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Magazin WERTE 2014 - 1. Ausgabe

Magazin zu Restaurierung und Denkmalpflege

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MODERNE KLASSIKER<br />

Glückliche<br />

Besitzer<br />

Bei Stühlen mit dem Markennamen<br />

„Thonet“ handelt es sich entweder um<br />

Design klassiker oder aber um echte Raritäten<br />

aus der Anfangszeit der Möbelindustrie.<br />

Harald Sättler verhilft ihnen zu neuem Glanz.<br />

A<br />

usgebrochene Stuhlbeine, von Spax-Schrauben<br />

zersplittertes Holz, Holzwurmbefall, dicke Schichten von Ölfarbe,<br />

verschlissene Sitze, zerstörte Schellackpolituren, moderne Maschinenschrauben,<br />

ausgeleierte Holzverbindungen: Die Kunden von Harald<br />

Sättler setzen alle Hoffnungen in den gelernten Holzbildhauer, wenn<br />

es um ihren Thonet-Stuhl geht. Da gibt es Sammler, die ein seltenes<br />

Exemplar ergattert haben und alles daran setzen, ihm wieder zu einem<br />

würdigen Zustand zu verhelfen. Museen, die kostbare Einzelstücke<br />

behutsam und mit bewusst sichtbaren Neuteilen restaurieren lassen,<br />

ohne dass der Originalzustand oder die Patina zerstört werden darf.<br />

Und schließlich die Kunden, die mit einem Erbstück aus der Familie<br />

ankommen und den Stuhl als Gebrauchsstück für den Alltag nutzen<br />

möchten. Sie alle verbindet die Faszination, die von dem Namen<br />

Thonet ausgeht. Als „Original“ gilt alles, was aus einer der Thonet-<br />

Fabriken stammt und einen der vielen verschiedenen Brandstempel<br />

im Frästeller oder einen Papieraufkleber trägt.<br />

Schwingendes Design<br />

Manche Stühle produzierte Thonet über Jahrzehnte hinweg, andere<br />

gibt es heute noch zu kaufen. So sind die Stahlrohrsessel aus der<br />

Bauhaus-Zeit der 1930er Jahre von den Nachkriegsmodellen auf den<br />

ersten Blick kaum zu unterscheiden. Erst bei näherer Betrachtung<br />

fallen die unterschiedliche Sitzhöhen und Krümmungswinkel der Rohre<br />

auf. Harald Sättler stellt neben das Modell aus den 1930ern eines<br />

aus den 1950ern. Den Freischwinger hat er mit einem weiteren Stuhl<br />

und dazugehörigem Tisch von einem Autohändler erstanden. Sättler<br />

sieht die Ursache für die Abweichungen im Design in den Wirren des<br />

Krieges, der Zeichnungen und ganze Fabriken zerstörte.<br />

Rost im Rohr<br />

Ähnlich problematisch wie bei den hölzernen Geschwistern ist auch<br />

die Restaurierung der Stahlrohrmöbel von Thonet. An ihnen nagt oft<br />

innen der Rost und bedroht die Statik. Dagegen ist die Oberflächenbehandlung<br />

der Verchromung eine überwindbare Hürde. Wirklich<br />

problematisch findet Sättler bei den Stahlrohrmöbeln die mehrschichtverleimten<br />

Sitzflächen, deren oberste Furnierlage durch Verschleiß<br />

und Feuchtigkeit abplatzt. Hier ist restauratorisches geschick<br />

und das richtige Maß für die zu ergänzenden Bereiche gefragt. Die<br />

Sitzgruppe aus der Autowerkstatt teilt mit vielen anderen Thonet-Möbeln<br />

außer dem Verschleiß zwei weitere Schicksale: unsachgemäßer<br />

Austausch der Schrauben und eine moderne Lackierung. Naheliegender<br />

Weise weist sie Autolack und Maschinenschrauben auf, deren<br />

sechseckige Köpfe aus der Sitzfläche herausragen.<br />

Verständnisvolle Kunden<br />

Was bewegt jemanden dazu, für die Restaurierung oder den Kauf<br />

eines restaurierten Thonet-Armlehnsessels 700 bis 900 Euro auszugeben,<br />

wenn es das gleiche Modell für den selben Preis neu zu<br />

kaufen gibt? Harald Sättler unterscheidet drei Kategorien von Kunden:<br />

Museen, die auf eine größtmögliche Authentizität Wert legen und<br />

daher nur die zum Erhalt wirklich notwendigen Arbeiten durchführen<br />

lassen. Privatsammler, die zwischen musealen Ansprüchen und einem<br />

perfekten Erscheinungsbild schwanken. Und schließlich die größte<br />

Gruppe von Auftraggebern, die eine persönliche Verbindung zu dem<br />

Stuhl durch langen Gebrauch oder Erbschaft haben. Sie wollen ein<br />

dauerhaft funktionsfähiges Möbel und haben ihre Vorstellungen<br />

bezüglich Farbe und Oberflächengestaltung, die Restaurator Sättler<br />

behutsam in Richtung Werterhaltung lenken muss. Er baut Verständnis<br />

für den matten Glanz der hundertjährigen Patina auf. Er beschreibt<br />

die Besonderheit einer zehnschichtigen, von Hand aufgetragenen<br />

Schellackpolitur, die er mangels überlieferter Rezepturen selbst herstellt.<br />

Und wenn das fertige Möbel zur Abholung bereit steht, weist er<br />

den Besitzer darauf hin, dass ein trockenes Staubtuch zur Reinigung<br />

ausreicht. Starke Putzmittel lösen den aus natürlichen Rohstoffen<br />

hergestellten Lack an, machen ihn stumpf und das Möbel unansehnlich.<br />

Und damit wäre der neue Glanz schnell wieder dahin. IVAR A. Aune<br />

Schwachpunkt Holzverbindungen: Bei der Reparatur<br />

eingesetzte Keile ersetzen das zerstörte Material.<br />

Der Bauhausklassiker: rechts aus den 1930er Jahren mit zersplitterter<br />

Sitzfläche, links aus den 1950er Jahren mit falsch ersetzten Schrauben<br />

Harald Sättler restauriert in seiner Werkstatt auch sehr seltene<br />

Thonet-Stühle für Museen wie den Krankfahrstuhl im Vordergrund.<br />

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