Europa rebelliert - Alte und neue Zeiten
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6 | P O L I T I K<br />
EKD: Schneider ruft zu<br />
Gebeten für Soldaten auf<br />
KÖLN. Zur Solidarität mit den<br />
r<strong>und</strong> 7.000 deutschen Soldaten in<br />
Auslandseinsätzen hat der Ratsvorsitzende<br />
der Evangelischen Kirche<br />
in Deutschland, Präses Nikolaus<br />
Schneider, aufgerufen. „Es ist wichtig,<br />
daß die Menschen, die unser<br />
Land in einen solchen Einsatz<br />
schickt, nicht allein gelassen werden“,<br />
sagte Schneider am Sonntag<br />
in einem Gottesdienst in der<br />
Abfl ughalle des Militärfl ughafens<br />
in Köln-Wahn. Von hier aus brechen<br />
B<strong>und</strong>eswehrangehörige nach<br />
Afghanistan auf. An dem Gottesdienst<br />
wirkte auch B<strong>und</strong>esverteidigungsminister<br />
Th omas de Maizière<br />
(CDU) mit, der einen Bibeltext<br />
vortrug. Wie Schneider weiter sagte,<br />
seien Kirche <strong>und</strong> Bürger gefragt,<br />
den Soldaten zur Seite zu stehen,<br />
die mit belastenden Erfahrungen<br />
aus den Kriegs- <strong>und</strong> Krisengebieten<br />
zurückkehrten. „Es sind Menschen<br />
aus unseren Gemeinden. Sie<br />
gehören zu uns, in unsere Mitte.<br />
Es ist richtig <strong>und</strong> wichtig, für sie<br />
zu beten, ihnen Seelsorger an die<br />
Seite zu stellen, die sie begleiten.“<br />
Dies bedeute nicht, „daß wir den<br />
Afghanistan-Einsatz in allen seinen<br />
Punkten gutheißen oder ihm<br />
damit gar eine Art kirchlichen<br />
Segen geben“. Der Ratsvorsitzende<br />
plädierte dafür, die Frage von<br />
Militäreinsätzen „ernsthaft <strong>und</strong><br />
ausführlich“ zu diskutieren. Zugleich<br />
gab er zu bedenken, daß es<br />
Situationen gibt, „in denen wir<br />
nicht ohne Schuld bleiben können<br />
– was immer wir tun oder unterlassen“.<br />
Schneider erinnerte an<br />
die Mahnung Jesu Christi: „Wer<br />
zum Schwert greift, wird durch<br />
das Schwert umkommen.“ Deshalb<br />
könne der Griff zum Schwert<br />
„immer nur eine letzte <strong>und</strong> schuldhafte<br />
Option“ sein. (idea)<br />
Auflösung der Woche<br />
Immer<br />
mit der Ruhe<br />
Von Marcus Schmidt<br />
n den Räumen<br />
Ider katholischen<br />
Friedensorganisation<br />
pax christi am<br />
Berliner Gendarmenmarkt stieg<br />
am vergangenen Wochenende eine<br />
große Feier. Die 1957 gegründete<br />
„Zentralstelle für Recht <strong>und</strong> Schutz<br />
der Kriegsdienstverweigerer“<br />
(KDV) hatte dazu eingeladen, das<br />
Ende der Wehrpfl icht in Deutschland<br />
kräftig zu feiern. Schon Tage<br />
vor der Veranstaltung waren alle<br />
Plätze ausgebucht. Einen Wermutstropfen<br />
gab es allerdings: Auf<br />
der Tagesordnung der KDV-Mitgliederversammlung<br />
stand auch<br />
die Abstimmung über die eigene<br />
Aufl ösung. Doch ganz so eilig wie<br />
die B<strong>und</strong>esregierung mit der Aussetzung<br />
der Wehrpfl icht, hat man<br />
es bei der KDV mit der eigenen<br />
Abschaff ung nicht. Das Ende der<br />
Zentralstelle, so wurde mit 23 zu<br />
drei Stimmen beschlossen, soll erst<br />
am 31. Dezember 2014 in Kraft<br />
treten. Sicher ist sicher.<br />
JÖRG FISCHER<br />
m Sommer ’61, am 13. August, da<br />
Ischlossen wir die Grenzen, <strong>und</strong> keiner<br />
hat’s gewußt. Klappe zu, Aff e tot,<br />
endlich lacht das Morgenrot“, reimte<br />
der Brecht-Schüler Heinz Kahlau vor<br />
fünf Jahrzehnten. Das bedeutete: 17<br />
Millionen Deutsche waren eingemauert.<br />
Am 24. Januar 1962 folgte der zweite<br />
Schicksalsschlag: Das Gesetz über die<br />
allgemeine Wehrpfl icht trat in Kraft.<br />
Insgesamt 2,5 Millionen junge Deutsche<br />
mußten schwören, „der Deutschen<br />
Demokratischen Republik, meinem Vaterland,<br />
allzeit treu zu dienen <strong>und</strong> sie auf<br />
Befehl der Arbeiter-<strong>und</strong>-Bauern-Regierung<br />
gegen jeden Feind zu schützen“<br />
sowie „an der Seite der Sowjetarmee <strong>und</strong><br />
der Armeen der mit uns verbündeten<br />
sozialistischen Länder als Soldat der Nationalen<br />
Volksarmee jederzeit bereit zu<br />
sein, den Sozialismus gegen alle Feinde<br />
zu verteidigen <strong>und</strong> mein Leben zur Erringung<br />
des Sieges einzusetzen“.<br />
Daß der Marionettenstaat kein Vaterland,<br />
die Regierung eine SED-Diktatur<br />
<strong>und</strong> der Sozialismus ein von der Besatzungsmacht<br />
aufgezwungenes Unterdrükkungssystem<br />
war, für das kein Deutscher<br />
sterben wollte, interessierte nicht – Verweigerung<br />
bedeutete Zuchthaus. Die<br />
Frage Wehr- oder Zivildienst stellte sich<br />
Ein kleines Rad im Getriebe<br />
Wehrdienst: Glück im Unglück – 543 Tage im Dienst der Nationalen Volksarmee der DDR / JF-Serie, Teil 5<br />
nicht. Auch die mit vielerlei Schikanen<br />
versehene <strong>Alte</strong>rnative „Bausoldat“ bedeutete<br />
18 Monate Militärdienst – nur<br />
ohne Kalaschnikow. Eine Flucht in den<br />
Westen war Anfang der achtziger Jahre<br />
nur etwas für Lebensmüde. Selbst ein<br />
Ausreiseantrag bewahrte nicht vor der<br />
Einberufung, brachte aber die ganze<br />
Familie in existentielle Schwierigkeiten.<br />
Und so wurde ich „ein kleines Rad<br />
im Getriebe der Diktatur“, wie kürzlich<br />
auch der B<strong>und</strong>esbeauftragte für die Stasi-Unterlagen,<br />
Roland Jahn, im Spiegel<br />
einräumte. So schlossen sich 1983 wie<br />
1963 für meinen Vater auch für mich<br />
die Kasernentore – Klappe zu, Aff e tot.<br />
543 Tage mußte ich als Soldat aus Th üringen<br />
in einer Kaserne in Brandenburg<br />
dienen. Was einen dort erwartete, hat<br />
keinen NVA-Rekruten überrascht. Seit<br />
Ende der siebziger Jahre war der Wehrk<strong>und</strong>eunterricht<br />
an den DDR-Schulen<br />
obligatorisch. Mit 16 folgte die vormilitärische<br />
Ausbildung im Rahmen der Gesellschaft<br />
für Sport <strong>und</strong> Technik (GST)<br />
– Marschieren, Sturmbahn, Schießen,<br />
Handgranatenwurf. Das verschärfte<br />
Wehrdienstgesetz von 1982 lieferte die<br />
juristische Gr<strong>und</strong>lage nach.<br />
Doch ich hatte viel Glück im Unglück.<br />
Ich kam nicht zu den Grenztruppen,<br />
die auf DDR-Flüchtlinge schießen<br />
sollten, sondern ich wurde einer<br />
Instandsetzungskompanie zugeteilt.<br />
HINRICH ROHBOHM<br />
V<br />
ieles deutet darauf hin, daß Angela<br />
Merkels Vater tief in den<br />
SED-Staat verstrickt gewesen<br />
war. Doch wieviel von der väterlichen<br />
Gesinnung färbte ab auf die Tochter?<br />
Merkel wird in ihrer Schulzeit freiwillig<br />
Mitglied der Pionierorganisation Ernst<br />
Th älmann. Später geht sie in die FDJ,<br />
übt auch Funktionen aus, wie sich Mitschüler<br />
erinnern.<br />
Nach dem Abitur entscheidet sich<br />
Angela Kasner ab 1973 für ein Physik-<br />
Studium an der Karl-Marx-Universität<br />
Leipzig. Eine Hochschule, die als deutlich<br />
SED-konformer gilt als andere. Die<br />
das Image einer „roten Universität“ innehat.<br />
Wer hier in den siebziger Jahren<br />
studiert, ist zumeist SED-Mitglied oder<br />
in der FDJ aktiv. Stasi-Mitarbeiter waren<br />
an der Hochschule in besonders hohem<br />
Maße präsent, ideologische Indoktrinationen<br />
stark ausgeprägt. Unter anderem<br />
befand sich hier das „Rote Kloster“, wie<br />
die Sektion Journalistik, einzige universitäre<br />
Ausbildungsstätte für Journalisten<br />
in der DDR, genannt wurde.<br />
„Die Bewerber müssen durch ihre<br />
bisherigen Leistungen dokumentieren,<br />
daß sie fähig <strong>und</strong> bereit sind, sich für<br />
unsere sozialistische Gesellschaftsordnung<br />
einzusetzen. Sie sollen sich durch<br />
sozialistisches Bewußtsein, gesellschaftliche<br />
Aktivität, untadeliges Verhalten,<br />
gute Allgemeinbildung <strong>und</strong> gefestigtes<br />
Urinsteinentfernen mit der Rasierklinge<br />
oder als „Sprutz“ (Soldat des ersten<br />
Diensthalbjahres) den „EKs“ (Entlassungskandidaten)<br />
zu Diensten zu sein,<br />
waren noch die leichteren Übungen,<br />
für manche waren die Schikanen der<br />
„Kameraden“ allerdings schlimmer als<br />
die militärische Ausbildung.<br />
Die DDR-Mangelwirtschaft<br />
in Verbindung mit unbedingtem<br />
Gehorsam brachte mich<br />
schließlich ins Krankenbett:<br />
Da ich zum Sport zu<br />
enge Schuhe tragen mußte,<br />
entzündeten sich durch die<br />
Schlacke der Aschenbahn<br />
meine aufgescheuerten Füße<br />
so stark, daß ich bange Wochen<br />
im „Med.-Punkt“ verbrachte. Doch<br />
die solide Ausbildung der NVA-Ärzte<br />
rettete meine Beine. Später wurde ich<br />
dann als Hilfsbibliothekar <strong>und</strong> Betreuer<br />
der Schulungsräume abkommandiert.<br />
Über das schlechte Essen trösteten die<br />
heißersehnten Pakete der Eltern hinweg.<br />
Neben Abkommandierungen zur<br />
Feuerwache oder auf den Schießplatz<br />
gab es schon 1984 auch solche, die den<br />
ökonomischen Niedergang der DDR<br />
off enbarten: Ganze Mot.-Schützen-<br />
Kompanien wurden monatelang zum<br />
Hilfseinsatz in die Wirtschaft befohlen,<br />
etwa in die Chemiefabrik Premnitz.<br />
Gleichzeitig wurde aber (um im Kalten<br />
„Gefühlvolle Sprache“<br />
Porträt: Um Merkels Aufenthalte in der Sowjetunion ranken sich zahlreiche Gerüchte<br />
politisches Wissen auszeichnen“, heißt<br />
es im Anforderungsprofi l für Studienbewerber<br />
der Universität Leipzig des<br />
Jahrgangs 1972/73.<br />
Auf die Vermittlung der kommunistischen<br />
Ideologie wurde besonderen Wert<br />
gelegt, wenngleich dies im Fach Physik<br />
weniger der Fall war als in den gesellschaftswissenschaftlichen<br />
Disziplinen.<br />
Die spätere Kanzlerin übernimmt auch<br />
hier FDJ-Funktionen. Als Kulturreferentin<br />
habe sie sich um die Bestellung<br />
von Theaterkarten gekümmert, sagt<br />
Merkel über ihre damalige Tätigkeit.<br />
Sie soll Studenten „auf Linie gebracht“<br />
haben, erinnern sich hingegen Kommilitonen.<br />
Aufschlußreich könnten auch<br />
die parallel zu ihrem Physik-Studium<br />
obligatorischen Arbeiten zum Marxismus-Leninismus<br />
sein. Doch sämtliche<br />
diesbezügliche Werke der Kanzlerin sind<br />
verschw<strong>und</strong>en. Rätsel geben zudem ihre<br />
Aufenthalte in der Sowjetunion auf. Die<br />
Kanzlerin soll angeblich auch in Moskau<br />
studiert haben, erinnert sich eine ehemalige<br />
Mitstudentin. Die B<strong>und</strong>esregierung,<br />
Merkels Biographen sowie mehrere deutsche<br />
Medien hatten dies jedoch verneint,<br />
nachdem der einstige Linksparteichef<br />
Oskar Lafontaine vor zwei Jahren in der<br />
Krieg „ständige Gefechtsbereitschaft“<br />
vorzugaukeln) fast ein ganzes Bataillon<br />
aus Reservisten gebildet, die für jeweils<br />
drei Monate erneut einrücken mußten.<br />
Ein sagenumwobener Einsatz war der<br />
beim Aufbau des Häuserkampfobjekts<br />
Eine Zeitung schreibt Geschichte.<br />
Von der Studenten- zur Wochenzeitung:<br />
Anläßlich ihres Gründungsjubiläums erscheint die JUNGE FREIHEIT<br />
in der kommenden Woche mit einer umfangreichen Sonderbeilage.<br />
Aus dem Inhalt:<br />
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FOTO: PICTURE ALLIANCE / DPA<br />
Rußlands Präsident Medwedew <strong>und</strong> B<strong>und</strong>eskanzlerin Merkel<br />
2010 in Moskau: Siegesparade auf dem Roten Platz<br />
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Angela Merkel<br />
Porträt einer<br />
Machtpolitikerin (3)<br />
FOTO: BUNDESARCHIV<br />
Versetzung von NVA-<br />
Wehrpfl ichtigen in die Reserve<br />
(1983): Hilfseinsatz in der<br />
maroden DDR-Wirtschaft<br />
JUNGE FREIHEIT<br />
Nr. 21/11 | 20. Mai 2011<br />
ARD-Fernsehsendung „Anne Will“ das<br />
ebenfalls behauptet hatte. Unstrittig ist,<br />
daß Angela Kasner sich 1974 während<br />
eines Studienaustausches in Moskau <strong>und</strong><br />
Leningrad aufgehalten hatte.<br />
Ein weiterer Aufenthalt reicht über<br />
mehrere Monate. Laut eigener Darstellung<br />
trampte sie einst per Rucksack<br />
quer durch die Sowjetunion, bereiste<br />
unter anderem Georgien, Armenien <strong>und</strong><br />
Aserbaidschan. Die damals für Reisende<br />
innerhalb der UdSSR herrschenden<br />
Beschränkungen dürften demnach für<br />
Merkel nicht bestanden haben. Als<br />
15jährige war sie aufgr<strong>und</strong> ihrer exzellenten<br />
Russisch-Kenntnisse erstmalig<br />
in Moskau, um an der internationalen<br />
Russisch-Olympiade teilzunehmen.<br />
Heute unterhält sie sich bei Staatsbesuchen<br />
mit Präsident Dmitri Medwedew<br />
<strong>und</strong> Premier Vladimir Putin<br />
in der Sprache, die sie einmal als „so<br />
gefühlvoll“ bezeichnet hatte. Auch im<br />
vergangenen Jahr weilte sie in Moskau,<br />
nahm mit Medwedew <strong>und</strong> Putin an<br />
der Siegesparade der Roten Armee über<br />
Deutschland teil. Zu einem Zeitpunkt,<br />
als aufgr<strong>und</strong> der Währungskrise in der<br />
EU ihre Anwesenheit in Brüssel wegen<br />
der Erkrankung des B<strong>und</strong>esfi nanzministers<br />
vonnöten gewesen wäre.<br />
Lesen Sie in der<br />
kommenden Ausgabe:<br />
Merkels Rolle an der Akademie der<br />
Wissenschaften der DDR<br />
Mein<br />
Wehrdienst<br />
Name: Jörg Fischer<br />
Dienstzeit: 11/83-4/85<br />
Dienstgrad: Gefreiter<br />
Einheit: Mot-Schützenreg. 3<br />
Garnison: Brandenburg/Havel<br />
Lehnin: Hier sollte die Eroberung West-<br />
Berlins wirklichkeitsnah trainiert werden.<br />
Ob im „E-Fall“ wirklich Deutsche<br />
auf Deutsche geschossen hätten? Der<br />
Mauerfall 1989 hat die Antwort obsolet<br />
gemacht.