»Die Straßen sind unsere Pinsel, Unsere Paletten die Plätze. Tausendseitige Zeitchroniken vergaßen Revolutionstage hinauszutrompeten – Futuristen, auf die Straße, Ihr Trommler und ihr Poeten!« Vladimir Majakowskie (1839 – 1930), Erlaß an die Armee der Kunst 8
ernab vom Stadtzentrum befindet F sich das Wohngebiet Bairro Padre Cruz. Gute 25 Minuten dauert die Fahrt mit dem Auto durch den dichten Straßenverkehr. Vorbei an moderner Architektur, heruntergekommen Fassaden und großen Brachen führt der Weg direkt an einen Ort, der durch seine Architektur aus zwei unterschiedlichen Jahrzehnten nicht deutlicher voneinander getrennt sein könnte. Hier gibt es alles, was das Leben wohnlicher macht: Schulen, einen Kindergarten, eine Sporthalle, ein Kulturzentrum, eine Kirche, eine kleine Stadtbibliothek, einige Gemeinschaftsgärten, mehrere Kultur- und Sportvereine, Cafés, eine Apotheke und eine kleine Markthalle. Trotz alledem fühlt sich der Ort leer an. Die atmosphärische Leere, die diesen Ort umgibt, charakterisiert sich zum einen durch seine Geschichtslosigkeit und Beliebigkeit, zum anderen durch die einheitliche Planung des Ortes und dessen ökonomische Logik (vgl. Peschken 2009). In den frühen 60er Jahren ließen sich hier Arbeiter aus verschieden Teilen der Peripherie und weiteren Teilen Portugals nieder. Die Menschen kannten sich und teilten kulturelle Gewohnheiten. Bis dahin kennzeichnete sich das Wohngebiet vor allem durch kleine einstöckige Häuser und einem harmonischen Zusammenleben. Ab Mitte der 90er Jahren kam es zum Bau einer neuen Nachbarschaft. Die neuen Gebäude, die über fünf Stockwerke in den Himmel ragen und an die Plattenbauten der ehemaligen DDR erinnern, sollten möglichst viel Wohnfläche bieten. Ungeachtet sozialer und physischer Probleme, die dadurch hätten entstehen können, wurden Menschen aus weiteren Teilen Lissabons nach Bairro Padre Cruz umgesiedelt. Die daraus resultierende atmosphärische Leere ist das Symptom, dessen Ursache in der Entfremdung und Entwurzelung der Bewohner zu finden ist. Seit der Zwangsumsiedlung wohnen fremde Menschen dicht beieinander, die nicht unbedingt die Nähe zu ihren Mitmenschen suchen. Es kommt nur selten zu Interaktionen zwischen ihnen und die Bildung einer Gemeinschaft geht nur sehr schleppend voran. Bairro Padre Cruz wirkt weitestgehend, wie eine Kleinstadt und trotzdem macht es den Eindruck als pulsiere hier die geistige Haltung eines Großstädters, die von Gerog Simmel als „Reserviertheit“ bezeichnet wird (vgl. Simmel 1957). Das Misstrauen gegenüber den flüchtigen Begegnungen und dem neuen Umfeld sowie die Gegensätzlichkeit der Menschen verleiten die Bewohner dazu, ihre letzten Kraftreserven für den Erhalt ihrer Gewohnheiten aufzubrauchen, sodass kaum noch etwas bleibt, um die äußeren Reize auf sich wirken zu lassen. Dies endet größtenteils in Gleichgültigkeit, Aversion, gegenseitiger Fremdheit und Abstoßung, was nicht selten Hass und Kampf mit sich bringt (vgl. Simmel 1957). Die alte und neue Nachbarschaft lebt mehr oder weniger parallel nebeneinander her. Nach vielen Gesprächen mit den Bewohnern zeigte sich eben genau das zuvor genannte Problemfeld, welches viele Bewohner sich bis heute nicht heimisch fühlen lässt und, dass sie sich mit ihrem Viertel nicht oder nur schwer identifizieren können. Mit Peschkens Worten lässt sich Bairro Padre Cruz als ein leerer Ort bezeichnen. Er „ist nicht leer, weil dort überhaupt nichts ist, sondern, weil ihm etwas Bestimmtes fehlt: Eine Funktion und Nutzung, eine Gestaltung, eine Geschichte oder einfach urbanes Leben“ (Peschken 2007: 11). Die Galeria de Art Urbana, die bereits in anderen Teilen der Stadt durch künstlerische Interventionen viel Aufmerksamkeit erregen konnte, hat ein Festival ins Leben gerufen, mit dem, unter anderem, eben jene Probleme aufgegriffen werden sollen. Ursprünglich beschreibt der Begriff „Intervention“ das Eingreifen eines Staates in die inneren An- 9