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Weissbuch 1970

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Die weltpolitische Szenerie<br />

2. Die Weit hat sich seit dem Höhepunkt des Kalten Krieges gewandelt.<br />

Eine militärtechnische Revolution hat dem amerikanisch-sowjetischen Verhältnis<br />

den reinen Konfrontationscharakter genommen; politische Umwälzungen<br />

haben die Wirkungsmöglichkeiten der Supermächte beschnitten<br />

und die der kleineren Staaten vergrößert; Dämpfung des ideologischen<br />

Eifers hat die west-östlichen Beziehungen versachlicht; innere Inanspruchnahme<br />

der rivalisierenden Supermächte hat das Feld der Auseinandersetzung<br />

verschoben. Zusammen verändern diese vier Faktoren das weltpolitische<br />

Kalkül.<br />

Erstens: Die thermonuklearen Waffen, mit denen die Supermächte einander<br />

vernichten können, haben sie gezwungen, ihrer Gegnerschaft<br />

Schranken zu setzen. Zwar bestehen fundamentale Gegensätze der Interessen<br />

und Ideologien fort, doch ist aus der unversöhnlichen Konfrontation<br />

von einst ein Rivalitätsverhältnis geworden, das eine Zusammenarbeit auf<br />

Teilgebieten nicht mehr ausschließt. Vor allem treffen sich die Interessen<br />

der Vereinigten Staaten und der Sowjetunion dort, wo es darum geht,<br />

Zwangsläufigkeiten von Zusammenprall, Eskalation und gegenseitiger<br />

Vernichtung möglichst zu vermeiden. Beiden liegt an der Verhinderung<br />

des nuklearen Krieges, desgleichen an der Begrenzung von Auseinandersetzungen<br />

zwischen Dritten, durch die sie unter Umständen in einen solchen<br />

Krieg hineingezogen werden könnten; das mag sie bisweilen an<br />

weltpolitischen Konfliktpunkten auf gemeinsamen Kurs zwingen.<br />

Zweitens: Gleichzeitig verliert die bipolare Struktur der Weltpolitik an Stabilität<br />

und Ausschließlichkeit. Wie im Verhältnis der Supermächte zueinander<br />

das gegenwärtige nukleare Patt ihre horizontale Handlungsfreiheit<br />

einengt, so wird sie im Verhältnis zu Neutralen und sogar Verbündeten<br />

durch deren Eigenständigkeitsbestrebungen verringert. Auf dem<br />

politischen Felde prägt sich immer deutlicher eine multipolare Struktur<br />

aus. Zentren neuen Ehrgeizes sind schon heute mancherwärts zu erkennen.<br />

Im Laufe der siebziger und achtziger Jahre werden sich einige<br />

von ihnen - China, Japan, Westeuropa - zu neuen internationalen Kraftzentren<br />

entwickeln.<br />

Drittens: in der kommunist ischen Weit ist die frühere Einheit im Glauben<br />

zerbrochen. Diese Zersplitterung zeitigt Rückwirkungen auf die Außenpolitik<br />

der kommunistischen Staaten. Der Bruch zwischen Moskau und<br />

Peking hat die Vorstellung von der Einheit des Weltkommunismus und der<br />

Einheitlichkeit seines Vergehens zunichte gemacht. Die Fünf-Mächte­<br />

Intervention in der Tschecheslowakei kann nicht darüber hinwegtäuschen,<br />

daß der Zwang zu wirtschaftlicher Reform und das Verlangen nach breiteren<br />

Kontakten mit dem Westen in ganz Osteuropa unvermindert weiterwirken.<br />

Das gilt auch für die Sowjetunion selbst.<br />

Sie betreibt eine vornehmlich am sowjetischen Staatsinteresse orientierte<br />

Politik - die Politik einer Status-qua-Macht, die auf die Bewahrung und<br />

Konsolidierung ihrer Interessensphäre bedacht ist und unzweifelhaft auch<br />

auf die Ausweitung und Stärkung ihres politischen Einflusses, die aber<br />

unter den gegenwärtigen Voraussetzungen in Europa keinen territorialen<br />

Gewinn erstrebt. Solch konservative Machtpolitik stellt den Westen gewiß<br />

auch vor schwierige Probleme, aber es sind dies andere Probleme als<br />

die zu Beginn der fünfziger Jahre - nach dem griechischen Bürgerkrieg,<br />

der Berliner Blockade und dem kommunistischen Angriff auf Südkorea -<br />

nicht ohne Anlaß befürchteten.<br />

Ähnlich gedämpft ist der Eifer inzwischen auch in der westlichen<br />

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