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De:Bug 164

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Text Christian Blumberg — bild Caitlin Cronenberg<br />

Eric Pecker braucht einen neuen Haarschnitt. Nun ist<br />

Eric Pecker nicht irgendjemand, sondern ein milliardenschwerer,<br />

vielleicht 28-jähriger Finanztyp. In seinem Büro<br />

hat er zwei Fahrstühle, für jede Stimmung einen (im ersten<br />

läuft Islamic Rap, im zweiten Erik Satie auf halber<br />

Geschwindigkeit). Vor allem aber verfügt Pecker über eine<br />

voll verpanzerte Stretchlimo, in der er seine Geschäfte abwickelt.<br />

Kurz: Er ist ein unermesslich reicher und wichtiger<br />

Mann. Und weil der Friseur dieses Mannes sein Handwerk<br />

am anderen Ende von New York verrichtet, muss Pattinson/<br />

Pecker in Cosmopolis einmal quer durch die Stadt. Dabei<br />

hatte man ihm von dieser Fahrt dringend abgeraten, denn<br />

NYCs Infrastruktur liegt an diesem Tag lahm: Schuld ist<br />

eine Art eskalierende "Occupy Wallstreet"-<strong>De</strong>mo, ein<br />

Beerdigungszug für den verehrten Sufi-Rapper und die<br />

Kolonne des US-Präsidenten, der auch gerade irgendwo<br />

hin muss. Vor allem jedoch trachtet jemand Pecker nach<br />

dem Leben, wie ihn sein mit sprachgesteuerter IT-Wumme<br />

bewaffneter Personenschützer wissen lässt. Pecker aber<br />

braucht einen Haarschnitt, also fährt er trotzdem.<br />

<strong>De</strong>r Untergeher<br />

Konzentriert zeigt Cosmopolis, wie die überlange Limousine<br />

im Schritttempo durch die 47. Straße gleitet. Auf der Fahrt<br />

wird Pecker nicht nur seine Kleidung, sondern aufgrund einer<br />

(gezielten?) Fehlspekulation auch sein Vermögen verlieren.<br />

Natürlich ist das von Anfang an sein Plan: Er will diesen<br />

Kontrollverlust. <strong>De</strong>r Film protokolliert präzise und kontinuierlich<br />

Peckers vorsätzliche Untergangs-Fahrt. Pecker<br />

steigt lediglich aus dem Wagen, um mit seiner (natürlich)<br />

bildschönen, ebenfalls überaus vermögenden Ehefrau zu<br />

besprechen, ob und wann man Sex haben wird. Doch der<br />

Großteil des Films spielt sich im Wagen ab: ein hermetischer<br />

Raum, ein Sarg, eine Vorstellung, ein einziger Pecker-<br />

Kosmos.<br />

Hier entwickelt sich nun eine formal äußerst reizvolle<br />

Choreographie zusteigender Personen und Begegnungen.<br />

Als eine der ersten steigt Juliette Binoche ein: Sie ist eine von<br />

Peckers Geliebten und überdies ausgewiesene Kennerin des<br />

Kunstmarktes (Pecker will die "Rothko Chapel" kaufen, auch<br />

so ein hermetischer Körper). Später der Leibarzt, der eine<br />

ausführliche Rektaluntersuchung durchführt und Pecker<br />

eine asymmetrische Prostata attestiert. <strong>De</strong>sweiteren kommen<br />

und gehen: Mitarbeiter, Berater und vor allem: weitere<br />

Geliebte. Ja, es ist wieder viel Körper in diesem Cronenberg.<br />

Doch die somatischen Erfahrungen, die Cronenbergs frühere<br />

Protagonisten erleben und erleiden mussten, bleiben für<br />

Pecker ein unerfüllter Wunsch. Da kann er ficken und sich<br />

durch die Hand schießen so oft er will: Er spürt nicht viel.<br />

Natürlich kennt man diese leeren Business- bzw. Yuppie-<br />

Talent ist am<br />

erotischsten,<br />

wenn es<br />

vergeudet wird.<br />

Die somatischen Erfahrungen, die Cronenbergs frühere<br />

Protagonisten erleiden mussten, bleiben für Pecker ein unerfüllter<br />

Wunsch. Da kann er ficken und sich durch die Hand schießen<br />

so oft er will: Er spürt nicht viel.<br />

Figuren aus der amerikanischen Literatur seit Bret Easton<br />

Ellis. Tatsächlich wirken Cosmopolis und Pecker denn<br />

auch wie eine späte Appendix zu den Milleniums-Jahren<br />

im Allgemeinen und zur New Economy im Speziellen:<br />

2012 platzen ja nicht nur die Blasen wieder besonders<br />

laut. Vielleicht hat Cronenberg deswegen jenen überholt<br />

geglaubten literarischen Typus (mitsamt seinem Hang zu<br />

offensiv allegorischen Handlungen) wieder ausgegraben,<br />

ihn gar noch radikalisiert. Dieses Update mag kein sonderlich<br />

origineller Zug sein. Zumindest ist es aber der Versuch,<br />

ein Statement zum aktuellen Zeitgeschehen abzugeben.<br />

<strong>De</strong>nn genau das will Cronenberg, davon zeugt etwa die<br />

hier verwurstete Tortenattacke auf Rupert Murdoch. Davon<br />

zeugt überhaupt diese ganze Gegenwart, die im Film hinter<br />

Heck- und Seitenscheiben der Limo oft und plakativ gezeigt<br />

wird. Und sicher, das wirkt etwas gewollt und durchsichtig.<br />

Aber geht deswegen gleich der ganze Film baden? Nö.<br />

<strong>De</strong>r Sinn der Leere<br />

Also zurück zu Pecker: Alles was er hat (Macht, Geld,<br />

Kontrolle, Ehefrau) kann er nicht anfassen. Berühren kann er<br />

lediglich die unzähligen Touchscreens in der Limousine, auf<br />

denen er sein virtuelles Kapital herumschiebt. War Technik<br />

in Cronenbergs früheren Filmen oft ein Interface zum Körper<br />

(die Bodyplugs in "eXistenZ", der Telepod in "The Fly", die<br />

VHS-verschlingende Bauch-Vagina in "Videodrome"), so<br />

ist Technik in Cosmopolis nur noch eine (manchmal prophetische)<br />

Vermittlerin abstrakt gewordener Dinge. Dinge,<br />

die ihre Bedeutung endgültig verloren haben: Liebe, Politik,<br />

Kapital. Und wo nichts mehr ist, da ist auch die Rede darüber<br />

bloß noch Geschwätz. Geschwätzt wird – auch so ein<br />

Kino-Phänomen der 90er Jahre – in diesem Film unablässig:<br />

floskelhaft, aneinander vorbei und bisweilen hohl. Die<br />

Ausnahme bildet Samantha Morton, die in der Rolle von<br />

Peckers Cheftheoretikerin (sic!) auftritt. Während draußen<br />

ein antikapitalistischer Mob am Wagen rüttelt, erklärt sie<br />

Pecker das Weltgeschehen und bringt so etwas wie Sinn in<br />

die Leere der Limousine. Sinn, der in diesem Film fast störend<br />

wirkt: Das Geld hätte seine narrativen Qualitäten verloren,<br />

doziert Morton, so wie schon früher die Bilder ihre narrativen<br />

Eigenschaften verloren hatten. Auf den New Yorker<br />

Werbetafeln erscheinen zu diesen Ausführungen die ersten<br />

Sätze aus dem Kommunistischen Manifest. Mortons Auftritt<br />

erinnert uns daran, dass es nur folgerichtig ist, wenn also<br />

auch Cronenbergs Protagonisten kaum mehr über erzählerische<br />

Qualitäten verfügen, obgleich sie doch unentwegt<br />

reden. Das Gleiche gilt freilich auch für Robert Pattinsons<br />

Minenspiel, das bewusst limitiert ausfällt: die Coolness des<br />

Milchbubis, dem selbst die ständige Bedrohung durch den<br />

ominösen Attentäter nicht nahe geht, verkörpert Pattinson<br />

ziemlich überzeugend. Die Frage nach seinen schauspielerischen<br />

Qualitäten muss vielleicht trotzdem vertagt werden.<br />

Peckers Meta-Kommentar dazu: "Talent ist am erotischsten,<br />

wenn es vergeudet wird."<br />

Cronenberg selbst vergeudet sein Talent (besser: sein<br />

Können) indes nicht. Wo das Drehbuch etwas altbacken<br />

wirkt, vielleicht weil es sich meist wörtlich an die belletristische<br />

Vorlage von 2003 hält, beeindruckt Cosmopolis<br />

durch seine formale Strenge und eine sehr spezifische<br />

Unbeirrbarkeit. Die hält Cronenberg auch in filmischen<br />

Parametern durch: die artifizielle Farbigkeit der Beleuchtung,<br />

Nahaufnahmen mit Weitwinkel, spärliche Einstellungen und<br />

die inzwischen wirklich anachronistische Musik von Howard<br />

Shore gehören nach wie vor zum festen Inventar. Sie prägen<br />

sogar noch den über 15-minütigen Showdown, in dem<br />

Pecker seinem Attentäter schließlich gegenübertritt. Hier<br />

erfährt zumindest der Körper eine kleine Renaissance. Die<br />

Asymmetrie der Prostata, so hatte es der Arzt versichert,<br />

habe keinerlei Bedeutung. So reiht er sie in die sinnentleerte<br />

Cosmopolis-Welt ein. Dies allerdings erweist sich am Ende<br />

als Fehldiagnose.<br />

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