07.12.2012 Aufrufe

Schlesischer Gottesfreund

Schlesischer Gottesfreund

Schlesischer Gottesfreund

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

61. JAHRGANG – FEBRUAR 2010 – NR. 2<br />

ISSN 1861- 9746 Verkaufspreis: 2,50 Euro H 6114<br />

<strong>Schlesischer</strong> <strong>Gottesfreund</strong><br />

NACHRICHTEN UND BEITRÄGE AUS DEM EVANGELISCHEN SCHLESIEN<br />

Ev. Johanneskirche in Reichenbach bei Görlitz<br />

im Januar 2010 Foto: ANN


Geistliches Wort 18<br />

GEISTLICHES WORT<br />

Noch siebzig Tage<br />

bis Ostern S. 18<br />

BEITRÄGE<br />

Was bedeutet mir Schlesien S. 19<br />

Erinnerungen S. 20<br />

NOCH SIEBZIG TAGE BIS OSTERN !<br />

Immer, so weit ich zurückdenken kann, haben fremde,<br />

klangvolle Worte für mich einen geheimnisvollen Reiz<br />

gehabt, lange ehe ich sie verstand, ja wohl auch deshalb,<br />

weil ich sie nicht verstand: ich konnte mich am<br />

Zusammenklang von Vokalen und Konsonanten freuen,<br />

wie an den Harmonien einer guten Musik, konnte versuchen<br />

sie nachzusprechen - „buchstabieren“ ist sicher ein zu<br />

schwaches, zu nüchternes Wort. Sep-tu-a-ge-si-mae , Sexagesi-mae,<br />

E-sto-mi-hi : diese drei Worte aus dem Kirchenjahr<br />

mögen für viele andere klingende, anfangs fremde und<br />

meist unverstandene, für mich „schöne“ Worte stehen.<br />

Ihr Zauber verschwand, als ich sie als Vokabeln einer<br />

Fremdsprache, hier: Latein, zu lernen hatte, zu übersetzen<br />

verstand. Nüchtern wurden sie, trocken; in meinen Beispielen:<br />

Zahlworte, der siebzigste, der sechzigste ..., eingeordnet<br />

in Sachzusammenhänge, in historische, philosophische,<br />

theologische Systeme. Nur der Klang blieb noch, die<br />

Sprach-Schönheit solcher Worte, und die Aufgabe, ihr im<br />

Aussprechen gerecht zu werden.<br />

Bis, lange Zeit später, bei dem einen oder anderen dieser<br />

Worte, der Zauber, besser sage ich: ihr Geheimnis wieder<br />

zurückkehrte. Von einem dieser Worte voller Geheimnis<br />

möchte ich Ihnen erzählen.<br />

Geheimnisse sind keine Rätsel. Rätsel kann man lösen,<br />

und mit ihrer Lösung sind sie abgetan. Geheimnisse aber<br />

werden nur immer größer, immer wunderbarer, immer zauberhafter,<br />

je tiefer wir in sie hineinsteigen, bis sie in uns<br />

selber geheimnisvoll strahlen und funkeln und leuchten, ein<br />

Teil von uns selber werden, oder vielmehr: wir ganz in sie<br />

eintauchen.<br />

Septuagesimae: das lateinische Wort ist der Name des<br />

ersten Sonntages nach der Epiphaniaszeit, nach dem Ende<br />

also des Weihnachtsfestkreises und im Übergang zur Passionszeit.<br />

Aber welch ein wunderbarer Übergang!, ich bin<br />

darüber ins Staunen gekommen, und dieses Staunen hält<br />

an, über viele Jahre schon.<br />

Septuagesimae: das Wort ist ein Zahlwort, „der siebzigste“,<br />

und es bezeichnet den 70. Tag vor Ostern. Ich aber<br />

übersetze es ein wenig anders: NOCH SIEBZIG TAGE<br />

BIS OSTERN ! Mit einem Ausrufungszeichen dahinter.<br />

NOCH SIEBZIG TAGE BIS OSTERN ! Was hier geschieht,<br />

ist doch dieses: hier wird vom Weihnachtsfestkreis<br />

zum Osterfestkreis, von der Geburt Jesu zu seiner Auferstehung<br />

hin ein großer Bogen geschlagen, eine Brücke<br />

gleichsam, deren eine Pfeiler das Weihnachtsfest ist, und<br />

der andere Pfeiler das Osterfest.<br />

Wer bewahren will, muß<br />

Veränderungen gestalten S. 23<br />

Einer Hundertjährigen<br />

zum Geburtstag S. 24<br />

Bescheiden - aber ein Anfang<br />

ist gemacht! S. 25<br />

BUCHEMPFEHLUNG S. 28<br />

VERANSTALTUNGEN S. 30<br />

AUS DER LESERGEMEINDE S. 31<br />

AUSSTELLUNG S. 32<br />

Und was über-brückt diese Brücke? Sie überbrückt die<br />

Passionszeit. Die liegt dazwischen, wie ein Tal, vielleicht<br />

gar wie ein Abgrund. Die Passionszeit führt, im Leben<br />

Jesu, über sein Erwachsenwerden, seine Berufung, sein<br />

Predigen, Helfen, Heilen, durch seinen Alltag hindurch und<br />

hinein in sein Leiden, in sein Sterben, bis hin in die<br />

Gottesverlassenheit am Kreuz.<br />

Es ist wie bei uns allen: wir müssen hindurch durch dieses<br />

Tal, das wir unser Leben nennen, Alltage und Festtage,<br />

Arbeit und Freuden, Hoffnungen und Enttäuschungen,<br />

Lieben und Leiden, Hilfe erfahren und Hilfe geben, und am<br />

Ende allemal: daß wir sterben müssen; am Ende allemal der<br />

Abgrund: unser Tod.<br />

Septuagesimäe: das Brücken-Wort. Das Wort, das uns -<br />

vorweg schon, als eine wunderschöne Verheißung, als ein<br />

Vorgriff und Ausblick - über alle Täler und Abgründe,<br />

Mühen und Plagen, Lieben und Hoffen, auch alles<br />

Versagen in vielerlei Schuld hinaus und hinweg trägt:<br />

NOCH SIEBZIG TAGE BIS OSTERN !<br />

Gleichviel, ob nur noch oder immer noch siebzig Tage<br />

- die Zahl ist nach uralter Tradition Symbol für die Vollzeit<br />

des Lebens - : dieses Wort, Septuagesimae, trägt hinüber.<br />

Nicht ist der Weg, so schwer und bitter, gar unerträglich<br />

und schier aussichtslos er manchem und manchmal scheinen<br />

mag, ist schon alles; nicht der Tod in Schuld und<br />

Gottesferne ist das Ziel unseres Lebens, sondern Ostern,<br />

die Auferstehung in die Lebensgemeinschaft mit Gott hinein.<br />

Das ist das Wunder, das Geheimnis, das Evangelium<br />

dieses Wortes.<br />

In diesem Jahr hat der 31. Januar diesen Namen; da<br />

wird diese Ausgabe des „<strong>Gottesfreund</strong>es“ in Ihren Händen<br />

sein. Vielleicht, daß Sie dieses Wort einmal nachbuchstabieren,<br />

mehr aber seiner wundervollen Verheißung nachsinnen.<br />

Und ich will Ihnen dazu noch einen Liedvers erinnern,<br />

Eleonore Fürstin Reuß hat ihn geschrieben:<br />

O das ist sichres Gehen<br />

durch diese Erdenzeit:<br />

nur immer vorwärts sehen<br />

mit sel`ger Freudigkeit.<br />

Wird uns durch Grabeshügel<br />

der klare Blick verbaut,<br />

Herr, gib der Seele Flügel,<br />

daß sie hinüberschaut.<br />

(EG Nr. 63)<br />

Septuagesimae: NOCH SIEBZIG TAGE BIS OSTERN !<br />

Dietmar Neß �


19<br />

Identität, Aufgabe und - Segen<br />

I.<br />

Was mir Schlesien bedeutet? Ich stelle mir diese<br />

Frage mit 77 Jahren. Davon habe ich die weitaus<br />

meiste Zeit, nämlich 65 Jahre, nicht in Schlesien<br />

verbracht. In den 12 Jahren, die ich als Kind in Schlesien<br />

gelebt habe, habe ich mich nicht als Schlesier gefühlt. Ich<br />

war Schlesier so wie ich Mensch war oder überhaupt lebte.<br />

Es gab nichts anderes. Es gab keinen Vergleich, keine<br />

Abgrenzung zu anderen. Schlesien war alles, was ich kannte<br />

- aber das wußte ich noch nicht. In seiner wirklichen<br />

Bedeutung wußte ich gar nicht, daß ich in Schlesien lebte<br />

und ein schlesisches Kind war. Das wußte ich erst, als ich<br />

ab 1945 nicht mehr in Schlesien lebte. Durch die<br />

Begegnung mit den vielen Nicht-Schlesiern um mich<br />

herum, ist mir überhaupt erst klar geworden, daß ich<br />

Schlesier bin.<br />

Zunächst eher unbewußt, nach und nach aber immer<br />

deutlicher habe ich für mich akzeptiert und bejaht, daß ich<br />

Schlesier bin. Ich wollte Schlesier sein - bis heute. Aber<br />

warum eigentlich? Die Antwort dürfte sein: Ich habe<br />

immer das Gefühl gehabt, daß ich mich dafür nicht schämen<br />

muß, daß ich aus Schlesien komme; ja, daß die<br />

Schlesier Leute sind, auf die ich stolz sein kann und zu<br />

denen ich gern gehören möchte - auch wenn es nicht ganz<br />

wenige gegeben hat, die nach 1945 wie Asoziale oder<br />

Dahergelaufene behandelt wurden und man schon auch<br />

gefragt wurde, ob wir denn in Schlesien überhaupt deutsch<br />

gesprochen haben. Aber solche Erlebnisse haben eher<br />

meine Empörung erregt. Meine Einstellung haben sie nicht<br />

beeinflußt. Für diese waren drei ganz andere Erfahrungen<br />

prägend:<br />

a), ich habe mich gern mit meiner Familie identifiziert;<br />

natürlich nicht mit allen Mitgliedern in der gleichen Weise.<br />

Wie in jeder Familie gibt es auch bei uns Wahlverwandte,<br />

Prahlverwandte, Qualverwandte. Aber irgendwie gehört<br />

das dazu und insgesamt war und bin ich auf meine Familie,<br />

und im Besonderen auf die lange Pastorentradition, stolz;<br />

b), dazu kam, daß ich mich gern als evangelischer<br />

Schlesier fühle. Das Festhalten am evangelischen Glauben<br />

in der Gegenreformation begeistert mich bis heute. Aber<br />

auch die vielen Dichter und Schriftsteller, Kirchenliederdichter,<br />

Männer und Frauen des Geisteslebens, die aus<br />

Schlesien kommen, haben es mir leicht gemacht, die Herkunft<br />

aus diesem Land zu bejahen;<br />

c), mit den beiden Schlesier-Generationen der Nachkriegs-Zeit,<br />

also unseren Eltern und meiner Generation,<br />

sehe ich mich in einer besonderen Schicksalsgemeinschaft,<br />

Was bedeutet mir Schlesien?<br />

BEITRÄGE<br />

Tief geprägt von der jahrhundertealten deutschen Geschichte Schlesiens, aber anders als man es von „Geschichts“-<br />

Vereinen sonst erwartet, sehr aktuell und sehr subjektiv, berichteten auf der Jahrestagung des Vereins für schlesische<br />

Kirchengeschichte neun zuvor darum gebetene Mitglieder zu dieser Frage: Was bedeutet mir Schlesien?<br />

Wir meinen, daß wir diese neun Antworten allen unseren Mitgliedern und Lesern in einer Fortsetzungsreihe weitergeben<br />

sollten. Der vierte Text steht unter der Überschrift:<br />

die sich bis heute darin zeigt, daß die Zäsur der Jahre 1945<br />

bis 1949 über Generationen, Konfessionen und sonstige<br />

Unterschiede hinweg ganz individuell und doch auch wieder<br />

gemeinsam als tiefer Einschnitt in die eigene<br />

Biographie erlebt worden ist. Auf dieses persönlich-überpersönliche<br />

Schicksal sind die allermeisten auch ansprechbar.<br />

Die Frage: Was bedeutet mir Schlesien heute? kann ich<br />

in einer ersten Zwischenbilanz dahingehend beantworten:<br />

Die Herkunft aus Schlesien und die bejahte Zugehörigkeit<br />

zu den Schlesiern ist ein Teil meiner Identität. Sie erklärt<br />

im Übrigen auch, warum ich mich nach fast fünfzig Jahren,<br />

in denen ich nun schon in Hessen-Nassau lebe, nicht als<br />

Hesse fühle.<br />

II.<br />

Aber: Wenn ich auch mit mir selbst im Reinen lebe,<br />

so kann ich doch nicht übersehen, daß es im Blick<br />

auf die Themen Schlesien, Flucht und Vertreibung<br />

in unserer Gesellschaft keinen Konsens in der Deutung und<br />

Bewertung gibt. Das zeigt sich in der enormen Bandbreite<br />

der Einstellungen, denen wir quer durch alle sozialen<br />

Schichten begegnen. Sie reichen von Sympathisanten der<br />

Schlesier, Freunden, die über den Verlust des Landes noch<br />

heute trauern auf der einen Seite. Sie finden ihre<br />

Entsprechung auf der anderen Seite in Menschen, die in<br />

völliger Unwissenheit und Uninteressiertheit die ganze<br />

Thematik beim historisch Erledigten abbuchen, die<br />

Gebietsverluste im Osten ab 1945 als selbst verursachte<br />

und gerechte Bestrafung für die NS-Verbrechen ansehen,<br />

die Vertriebenen für ewig Gestrige, Revanchisten oder<br />

Revisionisten halten und ihre Ausgrenzung aus der Öffentlichkeit<br />

wegen Störung des Friedens in der Gesellschaft<br />

und mit unseren östlichen Nachbarn fordern, - so wie wir<br />

es 2007 in Hannover beim Schlesiertreffen erlebt haben, als<br />

schwarz gekleidete Chaoten mit Transparenten „Vertreibt<br />

die Vertriebenen“ gegen unser Dasein demonstrierten.<br />

Diese Aufzählung, die sicher nicht vollständig ist, zeigt,<br />

daß Deutung und Bewertung des Schicksals von Schlesien<br />

und den Schlesiern zwischen alle weltanschaulich-politischen<br />

Fronten geraten sind. Dieser Eindruck wird verstärkt<br />

durch einen Blick auf Polen und Tschechen, die diese<br />

Situation dadurch verschärfen, daß sie sich auch ihrerseits<br />

und aus ihrer Sicht heftig an dieser Diskussion beteiligen.<br />

Für die Vertriebenen als die eigentlich Betroffenen ist diese<br />

konfliktreiche gesamtgesellschaftliche Auseinandersetzung,<br />

die sich letztlich auf ihrem Rücken abspielt, natürlich<br />

ziemlich deprimierend. So weit sie der Evangelischen Kirche<br />

verbunden sind, hofften sie in der EKD eine Stütze und<br />

einen institutionellen Rückhalt zu finden. Darin sehen sie


BEITRÄGE 20<br />

sich aber getäuscht. Leidvoll mußten sie erkennen, daß die<br />

Kirche diese Thematik offensichtlich als Verlegenheit empfindet,<br />

ihr nach Möglichkeit aus dem Wege geht, hofft, daß<br />

sie sich eines Tages von selbst erledigt und - schweigt. Den<br />

Vertriebenen bleibt eigentlich nur eine Hoffnung, nämlich<br />

die Besinnung auf sich selbst und den Zusammenschluß in<br />

eigenen Organisationen.<br />

In dieser Situation erlebe ich Schlesien - und das ist<br />

dann meine zweite Zwischenbilanz - als Aufgabe. Sie besteht<br />

darin, im Verbund mit Gleichgesinnten, die Vertriebenen<br />

in der Kirche zu halten, im Glauben zu stärken und<br />

zu stützen, um Verständnis für sie zu werben, an der<br />

Verbesserung ihres Images zu arbeiten und für ihre würdige<br />

Platzierung in der Erinnerungskultur und im kollektiven<br />

Gedächtnis unserer Kirche und unseres Volkes zu streiten.<br />

III.<br />

Dabei kommt mir und meinen Freunden am meisten<br />

Schlesien selbst zu Hilfe. Dieses großartige und<br />

schöne Land ist und bleibt ein von Gott gesegnetes<br />

Land. So weit ich sehe, ist das zum ersten Mal von der<br />

Hofkirchensynode im Juli 1946 in Breslau so ausgesprochen<br />

worden. Die deutschen Evangelischen verließen das<br />

Land, aber sie gingen nicht als Verfluchte; als Leute, die<br />

dort zu Unrecht gelebt hatten. Sie gingen als Gesegnete und<br />

durften wissen, daß der Segen, den Gott durch Jahrhunderte<br />

gegeben hat, durch Flucht und Vertreibung nicht hinfällig<br />

geworden ist. Er gilt auch jetzt und auch in Zukunft. In<br />

der Sprache der Hofkirchensynode klingt das dann so:<br />

„Mit Dank gegen Gott blicken wir mit euch auf den<br />

gesegneten Lauf des Wortes Gottes im Schlesierland, auf<br />

ein Jahrtausend christlicher Verkündigung, auf vierhundert<br />

Jahre Reformation, auf unsere Friedens- und Gnadenkirchen,<br />

auf Grenzkirchen und Bethäuser, auf Kirchen und<br />

Wir brauchen sie, die Erinnerungen. Sie geben Halt in<br />

der Vergangenheit, und deshalb ermöglichen sie es, in der<br />

Gegenwart fest zu stehen und in die Zukunft zu hoffen, in<br />

der unsere Gegenwart Vergangenheit sein wird. Der<br />

„Schlesische <strong>Gottesfreund</strong>“ wird deshalb auch weiterhin<br />

immer wieder Erinnerungen Raum geben, an selbst Erlebtes,<br />

an überkommenes, an übernommenes Erbe. Er<br />

wird an Kirchen und Gemeinden erinnern, an Menschen,<br />

die Schlesien geprägt hat - und die Schlesien geprägt<br />

haben. Über nur zwei prägende Jahre berichtet Johannes<br />

Schäfer, Vorsitzender der LAG Berlin, im folgenden Beitrag.<br />

Erinnerungen<br />

Kapellen hin und her, auf Pfarr- und Gemeindehäuser, auf<br />

Mutterhäuser und Brüderanstalten, auf Friedhöfe und stille<br />

Grüfte, auf Anstalten und Heime. Wir sehen dankbar die<br />

Zeugenschar begnadeter Theologen, Prediger und Kirchenführer,<br />

die schlesischen Väter und Mütter der Inneren Mission,<br />

der Liederdichter und Kirchenmusiker, die Tausende<br />

unbekannter Pfarrer, die das Wort Gottes rein gelehrt und<br />

die Sakramente recht verwaltet haben, die Pfarrfrauen und<br />

Ältesten, Diakone und Diakonissen, Lektoren und Gemeindeglieder,<br />

die unter Not und Leiden, in Geduld und<br />

Glauben unserer Kirche gedient haben.“<br />

Diesen Segen, der auf der ehemals deutschen evangelischen<br />

Kirche in Schlesien gelegen hat, gilt es zu erkennen<br />

und zu benennen. In ökumenischer Erbengemeinschaft teilen<br />

wir ihn mit der heute dort lebenden Evangelischen und<br />

Katholischen Kirche. Wir hören und lesen von ihm in Berichten<br />

von Touristen, die nach Schlesien fahren und begeistert<br />

erzählen von dem, was sie dort - neben schlimmem<br />

Verfall und bitterer Zerstörung - auch gefunden haben; die<br />

Kirchen, die sie gesehen haben, die Kunst, die vielen Wahrzeichen<br />

alter Kultur. Wir erleben es mit, wie der Segen,<br />

von dem die Hofkirchensynode gesprochen hat, weiterwirkt.<br />

Auf seinen Spuren - und damit formuliere ich die<br />

dritte Zwischenbilanz - und in seinem Licht sehe ich auch<br />

die Zukunft der grenzüberschreitenden evangelisch-kirchlich-schlesischen<br />

Arbeit. Denn dieser Segen ist so wirkmächtig,<br />

daß er sich auch nach uns in späteren Generationen<br />

Zeugen suchen wird, die sich von ihm inspirieren und<br />

in Dienst nehmen lassen.<br />

Damit komme ich abschließend zurück auf unsere<br />

Frage: Was bedeutet mir Schlesien heute? Und fasse<br />

zusammen:<br />

Schlesien bedeutet für mich Identität - Aufgabe - Segen<br />

Christian-Erdmann Schott �<br />

Anfang Februar 1930 wurde ich in der weltberühmten<br />

Friedenskirche in Schweidnitz getauft. Drei<br />

Jahre später kam in Deutschland ein Mann an die<br />

Regierung, der für das Amt eines Reichskanzlers wie<br />

geschaffen schien: er hatte Migrationshintergrund, ent- Friedenskirche in Schweidnitz Alte Ansichtskarte


21<br />

stammte einer bildungsfernen Schicht, war berufslos und<br />

vorbestraft. Da es in der Demokratie nicht um Qualität,<br />

sondern um Quantität der Stimmen geht, blieb Hindenburg<br />

nichts anderes übrig, als ihm dieses Amt anzuvertrauen.<br />

Für diesen Fall - so hatte der Mann noch versprochen -<br />

werden Köpfe rollen. Wie sich bald herausstellte, hat er<br />

dieses Versprechen auch gehalten. Auch in Schweidnitz<br />

gab es jetzt Veränderungen, an die ich mich gut erinnere:<br />

neben der schwarz-weiß-roten Fahne wehte nun die<br />

Hakenkreuzfahne und die Schlange elender arbeitsloser<br />

Männer in unserer Stadt wurde immer kleiner, bis sie<br />

schließlich ganz verschwand.<br />

Die Grundschule, die ich ab 1936 besuchte, lag unmittelbar<br />

gegenüber der Friedenskirche. Schon hier warf der<br />

Krieg durch die periodisch durchgeführten Luftschutzübungen<br />

seine Schatten voraus, und mit dem Übergang an<br />

die Oberschule 1940 war bereits der Krieg da. Hier, in der<br />

ersten Gesangstunde, übte der Musiklehrer mit uns das<br />

Lied ein: „Kein schön`rer Tod ist in der Welt, als wer vom<br />

Feind erschlagen...“ Dabei schlug er so überzeugend in die<br />

Tasten des Klaviers, daß man annehmen mußte, daß er das<br />

schon einmal erlebt hat. Der Tod sollte dann auch eine<br />

Rolle spielen, als zu meiner Aufnahme in das Deutsche<br />

Jungvolk die Hymne des Reichsjugendführers Baldur von<br />

Schirach eingeübt wurde: „... denn die Fahne ist mehr als<br />

der Tod.“ Sie hatten es also mit dem Tod.<br />

Mit dem Schicksalsjahr 1944 ging auch meine Kindheit<br />

und Schulzeit abrupt zu Ende. Weil Schweidnitz Lazarett-<br />

Stadt wurde - täglich trafen von der Ostfront zwei Lazarettzüge<br />

ein -, war das Kriegsgeschehen auch ohne Bombenangriffe<br />

täglich gegenwärtig. Stadt und Land zeigten<br />

Auflösungserscheinungen. Der Dienst in der Flieger-Hitler-Jugend<br />

bestand nur noch im Reparieren von Fluggleitern.<br />

Zur Fliegerei fühlte ich mich allerdings schon immer<br />

hingezogen. In Schweidnitz, der Stadt Richthofens, wurden<br />

nicht nur Flugzeugführer ausgebildet, sondern auch Hubschrauber<br />

in Serie gebaut und eingeflogen. Für uns Schüler<br />

eine schöne Unterbrechung des Unterrichts, wenn einer im<br />

Tiefflug an der schule vorbeiflog.<br />

Bis dahin bot Schlesien ein wunderbar schönes, sauberes<br />

und friedliches Bild. Die gepflegten Felder und Wälder,<br />

die sorgfältig gehegten Chausseen begeisterten uns jugendliche<br />

Wanderer. Und wir sangen: „Es blühn auf allen Wegen<br />

viel tausend Blümelein, ich will hinaus jetzt wandern,<br />

geschieden muß nun sein; es geht ins Schlesierland, ins<br />

schöne Heimatland, dich will ich lieben bis in den Tod.“<br />

Auch hier der Tod, aber nicht der gewaltsame.<br />

Anfang August bekam ich wie mein Jahrgang 1929 im<br />

Rahmen der Jugenddienstpflicht den Einberufungsbefehl<br />

zum „Unternehmen Bartold“; er führte uns nach Groß Wartenberg<br />

an die Ostgrenze Schlesiens. Täglich marschierten<br />

wir nun früh, bewaffnet mit Schaufel oder Spaten, von unserem<br />

Strohlager die Reichsstraße 6 entlang ins benachbarte<br />

polnische Schreibersdorf. Unsere Aufgabe bestand im<br />

Bau militärischer Feldstellungen, die notfalls als Kampflinie<br />

der Wehrmacht dienen sollten. Tausende von Jugendlichen<br />

bauten jetzt auf einem kleinen Grenzabschnitt eine<br />

Befestigungsanlage, die im Wesentlichen aus einem<br />

BEITRÄGE<br />

Panzergraben, einem Schützengraben und einem Stacheldrahtverhau<br />

bestand und sich durch Mohnfelder und Wiesen<br />

zog. Die organisatorische Leitung hatte die Hitlerjugend,<br />

die technische Leitung die Organisation Todt. Die<br />

OT sah ihre Pflicht darin, als Frontarbeiter dem Schutz<br />

Deutschlands zu dienen. Als ich einen OT-Dienstmann<br />

fragte, warum wir jetzt schon eine rückwärtige Auffangstellung<br />

bauten, antwortete er: „um einer Eventualität vorzubeugen.“<br />

Er fügte hinzu, es könne durchaus sein, daß<br />

einmal russische Panzer vor uns auftauchten. Mir fuhr ein<br />

Schrecken durch die Glieder, zumal jetzt bekanntgegeben<br />

wurde, daß wir unsere Stellungen womöglich auch selbst<br />

verteidigen müßten. Um uns zur äußersten Arbeitsleistung<br />

anzusporten, hieß es jetzt: „Schweiß hilft Blut sparen!“<br />

Und man war hoch motiviert, ging es doch nicht nur um die<br />

Rettung der schlesischen Heimat, sondern auch des eigenen<br />

Lebens. Unerwähnt darf ich nicht lassen den großartigen<br />

Einsatz der Jungmädel, darunter auch meine Schwester, die<br />

uns nicht nur die Wäsche wuschen und die Strümpfe stopften,<br />

sondern auch im Wald die Faschinen herstellten, die<br />

wir für unsere Schützengräben brauchten. Zur Verteidigung<br />

der von uns mit äußerster Sorgfalt gebauten Stellungen<br />

kam es dann seltsamerweise nicht. Vor Weihnachten wurden<br />

wir zurückgezogen und ich konnte das Christfest 1944<br />

in unserem Haus in Schweidnitz erleben.<br />

Am 30. Januar 1945 erfolgte dann meine Einberufung<br />

in das Wehrertüchtigungslager der Heeres-<br />

Unteroffiziersschule Striegau im Ortsteil Gräben.<br />

Die Unteroffiziersschüler waren schon den Russen entgegengeworfen<br />

worden, die am 23. Januar bei Steinau über<br />

die Oder gekommen waren und sich bedrohlich Liegnitz<br />

näherten. Wir wurden schnell mit den Uniformen - feldgrauer<br />

Rock, schwarze Hose - eingekleidet und sollten uns<br />

am nächsten Tag wieder in der „Goldenen Waldmühle“ bei<br />

Breitenhain melden. Breitenhain liegt an der Strecke<br />

Schweidnitz - Bad Charlottenbrunn im Waldenburger<br />

Bergland.<br />

Als wir am 13. Februar hörten, daß unsere Heimatstadt<br />

Schweidnitz wegen bevorstehender Kampfhandlungen<br />

evakuiert wird, stellte sich die Frage: Bleiben im WE-<br />

Lager oder zur Familie eilen? Wir hatten noch keinen<br />

Wehrpaß und unterstanden somit noch nicht der Wehrpflicht.<br />

Nach einem fehlgeschlagenen nächtlichen Ausflug<br />

nach Schweidnitz zu Fuß durch den Wald, begab ich mich<br />

mit einem Fahrrad wieder zurück ins Lager. Nach dem<br />

Frühstück ging es auf einem langen Marsch am Gebirge<br />

entlang nach Oberschreiberhau. Wir blieben dort nicht<br />

lange, sondern wurden bei Schneesturm über den Riesengebirgskamm<br />

auf die andere Seite nach Spindlermühle in<br />

Marsch gesetzt. Der Ort - auf der Sonnenseite des Riesengebirges<br />

- bot ein Bild tiefsten Friedens.<br />

Unser militärischer Auftrag bestand nun darin, die Bauden<br />

des Riesengebirges, die im Sperrgebiet oberhalb der<br />

1000-m-Grenze lagen, gegen womöglich feindliche Angriffe<br />

zu schützen. Dazu wurden wir auf die Bauden verteilt,<br />

vor denen wir Nacht um Nacht Wache stehen mußten.<br />

Es kam der 8. Mai 1945. In meiner Erinnerung ein<br />

strahlender Sonnentag. Ein wolkenloser blauer Himmel


BEITRÄGE 22<br />

wölbte sich über das frische Frühlingsgrün des Riesengebirges.<br />

Dazu paßte so recht die befreiende Meldung, daß<br />

das Oberkommando der deutschen Wehrmacht die Einstellung<br />

des Waffengebrauchs befohlen hatte. Nun sollte endlich<br />

Frieden werden. Die Waffen verstecken! Einmal wieder<br />

ausschlafen! Der Himmel hatte sich aufgetan, unsere<br />

Zukunft wurde wieder hell. Wir atmeten auf und fühlten<br />

neue Freiheit.<br />

Aber würde es so bleiben? Geht Krieg so in Frieden<br />

über? Und stand uns die Feindberührung nicht erst noch bevor?<br />

Und wer würde kommen: Amerikaner oder Russen?<br />

Zwei Tage später war es dann soweit. Die Übergabe an den<br />

Russen sollte im Luftwaffenerholungsheim in Spindlermühle<br />

stattfinden. Zur Übergabe angetreten standen wir in<br />

kurzen Hosen davor. Ein schwarzer Mercedes kam laut<br />

hupend angefahren, ein sowjetischer Major stieg aus. Er<br />

schwankte etwas. Hatte er getrunken? Er wirbelte mit seinen<br />

Armen in der Luft herum und rief: „Alles Kinder - nach<br />

Hause - dawei!“ Das ließ ich mir nicht zweimal sagen und<br />

machte mich auf die Socken Richtung Heimatstadt.<br />

Nun hatte sich das Bild der Heimat verändert. Betrunkene<br />

Rotarmisten, geplünderte Läden, Autowracks, Pferdekadaver,<br />

abgestürzte Flugzeuge. Aber ich war der Massenerschießung<br />

deutscher Soldaten und Hitlerjungen, die ab 9.<br />

Mai durch tschechische Partisanen in Spindlermühle verübt<br />

wurden, entgangen. Unversehrt erreichte ich das Elternhaus.<br />

Von Familienangehörigen keine Spur! Stattdessen<br />

bildeten jetzt die wenigen Deutschen eine Urgemeinschaft<br />

und halfen sich so gegenseitig über die Runden. Es war einfach<br />

abenteuerlich und ging oft nicht ohne Humor ab.<br />

Erstaunlicherweise war die Infrastruktur der Stadt intakt: es<br />

gab Wasser, Strom und Gas im Haus. Russen streiften<br />

durch die Häuser und suchten nach Sachen zum Mitnehmen<br />

- vielleicht suchten sie auch deutsche Frauen?<br />

Arbeit fand ich zunächst bei der Deutschen Reichsbahn<br />

beim Wiederaufbau der Strecke Liegnitz - Schweidnitz -<br />

Reichenbach, die durch mehrere Brückensprengungen<br />

unterbrochen war. Zur Belohnung gab es täglich eine warme<br />

Suppe und jede Woche einen Bezugsschein für 1000 g<br />

Brot. Staunend sah ich, wie russische Pioniere und deutsche<br />

Eisenbahner unter der Leitung eines Schweidnitzer<br />

Stadtbaurates mit primitivsten Mitteln provisorische<br />

Brückenbauwerke errichteten.<br />

Eines Tages, Ende Juni oder Anfang Juli 1945, klingelte<br />

ein russischer Unteroffizier an unserer Haustür<br />

und forderte mich auf, am nächsten Tag das Haus zu<br />

räumen und den Hausschlüssel in der offenen Tür stecken<br />

zu lassen. Es handle sich um eine vorübergehende Maßnahme<br />

von 14-tägiger Dauer. Daraus geworden sind fast<br />

fünfzig Jahre: es zog nämlich das Oberkommando der Ostblockstreitkräfte<br />

in unser Viertel in Schweidnitz, was auch<br />

dazu führte, daß eine direkte Zugverbindung „Swidnicka-<br />

Moskwa“ eingerichtet wurde.<br />

Bald kamen in wachsender Zahl auch Polen in unsere<br />

Stadt, so daß wir eine zweite Besatzungsmacht zu spüren<br />

bekamen. Junge bewaffnete Leute aus Zentralpolen in Milizuniform<br />

fingen an, die deutschen Einwohner zu terrorisieren;<br />

Überfälle, Einbrüche und schreckliche Folterungen<br />

einzelner unschuldiger Bürger waren an der Tagesordnung.<br />

Als Abwehrmaßnahmen bauten die Deutschen ihre Häuser<br />

und Wohnungen zu regelrechten Festungen aus. Die polnischen<br />

Umsiedler aus Galizien hingegen, die auch zu uns<br />

kamen, stellten für uns überhaupt keine Gefahr dar. Den<br />

Höhepunkt bildeten dann die wilden Vertreibungen im<br />

Spätsommern 1945, die so unvorstellbar grausam waren,<br />

daß sogar der Alliierte Kontrollrat in Berlin sich zum Einschreiten<br />

gezwungen sah. „In Schlesien regiert das Verbrechen!“<br />

Da meine Tätigkeit bei der Reichsbahn geendet hatte,<br />

war auch ich unmittelbar von dieser Vertreibung bedroht.<br />

Durch die freundliche Unterstützung des Schweidnitzer<br />

Kreistierarztes, der für die Russen arbeitete, konnte ich<br />

dem Zugriff der Polen entzogen werden, indem er mich<br />

beim Direktor des Schlachthofes unterbrachte. Der polnische<br />

Terror sollte bewirken, daß am Ende die deutsche<br />

Bevölkerung die Zwangsausweisung als Erlösung empfinden<br />

würde. Auch eine Methode der Humanität! Es gab ja<br />

auch in der Tat keinen nennenswerten Widerstand mehr.<br />

Einsprüche kamen eher von außen. So berichtete Robert<br />

Jungk in der „Zürcher Weltwoche“ im November 1945 von<br />

Schlesien als einem „Totenland“. Das kirchliche Leben um<br />

die Friedenskirche verlief jedoch relativ ungestört, und so<br />

konnte ich mich am 31. März 1946 in der fast 300 Jahre<br />

alten Kirche konfirmieren lassen. Außerhalb der Kirche<br />

gab es natürlich keine Gäste, keine Feier und keine<br />

Geschenke.<br />

Nachdem ich im Sommer 1946 den Aufenthaltsort<br />

meiner Familie erfahren hatte, packte ich meinen<br />

Rucksack und versuchte, wieder als Einzelgänger,<br />

Kohlfurt zu erreichen, wo die Alliierten eine Art Übernahmestelle<br />

eingerichtet hatten. Hier trafen täglich zwei Güterzüge<br />

mit Vertriebenen ein - einer aus Breslau und ein<br />

anderer aus Glatz. In Liegnitz wurde meine Fahrt von der<br />

polnischen Miliz unterbrochen. Man sperrte mich kurzerhand<br />

mit anderen zusammen ein. Durch Überlassung jeweils<br />

der Hälfte meiner Reichsmarkscheine und meines<br />

Gepäcks gelang es mir, freizukommen. In Kohlfurt stand<br />

ein Güterzug zur Weiterfahrt über Hoyerswerda und Falkenberg<br />

in die britische Besatzungszone bereit. Ich bestieg<br />

als blinder Passagier einen Güterwagen mit leichter Strohschüttung<br />

für 50 Personen und verkroch mich in eine Ecke.<br />

Der Wagenälteste hatte das im Gedränge nicht bemerkt. Er<br />

zählte zwar mehrmals seine Schafe, kam aber vor Abfahrt<br />

des Zuges zu keinem Resultat. Als wir über die Neiße fuhren<br />

und das polnische Verwaltungsgebiet verließen, sangen<br />

wir alle im Waggon unsere schlesische Nationalhymne<br />

„Kehr ich einst in meine Heimat wieder...“. Ein bewegender<br />

Augenblick, den ich nie vergessen werde. Sogar der<br />

polnische Milizionär, der unseren Waggon bewachte,<br />

schien angesteckt und ließ sein Gewehr an sich hinuntergleiten.<br />

Er wirkte betroffen und schämte sich offensichtlich.<br />

In Hoyerswerda hielt der Zug, weil jetzt mit Einbruch<br />

der Dunkelheit die Waggons zum Schutze vor weiteren<br />

Übergriffen der „Bewacher“ verriegelt wurden; die begleitenden<br />

polnische Miliz pflegte nämlich die armseligen<br />

Vertriebenen noch bis zur Endstation in Niedersachsen aus-


23<br />

zurauben. Ich aber wollte nach Torgau, das lag in der<br />

sowjetischen Zone. So mußte ich in Hoyerswerda aus dem<br />

Waggon und die Fahrt im Bremserhaus fortsetzen! In Fal-<br />

Präses und Bürgermeister Andreas Böer (links) und Regionalbischof<br />

Dr. Hans-Wilhelm Pietz bei einem Empfang im Jahre<br />

2006 Foto: ANN<br />

Er ist ein leidenschaftlicher und ausdauernder Wanderer.<br />

Da kann es schon in der Frühe losgehen. Da<br />

ziehen ihn gerade die hohen Berge an. Da scheut er<br />

jene Anstrengung nicht, die vor dem Erlebnis von Weite<br />

steht. Seine Begeisterungsfähigkeit und Hartnäckigkeit ziehen<br />

andere dabei mit. Richtig schön aber wird es für ihn<br />

und die, die ihn begleiten, wenn nach dem Weg die<br />

Heimkehr gelungen ist. Richtig schön ist es im Vertrauten,<br />

am konkreten Ort. So erleben wir Andreas Böer im Trubel<br />

der Hauptstadt Berlin - als Präses der Synode einer Landeskirche,<br />

die von der Prignitz und dem Oderbruch über<br />

Brandenburg und Potsdam bis nach Cottbus und Görlitz<br />

reicht. So kann er in den Ministerien der Landeshauptstadt<br />

Dresden trefflich für die Menschen in der Oberlausitz streiten.<br />

So ist er ein nachhaltiger Förderer konkreter Bürgerbegegnung<br />

in Europa, hat in Polen und Italien, in Tschechien<br />

und Deutschland einen Namen als Mitbegründer der<br />

Eurocommunale, eines jährlichen Treffens europäischer<br />

Partnerstädte. Zuhause aber ist Andreas Böer in Reichenbach,<br />

der kleinen Stadt an der alten Grenze und Verbindungslinie<br />

zwischen Sachsen und Preußen.<br />

In Reichenbach/OL. ist er in den 50´er und frühen 60´er<br />

Jahren des vergangenen Jahrhunderts aufgewachsen. Die<br />

BEITRÄGE<br />

kenberg verließ ich den Zug. Schlesien, unser liebes Heimatland<br />

- auch seit Jahrhunderten das Land aller meiner<br />

Vorfahren - lag erst einmal hinter mir. �<br />

Wer bewahren will, muß Veränderungen gestalten<br />

Zum 60. Geburtstag von Andreas Böer am 25. Januar 2010<br />

REGIONALBISCHOF DR. HANS-WILHELM PIETZ<br />

Flüchtlinge und Vertriebenen, die westlich der Neiße eine<br />

Bleibe gefunden hatten, haben schon dem Kind etwas vom<br />

Leid des Krieges und von der Aufgabe, einander Heimat zu<br />

geben, aber auch viel vom Reichtum der schlesischen Geschichte<br />

und Frömmigkeit nahegebracht.<br />

Die Ideologisierung im SED-Staat hat sein Empfinden<br />

für Wahrhaftigkeit und die Bedeutung von Zivilcourage<br />

wachsen lassen. Und wie sich die Klarheit im Bekennen<br />

des christlichen Glaubens mit einer intellektuellen Weite<br />

und einem sozialen Engagement zum Wohl der Menschen<br />

und der Gesellschaft stimmig verbinden, das hat Andreas<br />

Böer im Elternhaus erfahren. Im Haus des Reichenbacher<br />

Superintendenten Johannes Böer war ja deutlich: Eine<br />

lebendige Frömmigkeit und eine glaubwürdige Haltung in<br />

der Familie und Öffentlichkeit gehen Hand in Hand.<br />

So gehörte es für ihn zur Folgerichtigkeit seiner Entwicklung,<br />

in der DDR auf Anpassungsschritte zu verzichten<br />

und damit zu leben, daß man ihm den Zugang zum<br />

Abitur verweigerte. Nach der Ausbildung als Funkmechaniker<br />

wurde er im Beruf und in den Aufgabenfeldern der<br />

Gemeinde schon frühzeitig zur Vertrauensperson. Dabei<br />

machte er es sich und anderen nicht bequem. Ein Zeugnis<br />

dafür ist ein 1987 von der Wochenzeitung „Die Kirche“<br />

veröffentlichter Aufruf Andreas Böers „Von ängstlicher<br />

Anpassung zu befreiender Aufrichtigkeit“. Darin heißt es:<br />

„Unser privater Frieden geht uns über alles. Was nach<br />

Problemen aussieht, versuchen wir, so weit wie möglich<br />

von uns zu schieben. Um nicht aufzufallen, beschränken<br />

wir uns und unseren Horizont immer mehr. Unsere Konstruktivität<br />

besteht höchstens noch im Herumnörgeln und<br />

Meckern an allem und allen.<br />

Wenn wir versuchen, von Gottes Wort her zu leben,<br />

stellen wir fest, daß ganz anderes gefragt ist. Wir selbst<br />

werden angefragt: nach unserem Umgang mit dem Menschen<br />

von nebenan, nach dem Umgang mit der Natur, nach<br />

unserem Einwirken auf die Gesellschaft, nach unserem<br />

Mittun in der Kirche.“<br />

Ich bin gefragt. Ich bin herausgefordert. Wir dürfen leben<br />

und gestalten: Von solchen Glaubenseinsichten hat sich<br />

der jetzt 60-Jährige leiten lassen und läßt er sich leiten: in<br />

der eigenen Ehe und Familie, als Vater und Großvater, in<br />

seinen kirchlichen und öffentlichen Ämtern.<br />

Im Juni 1990 wurde er zum Präses der Synode der<br />

Evangelischen Kirche des Görlitzer Kirchengebietes gewählt.<br />

Maßgeblich hat er in diesem kirchenleitenden Amt<br />

die Wege seiner schlesischen Heimatkirche mitbestimmt,


BEITRÄGE 24<br />

deren Bekenntnis zur Bildungsverantwortung und zur<br />

grenzüberschreitenden Zusammenarbeit gestärkt, aber<br />

auch deren Probleme und Grenzen benannt. So hat er sich<br />

schon am Ende der 90er Jahre angesichts der demographischen<br />

Entwicklung und der Notwendigkeit zu einer<br />

Orientierung der kirchlichen Strukturen am Auftrag der<br />

Kirche für eine deutliche Reform eingesetzt. Den Prozeß<br />

der Neubildung der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische<br />

Oberlausitz hat er als Präses nachhaltig<br />

vorangebracht und moderiert. Und wir können dankbar<br />

dafür sein, dass seine Gaben nun schon in der dritten Legislaturperiode<br />

der gemeinsamen Kirche zugute kommen.<br />

Fast genauso lange wie er im Präsesamt ist, versieht<br />

Andreas Böer auch das Amt des Bürgermeisters von<br />

Reichenbach. Seit 1991 füllt er diese Aufgabe nun schon<br />

aus - mit einem Wissen darum, daß die Glaubwürdigkeit<br />

politischen Handelns gerade vor Ort zu suchen und vor Ort<br />

zu bewähren ist. Mit Aufmerksamkeit und Einfühlung<br />

Erna Scholz, am 22. Dezember 2009, ihrem 100. Geburtstag, mit<br />

ihren jüngsten Urenkel Foto: Privat<br />

Einer Hundertjährigen zum Gruß!<br />

CHRISTOPH SCHOLZ<br />

begegnet er den Lebensgeschichten und Anliegen der Menschen.<br />

Mit dem Mut zu Entscheidungen widmet er sich den<br />

Fragen der Kommunalverwaltung, der Wirtschaftsförderung,<br />

der Schulentwicklung. Und im neuen Kreis Görlitz<br />

liegen ihm die Wege zu einem tragfähigen Miteinander der<br />

so unterschiedlich geprägten Regionen am Herzen.<br />

Manchmal schon haben andere ihn gedrängt, aufzubrechen<br />

und seine Erfahrungen auf womöglich größeren Aufgabenfeldern<br />

einzubringen. Andreas Böer aber ist geblieben.<br />

Er weiß, daß es wohl kein größeres Aufgabenfeld gibt,<br />

als am konkreten Ort für andere da zu sein. Da heißt es ja,<br />

nach Erfolgen und Niederlagen, nach Zeiten der Übereinstimmung<br />

und Zeiten des Streits, in geschenkter Nähe und<br />

in gewachsener Distanz immer wieder miteinander anzufangen.<br />

Vom Vertrauten auszugehen und mit Weitblick auf<br />

das Anvertraute zurückzukommen, das ist ja nicht nur gut,<br />

das ist auch schön. �<br />

Die Jubilarin, Frau Erna Scholz, wurde am 22.<br />

Dezember1909 in Herzogswaldau, Kreis Jauer,<br />

Niederschlesien als Tochter der Bauersleute Urban<br />

geboren. Mit vier Geschwistern wuchs sie in ihrer Heimat<br />

auf, besuchte die Grundschule am Ort, darauf bei der Brüdergemeine<br />

in Gnadenfrei bei Schweidnitz die Hauswirtschaftsschule.<br />

Die Jahre danach prägten hartes Arbeiten auf<br />

dem Hof ihrer Eltern. Aber auch für Klavierspiel, Singen<br />

im Dorfchor und Beteiligung an der kirchlichen Frauenarbeit<br />

blieb noch etwas Zeit. Sie war, vom Elternhaus geprägt,<br />

bewußt Christin. Nach der Heirat 1932, natürlich mit<br />

einem Landwirt, Karl Scholz, versorgte sie auf dem großen<br />

Hof Haus und Garten. Vier Kinder brachte sie zur Welt,<br />

drei Mädchen und einen Jungen.<br />

Vom 13.-15.Februar 1945 brach mit dem Einzug der<br />

Roten Armee das Inferno über das Dorf herein. Dabei wurden<br />

unter vielen anderen auch ihre Mutter und zwei Schwager<br />

erschossen. Sie entging wie durch ein Wunder den Vergewaltigungsexzessen<br />

der sowjetischen Soldaten; auch der<br />

Ehemann entkommt, nachdem er sich zwei Wochen auf<br />

dem eigenen Heuboden versteckt hatte, durch die verminten<br />

Felder zu den deutschen Truppen im Gebirge. Nächtliche<br />

Befreiung der verängstigten Dorfbewohner durch<br />

deutsche Soldaten, Flucht in die Tschechoslowakei, Rückkehr<br />

in die Heimat nach dem Zusammenbruch. Es folgte<br />

ein sehr schlimmes Jahr, rechtlos, schutzlos, ohne Geld,<br />

ohne jede Information, in ständiger Angst vor Gewaltausbrüchen,<br />

am Rande des Hungers. Aber auch die andere<br />

Seite der fremden Menschen hat Erna Scholz erlebt: Eine<br />

Galizierpole brachte heimlich immer wieder einmal ein<br />

Töpfchen Milch für die zweijährige Tochter und ein junger<br />

Pole, Spielkamerad der Kinder, von der zweiten Galizier-<br />

Familie transportierte am Vertreibungstag die betagte<br />

Schwiegermutter und die beiden jüngsten Töchter hinter


25<br />

der Plünderungslinie mit dem Pferdewagen in die Kreisstadt<br />

und beschenkte die deutsche Familie mit Lebensmitteln<br />

und Kaffee.<br />

Im August 1946 dann Vertreibung in Viehwaggons ins<br />

Weserbergland nach Beeke bei Obernkirchen. Freiheit und<br />

ohne Angst! Aber auch hier auf Jahre eine kärgliche<br />

Existenz, der gesamte Besitz war ja verloren; der Ehemann<br />

kam als Landwirt nicht mehr in seinen Beruf. Mit Notstandsarbeiten<br />

und im Bergwerk unter Tage bestritten er<br />

und Erna Scholz mit Heimarbeit das Leben der sechsköpfigen<br />

Familie. Die Eltern legten sich krumm, damit alle vier<br />

Kinder eine solide Ausbildung bekamen. Im Westen des<br />

Vaterlandes am Anfang positive und negative Erfahrungen.<br />

Die ev. Kirchengemeinde in Obernkirchen nimmt in ihren<br />

Frauen-, Männer- und Jugendgruppen die Fremden freundlich<br />

auf. Eine Lehrerin der Landfrauenschule betreut uns<br />

Mittellose mit ihren Auszubildenden schon bei der ersten<br />

Weihnacht liebevoll. Die andere Seite, am ersten Tag: Die<br />

Aufnahme der Familie Scholz in die für sie beschlagnahmten<br />

Räume wurde vom Hauswirt vor unseren Augen in<br />

Nollau-Haus in Reichenbach Foto: ANN<br />

Es sind nur wenige Kilometer von Görlitz bis<br />

Reichenbach - ein ausgiebiger Sonntagsspaziergang<br />

oder eine 15minütige Fahrt mit dem Auto. Mit<br />

Görlitz ist das kleine Städtchen natürlich kaum zu vergleichen,<br />

aber das macht auch den gewissen Reiz aus, auf den<br />

es mit Recht stolz sein darf. Im Jahre 1238 erstmals<br />

urkundlich erwähnt, ist es über die Jahrhunderte hinweg ein<br />

kleines Ackerbürgerstädtchen geblieben.<br />

BEITRÄGE<br />

Gegenwart des Bürgermeisters verweigert. Nach dem frühen<br />

Tode des Ehemanns 1959 erwartet Erna Scholz aufreibende<br />

Arbeit in der Landfrauenschule, in einem Heißmangelbetrieb<br />

und als Telefonistin in der Kurverwaltung in Bad<br />

Eilsen. Den weiten Weg von Obernkirchen zur Arbeitsstätte<br />

legt sie bis zum 65. Jahr zu Fuß zurück. Inzwischen<br />

wohnt sie in einem Altenwohnheim in Bad Eilsen.<br />

Auf Grund ihrer Erblindung vor 10 Jahren ist sie stark<br />

behindert, aber sonst körperlich noch recht stabil, gemessen<br />

an ihrem Alter, und geistig noch recht gut gerüstet und<br />

sehr interessiert. Ihr Glaube hat sie über die Härte des<br />

Alltags getragen. Sie ist zufrieden, dankbar und erstaunlich<br />

gelassen. Konkreter Ausdruck ihrer Lebenshaltung ist ihre<br />

Liebe zu Kirchenliedern, die sie auswendig kann und täglich<br />

singt, nicht nur die erste Strophe. Diese Sangeslust und<br />

ihre vorbildliche Lebensart, gepaart mit Bescheidenheit,<br />

steckt uns, ihre vier Kinder, und andere Besucher an. Wir<br />

sind dankbar für solch eine Mutter. Übrigens kann sie auch<br />

dankbar auf je 10 Enkel und Urenkel verweisen. �<br />

Bescheiden - aber ein Anfang ist gemacht!<br />

In Reichenbach hat die Heimatstube wieder ihre Pforten geöffnet.<br />

ANDREAS NEUMANN-NOCHTEN<br />

Ein recht weiter Marktplatz in der Mitte des Ortes ist von<br />

zumeist ein- und zweistöckigen Häusern umstanden. An<br />

dessen Ostseite erhebt sich das neu errichtete Rathaus, dessen<br />

Fassade sich jedoch hervorragend in das historische<br />

Stadtbild einfügt.<br />

Dahinter erhebt sich der 46 Meter hohe Turm der evangelischen<br />

Johanneskirche, einer barock umgestalteten<br />

mittelalterlichen Wehrkirche. In deren Schatten, nur weni-


BEITRÄGE 26<br />

ge Schritte vom Kirchhof entfernt, steht das alte Kantorenhaus.<br />

Selbst an einem trüben Wintertag und tief verschneit<br />

ist es eine rechte Augenweide. Vor nicht allzulanger Zeit<br />

fielen hier nach intensiven Bau- und Restaurierungsarbeiten<br />

die Gerüste.<br />

Jetzt dient das nach Reichenbachs berühmten Sohn<br />

Ludwig Eduard Nollau (1810 – 1869, Missionar und Mitbegründer<br />

der Unierten Kirche in den USA - UCC) benannte<br />

Haus in seinem Obergeschoß der „Zentralen Heimatstube<br />

für Vertriebene, Flüchtlinge und Aussiedler in Sachsen“<br />

als Heimstatt.<br />

Der <strong>Gottesfreund</strong> berichtete in seiner letzten Novemberausgabe<br />

auf Seite 172 bereits über die Eröffnung. Allerdings<br />

traten Umstände ein, die eine Zwangspause notwendig<br />

machten. So wurde nun am 14. Januar 2010 das Haus<br />

erneut eröffnet. Eine Verwechslung im Terminkalender<br />

führte meinerseits dazu, daß ich mit Kamera ausgestattet<br />

zwar zur richtigen Urzeit vor Ort war, allerdings mit einem<br />

Tag Verspätung.<br />

Eine freundliche Mitarbeiterin gewährte mir dennoch<br />

Einlaß und führte mich durch die Ausstellungsräume. Die<br />

Eröffnungsveranstaltung am Vortag lockte - wie ich mir berichten<br />

ließ - aufgrund heftigen Schneefalls leider nur sehr<br />

wenige Gäste an.<br />

Im Erdgeschoß wird ab dem Sommer diesen Jahres die<br />

alte Schulstube mit einer Ausstellung zum Leben und<br />

Wirken Nollaus zu besichtigen sein.<br />

Drei Räume im Obergeschoß beherbergen die Exponate<br />

der Heimatstube. Zur Zeit steht jedoch alles im Zeichen<br />

eines sehr bescheidenen Anfangs. Nur wenige Gegenstände<br />

werden dem Besucher präsentiert. Am umfangreichsten ist<br />

noch die Sammlung von Erinnerungsstücken aus Ostpreußen.<br />

In einem kleineren Raum sind Keramiken und Trachten<br />

aus Schlesien zu sehen. In der Hauptsache dominieren<br />

aber Karten und Schrifttafeln, die über die Schicksale Vertriebener<br />

berichten, die Ausstellung.<br />

Seit Ende vergangenen Jahres gibt es einen Verein, der<br />

sich den Namen „Erinnerung und Begegnung“ gegeben<br />

hat. Der Vorsitzende Herr Torsten Nitsche, zugleich Projektleiter<br />

der Heimatstube kann zur Zeit auf 18 Mitstreiter<br />

zählen.Wie andernorts auch, will die Heimatstube die Geschichte<br />

der Deutschen in der Mitte und im Osten Europas,<br />

die durch Flucht und Vertreibung geprägt gewesen ist,<br />

ein dauerhaftes Gedächtnis bewahren. Viele Betreibervereine<br />

von Heimatstuben sind personell überaltert. Es fehlt<br />

vielfach an Kraft und Mitteln, Sammlungen weiterhin der<br />

Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Die Reichenbacher<br />

Heimatstube kann deshalb für die Zukunft zum zentralen<br />

Anlaufpunkt für von der Schließung bedrohter Heimatstuben<br />

werden. In nächster Zeit werden hier Exponate einer<br />

Leipziger Sammlung ihre neue Bleibe finden.<br />

Ungeachtet dessen sind die Heimatstube und der Verein<br />

natürlich immer an Übereignungen und Leihgaben interessiert.<br />

Daneben steht aber als wesentliche Aufgabe, „sich im<br />

Bereich der Erinnerungsarbeit, der Kulturförderung, der<br />

Bildung, der Kulturförderung ... für Flüchtlinge, Vertriebene<br />

und Aussiedler“ (aus der Satzung) zu betätigen. Gerade<br />

Menschen der jüngeren Generationen soll das Thema<br />

Flucht und Vertreibung im geschichtlichen Kontext dargestellt<br />

und nahegebracht werden. �<br />

Blick in die Ausstellungsräume: Schlesische Tracht, Bunzlauer Keramik, Raum Ostpreußen (v.l.n.r., Fotos: ANN)


27<br />

9,3<br />

11<br />

17<br />

Auflösung:<br />

Schloß und Riegel - O Heiland reiß die Himmel auf - EG 7//<br />

Boot - Es kommt ein Schiff - EG 8 // Zepter, Krone -<br />

Nun jauchzet all ihr Frommen - EG 9,3 // Fackel - Wie<br />

soll ich dich empfangen - EG 11 // Adventskranz - Wir<br />

sagen euch an den lieben Advent - EG 17. Das gesuchte<br />

Lied heißt: Wißt ihr noch wie es geschehen, EG 52.<br />

Viele Einsendungen erreichten die Redaktion auch diesmal<br />

wieder zum Weihnachtsrätsel. Nicht nur der <strong>Gottesfreund</strong>,<br />

sondern auch die Mitteldeutschen Kirchenzeitungen und<br />

der „evangelische Kirchenbote“ aus der Pfalz hatten unter<br />

den Titeln „Chaos im Stall von Bethlehem“ und „Mit Gesangbuch<br />

und Taschenrechner“ die adventliche Rätselnuß<br />

ihrer Leserschaft zum Knacken gegeben.<br />

Ganz so einfach, wie es sich der Verfasser dachte, war<br />

das Weihnachtsrätsel dann doch nicht, denn nicht alle Einsendungen<br />

wiesen die richtige Lösung auf.<br />

Eine - allerdings nicht genannt sein wollende Leserin -<br />

ließ es sich nicht nehmen, neben der richtigen Antwort<br />

auch noch einen netten Brief an die Redaktion zu senden,<br />

den ich, mit ausdrücklicher Genehmigung, an dieser Stelle<br />

in Auszügen wiedergeben möchte:<br />

Wißt ihr noch wie es geschehen?<br />

ANDREAS NEUMANN-NOCHTEN<br />

8<br />

7<br />

BEITRÄGE<br />

„ ... seit vielen Jahren bin ich nun schon Leserin des<br />

‘<strong>Gottesfreund</strong>es’, wenn ich auch gestehen muß, daß ich die<br />

Zeitung immer bei einer alten Freundin mitlese, oder besser<br />

gesagt ihr vorlese, da sie fast erblindet ist. Sie stammt<br />

aus Schlesien und hat das ganze Leid und Elend der Flucht<br />

und Vertreibung mitmachen müssen. Wie gut ist es doch<br />

mir ergangen. Zwar habe auch ich das Kriegsende und den<br />

Zusammenbruch als junge Frau sehr bewußt miterlebt, aber<br />

eben in einem Teil Deutschlands ... , der so unvergleichlich<br />

weniger zu leiden hatte. ... Mit dem Abstand von mehr als<br />

sechzig Jahren, schlägt mir immer noch das Gewissen,<br />

wenn ich daran denke, wie argwöhnisch wir damals die<br />

Neuankömmlinge beäugten, die aus einer Gegend kamen,<br />

von der wir nicht einmal wußten, daß sie zu Deutschland<br />

gehört. ... Weshalb ich aber eigentlich schreibe, und das<br />

richte ich Ihnen ausdrücklich im Namen meiner Bekannten<br />

aus: der „Schlesische <strong>Gottesfreund</strong>“ hält noch immer<br />

zusammen, schafft noch immer Verbindung - oft die einzigen<br />

die wir noch haben. ... Die Zeitung ist über die Jahre<br />

anders geworden, aber auf keinen Fall schlechter. Wir freuen<br />

uns über die Erinnerungen und geschichtlichen Artikel,<br />

aber ebenso über die unterhaltsameren Beiträge und die Illustrationen.<br />

Machen Sie weiter so. Wir freuen uns schon<br />

auf die nächste Ausgabe und das nächste Rätsel ...“<br />

Die Gewinner<br />

1. Herr Rolf Janßen, Kierspe<br />

2. Frau Annemarie Bärecke, Oschersleben<br />

3. Frau Renate Scholz, Erftstadt<br />

1. Preis 2. Preis<br />

Kirche Wang im Winter, Breslau, Weißgerbergasse<br />

Feder, Pastell, 2005 Feder, Pastell, 2006<br />

3. Preis<br />

Christian Czepko reiste in<br />

den Jahren 1654/55 von<br />

Schweidnitz nach Stockholm<br />

und zurück, um Mittel<br />

für den Bau der Friedenskirche<br />

zu sammeln. Sein Reisetagebuch<br />

liegt jetzt in einer<br />

schön bebilderten Ausgabe<br />

vor. �


EMPFEHLUNGEN 28<br />

Johann Heermann (1585-1647) - zycie i twórczosc.<br />

Materialy z sesji naukowj pod redakcja Alojzigo Konior.<br />

Herausgegeben vom Präsidenten der Stadt Leszno<br />

und der Kulturellen Gesellschaft der Stadt;<br />

Leszno 2008.<br />

Johann Heermann (1585-1647) - Leben und Werk.<br />

Lange Jahre ist über Johann Heermann nicht geforscht<br />

und nichts geschrieben worden. Nun liegt eine<br />

Sammlung von Aufsätzen vor, in der sich polnische<br />

Autoren mit dem bekannten Liederdichter befassen. Das<br />

Werk ist aus einer wissenschaftlichen Konferenz über Johann<br />

Heermann am 11. Oktober 2005 in Lissa hervorgegangen.<br />

Es war die erste in Polen, die sich mit der literarischen<br />

Tätigkeit des deutschen Pastors und Dichters befaßte.<br />

Die Anregung zu diesem Symposium gab die Stadt<br />

selbst in der Absicht, das Wissen über die Kultur der Stadt,<br />

speziell im 17. Jahrhundert, aufzunehmen und bekannt zu<br />

machen. Heermann, der in Köben Pfarrer war, verlebte<br />

seine letzten Lebensjahre in Lissa (Leszno). Wie dieses<br />

Hans-Ulrich Minke - Joachim Kuropka - Horst Milde (Hg.),<br />

„Fern vom Paradies - aber voller Hoffnung“. Vertriebene<br />

werden neue Bürger im Oldenburger Land,<br />

(Oldenburger Forschungen NF 26)<br />

Isensee Verlag Oldenburg, 2009,<br />

420 Seiten<br />

Buchbesprechungen<br />

Werk zeigt, wurde seine Anwesenheit in Lissa als ein für<br />

die Kultur des Landes bedeutendes Ereignis anerkannt.<br />

Alojzy Konior schreibt dazu: „Johann Heermann war für<br />

Lissa eine hervorragende Gestalt, obwohl sie (er) kulturell<br />

und geistig zum ethnisch anderen als polnischen Kulturerbe<br />

gehörte. Sein dichterisches Werk zeigend, bereichern<br />

wir gleichzeitig unser Wissen über die Gemeinschaften, die<br />

in Lissa , d.h. auch im damaligen Freistaat Polen, lebten<br />

und tätig waren.“<br />

Das Buch enthält nicht nur eine Biographie<br />

Heermanns, sondern eine Reihe von Einzeluntersuchungen,<br />

die von Interesse sind: Alojzy Konior beschäftigt sich<br />

mit dem Leben des Kirchenmanns. „Von Köben bis nach<br />

Leszno. Johann Heermanns Leben und Werk“. Es folgt ein<br />

Aufsatz von Kamila Szymanska über die Spuren, die<br />

Johann Heermann in Lissa hinterlassen hat. Dariusz Rott<br />

schreibt über „Johann Heermann im Milieu der Lissaer<br />

Literaten“. Izabela Kaczmarzyk analysiert den Kreis literarisch<br />

tätiger schlesischer Pastoren unter dem Titel „Die mit<br />

dem (den) Geist Gottes atmenden Schriften“. Barbara<br />

Halusek hat die lateinischen Werke Johann Heermanns und<br />

ihre Übersetzungen gelesen und berichtet darüber. Marcin<br />

Blaszkowski hat sich den Sohn Johann Heermanns Samuel<br />

zum Thema gemacht und schreibt über „Die unerfüllten<br />

dichterischen Hoffnungen“ des früh Vollendeten. Aleksander<br />

Wilecki analysiert das Kryptichon „Buß-leyter, Beicht-<br />

Büchlein und Communicanten-Büchlein“. Mariusz Pawelec<br />

schließlich analysiert Johann Heermanns postportale<br />

Predigt als eine Biographiequelle.<br />

Johann Heermann in Polen vorzustellen ist ein Verdienst<br />

an sich. „... seine Person, sowie auch das Werk des<br />

Pastors sind ... praktisch im polnischen Sprachgebiet abwesend“,<br />

schreibt Kamila Szymanska. Aber auch für den<br />

deutschen Leser der Aufsätze ist es interessant, Leben und<br />

Werk Heermanns ganz aus der Sicht seines Aufenthalts in<br />

Lissa nachzulesen.<br />

Das Buch zielt offensichtlich auf eine Leserschaft auch<br />

in Deutschland. Darum die Herausgabe der Aufsätze in polnischer<br />

und deutscher Sprache. Der Übersetzung von Mariola<br />

Kuczynska-Szoplik hätte freilich eine nachträgliche<br />

Überarbeitung eines muttersprachlichen deutschen Lektors<br />

gut getan. Auch bei der Zusammensetzung der Referenten<br />

auf dem Symposion hätte man sich die Beteiligung eines<br />

deutschen Wissenschaftlers denken können. Die Bedeutung<br />

Heermanns für das deutsche Kirchengesangbuch blieb<br />

somit, um ein Beispiel zu nennen, unbeachtet.<br />

Paul Gerhard Eberlein �<br />

Das Thema Ankunft - Aufnahme - Eingliederung -<br />

Integration der Vertriebenen aus dem früheren deutschen<br />

Osten, dem Sudetenland und den Ländern<br />

Ost-Mittel-Europas stößt in zunehmendem Maße auf<br />

Interesse und Bearbeitung. Und das durchaus auch unabhängig<br />

von dem erfolgreichen Buch „Kalte Heimat“ von


29<br />

Andreas Kossert aus dem Jahr 2008. Schon vor dessen<br />

Erscheinen haben sich einzelne Evangelische Akademien,<br />

zum Beispiel Loccum und Bad Herrenalb, mit dieser<br />

Thematik befaßt; dicht gefolgt von der Katholisch-<br />

Theologischen Fakultät Erfurt mit einem Symposion in der<br />

thüringischen Landeshauptstadt oder von der Historischen<br />

Kommission des lutherischen Weltbundes, die im September<br />

2008 in der Heimvolkshochschule Loccum eine viel<br />

beachtete Tagung zum Thema „Migration und Konfession“<br />

durchgeführt hat. In Stuttgart konnte im November 2009<br />

die Große Landesausstellung „Ihr und wir. Integration der<br />

Heimatvertriebenen in Baden-Württemberg“ eröffnet werden.<br />

In Hannover bereitet eine Expertengruppe der<br />

Landeskirche eine Dokumentation zu diesem Thema vor.<br />

In Kassel hat der emeritierte Dekan Dieter Wassmann 2008<br />

eine Untersuchung über die Aufnahme der Ostpfarrer in der<br />

evangelischen Landeskirche Kurhessen-Waldeck vorgelegt.<br />

Kurz: Das Thema hat Konjunktur - und das ist sehr zu<br />

begrüßen.<br />

Ganz in diesem Trend liegt auch das vorliegende Buch.<br />

Dabei wird deutlich, daß es sich bei diesem Thema um die<br />

mit Abstand größte bevölkerungspolitische Veränderung<br />

handelt, die das Oldenburger Land seit der Völkerwanderung<br />

erlebt hat. Bei der Volkszählung 1939 hatte dieses<br />

Land 580.000 Einwohner. Zu diesen sind ab 1945 200.000<br />

Vertriebene gekommen. „Jeder Vierte war also ein Heimatvertriebener<br />

und zu hören ist, daß gegenwärtig etwa ein<br />

Drittel aller Oldenburger entweder zu den Nachkommen<br />

der Vertriebenen zählt oder sonst familiär und beruflich mit<br />

ihnen verbunden ist. … Zu den Germanenstämmen der<br />

Chauken, Sachsen und Friesen, auf die sich die Oldenburger<br />

bislang zurückführten, sind nun die Ost- und Westpreußen,<br />

die Pommern, Schlesier und andere gekommen“ (Vorwort<br />

S. 7).<br />

Die zwanzig Autorinnen und Autoren, die für die Mitarbeit<br />

gewonnen werden konnten, gehen das Thema von<br />

ganz unterschiedlichen Standorten aus an. Neun von ihnen<br />

konzentrieren sich auf einzelne Regionen und beschreiben<br />

die Ankunft und Aufnahme der Vertriebenen im Ammerland,<br />

in den Landkreisen Cloppenburg, Friesland, Vechta,<br />

in Delmenhorst, in der Stadt und (getrennt davon) im<br />

Landkreis Oldenburg, auf der Wesermarsch und in Wilhelmshaven.<br />

Andere haben die Veränderungen im Blick,<br />

die mit dem Einströmen der Fremden aus dem Osten und<br />

der gleichzeitigen Neuorientierung nach dem Zweiten<br />

Weltkrieg im öffentlichen Leben greifbar werden: Staatliche<br />

Neuordnung, Wirtschaft und Soziales, die beiden großen<br />

Kirchen, Politik, Bildungswesen, Kunst, Vertriebenenverbände,<br />

Heimatpflege, Patenschaften mit ostdeutschen<br />

Städten. Angereichert sind die Texte mit ausgesucht<br />

aussagekräftigen, zum Teil auch farbigen Fotos, Karten,<br />

Tabellen, Verordnungen, Zeitungsausschnitten, weiterführenden<br />

Literaturhinweisen.<br />

Der Leser erfährt noch einmal in zum Teil erschütternden<br />

Rückblicken, wie dramatisch vor sechzig Jahren der<br />

Aufeinanderprall der Zwangsvertriebenen, hungernden,<br />

bettelarm gewordenen Zuwanderer aus dem Osten mit der<br />

weitgehend unvorbereiteten, überwiegend ländlich struktu-<br />

EMPFEHLUNGEN<br />

rierten Bevölkerung des alten Oldenburger Landes gewesen<br />

sein muss - nachzulesen bei Bernd Pohlig, Karl<br />

Sieverding, Enno Konukiewitz, Hansjörg Zimmermann,<br />

Andreas von Seggern, Peter Heinken, Joachim Kuropka,<br />

Jürgen Gabbert, Ursula Aljets, wobei sich die Situation in<br />

den aufnehmenden Kirchen nicht grundsätzlich anders darstellt<br />

(Hans-Ulrich Minke, Michael Hirschfeld). Die Härte<br />

dieses Aufeinanderpralls ist heute vielfach vergessen oder<br />

in eine wohlwollende Erinnerung eingetaucht. Durch die<br />

Quellengestützten Darstellungen in diesem Buch wird die<br />

Situation in Oldenburg nach 1945 so dokumentiert und<br />

festgehalten, wie es wirklich gewesen sein dürfte.<br />

Dabei wird auch deutlich, daß die Vergangenheit nicht<br />

einfach vergangen ist, sondern bis heute nachwirkt und<br />

unsere Gegenwart mitbestimmt. Unter den Vertriebenen<br />

gibt es nach wie vor Menschen, die mit den selbst erfahrenen<br />

oder familiär überlieferten Demütigungen und Traumatisierungen<br />

erst in der alten, dann in der neuen Heimat<br />

noch immer zu kämpfen haben. Diese Feststellung gehört<br />

auch zu den Folgerungen, die dieses Buch nahe legt; daß es<br />

nämlich neben der historischen auch eine menschliche Aufarbeitung<br />

geben muß in Form einer aufrichtigen Bereitschaft<br />

zur Würdigung der Leiden und Leistungen der<br />

Vertriebenen. Gerade vor dem Hintergrund der erlittenen<br />

Vergangenheit gilt es, die vielfältigen Beiträge der Vertriebenen<br />

zur friedlich-versöhnlichen Annahme ihres Schicksals,<br />

zur Eingliederung in der fremden, zum Teil feindlichen<br />

Umgebung und zum Aufbau eines neuen Gemeinwesens<br />

öffentlich und bleibend anzuerkennen. Dazu sollte<br />

auch die Pflege der Erinnerung an die Herkunftsgeschichte<br />

im Osten (Ewald Gäßler) oder der Patenschaften mit östlichen<br />

Partnern (Horst Milde) gehören.<br />

Das wäre allerdings das erstrebenswerte Gegenteil von<br />

dem, was im Augenblick in der Öffentlichkeit etwa im<br />

Zusammenhang mit der Einrichtung des „Zentrums gegen<br />

Vertreibungen“ diskutiert wird. Die Frage, ob die Ostvertriebenen<br />

überhaupt als Opfer anerkannt werden dürfen,<br />

stellt sich zwei Generationen später dar als eine neue Form<br />

der Nichtannahme, der verweigerten Solidarität mit den<br />

Vertriebenen. „Ihr und Wir“ ist von daher nicht nur ein<br />

guter Ausstellungstitel in Württemberg, es ist auch ein Hinweis<br />

auf ein weiterhin nicht befriedigend gelöstes Problem<br />

in unserer Gesellschaft.<br />

Wer erwartet hat, daß das Buch über die Neubürger in<br />

Oldenburg etwas hergibt für die Diskussion der Schuldfrage<br />

im Blick auf die Vertreibung der Deutschen, wird sich<br />

getäuscht sehen. Die Beiträge zeigen - sofern sie das Thema<br />

überhaupt berühren -, daß sich die Vertriebenen nicht<br />

schuldiger fühlen als andere Leute auch. Ihr Vertriebenen-<br />

Schicksal kann und wird auch nicht mit einer überdurchschnittlichen<br />

Verbundenheit mit den Nazis oder mit den<br />

Verbrechen der Nazis begründet oder gerechtfertigt.<br />

Vielmehr fällt auf, daß die Schuldfrage im Blick auf die<br />

Vertreibungen eher im Hintergrund verbleibt, während die<br />

Bewältigung des Ein- und Überlebens in den neuen Verhältnissen<br />

die volle Aufmerksamkeit auf sich zieht.<br />

„Fern vom Paradies - aber voller Hoffnung“ ist die Geburtsgeschichte<br />

des neuen Oldenburger Landes, „… ein


VERANSTALTUNGEN<br />

Erinnerungsbuch für Vertriebene und Einheimische“.<br />

(Vorwort S. 8). Man spürt ihm ab, daß viele der Autorinnen<br />

und Autoren ihre Wurzeln im Osten haben und als selbst<br />

Betroffene ein Stück Lebensgeschichte in die Landesge-<br />

Vorschau auf unser Jubiläum<br />

Im Jahr 2010 ist die Gemeinschaft evangelischer Schlesier<br />

60 Jahre alt. Sie wurde im März 1950 in Darmstadt gegründet.<br />

Dieses Jubiläum soll in Wiesbaden begangen werden.<br />

Wiesbaden ist Partnerstadt von Breslau. Das evangelische<br />

Dekanat Wiesbaden, das die Verbindung zum evangelischen<br />

Breslau pflegt, unterstützt uns. Vorgesehen ist:<br />

1. Die Jahres-Arbeits-Tagung des VSKG<br />

vom 28.-30. September 2010 in Wiesbaden<br />

2. Das Jubiläum der „Gemeinschaft“<br />

vom 1.-3. Oktober 2010 in Wiesbaden<br />

Ein Festausschuß plant und koordiniert die Vorbereitungen.<br />

Einzelheiten werden rechtzeitig bekannt gegeben.<br />

Mitglieder, Freunde, Interessierte sind sehr willkommen!<br />

Veranstaltungen 2010<br />

der LAG Schlesische Oberlausitz<br />

Der Vorstand der LAG Schlesische Oberlausitz plant für<br />

die Mitglieder auch in diesem Jahr wieder diverse Veranstaltungen.<br />

Neben den regulären Treffen sind auch thematisch<br />

geprägte Tagestouren geplant.<br />

Termine<br />

Samstag, 17. April Zusammenkunft der LAG<br />

Samstag, 29. Mai Ausflug ins Bober-Katzbach-Tal<br />

Samstag, 25. September Ausflug - Grenzkirchen<br />

Samstag, 6. November Zusammenkunft der LAG<br />

Die Zusammenkünfte werden, nach dem derzeitigen Planungsstand<br />

wieder im Gemeindehaus der Hoffnungskirchgemeinde<br />

in Görlitz-Königshufen stattfinden. Über mögliche<br />

Programmänderungen werden die Mitglieder der LAG<br />

rechtzeitig informiert.<br />

EVANGELISCHE GOTTESDIENSTE<br />

IN DEUTSCHER SPRACHE IN SCHLESIEN<br />

Pfarramt:<br />

ul. Partyzantów 60, PL 51-675 Wroclaw,<br />

Pfarrer Andrzey Fober, Tel.: 0048-71-34 84 598<br />

Breslau: Christophorikirche<br />

jeden Sonntag, 10 Uhr, pl. Sw. Krzyzstofa 1<br />

Lauban: Frauenkirche<br />

jeder 2. Sonnabend, jeder 4. Sonntag im Monat,<br />

10 Uhr<br />

aleja Kombatantów 2a<br />

Liegnitz: Liebfrauenkirche<br />

jeder 1. und 3. Sonntag im Monat, 13 Uhr,<br />

pl. Mariacki 1<br />

Datum: Unterschrift:<br />

Titel:<br />

Nachname:<br />

Vorname:<br />

Straße:<br />

PLZ, Ort:<br />

Geburtsdatum:<br />

Geburtsort:<br />

Beruf:<br />

Bitte einsenden an: Gemeinschaft evangelischer Schlesier e.V.<br />

Postfach 1410, D – 32440 Porta Westfalica<br />

oder Stiftung Evangelisches Schlesien<br />

Schlaurother Straße 11, D – 02827 Görlitz<br />

Bankverbindung: Stadtsparkasse Porta Westfalica<br />

BLZ: 490 519 90 Kto.-Nr.: 26 997<br />

Schweidnitz: Friedenskirche<br />

jeder 2. Sonntag im Monat, 13 Uhr<br />

jeder 4. Sonnabend im Monat, 10 Uhr, pl. Pokoju 6<br />

Waldenburg:<br />

jeder 2. Sonntag im Monat, 9 Uhr<br />

in der Erlöserkirche, pl. Koscielny 4<br />

Bad Warmbrunn: Erlöserkirche<br />

pl. Piastowski 18<br />

jeder 2. Sonnabend im Monat 14 Uhr<br />

jeder 4. Sonntag im Monat 14 Uhr<br />

Jauer: Friedenskirche<br />

auf Anfrage:<br />

Park Pokoju 2, 59-400 Jawor<br />

Tel. (+48 76) 870 51 45<br />

Fax (+48 76) 870 32 73<br />

e-mail: jawor@luteranie.pl<br />

30<br />

schichte einbringen. Als Leser kann ich Herausgebern,<br />

Autoren und Sponsoren zu diesem gelungenen landesgeschichtlichen<br />

Werk nur gratulieren.<br />

Christian-Erdmann Schott �<br />

Beitrittserklärung:<br />

Ich erkläre hiermit meinen Beitritt zur Gemeinschaft evangelischer<br />

Schlesier e. V. bei einem Mitgliedsbeitrag von 30 Euro für das laufende<br />

Kalenderjahr; im Rahmen meiner Vereinsmitgliedschaft erhalte<br />

ich die Zeitschrift „<strong>Schlesischer</strong> <strong>Gottesfreund</strong>“ kostenfrei.<br />

Ich möchte kein Mitglied werden, bestelle aber die Monatszeitschrift<br />

„<strong>Schlesischer</strong> <strong>Gottesfreund</strong>“ zum Preis von 30 Euro pro Abonnementsjahr.<br />

Bitte senden Sie mir eine Probenummer der Zeitschrift „<strong>Schlesischer</strong><br />

<strong>Gottesfreund</strong>“ zu.


31<br />

VERANSTALTUNGSKALENDER<br />

DER GEMEINSCHAFT EVANGELISCHER SCHLESIER<br />

Hamburg<br />

Schlesiernachmittag<br />

Freitag, den 5. Februar, 16 Uhr<br />

Gemeindehaus der St.-Petri-Kirche in Altona, Schillerstraße.<br />

Stuttgart<br />

Gottesdienst nach schlesischer Liturgie<br />

Sonntag, den 28. Februar<br />

14.30 Uhr in der Schloßkirche.<br />

GEBURTSTAGE AUS DER LESERGEMEINDE<br />

95. Am 06.02. Frau Ilse Zimmer, 40667 Meerbusch,<br />

Hegelstr. 3, früher Beuthen.<br />

94. Am 10.02. Frau Carla Kropp, 32108 Bad Salzuflen,<br />

Langenbergstr. 2, früher Bad Kudowa.<br />

93. Am 23.02. Mme. Charlotte Westberg, S-Sandviken,<br />

Smedsgatan 6 B, früher Striegau.<br />

92. Am 01.02. Frau Ilse Müller, 44866 Bochum, Theodor-Körner-Str.<br />

3, früher Goldberg.<br />

90. Am 02.02. Frau Erna Bender, 76133 Karlsruhe,<br />

Karl Schremppstr. 63, früher Breslau. � Am 18.02. Herr<br />

Hans Scholz, 39261 Zerbst, Friedrich-Naumann-Str. 45,<br />

früher Grünberg/Schl..<br />

89. Am 08.02. Frau Charlotte Fiala, 98617 Meiningen,<br />

Am Mittleren Rasen 9, früher Wüstegiersdorf. � Am<br />

09.02. Herr Forstdirektor i.R. Joachim Viebig, 69412<br />

Eberbach, Dr.Weiß-Str. 21, früher Breslau.<br />

88. Am 07.02. Frau Margarete Scholz, 51065 Köln,<br />

Graf-Adolf-Str. 14-16, früher Breslau. � Am 10.02. Frau<br />

Lenore Gerst, 75417 Mühlacker, Hindenburgstr. 12, früher<br />

Obernigk. � Am 27.02. Frau Else Weske, 34127 Kassel,<br />

Udenhäuser Str. 20, früher Volkersdorf/Lauban.<br />

87. Am 04.02. Frau Gisela Worm, 51789 Lindlar,<br />

Frangenberg 49, früher Tauer, Krs. Glogau.<br />

86. Am 03.02. Frau Waltraud Hauke, 70565 Stuttgart,<br />

Behringstr. 25, früher Laasan/Schweidnitz. � Am 08.02.<br />

Frau Margarete Hahn, 39261 Zerbst, Neue Brücke 9, früher<br />

Breslau. � Am 10.02. Frau Ursula Wiesner, 74076<br />

Heilbronn, Schickhardtstr. 52. � Am 18.02. Herr Pastor<br />

i.R. Will-Feodor v. Neumann, 31162 Bad Salzdetfurth, Am<br />

Kirchberg 6, früher Kl.Muritsch/Trebnitz.<br />

85. Am 03.02. Frau Ingeborg Rokitte, 71638 Ludwigsburg,<br />

Hindenburgstr. 106, früher Breslau. � Am<br />

21.02. Herr Siegfried Hornig, 26388 Wilhelmshaven,<br />

Insterweg 11, früher Dittersbach/Waldenburg.<br />

84. Am 07.02. Herr Hans-Joachim Wendland, 60599<br />

Frankfurt, Balduinstr. 68, früher Weigelsdorf, Krs.<br />

Reichenbach. � Am 20.02. Herr Diakon i.R. Kurt Niebisch,<br />

33649 Bielefeld, Ostlandstr. 21, früher Klein<br />

Jenkwitz. � Am 22.02. Frau Annelies Tzschoppe, 02829<br />

Neißeaue, Dorfallee 58, früher Breslau. � Am 27.02. Frau<br />

Gisela Ritter, 85221 Dachau, Reichenberger Str. 1, früher<br />

Langenöls.<br />

83. Am 26.02. Frau Gertraude Volk, geb. Hirse,<br />

54497 Morbach, Sonnenstr. 5, früher Kraschnitz.<br />

AUS DER LESERGEMEINDE<br />

81. Am 12.02. Herr Joachim Kempe, 31167 Bockenem,<br />

Buchholzmarkt 20, früher Hannover. � Am 19.02.<br />

Frau Eva Maria Tange, 24534 Neumünster, Werderstr. 35,<br />

früher Helmstedt.<br />

80. Am 27.02. Frau Helga Weinhold, 68199 Mannheim,<br />

Rottfeldstr. 44, früher Schweidnitz.<br />

79. Am 08.02. Herr Pastor i.R. Peter Leuchtmann,<br />

32312 Lübbecke, Am Zollamt 9, früher Grasse/Falkenberg<br />

OS. � Am 16.02. Herr Dankwart Jüngling, 79576 Weil,<br />

Lettenweg 7, früher Sagan. � Am 28.02. Herr Dekan<br />

Klaus Loreck, 72072 Tübingen, Eugenstr. 25, früher Sagan.<br />

78. Am 10.02. Frau Brigitte Schubel, 32339 Espelkamp,<br />

Chemnitzer Weg 7, früher Mertschütz, Kr. Liegnitz.<br />

� Am 29.02. Frau Eveline v. Rennenkampff, 31655 Stadthagen,<br />

Leinenweberstr. 1, früher Oppeln.<br />

77. Am 14.02. Frau Christa Kohli-Dietrich, 02827<br />

Görlitz, Landhausstr. 4, früher Görlitz.<br />

76. Am 05.02. Herr Helmut Dudel, 14089 Berlin-<br />

Spandau, Sakrower Kirchweg 16 D, früher Breslau. � Am<br />

12.02. Frau Gisela Kitzig, 58708 Menden, Hermann-Löns-<br />

Str. 59, früher Waldenburg. � Am 21.02. Herr Alexander<br />

Engler, 06502 Thale - OT Neinstedt, Am Rumberg 1, früher<br />

Schönau/Katzbach. � Am 23.02. Herr Karl Kuschick,<br />

50389 Wesseling, Finkenweg 9, früher Langemark/Glogau.<br />

75. Am 05.02. Herr Alfred Norbert Hufnagel, 67549<br />

Worms-Hochheim, Schillingstr. 9. � Am 08.02. Herr Arnulf<br />

Knappe, 65207 Wiesbaden, Tannenring 11, früher<br />

Strehlen. � Am 14.02. Frau Christa Giese, 39261 Zerbst,<br />

Neue Brücke 9, früher Greiffenberg/Niderschl..<br />

70. Am 29.02. Herr Helmut Schubert, 06502 Thale,<br />

Wotanstraße 8a, früher Gutschdorf b. Striegau.<br />

65. Am 07.02. Frau Dr. Gwendolin Gregor, 22303<br />

Hamburg, Hanssensweg 16, früher Patschkau. � Am<br />

16.02. Herr Gerhard Hartmann, 38259 Salzgitter, Im Tale<br />

1, früher Kammerswaldau, Hirschberg. � Am 25.02. Herr<br />

Jürgen Waschek, 26123 Oldenburg, v. Lützowstr. 12, früher<br />

Bayreuth. �<br />

Impressum<br />

Herausgeber:<br />

Gemeinschaft evangelischer Schlesier (Hilfskomitee) e.V.<br />

D 32440 Porta Westfalica, PF 1410, Tel.: 0571-971 99 74,<br />

Bankverbindung: Stadtsparkasse Porta Westfalica<br />

BLZ: 490 519 90 Kto.-Nr.: 26 997<br />

E-mail: info@gesev.de<br />

Verantwortlich für den Inhalt:<br />

Mag. phil. et theol. Dietmar Neß<br />

Wittichenauer Straße 11a, D - 02999 Groß Särchen,<br />

Tel./Fax: 03 57 26 - 5 56 75<br />

E-mail: mag.ness@online.de.<br />

Andreas Neumann-Nochten<br />

Grüner Graben 3, D - 02826 Görlitz<br />

Tel.: 03581 - 878988<br />

E-mail: neumann-nochten@freenet.de<br />

Grafik/Satz/Layout: Andreas Neumann-Nochten<br />

Herausgegeben in Zusammenarbeit mit der<br />

Stiftung Evangelisches Schlesien und der<br />

Evangelischen Diözese Breslau/Wroclaw.<br />

Druck: MAXROI Graphics GmbH, Görlitz


AUSSTELLUNG<br />

Silber aus Schlesien 1871-1945<br />

Sonderausstellung vom<br />

27. März bis 3. Oktober 2010<br />

Eröffnung am Freitag, 26. März 2010, 18 Uhr<br />

Die Gründung des deutschen Kaiserreiches 1871 bewirkte<br />

einen wirtschaftlichen Aufschwung, von dem auch die<br />

Hersteller von Gold- und Silberwaren in Schlesien profitierten.<br />

Innerhalb weniger Jahre entstanden in allen schlesischen<br />

Städten zahlreiche neue Werkstätten, Fabriken und<br />

eine große Zahl von Geschäften, die bevorzugt einheimische<br />

Erzeugnisse anboten. Erfolgreich warben die Hersteller<br />

und Verkäufer für Bestecke, Einrichtungs- und Gebrauchsgegenstände<br />

oder Schmuckwaren. Selbstbewußt<br />

verwiesen sie darauf, sich mit der Konkurrenz in Berlin<br />

oder in Südwestdeutschland messen zu können.<br />

Es gelang den schlesischen Herstellern zwar nicht, bei<br />

der Entwicklung neuer Formen und Dekore gleichermaßen<br />

bahnbrechend zu wirken wie große international tätige<br />

Firmen, doch in der Qualität der handwerklich wie auch<br />

industriell gefertigten Edelmetallarbeiten standen sie ihnen<br />

nicht nach. Bisher konnte dies nur am Beispiel des bedeutenden<br />

und zugleich größten schlesischen Unternehmens,<br />

der Firma Julius Lemor in Breslau, aufgezeigt werden.<br />

Die Ausstellung „Silber aus Schlesien“ im Schlesischen<br />

Museum zu Görlitz bietet erstmals einen Überblick über<br />

das breite Schaffen der vielen anderen Hersteller. Die<br />

Präsentation ausgewählter Produkte ist dank zahlreicher<br />

Leihgaben aus privaten und öffentlichen Sammlungen in<br />

Deutschland und Polen möglich geworden.<br />

32<br />

Kaffee- und Teeservice,<br />

Leuchter, Pokale,<br />

Teller und Tabletts,<br />

Ehrenpreise und Erinnerungsstücke<br />

an die<br />

Militärzeit sind ebenso<br />

in ihrer Vielfalt und<br />

ihrem Glanz zu bewundern<br />

wie Kelche,<br />

Ziborien und Monstranzen<br />

oder die<br />

Vielzahl der Besteckformen<br />

und eine<br />

überraschende Fülle von Besteckteilen für spezielle<br />

Aufgaben am festlich gedeckten Tisch.<br />

Zur Ausstellung, die nur in Görlitz zu sehen ist, erscheint<br />

ein reich bebilderter Katalog mit einem Markenverzeichnis<br />

und Porträts der wichtigsten schlesischen Firmen.<br />

(Text/Fotos: SMG)<br />

Schlesisches Museum zu Görlitz<br />

Schönhof, Brüderstraße 8<br />

02826 Görlitz<br />

Tel. 03581 / 8791-0, www.schlesisches-museum.de<br />

Öffnungszeiten: Di-So 10-17 Uhr

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!