Die Stadt im 21. Jahrhundert - Klassenkampffeld im Wandel
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entsprechenden Fanzonen wurde ein Teil der <strong>Stadt</strong><br />
vorübergehend privatisiert. In eingezäunten Bereichen<br />
kann also ein privater Veranstalter best<strong>im</strong>men,<br />
was erlaubt und verboten sein soll. Im Falle der<br />
EURO 08 wurden beispielsweise Kleidungsvorschriften<br />
oder ein Konsumationszwang eines best<strong>im</strong>mten<br />
Getränkeherstellers verhängt. Bevölkerungsteile, die<br />
diesen Vorstellungen nicht entsprechen, stören in<br />
diesem Bild. Pauschal wird man einer Rechenschaftspflicht<br />
unterstellt und verdrängt. Spontane kollektive<br />
Versammlungen rund um Sportanlässe werden verboten<br />
und verhindert, da der Sponsor dabei nichts<br />
verdient. Unter dem Deckmantel solcher Grossanlässe,<br />
wie der EM oder der Street Parade, werden seitens<br />
der Politik längerfristige stadtentwicklungstechnische<br />
Veränderungen <strong>im</strong> Bereich Überwachung und<br />
Repression vollzogen. So wurde die einst temporäre<br />
grossflächige Überwachung des Seebeckens um<br />
Bellevue und Bürkliplatz während der Street Parade<br />
und dem „Züri Fäscht“, zur festen Einrichtung umgebaut.<br />
Das <strong>Stadt</strong>bild ist mittlerweile geprägt von einer<br />
Flut an Werbung und Vermarktung für Konsumgüter.<br />
Ob auf der Strasse, in der Schule, <strong>im</strong> Tram, in<br />
Krankenhäusern, auf Mülle<strong>im</strong>er oder auf dem WC,<br />
wir werden jeden Tag mit diesen Botschaften bombardiert.<br />
Dabei überbieten sich die Werber ins Unermessliche.<br />
Noch grösser, noch moderner, noch mehr<br />
Aufmerksamkeit auf sich ziehen, ist das erklärte Ziel<br />
der Werbeindustrie. <strong>Die</strong> Macht der Werbenden reicht<br />
in alle gesellschaftlich relevanten Bereiche. <strong>Die</strong> Medien<br />
sind, durch finanzielle Abhängigkeit, der Zensur<br />
und der Interessen der Wirtschaft unterworfen.<br />
<strong>Die</strong>se Omnipräsenz zieht für die <strong>Stadt</strong> weitreichende<br />
ästhetische und politische Konsequenzen nach sich.<br />
<strong>Die</strong> Kommerzialisierung des Raumes ist <strong>im</strong> alltäglichen<br />
Leben erfahrbar. Der Ausbau der Infrastruktur<br />
wird vor allem dort vorangetrieben, wo sich auch<br />
Kapital generieren lässt. Der öffentliche Verkehrsbetrieb<br />
in die Banlieues in Frankreich steht beispielsweise<br />
in keinem Verhältnis zur Notwendigkeit. <strong>Die</strong><br />
Probleme aus den Banlieues werden möglichst weit<br />
weg vom öffentlichen Leben ausgetragen. Sicherheit<br />
ist der wichtigste Standortfaktor einer kommerzialisierten<br />
<strong>Stadt</strong>. Kr<strong>im</strong>inalität und Armut schreckt kaufkräftiges,<br />
konsumfreudiges Klientel ab und vermindert<br />
somit die Verwertbarkeit des Raumes. <strong>Die</strong> <strong>Stadt</strong><br />
verkauft sich an allen Ecken und Enden. Jeder Quadratmeter<br />
wird gewinnbringend nutzbar gemacht.<br />
Unkommerzielle, authentische Kultur hat in diesem<br />
<strong>Stadt</strong>bild keinen Platz. Mit Repression und Überwachung<br />
wird ein „sauberes“ Bild verkauft und das Feld<br />
für die Bonzen vorgeackert. Für uns gilt es, den öffentlichen<br />
Raum zu verteidigen, mit unserer Kultur<br />
und unseren Inhalten zu füllen. Denn, den Kampf<br />
um die Strasse gewinnen diejenigen, die sich auf der<br />
Strasse bewegen.<br />
c) <strong>Stadt</strong>entwicklung der <strong>Stadt</strong> Zürich<br />
Zur Veranschaulichung der massiven Umstrukturierungsmassnahmen<br />
<strong>im</strong> urbanen Raum werden<br />
nun einige Beispiele aus der <strong>Stadt</strong> Zürich- unter Berücksichtigung<br />
der Entwicklung der letzten 20 Jahre<br />
- genannt. Hierbei ist insbesondere interessant,<br />
in welcher Weise die von der städtischen Regierung<br />
vorgegebenen politischen Rahmenbedingungen den<br />
Interessen des Kapitals in die Hände spielen. <strong>Die</strong>s<br />
zeigt sich besonders gut in folgenden Gebieten oder<br />
Gegenden der <strong>Stadt</strong> Zürich: Seefeld, Zürich-West,<br />
Langstrasse, Weststrasse und - als jüngstes Projekt die<br />
Europa-Allee.<br />
Das Zürcher Seefeld gilt als Paradebeispiel für die<br />
Gentrifizierung eines Quartiers, sie wurde geprägt<br />
durch den Ausdruck„ Seefeldisierung“. Bereits in den<br />
1980er Jahren kaufte der Investor und Immobilienhai<br />
Urs Ledermann Haus für Haus <strong>im</strong> Seefeld auf –<br />
meist zu billigsten Konditionen, nur um sie Zug für<br />
Zug zu Luxuswohnungen umzubauen und die alten<br />
MieterInnen raus zu werfen. Sein Portfolio „besserte“<br />
Ledermann in der Zeit auf rund 50 Liegenschaften<br />
allein <strong>im</strong> Seefeldquartier auf; sein Immobilienkapital<br />
beträgt mehr als eine halbe Milliarde Schweizer Franken.<br />
Das Quartier wird bereits seit einigen Jahren von<br />
MieterInnen bewohnt, die sich eine 3.5 Z<strong>im</strong>merwohnung<br />
für 6250 Franken - wie etwa <strong>im</strong> Ledermann-<br />
Haus an der Mainaustrasse 34 – leisten können.<br />
Doch das Seefeld war bis in die 1980er Jahre nicht<br />
unbedingt ein Quartier mit hohem Investitionspotential<br />
für KapitalbesitzerInnen. Denn seit der Legalisierung<br />
der Prostitution in der Schweiz 1942 war<br />
<strong>im</strong> Seefeld ein grosser Strassenstrich. Erst Anfang der<br />
1980er Jahre verdrängte die Polizei die oftmals drogenabhängigen<br />
Prostituierten aus dem Seefeld – in<br />
die Kreise 4 und 5. <strong>Die</strong> „Standortattraktivität“ stieg<br />
durch die Vertreibung der unerwünschten Prostitution-<br />
zumindest der sichtbaren, so will es die bürgerliche<br />
Doppelmoral. Das Feld war offen für die<br />
Verdrängung der „A-Bevölkerung“ (Arme, ArbeiterInnen,<br />
Alte, AusländerInnen, Abhängige und „Andere“)<br />
und eine Neubewohnung durch Yuppies und<br />
Bonzen.<br />
In Zürich-West, dem klassischen Industriequartier<br />
seit Mitte/Ende des 19. <strong>Jahrhundert</strong>, vollzog sich<br />
eine riesige Umstrukturierung. <strong>Die</strong> alten Industrieareale<br />
von Steinfels, Maag und Sulzer-Escher-Wyss<br />
verschwanden bis in die 1990er aufgrund der Globalisierung.<br />
<strong>Die</strong> Produktionsstätten des Industriesektors<br />
wanderten ab in die Peripherie oder ins Ausland,<br />
wo die Arbeitskräfte günstiger sind. In die leeren<br />
Industriehallen zogen schliesslich Architekturbüros,<br />
Kulturschaffende und <strong>Die</strong>nstleistungsbetriebe.<br />
Auf Ersuchen der <strong>Stadt</strong> Zürich bzw. dedesm damaligen<br />
<strong>Stadt</strong>präsidenten Estermann, wurde 1996<br />
das <strong>Stadt</strong>forum eröffnet, eine Plattform mit hauptsächlich<br />
VertreterInnen aus Politik und Wirtschaft,<br />
um Zürich-West „aufzuwerten“. In einem Bericht von<br />
August 1997 wird schliesslich moniert, dass es eine<br />
„ausgeprägte Konzentration an sozioökonomisch<br />
schwachen und schwächsten Bevölkerungsgruppen“<br />
<strong>im</strong> Quartier gibt und diese „soziale Destabilisierung<br />
[...] die Attraktivität auch für Arbeitsplätze [vermindert]“.<br />
Der Auftrag der städtischen Behörden war also<br />
klar: Zürich-West musste umgebaut werden- zu einem<br />
für den tertiären Sektor attraktiven Standort<br />
(Pr<strong>im</strong>e Tower, Swisscom Tower, u.a.) und luxuriösen<br />
Eigentumswohnungen als Investitionsmöglichkeit<br />
für das Kapital (Mob<strong>im</strong>o Tower u.a.) oder zu Mietwohnungen,<br />
wie etwa in den Escher-Terrassen auf<br />
dem Löwenbräu- Areal für Preise zwischen 4000 bis<br />
rund 13000.- monatlich.<br />
Das Quartier rund um die Langstrasse (Kreis 4<br />
und Teile des Kreises 5) war seit Ende des 19. <strong>Jahrhundert</strong>s<br />
ein Wohnviertel der ArbeiterInnen, aufgrund<br />
der Nähe zu den Industrien <strong>im</strong> Kreis 5 (z.B.<br />
Escher, Wyss & Cie). So wurden zahlreiche Siedlungen<br />
gebaut und ab den 1920er Jahren auch der genossenschaftliche<br />
Wohnungsbau stark gefördert. Ab den<br />
1950er und 60er Jahren wuchs das Quartier durch die<br />
Zunahme von migrantischen ArbeiterInnen aus Italien<br />
und Spanien.<br />
<strong>Die</strong> Nähe der Wohnviertel der ArbeiterInnen zu<br />
ihren Betrieben war für die Bourgeoisie eine Notwendigkeit:<br />
<strong>Die</strong> Mobilität der Menschen war noch<br />
nicht sehr hoch, öffentlicher Verkehr schlecht ausgebaut.<br />
Doch die Zeiten haben sich geändert. Heutzutage<br />
stellt es keine Notwendigkeit mehr dar, dass<br />
die ArbeiterInnen zentral wohnen, <strong>im</strong> Gegenteil. <strong>Die</strong><br />
Zentren des urbanen Raumes sollen nicht mehr zur<br />
Verfügung stehen für Schlechtverdienende, da Immobilien<br />
und Boden wichtige Investitionsmöglichkeiten<br />
für das Kapital darstellen.<br />
In diesem Zusammenhang muss auch das Anfang<br />
der 2000er Jahre gestartete Projekt „Langstrasse Plus“<br />
gesehen werden. Unter der Führung der sozialdemokratischen<br />
Polizeivorsteherin Esther Maurer und des<br />
Gesamtprojektleiters Rolf Vieli wurde ein sogenanntes<br />
„4-Säulen-Modell“ mit folgenden vier Zielen formuliert:<br />
1. Mehr Sicherheit <strong>im</strong> öffentlichen Raum, 2.<br />
Besseres Leben <strong>im</strong> Quartier, 3. Förderung der Investitionsbereitschaft<br />
und 4. Gesamthafte Aufwertung des<br />
Gebietes. Was mit diesen vier euphemistischen Formulierungen<br />
genau gemeint war, zeigte sich in den<br />
letzten rund 10 Jahren: 1. Gewaltige Zunahme der<br />
Repression <strong>im</strong> Quartier (ständige Polizeikontrollen,<br />
insbesondere bei migrantischen Personen; enorme<br />
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