wie in andere Unternehmungen. <strong>Die</strong> <strong>Stadt</strong><br />
ist nicht mehr einfach ein bauliches Gefilde, sondern<br />
vielmehr eine Marke, gar ein Label. Dass in den letzten<br />
Jahren vermehrt Kapital in die Städte floss, zeigt<br />
sich auch am Wachstum der Arbeitsplätze in der<br />
Immobilienbranche. Allein in den Jahren zwischen<br />
2001 und 2006 wurden 12% mehr Personen <strong>im</strong> Immobiliensektor<br />
beschäftigt als vorher. Das sind rund<br />
2400 Arbeitsplätze, welche neu geschaffen wurden.<br />
In der so genannten Immobilienwirtschaft sind über<br />
500’000 Personen in 17 Berufsgruppen beschäftigt<br />
Das sind 14% aller Beschäftigten in der Schweiz. Mit<br />
99 Mrd. Fr. beträgt nur schon dieser Teil der Urbanisierung<br />
18 % des Bruttoinlandprodukts. Auch <strong>im</strong> Gesundheits-<br />
und <strong>im</strong> Sozialwesen ist bezüglich der Arbeitsplätze<br />
markantes Wachstum festzustellen, dicht<br />
gefolgt von Beratungsstellen aller Art, vom Anwaltsbis<br />
zum Grafikerbüro. Weiter expansiv zeigt sich<br />
das Erziehungswesen und die schulischen Betriebe.<br />
Im anderen Extrem steht die Textilindustrie, welche<br />
ehemals als das „Rückgrat der Schweizer Wirtschaft“<br />
bezeichnet wurde. In keiner anderen Branche ist der<br />
wirtschaftliche Druck so gross; kurz nach der Jahrtausendwende<br />
gingen über 5300 Stellen verloren.<br />
Auch Verlage und Druckereien sind vom Schrumpfen<br />
des industriellen Sektors stark betroffen.<br />
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