De:Bug 164
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Text Michael döringer & alexandra dröner<br />
Cooly G ist umgezogen. Was für ein Glück. Kaum vorzustellen,<br />
dass sie ”Playin’ Me” - immerhin eines der besten<br />
Alben dieses Sommers - zwischen bonbonfarbenen<br />
Plüschtieren und aufblasbarer Ritterburg in den beengten<br />
Verhältnissen ihres Sydenham’schen Domizils am<br />
Rande von London produziert hat, dem wir Ende 2009 einen<br />
Besuch abgestattet hatten (siehe DE:BUG 138). Die<br />
Lebensumstände der Merissa Campbell waren schon damals<br />
nicht die entspanntesten, die man sich vorstellen<br />
kann: Die Cooly-G-Reality-Show besteht aus Kinderterror<br />
und bimmelnden Telefonen, wie soll man sich da zurückziehen<br />
und kreativ werden können? Inzwischen ist Baby<br />
Nummer Zwei gelandet - ein Mister G scheint aber nicht<br />
präsent zu sein, zumindest wird der männliche Anteil<br />
an der Familienplanung nicht thematisiert (fragt man ja<br />
auch nicht, sowas). Außer: Man hört genau hin, denn der<br />
Titeltrack ”Playin’ Me”, eine “ernsthafte Geschichte über<br />
ein Mädchen und einen Jungen”, beruht offensichtlich auf<br />
persönlichen Erfahrungen. Bei unserem Interview bekommen<br />
wir nicht nur die zu erwartende Breitseite Single-Mum<br />
um die Ohren, wir geraten auch kurzzeitig ins Schwitzen<br />
über einen Augenblick der Amnesie: Merissa kann sich<br />
nicht, aber auch so gar nicht daran erinnern, dass sie uns<br />
schon vor drei Jahren von einem nahenden Album erzählt<br />
haben soll. Hat sie aber. Weiß sie nicht mehr. Macht nichts.<br />
Vorhang auf für die Dubmother.<br />
<strong>De</strong>bug: Hallo Merissa! Hier ist die DE:BUG, alles klar?<br />
Cooly: Oh shit, wir haben heute das Interview?! Okay, lass<br />
es uns machen!<br />
<strong>De</strong>bug: Was ist denn los, wo bist du?<br />
Cooly: Meine Schuld, ich hab’s vergessen. Ich bin im Auto<br />
unterwegs. Ist aber kein Problem, wir haben angehalten<br />
und ich bin bereit.<br />
<strong>De</strong>bug: Sehr gut. In Barcelona haben wir uns leider verpasst.<br />
War es da stressig für dich? <strong>De</strong>in Zeitplan scheint ja<br />
sehr eng gewesen zu sein.<br />
Cooly: Nein, es war nicht stressig, und es ist auch nicht gut,<br />
gestresst zu sein. <strong>De</strong>shalb versuche ich, mit den Dingen zufrieden<br />
zu sein, so wie sie sind. Es war okay, nur ein bisschen<br />
hektisch. Aber “stressig” ist kein gutes Wort, das zieht<br />
einen runter und man wird deprimiert. Ich benutze solche<br />
Wörter ungern.<br />
<strong>De</strong>bug: Du siehst die Dinge also immer positiv?<br />
Cooly: Auf jeden Fall. Ich packe sie einfach an, auch wenn<br />
ich denke, dass etwas schwierig werden könnte. Aber so<br />
läuft das Spiel nun mal, nicht?<br />
<strong>De</strong>bug: Du bist vor Kurzem zum zweiten Mal Mutter geworden.<br />
Wie alt sind deine beiden Kinder jetzt?<br />
Cooly: Ja, die Kleine ist jetzt da. Mein Sohn ist fünf Jahre<br />
und meine Tochter drei Monate alt.<br />
<strong>De</strong>bug: Ich nehme an, beide sind zu Hause, während du<br />
auf Tour bist?<br />
Cooly: Ja, aber mein Sohn war schon mit mir bei eintägigen<br />
Festivals wie Love Box zum Beispiel. Für solche Anlässe<br />
lassen wir ihm dann extra Ohrstöpsel anfertigen, damit er<br />
dabei sein kann. Auf Festivals trifft man mittlerweile viele<br />
Künstler mit Kindern, das sind dann kleine Familientreffen.<br />
Mein Sohn bleibt aber immer backstage.<br />
<strong>De</strong>bug: Du nimmst ihn also gerne mit?<br />
Cooly: Klar. Und er findet es klasse zu verreisen. Während<br />
ich arbeite, kann er ja spielen.<br />
<strong>De</strong>bug: Kennst du die Peaking Lights? Sie sind verheiratet<br />
und haben ein Baby. Ich weiß nicht, wie alt es ist, aber ich<br />
glaube, sie nehmen es auch auf Tour mit.<br />
Cooly: Wirklich? Ich würde mein Baby nie überall hin<br />
mitnehmen. Sie braucht ihre Impfungen, bevor sie überhaupt<br />
verreisen kann. Aber wenn ich für längere Zeit weg<br />
bin, so ein bis zwei Wochen, kommen meine Kinder auch<br />
mit. Als ich in Barcelona war, bin ich am nächsten Tag schon<br />
wieder zurück geflogen. Irgendwie klappt es halt, egal wie<br />
schwierig es ist.<br />
<strong>De</strong>bug: Wie bekommst du Touren, Produzieren, Promo-<br />
Arbeit und deine Familie unter einen Hut?<br />
Cooly: Meine Freunde nennen mich ”sick woman“!<br />
Natürlich, es ist anstrengend. Ich stille mein Kind, allein das<br />
ist schon sehr auslaugend. Dazu kommt, dass ich manchmal<br />
nur wenig schlafe, weil ich, wenn ich die Kinder endlich<br />
im Bett habe, noch produziere oder Dinge nachhole, die liegengeblieben<br />
sind. Konstantes Multitasking, ich bin schon<br />
ganz schön erschöpft.<br />
<strong>De</strong>bug: <strong>De</strong>ine Familie kommt aber immer an erster<br />
Stelle?<br />
Cooly: Ja, bevor ich etwas machen kann, muss ich sicher<br />
sein, dass die Kids versorgt sind. Wenn das nicht so wäre,<br />
hätte ich nicht zum Sonar kommen können. Moment! Willst<br />
du dir wehtun? Komm da runter!<br />
<strong>De</strong>bug: Ich merke schon, du bist voll eingespannt.<br />
Cooly: Mein Sohn klettert im Auto herum!<br />
<strong>De</strong>bug: Danke, dass du dir die Zeit nimmst. Lag es also an<br />
deinem Privatleben, dass es nun zwei Jahre länger gedauert<br />
hat, bis dein Album fertig war?<br />
Cooly: Es hat nicht länger gedauert, es hat überhaupt nicht<br />
gedauert. Ich wusste gar nicht, dass ich ein Album machen<br />
würde. Als die erste Single "Love Dub" (2009) auf Hyperdub<br />
rauskam, war ich froh, so etwas machen zu können, wusste<br />
aber nicht, was als nächstes kommt. Ob ich einen weiteren<br />
Tune rausbringen oder auf der Hyperdub-Compilation vertreten<br />
sein würde: Ich bin da einfach so reingerutscht.<br />
Reingerutscht? Da wollten wir ihr gerade zum wunderbaren<br />
Albumkonzept gratulieren und dann das. ”Playin‘ Me“<br />
klingt nämlich so stimmig, dass man eigentlich von hochkonzentriert<br />
geplanter Arbeit ausgehen möchte, anstatt von<br />
lose angesammelten Tracks. <strong>De</strong>r UK-Funky-Stempel, der<br />
ihr zu Beginn ihrer Karriere aufgedrückt wurde, gilt längst<br />
nicht mehr, eine Stilart, die sich ohnehin in der Zwischenzeit<br />
selbst gefressen hat und von einer zweifelhaften Techno-<br />
Umdeutung abgelöst wurde, der fast die gesamte Szene<br />
verfallen ist, von Bok Bok bis Untold - nur nicht Cooly G.<br />
<strong>De</strong>r pure Eigensinn, der ihr tagtäglich durchs Leben hilft,<br />
verleiht ihrer Musik eine kosmische Allgemeingültigkeit, wir<br />
dürfen ganz wahrhaftig in ihre Welt eintreten und werden<br />
aufs Wärmste willkommen geheißen. Abgesehen vom unerwarteten<br />
Coldplay-Cover "Trouble" führt uns "Playin' Me"<br />
einmal zu Jah und wieder zurück. Die mit <strong>De</strong>lay versehenen<br />
Steel-Guitar-Akkorde des Eröffnungs-Tracks “He Said I<br />
Said” verwurzeln uns klar im Reggae, eine Phänomenologie,<br />
der Merissa über die gesamte Spieldauer treu bleibt, ohne<br />
jemals mit erkennbaren Zitaten oder vorhersehbaren<br />
Blaupausen, etwa des uns so wohlbekannten Dubtechnos,<br />
zu langweilen. Trotz all der Weichheit und Laszivität, die<br />
Merissas dahinfließende Stimmfragmente verströmen,<br />
verleihen die verschachtelten Beat-Strukturen und die<br />
dem Hardcore Continuum verpflichteten Bassgefüge dem<br />
Album ein Momentum, das es klar unterscheidbar macht<br />
von all den außerweltlichen Schwebezuständen, der sich<br />
so vielerorts einschleichenden Dream-Pop-Seligkeiten. <strong>De</strong>r<br />
karge Offbeat-Synth von “Sunshine” verwandelt sich genau<br />
in der Sekunde in einen honigfarbenen Glückskäfer, wenn<br />
Coolys warm-gelayerte Vocals uns bezirzen und glaubhaft<br />
<strong>164</strong>–7