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gangart 6

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LOTRECHT<br />

GEDANKEN<br />

VERLOREN<br />

Die Gang-Art des Hans Wallinger<br />

Was auf den ersten Blick wie eine verschrobene Suchanzeige<br />

anmutet, entpuppt sich auf den zweiten Blick als präzises<br />

Lebensmotto. Von einem, der auszog, das Loslassen zu lernen.<br />

Ein Beitrag von Wolfgang Tonninger<br />

Was mich antreibt?<br />

Meine unbändige<br />

Neugier, in unbekanntes<br />

Gelände<br />

aufzubrechen.<br />

Hans Wallinger<br />

Was war das für ein Sommer letztes Jahr? So<br />

reich an schönen Tagen. Ein Sommer zum Füßehochlagern?<br />

Mitnichten. Für den Wallinger<br />

Hans war es ein unruhiger Sommer. Ein Hochkogelsommer<br />

par excellence. So viele Linien<br />

und so viele Versprechen. Überall der Gesang<br />

der Sirenen. Auch oben in der Hochkogelwestwand.<br />

Unüberhörbar. Da musste was gehen.<br />

Etwas Besonderes! Und wirklich: Da war sie.<br />

Plötzlich ganz klar vor seinem geistigen Auge.<br />

Eine kühne, eine letzte große, frei stehende<br />

Linie. Halb entdeckt, halb erfunden. Demütig<br />

und verbissen herausgelesen und hineinprojiziert<br />

in das Gestein.<br />

Ende Juli ist sie befreit. Die „Gang-Art“ – eine<br />

Hommage an unser Zeitungsprojekt, aber<br />

auch ein Innehalten und ein Rückblick auf ein<br />

besonderes Kletterleben. 20 Seillängen alpine<br />

Sportkletterei – mit längeren Abschnitte im<br />

achten Grad, der – so betont der Erstbegeher –<br />

mehr oder weniger zwingend zu klettern ist.<br />

„Wo Hans Wallinger draufsteht, ist kein Hinaufschummeln<br />

drinnen?“, frage ich nach. Der<br />

Hans grinst – stolz und bescheiden zugleich.<br />

es geht weiter – an Handseilen entlang und über steiles Waldgelände.<br />

Gute zwei Stunden Zustieg „zum Aufwärmen“, wie Hans<br />

meint, bis man dann direkt darunter steht. Unter diesem mächtigen<br />

Schild der Hochkogelwestwand, an der das Tennengebirge<br />

mit einem Schlag zu Ende ist und gut 1.000 Meter lotrecht<br />

abbricht, hinunter Richtung Salzachöfen.<br />

Eine Wand und ihre Geschichten<br />

Groß ist sie, die Wand. Und mächtig. Und für den Hans ist<br />

sie aufgeladen wie kaum eine andere. Ist sie doch Teil einer<br />

Geschichte, die dreißig Jahre zurückreicht – in eine Zeit, als er<br />

der „Lehrbua“ war vom großen Albert Precht, dem verrückten<br />

Hausherren vom Hochkönig. Und es scheint im Rückblick alles<br />

andere als ein Zufall, dass dieser „Lehrbua“ sein Gesellenstück<br />

just an dieser Hochkogelwestwand ablieferte; einer Wand, die<br />

so gar nicht im alpinen Rampenlicht stand. Abwegig damals<br />

genauso wie heute. Es war ein Sommertag im Jahr 1984, als<br />

dem jungen Hans Wallinger, ausgerüstet mit einem kurzen<br />

Seilstück für das Allerhaarigste in einer Route, die kaum eine<br />

Handvoll Haken aufwies, wo man dieses gebrauchen hätte<br />

können, die dritte Wiederholung der berüchtigten Precht-Linie<br />

„Schwarze Wand“ gelang. Allein und überdimensional ausgeliefert.<br />

Im Solo-Stil. Mehr oder weniger unbemerkt von der<br />

Öffentlichkeit. Und ehrfürchtig zur Kenntnis genommen von<br />

den eingeweihten Zeitgenossen.<br />

Die Gang-Art, das ist eine richtige Bergfahrt,<br />

die schon wenige Schritte nach dem Parkplatz<br />

in der Schottergrube beginnt – mit einem<br />

senkrechten Klettersteig, der sich am Rand<br />

einer Wasserfallschlucht emporschwingt. Und<br />

Und dann kam er wieder. 20 Jahre und knapp 100 Erstbegehungen<br />

später. Zufällig. Die Erinnerung ist wie ein Hund, der<br />

sich hinlegt, wo er will: „Ich wollte eigentlich eine Linie sanieren,<br />

aber dann fing mein Blick an zu schweifen. Und ich sah das<br />

enorme Potenzial dieser Wandflucht. Dieses Geschenk, das ich<br />

6 <strong>gangart</strong>

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