Neue Szene Augsburg 2016-02
Das Stadtmagazin für Augsburg und Umgebung. Aktuelle Info und Veranstaltungskalender unter www.neue-szene.de
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74 Augsbürger<br />
gsbürger<br />
Rockpapst und Lebenskünstler »Simi« Symolka<br />
In der Serie »Augsbürger« stellt der Fotograf Fabian Schreyer Menschen<br />
aus unserer Stadt vor, die viele vom Sehen kennen, deren Namen aber<br />
meistens ebenso unbekannt bleiben wie ihre Geschichte.<br />
Es sind vielleicht hundert Meter von unserem Treffpunkt bis zu seiner<br />
Haustüre. Michael G. Symolka atmet wie ein Blasebalg tief ein und aus,<br />
während sich immer mehr feuchte Flocken unter seine schneeweißen<br />
Haare mischen. Vier Jahrzehnte Raucherleben fordern ihren Tribut. Die<br />
Hybris der Unsterblichkeit ist seit dem Ausbruch einer schweren chronischen<br />
Lungenerkrankung gewichen.<br />
»Aussteigen, Umsteigen, Einsteigen« beschreibt treffend das langjährige<br />
Verhaltensmuster des rastlosen Berufwechslers: Musikkritiker,<br />
Radiomoderator, Redakteur, DJ, freier Journalist, Literatur- und Stadtmagazingründer,<br />
TV-Musikexperte,<br />
Medienreferent,<br />
Regisseur, Synchronsprecher,<br />
Lyriker, Fachpädagoge,<br />
Dozent. Was sich wie das<br />
Studienangebot einer Hochschule<br />
für Medien liest, ist<br />
nur ein unvollständiger Auszug<br />
aus dem Arbeitsleben<br />
des Musikliebhabers, der im<br />
letzten halben Jahrhundert<br />
vom Aushilfs-DJ an der Seite<br />
des Ex-Kneipiers und Sportreporters<br />
»Waldi« Hartmann<br />
zum Verfasser des Hippie-<br />
Lexikons und <strong>Augsburg</strong>er<br />
»Rockpapst« reifte.<br />
Durch eine Aneinanderreihung<br />
von Schicksalsschlägen<br />
wurde der Lebenskünstler<br />
Symolka zuletzt zum Überlebenskünstler:<br />
Tod der Mutter,<br />
Verlust der Arbeitsstelle<br />
in einer Fachklinik für Suchterkrankungen,<br />
Zwangsräumung<br />
seiner Bleibe in Friedberg,<br />
Zwangsversteigerung<br />
der eigenen Habseligkeiten,<br />
Sozialhilfe, Depression: »Ich<br />
hatte zeitweilig nur eine<br />
Hose am Arsch und habe mich monatelang von Wurstsemmeln und Keksen<br />
ernährt.«<br />
Momentan wohnt der 64-Jährige in einer Zweier-WG auf Zeit. Nach wie<br />
vor sind die Lebensumstände des Kunstförderpreisträgers prekär. »Simi«<br />
sitzt inmitten seines Provisoriums und sucht nach Struktur. Um ihn herum<br />
stapeln sich Umzugskartons, Schallplatten, verblichene Fotos, Konzertkarten<br />
und Mutters kleiner grüner Koffer – gefüllt mit Mahnungen.<br />
»Ich trinke nicht, nehme keinerlei Drogen und rauche nicht mehr. Ich<br />
bin vielleicht einfach etwas lebensdoof und beruflich falle ich inzwischen<br />
in die Kategorie ’zu alt,<br />
zu teuer, nicht mehr formbar’!«<br />
Der online wie offline<br />
gut vernetzte Van-Morrison-<br />
Fan (zeitweilig über 480<br />
Tonträger) wirkt nicht wie<br />
ein Jammerlappen, eher wie<br />
ein selbstkritischer Analyst<br />
seiner derzeit bescheidenen<br />
Lebenslage. Scharfsinnig,<br />
humorvoll und mit Bereitschaft<br />
zur Selbstreflexion.<br />
Ein selbsternannter Idealist,<br />
Heimatsuchender, Kindskopf,<br />
Gerechtigkeitsfanatiker und<br />
»Anecker«, dessen bisweilen<br />
provokante politische<br />
Ansichten über narzisstische<br />
Tendenzen hinaus das echte<br />
Bedürfnis nach einer Auseinandersetzung<br />
mit dem Zustand<br />
der Gesellschaft durchblicken<br />
lassen. Inspiration für<br />
das eigene Schicksal liefert<br />
bisweilen auch die Fiktion,<br />
aktuell in Form der US-Serie<br />
»Lost«. Wie es der Zufall will,<br />
auch hier thematisch im Fokus:<br />
Überlebenskampf.