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ernab vom Stadtzentrum<br />
befindet<br />
F<br />
sich das Wohngebiet<br />
Bairro Padre<br />
Cruz. Gute 25 Minuten dauert<br />
die Fahrt mit dem Auto<br />
durch den dichten Straßenverkehr.<br />
Vorbei an moderner<br />
Architektur, heruntergekommen<br />
Fassaden und großen<br />
Brachen führt der Weg direkt<br />
an einen Ort, der durch<br />
seine Architektur aus zwei<br />
unterschiedlichen Jahrzehnten<br />
nicht deutlicher voneinander<br />
getrennt sein könnte.<br />
Hier gibt es alles, was das<br />
Leben wohnlicher macht:<br />
Schulen, einen Kindergarten,<br />
eine Sporthalle, ein Kulturzentrum,<br />
eine Kirche, eine<br />
kleine Stadtbibliothek, einige<br />
Gemeinschaftsgärten,<br />
mehrere Kultur- und Sportvereine,<br />
Cafés, eine Apotheke<br />
und eine kleine Markthalle.<br />
Trotz alledem fühlt sich der<br />
Ort leer an. Die atmosphärische<br />
Leere, die diesen Ort<br />
umgibt, charakterisiert sich<br />
zum einen durch seine<br />
Geschichtslosigkeit und<br />
Beliebigkeit, zum anderen<br />
durch die einheitliche Planung<br />
des Ortes und dessen<br />
ökonomische Logik (vgl.<br />
Peschken 2009).<br />
In den frühen 60er Jahren<br />
ließen sich hier Arbeiter aus<br />
verschieden Teilen der Peripherie<br />
und weiteren Teilen<br />
Portugals nieder. Die Menschen<br />
kannten sich und<br />
teilten kulturelle Gewohnheiten.<br />
Bis dahin kennzeichnete<br />
sich das Wohngebiet<br />
vor allem durch kleine einstöckige<br />
Häuser und einem<br />
harmonischen Zusammenleben.<br />
Ab Mitte der 90er<br />
Jahren kam es zum Bau<br />
einer neuen Nachbarschaft.<br />
Die neuen Gebäude, die<br />
über fünf Stockwerke in den<br />
Himmel ragen und an die<br />
Plattenbauten der ehemaligen<br />
DDR erinnern, sollten<br />
möglichst viel Wohnfläche<br />
bieten. Ungeachtet sozialer<br />
und physischer Probleme,<br />
die dadurch hätten entstehen<br />
können, wurden Menschen<br />
aus weiteren Teilen<br />
Lissabons nach Bairro Padre<br />
Cruz umgesiedelt.<br />
Die daraus resultierende atmosphärische<br />
Leere ist das<br />
Symptom, dessen Ursache<br />
in der Entfremdung und<br />
Entwurzelung der Bewohner<br />
zu finden ist. Seit der Zwangsumsiedlung<br />
wohnen fremde<br />
Menschen dicht beieinander,<br />
die nicht unbedingt die<br />
Nähe zu ihren Mitmenschen<br />
suchen. Es kommt nur selten<br />
zu Interaktionen zwischen<br />
ihnen und die Bildung einer<br />
Gemeinschaft geht nur sehr<br />
schleppend voran. Bairro<br />
Padre Cruz wirkt weitestgehend,<br />
wie eine Kleinstadt<br />
und trotzdem macht es den<br />
Eindruck als pulsiere hier<br />
die geistige Haltung eines<br />
Großstädters, die von Gerog<br />
Simmel als „Reserviertheit“<br />
bezeichnet wird (vgl. Simmel<br />
1957).<br />
Das Misstrauen gegenüber<br />
den flüchtigen Begegnungen<br />
und dem neuen Umfeld<br />
sowie die Gegensätzlichkeit<br />
der Menschen verleiten die<br />
Bewohner dazu, ihre letzten<br />
Kraftreserven für den Erhalt<br />
ihrer Gewohnheiten aufzubrauchen,<br />
sodass kaum<br />
noch etwas bleibt, um die<br />
äußeren Reize auf sich wirken<br />
zu lassen. Dies endet<br />
größtenteils in Gleichgültigkeit,<br />
Aversion, gegenseitiger<br />
Fremdheit und Abstoßung,<br />
was nicht selten Hass und<br />
Kampf mit sich bringt (vgl.<br />
Simmel 1957). Die alte und<br />
neue Nachbarschaft lebt<br />
mehr oder weniger parallel<br />
nebeneinander her.<br />
Nach vielen Gesprächen<br />
mit den Bewohnern zeigte<br />
sich eben genau das zuvor<br />
genannte Problemfeld,<br />
welches viele Bewohner sich<br />
bis heute nicht heimisch fühlen<br />
lässt und, dass sie sich mit<br />
ihrem Viertel nicht oder nur<br />
schwer identifizieren können.<br />
Mit Peschkens Worten lässt<br />
sich Bairro Padre Cruz als ein<br />
leerer Ort bezeichnen. Er „ist<br />
nicht leer, weil dort überhaupt<br />
nichts ist, sondern,<br />
weil ihm etwas Bestimmtes<br />
fehlt: Eine Funktion und<br />
Nutzung, eine Gestaltung,<br />
eine Geschichte oder<br />
einfach urbanes Leben“<br />
(Peschken 2007: 11).<br />
Die Galeria de Art Urbana,<br />
die bereits in anderen<br />
Teilen der Stadt durch<br />
künstlerische Interventionen<br />
viel Aufmerksamkeit erregen<br />
konnte, hat ein Festival<br />
ins Leben gerufen, mit<br />
dem, unter anderem, eben<br />
jene Probleme aufgegriffen<br />
werden sollen. Ursprünglich<br />
beschreibt der Begriff „Intervention“<br />
das Eingreifen eines<br />
Staates in die inneren An-<br />
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