Neue Szene Augsburg 2016-02
Das Stadtmagazin für Augsburg und Umgebung. Aktuelle Info und Veranstaltungskalender unter www.neue-szene.de
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cken den fragenden Blick des Sohnes. Tilmans erster<br />
Lehrer war Heiko Tuch, übrigens auf Empfehlung<br />
von Wolfgang Ritter, besser bekannt als „der<br />
Buddy vom Mohrenkönig“. „Der Heiko Tuch kam<br />
aus Dresden, ist noch vor der Wende über Ungarn<br />
abgehauen und ich war ja auch ein alter Ossi“, so<br />
Rainer. Mit Tuchs Projekt „Trommelkinder“ sammelt<br />
Tilman erste Live-Erfahrungen, bald auch an<br />
der Seite des vier Jahre jüngeren Bruders Jonas.<br />
Selbst die Pubertät konnte seiner Musikleidenschaft<br />
wenig anhaben. „Üben war schon eine Zeit<br />
lang scheiße und andere Eltern hätten mich vielleicht<br />
eher zum Fußball geschickt“, erzählt Tilman.<br />
Wobei sich Vater und Sohn einig sind, dass kein<br />
Druck ausgeübt wurde, was bei so einem Zuhause<br />
wohl auch gar nicht nötig war, gemeinsames<br />
Musizieren hat sich quasi von selbst ergeben. „Jonas<br />
und ich haben gesungen wie die Bekloppten<br />
daheim“, berichtet Tilman. Irgendwann sah sich<br />
die Familie sogar genötigt, „Singzeiten“ einzuführen.<br />
„Außerdem wurde das Trommeln am Esstisch<br />
verboten, die haben ja ständig rumgeklopft“, so<br />
Rainer. Noch dazu stand das Familienschlagzeug<br />
anfangs im Wohnzimmer, erst später haben die<br />
Brüder im Dachboden „rumgeballert, dass man es<br />
Kilometer weit gehört hat“ - heutzutage vermutlich<br />
ein Grund für handfeste Auseinandersetzungen<br />
mit den Nachbarn.<br />
Als Vierzehnjähriger begann Tilman in seiner ersten<br />
Band zu spielen, Tilly & The Wild Boys, zu den<br />
Proben mussten ihn seine Eltern nach Inningen<br />
fahren. Und auf die Auftritte natürlich. „Das war<br />
schon ein irres Rumgefahre, auch mit den Trommelkindern:<br />
Toskana, Elsass, Saarbrücken, Dresden,<br />
der VW-Bus bis unters Dach voll mit Schlagzeug<br />
und Kindern!“, erinnert sich Rainer.<br />
Was Gescheites? Musik!<br />
Am Anna-Gymnasium kam dann der Jazz ins Spiel.<br />
Bei den St. Anna Jazz Babies hat Tilman unter<br />
anderem seinen Freund und Musikerkollegen Jan<br />
Kiesewetter kennengelernt, außerdem den Bassisten<br />
Jonas Hermes. Da war’s nicht mehr weit zur<br />
eigenen Jazzcombo, die 2003 beim Einweihungsfest<br />
der Familie im neuen Haus in Stadtbergen<br />
ihre Live-Premiere feierte. „Wie’s halt immer so<br />
ist: ein Anlass, auf den man hinarbeitet und dann<br />
bleibt man dabei, weil’s ganz gut war“, resümiert<br />
Tilman lakonisch. Es dürfte etwas mehr als „ganz<br />
gut“ gewesen sein, zumindest, wenn man seinen<br />
Vater hört: „Ich war glücklich, dass er sich in die<br />
Richtung bewegt hat! Ich komme selbst vom Jazz,<br />
habe in Düsseldorf viel gespielt.“<br />
„Das werde ich bei meinen<br />
Kindern auch so machen.“<br />
Die Begeisterung setzte sich auch fort, als Tilman<br />
sein Musikstudium in Nürnberg begann. Bei beiden<br />
Söhnen haben die Eltern zwar auch zu dem<br />
berühmten Satz „Lernt erst was Gescheites!“ gegriffen,<br />
aber mit einer entscheidenden Prämisse:<br />
„Was Gescheites“ bedeutete für Ursula und Rainer<br />
Herpichböhm immer: Musik. „Wir waren uns einig.<br />
Wenn, dann sollen sie es jetzt machen, später<br />
geht’s nicht mehr. Und es hat sich gelohnt.“ Das<br />
hat es tatsächlich: Tilman spielt nach eigener Aussage<br />
an die 150 Gigs im Jahr, wurde mit seinem<br />
Quartett Jilman Zilman für den deutschen Jazzpreis<br />
nominiert und Zweiter beim Nachwuchswettbewerb<br />
des Jazzfestivals Burghausen 2013. Zuvor<br />
musste allerdings noch der interne Konkurrenzkampf<br />
geklärt werden: „Manchmal hat mich Jonas’<br />
Nacheifern schon gestört, aber er entschied<br />
sich dann bald für Latin Percussion und seitdem<br />
herrscht traute Zweisamkeit“, so Tilman lachend.<br />
Bei Jonas’ Projekt Ohropack saß er am Schlagzeug.<br />
So oft es geht besuchen die Eltern die Konzerte<br />
ihrer Söhne, auch seit Jonas zum Studium nach<br />
Mannheim gezogen ist. Tilman weiß die Unterstützung<br />
zu schätzen, die sich weniger in konkreten<br />
Tipps als vielmehr in Bestätigung, Toleranz und Ermutigung<br />
geäußert hat. Und nicht zuletzt in finanzieller<br />
Unterstützung, wie er unumwunden zugibt.<br />
„Im Musikstudium verschiedene Sachen ausprobieren<br />
zu können, ohne nebenher beim Burger King<br />
arbeiten zu müssen, ist ungemein hilfreich“, sagt<br />
er ernst. „Das werde ich bei meinen Kindern genauso<br />
machen.“ Tilman ist vor knapp zwei Jahren<br />
Vater einer Tochter geworden.<br />
Bleibt der <strong>Augsburg</strong>er Kunstförderpreis und seine<br />
veränderte Bedeutung in den Jahren 1978 und 2014.<br />
„Für mich war die Verleihung im Hotel Drei Mohren<br />
- der Goldene Saal war noch nicht renoviert<br />
- schon eine tolle Bestätigung, zumal wir damals<br />
noch nicht professionell unterwegs waren“, erzählt<br />
Rainer. Für Tilman und seine Kollegen gehört<br />
das Bewerben, und insofern auch die Ablehnung,<br />
zum Alltag als Berufsmusiker. „So ein Preis macht<br />
sich gut in der Vita und im Geldbeutel. Wenn ich<br />
aber Kooperationspartnern suche, sind mir musikalische<br />
Erfahrungen wichtiger als Preise.“<br />
<strong>Neue</strong> musikalische Erfahrungen sammelt unterdessen<br />
auch sein Vater, der mittlerweile das Aufnehmen<br />
mit dem Macbook entdeckt hat. „Ich hatte ein<br />
paar Texte von Wolfram von Eschenbach, zu denen<br />
es keine Melodien gibt. Die habe ich mir ausgedacht<br />
und gleich aufgenommen, ohne sie erst zu<br />
notieren, das ist schon praktisch.“ Dass zwischen<br />
der Entstehung der Gedichte und ihrer Vertonung<br />
rund 800 Jahre liegen, scheint weder Rainer noch<br />
seinen Sohn größer zu faszinieren, die beiden sind<br />
längst beim nächsten Thema angelangt. Denn eine<br />
Sache fehlt noch: Gemeinsam musiziert haben sie<br />
abseits privater Anlässe mit „familiärem Geschrubbe“,<br />
wie Tilman es nennt, noch nie.<br />
„Wird bestimmt mal passieren“, meint Rainer.<br />
„Laute im Jazz?“, schlägt Tilman vor.<br />
„Gab’s in den Achtzigern schon. Mit der Oud vielleicht?“<br />
„Dann wird’s halt gleich wieder so arabesk.“<br />
„Aber die Oud ist auch eine Laute.“<br />
Wie auch immer diese Diskussion ausgehen mag,<br />
auf das Ergebnis dürfen sich die <strong>Augsburg</strong>er Musikfans<br />
jetzt schon freuen.<br />
(flo)<br />
Fotos: Christian Menkel