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Volksbühnen-Spiegel 1/2008 - Freie Volksbühne Berlin

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flikt zwischen den Vorstands-Mitgliedern Bruno Wille<br />

und Julius Türk zur Spaltung des jungen Vereins. Bruno<br />

Wille verlässt die <strong>Freie</strong> <strong>Volksbühne</strong> und gründet noch<br />

am selben Tag die Neue <strong>Freie</strong> <strong>Volksbühne</strong>. Zum neuen<br />

Vorsitzenden der <strong>Freie</strong>n <strong>Volksbühne</strong> wird Franz Mehring<br />

gewählt, der damalige führende Kopf der deutschen<br />

Arbeiterbewegung. Fortan existieren in <strong>Berlin</strong><br />

zwei <strong><strong>Volksbühne</strong>n</strong>-Vereine, die sich auf getrennten<br />

Bahnen entwickeln. Erst 1913 vereinigen sich die beiden<br />

<strong><strong>Volksbühne</strong>n</strong> zu einem Kartell mit dem gemeinsamen<br />

Ziel, ein eigenes Theater zu bauen.<br />

Bau des eigenen „Volkskunsthauses”<br />

Die Schwierigkeit, von den bestehenden Privattheatern<br />

die notwendigen Vorstellungen zu erhalten, das rapide<br />

Wachstum an Mitgliedern, das die Schaffung immer<br />

neuer Vorstellungen nötig macht und nicht zuletzt das<br />

Bestreben, sich künstlerischen Aufgaben unmittelbar<br />

verantwortlich zu fühlen, lassen bei der Neuen <strong>Freie</strong>n<br />

<strong>Volksbühne</strong> den Gedanken an die Errichtung eines<br />

eigenen Hauses gedeihen. Der Vorstand beschließt<br />

1909 die Gründung eines Baufonds und ruft den Mitgliedern<br />

zu, dass es „nicht darauf allein ankommt, dass<br />

das Volkskunsthaus gebaut wird, sondern das es von<br />

uns aus eigener Kraft erbaut wird, als das erste große<br />

Kunstinstitut, das weder Fürstenwille, noch Kapitalsmacht<br />

ins Leben ruft, sondern das Zusammenwirken<br />

vieler Tausende aus unseren arbeitenden Bevölkerungsklassen.”<br />

Die Selbstbeteiligung der Mitglieder an der Errichtung<br />

des eigenen Theaters erfolgt durch einen Zehn-<br />

Pfennig-Beitrag zu jeder Theaterkarte. Diese Beiträge<br />

und die freiwilligen Spenden werden zu 5% verzinst, ein<br />

höherer Zinssatz als in jeder Sparkasse. Insgesamt<br />

bringen die Mitglieder und Freunde des Vereins über 1<br />

Mio. Mark auf, die Stadt <strong>Berlin</strong> stellt eine Hypothek von<br />

2 Mio. Mark für den Theaterbau zur Verfügung. Im Zuge<br />

dieses Projektes kommt es zu Verhandlungen zwischen<br />

den beiden <strong>Berlin</strong>er <strong><strong>Volksbühne</strong>n</strong> mit dem Ziel eines<br />

Zusammenschlusses. Beide Vereine behalten zunächst<br />

ihre Selbstständigkeit, sind aber durch einen Kartellvertrag<br />

zur gemeinsamen Stützung des neuen Theaterhauses<br />

verbunden und zählen gemeinsam Ende 1913<br />

fast 70.000 Mitglieder.<br />

Am 30.12.1914 wird das Haus am Bülowplatz feierlich<br />

eröffnet, das mit fast 2.000 Plätzen nun das größte<br />

Theater <strong>Berlin</strong>s, aber auch das modernste ist. Der Architekt<br />

Oskar Kaufmann hat entsprechend der demokratischen<br />

Idee des Vereins ein Rangtheater ohne Logen<br />

entworfen. Die Bühnenanlage ist mit allen technischen<br />

Errungenschaften der damaligen Zeit ausgestattet<br />

(versenkbare und hebbare Drehbühne, versenkbares<br />

Orchester, etc.). „Was sie hier als Ergebnis der 25jährigen<br />

Arbeit unseres Vereins vor sich sehen”, so<br />

Julius Bab in seiner Eröffnungsrede, „das soll kein Ende,<br />

sondern ein Anfang sein, der Anfang einer freien<br />

und starken Arbeit, für die wir nun erst den rechten, den<br />

eigenen Boden erreicht haben. Und es soll über uns<br />

selbst hinaus der Anfang einer Bewegung sein, die auf<br />

allen Gebieten das Volk wieder zur Kunst, die Kunst<br />

wieder zum Volke führt.”<br />

Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges hatte die bis<br />

dahin stetige Aufwärtsbewegung der <strong>Berlin</strong>er <strong><strong>Volksbühne</strong>n</strong>-Bewegung<br />

stagnieren lassen. Im September<br />

1914 ist der Mitgliederstand auf 30.0000 gesunken, was<br />

den Fortbestand des Vereins erheblich gefährdet. Um<br />

das neue Haus allabendlich füllen zu können, hätte es<br />

die doppelte Mitgliederzahl gebraucht, hinzu kamen die<br />

Schulden, die auf dem Neubau lasten. Nur in der Vergrößerung<br />

der Mitgliederzahl sieht man eine Lösung,<br />

den finanziellen Schwierigkeiten zu entkommen. Max<br />

Reinhardt gilt als Garantie dafür - bereits 1905 hatte der<br />

Verein einen unerwarteten Zulauf an Mitgliedern erfahren,<br />

als man die Aufführungen der Reinhardt-Bühnen in<br />

das Vorstellungs-Angebot einbezog. „Seit der Verpachtung<br />

des Volkstheaters an Reinhardt im Sommer 1915<br />

habe eine fortlaufender Mitgliederzuzug eingesetzt”, so<br />

der Vorwärts im November 1917 und tatsächlich hat<br />

sich bis zum November 1917 die Mitgliederzahl wieder<br />

verdoppelt. Nachdem sich die äußeren Verhältnisse ein<br />

wenig beruhigt hatten, nehmen 1918 die <strong><strong>Volksbühne</strong>n</strong>-<br />

Vereine das Haus wieder in die eigene Hand, und es<br />

folgt ein steiler Aufstieg der <strong><strong>Volksbühne</strong>n</strong>-Bewegung.<br />

Die <strong>Volksbühne</strong> in der Weimarer Republik<br />

Im April 1920 vereinigen sich die <strong>Freie</strong> <strong>Volksbühne</strong> und<br />

die Neue <strong>Freie</strong> <strong>Volksbühne</strong> zur <strong>Volksbühne</strong> e.V.. Siegfried<br />

Nestriepke, der dem Vorstand der <strong>Freie</strong>n <strong>Volksbühne</strong><br />

seit 1918 angehörte, wird zum Generalsekretär<br />

gewählt und übernimmt auch die Redaktion der „<strong>Volksbühne</strong>”,<br />

einer Zeitschrift für soziale Kunstpflege, die<br />

neben dem Nachrichtenblatt ab Herbst 1920 erscheint.<br />

Ein zweites <strong><strong>Volksbühne</strong>n</strong>-Theater zu bauen, ist nun<br />

das erklärte Ziel. Es sollte so großräumig sein, dass es<br />

neben Schauspiel- auch Opernvorstellungen bieten<br />

konnte. Die ehemalige Krolloper am Platz der Republik,<br />

im Inneren fast eine Ruine, sollte durch einen umfassenden<br />

Umbau spielfähig gemacht werden. Der preußische<br />

Staat überlässt der <strong>Volksbühne</strong> e.V. das Haus für<br />

25 Jahre pachtfrei, dafür muss der Verein für den Umbau<br />

selbst aufkommen. Die Finanzierung erfolgt, wie<br />

bei dem Bau des Theaters am Bülowplatz, durch einen<br />

Baukostenzuschlag zu den Vorstellungs-Beiträgen und<br />

durch den Erwerb von verzinsten Teilschuld-Verschreibungen.<br />

Im Frühsommer 1921 beginnen die Bauarbeiten.<br />

Witterungsverhältnisse, Schwierigkeiten in der Materialanlieferung<br />

und vor allem die Inflation machen<br />

jedoch alle Berechnungen zunichte, und so muss die<br />

<strong>Volksbühne</strong> e.V. 1924 von dem Vertrag zurücktreten<br />

und die Vollendung des Umbaus dem Staat überlassen.<br />

In den Jahren 1925/26 erreicht die <strong>Volksbühne</strong> mit<br />

fast 160.000 Mitgliedern den Höchststand in ihrer bisherigen<br />

Geschichte. Der Verein war zu einer riesigen Besucherorganisation<br />

geworden, die im <strong>Berlin</strong>er Theaterleben<br />

einen gewaltigen Machtfaktor darstellt. Neben<br />

Theateraufführungen finden regelmäßig auch Konzertund<br />

Chorveranstaltungen statt. Liederabende, Aufführungen<br />

von Oratorien und Tanzmatineen sind in den<br />

zwanziger Jahren fester Bestandteil der <strong><strong>Volksbühne</strong>n</strong>-<br />

Arbeit. Alljährlich stattfindende Sommer- und Herbstfeste,<br />

sowie die Darbietung von Beethovens „Neunter” an<br />

jedem Silvesterabend im Theater am Bülowplatz werden<br />

für die Mitglieder zu einer liebgewonnenen Tradition.<br />

Der Schauspieler Friedrich Kayßler leitet das Haus<br />

am Bülowplatz von 1918 bis 1923. Ihm folgt Fritz Holl,<br />

der 1924 Erwin Piscator als Spielleiter an die <strong>Volksbühne</strong><br />

holt. Dessen Aufsehen erregenden Inszenierungen,<br />

die das Althergebrachte völlig umstülpen und politisch<br />

engagiertes Zeittheater zeigen, sorgen für stürmische<br />

Debatten in der gesamten Öffentlichkeit der Weimarer<br />

Republik. Auch innerhalb der <strong>Volksbühne</strong> kommt es zu<br />

heftigen Auseinandersetzungen, die darin gipfeln, dass<br />

sich der Vorstand von der Piscator-Inszenierung des<br />

Stückes „Gewiter über Gotland” von Ehm Welk distanziert<br />

und das Stück kurz nach der Premiere am 23.<br />

März 1927 absetzt. In einer Erklärung heißt es, „diese<br />

Art der Inszenierung stehe im Widerspruch mit der<br />

grundsätzlichen politischen Neutralität der <strong>Volksbühne</strong>,<br />

die zu wahren der Vorstand verpflichtet ist“.Der Vorgang<br />

löste einen Theaterskandal aus. In weiten Kreisen<br />

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