Weissbuch 1970
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Die Bedrohung<br />
18. Die westliche Allianz war die Antwort auf die expansive Politik Stalins,<br />
der in der zweiten Hälfte der vierziger Jahre Osteuropa Zug um Zug dem<br />
Kommunismus unterwarf, von der Ausfallposition auf dem Balkan Griechenland<br />
bedrohte und schließlich in Berlin den Hebel anzusetzen schien,<br />
um auch Westeuropa dem sowjetischen Einfluß zu unterwerfen.<br />
Zu den ursprünglichen Unte rzeichnern des Nordatlantikvertrages gehören<br />
zwölf Staaten. Der kommunistische Angriff auf Südkorea, der im Juni<br />
1950 die Befürchtung auslöste, eine ähnliche Gefahr drohe auch Westeuropa,<br />
gab dann den Anstoß zu Überlegungen, auch die Bundesrepublik<br />
Deutschland an der kol lektiven Verteidigung zu beteiligen. Die Bundesrepublik<br />
trat der Allianz im Mai 1955 bei ; drei Jahre vorher waren ihr<br />
Griechenland und die Tü rkei beigetreten. Das Bestehen des Bündnisses<br />
hat die Gefährdung Westeuropas beträchtlich gemindert.<br />
19. Di e Frage, wie groß die Bedrohung heute tatsäch lich ist, wi rd im<br />
Westen vielfach diskutiert. Im Vordergrund steht dabei die Frage, ob die<br />
eigenen Verteidigungsvorkehrungen sich an den Absichten oder den<br />
Fähigkeiten eines möglichen Angreifers ausrichten müssen.<br />
Mögliche Absichten eines Gegners sind schwer faßbar. überdies wandelbar.<br />
Sie sind dort. wo sie sich am auffälligsten zu dokumentieren<br />
scheinen. in den Stereotypen der Propaganda. am unzuverlässigsten<br />
abzulesen; es verwischen sich darin die in der praktischen Politik vorhandenen<br />
Grenzen zwischen Wunsch und Vermögen. Im übrigen sind sie<br />
durch unsere eigene Politik beeinflußbar. So geht es in der Ost-West<br />
Auseinandersetzung nicht so sehr um Dogmen als vielmehr um Kräfte<br />
und In teressen. Die Fähigkei ten eines Gegners ergeben sich aus dem<br />
Verhältnis seines Po tentials zu dem eigenen.<br />
Stärkevergleich Ost-West<br />
Fünfundzwanzig Jahre nach dem En de des Zweiten Weltkrieges stehen<br />
sich mit der NATO und dem Warschauer Pakt zwei Militärblöcke gegenüber,<br />
die allein in Mitteleuropa - zwischen der Ostgrenze Frankreichs<br />
und der Westgrenze der Sowjetunion - mehr als zwei Millionen Soldaten<br />
konzentriert haben, davon 1,3 Millionen auf dem Gebiet der beiden deutschen<br />
Staaten.<br />
Weltweit gesehen sind die Streitkräfte der NATO-Länder denen der Warschauer-Pakt-Staaten<br />
zahlenmäßig überlegen. wenn ihre Überlegenheit<br />
auch ständig schrumpft. Der weltweite Kräftevergleicll hat jedoch nur mittelbare<br />
und begrenzte Auswirkungen auf das Kräfteverhältnis in Europa.<br />
20. Landstreitkräfte. in den der Bundesrepublik Deutschland vorgelagerten<br />
Staaten DDR, Polen und Tschechoslowakei stehen 28 sowjetische<br />
und 29 einheimische Divisrenen mit insgesamt 855 000 Mann und 13 650<br />
Kampfpanzern bereit; innerhalb kurzer Fristen können sie um 29 Divisionen<br />
mit weiteren 6 500 Panzern aus dem westlichen Teil der Sowjetunion<br />
verstärkt werden. Diesen Kräften liegen im entsprechenden NATO<br />
Bereich (AFCENT • zuzüglrch Schleswig-Holstein und Dänemark) insgesamt<br />
26 Divisionen. darunter fünf amerikanische und zwei f,·anzösische.<br />
mit 703 000 Mann und nur 6 600 Panze rn gegenüber. Zu ihrer Verstärkung<br />
im Verteidigungsfall würde die NATO, die neue Einheiten zum großen Teil<br />
·) Allied Forces Central Europe.<br />
17