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Dokumentation PID, PND, Forschung an Embryonen - 3., erweiterte ...

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<strong>3.</strong>, <strong>erweiterte</strong> Auflage<br />

der <strong>Dokumentation</strong><br />

<strong>PID</strong>, <strong>PND</strong>, <strong>Forschung</strong><br />

<strong>an</strong> <strong>Embryonen</strong><br />

Aufsätze<br />

Berichte<br />

Diskussionsbeiträge<br />

Kommentare<br />

im Deutschen Ärzteblatt<br />

Beiträge aus 2000<br />

www.aerzteblatt.de/dossiers/embryonenforschung


V O R W O R T<br />

Als das Deutsche Ärzteblatt im Jahr 2002 seine<br />

<strong>erweiterte</strong> <strong>Dokumentation</strong> zu embryonaler<br />

Stammzellforschung, pränataler Diagnostik<br />

(<strong>PND</strong>) und Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

(<strong>PID</strong>) vorlegte, war die Diskussion über diese<br />

Themen in vollem G<strong>an</strong>ge. Ein Ende ist nach wie<br />

vor nicht in Sicht. Ausgelöst wurde der öffentliche<br />

Diskurs durch den vom Vorst<strong>an</strong>d der Bundesärztekammer<br />

vorgelegten „Diskussionsentwurf<br />

zu einer Richtlinie zur Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik“<br />

im März 2000.<br />

Von Anf<strong>an</strong>g <strong>an</strong> hat sich das Deutsche Ärzteblatt<br />

<strong>an</strong> der Debatte beteiligt und die unterschiedlichsten<br />

Stimmen zu Wort kommen lassen. In einem<br />

Sonderdruck aus dem Jahr 2001 wurden diese<br />

Beiträge, beginnend mit dem Diskussionsentwurf,<br />

zusammengefasst. Unmerklich verlagerte<br />

sich der Schwerpunkt d<strong>an</strong>n von der Diskussion<br />

über die Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik zur <strong>Forschung</strong><br />

<strong>an</strong> und mit <strong>Embryonen</strong> und zur Gewin-<br />

nung von Stammzellen. Die<br />

Meinungsbildung in der Ärzteschaft<br />

spiegelt sich in der<br />

Berichterstattung und Kommentierung<br />

des Deutschen<br />

Ärzteblattes wider,wie die ein<br />

Jahr später publizierte Materialsammlung beweist.Auch<br />

dieser Sonderdruck war – ebenso wie<br />

die erste Auflage – schnell vergriffen.<br />

Inzwischen sind im Deutschen Ärzteblatt zahlreiche<br />

weitere Beiträge zu der Thematik erschienen.<br />

Darin wird deutlich, dass nach wie vor großer<br />

Diskussionsbedarf besteht. So berichtete das DÄ<br />

beispielsweise über die Beschlusslage zur internationalen<br />

Klonkonvention. Bisher gibt es noch keine<br />

Einigung.Im November 2003 gingen die Vertreter<br />

der UN-Mitgliedstaaten ergebnislos ausein<strong>an</strong>der,<br />

sie verschoben die Verh<strong>an</strong>dlungen um weitere<br />

zwei Jahre. Es geht immer noch um die Frage, ob<br />

nur das reproduktive Klonen oder auch das therapeutische<br />

Klonen weltweit geächtet werden<br />

soll. Inzwischen ist es einem Team der südkore<strong>an</strong>ischen<br />

Nationaluniversität Seoul gelungen,<br />

menschliche <strong>Embryonen</strong> zu klonen. Als „Durchbruch<br />

in der Medizin“ haben die Forscher ihr Ex-<br />

Ein Ende der Diskussion<br />

über Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

und <strong>Embryonen</strong>forschung<br />

ist nicht in Sicht.<br />

2<br />

Dossier zur <strong>Embryonen</strong>forschung<br />

<strong>PID</strong>, <strong>PND</strong>, <strong>Forschung</strong> <strong>an</strong><br />

<strong>Embryonen</strong><br />

Das Deutsche Ärzteblatt gibt eine <strong>erweiterte</strong> <strong>Dokumentation</strong><br />

heraus, die im Internet abgerufen werden k<strong>an</strong>n.<br />

periment bezeichnet. Auf seiner Basis wollen sie<br />

Ersatzgewebe „therapeutisch klonen“, um Kr<strong>an</strong>ke<br />

zu heilen. Für Kritiker ist dieser Menschenversuch<br />

Anlass, noch vehementer ein internationales Klonverbot<br />

zu fordern. Doch die Haltung Deutschl<strong>an</strong>ds<br />

ist uneinheitlich. Während sich der Bundestag für<br />

ein absolutes Klonverbot ausgesprochen hatte,<br />

unterstützte die Regierung dies nicht. Während<br />

Bundesforschungsministerin Edelgard Bulmahn<br />

betonte, dass das therapeutische Klonen in<br />

Deutschl<strong>an</strong>d verboten sei und<br />

es auch bleibe, sprach sich<br />

Bundesjustizministerin Brigitte<br />

Zypries vor kurzem für<br />

eine Lockerung des <strong>Embryonen</strong>schutzgesetzes<br />

aus. Dies<br />

stieß auf teilweise scharfe Kritik<br />

aus der Ärzteschaft, bei Kirchen, aber auch Politikern.Ausführlich<br />

berichtet wurde im Deutschen<br />

Ärzteblatt auch über die Pläne der EU-Kommission,<br />

die <strong>Forschung</strong> <strong>an</strong> embryonalen Stammzellen<br />

mit Milliardensummen fin<strong>an</strong>ziell zu fördern.<br />

Im Bereich der pränatalen Diagnostik besteht<br />

ebenfalls weiterhin Klärungsbedarf. So werden<br />

zunehmend Forderungen erhoben, die Abtreibungsregelung<br />

zu ändern, da durch den Wegfall<br />

der embryopathischen Indikation Spätabtreibungen<br />

bis zur Geburt möglich geworden sind.<br />

Die Beiträge der DÄ-Redakteurinnen und<br />

-Redakteure zu diesen Themen sowie Aufsätze<br />

und Kommentare von Ärzten, Wissenschaftlern<br />

und Theologen mit teilweise konträren Ansichten<br />

sind in dieser <strong>erweiterte</strong>n <strong>Dokumentation</strong> veröffentlicht.<br />

Sie ist inzwischen so umf<strong>an</strong>greich geworden,<br />

dass eine Publikation als Sonderdruck<br />

den Rahmen sprengen würde, sodass sich die Redaktion<br />

entschlossen hat, sie online zu veröffentlichen.<br />

Zusätzlich können unter <strong>an</strong>derem<br />

auch der Diskussionsentwurf zu einer Richtlinie<br />

zur Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik, wichtige Gesetze,<br />

wie das <strong>Embryonen</strong>schutzgesetz und das<br />

Stammzellgesetz, Positionspapiere und Stellungnahmen<br />

sowie die Entschließungen der Deutschen<br />

Ärztetage zu dieser Thematik abgerufen<br />

werden. Gisela Klinkhammer<br />

Die Meinungsbildung in der<br />

Ärzteschaft spiegelt sich in<br />

der Berichterstattung und<br />

Kommentierung des Deutschen<br />

Ärzteblattes wider.


Als der Vorst<strong>an</strong>d der Bundesärztekammer<br />

den „Diskussionsentwurf zu einer<br />

Richtlinie zur Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik“<br />

vorlegte, rief er zugleich zu einem<br />

öffentlichen Diskurs auf. Der läuft seit<br />

nunmehr rund eineinhalb Jahren und<br />

hat einen kaum noch fassbaren Niederschlag<br />

in der Presse gefunden. Inzwischen<br />

bringen auch Funk und Fernsehen<br />

fast täglich Diskussionen nicht mehr<br />

nur zur Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

(<strong>PID</strong>), sondern auch zur <strong>Embryonen</strong>forschung.<br />

Das Deutsche Ärzteblatt hat sich<br />

von Anf<strong>an</strong>g <strong>an</strong> <strong>an</strong> dem Diskurs beteiligt<br />

und die unterschiedlichsten Stimmen<br />

zu Wort kommen lassen. In diesem<br />

Sonderdruck sind diese Beiträge, beginnend<br />

mit dem Diskussionsentwurf,<br />

zusammengefasst. Die Redaktion hat<br />

sich sehr um Vollständigkeit bemüht,<br />

gleichwohl k<strong>an</strong>n nicht ausgeschlossen<br />

werden, dass vielleicht ein Leserbrief<br />

oder eine kleinere Notiz fehlen. Die<br />

Diskussion ist im Übrigen keineswegs<br />

abgeschlossen. Weitere Beiträge für<br />

spätere Hefte des Deutschen Ärzteblattes<br />

sind in Satz – Stoff genug für eine<br />

allfällige <strong>erweiterte</strong> Auflage des Sonderdrucks.<br />

Der <strong>Dokumentation</strong> der im Deutschen<br />

Ärzteblatt erschienenen Beiträge<br />

sind vor<strong>an</strong>gestellt ein Interview mit dem<br />

Präsidenten der Bundesärztekammer<br />

und des Deutschen Ärztetages, geführt<br />

im Vorfeld des in diesen Tagen beginnenden<br />

104. Deutschen Ärztetages, sowie<br />

der Bericht über die einschlägige<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

Vorwort zur 1. Auflage<br />

Beiträge zum Diskurs<br />

Diskussion beim vor<strong>an</strong>geg<strong>an</strong>genen 10<strong>3.</strong><br />

Deutschen Ärztetag.<br />

Im Grunde genommen müsste eine<br />

vollständige <strong>Dokumentation</strong> über die<br />

Auffassungen der Ärzteschaft in der mit<br />

Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik zusammenhängenden<br />

Thematik weitaus früher beginnen,<br />

zumindest mit dem 88. Deutschen<br />

Ärztetag, der 1985 in Lübeck-Travemünde<br />

seine Haltung zur In-vitro-Fertilisation<br />

(IVF) formulierte. Bereits damals<br />

wurden die daraus entstehenden<br />

Probleme der <strong>Embryonen</strong>forschung klar<br />

erk<strong>an</strong>nt, der Umg<strong>an</strong>g mit den so gen<strong>an</strong>nten<br />

überzähligen <strong>Embryonen</strong> diskutiert.<br />

Der Ärztetag sprach sich schließlich<br />

mit großer Mehrheit zugunsten von IVF<br />

aus. Zur <strong>Embryonen</strong>forschung stellte er<br />

fest: „Experimente mit <strong>Embryonen</strong> sind<br />

grundsätzlich abzulehnen, soweit sie<br />

nicht der Verbesserung der Methode<br />

oder dem Wohle des Kindes dienen.“<br />

Diese Formulierung war ein wenig strenger<br />

als die Vorst<strong>an</strong>dsvorlage, entsprach<br />

aber noch einer zugleich vorgelegten<br />

Richtlinie des Wissenschaftlichen Beirates<br />

der Bundesärztekammer zur IVF (veröffentlicht<br />

in Heft 22/1985), die der Ärztetag<br />

pauschal „begrüßte“. In einer weiteren<br />

Richtlinie äußerte sich der Wissenschaftliche<br />

Beirat später, ohne Zutun des<br />

Ärztetages, zur <strong>Forschung</strong> <strong>an</strong> frühen<br />

menschlichen <strong>Embryonen</strong> (veröffentlicht<br />

in Heft 50/1985). D<strong>an</strong>ach dürfen<br />

menschliche <strong>Embryonen</strong> „grundsätzlich“<br />

nicht mit dem Ziel der Verwendung<br />

zu <strong>Forschung</strong>szwecken erzeugt werden.<br />

Mit der Formel „grundsätzlich“ wurden<br />

Impressum <strong>Dokumentation</strong> „<strong>PID</strong>, <strong>PND</strong>, <strong>Forschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Embryonen</strong>“<br />

Chefredakteur: Norbert Jachertz, Köln<br />

(ver<strong>an</strong>twortlich für den Gesamtinhalt im Sinne der<br />

gesetzlichen Bestimmungen)<br />

Chefs vom Dienst: Gisela Klinkhammer, Herbert Moll<br />

Redaktion: Norbert Jachertz, Gisela Klinkhammer, Michael Schmedt (Internet)<br />

Technische Redaktion: Jörg Kremers, Michael Peters<br />

Schlussredaktion: Helmut Werner<br />

Verlag: Deutscher Ärzte-Verlag GmbH, Köln<br />

erhebliche Sp<strong>an</strong>nungen innerhalb des<br />

Beirates zu dieser Frage überdeckt. Die<br />

Richtlinien sprechen sich hingegen eindeutig<br />

für Untersuchungen, die der<br />

Verbesserung der Lebensbedingungen<br />

des jeweiligen Embryos und gleichzeitig<br />

dem wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn<br />

dienen,aus,sofern Nutzen und Risiken<br />

mitein<strong>an</strong>der sorgfältig abgewogen<br />

werden.<br />

Der 91. Deutsche Ärztetag beschloss<br />

1988 in Fr<strong>an</strong>kfurt eine Änderung der<br />

(Muster-)Berufsordnung. Die Delegierten<br />

entschieden sich für einen Mittelweg:<br />

Die Erzeugung von <strong>Embryonen</strong> für<br />

<strong>Forschung</strong>szwecke wurde untersagt und<br />

dem ein weiterer Satz hinzugefügt:<br />

„Grundsätzlich verboten ist auch die<br />

<strong>Forschung</strong> <strong>an</strong> menschlichen <strong>Embryonen</strong>.“<br />

Bei Einhaltung strikter Kriterien<br />

wurden allerdings <strong>Forschung</strong>en für<br />

zulässig gehalten,sofern sie der Deklaration<br />

von Helsinki entsprechen.<br />

Machen wir einen Sprung zum 100.<br />

Deutschen Ärztetag 1997 in Eisenach.<br />

Die damals neu strukturierte, bis heute<br />

geltende (Muster-)Berufsordnung verbietet<br />

gleichfalls die Erzeugung von menschlichen<br />

<strong>Embryonen</strong> zu <strong>Forschung</strong>szwecken.Verboten<br />

sind ferner diagnostische<br />

Maßnahmen <strong>an</strong> <strong>Embryonen</strong>, „es sei<br />

denn, es h<strong>an</strong>delt sich um Maßnahmen<br />

zum Ausschluss schwerwiegender geschlechtsgebundener<br />

Erkr<strong>an</strong>kungen im<br />

Sinne § 3 <strong>Embryonen</strong>schutzgesetz“.<br />

Und das gehört der Vollständigkeit<br />

halber dazu: Seit 1991 gilt das <strong>Embryonen</strong>schutzgesetz<br />

mit seinen strengen<br />

Regeln – strengeren als sie 1985 von der<br />

ärztlichen Selbstverwaltung und ihren<br />

wissenschaftlichen Beratern formuliert<br />

worden waren. Norbert Jachertz<br />

3


4<br />

I N H A L T<br />

<strong>Dokumentation</strong> in chronologischer Reihenfolge<br />

Vorwort zur <strong>3.</strong> Auflage:<br />

<strong>PID</strong>, <strong>PND</strong>, <strong>Forschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Embryonen</strong>. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2<br />

Vorwort zur 1. Auflage:<br />

Beiträge zum Diskurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3<br />

Beiträge aus dem Jahr 2000<br />

Diskussionsentwurf zu einer Richtlinie<br />

zur Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5<br />

Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik: Am R<strong>an</strong>de der schiefen Bahn . . . 9<br />

Norbert Jachertz<br />

Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik:<br />

Auftakt des öffentlichen Diskurses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10<br />

Sabine Rieser<br />

Plädoyer für eine unvoreingenommene, offene Debatte. . . . . . 12<br />

Ulrike Riedel<br />

Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik: Mensch von Anf<strong>an</strong>g <strong>an</strong> . . . . . . . . . . . 14<br />

Joachim Kardinal Meisner<br />

Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik: Kein Blick aufs G<strong>an</strong>ze . . . . . . . . . . . . . 14<br />

Sabine Rieser<br />

Diskussion zu dem Diskussionsentwurf zu einer<br />

Richtlinie der Bundesärztekammer und den dazu<br />

erschienenen Berichten und Kommentaren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15<br />

Wissenschaftlicher Beirat der Bundesärztekammer:<br />

Von richtigen rechtlichen Voraussetzungen ausgehen . . . . . . . . . 25<br />

Prof. Dr. Dr. med. h. c. H.-L. Schreiber<br />

Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik als Ver<strong>an</strong>twortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27<br />

Der Vorst<strong>an</strong>d des Wissenschaftlichen Beirates der Bundesärztekammer<br />

Schöne Neue Welt: Muss m<strong>an</strong> alles machen, was m<strong>an</strong> k<strong>an</strong>n? . . 28<br />

Dr. med. Fr<strong>an</strong>k Ulrich Montgomery<br />

Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik – medizinische,<br />

ethische und rechtliche Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30<br />

Prof. Dr. med. Herm<strong>an</strong>n Hepp<br />

Medizinethik: Mindestmaß <strong>an</strong> Schutz für die Zukunft . . . . . . . . . . 37<br />

Gisela Klinkhammer, Thomas Gerst<br />

Fortpfl<strong>an</strong>zungsmedizin: Absage <strong>an</strong> jede Art<br />

eugenischer Zielsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38<br />

Gisela Klinkhammer<br />

Nochmals: Öffentlicher Diskurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41<br />

Ethisches Dilemma der Fortpfl<strong>an</strong>zungsmedizin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48<br />

Gisela Klinkhammer<br />

Unterschiedliche Schutzwürdigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49<br />

Gisela Klinkhammer<br />

Zunehmendes Lebensrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50<br />

Ministerialrat a. D. Dr. jur. Rudolf Neidert<br />

Diskussion: Zunehmendes Lebensrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54<br />

Gibt es das Recht auf ein gesundes Kind? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57<br />

Dr. theol. Mirjam Zimmerm<strong>an</strong>n, Dr. theol. Ruben Zimmerm<strong>an</strong>n


Heft 9, <strong>3.</strong> März 2000<br />

Vorwort<br />

Die assistierte Reproduktion bei Störungen<br />

der Fertilität ist heute ein fester<br />

Best<strong>an</strong>dteil der Reproduktionsmedizin<br />

und hilft vielen Paaren, den dringenden<br />

Kinderwunsch zu erfüllen. Mit Hilfe zyto-<br />

und molekulargenetischer Methoden<br />

können im Rahmen der In-vitro-<br />

Fertilisation (IVF) schon in einer sehr<br />

frühen Phase der Entwicklung menschlichen<br />

Lebens Veränderungen (Mutationen)<br />

im Erbgut untersucht und erk<strong>an</strong>nt<br />

werden, die auch zu schweren<br />

körperlichen und geistigen Fehlbildungen<br />

führen (Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik,<br />

englisch: preimpl<strong>an</strong>tation genetic<br />

diagnosis = PGD). Mit der IVF – ohne<br />

Vorliegen einer Fertilitätsstörung – als<br />

Voraussetzung für eine PGD stößt die<br />

Medizin in Grenzbereiche ärztlichen<br />

H<strong>an</strong>delns vor. Mit der PGD werden<br />

schwerwiegende und kontrovers diskutierte<br />

rechtliche und ethische Probleme<br />

aufgeworfen, die auf der ethischen Seite<br />

gekennzeichnet sind durch Sachverhalte,<br />

die schwierig mitein<strong>an</strong>der zu vereinbaren<br />

sind: Auf der einen Seite wird<br />

durch aktives ärztliches H<strong>an</strong>deln mit<br />

der IVF die Entwicklung menschlichen<br />

Lebens mit dem Ziel einer Schw<strong>an</strong>gerschaft<br />

eingeleitet, und auf der <strong>an</strong>deren<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

Diskussionsentwurf zu einer Richtlinie<br />

zur Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

Mit dem vorliegenden „Diskussionsentwurf zu einer Richtlinie zur<br />

Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik“ beabsichtigt die Bundesärztekammer,<br />

einen Beitrag zur gesamtgesellschaftlichen Diskussion auf diesem so<br />

schwierigen und sensiblen Gebiet der Fortpfl<strong>an</strong>zungsmedizin zu leisten.<br />

Die besonderen ethischen Konflikte, die mit der Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

verbunden sind, können nur d<strong>an</strong>n vermieden werden,<br />

wenn betroffene Paare bewusst auf Kinder verzichten oder sich zu<br />

einer Adoption entschließen. Wie Gespräche mit Paaren mit hohen<br />

genetischen Risikofaktoren zeigen, werden diese Alternativen häufig<br />

jedoch nicht akzeptiert. In zehn Staaten der<br />

Europäischen Union ist die Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

bereits heute zulässig. Weltweit<br />

wurde die Methode bei mehr als 400 Paaren durchgeführt; bis heute<br />

wurden über 100 Kinder nach Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik geboren.<br />

Deshalb muss die Gesellschaft im öffentlichen Diskurs entscheiden,<br />

ob und inwieweit die Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik in Deutschl<strong>an</strong>d<br />

Anwendung finden soll.<br />

Die ethische Diskussion umfasst im Kern den Konflikt, dass nach<br />

einer künstlichen Befruchtung zur Herbeiführung einer Schw<strong>an</strong>gerschaft<br />

der invitro gezeugte Embryo im Falle des Nachweises einer<br />

schweren genetischen Schädigung unter Umständen nicht in die Ge-<br />

Zum Hintergrund<br />

Seite wird zugelassen, dass ein so gezeugter<br />

Embryo unter Umständen nicht<br />

in die Gebärmutter tr<strong>an</strong>sferiert wird<br />

und mit ihm nicht die Entstehung einer<br />

Schw<strong>an</strong>gerschaft <strong>an</strong>gestrebt wird (bedingte<br />

Zeugung). Die Frage, ob es sich<br />

dabei um eine Ausnahme vom Tötungsverbot<br />

h<strong>an</strong>delt, zum Beispiel vor dem<br />

Hintergrund eines abgestuften Schutzkonzepts,<br />

oder keine Tötung vorliegt,<br />

wird unterschiedlich be<strong>an</strong>twortet und<br />

bedarf noch einer abschließenden rechtlichen<br />

Diskussion und Würdigung.<br />

Die Bundesärztekammer hielt es vor<br />

diesem Hintergrund für geboten, durch<br />

ihren Wissenschaftlichen Beirat einen<br />

Diskussionsentwurf zu einer Richtlinie<br />

zur PGD erarbeiten zu lassen. Damit<br />

soll versucht werden, den ethischen<br />

Normen, den gesetzlichen Regelungen,<br />

dem St<strong>an</strong>d der Wissenschaft und der<br />

Diskussion auf dem Gebiet der PGD<br />

gleichermaßen gerecht zu werden.<br />

Die Bioethik-Kommission des L<strong>an</strong>des<br />

Rheinl<strong>an</strong>d-Pfalz hat in ihrem Bericht<br />

„Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik – Thesen<br />

zu den medizinischen, rechtlichen und<br />

ethischen Problemstellungen“ 1 zu diesem<br />

Thema Stellung genommen und<br />

hält unter eng beschriebenen Voraussetzungen<br />

die PGD für zulässig. Dieser Bericht<br />

enthält eine ausführliche Darle-<br />

bärmutter tr<strong>an</strong>sferiert wird. Diese schwerwiegende grundsätzliche<br />

ethische Entscheidung liegt im Falle der Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

zunächst in der Ver<strong>an</strong>twortung des betroffenen Paares und d<strong>an</strong>n –<br />

aufgrund des durchzuführenden medizinischen Verfahrens – gleichermaßen<br />

auch beim Arzt. Die Ärzteschaft muss sich daher mit dem<br />

Thema „Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik“ befassen: Wenn die Gesellschaft<br />

die Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik mehrheitlich möchte, d<strong>an</strong>n<br />

sind Rechtssicherheit und ein hohes Schutzniveau nur über Zulassungskriterien<br />

zu erreichen, die streng und äußerst restriktiv zu fassen<br />

sind. Dies wäre berufsrechtlich nur auf dem<br />

Wege einer Richtlinie zu erreichen, die eine Einzelfallbegutachtung<br />

vorschreibt. Darüber hinaus<br />

ist es unverzichtbar, dass die nicht rein medizinischen Aspekte<br />

dieses Verfahrens im Zivil- und Strafrecht durch den Bundesgesetzgeber<br />

geregelt werden müssen.<br />

Die Bundesärztekammer will mit dem vorgelegten Diskussionsentwurf<br />

zur Schärfung des Problembewusstseins im gesamtgesellschaftlichen<br />

Meinungsbildungsprozess beitragen und nicht das Ergebnis<br />

einer breiten gesellschaftlichen Diskussion über die Anwendung<br />

dieses neuen medizinischen Verfahrens in Deutschl<strong>an</strong>d<br />

präjudizieren.<br />

gung der Problematik sowie ein umf<strong>an</strong>greiches<br />

Literaturverzeichnis.<br />

Die außer Frage stehende Schutzbedürftigkeit<br />

des ungeborenen Lebens setzt<br />

dem Umg<strong>an</strong>g mit <strong>Embryonen</strong> Schr<strong>an</strong>ken,<br />

die unter <strong>an</strong>derem gekennzeichnet<br />

sind durch das Verbot von Untersuchungen<br />

<strong>an</strong> <strong>Embryonen</strong> im Stadium der zellulären<br />

Totipotenz und das Verbot der<br />

„fremdnützigen“ Verwendung von <strong>Embryonen</strong>,<br />

also jeglicher verbrauchender<br />

<strong>Embryonen</strong>forschung und -diagnostik.<br />

Das <strong>Embryonen</strong>schutzgesetz verbietet<br />

die PGD <strong>an</strong> totipotenten Zellen; dieser<br />

gesetzlichen Vorgabe wird im Richtlinienvorschlag<br />

gefolgt. Diese Beschränkung<br />

gilt unabhängig von einem möglicherweise<br />

sich verändernden Kenntnisst<strong>an</strong>d, ab<br />

w<strong>an</strong>n embryonale Zellen nicht mehr als<br />

totipotent einzustufen sind. Nach dem<br />

derzeitigen St<strong>an</strong>d der Wissenschaft gelten<br />

Zellen nach Abschluss des Acht-Zell-Stadiums<br />

als nicht mehr totipotent. Basierend<br />

auf dieser wissenschaftlichen Erkenntnis,<br />

dist<strong>an</strong>ziert sich der Richtlinienvorschlag<br />

unmissverständlich von allen<br />

Ged<strong>an</strong>ken,Vorstellungen und unter Um-<br />

1 Bericht der Bioethik-Kommission des L<strong>an</strong>des Rheinl<strong>an</strong>d-<br />

Pfalz vom 20. 7. 1999: „Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik –<br />

Thesen zu den medizinischen, rechtlichen und ethischen<br />

Problemstellungen“. Ministerium der Justiz Rheinl<strong>an</strong>d-<br />

Pfalz<br />

5


ständen Absichten zur Erzeugung von<br />

Menschen durch jede Art von Klonierung,<br />

auch solche aus totipotenten embryonalen<br />

Zellen.<br />

Die Indikation für eine PGD ist<br />

insbesondere im Hinblick auf die sich<br />

daraus ergebenden Konsequenzen äußerst<br />

eng zu stellen und bedarf einer<br />

sorgfältigen Güterabwägung, bei<br />

der das grundsätzliche Primat des<br />

Schutzes ungeborenen Lebens, der<br />

Schweregrad, die Prognose und die<br />

Therapiemöglichkeiten der infrage stehenden<br />

Erkr<strong>an</strong>kung und die gesundheitliche<br />

Gefährdung der zukünftigen<br />

Schw<strong>an</strong>geren oder Mutter berücksichtigt<br />

werden müssen. Dies beinhaltet<br />

auch, dass die Indikation für eine PGD<br />

deutlich enger zu stellen ist als für eine<br />

Pränataldiagnostik. Die PGD k<strong>an</strong>n allerdings<br />

im Einzelfall die spätere Pränataldiagnostik<br />

ersetzen und damit zu einer<br />

Konfliktreduzierung beitragen, weil<br />

sie Entscheidungen über einen eventuellen<br />

Abbruch einer fortgeschrittenen<br />

Schw<strong>an</strong>gerschaft vermeidet.<br />

Die Bundesärztekammer orientiert<br />

sich <strong>an</strong> einem Menschenbild, das<br />

nicht reduktionistisch auf der Summe<br />

genetischer Informationen beruht,<br />

sondern vielmehr von Respekt vor<br />

allen Menschen, einschließlich denen<br />

mit geistigen, seelischen und körperlichen<br />

Beeinträchtigungen, geprägt ist.<br />

Auch dies schlägt sich in der Forderung<br />

nach einem sehr restriktiven<br />

Einsatz der PGD nieder und begründet<br />

gleichzeitig eine deutliche Absage<br />

<strong>an</strong> jede Art eugenischer Selektion und<br />

Zielsetzung.<br />

Die derzeitige Praxis der IVF ist<br />

es, bis zu drei Eizellen zu befruchten.<br />

Bei gemäß den strengen Kriterien des<br />

Richtlinienvorschlags vorliegender Indikation<br />

für eine PGD ist es sinnvoll,<br />

alle drei <strong>Embryonen</strong> nach Abschluss<br />

des Acht-Zell-Stadiums der PGD zu<br />

unterziehen. Der Umg<strong>an</strong>g mit einem<br />

aus der PGD resultierenden pathologischen<br />

Befund fordert von allen Beteiligten,<br />

dem betroffenen Paar wie<br />

den beratenden und den beh<strong>an</strong>delnden<br />

Ärzten, eine große Fähigkeit und<br />

Bereitschaft zu hinreichend konfliktarmen<br />

Lösungen. Für diese gibt es keine<br />

allgemein gültigen Regeln, sondern<br />

nur ver<strong>an</strong>twortungsbewusste Einzelfallentscheidungen,<br />

die auf der Basis<br />

6<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

umfassender Aufklärung und Beratung<br />

getroffen werden müssen.<br />

Die Entscheidung über den Tr<strong>an</strong>sfer<br />

eines jeden einzelnen Embryos in<br />

die Gebärmutter beruht in Würdigung<br />

des Lebensrechts des Kindes auf den<br />

einzelfallbezogenen Abwägungen der<br />

befürchteten gesundheitlichen Gefährdung<br />

der Frau und der zu erwartenden<br />

Erkr<strong>an</strong>kung des Kindes. Hierbei<br />

geht es ausschließlich um das Risiko<br />

einer schweren genetischen Erkr<strong>an</strong>kung,<br />

nicht um eine eugenisch orientierte<br />

Nachkommenspl<strong>an</strong>ung.<br />

Eine Hilfe für die <strong>an</strong> einer PGD<br />

beteiligten Ärzte, aber auch gleichzeitig<br />

ein Schutz vor Missbrauch der<br />

PGD sind die unabdingbare Forderung<br />

nach frühzeitiger Einschaltung<br />

einer bei der L<strong>an</strong>desärztekammer gebildeten<br />

Kommission sowie die Institutionalisierung<br />

einer ebenfalls im<br />

Einzelfall einzuschaltenden zentralen<br />

„Kommission Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik“<br />

bei der Bundesärztekammer.<br />

Dies soll sicherstellen, dass in Deutschl<strong>an</strong>d<br />

eine PGD nach einheitlichen<br />

Grundsätzen erfolgt und Fehlentwicklungen<br />

rechtzeitig erk<strong>an</strong>nt und<br />

abgestellt werden können.<br />

Mit Vorlage dieses Diskussionsentwurfes<br />

zu einer Richtlinie zur Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

strebt die Bundesärztekammer<br />

einen Diskurs mit den gesellschaftlichen<br />

Gruppen <strong>an</strong> und erhofft<br />

sich dabei einen offenen und sachlichen,<br />

gleichwohl kritischen Dialog. Sie<br />

hält eine Regelung für <strong>an</strong>gemessen, die<br />

einerseits die Möglichkeiten der modernen<br />

Diagnostik nicht unsachgemäß<br />

einengt, zum <strong>an</strong>deren aber auch das<br />

Schutzbedürfnis des menschlichen Lebens<br />

und die Achtung der Menschen<br />

ernst nimmt, die <strong>an</strong> der Furcht vor einem<br />

genetisch bedingt schwerstkr<strong>an</strong>ken<br />

Kind gesundheitlich zu zerbrechen<br />

drohen. Der Entwurf soll einen Beitrag<br />

zu dieser notwendigen Diskussion leisten<br />

und dazu dienen,eine sachgerechte<br />

Regelung herbeizuführen.<br />

Prof. Dr. med. Jörg-Dietrich Hoppe,<br />

Präsident der Bundesärztekammer<br />

und des Deutschen Ärztetages<br />

Prof. Dr. med. Karl-Friedrich Sewing,<br />

Vorsitzender des Wissenschaftlichen<br />

Beirates der Bundesärztekammer<br />

1. Definition<br />

Unter Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik (englisch:<br />

preimpl<strong>an</strong>tation genetic diagnosis<br />

= PGD) versteht m<strong>an</strong> die Diagnostik<br />

<strong>an</strong> einem Embryo in vitro vor dem<br />

intrauterinen Tr<strong>an</strong>sfer hinsichtlich der<br />

Veränderung des Erbmaterials, die zu<br />

einer schweren Erkr<strong>an</strong>kung führt.<br />

2. Indikationsgrundlage<br />

Die Indikation zur Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

k<strong>an</strong>n nur bei solchen Paaren<br />

gestellt werden, für deren Nachkommen<br />

ein hohes Risiko für eine bek<strong>an</strong>nte<br />

und schwerwiegende, genetisch bedingte<br />

Erkr<strong>an</strong>kung besteht.<br />

Bei einer PGD darf nur auf diejenige<br />

Veränderung des Erbmaterials untersucht<br />

werden, die zu der infrage stehenden<br />

schweren genetischen Erkr<strong>an</strong>kung<br />

führt, für die das Paar ein hohes genetisches<br />

Risiko hat. Von daher ist bei beiden<br />

Partnern eine kompetente molekulargenetische<br />

und/oder zytogenetische<br />

Untersuchung hinsichtlich des bei der<br />

Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik zu ermittelnden<br />

Erkr<strong>an</strong>kungsrisikos unabdingbare<br />

Voraussetzung.<br />

Der Anwendungsbereich der PGD<br />

liegt nach derzeitigem Kenntnisst<strong>an</strong>d<br />

bei monogen bedingten Erkr<strong>an</strong>kungen<br />

und bei Chromosomenstörungen.<br />

Von entscheidender Bedeutung sind<br />

dabei der Schweregrad, die Therapiemöglichkeiten<br />

und die Prognose der infrage<br />

stehenden Kr<strong>an</strong>kheit. Ausschlaggebend<br />

ist, dass diese Erkr<strong>an</strong>kung zu<br />

einer schwerwiegenden gesundheitlichen<br />

Beeinträchtigung der zukünftigen<br />

Schw<strong>an</strong>geren beziehungsweise der<br />

Mutter führen könnte.<br />

Eugenische Ziele dürfen mit der<br />

Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik nicht verfolgt<br />

werden.<br />

Keine Indikation für eine Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

sind insbesondere die<br />

Geschlechtsbestimmung ohne Kr<strong>an</strong>kheitsbezug,<br />

das Alter der Eltern sowie<br />

eine Sterilitätstherapie durch assistierte<br />

Reproduktion. Auch spät m<strong>an</strong>ifestierende<br />

Erkr<strong>an</strong>kungen gelten in der Regel<br />

nicht als Indikation.<br />

Die Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik erfordert<br />

eine assistierte Reproduktion.<br />

Sie ist damit eine zusätzliche Indikation


für die assistierte Reproduktion (Vergleiche:<br />

Richtlinien zur Durchführung<br />

der assistierten Reproduktion, Dt Ärztebl<br />

1998; 95:A-3166–3171 [Heft 49]).<br />

<strong>3.</strong> Zulassungsbedingungen für<br />

die Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

<strong>3.</strong>1. Berufsrechtliche Voraussetzungen<br />

Bei der Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik h<strong>an</strong>delt<br />

es sich um ein spezielles medizinisches<br />

Verfahren, bei dem die Empfehlungen<br />

von § 13 Abs. 1 der (Muster-)Berufsordnung<br />

eingehalten werden müssen².<br />

Soweit in diesen Richtlinien nichts<br />

Abweichendes bestimmt ist, gelten die<br />

Richtlinien zur Durchführung der assistierten<br />

Reproduktion.<br />

Die beabsichtigte Durchführung der<br />

Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik ist der Ärztekammer<br />

mit dem Nachweis <strong>an</strong>zuzeigen,<br />

dass die in diesen Richtlinien festgelegten<br />

berufsrechtlichen Anforderungen<br />

erfüllt sind. Änderungen der berufsrechtlichen<br />

Voraussetzungen sind der<br />

Ärztekammer unverzüglich <strong>an</strong>zuzeigen.<br />

Kein Arzt k<strong>an</strong>n gegen sein Gewissen<br />

verpflichtet werden, <strong>an</strong> einer Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

mitzuwirken.<br />

<strong>3.</strong>1.1. Antragsverfahren<br />

Der ver<strong>an</strong>twortliche Leiter des Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik-Vorhabens<br />

legt<br />

der bei der jeweiligen L<strong>an</strong>desärztekammer<br />

gebildeten Kommission den Antrag<br />

mit einem zusätzlichen Exemplar<br />

zur Weiterleitung <strong>an</strong> die „Kommission<br />

Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik“ der Bundesärztekammer<br />

vor.<br />

Der Antrag muss enthalten:<br />

❃ eine ausführliche, <strong>an</strong>onymisierte<br />

Fallbeschreibung,<br />

❃ die zugrunde liegende medizinische<br />

Indikation nach Beratung,<br />

❃ Erörterung der befürchteten<br />

schwerwiegenden gesundheitlichen Beeinträchtigung<br />

der Frau,<br />

❃ Darlegung der gepl<strong>an</strong>ten Vorgehensweise,<br />

² § 13 Abs. 1 MBO (1997): „Bei speziellen medizinischen<br />

Maßnahmen oder Verfahren, die ethische Probleme aufwerfen<br />

und zu denen die Ärztekammer Empfehlungen<br />

zur Indikationsstellung und zur Ausführung festgelegt<br />

hat, hat der Arzt die Empfehlungen zu beachten.“<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

❃ eine Aussage zur ethischen und<br />

rechtlichen Vertretbarkeit.<br />

<strong>3.</strong>1.2. Bei der L<strong>an</strong>desärztekammer<br />

gebildete Kommission<br />

Die Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik k<strong>an</strong>n<br />

im Einzelfall erst d<strong>an</strong>n durchgeführt<br />

werden, nachdem zuvor ein zustimmendes<br />

Votum der bei der jeweiligen L<strong>an</strong>desärztekammer<br />

gebildeten Kommission<br />

eingeholt wurde. Von dieser Kommission<br />

sollen Vertreter der fallbezogenen<br />

Fachrichtungen hinzugezogen werden.<br />

Darüber hinaus soll sie vor Abgabe<br />

ihres Votums eine Stellungnahme der<br />

„Kommission Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik“<br />

der Bundesärztekammer einholen<br />

und sich mit dieser in der Beurteilung<br />

des Antrages ausdrücklich ausein<strong>an</strong>der<br />

setzen.<br />

Die bei der L<strong>an</strong>desärztekammer gebildete<br />

Kommission teilt das Ergebnis<br />

der „Kommission Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik“<br />

der Bundesärztekammer mit.<br />

<strong>3.</strong>1.<strong>3.</strong> „Kommission Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik“<br />

der Bundesärztekammer<br />

Die „Kommission Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik“<br />

wird als beratender Ausschuss<br />

der Bundesärztekammer eingerichtet.<br />

Die „Kommission Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik“<br />

soll:<br />

❃ das Votum gegenüber der bei der<br />

L<strong>an</strong>desärztekammer gebildeten Kommission<br />

abgeben,<br />

❃ auf eine Vereinheitlichung der Begutachtungspraxis<br />

hinwirken,<br />

❃ die nationale und internationale<br />

Entwicklung beobachten und bewerten,<br />

❃ jährlich auf der Grundlage ihrer<br />

<strong>Dokumentation</strong> einen Bericht erstellen<br />

und veröffenlichen.<br />

In der „Kommission Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik“<br />

sollen die Disziplinen<br />

Hum<strong>an</strong>genetik, Gynäkologie, Andrologie,<br />

Pädiatrie, Ethik und Recht vertreten<br />

sein. Psychosoziale Aspekte sollen<br />

berücksichtigt werden.<br />

<strong>3.</strong>2. Fachliche, personelle und<br />

technische Voraussetzungen<br />

Die Durchführung einer Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

muss Einrichtungen vorbehalten<br />

sein, in denen routinemäßig Invitro-Fertilisation<br />

gemäß den Richtlinien<br />

zur Durchführung der assistierten Reproduktion<br />

durchgeführt wird. Die Entnahme<br />

einer Blastomere setzt entsprechende<br />

Erfahrung des Durchführenden,<br />

zum Beispiel durch ICSI, voraus, die gewährleistet,<br />

dass einerseits eine diagnostisch<br />

verwertbare Blastomere gewonnen<br />

wird, <strong>an</strong>dererseits der Embryo durch<br />

den Eingriff nicht geschädigt wird. Hierfür<br />

sind umf<strong>an</strong>greiche tierexperimentelle<br />

Erfahrungen Voraussetzung.<br />

Insbesondere müssen die ver<strong>an</strong>twortlichen<br />

Mitarbeiter über folgende<br />

Kenntnisse und Erfahrungen verfügen:<br />

Alle Bereiche gemäß den Richtlinien<br />

zur Durchführung der assistierten Reproduktion<br />

müssen abgedeckt sein sowie<br />

zusätzlich:<br />

❃ Hum<strong>an</strong>genetik,<br />

❃ Molekulargenetik beziehungsweise<br />

Zytogenetik <strong>an</strong> Einzelzellen.<br />

Der Reproduktionsbiologe der Arbeitsgruppe<br />

muss über spezielle Kenntnisse<br />

verfügen im Bereich der<br />

❃ Einzelzellentnahme aus mehrzelligen<br />

<strong>Embryonen</strong>,<br />

❃ Verarbeitung von einzelnen Blastomeren<br />

zum Zweck der genetischen<br />

Diagnostik.<br />

Die Molekulargenetiker beziehungsweise<br />

Zytogenetiker, welche die genetische<br />

Diagnostik durchführen, müssen<br />

über entsprechende Erfahrungen in<br />

der speziellen zur Diagnostik <strong>an</strong>stehenden<br />

molekularen beziehungsweise zytogenetischen<br />

Aberration in der Pränatalmedizin<br />

und <strong>an</strong> Einzelzellen verfügen.<br />

<strong>3.</strong>2.1. Qualifikation des<br />

Arbeitsgruppenleiters<br />

Die Leitung der Arbeitsgruppe „Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik“<br />

obliegt einem<br />

Facharzt für Gynäkologie und Geburtshilfe,<br />

der spezialisiert ist in gynäkologischer<br />

Endokrinologie und Fortpfl<strong>an</strong>zungsmedizin<br />

gemäß Weiterbildungsrecht<br />

der L<strong>an</strong>desärztekammern.<br />

Der in der Arbeitsgruppe tätige<br />

Facharzt für Hum<strong>an</strong>genetik ist für die<br />

Durchführung der molekular- und zytogenetischen<br />

Untersuchungen ver<strong>an</strong>twortlich.<br />

Die Zusatzbezeichnung Medizinische<br />

Genetik ist dieser Spezialisierung<br />

nicht gleichwertig.<br />

Dem Leiter der Arbeitsgruppe obliegt<br />

die ver<strong>an</strong>twortliche Überwachung<br />

7


der in diesen Richtlinien festgeschriebenen<br />

Maßnahmen.<br />

<strong>3.</strong>2.2. Sachliche Voraussetzungen<br />

Neben den sachlichen Voraussetzungen<br />

gemäß den Richtlinien zur Durchführung<br />

der assistierten Reproduktion<br />

muss zusätzlich ein molekulargenetisches<br />

und zytogenetisches Labor als<br />

ständige Einrichtung verfügbar sein.<br />

4. Durchführungsbedingungen<br />

4.1. Aufklärung, Beratung<br />

und Einwilligung<br />

Voraussetzung für die Durchführung<br />

von PGD ist eine ausführliche Aufklärung<br />

und Beratung des Paares über<br />

das Verfahren, seine Vor- und Nachteile<br />

sowie mögliche Folgen der Methode.<br />

Dem Paar muss eine psychosoziale Beratung<br />

<strong>an</strong>geboten werden.<br />

Die Beratung und Aufklärung durch<br />

den Hum<strong>an</strong>genetiker und den Gynäkologen<br />

muss sich auf mögliche Alternativen<br />

erstrecken, wie zum Beispiel<br />

❃ Adoption oder Verzicht auf eigene<br />

Kinder,<br />

❃ im Falle einer Schw<strong>an</strong>gerschaft die<br />

Möglichkeit zur pränatalen Diagnostik<br />

der infrage kommenden genetisch bedingten<br />

Erkr<strong>an</strong>kung.<br />

Gegenst<strong>an</strong>d der Beratung und Aufklärung<br />

durch Gynäkologen und Hum<strong>an</strong>genetiker<br />

müssen darüber hinaus<br />

sein:<br />

❃ die bei der assistierten Reproduktion<br />

notwendigen Maßnahmen,<br />

❃ der Hinweis auf den zeitlichen<br />

Aufw<strong>an</strong>d des Verfahrens,<br />

❃ der Hinweis auf die Risiken der<br />

Methode (Operations- und Narkoserisiko,<br />

Überstimulationssyndrom, Mehrlingsschw<strong>an</strong>gerschaften),<br />

❃ die Erörterung der Erfolgsch<strong>an</strong>cen<br />

hinsichtlich einer Schw<strong>an</strong>gerschaft<br />

und der Geburt eines nicht von<br />

der infrage stehenden genetisch bedingten<br />

Erkr<strong>an</strong>kung betroffenen Kindes,<br />

❃ der Umg<strong>an</strong>g mit gegebenenfalls<br />

nicht tr<strong>an</strong>sferierten <strong>Embryonen</strong>.<br />

Es ist die schriftliche Einwilligung<br />

beider Partner für die Durchführung<br />

der PGD sowie deren grundsätzliche<br />

Einwilligung für den <strong>an</strong>schließenden<br />

8<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

Tr<strong>an</strong>sfer erforderlich. Zur Absicherung<br />

des Ergebnisses der PGD sollte mit<br />

dem Paar auch die spätere Möglichkeit<br />

der pränatalen Diagnostik erörtert werden.<br />

Nach PGD ist in einem erneuten<br />

Aufklärungs- und Beratungsgespräch<br />

mit dem Paar zu klären, ob und gegebenenfalls<br />

welche der <strong>Embryonen</strong> tr<strong>an</strong>sferiert<br />

werden sollen; für den Tr<strong>an</strong>sfer<br />

ist die Einwilligung der Frau erforderlich.<br />

4.2. Gewinnung von Blastomeren und<br />

Tr<strong>an</strong>sfer von <strong>Embryonen</strong><br />

Totipotente Zellen, die im Sinne von § 8<br />

des <strong>Embryonen</strong>schutzgesetzes als Embryo<br />

gelten, dürfen für die Diagnostik<br />

nicht verwendet werden. Die Entnahme<br />

von Blastomeren darf nur nach dem<br />

Acht-Zell-Stadium durchgeführt werden,<br />

da sie nach dem derzeitigen Kenntnisst<strong>an</strong>d<br />

d<strong>an</strong>n nicht mehr totipotent<br />

sind. Bei einer Entnahme im Rahmen<br />

einer Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik muss<br />

gewährleistet sein, dass die weitere Entwicklung<br />

des Embryos nicht beeinträchtigt<br />

wird.<br />

4.<strong>3.</strong> Nicht tr<strong>an</strong>sferierte <strong>Embryonen</strong><br />

<strong>Embryonen</strong>, die nicht tr<strong>an</strong>sferiert werden<br />

sollen, dürfen nicht kultiviert, kryokonserviert<br />

oder <strong>an</strong>derweitig verwendet<br />

werden.<br />

4.4. Verfahrens- und Qualitätskontrolle<br />

Jede Maßnahme der Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

ist dem Deutschen IVF-Register<br />

(DIR) zu melden. Es müssen die<br />

Anzahl untersuchter <strong>Embryonen</strong>, die<br />

Gesamtzahl der Blastomeren, die Anzahl<br />

der entnommenen Blastomeren<br />

sowie die jeweilige Diagnose des individuellen<br />

Embryos mitgeteilt werden.<br />

Jeder Tr<strong>an</strong>sfer und dessen Ergebnis<br />

ist mitzuteilen. Der Schw<strong>an</strong>gerschaftsverlauf<br />

ist detailliert zu dokumentieren.<br />

Die geborenen Kinder sind einem Pädiater<br />

vorzustellen. Im Falle einer Fehlgeburt<br />

sind die zur Klärung erforderlichen<br />

Untersuchungen durchzuführen.<br />

Das Deutsche IVF-Register informiert<br />

regelmäßig die „Kommission Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik“<br />

der Bundesärztekammer.<br />

Literatur<br />

ESHRE PGD Consortium Steering Committee;<br />

ESHRE Preimpl<strong>an</strong>tation Genetic Diagnosis<br />

(PGD) Consortium: preliminary assessment<br />

of data from J<strong>an</strong>uary 1997 to September<br />

1998. Hum Reprod, 1999; 14: 3138–3148.<br />

H<strong>an</strong>dyside AH, Scriven PN, Ogilvie CM: The<br />

future of preimpl<strong>an</strong>tation genetic diagnosis.<br />

Hum Reprod, 1998; 13 (Suppl 4): 249–255.<br />

Kress H: Personwürde am Lebensbeginn: Gegenwärtige<br />

Problemstellungen im Umg<strong>an</strong>g mit<br />

<strong>Embryonen</strong>. Zeitschr Ev<strong>an</strong>gel Ethik, 1999; 43:<br />

36–5<strong>3.</strong><br />

Liebaers I, Sermon K, Staessen C, Joris H, Lissens<br />

W, V<strong>an</strong> Assche E, Nagy P, Bonduelle M,<br />

V<strong>an</strong>dervorst M,Devroey P,V<strong>an</strong> Steirteghem A:<br />

Clinical experience with preimpl<strong>an</strong>tation genetic<br />

diagnosis <strong>an</strong>d intracytoplasmic sperm injection.<br />

Hum Reprod, 1998; 13 (Suppl 1):<br />

186–195.<br />

Lissens W, Sermon K: Preimpl<strong>an</strong>tation genetic<br />

diagnosis: current status <strong>an</strong>d new developments.<br />

Hum Reprod, 1997; 12: 1756–1761.<br />

Ludwig M, Al-Has<strong>an</strong>i S, Diedrich K: Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik:<br />

preimpl<strong>an</strong>tation genetic<br />

diagnosis (PGD).In:Weibliche Sterilität:Ursachen,<br />

Diagnostik und Therapie. (Ed.: K. Diedrich)<br />

Springer-Verlag, Berlin, Heidelberg,<br />

New York, 1998;Vol. 1: 692–722.<br />

Weiterführende Literatur siehe unter<br />

Bioethik-Kommission des L<strong>an</strong>des Rheinl<strong>an</strong>d-<br />

Pfalz (Hrsg.: Caesar P): Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

– Thesen zu den medizinischen, rechtlichen<br />

und ethischen Problemstellungen. Bericht<br />

vom 20. 6. 1999.<br />

Hepp H: Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik – in<br />

Deutschl<strong>an</strong>d nicht erlaubt – aber notwendig?<br />

2000, im Druck.<br />

Mitglieder der Arbeitsgruppe<br />

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. H. M. Beier, Direktor<br />

des Instituts für Anatomie und Reproduktionsbiologie<br />

der Medizinischen Fakultät der<br />

Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule,Aachen<br />

Prof. Dr. med. K. Diedrich, Direktor der Klinik<br />

für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, Medizinische<br />

Universität zu Lübeck<br />

Prof. Dr. med. W. Engel, Direktor des Instituts<br />

für Hum<strong>an</strong>genetik der Universität Göttingen<br />

Prof. Dr. med. H. Hepp, Direktor der Klinik<br />

und Poliklinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe,<br />

Klinikum Großhadern, München<br />

(federführend)<br />

Prof. Dr. theol. M. Honecker,Abteilung für Sozialethik<br />

und systematische Theologie,<br />

Ev<strong>an</strong>gelisch-theologisches Seminar, Bonn<br />

Prof. Dr. med. E. Nieschlag, Direktor des Instituts<br />

für Reproduktionsmedizin, Zentrum für<br />

Frauenheilkunde, Westfälische Wilhelms-Universität,<br />

Münster<br />

Prof. Dr. jur. Dr. h. c. mult. H.-L. Schreiber, Direktor<br />

des Juristischen Seminars der Universität<br />

Göttingen<br />

Prof. Dr. med. K.-F. Sewing, Vorsitzender des<br />

Wissenschaftlichen Beirates der Bundesärztekammer,<br />

H<strong>an</strong>nover<br />

RA U.Wollersheim, Rechtsabteilung der Bundesärztekammer,<br />

Köln<br />

Dr. med. C. Woopen, Institut für Geschichte<br />

und Ethik der Medizin, Universität zu Köln,<br />

Institut für Wissenschaft und Ethik, Bonn<br />

Prof. Dr. med. H.-B.Wuermeling, em. Direktor<br />

des Instituts für Rechtsmedizin der Universität<br />

Erl<strong>an</strong>gen-Nürnberg<br />

Geschäftsführung: B. Heerklotz, Dezernat<br />

Wissenschaft und <strong>Forschung</strong>, Bundesärztekammer,<br />

Köln (bis 30. Juni 1999)<br />

Priv.-Doz. Dr. med. S. Winter, Dezernat Wissenschaft<br />

und <strong>Forschung</strong>, Bundesärztekammer,<br />

Köln


Heft 9, <strong>3.</strong> März 2000<br />

Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

Am R<strong>an</strong>de<br />

der schiefen Bahn<br />

G<strong>an</strong>z restriktiv soll die Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

(PGD = preimpl<strong>an</strong>tation<br />

genetic diagnosis) eingesetzt<br />

werden; nur wenigen Paaren<br />

mit hohem genetischem Risikofaktor<br />

soll sie zugute kommen, ein kompliziertes<br />

Genehmigungsverfahren ist allem<br />

vor<strong>an</strong>gestellt. So sieht es der Richtlinienentwurf<br />

des Wissenschaftlichen<br />

Beirats der Bundesärztekammer vor,<br />

der vom BÄK-Vorst<strong>an</strong>d nach längerem<br />

Ringen als „Diskussionsentwurf“ für<br />

die öffentliche Diskussion freigegeben<br />

wurde.<br />

Bereits im Vorfeld kam es freilich zu<br />

gehörigen Missverständnissen. In der<br />

Presse war davon zu lesen, die Ärzteschaft<br />

gestatte nunmehr die PGD.Zu hoffen<br />

ist,dass ein Presseseminar der Bundesärztekammer,<br />

das wenige Tage nach Bek<strong>an</strong>ntwerden<br />

des Diskussionsentwurfes<br />

in Berlin stattf<strong>an</strong>d (dazu der Leitartikel),<br />

die Positionen wieder etwas zurechtgerückt<br />

hat. Die Bundesärztekammer<br />

und auch ihr Wissenschaftlicher Beirat<br />

sind nämlich keineswegs entschieden in<br />

Sachen PGD. Bei dem einen<br />

oder <strong>an</strong>deren Wissenschaftler<br />

mag die Entscheidung vielleicht<br />

gefallen sein, nicht aber<br />

bei den Ver<strong>an</strong>twortlichen für<br />

den Richtlinienentwurf. Die<br />

freilich haben durch die Form<br />

einer fix und fertig formulierten<br />

Richtlinie, die alsd<strong>an</strong>n<br />

zum Diskussionsentwurf erklärt<br />

wurde, einiges dazu beigetragen,<br />

dass ein falscher<br />

Eindruck entstehen konnte.<br />

Der wird jetzt hoffentlich korrigiert<br />

sein.<br />

PGD ist im Ausl<strong>an</strong>d, sofern<br />

hier die aufwendigen<br />

technischen Vorrichtungen<br />

gegeben sind, durchaus im<br />

Einsatz (siehe Tabelle). In<br />

Deutschl<strong>an</strong>d nicht, jedenfalls<br />

ist nichts bek<strong>an</strong>nt. Die<br />

Rechtslage spricht dagegen.<br />

´ Tabelle C ´<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

PGD-Befürworter interpretieren die<br />

zwar zu ihren Gunsten, es gibt aber gewichtigere<br />

Argumente, wonach PGD in<br />

Deutschl<strong>an</strong>d verboten ist. Nicht umsonst<br />

suchen die mit der Methode befassten<br />

Kreise ja nunmehr mittels öffentlicher<br />

Diskussion und einer Richtlinie der<br />

Bundesärztekammer zu Rechtssicherheit<br />

zu kommen.Die wird es letzten Endes nur<br />

mit Hilfe des Gesetzgebers geben; der zögert<br />

– aus gutem Grund.<br />

Die Absichten der wohlwollenden<br />

Ärzte, die ihren Patientinnen und Patienten<br />

zu einem von Kr<strong>an</strong>kheit möglichst<br />

nicht belasteten Kind verhelfen<br />

wollen, sind glaubhaft. Doch wenn<br />

mit PGD die Grenze zur Selektion ungeborenen<br />

Lebens überschritten wird –<br />

und das wird sie, m<strong>an</strong> mag noch so verhüllende<br />

Bezeichnungen wählen –,<br />

d<strong>an</strong>n wird die Entwicklung von den<br />

wohlwollenden, wohlmeinenden Wissenschaftlern<br />

und Ärzten nicht mehr zu<br />

steuern sein. Mit PGD kommt, m<strong>an</strong> mag<br />

das bedauern oder insgeheim befürworten,<br />

die verbrauchende <strong>Forschung</strong> <strong>an</strong><br />

Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik im europäischen Vergleich<br />

PGD PGD Gesetz Gesetzeszulässig<br />

unzulässig vorhaben<br />

Großbrit<strong>an</strong>nien ja ja<br />

Dänemark ja ja<br />

Norwegen ja ja<br />

Schweden ja ja<br />

Italien ja ja<br />

Sp<strong>an</strong>ien ja ja<br />

Portugal ja ja<br />

Fr<strong>an</strong>kreich ja ja<br />

Belgien ja<br />

Niederl<strong>an</strong>de ja<br />

Griechenl<strong>an</strong>d ja<br />

Österreich ja ja<br />

Schweiz ja ja<br />

Deutschl<strong>an</strong>d fraglich ja<br />

Quelle: Vortrag Priv.-Doz. Dr. med. Stef<strong>an</strong> Winter modifiziert nach Simon 1999*<br />

<strong>Embryonen</strong>, etwa mit der Argumentation:<br />

Weshalb <strong>Embryonen</strong>, die sich als<br />

„defekt“ erwiesen haben, vernichten,<br />

können sie doch für weitergehende<br />

<strong>Forschung</strong> noch gute Dienste leisten.<br />

Mit PGD wird schließlich die schiefe<br />

Bahn zur Eugenik beschritten, wird zudem<br />

ein Tabu gebrochen, das nach den<br />

NS-Untaten errichtet wurde. Der Wissenschaftliche<br />

Beirat und die Bundesärztekammer<br />

erklären zwar ausdrücklich,<br />

sie hätten Eugenik nicht im Sinn;<br />

doch wenn <strong>Embryonen</strong> nach genetischen<br />

„Defekten“ untersucht und gegebenenfalls<br />

ausgesondert werden, d<strong>an</strong>n<br />

ist der Weg eingeschlagen. Und er wird<br />

immer breiter. M<strong>an</strong> wird erwarten dürfen,<br />

dass der Katalog von Kr<strong>an</strong>kheiten,<br />

die mit PGD diagnostiziert werden können,<br />

immer weiter ausgedehnt wird, allein<br />

schon weil die wissenschaftlichen<br />

Erkenntnisse wachsen. Aber auch, weil<br />

die Vorstellungen darüber, was „defekt“<br />

oder was „gesund“ ist, weit ausein<strong>an</strong>der<br />

gehen. Der Wissenschaftliche Beirat hat<br />

sich nicht getraut, und zwar aus guten<br />

Gründen, einen Indikationskatalog aufzustellen.<br />

Das heißt aber auch, dass m<strong>an</strong><br />

im Einzelfall demnächst unterschiedlich<br />

entscheiden wird, ob beispielsweise<br />

beim Down-Syndrom der Embryo verworfen<br />

werden k<strong>an</strong>n oder nicht. Und<br />

wer will eigentlich verhindern, dass nebenbei<br />

auch nach dem Geschlecht gesucht<br />

und entschieden wird?<br />

Die Diskussion um PGD<br />

trifft in eine seit Jahren von philosophischer<br />

Seite <strong>an</strong>gestoßene<br />

Debatte über Selektion von Leben,<br />

erinnert sei etwa <strong>an</strong> Singer<br />

oder jüngst Birnbacher. Mit der<br />

Diskussion um PGD werden<br />

auch die Forderungen nach<br />

verbrauchender <strong>Embryonen</strong>forschung<br />

wieder belebt werden,<br />

die seinerzeit zu den strengen<br />

Regelungen des <strong>Embryonen</strong>schutzgesetzes<br />

führten. In<br />

der Diskussion um PGD in<br />

Deutschl<strong>an</strong>d wird mit Sicherheit<br />

das Argument hochkommen, im<br />

Ausl<strong>an</strong>d sei das aber alles erlaubt.<br />

Folgt m<strong>an</strong> diesem Argument,<br />

d<strong>an</strong>n wird m<strong>an</strong> auf die<br />

Dauer mit dem ethischen Minimum<br />

nicht nur bei der Auswahl<br />

ungeborenen Lebens leben<br />

müssen. Norbert Jachertz<br />

9


Heft 9, <strong>3.</strong> März 2000<br />

Es soll in Deutschl<strong>an</strong>d keiner mehr<br />

sagen können,die Gesellschaft habe<br />

nicht gewusst, worum es geht.“<br />

Mit diesen Worten beendete Prof. Dr.<br />

med. Christoph Fuchs, Hauptgeschäftsführer<br />

der Bundesärztekammer<br />

(BÄK), seinen Vortrag während<br />

eines BÄK-Seminars zum Thema<br />

„Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik“ in der<br />

verg<strong>an</strong>genen Woche in Berlin. Zuvor<br />

hatte er begründet, warum die Ärzteschaft<br />

die gesellschaftliche Diskussion<br />

sucht: „Die Abwägung fundamentaler<br />

Lebenswerte wie Gesundheit, Menschenwürde,<br />

Daseinsrecht und <strong>Forschung</strong>sfreiheit<br />

k<strong>an</strong>n nicht allein<br />

durch den Rat von Einzelexperten<br />

gelöst werden.“<br />

Betroffen: Paare mit hohem<br />

genetischen Risiko<br />

Worum geht es? Die Bundesärztekammer<br />

hat vor wenigen Tagen ihren<br />

„Diskussionsentwurf zu einer Richtlinie<br />

zur Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik“<br />

(PGD*) vorgelegt (siehe <strong>Dokumentation</strong><br />

in diesem Heft). Konzipiert hat ihn<br />

der Arbeitskreis „Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik“<br />

des Wissenschaftlichen Beirates<br />

der Kammer.An der Entscheidungsfindung<br />

waren Ärzte, Juristen, speziell<br />

mit Ethik befasste Wissenschaftler und<br />

Theologen beteiligt. Der katholische<br />

Theologe wolle „aus kirchenpolitischen<br />

Gründen“ nicht namentlich gen<strong>an</strong>nt<br />

werden, hieß es.<br />

Im Kern geht es bei dem Richtlinien-<br />

Entwurf um den Verfahrensablauf und<br />

die Voraussetzungen, unter denen Ärztinnen<br />

und Ärzte Paaren mit hohen ge-<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

Diskussionsentwurf zu einer Richtlinie der Bundesärztekammer<br />

Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik:<br />

Auftakt des öffentlichen Diskurses<br />

Die Bundesärztekammer hat eine vorläufige Stellungnahme zur Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

vorgelegt. Kritiker werfen ihr vor, der Richtlinienentwurf verstoße gegen das <strong>Embryonen</strong>schutzgesetz.<br />

Viele befürchten zudem, dass das Verfahren, gedacht für einige wenige, rasch<br />

zur Erzeugung von „Babys nach Maß“ bei vielen führt.<br />

10<br />

netischen Risikofaktoren zu einem gesunden<br />

Kind verhelfen dürfen. Im Ausl<strong>an</strong>d,<br />

wo die PGD teilweise zulässig ist,<br />

wird folgender Weg gewählt: Ein Paar,<br />

das die schwere genetische Schädigung<br />

eines Kindes aufgrund eigener hoher<br />

Risikofaktoren befürchtet, unterzieht<br />

sich einer künstlichen Befruchtung, obwohl<br />

keine Unfruchtbarkeit vorliegt.<br />

An dem im Reagenzglas gezeugten<br />

Embryo wird nach drei Tagen in einem<br />

Kulturmedium die Biopsie von einem<br />

oder zwei Blastomeren vorgenommen.<br />

Sie werden molekulargenetisch untersucht.<br />

Die Blastomere gilt nach dem<br />

Acht-Zell-Stadium nicht mehr als totipotente<br />

Zelle – ein vermeintliches Detail,<br />

das freilich für die Entscheidung<br />

bedeutsam ist, ob sich diese Diagnostik<br />

mit dem <strong>Embryonen</strong>schutzgesetz vereinbaren<br />

lässt.<br />

Die ethische Diskussion umfasst im<br />

Kern den sich <strong>an</strong>schließenden Konflikt.<br />

Ist eine schwere genetische Schädigung<br />

nachzuweisen, wird der Embryo vermutlich<br />

nicht in die Gebärmutter eingesetzt.<br />

Schließlich will m<strong>an</strong> durch das gewählte<br />

diagnostische Verfahren die Geburt<br />

eines schwerstgeschädigten Kindes<br />

gerade verhindern.<br />

Doch es gibt weitere Fragen: Ist es<br />

ethisch zu rechtfertigen, auf die sehr<br />

frühe PGD zu verzichten, um d<strong>an</strong>n viel<br />

später einen Fetus abzutreiben, weil mit<br />

Hilfe der Pränataldiagnostik schwerste<br />

Behinderungen nachgewiesen wurden?<br />

Ist es konsequent, frühestes Leben im<br />

Reagenzglas durch das <strong>Embryonen</strong>schutzgesetz<br />

kategorisch zu schützen<br />

und die PGD zu verbieten, diesen<br />

* PGD steht für „preimpl<strong>an</strong>tation genetic diagnosis“.Als<br />

Abkürzung wird auch <strong>PID</strong> verwendet.<br />

Schutz aber im Rahmen des § 218 StGB<br />

zu lockern? Scheint es realistisch, dass<br />

m<strong>an</strong> ein Verfahren auf wenige Paare begrenzen<br />

k<strong>an</strong>n, oder werden immer<br />

mehr Eltern, Unternehmen, Staaten auf<br />

den Geschmack der frühen Auswahl<br />

kommen und sich über die Bedenken<br />

hinwegsetzen, die gegen Selektion und<br />

Eugenik bestehen?<br />

PGD ja, aber<br />

in engen Grenzen<br />

Die Autoren der Richtlinie schlagen<br />

vor, die PGD in Deutschl<strong>an</strong>d zu erlauben,<br />

allerdings nur in sehr engen<br />

Grenzen. Jede Art eugenischer Selektion<br />

und Zielsetzung müsse vermieden<br />

werden. Der Anwendungsbereich<br />

liege derzeit bei monogen bedingten<br />

Erkr<strong>an</strong>kungen und bei Chromosomenstörungen.<br />

Die Entscheidung soll<br />

stets im Einzelfall getroffen werden.<br />

Eine Liste von infrage kommenden<br />

Kr<strong>an</strong>kheiten, bei denen die PGD <strong>an</strong>gewendet<br />

werden darf, enthält der Entwurf<br />

nicht. Um Ärztinnen und Ärzte<br />

bei ihrer Entscheidung zu unterstützen,<br />

aber auch, um Missbrauch zu verhindern,<br />

sollen zwei Kommissionen in<br />

die Abwägung einbezogen werden, eine<br />

auf Ebene der jeweiligen L<strong>an</strong>desärztekammer,<br />

eine bei der Bundesärztekammer.<br />

Reicht das aus? Im Bundesministerium<br />

für Gesundheit ist m<strong>an</strong> skeptisch.<br />

Zwar wird der Richtlinien-Vorschlag<br />

als wertvoller Beitrag zur Diskussion<br />

gewertet. Doch am Anf<strong>an</strong>g hätte besser<br />

eine Regelung durch den Gesetzgeber<br />

gest<strong>an</strong>den als eine Richtlinie der Ärzte-


schaft, heißt es. Was schwerer wiegt, ist<br />

die Einschätzung, dass die Bundesärztekammer<br />

mit ihrem Vorschlag gegen<br />

das <strong>Embryonen</strong>schutzgesetz verstößt<br />

(siehe Kasten). Im Ministerium bewerten<br />

es Fachleute schon als kritisch, dass<br />

ein Verfahren wie die künstliche Befruchtung,<br />

die für sterile Paare gedacht<br />

ist, ausgeweitet wird. Der eigentliche<br />

Verstoß gegen das <strong>Embryonen</strong>schutzgesetz<br />

wird aber darin gesehen, dass ein<br />

Embryo nicht gezeugt werde, um eine<br />

Schw<strong>an</strong>gerschaft herbeizuführen, sondern<br />

in Wirklichkeit erst einmal für diagnostische<br />

Zwecke – was verboten ist.<br />

Im Ministerium akzeptiert<br />

m<strong>an</strong> auch nicht den Ein-<br />

w<strong>an</strong>d von m<strong>an</strong>chen PGD-<br />

Befürwortern, es h<strong>an</strong>dele<br />

sich doch lediglich um eine<br />

vorgezogene Pränataldiagnostik<br />

(<strong>PND</strong>). Hier wird argumentiert,<br />

im Fall der <strong>PND</strong><br />

liege eine Schw<strong>an</strong>gerschaft<br />

bereits vor. Dabei h<strong>an</strong>dele es<br />

sich um eine Situation, in der<br />

sich der Embryo sowohl unter<br />

dem Schutz des Rechts<br />

wie dem Schutz der Frau befinde.<br />

Dem stehe auch § 218<br />

StGB nicht entgegen, denn<br />

eine Abtreibung sei rechtswidrig<br />

und nur unter bestimmten Bedingungen<br />

straffrei. Ein Embryo in<br />

vitro stehe dagegen nur unter dem<br />

Schutz des Rechts.<br />

Prof. Dr. med. Karl-Friedrich Sewing,<br />

der Vorsitzende des Wissenschaftlichen<br />

Beirats der Bundesärztekammer,<br />

hat solchen Einwänden und<br />

dem Vorwurf von Selektion und Eugenik<br />

widersprochen. Das Ziel der<br />

In-vitro-Fertilisation mit Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

sei zweifellos die<br />

Schw<strong>an</strong>gerschaft, erklärte er in Berlin.<br />

Er verwies zudem auf § 218 StGB, der<br />

festlegt, dass „H<strong>an</strong>dlungen, deren Wirkung<br />

vor Abschluss der Einnistung des<br />

befruchteten Eis in der Gebärmutter<br />

eintritt, nicht als Schw<strong>an</strong>gerschaftsabbruch<br />

im Sinne dieses Gesetzes“ gelten.<br />

Es sei schwierig zu verstehen, warum<br />

d<strong>an</strong>n die Unterlassung eines Tr<strong>an</strong>sfers<br />

eines in vitro gezeugten Embryos strafbar<br />

sein sollte.<br />

Auf die zahlreichen Konflikte ging<br />

Prof. Dr. med. Herm<strong>an</strong>n Hepp ein. Er<br />

ist Federführender des Arbeitskreises<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik und Direktor<br />

der Klinik und Poliklinik für Frauenheilkunde<br />

und Geburtshilfe des<br />

Münchner Klinikums Großhadern.<br />

Hepp sprach das Thema „Selektion“ direkt<br />

<strong>an</strong>, als er die Unterschiede zwischen<br />

einer In-vitro-Fertilisation mit<br />

<strong>Embryonen</strong>tr<strong>an</strong>sfer und einer PGD erläuterte.<br />

Erstere sei ein Therapieverfahren,<br />

um einem ungewollt kinderlosen<br />

Paar zu einer Empfängnis und einer<br />

Schw<strong>an</strong>gerschaft zu verhelfen. Anders<br />

die PGD: Sie „hat zum Ziel, ein mit hohen<br />

Risikofaktoren belastetes Paar<br />

nach einer ,Zeugung auf Probe‘ und der<br />

Gesetz zum Schutz von <strong>Embryonen</strong><br />

§ 1 Abs. 1 Nr. 2: „Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder<br />

mit Geldstrafe wird bestraft, wer es unternimmt, eine Eizelle<br />

zu einem <strong>an</strong>deren Zweck künstlich zu befruchten, als eine<br />

Schw<strong>an</strong>gerschaft der Frau herbeizuführen, von der die<br />

Eizelle stammt . . .“<br />

§ 2 Abs. 1: „Wer einen extrakorporal erzeugten oder einer<br />

Frau vor Abschluss seiner Einnistung in der Gebärmutter<br />

entnommenen menschlichen Embryo veräußert oder zu<br />

einem nicht seiner Erhaltung dienenden Zweck abgibt,<br />

erwirbt oder verwendet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu<br />

drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“<br />

Diagnostik...im Falle eines pathologischen<br />

Befundes durch Selektion, das<br />

heißt durch Sterbenlassen des in Warteposition<br />

stehenden Embryos, vor einem<br />

kr<strong>an</strong>ken Kind zu bewahren“. Dieses<br />

Verfahren wird inzwischen weltweit in<br />

29 Zentren erprobt, zehn davon liegen<br />

in den USA. Bisher nutzten rund 400<br />

Paare diese diagnostische Möglichkeit;<br />

die Zahl der nach PGD geborenen Kinder<br />

liege bei 100.<br />

Wie Sewing urteilte aber auch Hepp,<br />

dass der Richtlinien-Entwurf der BÄK<br />

zur Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik mit<br />

dem <strong>Embryonen</strong>schutzgesetz vereinbar<br />

ist. Denn er gibt vor, dass die Diagnostik<br />

nur <strong>an</strong> einer nicht mehr totipotenten<br />

Blastomere vorgenommen wird.<br />

Auch sei das Ziel eine Schw<strong>an</strong>gerschaft<br />

der Frau. Hepp schloss sich hier der<br />

Sicht jener Juristen <strong>an</strong>, die argumentieren,<br />

dass die „Verwerfung“ eines Embryos<br />

nicht Ziel der künstlichen Befruchtung<br />

beziehungsweise der PGD<br />

sei. Sie sei eher eine unerwünschte Nebenfolge<br />

oder ein Fehlschlag auf dem<br />

Weg zu einer gewünschten Schw<strong>an</strong>gerschaft.<br />

In der ausführlichen Diskussion<br />

während des Presseseminars der BÄK<br />

in Berlin ließ Hepp jedoch erkennen,<br />

dass er die vielfältigen Gefahren der<br />

PGD sieht. Durch ihre Erlaubnis könne<br />

m<strong>an</strong> in die Eugenik hineinschlittern.<br />

Deswegen habe sich der Wissenschaftliche<br />

Beirat beispielsweise dagegen entschieden,<br />

eine Liste von Kr<strong>an</strong>kheiten<br />

aufzustellen, bei deren Verdacht risikobehafteten<br />

Paaren der Einsatz der PGD<br />

ermöglicht werden soll. Durch den Verzicht<br />

entstünden aber ebenfalls Probleme<br />

– so könnte die Methode<br />

in der Praxis auf immer<br />

mehr Erkr<strong>an</strong>kungen ausgeweitet<br />

werden.<br />

Wie m<strong>an</strong> verhindern wolle,<br />

dass alle Paare, die eine<br />

künstliche Befruchtung vornehmen<br />

ließen, nach der<br />

PGD verl<strong>an</strong>gten, wurde gefragt.<br />

Wenn es nicht möglich<br />

sei, die Anwendung sehr eng<br />

zu begrenzen, d<strong>an</strong>n sei er<br />

eher für ein Verbot dieses<br />

Verfahrens, stellte Hepp klar.<br />

Er gab jedoch zu bedenken,<br />

dass es schon heute Ansätze<br />

zu Selektion gebe: Paare nutzen<br />

offenbar die Möglichkeiten der Pränataldiagnostik<br />

zu „Schw<strong>an</strong>gerschaften<br />

auf Probe“. Nach Einschätzung Hepps<br />

ist dies rechtlich möglich, wenn auch<br />

ethisch bedenklich. In der Gesellschaft<br />

sei das Bewusstsein über solche Möglichkeiten<br />

gewachsen, bis hin zum Anspruch<br />

auf ein unbehindertes Kind. Und<br />

die Rolle der Ärzte? „Es gibt kein<br />

schuldfreies Arztsein, weder bei der<br />

Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik noch bei der<br />

Pränataldiagnostik.“ Sabine Rieser<br />

11


Heft 10, 10. März 2000<br />

Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

Die Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik (preimpl<strong>an</strong>tation<br />

genetic diagnosis =<br />

PGD) steht im Widerspruch zum<br />

<strong>Embryonen</strong>schutzgesetz, wonach eine<br />

Eizelle nur zum Zweck der Herbeiführung<br />

einer Schw<strong>an</strong>gerschaft bei<br />

der Frau, von der die Eizelle stammt,<br />

künstlich befruchtet werden darf; ein<br />

Embryo darf auch nur zu diesem Zweck<br />

extrakorporal weiterentwickelt werden;<br />

ein extrakorporal erzeugter Embryo<br />

darf zu keinem <strong>an</strong>deren Zweck als<br />

zu seiner Erhaltung verwendet werden,<br />

siehe § 1 Abs. 1 Nr. 2, § 2 Abs. 1 und 2<br />

ESchG. Ziel der Regelung der künstlichen<br />

Befruchtung im <strong>Embryonen</strong>schutzgesetz<br />

ist die Beh<strong>an</strong>dlung von<br />

Fertilitätsstörungen, also die Erfüllung<br />

des Kinderwunsches einer Frau oder eines<br />

Paares.<br />

Grundrechtschutz kommt<br />

bereits dem Embryo zu<br />

Bei der PGD wird die Eizelle aber<br />

zunächst nur zu diagnostischen Zwecken<br />

künstlich befruchtet. Stellt sich dabei<br />

heraus, dass der Embryo mit der vermuteten<br />

genetischen Erkr<strong>an</strong>kung belastet<br />

ist, wird er verworfen. Die künstliche<br />

Befruchtung verlässt hier also den<br />

Rahmen des <strong>Embryonen</strong>schutzgesetzes.<br />

Die Indikation für eine fortpfl<strong>an</strong>zungsmedizinische<br />

Maßnahme wird<br />

ausgeweitet. <strong>Embryonen</strong> werden künstlich<br />

erzeugt, ohne dass Fertilitätsstörungen<br />

bei der Frau oder dem Paar<br />

vorliegen, um bereits vor Beginn der<br />

Schw<strong>an</strong>gerschaft eine genetische Untersuchung<br />

der extrakorporal vorlie-<br />

12<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

Plädoyer für eine unvoreingenommene,<br />

offene Debatte<br />

Die Bundesärztekammer hat, erarbeitet durch ihren Wissenschaftlichen Beirat, einen<br />

„Diskussionsentwurf zu einer Richtlinie zur Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik“ vorgelegt; er wurde<br />

in Heft 9/2000 veröffentlicht. Die Verfasserin nimmt zu den damit <strong>an</strong>gesprochenen ethischen<br />

Fragen der medizinischen <strong>Forschung</strong> und ihrer möglichen Anwendung aus Sicht des<br />

Bundesgesundheitsministeriums Stellung.<br />

genden <strong>Embryonen</strong> zu ermöglichen<br />

und eine Auswahl im Hinblick auf eine<br />

genetische Erkr<strong>an</strong>kung des zukünftigen<br />

Kindes treffen zu können.<br />

Teilweise wird die PGD bereits jetzt<br />

als – in engen Grenzen – nicht durch das<br />

<strong>Embryonen</strong>schutzgesetz verboten <strong>an</strong>gesehen,<br />

weil auch bei der PGD der Gesamtvorg<strong>an</strong>g<br />

letztlich die Erfüllung des<br />

Wunsches nach einem – gesunden –<br />

Kind zum Ziel habe und dies nur unter<br />

der Voraussetzung geschehe, dass dabei<br />

keine totipotenten Zellen, also solche,<br />

aus denen noch ein g<strong>an</strong>zer Mensch entstehen<br />

k<strong>an</strong>n, betroffen werden. Aber<br />

auch bei dieser Haltung ist zu berücksichtigen,<br />

dass nach der Rechtsprechung<br />

des Bundesverfassungsgerichtes<br />

der Gesetzgeber verpflichtet ist, in<br />

grundlegenden gesellschaftlichen Fragen,<br />

zumal im Bereich der Grundrechtsberührung,alle<br />

wesentlichen Entscheidungen<br />

selbst – durch Gesetz – zu<br />

treffen. Menschenwürde und Grundrechtsschutz<br />

kommen bereits dem ungeborenen<br />

menschlichen Leben von<br />

Anbeginn seiner Existenz <strong>an</strong> zu, und<br />

damit auch dem Embryo. Die Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

bedarf wegen ihrer<br />

grundlegenden ethischen Bedeutung<br />

und schwerwiegenden gesellschaftlichen<br />

Folgen vor ihrer Einführung<br />

eines Grundkonsenses in der<br />

Gesellschaft und damit einer Regelung<br />

durch den Gesetzgeber.<br />

Auch wenn die BÄK ihren Entwurf<br />

zu einer Richtlinie zur Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

als Diskussionsentwurf<br />

vorlegt, halte ich es unter der vorstehend<br />

beschriebenen Ausg<strong>an</strong>gslage für<br />

nicht unproblematisch, dass der Dis-<br />

kussionsentwurf zum jetzigen Zeitpunkt<br />

vorgelegt wird, zumal es im Vorwort<br />

zum Entwurf heißt, dass mit dem<br />

Entwurf versucht werden soll, unter <strong>an</strong>derem<br />

den gesetzlichen Regelungen auf<br />

dem Gebiet der PGD gerecht zu werden.<br />

Damit entsteht der Eindruck einer<br />

einseitigen Interpretation des <strong>Embryonen</strong>schutzgesetzes<br />

und einer bereits<br />

festgelegten Position zur PGD, bevor<br />

die öffentliche Diskussion hierzu begonnen<br />

hat. Auch wird die PGD in<br />

Deutschl<strong>an</strong>d aus den vorerwähnten<br />

rechtlichen Gründen nicht praktiziert,<br />

sodass Eile nicht geboten ist.<br />

Auch die Bioethik-Kommission des<br />

L<strong>an</strong>des Rheinl<strong>an</strong>d-Pfalz, auf die der<br />

Diskussionsentwurf in seinem Vorwort<br />

Bezug nimmt, hat in ihren Thesen zu<br />

den medizinischen, rechtlichen und<br />

ethischen Problemstellungen der Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

wegen der<br />

grundlegenden Bedeutung der PGD<br />

ebenfalls eine rechtliche Regelung der<br />

Voraussetzungen für die Zulässigkeit<br />

der PGD gefordert.<br />

International sind die Regelungen zur<br />

PGD unterschiedlich. Im nahen Ausl<strong>an</strong>d<br />

ist die PGD zum Teil zugelassen, wie zum<br />

Beispiel in Belgien und Großbrit<strong>an</strong>nien.<br />

Für die Erhaltung oder Festlegung von<br />

ethischen und rechtlichen Prinzipien<br />

k<strong>an</strong>n dies jedoch nicht entscheidend sein.<br />

Denn der Staat, der für das Wohl seiner<br />

Bürgerinnen und Bürger und die Beachtung<br />

der Grundrechte ver<strong>an</strong>twortlich ist,<br />

k<strong>an</strong>n sich nicht mit Blick auf das Ausl<strong>an</strong>d<br />

seiner eigenen Ver<strong>an</strong>twortung entziehen.<br />

Er muss in den grundlegenden Fragen<br />

eine eigene innerstaatlich begründete<br />

Entscheidung treffen.


Begründet wird die PGD damit, dass<br />

auf diese Weise der Frau eine spätere<br />

Abtreibung nach Pränataldiagnostik<br />

erspart werden könne. Aber so verständlich<br />

der Wunsch von Eltern ist, ein<br />

gesundes Kind zur Welt zu bringen, und<br />

das Bestreben der Ärzte, Eltern dabei<br />

zu helfen – so muss m<strong>an</strong> doch auch sehen,<br />

dass mit dem Verwerfen eines genetisch<br />

belasteten Embryos ein Mensch<br />

im frühen Stadium seiner Entwicklung<br />

vernichtet wird. Ein genetisch kr<strong>an</strong>ker<br />

Embryo wird geopfert, um einem unbelasteten<br />

Embryo zum Leben zu verhelfen.<br />

Menschen beispielsweise mit Mukoviszidose,<br />

die ein lebenswertes Leben<br />

führen, verurteilen diese Methode zu<br />

Recht.<br />

Gefahr einer<br />

„Erwartungshaltung für<br />

gesunde Kinder“<br />

Das Recht auf Leben eines behinderten<br />

Menschen gerät in Gefahr, wenn<br />

m<strong>an</strong> im Zusammenh<strong>an</strong>g mit der PGD<br />

eine Auswahl zugunsten des nicht behinderten<br />

Lebens vornimmt. Es besteht<br />

die Gefahr, dass in der Gesellschaft<br />

eine Erwartungshaltung für gesunde<br />

Kinder entsteht und es Eltern<br />

schwer gemacht wird, sich für ein behindertes<br />

Kind zu entscheiden. Der oft<br />

ins Feld geführte Einw<strong>an</strong>d, die PGD<br />

als vorgezogene Pränataldiagnostik zu<br />

bewerten, ist zu hinterfragen. Auch bei<br />

durchgeführter PGD bleibt wegen der<br />

hohen Fehlerquote eine Pränataldiagnostik<br />

erforderlich. Vor allem aber<br />

sind beide Situationen nicht mitein<strong>an</strong>der<br />

vergleichbar.<br />

Gesetzentwurf zur<br />

Fortpfl<strong>an</strong>zungsmedizin<br />

Die Schw<strong>an</strong>gerschaft ist eine einzigartige<br />

Situation, die unvergleichbar mit <strong>an</strong>deren<br />

Situationen ist und die durch die<br />

körperliche Verbindung von Embryo<br />

und Frau gekennzeichnet ist. Der Fetus,<br />

Embryo in vivo, ist ohne die Frau nicht<br />

lebens- und entwicklungsfähig. Die<br />

Schw<strong>an</strong>gerschaft hat für die Frau weitreichende<br />

Konsequenzen. Daher wird<br />

die – gesetzlich verbotene – Abtreibung<br />

unter bestimmten Bedingungen nicht<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

bestraft. Hieraus können keine Rechtfertigungsgründe<br />

für <strong>an</strong>dere, nicht vergleichbare<br />

Situationen abgeleitet werden.<br />

Der Embryo in vivo steht unter<br />

dem realen Schutz der Frau, der Embryo<br />

in vitro auf dem Labortisch steht<br />

nur unter dem rechtlichen Schutz und<br />

ist daher darauf besonders <strong>an</strong>gewiesen.<br />

Daher ist auch eine parallele Regelung<br />

der Voraussetzungen von PGD und<br />

Schw<strong>an</strong>gerschaftsabbruch hinsichtlich<br />

gesundheitlicher Beeinträchtigungen<br />

der zukünftigen Schw<strong>an</strong>geren beziehungsweise<br />

der wirklich Schw<strong>an</strong>geren,<br />

wie dies in dem Diskussionsentwurf<br />

vorgenommen wird, fragwürdig.<br />

Seit 1994 hat der Bundesgesetzgeber<br />

die Gesetzgebungskompetenz für die<br />

Fortpfl<strong>an</strong>zungsmedizin. In den letzten<br />

Jahren haben das Bundesministerium<br />

für Gesundheit, <strong>an</strong>dere Bundesministerien<br />

und die Länder in einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe<br />

bereits Vorarbeiten<br />

für ein solches Gesetz geleistet. Diese<br />

Arbeitsgruppe endete 1998 mit dem<br />

Diskussionsergebnis, am Verbot der<br />

PGD festzuhalten. Die Konferenz der<br />

Gesundheitsminister der Länder hat im<br />

Juni 1999 die Bundesregierung aufgefordert,<br />

ein Fortpfl<strong>an</strong>zungsmedizingesetz<br />

vorzulegen und darin neben <strong>an</strong>deren<br />

rechtlich nicht geklärten Fragen der<br />

Fortpfl<strong>an</strong>zungsmedizin auch die Frage<br />

der PGD zu klären.<br />

Das Bundesministerium für Gesundheit<br />

als federführendes Ressort<br />

beabsichtigt, einen solchen Gesetzentwurf<br />

vorzulegen. In Anbetracht der<br />

grundlegenden ethischen Fragen und<br />

schwerwiegenden gesellschaftlichen<br />

Folgen, die mit einem solchen Gesetz<br />

berührt werden, ist es aber unerlässlich,<br />

dass vor der Entscheidung über<br />

die Regelungen eines solchen Gesetzentwurfes<br />

eine intensive und offene<br />

gesellschaftliche Diskussion über alle<br />

wichtigen Fragen stattfindet. Das Bundesministerium<br />

für Gesundheit wird<br />

daher vom 24. bis 26. Mai 2000 in Berlin<br />

ein Symposium zu den aktuellen<br />

medizinischen, ethischen, rechtlichen<br />

und gesellschaftlichen Fragen der<br />

Fortpfl<strong>an</strong>zungsmedizin und den damit<br />

in Zusammenh<strong>an</strong>g stehenden Fragen<br />

des <strong>Embryonen</strong>schutzes, auch zur<br />

PGD, durchführen. Auf der für die Öffentlichkeit<br />

zugänglichen Ver<strong>an</strong>staltung<br />

mit Fachreferaten, Podiums- und<br />

Plenumsdiskussionen soll der derzeitige<br />

Meinungsst<strong>an</strong>d der medizinischen<br />

Wissenschaft und Praxis, der <strong>Forschung</strong>,<br />

Ethik, Rechts- und Sozialwissenschaften<br />

zum Thema dargestellt<br />

und kontrovers diskutiert werden.<br />

Endgültige Position erst<br />

nach breiter Diskussion<br />

Die durch den Entwurf einer Richtlinie<br />

zur PGD ausgelöste Diskussion in der<br />

Ärzteschaft wird mit Sicherheit neben<br />

den von mir vorgebrachten Gesichtspunkten<br />

noch <strong>an</strong>dere hinzufügen. Und<br />

auch von den <strong>an</strong>deren Professionen<br />

und der Öffentlichkeit müssen deren<br />

Sachverst<strong>an</strong>d und Überzeugungen in<br />

die Debatte eingebracht werden.<br />

Ich halte es für wünschenswert, dass<br />

die Ärzteschaft ihre endgültige Position<br />

erst nach einer solchen breiten und offen<br />

geführten Diskussion festlegt.<br />

Ulrike Riedel<br />

Leiterin der Abteilung<br />

Gesundheitsvorsorge und Kr<strong>an</strong>kheitsbekämpfung<br />

Bundesministerium für Gesundheit<br />

Am Probsthof 78 a, 53108 Bonn<br />

E-Mail: Riedel@bmg.bund.de<br />

13


Heft 14, 7. April 2000<br />

Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

Dem im Deutschen Ärzteblatt (Heft<br />

9/2000) veröffentlichten „Diskussionsentwurf<br />

zu einer Richtlinie der<br />

Bundesärztekammer zur Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik“<br />

(preimpl<strong>an</strong>tation genetic<br />

diagnosis; PGD) muss aus katholischer<br />

Sicht entschieden widersprochen werden.<br />

Die Kirche respektiert die Eigenständigkeit<br />

der medizinischen Wissenschaft,<br />

und sie be<strong>an</strong>sprucht ausdrücklich<br />

nicht, der ärztlichen Selbstverwaltung in<br />

ihre eigenen Angelegenheiten hineinzureden.<br />

Der gen<strong>an</strong>nte Text betrifft aber<br />

Grundlagen unserer Werteordnung, und<br />

es darf nicht verschwiegen werden, dass<br />

er dabei eindeutig eine unaufgebbare<br />

moralische Grenze überschreitet. Obwohl<br />

dies gewiss nicht beabsichtigt ist,<br />

stellt er im Ergebnis eine Aufforderung<br />

zur Verletzung der Würde des Menschen<br />

dar, indem er ärztliche Hilfe zur Identifizierung<br />

und <strong>an</strong>schließenden Tötung <strong>an</strong>geblich<br />

lebensunwerten (wenn auch dieser<br />

Begriff im Diskussionsentwurf nicht<br />

fällt) menschlichen Lebens <strong>an</strong>bietet, sodass<br />

nur Kinder ohne befürchtete Schädigung<br />

die Ch<strong>an</strong>ce auf ein weiteres Leben<br />

haben.<br />

Die Bezugnahme der Bundesärztekammer<br />

auf „sorgfältige Güterabwägung“,<br />

„Einzelfallentscheidung“, „umfassende<br />

Aufklärung und Beratung“,<br />

„äußerst restriktive“ Zulassungskriterien,<br />

„Würdigung des Lebensrechts des<br />

Kindes“ k<strong>an</strong>n nicht darüber hinwegtäuschen,<br />

dass selbstverständlich kein unschuldiger<br />

und hilfloser Mensch nach<br />

„sorgfältiger Güterabwägung“, „Einzelfallentscheidung“,<br />

„umfassender Aufklärung<br />

und Beratung“, bei „äußerst restriktiven“<br />

Zulassungskriterien und unter<br />

„Würdigung seines Lebensrechts“<br />

getötet werden darf.<br />

Der Richtlinienentwurf der Bundesärztekammer<br />

widerspricht im Übrigen<br />

der Rechtsordnung der Bundesrepublik<br />

Deutschl<strong>an</strong>d und dem von der<br />

gleichen Bundesärztekammer 1996 ver-<br />

14<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

Mensch von Anf<strong>an</strong>g <strong>an</strong><br />

Stellungnahme des Erzbischofs von Köln zum Diskussionsentwurf<br />

der Bundesärztekammer zur Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

öffentlichten ärztlichen Gelöbnis, das<br />

den Arzt „jedem Menschenleben von<br />

der Empfängnis <strong>an</strong> (!) Ehrfurcht“ entgegenzubringen<br />

verpflichtet.<br />

Als katholischer Bischof habe ich mit<br />

großem Respekt die intensiven Bemühungen<br />

sensibler Teile der deutschen<br />

Ärzteschaft beobachten können,<br />

die traurige Geschichte der Mitwirkung<br />

von Ärzten <strong>an</strong> der „Verhütung erbkr<strong>an</strong>ken<br />

Nachwuchses“ aufzuarbeiten. Dabei<br />

erlebten es diese Ärzte als besonders<br />

erschütternd, dass die verhängnisvollen<br />

Ideen und praktischen Vorschläge<br />

damals von ärztlichen Kollegen ausgingen<br />

und von einer menschenverachtenden<br />

Politik erst später aufgegriffen<br />

und umgesetzt wurden. Was der jetzige<br />

Richtlinienentwurf der deutschen Bun-<br />

Heft 16, 21. April 2000<br />

Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

Kein Blick<br />

aufs G<strong>an</strong>ze<br />

Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik – Ärzte als Wegbereiter<br />

der <strong>Embryonen</strong>selektion? Unter dieser Überschrift<br />

lud die Ärztekammer Berlin Mitte April zu einem<br />

Symposium ein. Es war gedacht als Kontrapunkt<br />

zu einer Ver-<strong>an</strong>staltung der Bundesärztekammer<br />

(BÄK), bei der diese ihren Diskussionsentwurf<br />

zu einer PGD-Richtlinie vorgestellt hatte. Die<br />

BÄK schlägt vor, die PGD (= preimpl<strong>an</strong>tation genetic<br />

diagnosis) in sehr engen Grenzen zu erlauben.<br />

Die Berliner Kammer hingegen hatte <strong>an</strong>geregt,<br />

über das „Ob“ der PGD nachzudenken, bevor m<strong>an</strong><br />

Überlegungen zum „Wie“ <strong>an</strong>stelle.<br />

Trotz der kritischen Einladungsworte waren<br />

Befürworter der Methode zum Vortrag eingeladen.<br />

Zudem äußerten sich ihre Verfechter unter<br />

den Zuhörern. Sie alle argumentieren auf zwei<br />

Ebenen: Eine Gesellschaft, die den § 218 StGB toleriere<br />

und die pränatale Diagnostik, könne die<br />

PGD im Grunde nicht mehr ablehnen. Als zwei-<br />

desärztekammer beschreibt und offensichtlich<br />

ermöglichen will, ist recht<br />

besehen nichts <strong>an</strong>deres als ein erneuter<br />

Versuch der „Verhütung erbkr<strong>an</strong>ken<br />

Nachwuchses“ mit den technischen<br />

Mitteln des 21. Jahrhunderts. Ich bin daher<br />

gewiss, dass aus der Mitte der deutschen<br />

Ärzteschaft selbst solchen Entwicklungen<br />

entschieden widerst<strong>an</strong>den<br />

wird. Die Christen in diesem L<strong>an</strong>de<br />

werden das nach Kräften unterstützen.<br />

Leider gibt der von der Bundesärztekammer<br />

zur Diskussion gestellte Text<br />

einer weitverbreiteten dumpfen Mentalität<br />

nach, für die lebenswert vor allem<br />

das gesunde, nicht behinderte und kräftige<br />

Leben ist. Was den Anf<strong>an</strong>g des<br />

menschlichen Lebens betrifft, sinkt bei<br />

uns die öffentliche Empörung über die<br />

Tötung menschlichen Lebens tendenziell,<br />

je hilfloser ein Mensch ist, das heißt,<br />

je näher der Zeitpunkt der Tötung <strong>an</strong><br />

den Lebensbeginn rückt: von der Tötung<br />

geborener Kinder über Spätabtreibungen<br />

bis zu Frühabtreibungen. Christen,<br />

die <strong>an</strong> einen Gott glauben, der den<br />

Schwachen und Hilflosen besonders nahe<br />

ist, sind umgekehrt aufgerufen, sich<br />

gerade um die Schwächsten der Schwa-<br />

tes Argument dienen drastische Einzelfallschilderungen.<br />

Wer so argumentiert, der wolle die PGD immer<br />

nur mit Blick auf eine einzelnes Paar sehen. Sie habe<br />

darüber hinaus aber eine gesellschaftliche Dimension,<br />

w<strong>an</strong>dte Prof. Dr. rer. nat. Regine Kollek<br />

ein, Vorsitzende des Ethikbeirats des Bundesgesundheitsministeriums.<br />

Diese Kritik ist zutreffend.<br />

PGD bedeutet für eine Gesellschaft Selektion,<br />

und seien die Gründe noch so wohl überlegt und die<br />

Anwendung auf Einzelfälle beschränkt. Die Befürworter<br />

dieser Methode leugnen das letztlich nicht,<br />

zögern dieses Eingeständnis aber gern hinaus, indem<br />

sie entsprechende Begriffe aussparen oder etwas<br />

beleidigt <strong>an</strong>merken, m<strong>an</strong> höre sie nicht gern.<br />

Zur gesellschaftlichen Dimension gehört zudem,<br />

dass die Begrenzung der PGD ein Wunsch bleiben<br />

wird. Ihr Einsatz wird zunehmen, und ihre Möglichkeiten<br />

werden rasch, ähnlich wie die der Pränataldiagnostik,viele<br />

Frauen mit Kinderwunsch beeinflussen.<br />

Jede schw<strong>an</strong>gere Frau sei besorgt, suggerierte<br />

ein Arzt während des Symposiums und begründete<br />

so indirekt, warum entsprechende Untersuchungsund<br />

Kontrollmöglichkeiten positiv zu bewerten sind.<br />

Wie schön,wenn m<strong>an</strong> heute noch glauben k<strong>an</strong>n,das<br />

Besorgtsein habe allein mit der naturgegebenen Befindlichkeit<br />

von Schw<strong>an</strong>geren zu tun – und nichts<br />

mit dem Angebot von Ärzten oder der Erwartungshaltung<br />

einer Gesellschaft. Sabine Rieser


chen besonders zu sorgen. Das menschliche<br />

Leben im Reagenzglas ist nicht geschützt<br />

durch die spont<strong>an</strong>e emotionale<br />

Tötungshemmung, die ein Kindergesicht<br />

auslöst. Dennoch belehrt uns gerade<br />

die moderne Medizin, dass es<br />

„Mensch von Anf<strong>an</strong>g <strong>an</strong>“ ist. So hilflos<br />

und ausgeliefert es ist, bedarf es unseres<br />

besonderen Schutzes.<br />

Hier zeigt sich im Übrigen, dass die<br />

auf den ersten Blick bisweilen schwer<br />

verständliche kirchliche Ablehnung der<br />

künstlichen Befruchtung sehr ernste<br />

Gründe hat. Die Kirche sieht die Entstehung<br />

menschlichen Lebens in der<br />

g<strong>an</strong>zheitlichen Geborgenheit der ehelichen<br />

Liebe beheimatet. Der technische<br />

Eingriff, so nachvollziehbar die Motive<br />

auch sein mögen, macht dagegen den<br />

gezeugten Menschen zum m<strong>an</strong>ipulierbaren<br />

Objekt. Grenzen der M<strong>an</strong>ipulation<br />

sind bei fortschreitender Technik,<br />

wie wir bei den attraktiven Möglichkeiten<br />

der Präimpl<strong>an</strong>tationsidagnostik sehen<br />

können, kaum mehr plausibel zu<br />

machen.Auch die von wichtigen Vertretern<br />

der Ärzteschaft kritisierte Tatsache,<br />

dass in Deutschl<strong>an</strong>d die Feststellung<br />

einer Behinderung de facto eine<br />

legale Abtreibung bis zur Geburt ermöglicht,<br />

führt nun zu der menschenverachtenden,<br />

allerdings scheinbar logischen<br />

Frage, warum m<strong>an</strong> d<strong>an</strong>n nicht<br />

schon früher töten dürfe.Auf diese Weise<br />

wird deutlich, dass d<strong>an</strong>n, wenn bestimmte<br />

Grenzen überschritten werden,<br />

es kein Halten mehr gibt.<br />

Bedenklicher Vorg<strong>an</strong>g<br />

Bedenklich ist nicht,dass über derlei Fragen<br />

diskutiert wird, können doch solche<br />

Debatten die Öffentlichkeit besser informieren<br />

und alarmieren.Bedenklich ist allerdings,dass<br />

die offizielle Vertretung der<br />

deutschen Ärzteschaft, die Bundesärztekammer<br />

selbst, einen Text mit solch<br />

unerträglicher Aussage des von ihr selbst<br />

berufenen Wissenschaftlichen Beirats<br />

der Öffentlichkeit zur Diskussion empfiehlt.<br />

Ein derartiger Vorg<strong>an</strong>g ist im<br />

Übrigen eine deutliche Warnung, dass<br />

hochr<strong>an</strong>gig besetzte „Ethikkommissionen“,<br />

die auch in dem Papier vielfältig<br />

gefordert werden, keinesfalls Gar<strong>an</strong>ten<br />

für ethisch vertretbare Entscheidungen<br />

sind. Joachim Kardinal Meisner<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

Heft 17, 28. April 2000<br />

DISKUSSION<br />

zu dem<br />

Diskussionsentwurf zu<br />

einer Richtlinie der<br />

Bundesärztekammer<br />

und den dazu<br />

erschienenen Berichten<br />

und Kommentaren<br />

Germ<strong>an</strong> disease<br />

Die Stellungnahme des BMG, das deutsche<br />

<strong>Embryonen</strong>schutzgesetz verbiete<br />

die Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik, ist in<br />

dieser verkürzten Form schlicht falsch.<br />

Vielmehr haben maßgebliche Stimmen<br />

in der wissenschaftlichen Ausein<strong>an</strong>dersetzung<br />

seit geraumer Zeit darauf hingewiesen,<br />

dass diese Aussage nur für<br />

das frühe Stadium bis zum Ende der<br />

Totipotenz gilt. Bemerkenswert ist im<br />

Übrigen, dass m<strong>an</strong> sich im BMG nicht<br />

einmal <strong>an</strong> die Position des früheren Leiters<br />

des Referats „Grundsatzfragen des<br />

Gesundheits- und Medizinrechts“ 1 erinnern<br />

k<strong>an</strong>n oder will, der sich der Thematik<br />

noch mit der gebotenen Differenziertheit<br />

genähert – und die <strong>PID</strong> mit gewissen<br />

Einschränkungen für zulässig<br />

gehalten hat.<br />

➀ Richtig ist allerdings, dass § 8<br />

Abs. 1 <strong>Embryonen</strong>schutzgesetz (ESchG)<br />

die befruchtete, entwicklungsfähige<br />

menschliche Eizelle vom Zeitpunkt der<br />

Kernverschmelzung <strong>an</strong> und jede einem<br />

Embryo entnommene totipotente Zelle,<br />

die sich bei Vorliegen der dafür erforderlichen<br />

weiteren Voraussetzungen zu teilen<br />

und zu einem Individuum zu entwickeln<br />

vermag, als Embryo im Sinne<br />

des Gesetzes definiert. D<strong>an</strong>ach ist es<br />

eindeutig unzulässig, eine totipotente<br />

Zelle einem Embryo zu entnehmen,<br />

<strong>an</strong> ihr die Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

durchzuführen und von deren Ausg<strong>an</strong>g<br />

das weitere Schicksal des „Rest-Embryos“<br />

abhängig zu machen. Durch das<br />

Zerstören der noch totipotenten Zelle<br />

zu Diagnosezwecken würde § 2 Abs. 1<br />

ESchG verletzt, da die Diagnosemethode<br />

nicht dem Erhalt des Embryos dient.<br />

Um in der Systematik des <strong>Embryonen</strong>schutzgesetzes<br />

zu verbleiben, wäre diese<br />

Art der Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik die<br />

Klonierung eines Zwillings zur verbrauchenden<br />

Diagnostik. Diese noch im<br />

Diskussionsentwurf (§ 7) vorgesehene<br />

Möglichkeit ist zu Recht gestrichen worden,<br />

da <strong>an</strong>sonsten ein unlösbarer Normwiderspruch<br />

zu § 2 Abs. 2 Diskussionsentwurf<br />

aufgetreten wäre 2 .<br />

➁ Im Umkehrschluss untersagt das<br />

<strong>Embryonen</strong>schutzgesetz aber nicht die<br />

Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik <strong>an</strong> bereits<br />

nicht mehr im Sinne von § 8 ESchG totipotenten<br />

Zellen des Trophoblasten 3 ,<br />

durch deren Verbrauch § 2 Abs. 1<br />

ESchG nicht mehr verletzt wird 4 . Die<br />

dagegen zum Teil früher vorgebrachten<br />

Bedenken 5 beruhen überwiegend auf<br />

der heute widerlegten Vermutung, die<br />

Kryokonservierung des Rest-Embryos<br />

sei mit hohen Lebensrisiken verbunden;<br />

außerdem sei zu befürchten, dass<br />

derartige Methoden Screening-Charakter<br />

bekämen. Letzteres ist aber nicht<br />

Gegenst<strong>an</strong>d des <strong>Embryonen</strong>schutzgesetzes,<br />

sofern nicht die dort enthaltenen<br />

Tatbestände verletzt werden. Dies wäre<br />

vielmehr Aufgabe des ärztlichen Berufsrechts<br />

oder eines noch zu verabschiedendenFortpfl<strong>an</strong>zungsmedizingesetzes.<br />

§ 2 Abs. 2 ESchG wird durch die<br />

Diagnostik <strong>an</strong> bereits ausdifferenzierten<br />

Zellen des Trophoblasten nicht verletzt,<br />

wenn nach Lage der Dinge eine<br />

Übertragung des Embryos im selben<br />

Zyklus noch möglich ist. Tauchen unvorhergesehene<br />

Hindernisse auf, ist ohnehin<br />

eine weitere Kryokonservierung<br />

zulässig, ohne dass alleine deswegen das<br />

<strong>Embryonen</strong>schutzgesetz verletzt wäre 6 .<br />

Des Kunstgriffes, die Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

<strong>an</strong> ausdifferenzierten Zellen<br />

des Trophoblasten als Heilversuch zugunsten<br />

des übrigen Embryos <strong>an</strong>zusehen<br />

7 , bedarf es somit nicht.<br />

➂ Schließlich wird im Falle gepl<strong>an</strong>ter<br />

Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik auch<br />

nicht zu einem <strong>an</strong>deren – und damit illegitimen<br />

– Zweck die Eizelle künstlich<br />

befruchtet (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 ESchG) beziehungsweise<br />

die extrakorporale Weiterentwicklung<br />

des Embryos bewirkt<br />

(§ 2 Abs. 2 ESchG), als zur Herbeiführung<br />

einer Schw<strong>an</strong>gerschaft der<br />

Frau, von der die Eizelle stammt, wenn<br />

grundsätzlich die Voraussetzungen für<br />

einen Tr<strong>an</strong>sfer gewährleistet werden.<br />

Auch wenn feststeht, dass ein belasteter<br />

Embryo nicht übertragen werden<br />

15


soll, ist die Verwerfung dieses Embryos<br />

doch nicht Ziel der künstlichen Befruchtung<br />

beziehungsweise der Weiterentwicklung<br />

des Embryos. Im Gegenteil<br />

ist die etwaige spätere Verwerfung<br />

des Embryos wegen einer Verwirklichung<br />

des drohenden Risikos höchst<br />

unerwünscht. Von einer Absicht im<br />

Sinne zielgerichteten Wollens 8 k<strong>an</strong>n<br />

aber nicht die Rede sein, wenn der eingetretene<br />

Erfolg sich lediglich als eine<br />

dem Täter höchst unerwünschte Nebenfolge<br />

beziehungsweise als Fehlschlag<br />

gegenüber dem eigentlich von<br />

ihm erstrebten Ziel darstellt 9 . Bei jeder<br />

In-vitro-Fertilisation wird der Embryo-Tr<strong>an</strong>sfer<br />

von verschiedenen Faktoren,<br />

deren Vorliegen erst nach der<br />

Zeugung festgestellt werden k<strong>an</strong>n, abhängig<br />

gemacht. Dies gilt dafür, dass<br />

seitens der Frau keine körperlichen<br />

Probleme auftreten, insbesondere die<br />

hormonelle Stimulation wie gepl<strong>an</strong>t<br />

läuft. Auch seitens des Embryos müssen<br />

bestimmte Bedingungen erfüllt<br />

sein, deren Vorliegen im Zeitpunkt seiner<br />

Zeugung nicht sicher ist. Ein Embryo<br />

mit bereits optisch wahrnehmbaren<br />

Fehlentwicklungen wird nicht<br />

übertragen.Auch <strong>an</strong> dieser Stelle müss-<br />

1 R. Neidert, MedR 1998, 347, 352.<br />

2 H.-L. Günther, Pränatale Diagnose und Pränatale<br />

Therapie genetischer Defekte aus<br />

strafrechtlicher Sicht, in: H.-L. Günther/Rolf<br />

Keller (Hrsg.), Fortpfl<strong>an</strong>zungsmedizin und<br />

Hum<strong>an</strong>genetik – Strafrechtliche Schr<strong>an</strong>ken?,<br />

2.Aufl. 1991, S. 237.<br />

3 Insoweit wird vorausgesetzt, dass der erforderliche<br />

naturwissenschaftliche Beweis erbracht<br />

werden k<strong>an</strong>n. Jenseits des Acht-Zell-<br />

Stadiums wird ein Verlust der Totipotenz <strong>an</strong>genommen,<br />

hierzu Krebs, Lexikon der<br />

Bioethik 1998, Stichwort „<strong>Embryonen</strong>forschung“.<br />

Weitere Nachweise bei M. Ludwig,<br />

Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik, Alternative zur<br />

pränatalen Diagnostik?, Ärztliche Praxis<br />

Gynäkologie 1998, 387 ff.; M. Ludwig, S. AI-<br />

Has<strong>an</strong>i, K. Diedrich, Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik,<br />

in: K. Diedrich (Hrsg.), Weibliche<br />

Sterilität. Springer 1998, S. 692 ff.<br />

4 R. Keller/H.-L. Günther/P. Kaiser, Kommentar<br />

zum <strong>Embryonen</strong>schutzgesetz, 1992, Einführung<br />

A VIII Rz. 15, § 2 ESchG Rz. 56, 6<strong>3.</strong><br />

R. Neidert, Brauchen wir ein Fortpfl<strong>an</strong>zungsmedizingesetz?,<br />

MedR 1998, 347 (allerdings<br />

eine Änderung der Berufsordnung <strong>an</strong>mahnend).<br />

5 Vgl. z. B. H.-L. Günther, Strafrechtlicher<br />

Schutz des menschlichen Embryos über<br />

§ 218 ff. StGB hinaus?, in: Günther/Keller,<br />

Fortpfl<strong>an</strong>zungsmedizin, a.a.O. (Fn. 15), S.<br />

170.<br />

6 Keller/Günther/Kaiser, a.a.O. § 2 ESchG Rz.<br />

6<strong>3.</strong><br />

7 Keller/Günther/Kaiser, a.a.O. (Fn. 17), § 2<br />

ESchG Rz. 56.<br />

8 Keller/Günther/Kaiser, a.a.O. (Fn. 17), § 1<br />

Abs. 1 Nr. 2 ESchG Rz. 15.<br />

9 Vgl. BGHSt 16, 6.<br />

16<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

ten sich die Gegner der Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

fragen lassen, warum<br />

ein Embryo mit äußerlich erkennbaren<br />

Fehlern zweifellos verworfen werden<br />

darf, es aber verboten sein soll,<br />

nach „inneren“ Fehlern zu suchen.<br />

Demnach bleibt es dabei: Die bloße<br />

Inkaufnahme des Unterg<strong>an</strong>gs gezeugter<br />

<strong>Embryonen</strong> führt nicht zur Strafbarkeit<br />

der künstlichen Befruchtung,<br />

sol<strong>an</strong>ge das Motiv des H<strong>an</strong>delns die<br />

Herbeiführung der Schw<strong>an</strong>gerschaft<br />

ist.<br />

Die jetzige Reaktion ist ein schönes<br />

Beispiel für das, was m<strong>an</strong> im Ausl<strong>an</strong>d<br />

„germ<strong>an</strong> disease“ nennt. Treue Anhänger<br />

der „political-correctness-Fraktion“<br />

schwingen sich zum Bewahrer der einzig<br />

wahren Moral auf und sind sich der<br />

allgemeinen Entrüstung sicher. Angesichts<br />

dieser mentalen Immobilität<br />

möchte m<strong>an</strong> leise <strong>an</strong> ein sehr altes, aber<br />

bewährtes Prinzip erinnern: die Gefahr<br />

des Missbrauchs rechtfertigt nicht das<br />

Verbot des rechten Gebrauchs.<br />

Dr. Rudolf Ratzel<br />

Rechts<strong>an</strong>walt<br />

Maximili<strong>an</strong>splatz 12/IV<br />

80333 München<br />

Wir befinden uns mitten auf<br />

der schiefen Bahn<br />

Leider lässt dieser Entwurf die Möglichkeit,<br />

vonseiten der Ärzteschaft auf <strong>PID</strong><br />

überhaupt zu verzichten, außer Acht<br />

und setzt im Grunde – nach grundsätzlicher<br />

Entscheidung für die <strong>PID</strong> – erst bei<br />

einer mehr oder minder restriktiven Regelung<br />

des Verfahrens <strong>an</strong>.<br />

Der unselige Synergismus zwischen<br />

ärztlichem Omnipotenzdenken und<br />

komplementärer Anspruchshaltung aufseiten<br />

der Patienten hat auch hier dazu<br />

geführt, dass das Nicht-akzeptieren-<br />

Können der „alternativen“ Adoption<br />

beziehungsweise Verzicht auf Kinder<br />

durch betroffene Paare offensichtlich<br />

ausreicht, sich über schwerstwiegende<br />

ethische Einwände hinwegzusetzen und<br />

Kinder auf Probe zu zeugen – mit der<br />

erklärten „Option“, diese im Falle genetischer<br />

Defekte nicht weiterleben zu<br />

lassen.<br />

Ich frage mich wirklich, ob es noch<br />

denkbare Ansprüche vonseiten der<br />

Gesellschaft <strong>an</strong> die Ärzte gibt, die diese<br />

auf Dauer und kategorisch zurückweisen.<br />

Wenn der dringende Kinderwunsch<br />

eines Paares ausreicht, Menschen<br />

zu zeugen und nachher im<br />

wahrsten Sinne des Wortes wegzuwerfen,<br />

warum soll der doch sicher höher<br />

zu bewertende dringende Wunsch eines<br />

Schwer- oder gar Todkr<strong>an</strong>ken,<br />

durch Tr<strong>an</strong>spl<strong>an</strong>tation geholfen zu bekommen,<br />

nicht als Rechtfertigung fragwürdiger<br />

Org<strong>an</strong>beschaffung dienen?<br />

Was m<strong>an</strong> mit dem (nicht in dem Entwurf,<br />

aber <strong>an</strong>dernorts in diesem Zusammenh<strong>an</strong>g<br />

verwendeten) Argumentationsmuster:<br />

„Erstens, die Leute wollen es, zweitens,<br />

verhindern k<strong>an</strong>n m<strong>an</strong> es sowieso<br />

nicht, drittens, sonst gehen sie ins Ausl<strong>an</strong>d“<br />

noch alles begründen könnte, will<br />

ich hier gar nicht ausmalen. Das zur<br />

Zeit noch politisch korrekte kategorische<br />

Nein gegenüber dem Klonen von<br />

Menschen wird d<strong>an</strong>n mit Sicherheit<br />

auch irgendw<strong>an</strong>n einem „Klonen ja,<br />

aber in engen Grenzen“ weichen.<br />

Die „deutliche Absage <strong>an</strong> jede Art<br />

eugenischer Selektion und Zielsetzung“<br />

(„eugenische Ziele dürfen mit<br />

der Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik nicht<br />

verfolgt werden“) ist wohl eher der Versuch<br />

eines moralischen Feigenblattes.<br />

Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik mit dem<br />

erklärten Ziel, den Embryo nur bei genetischem<br />

Normalbefund weiterleben<br />

zu lassen, ist eugenische Selektion. Das<br />

heißt, wir befinden uns nicht am R<strong>an</strong>de,<br />

sondern bereits mitten auf der schiefen<br />

Bahn, mit einem Neigungswinkel, der<br />

ein weiteres Abrutschen unausweichlich<br />

macht.<br />

Die unbedingte Unverfügbarkeit des<br />

Menschen hat offensichtlich ausgedient;<br />

m<strong>an</strong> hat eher den Eindruck, dass<br />

auf der Basis einer grundsätzlichen Verfügbarkeit<br />

die Nicht-Verfügbarkeit erst<br />

im Einzelfall begründet werden muss.<br />

So wird zeitgemäß konsenstheoretisch<br />

argumentiert: „deshalb muss die Gesellschaft<br />

im öffentlichen Diskurs entscheiden<br />

. . .“, „wenn die Gesellschaft<br />

die Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik mehrheitlich<br />

möchte . . .“ usw.Was ist eigentlich,<br />

wenn die Gesellschaft mehrheitlich<br />

die Positionen eines Peter Singer<br />

oder Dieter Birnbacher übernimmt und<br />

Geschlechtsselektion durch Abtreibung<br />

oder Tötung von Kindern bis zur<br />

Geburt und d<strong>an</strong>ach wünscht? Sollen


wir auch aktive Euth<strong>an</strong>asie, Klonen von<br />

Menschen oder die Tötung Behinderter<br />

erlauben? Und unser Gewissen mit der<br />

entschuldigenden Feststellung „es gibt<br />

kein schuldfreies Arztsein“ (H. Hepp)<br />

beruhigen? Ich hoffe sehr, dass wir<br />

nicht noch einmal so weit kommen, die<br />

Einsicht in grundlegende Menschenrechte<br />

(deren Missachtung die Gesellschaft<br />

auch mehrheitlich nicht wollen<br />

darf) erst über die Erfahrung schlimmster<br />

Menschenrechtsverletzungen zurückgewinnen<br />

zu müssen.<br />

Priv.-Doz. Dr. med. W. Wagner<br />

Claudiusweg 21<br />

64285 Darmstadt<br />

Kein moralischer Protest wird<br />

Fortschritt stoppen<br />

Mit der Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

(PGD) werde – so die Autoren – über<br />

Lebensrecht und Lebenswert geurteilt<br />

und ein immer breiterer Weg zu einer<br />

Eugenik von unten beschritten; bestimmte<br />

Kr<strong>an</strong>kheiten und ihre Träger<br />

würden diskriminiert und ein gesellschaftlicher<br />

Konsens über die Vermeidbarkeit<br />

behinderten Lebens riskiert.<br />

Grundsätzlich: wer aus den heiltechnischen<br />

Möglichkeiten der modernen<br />

Medizin das Recht, ja die ethische<br />

Pflicht ableitet, auch schwer behinderte<br />

Föten dysgenisch zum Leben zu verurteilen,<br />

der hat damit auch das „Recht“<br />

des eugenischen Fötozids usurpiert.<br />

Zur Eugenik: „Steigerung der Fähigkeiten“<br />

ist das erklärte Ziel auch <strong>an</strong>derer<br />

(nicht gentherapeutischer) Interventionen<br />

in der Medizin.Warum sollte<br />

d<strong>an</strong>n eine genetisch optimierte Gesundheit,<br />

Intelligenz und Schönheit die<br />

Würde des Menschen verletzen? Das<br />

Tabu ist jedenfalls gebrochen und die<br />

historische Kontinuität seit Aristoteles<br />

und Plato, seit Luther und Nietzsche<br />

wiederhergestellt. Nicht nur Nobelpreisträger<br />

der Medizin, wie Watson<br />

und Crick, fordern eine eugenische Selektion,<br />

auch aufgeklärte Philosophen,<br />

wie Sir Juli<strong>an</strong> Huxley, Peter Singer, Dieter<br />

Birnbacher, Peter Sloterdijk, Ronald<br />

Dworkin und <strong>an</strong>dere. Die Drift zur<br />

Eugenik von unten wird zudem zunehmen:<br />

Kein Gesetz, keine Ethik und keine<br />

Staatsgrenze wird dem Druck der<br />

Eltern st<strong>an</strong>dhalten, genetische Gesund-<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

heitsprogramme in ihre Kinder einbauen<br />

zu lassen. Der PGD-Tourismus nach<br />

London und Brüssel zeigt es heute<br />

schon.<br />

Zur Gentherapie nach PGD: Was soll<br />

unmoralisch dar<strong>an</strong> sein, einen genetischen<br />

Defekt so früh wie möglich zu korrigieren?<br />

Mit ethischem Rigorismus und<br />

irrationalen Glaubenssätzen lässt sich<br />

das Problem sicherlich nicht lösen.Schon<br />

haben amerik<strong>an</strong>ische Gerichte ein Recht<br />

des Kindes formuliert, körperlich und<br />

geistig gesund geboren zu werden. Alles<br />

<strong>an</strong>dere erfülle den Tatbest<strong>an</strong>d einer Kindesmissh<strong>an</strong>dlung.<br />

M<strong>an</strong> verfügt ja auch<br />

d<strong>an</strong>n über künftig Lebende, wenn m<strong>an</strong><br />

nichts tut, wenn m<strong>an</strong> genetische Programmierfehler<br />

a priori heilig spricht und<br />

a posteriori gutes Geld <strong>an</strong> schlechte Gene<br />

verschwendet.<br />

Zur Diskriminierung Behinderter<br />

durch PGD: Kein Behinderter will<br />

selbst behinderte Kinder! Natürlich<br />

muss einem behinderten Kind, das geboren<br />

wurde, alle erdenkliche Liebe<br />

und Zuwendung zuteil werden. Aber:<br />

Muss in Deutschl<strong>an</strong>d alle 90 Minuten<br />

ein geistig behindertes Kind geboren<br />

werden? Braucht die Gesellschaft Behinderte<br />

um ihrer eigenen Menschlichkeit<br />

willen, wie Behindertenvertreter<br />

und Greenpeace-Aktivisten (wohl auch<br />

im Blick auf ihre eigene Existenzberechtigung)<br />

beteuern? Robert L. Sinsheimer<br />

meint dagegen, dass eine Gesellschaft<br />

ohne Behinderte „zwar weniger<br />

menschlich, dafür aber hum<strong>an</strong>er<br />

sein könnte“.<br />

Zum Schluss: Die Stimmen für eine<br />

PGD und Keimbahntherapie werden<br />

immer gewichtiger. Ich gehe jede Wette<br />

ein, dass das Verbot über kurz oder l<strong>an</strong>g<br />

aufgehoben wird.Wer noch dagegen argumentiert,<br />

hat schon verloren. Kein<br />

moralischer Protest wird den Fortschritt<br />

stoppen. Gendiagnostik und<br />

Gentherapie werden noch in diesem<br />

Jahrhundert zur Selbstverständlichkeit<br />

werden, von jederm<strong>an</strong>n bejaht und gewollt.<br />

Die „political“ und „moral correctness“<br />

von heute wird sich als der politische<br />

und moralische Irrtum von morgen<br />

erweisen. Und die Deutschen sind<br />

dabei, den Anschluss <strong>an</strong> die Zukunft<br />

wieder einmal zu verschlafen.<br />

Dr. med. Egon Kehler<br />

Salzstraße 1<br />

83404 Ainring<br />

Notwendiger Impuls<br />

Die Stellungnahme aus dem Bundesgesundheitsministerium<br />

(BMG) zum<br />

Richtlinienentwurf der BÄK fordert zu<br />

einigen Anmerkungen heraus, das ist<br />

offensichtlich von der Autorin auch gewollt.<br />

➀ Frau Riedel leitet ihre Gegenposition<br />

zum BÄK-Entwurf mit einer provokativ<br />

wirkenden Feststellung ein: „Die<br />

Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik (PGD) steht<br />

im Widerspruch zum <strong>Embryonen</strong>schutzgesetz“<br />

(ESG). Dies ist eine unbewiesene<br />

Meinung, die sich das BMG<br />

offenbar zu Eigen gemacht hat. Dagegen<br />

lässt die BÄK die Frage offen, ob<br />

PGD im Widerspruch zum ESG steht<br />

oder ob lediglich aus dem ESG eine<br />

Entscheidung über die Rechtmäßigkeit<br />

der PGD nicht zweifelsfrei abzuleiten<br />

ist, sie neigt zu der letztgen<strong>an</strong>nten Einschätzung<br />

und sieht gesetzgeberischen<br />

H<strong>an</strong>dlungsbedarf, um die PGD aus der<br />

gesetzlichen Grauzone herauszubringen.<br />

Aus Sicht der BÄK könnte durch<br />

Gesetzespräzisierung oder -ergänzung<br />

schneller eine Klärung möglich sein als<br />

aus Sicht des BMG, dar<strong>an</strong> aber scheint<br />

dem BMG nicht gelegen zu sein („Eile<br />

[ist] nicht geboten“).<br />

➁ Frau Riedel kritisiert, dass der<br />

Richtlinienentwurf der BÄK zum jetzigen<br />

Zeitpunkt, ihrer Meinung nach zu<br />

früh, vorgelegt wurde, „bevor die öffentliche<br />

Diskussion hierzu begonnen hat“.<br />

Diese hat längst begonnen und ist seit<br />

Monaten in den Medien in vollem<br />

G<strong>an</strong>ge. Nach meinem Ermessen war es<br />

höchste Zeit,dass die BÄK mit einer klaren<br />

und klar begründeten Stellungnahme<br />

in die Öffentlichkeit geg<strong>an</strong>gen ist.<br />

➂ Frau Riedel kritisiert den Blick<br />

auf die Regelungen in unseren europäischen<br />

Nachbarstaaten, die auch in der<br />

Präambel des BÄK-Entwurfes erwähnt<br />

werden. Diese Kritik erscheint mir aus<br />

mehreren Gründen fragwürdig. Mit<br />

diesem Blick will sich keiner der „eigenen<br />

Ver<strong>an</strong>twortung entziehen“ oder<br />

einer „eigenen, innerstaatlichen Entscheidung“<br />

aus dem Wege gehen. Das<br />

Verhalten von zehn uns eng verbundenen<br />

Nachbarstaaten mit vergleichbaren<br />

gesellschaftlichen und sozialen Strukturen<br />

sagt sehr viel über die gesellschaftliche<br />

Realität und das gesellschaftliche<br />

Bewusstsein in unserem Kulturbereich<br />

17


und damit auch bei uns aus und sollte<br />

deshalb bei unserer Entscheidungsfindung<br />

mit einfließen. Im Übrigen sind<br />

„innerstaatliche“ diesbezügliche Unterschiede<br />

bei uns selbst nicht geringer<br />

als die gegenüber unseren Nachbarn.Es<br />

wäre politische Kurzsichtigkeit, das<br />

nicht wahrnehmen zu wollen.<br />

➃ Frau Riedel argumentiert mit der<br />

Meinung von Mucoviscidosiskr<strong>an</strong>ken:<br />

„Menschen beispielsweise mit Mucoviscidose,<br />

die ein lebenswertes Leben<br />

führen, verurteilen diese Methode zu<br />

Recht.“ Es geht nicht um die Frage<br />

nach lebenswertem oder lebensunwertem<br />

Leben, alles Leben ist lebenswert.<br />

Das wird insbesondere von den Verfassern<br />

des BÄK-Entwurfes so gesehen,<br />

darauf gründet sich auch der g<strong>an</strong>z bewusste<br />

Verzicht auf einen Indikationenkatalog.<br />

Die ethische Ver<strong>an</strong>twortung<br />

bei der PGD bezieht sich auf die von<br />

der Mutter für sie als unzumutbar empfundene<br />

Belastung durch ein zu erwartendes<br />

in der Regel weiteres schwerstbehindertes<br />

Kind. Dieses der Mutter als<br />

Diskriminierung behinderten Lebens<br />

<strong>an</strong>zulasten ist Hybris. Dass ein Mukoviscidosiskr<strong>an</strong>ker<br />

das nur schwer differenzieren<br />

k<strong>an</strong>n, muss m<strong>an</strong> ihm zugestehen,<br />

deswegen k<strong>an</strong>n m<strong>an</strong> aber seine<br />

Meinung nicht zum Maßstab machen.<br />

➄ Frau Riedel schreibt: „Es besteht<br />

die Gefahr, dass in der Gesellschaft eine<br />

Erwartunghaltung für gesunde Kinder<br />

entsteht und es Eltern schwer gemacht<br />

wird, sich für ein behindertes Kind zu<br />

entscheiden.“ Die Erwartungshaltung<br />

für ein gesundes Kind ist so alt wie die<br />

Menschheit. Sie ist – aus welchen Gründen<br />

auch immer – in unserer Gesellschaft<br />

sehr hoch, was beispielsweise <strong>an</strong><br />

der häufigen In<strong>an</strong>spruchnahme der Pränataldiagnostik<br />

zum Ausschluss einer<br />

Trisomie 21 erkennbar ist. Diese Grundhaltung<br />

mag m<strong>an</strong> bedauern, aber m<strong>an</strong><br />

muss sie zur Kenntnis nehmen. Die bei<br />

der in der BÄK-Richtlinie vorgesehenen<br />

restriktiven H<strong>an</strong>dhabung der Methode<br />

durch PGD hinzukommenden wenigen<br />

Fälle, bei denen außerdem für jeden erkennbar<br />

ist, dass es sich um Ausnahme-<br />

Situationen h<strong>an</strong>delt oben unter ➃, ändern<br />

<strong>an</strong> dieser Erwartungshaltung in unserer<br />

Gesellschaft nichts.<br />

Im Richtlinienentwurf der BÄK erkenne<br />

ich einen notwendig gewordenen<br />

Impuls von großem Gewicht, der die<br />

18<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

ethische Ver<strong>an</strong>twortung im Gebrauch<br />

des technisch Möglichen erkennen lässt.<br />

Das wird unterstrichen durch die von Sabine<br />

Rieser in ihrem Kommentar zitierten<br />

Aussagen von Herrn Kollegen Hepp,<br />

dem federführenden Mitglied der Arbeitsgruppe.<br />

Prof. Dr. med. Theodor Luthardt<br />

Scheuergasse 4<br />

79271 St. Peter<br />

Was soll dieser Umweg?<br />

Ich habe die bisherigen Beiträge zur<br />

Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik mit Interesse<br />

verfolgt. Die Formulierung „Der<br />

Embryo in vivo steht unter dem realen<br />

Schutz der Frau, der Embryo in vitro...<br />

steht nur unter dem rechtlichen Schutz“<br />

lässt mich jedoch aufmerken. Über das,<br />

was in der Frau geschieht, hat die Frau<br />

selbst Einfluss/Zugriff. Was ist außerhalb<br />

derselben tabu (?).<br />

Im Klartext: Wird im Rahmen einer<br />

Vorsorgeuntersuchung eine mögliche<br />

Schädigung festgestellt, darf die Frau<br />

(werdende Mutter) straffrei abbrechen.<br />

Wird am Embryo in vitro eine Schädigung<br />

festgestellt, dürfte nicht interveniert<br />

werden. Nach Impl<strong>an</strong>tation (in vivo!)<br />

dürfte die Mutter nach geltendem<br />

Gesetz wieder abbrechen.<br />

Was soll dieser Umweg? Oder will der<br />

Gesetzgeber behinderten Nachwuchs?<br />

Michael Rost<br />

Oberstraße 4<br />

54293 Trier<br />

Müssen wir alles machen?<br />

. . . Seinem Kommentar hat Herr Jachertz<br />

die Überschrift „Am R<strong>an</strong>de der<br />

schiefen Bahn“ gegeben und damit wohl<br />

isoliert die Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

gemeint. In Wahrheit sind wir schon<br />

längst drauf auf der schiefen Bahn, die<br />

Tötung unerwünschten Lebens bedeutet:<br />

De-facto-Freigabe der Abtreibung in<br />

den ersten drei Schw<strong>an</strong>gerschaftsmonaten;<br />

– Pränatale Diagnostik mit der Folge,<br />

dass heute Neugeborene mit früher<br />

häufigen Missbildungen, wie Down-Syndrom<br />

oder Spina bifida, kaum noch vorkommen;<br />

– In-vitro-Fertilisation mit<br />

Hinnahme des „Verwerfens“ überschüs-<br />

siger <strong>Embryonen</strong>. – Jetzt das Vorhaben,<br />

die assistierte Reproduktion im Sinne<br />

der „Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik“ zu erweitern.<br />

Schon dieses Wort ist ein Euphemismus.<br />

M<strong>an</strong> bemüht sich keineswegs nur<br />

um Erkenntnisgewinn, sondern ausdrücklich<br />

darum, zwischen lebenswerten<br />

und lebensunwerten <strong>Embryonen</strong> zu unterscheiden<br />

und d<strong>an</strong>ach zu h<strong>an</strong>deln.Dass<br />

m<strong>an</strong> dazu die Behauptung aufstellt, es<br />

gehe nicht um eugenisch orientierte<br />

Nachwuchspl<strong>an</strong>ung, k<strong>an</strong>n nur als dreiste<br />

Lüge und als Lippenbekenntnis <strong>an</strong>gesehen<br />

werden mit dem Ziel,der Öffentlichkeit<br />

S<strong>an</strong>d in die Augen zu streuen.An die<br />

ersterwähnten Eingriffe haben sich viele<br />

schon gewöhnt, achselzuckend geht m<strong>an</strong><br />

über die Rechte der <strong>Embryonen</strong> hinweg,<br />

und unser Parlament hat das mit dem reformierten<br />

§ 218 StGB teilweise gesetzlich<br />

abgesegnet.<br />

Was hat es zu bedeuten, wenn ein<br />

Schw<strong>an</strong>gerschaftsabbruch rechtswidrig,<br />

jedoch bei Einhaltung bestimmter Regeln<br />

straffrei ist? Mich erinnert das <strong>an</strong><br />

Pontius Pilatus. Ist es wirklich ethisch zu<br />

rechtfertigen, dass wir durch Budgets allenthalben<br />

<strong>an</strong> die Grenzen der dem<br />

Medizinbetrieb zugest<strong>an</strong>denen Mittel<br />

stoßen und gleichwohl extrem hohe Kosten<br />

für High Med in Form von assistierter<br />

Reproduktion akzeptieren, wo doch<br />

gleichzeitig sozial nicht passende <strong>Embryonen</strong><br />

getötet werden. Müssen wir alles<br />

machen, was die <strong>an</strong>deren im Ausl<strong>an</strong>d<br />

tun, aus Angst, dass wir wissenschaftlich<br />

zurückbleiben? Es ist in Deutschl<strong>an</strong>d gesellschaftlicher<br />

Konsens, dass die Abschaffung<br />

der Todesstrafe einen ethischen<br />

Fortschritt bedeutet, obwohl sie in<br />

<strong>an</strong>deren Ländern weiter in Gebrauch ist.<br />

Warum wird d<strong>an</strong>n die Tötung am Beginn<br />

des Lebens akzeptiert? Weil <strong>Embryonen</strong><br />

sich nicht äußern und <strong>an</strong>geblich auch<br />

nicht leiden? Weil es sich,wie m<strong>an</strong>che sagen,<br />

nicht um menschliches Leben, sondern<br />

um empfindungslose Zellklumpen<br />

h<strong>an</strong>delt?<br />

Die Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik ist<br />

nichts als ein weiterer Schritt auf dem bereits<br />

eingeschlagenen Weg, der gekennzeichnet<br />

ist durch Rechtsunsicherheit<br />

und rücksichtslose Anwendung wissenschaftlich-technischen<br />

Fortschritts. . . .<br />

Dr. med. Wolfram Kirmeß<br />

Kleine Geest 3–5<br />

31592 Stolzenau


Moralisten werden die<br />

Entwicklung nicht aufhalten<br />

Alles ist gut, wenn es gut ist. Auch die<br />

Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik, wenn sie<br />

mit Vernunft und Augenmaß erfolgt.<br />

Ich stimme mit Herrn Jachertz überein.<br />

Er schreibt: „...d<strong>an</strong>n wird m<strong>an</strong> auf<br />

Dauer mit der Auswahl ungeborenen<br />

Lebens leben müssen.“<br />

Die Wissenschaft hat dem Menschen<br />

geholfen, ungewollte Schw<strong>an</strong>gerschaft<br />

zu vermeiden. Sie wird auch helfen,<br />

dem genetisch bedingten „Defekt“, also<br />

dem Ungesunden vorzubeugen – sozusagen<br />

als Methode der Wahl. Natürlich<br />

werden die Moralisten aller Konfessionen<br />

und Fraktionen ihr Verdikt<br />

verkünden, wie immer lauthals und mit<br />

allen Mitteln. Aber sie werden die Entwicklung<br />

nicht aufhalten, nur verzögern.<br />

Die Wissenschaft ist keine Glaubensgemeinschaft,<br />

das weiß m<strong>an</strong>, und<br />

das ist gut so.<br />

Wenn der Mensch mit seinen Irrungen<br />

und Wirrungen noch eine kleine<br />

Ch<strong>an</strong>ce hat, d<strong>an</strong>n wird es die Wissenschaft<br />

sein.<br />

Dr. med. Alfons Werner Reuke<br />

Sommerhalde 42<br />

71672 Marbach<br />

Orientierung verloren<br />

Mehr noch als der eigentliche Diskussionsentwurf<br />

zu einer Richtlinie zur Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

(PGD) fordert das<br />

Vorwort dazu zu einer Stellungnahme<br />

heraus. Dem Leser stockt der Atem,<br />

wenn indirekt die Frage formuliert wird,<br />

ob es sich um eine Ausnahme vom Tötungsverbot<br />

h<strong>an</strong>delt oder gar keine Tötung<br />

vorliegt. Wie <strong>an</strong>ders soll m<strong>an</strong> es<br />

denn nennen, wenn einem Lebewesen<br />

die Voraussetzungen zum Weiterleben<br />

entzogen beziehungsweise vorenthalten<br />

werden? Und wodurch sollte eine Ausnahme<br />

vom Verbot – für den Arzt insbesondere<br />

– zu töten begründet sein?<br />

Tatsächlich k<strong>an</strong>n eine Ausnahme vom Tötungsverbot<br />

oder das Nichtvorliegen einer<br />

Tötung nur (<strong>an</strong>)erkennen, wer den<br />

Beginn menschlichen Lebens und damit<br />

seiner Schutzwürdigkeit entgegen wissenschaftlicher<br />

Erkenntnis nicht mit dem<br />

Zeitpunkt der Verschmelzung von Eiund<br />

Samenzelle identisch sehen will.Eine<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

Definition aber, w<strong>an</strong>n denn das Leben<br />

d<strong>an</strong>n beginnt, steht aus, dürfte heiß umstritten<br />

sein und birgt jede Menge Gefahren<br />

in sich. Der Konflikt der PGD mit<br />

dem <strong>Embryonen</strong>schutzgesetz (ESchG)<br />

wird auf das Verbot von Untersuchungen<br />

<strong>an</strong> <strong>Embryonen</strong> im Stadium zellulärer Totipotenz<br />

und das Verbot der fremdnützigen<br />

Verwendung von <strong>Embryonen</strong> reduziert.<br />

Dabei soll doch die PGD für Paare<br />

bereitstehen, „für deren Nachkommen<br />

ein hohes Risiko für eine bek<strong>an</strong>nte und<br />

schwerwiegende, genetisch bedingte Erkr<strong>an</strong>kung<br />

besteht“. Das heißt: <strong>Embryonen</strong><br />

mit „Veränderung des Erbmaterials“,<br />

die zur Tötung <strong>an</strong>stehen, werden<br />

zw<strong>an</strong>gsläufig auftreten,sie sind zwar nicht<br />

das Ziel der PGD, aber auch nicht „unerwünschte<br />

Nebenfolge oder ein Fehlschlag“,<br />

wie Prof. Hepp zitiert wird. Die<br />

PGD steht daher eindeutig im Widerspruch<br />

zum ESchG § 1 Abs.l Nr.2 und § 2<br />

Abs. l. Auch eine Konfliktreduzierung<br />

durch PGD, indem nämlich „eine Entscheidung<br />

über einen eventuellen Abbruch<br />

einer fortgeschrittenen Schw<strong>an</strong>gerschaft<br />

vermieden“ würde, k<strong>an</strong>n ich nicht<br />

erkennen. Es ist derselbe Mensch, der<br />

getötet wird, freilich in einer <strong>an</strong>deren<br />

Phase seines Lebens. Seine Gestaltlosigkeit<br />

und die mögliche Vielzahl von <strong>Embryonen</strong><br />

durch IVF täuschen nur eine<br />

Konfliktreduzierung vor!<br />

Gänzlich der Nachvollziehbarkeit<br />

entzieht sich das Vorwort, wenn von einer<br />

„Absage <strong>an</strong> jede Art eugenischer Selektion<br />

und Zielsetzung“ die Rede ist,<br />

geht es doch gerade um die Feststellung<br />

veränderten Erbmaterials durch die<br />

PGD und <strong>an</strong>schließende Aussonderung<br />

menschlicher Individuen aufgrund dieser<br />

Veränderungen. Wenn vor<strong>an</strong>stehend<br />

betont wird, die Bundesärztekammer<br />

orientiere sich <strong>an</strong> einem Menschenbild,<br />

das „von Respekt vor allen Menschen,<br />

einschließlich denen mit geistigen, seelischen<br />

und körperlichen Beeinträchtigungen,<br />

geprägt ist“, muss leider <strong>an</strong>h<strong>an</strong>d<br />

der Unvereinbarkeit der PGD mit dieser<br />

Grundhaltung festgestellt werden, dass<br />

die Bundesärztekammer hier offenbar<br />

die Orientierung verloren hat. Mit Einführung<br />

der PGD aber wird zweifelsohne<br />

nach und nach der Respekt vor den<br />

Menschen mit derartigen Beeinträchtigungen<br />

verloren gehen. Eine weitere<br />

Formulierung hinterlässt den Eindruck<br />

von Orientierungslosigkeit und mich rat-<br />

los: Was nämlich soll „eine große Fähigkeit<br />

und Bereitschaft zu hinreichend<br />

konfliktarmen Lösungen“ sein und hervorbringen?<br />

Gibt es etwas zwischen dem<br />

elterlich-ärztlichen Entscheid über „leben<br />

dürfen“ oder „sterben müssen“?<br />

Dr. med. G. Haasis<br />

Max-Reger-Straße 40<br />

28209 Bremen<br />

Wo bleibt die Achtung?<br />

➀ Allgemein: Das DÄ widmet Themen<br />

der Reproduktionmedizin in den<br />

letzten Monaten mehr Raum, als ihrer<br />

Bedeutung im tatsächlichen Medizinbetrieb<br />

entspricht. Cui bono? In welche<br />

Richtung sollen wir beeinflusst werden?<br />

➁ Obwohl über die Einführung der<br />

PGD in Deutschl<strong>an</strong>d keineswegs Einvernehmen<br />

besteht, legt die Bundesärztekammer<br />

bereits einen Entwurf zu einer<br />

Richtlinie für dieses Verfahren vor,<br />

als ob mit der Einführung fest zu rechnen<br />

wäre. Dieses Vorgehen k<strong>an</strong>n als<br />

Versuch der M<strong>an</strong>ipulation gedeutet<br />

werden.<br />

➂ Der Versuch, die Indikationen für<br />

die PGD durch Richtlinien und Kommissionen<br />

zu begrenzen, ist sicher zum<br />

Scheitern verurteilt, wie die Verg<strong>an</strong>genheit<br />

lehrt. M<strong>an</strong> denke nur <strong>an</strong> die Geschichte<br />

der Schw<strong>an</strong>gerschaftsverhütung<br />

oder <strong>an</strong> die des Schw<strong>an</strong>gerschaftsabbruchs.<br />

Also ist, wenn die PGD eingeführt<br />

wird, mit zunehmender Ausweitung<br />

des Indikationsbereichs zu rechnen.<br />

Wir sollten uns nicht darüber hinwegtäuschen,<br />

dass Richtlinien hier nur eine Feigenblatt-Funktion<br />

haben.<br />

➃ Die Erlaubnis, einen Embryo mit<br />

den genetischen Merkmalen einer schweren<br />

genetisch bedingten Kr<strong>an</strong>kheit zu<br />

„verwerfen“, enthält eine Botschaft <strong>an</strong><br />

alle geborenen Träger dieser Kr<strong>an</strong>kheit:<br />

„Wir hielten es für besser, du wärest<br />

nicht geboren.“ Dieses Ged<strong>an</strong>kengut<br />

kennen wir doch aus dem Dritten Reich.<br />

Ob wir einen Behinderten in einer Anstalt<br />

umbringen oder einen Embryo im<br />

16-Zellen-Stadium „verwerfen“ – die<br />

Geisteshaltung ist die gleiche. Wo bleibt<br />

die Achtung vor dem Menschen und seinem<br />

Schöpfer?<br />

Dr. med. Winfrid Gieselm<strong>an</strong>n<br />

Finkenwiesenstraße 1<br />

75417 Mühlacker<br />

19


Ärztliche Entscheidungen im<br />

Einzelfall unter<br />

Ausnahmebedingungen<br />

Als Mitglied der zitierten Bioethikkommission<br />

des Justizministers in Rheinl<strong>an</strong>d-Pfalz<br />

begrüße ich den Diskussionsentwurf<br />

der Bundesärztekammer zu<br />

einer „Richtlinie zur Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik“.<br />

55 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges<br />

und dem Zusammenbruch des<br />

verbrecherischen Hitler-Regimes muss<br />

endlich auch in Deutschl<strong>an</strong>d eine Debatte<br />

über ethische Grundfragen <strong>an</strong> den<br />

Grenzen des menschlichen Lebens möglich<br />

sein,die – wie Frau Riedel sie fordert<br />

– unvoreingenommen und offen geführt<br />

werden sollte.<br />

Ausg<strong>an</strong>gspunkt aller Betrachtungen<br />

sollte im Falle der PGD das Rat suchende<br />

Paar sein, das ein genetisches Risiko<br />

für die Vererbung einer schwerwiegenden<br />

chromosomalen oder molekularen<br />

Störung beziehungsweise Fehlbildung<br />

trägt und einen fortbestehenden Kinderwunsch<br />

hat. So war der Ausg<strong>an</strong>gsfall<br />

gelagert, der die beh<strong>an</strong>delnden Ärzte<br />

ver<strong>an</strong>lasste, die Ethikkommission der<br />

Medizinischen Universität in Lübeck<br />

<strong>an</strong>zurufen. Nach Anhörung mehrerer<br />

Sachverständiger gab sie das Votum ab,<br />

dass die Maßnahme einer PGD als medizinisch<br />

vertretbar <strong>an</strong>zusehen ist, die<br />

Kommission sich jedoch wegen der bestehenden<br />

Rechtslage – Verbot durch<br />

das <strong>Embryonen</strong>schutzgesetz – <strong>an</strong> der<br />

Abgabe eines positiven Votums gehindert<br />

sieht. Aus der Sicht der beh<strong>an</strong>delnden<br />

Ärzte fassten Ludwig und Diedrich<br />

(1) alle für und gegen die Einführung<br />

dieser medizinischen Maßnahme sprechenden<br />

Argumente zusammen.<br />

Die Thesen der Bioethikkommission<br />

im Bericht vom 20. Juni 1999 (2) gehen<br />

von derselben sehr engen, restriktiven Indikationsstellung<br />

zur PGD aus, die auch<br />

der Richtlinienentwurf übernommen hat.<br />

Ausgehend von der derzeitigen Rechtslage<br />

des Verbotes der Entnahme von totipotenten<br />

Blastomeren aus dem – überlebensfähigen<br />

– Embryo und dem sehr engen<br />

Zeitfenster zwischen verlorener Totipotenz<br />

der Blastomere und noch Erfolg<br />

versprechender Impl<strong>an</strong>tation des Embryos<br />

h<strong>an</strong>delt es sich bei der PGD <strong>an</strong><br />

nicht mehr totipotenten Blastomeren um<br />

eine wahre medizinische Hightechme-<br />

20<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

thode mit großer psychischer Belastung<br />

der betroffenen Eltern, die nicht ohne<br />

Not <strong>an</strong>gewendet werden dürfte. Entscheidend<br />

ist und bleibt der Gesichtspunkt,<br />

dass die Eizelle ausschließlich zur<br />

Herbeiführung einer – weniger belasteten<br />

– Schw<strong>an</strong>gerschaft bei genetisch belasteten<br />

Paaren befruchtet wird und nicht,<br />

wie Frau Riedel schreibt, die Eizelle „zunächst<br />

nur zu diagnostischen Zwecken<br />

künstlich befruchtet wird“. Die Bioethikkommission<br />

hat sich weder dazu entschließen<br />

können, der Frau ein Recht auf<br />

ein gesundes Kind zuzusprechen noch ihr<br />

den Verzicht auf – weitere, gegebenenfalls<br />

unbelastete – Kinder abzuverl<strong>an</strong>gen.<br />

Diesen besonderen Schutz des Kindes<br />

durch die Frau, nämlich die Mutter, erkennt<br />

auch Frau Riedel in ihrem Aufsatz<br />

<strong>an</strong>. Sie übersieht allerdings, dass in dem –<br />

bisl<strong>an</strong>g in Deutschl<strong>an</strong>d einzigen – Beispielsfall<br />

die Eltern schon ein behindertes<br />

Kind haben, zwei Schw<strong>an</strong>gerschaften wegen<br />

Feststellung der Genmut<strong>an</strong>te abgebrochen<br />

wurden und das Paar sich die<br />

Nöte und Belastungen mit einem weiteren<br />

behinderten Kind nicht mehr zutraute.<br />

Insofern k<strong>an</strong>n eine PGD in dem von<br />

der Richtlinie vorgezeichneten sehr engen<br />

Rahmen auch nicht als Argument<br />

dafür herhalten,damit würde behindertes<br />

Leben möglicherweise diskriminiert.<br />

Frau Riedel dürfte auch nicht erk<strong>an</strong>nt haben,<br />

dass die Entscheidung zu einem weiteren<br />

Kind durch das Rat suchende Paar<br />

und erst in letzter Konsequenz durch die<br />

Frau getroffen werden k<strong>an</strong>n.<br />

In These 11.9 stellt die Bioethikkommission<br />

fest, dass es ein Wertungswiderspruch<br />

wäre, würde m<strong>an</strong> Paaren mit dem<br />

Risiko der Übertragung eines Gendefektes<br />

die PGD aus Rechtsgründen verwehren,<br />

gleichwohl aber die spätere Pränataldiagnostik<br />

mit möglichem Schw<strong>an</strong>gerschaftabbruch<br />

nach festgestellter Indikationslage<br />

erlauben. In These III. 2 b)<br />

stellt die Kommission fest, dass die psychische<br />

und physische Belastung durch<br />

einen Schw<strong>an</strong>gerschaftsabbruch, bei<br />

dem es auch zu Spätfolgen für die Frau<br />

kommen k<strong>an</strong>n, ungleich größer ist als die<br />

Belastung durch die Entscheidung, einen<br />

Embryo nicht zu tr<strong>an</strong>sferieren. Dieses<br />

Argument macht sich der Richtlinienentwurf<br />

in Analogie zu der medizinischen<br />

Indikation in § 218a StGB zu Eigen.<br />

Diese Analogie hält Frau Riedel für<br />

fragwürdig. Eine Erklärung hierfür mag<br />

in der Tatsache begründet sein, dass es<br />

sich bei jenem Kollektiv von Frauen, die<br />

den beratenen, aber rechtswidrigen Abbruch<br />

<strong>an</strong>streben, das Frau Riedel im<br />

Blick haben dürfte, um ein von den Rat<br />

suchenden Paaren, die eine PGD wünschen,<br />

völlig verschiedenes Kollektiv<br />

h<strong>an</strong>delt. Der Grundged<strong>an</strong>ke der Bioethikkommission<br />

und des Diskussionsentwurfes,<br />

dass es um ärztliche Entscheidungen<br />

im Einzelfall und unter besonderen<br />

Ausnahmebedingungen geht,<br />

die in die erhöhte Sorgfaltspflicht des<br />

Arztes gestellt sind, wird in der Stellungnahme<br />

von Frau Riedel nicht ausreichend<br />

deutlich. In ihren Thesen III, 3 hat<br />

sich die Kommission aber auch sehr eingehend<br />

mit verschiedenen Argumenten<br />

ausein<strong>an</strong>der gesetzt, die alle auf die<br />

„Dammbruchgefahr“ hinauslaufen, die<br />

schon zu den derzeit gültigen Ausschlussbedingungen<br />

des <strong>Embryonen</strong>schutzgesetzes<br />

geführt haben.<br />

1. Ludwig, M und Diedrich, K. „<strong>Embryonen</strong>forschung<br />

in Deutschl<strong>an</strong>d?“ in Rittner Ch. et<br />

al. (Hrg.) „Genom<strong>an</strong>alyse und Gentherapie:<br />

Medizinische, gesellschaftspolitische, rechtliche<br />

und ethische Aspekte“, Gustav Fischer<br />

Verlag, Stuttgart, 1997.<br />

2. Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik: Thesen zu den<br />

medizinischen, rechtlichen und ethischen<br />

Problemstellungen, Bericht der Bioethik-<br />

Kommission des L<strong>an</strong>des Rheinl<strong>an</strong>d-Pfalz<br />

vom 20. Juni 1999. Ministerium der Justiz<br />

Rheinl<strong>an</strong>d-Pfalz.<br />

Prof. Dr. med. Ch. Rittner<br />

Institut für Rechtsmedizin der<br />

Joh<strong>an</strong>nes-Gutenberg-Universität<br />

Am Pulverturm 3, 55131 Mainz<br />

Anregungen<br />

Ein entscheidender Unterschied zwischen<br />

Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik (PGD)<br />

und Pränataldiagnostik (<strong>PND</strong>) besteht<br />

für mich in dem Umst<strong>an</strong>d, dass die Pränataldiagnostik<br />

in der Regel eine J<strong>an</strong>ein-Entscheidung<br />

zu einem einzelnen<br />

Kind darstellt. Dagegen ermöglicht die<br />

Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik in der Regel<br />

eine Auswahl aus einer größeren<br />

Zahl <strong>an</strong> <strong>Embryonen</strong> (zur Zeit noch<br />

durch das <strong>Embryonen</strong>schutzgesetz beschränkt<br />

auf drei).Wenn m<strong>an</strong> genug <strong>Embryonen</strong><br />

ohne ein bestimmtes Merkmal<br />

zur Verfügung hat, besteht dadurch eine<br />

latente Versuchung, auch noch auf <strong>an</strong>dere<br />

Merkmale zu testen. In Belgien<br />

scheint dies durchaus gängige Praxis zu


sein, indem den Eltern außer der Abklärung<br />

der ursprünglichen Fragestellung<br />

zusätzlich im Vorfeld der PGD aktiv<br />

ein Screening auf häufigere rezessive<br />

Anlageträgereigenschaften <strong>an</strong>geboten<br />

wird, um d<strong>an</strong>n ein eventuelles weiteres<br />

Risiko ebenfalls zu testen.Aber auch ohne<br />

weitere Untersuchungen ergibt sich<br />

bei rezessiven Erkr<strong>an</strong>kungen g<strong>an</strong>z von<br />

allein die Schwierigkeit, wie mit heterozygoten<br />

<strong>Embryonen</strong> (also ohne eigenes<br />

Erkr<strong>an</strong>kungsrisiko) umgeg<strong>an</strong>gen werden<br />

soll,wenn auch homozygot unauffällige<br />

<strong>Embryonen</strong> zur Verfügung stehen.<br />

Der Verweis auf die Eltern als darüber<br />

bestimmende Personen k<strong>an</strong>n zu schwierigen<br />

Situationen führen, da ein heterozygoter<br />

Befund in der Pränataldiagnostik<br />

in aller Regel nicht als Argument für<br />

eine unzumutbare Belastung der<br />

Schw<strong>an</strong>geren <strong>an</strong>erk<strong>an</strong>nt würde. Mit welcher<br />

Begründung sollte er es d<strong>an</strong>n in der<br />

Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik sein?<br />

Ich möchte daher die Frage in den<br />

Raum stellen, ob es nicht möglich wäre,<br />

bei PGD immer nur eine einzelne Eizelle<br />

zu befruchten, zu diagnostizieren und<br />

d<strong>an</strong>n über diesen Embryo eine Ja-nein-<br />

Entscheidung zu treffen. Dies würde sowohl<br />

bei den Ärzten als auch bei den Eltern<br />

natürliche Hemmschwellen erhalten,<br />

mit dem „<strong>Embryonen</strong>material“<br />

nicht allzu großzügig und entpersonalisiert<br />

umzugehen. Es hätte außerdem den<br />

wichtigen Vorteil, dass auf diese Weise<br />

möglichst wenig <strong>Embryonen</strong> verworfen<br />

werden müssten, denn es leuchtet unmittelbar<br />

ein, dass umso mehr <strong>Embryonen</strong><br />

das gesuchte genetische Merkmal aufweisen<br />

werden, je mehr pro Elternpaar<br />

erzeugt werden. Dies scheint mir auch<br />

dem Geist des <strong>Embryonen</strong>schutzgesetzes<br />

noch am ehesten nahe zu kommen.<br />

Viele Reproduktionsmediziner werden<br />

praktische Einwände gegen diesen<br />

Vorschlag erheben und insbesondere eine<br />

Verminderung der Schw<strong>an</strong>gerschaftrate<br />

beziehungsweise eine Erhöhung<br />

der dafür notwendigen Zyklenzahl befürchten.<br />

Dies müsste möglichst gründlich<br />

und ohne Vorurteile untersucht werden.<br />

Die Daten, die <strong>an</strong>h<strong>an</strong>d künstlicher<br />

Befruchtung (IVF und ICSI) gewonnen<br />

wurden, können jedoch nicht ohne weiteres<br />

dazu her<strong>an</strong>gezogen werden, da es<br />

sich hierbei um Paare mit Fruchtbarkeitsstörungen<br />

geh<strong>an</strong>delt hat, was bei<br />

PGD in der Regel nicht der Fall wäre.<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

Möglicherweise wird eine Frau auf diese<br />

Weise mehr Punktionen benötigen,dafür<br />

könnte eventuell auf die Stimulationsbeh<strong>an</strong>dlung<br />

verzichtet werden (?). Der<br />

Trend scheint aber in der Reproduktionsmedizin<br />

ohnehin zur Reduzierung<br />

der <strong>Embryonen</strong>zahl zu gehen, um die belastenden<br />

Mehrlingsschw<strong>an</strong>gerschaften<br />

zu vermindern.Die neuen Richtlinien sehen<br />

deshalb bereits bei IVF und ICSI<br />

vor, einer Frau unter 35 Jahren nur noch<br />

maximal zwei <strong>Embryonen</strong> zu übertragen<br />

(Richtlinien zur assistierten Reproduktion,<br />

DÄ Heft 49/ 1998).<br />

Falls diese – nach meiner Ansicht optimale<br />

– Verbindung eines möglichst sicheren<br />

<strong>Embryonen</strong>schutzes bei gleichzeitiger<br />

Vermeidung von Schw<strong>an</strong>gerschaftsabbrüchen<br />

(als das wesentliche<br />

Argument für PGD) nicht realisierbar<br />

sein sollte, müsste zumindest die Grenze<br />

von zwei oder drei <strong>Embryonen</strong>, die<br />

gleichzeitig erzeugt und untersucht werden<br />

dürfen, unbedingt eingehalten werden.<br />

Es sollte auch eindeutig geregelt<br />

werden, wie mit heterozygoten <strong>Embryonen</strong><br />

bei rezessiven Erkr<strong>an</strong>kungen umgeg<strong>an</strong>gen<br />

wird. Das ist keine akademische<br />

Diskussion ohne praktische Relev<strong>an</strong>z:In<br />

Belgien wird bei X-chromosomal rezessiven<br />

Erkr<strong>an</strong>kungen auf Wunsch der Eltern<br />

bereits eine Selektion gegen weibliche<br />

verdeckte Anlageträger vorgenommen<br />

(Liebaers, persönliche Mitteilung).<br />

Da kein Embryo einer Frau gegen ihren<br />

Willen übertragen werden k<strong>an</strong>n, wird jede<br />

vorherige Vereinbarung umgehbar<br />

bleiben. Analog zu der Geschlechtsmitteilung<br />

bei <strong>PND</strong> vor der 12. Schw<strong>an</strong>gerschaftswoche<br />

könnte deshalb erwogen<br />

werden, einen heterozygoten Befund<br />

grundsätzlich nicht <strong>an</strong>ders als einen homozygot<br />

unauffälligen Befund mitzuteilen<br />

(worauf die Eltern bereits im Vorfeld<br />

hingewiesen würden).<br />

Ärztliches Ziel der PGD k<strong>an</strong>n nur die<br />

Hilfestellung bei einem bestehenden elterlichen<br />

Konflikt sein, nicht die möglichst<br />

effiziente Verhinderung von Menschen<br />

mit genetischen Erkr<strong>an</strong>kungen.<br />

Insofern ist der Absatz: „Bei einer PGD<br />

darf nur auf diejenige Veränderung des<br />

Erbmaterials untersucht werden, die zu<br />

der infrage stehenden schweren genetischen<br />

Erkr<strong>an</strong>kung führt, für die das Paar<br />

ein hohes genetisches Risiko hat.“ ausdrücklich<br />

zu begrüßen. Um das darin <strong>an</strong>gestrebte<br />

Ziel der eigenen Beschrän-<br />

kung zu gewährleisten, sollte aber auch<br />

ein Screening der Eltern auf weitere genetische<br />

Veränderungen im Vorfeld der<br />

PGD abgelehnt werden.<br />

Der Qualität wäre es sicherlich zuträglich,<br />

wenn nur wenige, wissenschaftlich<br />

ausgerichtete Zentren für PGD entstehen<br />

dürften: Jede Technik muss ausreichend<br />

geübt werden,um möglichst zuverlässig<br />

zu sein. Schließlich werden die<br />

gen<strong>an</strong>nten Grenzen der PGD nur so l<strong>an</strong>ge<br />

wirksam bleiben, wie eine kommerzielle<br />

Nutzung auf Dauer verhindert werden<br />

k<strong>an</strong>n, da eine Anschaffung der<br />

benötigten Ressourcen unter dem Druck<br />

steht, sich auch den entsprechenden<br />

Bedarf zu erzeugen.<br />

Dr. med. Barbara Leube<br />

Institut für Hum<strong>an</strong>genetik und Anthropologie<br />

Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf<br />

Universitätsstraße 1<br />

40225 Düsseldorf<br />

Euphemismus<br />

Die novellierte Fassung des § 218 ermöglicht<br />

es nach chromosomalen oder<br />

genetischen Defekten jeglicher Art zu<br />

untersuchen und <strong>an</strong>schließend die<br />

Schw<strong>an</strong>gerschaft abzubrechen – und<br />

zwar zu jedem Zeitpunkt. Grundsätzlich<br />

ist auch eine Untersuchung auf das<br />

Geschlecht möglich.<br />

Damit hat der Gesetzgeber festgestellt,<br />

dass die „positive Eugenik“ im Rahmen<br />

der Schw<strong>an</strong>gerschaft rechtens ist und<br />

die alleinige Entscheidung darüber bei<br />

der Frau liegt. Und tatsächlich ist dies in<br />

der Bundesrepublik jährlich zigtausendfache<br />

Praxis, und jeder tätige Frauenarzt<br />

und Hum<strong>an</strong>genetiker weiß, dass die Vorstellungen<br />

darüber, was „defekt“ oder<br />

was „gesund“ ist, von Frau zu Frau sehr<br />

unterschiedlich sind. Einen gewissen Einhalt<br />

bieten die Richtlinien der Hum<strong>an</strong>genetiker<br />

(im Hinblick auf die Geschlechtsmitteilung),<br />

doch sind dies Selbstverpflichtungen<br />

der beh<strong>an</strong>delnden und diagnostizierenden<br />

Ärzte – der Gesetzgeber<br />

schreibt dies keineswegs vor.<br />

Es ist kaum <strong>an</strong>zunehmen, dass der<br />

Gesetzgeber in der jahrel<strong>an</strong>gen Diskussion<br />

über die Novellierung des § 218 es<br />

„übersehen“ hat, dass durch die jetzige<br />

Formulierung des § 218 der pränatalen<br />

Diagnostik nach allen erdenklichen Gesichtspunkten<br />

mit der Möglichkeit des<br />

21


nachfolgenden Schw<strong>an</strong>gerschaftsabbruches<br />

de facto Tür und Tor geöffnet wurde.<br />

Die Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik würde<br />

diese Prinzipien, wie sie im Rahmen<br />

einer Schw<strong>an</strong>gerschaft als legal erachtet<br />

werden, auf den Embryo vor seiner Einnistung<br />

übertragen.Mehr nicht.Wenn also<br />

schon „am R<strong>an</strong>de der schiefen Bahn“,<br />

d<strong>an</strong>n hätte dieser Aufschrei im Rahmen<br />

der Novellierung des § 218 kommen<br />

müssen. Ist er aber nicht.<br />

Die vorgeschlagenen Richtlinien des<br />

Wissenschaftlichen Beirates der Bundesärztekammer<br />

nehmen sich im Gegensatz<br />

zur Praxis des novellierten § 218 ausgesprochen<br />

restriktiv aus. Der jetzige Aufschrei<br />

der Empörung hat deshalb euphemistische<br />

Züge, denn: wie will m<strong>an</strong> es<br />

noch verstehen, dass ein und dieselbe<br />

Diagnostik und Vorg<strong>an</strong>gsweise am Embryo<br />

vor seiner Einnistung verboten sein<br />

soll, während sie nach seiner Einnistung<br />

de facto ohne Einschränkung und in allen<br />

Lebensaltern (also auch <strong>an</strong> lebensfähigen<br />

Feten) zulässig ist.<br />

Nicht vergessen werden darf, dass das<br />

Verfahren der Pränataldiagnostik eine<br />

Befruchtung außerhalb des Körpers (Invitro-Fertilisation)<br />

voraussetzt, also vergleichsweise<br />

aufwendig ist. Es ist deshalb<br />

davon auszugehen, dass die betroffenen<br />

Gibt es ein Recht auf<br />

(gesunde) Kinder?<br />

In der Diskussion ethischer und juristischer<br />

Aspekte der Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

(<strong>PID</strong>) wird meist der Bezug zu<br />

den entsprechenden Regelungen im Rahmen<br />

der Pränataldiagnostik (FD) und des<br />

§ 218a StGB Abs. 2 hergestellt (vgl. 1).<br />

Dieser Vergleich ist jedoch nicht zulässig.<br />

Bei der moralischen und juristischen<br />

Rechtfertigung eines Schw<strong>an</strong>gerschaftsabbruchs<br />

aus medizinischer Indikation<br />

findet eine Abwägung zwischen dem<br />

Schutz des ungeborenen Lebens und dem<br />

Lebensrecht der Frau statt.Von zentraler<br />

Bedeutung ist hierbei auch, dass die<br />

Schw<strong>an</strong>gere „unschuldig“ in diese Konfliktsituation<br />

hineingeriet (hierzu 2).<br />

Im Fall der <strong>PID</strong> findet demgegenüber<br />

diese Abwägung definitiv nicht statt, da<br />

eine Schw<strong>an</strong>gerschaft noch nicht besteht.<br />

Die noch nicht Schw<strong>an</strong>gere hat<br />

zum Beispiel die Möglichkeit, bewusst<br />

22<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

Paare, sofern sie normal fertil sind, auch<br />

weiterhin auf die PGD verzichten, ihre<br />

Kinder auf normalem Wege zeugen und<br />

die Untersuchungen d<strong>an</strong>n in der Schw<strong>an</strong>gerschaft<br />

vornehmen lassen werden.<br />

Doch was ist mit solchen Ehepaaren,<br />

die auf eine In-vitro-Fertilisation <strong>an</strong>gewiesen<br />

sind (zum Beispiel aufgrund<br />

beidseits fehlender Eileiter der Frau)<br />

und bei denen gleichzeitig eine bek<strong>an</strong>nte<br />

genetische Vorerkr<strong>an</strong>kung besteht?<br />

Muss m<strong>an</strong> d<strong>an</strong>n sehenden Auges auf die<br />

entsprechende Diagnostik bei dem Embryo-in-vitro<br />

verzichten,um ihn <strong>an</strong>schließend<br />

einzusetzen, und im Rahmen der<br />

Schw<strong>an</strong>gerschaft exakt dieselbe Untersuchung<br />

durchzuführen – freilich mit der<br />

Konsequenz eines dritten Eingriffs, nämlich<br />

dem des Schw<strong>an</strong>gerschaftsabbruches?<br />

Geht diese absichtliche Zumutung<br />

von zwei zusätzlichen Körperverletzungen<br />

(Pränataldiagnostik und<br />

Schw<strong>an</strong>gerschaftsabbruch) ethisch wirklich<br />

in Ordnung, oder ist das nicht auch<br />

schon längst „auf der schiefen Bahn“?<br />

Prof. Dr. Dr. W. Würfel<br />

Deutsche Gesellschaft für Gynäkologische Endokrinologie<br />

und Fortpfl<strong>an</strong>zungsmedizin in der Deutschen Gesellschaft<br />

für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG), c/o<br />

Frauenklinik Dr. Wilhelm Krüsm<strong>an</strong>n<br />

Schmiedwegerl 2–6<br />

81241 München<br />

auf eine Schw<strong>an</strong>gerschaft zu verzichten<br />

und damit ein Risiko für ihren Gesundheitszust<strong>an</strong>d<br />

aufgrund einer genetischen<br />

Erkr<strong>an</strong>kung eines zukünftigen Kindes zu<br />

vermeiden; sie hat somit alternative<br />

Möglichkeiten, nicht „<strong>an</strong> der Furcht vor<br />

einem genetisch bedingt schwerstkr<strong>an</strong>ken<br />

Kind gesundheitlich zu zerbrechen“<br />

(1). Die Abwägung besteht in dieser Situation<br />

somit zwischen dem bewussten<br />

Verzicht auf biologisch eigene Kinder<br />

und den Grundrechten des Gezeugten.<br />

Die meisten in genetischer Beratung<br />

und PD Tätigen können <strong>an</strong>dererseits<br />

nicht <strong>an</strong> der Tatsache vorbeisehen, dass –<br />

vergleichbar einer zukünftigen Nutzung<br />

der <strong>PID</strong> – zunehmend die Entscheidung<br />

für die Durchführung einer PD schon<br />

primär mit dem Entschluss zu einer<br />

Schw<strong>an</strong>gerschaft gefällt wird. Wir bezweifeln<br />

jedoch, dass diese Nutzung der<br />

PD und der medizinischen Indikation<br />

zum Schw<strong>an</strong>gerschaftsabbruch – im Sinn<br />

einer „Schw<strong>an</strong>gerschaft auf Probe“ – mit<br />

Geist und Buchstabe des Gesetzes vereinbar<br />

ist: Ist Kinderlosigkeit tatsächlich<br />

als so schwere Beeinträchtigung des Gesundheitszust<strong>an</strong>ds<br />

<strong>an</strong>zusehen, dass dafür<br />

der Schutz des ungeborenen Lebens<br />

zurückstehen muss?<br />

Mit der Zulassung der <strong>PID</strong> würde von<br />

ärztlicher und gesetzgeberischer Seite<br />

auch dieser kalkulierte Einsatz der FD<br />

moralisch positiv s<strong>an</strong>ktioniert; dies entspräche<br />

einem Paradigmenw<strong>an</strong>del der<br />

moralischen Rechtfertigung von PD sowie<br />

der Interpretation des § 218a Abs. 2<br />

StGB.Sowohl die <strong>PID</strong> als auch sämtliche<br />

Verfahren der PD sind vor diesem Hintergrund<br />

kritisch zu hinterfragen,und die<br />

implizit im Raum stehende Frage „Gibt<br />

es ein Recht auf (gesunde) Kinder?“ ist<br />

explizit zu diskutieren.<br />

1. Hoppe, J.-D., und K.-F. Sewing, Diskussionsentwurf<br />

zu einer Richtlinie zur Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

– Vorwort, DÄ Heft 9/2000.<br />

2. Böckle, F., Schw<strong>an</strong>gerschaftsabbruch –<br />

1. Ethik, in: Eser, A. et al. (Hg.), Lexikon<br />

Medizin, Ethik, Recht, Freiburg 1989, Sp. 963–<br />

969.<br />

Dr. med. H<strong>an</strong>s-Jürgen P<strong>an</strong>der<br />

Institut für Klinische Genetik<br />

Städtische Frauenklinik<br />

Obere Straße 2, 70190 Stuttgart<br />

Dr. med. Monika Hagedorn-Greiwe<br />

Institut für Hum<strong>an</strong>genetik<br />

Universitätsklinikum Lübeck<br />

Ratzeburger Allee 160, 23538 Lübeck<br />

Dr. med. K. Mennicke<br />

Klinik für Kinder- und Jugendmedizin<br />

Universitätsklinikum Lübeck<br />

Ratzeburger Allee 160, 23538 Lübeck<br />

Wir alle sind gefordert<br />

Eindeutige Stellungnahmen von Ärzten/<br />

Ärztinnen und gesellschaftlichen Org<strong>an</strong>isationen<br />

sind dringend gefordert:<br />

➀ Selektion der Eltern: Entgegen allen<br />

sprachlichen Verschleierungs- und<br />

Verharmlosungstendenzen der Mitglieder<br />

des Beirates bleibt festzuhalten: Die<br />

Ehepaare, bei denen – obwohl keine Unfruchtbarkeit<br />

vorliegt – vor extrakorporaler<br />

Befruchtung eine genetische Untersuchung<br />

der befruchteten Eizelle vorgenommen<br />

werden k<strong>an</strong>n, werden ausgesucht<br />

– bestimmt – selektioniert – wie immer<br />

dies bezeichnet werden soll. Sie werden<br />

selektioniert nach ihrem Erbgut und<br />

der daraus resultierenden Kr<strong>an</strong>kheitsgefährdung<br />

des gewünschten Kindes.


➁ Selektion der Kinder: Die Entscheidung,<br />

ob die „geschädigte Eizelle“ impl<strong>an</strong>tiert<br />

oder „verworfen“ wird, richtet<br />

sich nach oberflächlichem Lesen nach der<br />

Beeinträchtigung der Mutter. De facto<br />

aber ist einzig und alleine das Ergebnis<br />

der genetischen Untersuchung entscheidend,<br />

denn warum sonst sollte sich ein<br />

Ehepaar dem Stress der künstlichen Befruchtung<br />

unterziehen, wenn das Ergebnis<br />

der Untersuchung für die Entscheidung<br />

der Impl<strong>an</strong>tation unerheblich wäre?<br />

➂ Herabsetzung der Tötungsschwelle:<br />

Im Vorwort des Entwurfes ist es eindeutig<br />

beschrieben: „Die PGD k<strong>an</strong>n allerdings<br />

im Einzelfall die spätere Pränataldiagnostik<br />

ersetzen und damit zu einer<br />

Konfliktreduzierung beitragen, weil<br />

sie Entscheidungen über einen eventuellen<br />

Abbruch einer fortgeschrittenen<br />

Schw<strong>an</strong>gerschaft vermeidet.“ Mit <strong>an</strong>deren<br />

Worten: Ein totipotentes Acht-Zell-<br />

Stadium „verwirft“ m<strong>an</strong> – mit weniger<br />

Bedenken –, bei einem Schw<strong>an</strong>gerschaftsabbruch<br />

im dritten bis fünften<br />

Monat ist der Tod des sich entwickelnden<br />

Menschen greifbarer und führt sicherlich<br />

zu stärkeren Konflikten. Der<br />

Mech<strong>an</strong>ismus der Konfliktreduktion<br />

durch Herabsetzung der Tötungsschwelle<br />

ist ein Mech<strong>an</strong>ismus, der uns<br />

aus der Zeit des Nationalsozialismus gut<br />

bek<strong>an</strong>nt ist und Werteänderungen nach<br />

sich zieht, die im Nationalsozialismus<br />

zur Vergasung Tausender behinderter<br />

Menschen geführt hat.<br />

➃ Eigeninteresse der Mitglieder des<br />

Wissenschaftlichen Beirates: Die Mitglieder<br />

des Beirates sind auch Forscher,<br />

die eigene Interessen <strong>an</strong> der Aufweichung<br />

von <strong>Forschung</strong>sgrenzen haben,<br />

die eventuell auch weitergehende eigene<br />

<strong>Forschung</strong>svorhaben entwickeln. Wer<br />

sagt uns denn, ob nicht nach Durchsetzung<br />

der PGD der nächste Schritt die genetischen<br />

Reparationsversuche <strong>an</strong> den<br />

„kr<strong>an</strong>ken“ befruchteten Eizellen sein<br />

werden? Natürlich wieder zum Wohle<br />

des sich entwickelnden Menschen, den<br />

m<strong>an</strong> d<strong>an</strong>n nach „Reparatur“ ja doch impl<strong>an</strong>tieren<br />

könnte? Wer will denn letztlich<br />

verhindern, dass <strong>an</strong> den „verworfenen“<br />

Zellen weitere Versuche gemacht<br />

werden? Das Interesse von Wissenschaftlern<br />

und deren Wunsch nach Anerkennung<br />

ist viel zu groß, als dass von<br />

dieser Seite eigene S<strong>an</strong>ktionen gegen<br />

Missbrauch greifen könnten.<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

➄ Die Zusammensetzung der Ethikkommissionen,<br />

die Beratung und Aufklärung:<br />

Die Beratung und Aufklärung<br />

unterliegt laut Entwurf dem Hum<strong>an</strong>genetiker<br />

und dem Gynäkologen (die ausschließlich<br />

männliche Form ist auch so im<br />

Entwurf enthalten). Wie immer sind<br />

nicht-ärztliche Gruppen in den Regelberatungen<br />

nicht vorgesehen, sondern können<br />

zusätzlich <strong>an</strong>geboten werden. Dabei<br />

gilt festzuhalten, dass auf sozialpsychologischer<br />

Ebene – auf der zunächst der Konflikt<br />

überhaupt besteht – Mediziner/innen<br />

nach Aus- und Weiterbildung über keinerlei<br />

besondere Kompetenz verfügen, eine<br />

Beratung adäquat durchführen zu können.<br />

Das Gleiche gilt für die Zusammensetzung<br />

der Ethik-Kommissionen.<br />

Wir alle sind gefordert, der Aufweichung<br />

des <strong>Embryonen</strong>schutzgesetzes<br />

und dem Aufbau weiterer selektionierender<br />

Maßnahmen entgegenzutreten.<br />

Wer glaubt, durch Nichteinmischung der<br />

Ver<strong>an</strong>twortung für ethische Fragen entgehen<br />

zu können, der irrt.<br />

Cornelia Femers<br />

Kühlenberg 20<br />

58644 Iserlohn<br />

Erklärung<br />

Aus jahrzehntel<strong>an</strong>ger weit überwiegend<br />

positiver Erfahrung als Patient und als<br />

jahrzehntel<strong>an</strong>ger berufspolitischer Wegbegleiter<br />

der deutschen Ärzteschaft fühle<br />

ich mich zu einer Erklärung verpflichtet:<br />

Ich stimme der Stellungnahme von Joachim<br />

Kardinal Meisner voll inhaltlich zu.<br />

Dazu darf ich bemerken, dass ich der<br />

lutherischen Kirche <strong>an</strong>gehöre, ohne mich<br />

wirklich als Christ bezeichnen zu können.<br />

Ich muss mich heute fragen, ob ich bei<br />

der damaligen Diskussion zur künstlichen<br />

Insemination meine grundsätzliche<br />

Ablehnung deutlich genug in den Gremien<br />

der Bundesärztekammer vertreten<br />

habe. Nach meinen Aufzeichnungen wäre<br />

die erste Stellungnahme <strong>an</strong>lässlich der<br />

Vorbereitungen und der Durchführung<br />

des 62.Deutschen Ärztetages 1959 in Lübeck<br />

fällig gewesen. Der Deutsche Ärztetag<br />

hielt damals eine homologe intrauterine<br />

künstliche Insemination in besonderen<br />

Ausnahmefällen mehrheitlich<br />

für ethisch vertretbar.<br />

Der 7<strong>3.</strong> Deutsche Ärztetag 1970 in<br />

Stuttgart erhob d<strong>an</strong>n mehrheitlich keine<br />

generellen Einwände mehr. Er bezeichnete<br />

diese nicht mehr als st<strong>an</strong>deswidrig,<br />

aber empfahl sie auch nicht ausdrücklich.<br />

Ich entsinne mich sehr deutlich, dass ich<br />

damals bereits der Auffassung war, hier<br />

verletze der Mensch unter Missbrauch<br />

des naturwissenschaftlich-technischen<br />

Fortschritts eine ihm von der Natur selbst<br />

errichtete Grenze, einen kategorischen<br />

Imperativ des menschlichen Seins.<br />

Ich entsinne mich dieser meiner damaligen<br />

Auffassung um so deutlicher,<br />

als ebenfalls in die Siebzigerjahre eine<br />

lebhafte Diskussion zum Thema „Sterbehilfe<br />

als Lebenshilfe“ fällt, in der ich<br />

mich eindeutig gegen die Straffreiheit<br />

auch von „passiver“ Sterbehilfe ausgesprochen<br />

habe. Das geschah mit dem<br />

Hinweis, dass der Mensch gegebenenfalls,<br />

seinem Gewissen folgend, auch gegen<br />

geltendes Strafrecht h<strong>an</strong>deln müsse.<br />

Er könne d<strong>an</strong>n lediglich auf einen einsichtigen<br />

Richter hoffen, der wohl wissen<br />

sollte, dass als unverzichtbarer Best<strong>an</strong>dteil<br />

jeder sittlichen Rechtsordnung<br />

auch Gnade zu gelten habe.<br />

Prof. Dr. h. c. J. F. Volrad Deneke<br />

Axenfeldstraße 16<br />

53177 Bonn<br />

Armutszeugnis<br />

Scham und Mitleid erfüllen einen, wenn<br />

m<strong>an</strong> liest, was die Herren Hoppe und Sewing<br />

sowie die Arbeitsgruppe „Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik“<br />

der Bundesärztekammer<br />

unter ihrem „Beitrag zur Schärfung<br />

des Problembewusstseins“ zur<br />

Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik verstehen.<br />

Mitnichten wird hier irgendeine ethische<br />

Problematik <strong>an</strong>geschnitten. Der vorgelegte<br />

„Diskussionsentwurf“ ist indes ein<br />

bloßes Abwicklungspapier, welches die<br />

genaueren Modalitäten der Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

festzulegen versucht. Besonders<br />

wertvoll erscheint mir dabei die<br />

Erkenntnis, dass „kein Arzt gegen sein<br />

Gewissen verpflichtet werden k<strong>an</strong>n, <strong>an</strong><br />

einer Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik mitzuwirken“,<br />

oder aber die Feststellung, dass<br />

die involvierten Ärzte über entsprechende<br />

Kenntnisse und Erfahrung verfügen<br />

müssen. Hierüber besteht in der Tat ein<br />

g<strong>an</strong>z erheblicher Diskussionsbedarf.<br />

Der Umst<strong>an</strong>d, dass in den einleitenden<br />

Worten eine Präjudiz explizit ausgeschlossen<br />

wird, täuscht den intelligenten<br />

23


Leser und Herrn Kardinal Meisner nicht<br />

darüber hinweg, dass selbstverständlich<br />

ein Ergebnis vorweggenommen wird. Indem<br />

nämlich darüber lamentiert wird, unter<br />

welchen org<strong>an</strong>isatorischen Rahmenbedingungen<br />

die bereits bejahte Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

letztendlich vorgenommen<br />

werden soll. Mit Sp<strong>an</strong>nung erwarte<br />

ich den „Diskussionsentwurf“, der<br />

sich damit beschäftigen wird, unter welchen<br />

Kautelen d<strong>an</strong>n schließlich die Unterscheidung<br />

zwischen „kr<strong>an</strong>k“ und „gesund“<br />

getroffen wird und welches Antragsverfahren<br />

für die nachfolgende Elimination<br />

des „Kr<strong>an</strong>ken“ erforderlich ist.<br />

Der „Diskussionsentwurf“ ist ein bemerkenswertes<br />

Armutszeugnis der deutschen<br />

Ärzteschaft und trägt nichts zu der<br />

inhaltlichen, das heißt sittlichen Ausein<strong>an</strong>dersetzung<br />

mit der beschriebenen Problematik<br />

bei.Vielmehr scheint die Ch<strong>an</strong>ce<br />

vert<strong>an</strong>, aus ärztlicher Sicht gerade im<br />

Hinblick auf den ras<strong>an</strong>ten Zuwachs <strong>an</strong><br />

diagnostischen und therapeutischen<br />

Möglichkeiten auf die sehr umf<strong>an</strong>greichen<br />

ethischen Folgeprobleme hinzuweisen.Dass<br />

ein Theologe uns auf die immer<br />

schwierigeren Grenzen zwischen medizinisch<br />

Machbarem und sittlich Zulässigem<br />

hinweisen muss, ist bitter.<br />

M<strong>an</strong> darf es getrost als eine Zumutung<br />

bezeichnen, auf welchem Niveau<br />

Thema verfehlt<br />

Zu der Stellungnahme von Kardinal<br />

Meisner ...gibt es nur einen Kommentar:<br />

Thema verfehlt.<br />

Dr. Konrad Ringleb<br />

Brunnenstraße 97, 99974 Mühlhausen<br />

Ausweg: Adoption<br />

Im Vorwort zum Diskussionsentwurf der<br />

BÄK-Richtlinie zur Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

steht, dass die damit verbundenen<br />

ethischen Konflikte nur d<strong>an</strong>n zu vermeiden<br />

sind, wenn „betroffene Paare bewusst<br />

auf Kinder verzichten oder sich zu einer<br />

Adoption entschließen“. Jedoch würden<br />

diese Alternativen von Paaren mit hohen<br />

genetischen Risikofaktoren „häufig nicht<br />

akzeptiert“. Aus früherer <strong>an</strong>drologischer<br />

Praxis wohl bek<strong>an</strong>nt sind mir viele Vorbehalte<br />

gegen eine Adoption, die bei spermatologisch<br />

gesicherter Infertilität zur Erfül-<br />

24<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

sich Kardinal Meisner mit den deutschen<br />

Ärzten beziehungsweise ihren repräsentativen<br />

Gremien verständigen<br />

muss. Dass er hierbei einen direkten<br />

Vergleich zum ärztlichen Mitwirken <strong>an</strong><br />

der historischen „Verhütung erbkr<strong>an</strong>ken<br />

Nachwuchses“ her<strong>an</strong>zieht, ist völlig<br />

zutreffend und legitim. So wie damals<br />

Ärzte es waren, die ihr Wissen in den<br />

Dienst einer verwerflichen Welt<strong>an</strong>schauung<br />

stellten, ist es auch heute wieder<br />

unser Berufsst<strong>an</strong>d, der eine vermeintlich<br />

ethische Pragmatik zur Verfügung<br />

stellt, um ein im Grunde unethisches<br />

Vorgehen zu ermöglichen. Heute<br />

wie damals wird sich unser St<strong>an</strong>d jedoch<br />

letztlich nicht seiner Ver<strong>an</strong>twortung entziehen<br />

können.<br />

Unter diesen Umständen ist zu überlegen,<br />

inwieweit Stellungnahmen und<br />

so gen<strong>an</strong>nte Diskussionsentwürfe der<br />

Bundesärztekammer zu derlei Dingen<br />

überhaupt noch sinnvoll sind. Zur<br />

„Schärfung des Problembewusstseins<br />

im gesamtgesellschaftlichen Meinungsbildungsprozess“<br />

tragen sie jedenfalls sicherlich<br />

nicht bei.<br />

Dr. med. Karl-Anton Kreuzer<br />

Abteilung für Innere Medizin<br />

Medizinische Fakultät Charité der Humboldt-Universität<br />

zu Berlin, Campus Virchow-Klinikum<br />

Augustenburger Platz 1, 13353 Berlin<br />

lung des Kinderwunsches damals einzig offen<br />

st<strong>an</strong>d (abgesehen von der ethisch und<br />

[Personenst<strong>an</strong>ds-]rechtlich absolut unzulässigen<br />

<strong>an</strong>onym-heterologen Insemination).Verständliche<br />

Ängste oder Vorurteile<br />

(„Blamage“ für das Paar beziehungsweise<br />

den M<strong>an</strong>n, befürchtete Unterschiebung<br />

„minderwertiger“ Kinder durch die Gesundheitsämter<br />

u. a.) waren aber durch<br />

einfühlsame Aufklärung des Paares zu mildern<br />

oder zu entkräften. Auch heute noch<br />

könnte sachkundige Adoptionsberatung<br />

viel erreichen, wenn zum Beispiel auch<br />

die l<strong>an</strong>gwierige, oft als Zumutung empfundene<br />

Gründlichkeit der für beide Seiten<br />

– Adoptiveltern und Kind – gleichermaßen<br />

ver<strong>an</strong>twortlichen Behörden erläutert<br />

wird, <strong>an</strong>dererseits dem Paar die Minimierung<br />

von Risiken – Ausschluss erbkr<strong>an</strong>ker<br />

oder erkennbar belasteter Kinder<br />

durch pädiatrische Voruntersuchung,<br />

gesundheitsamtliche Überprüfung des sozialen<br />

Milieus und der Gesundheit der<br />

Mutter sowie (nach Möglichkeit) des Va-<br />

ters – und die Ch<strong>an</strong>ce der freien Wahl eines<br />

Wunschkindes unter verschiedenen<br />

Kleinkindern (nur zu Kleinkindern wurde<br />

geraten) im Waisenhaus klar gemacht<br />

wird. Dies und nicht zuletzt die mit der<br />

Adoption gegebene „Gleichberechtigung“<br />

hinsichtlich der Rechte und Pflichten<br />

zur Erziehung und Förderung des<br />

Kindes lässt die Adoption d<strong>an</strong>n in neuem<br />

Licht erscheinen, nicht mehr als bloßen<br />

Notbehelf. Selbstverständlich setzt eine<br />

Beratung, die auch das Selbstvertrauen<br />

und die (durch die Wartefrist oft belastete)<br />

Frustrationstoler<strong>an</strong>z des Paares stützen<br />

soll, ein taktvoll-hilfsbereites Verhalten<br />

der Behördenpersonen voraus, um<br />

präsumptive Adoptiveltern nicht zu verunsichern.<br />

Möglicherweise beruht die geringe<br />

Akzept<strong>an</strong>z des Adoptions<strong>an</strong>gebots<br />

auf mehreren Gründen. Zu geringes ärztliches<br />

Interesse <strong>an</strong> einer „nur“ sozio-therapeutischen<br />

(aber oft glücklichen) – statt<br />

einer instrumentell machbaren – Erfüllung<br />

des Kinderwunsches, unpersönlicher<br />

Formalismus bei Behörden, falsche<br />

Scham vor dem „Makel“ einer ungewollt<br />

kinderlosen Ehe usw. Hätten hier nicht<br />

die Jugendämter, die Kirchen und die<br />

„Medien“ eine wertvolle, gegenüber der<br />

uninformierten Öffentlichkeit viel zu l<strong>an</strong>ge<br />

vernachlässigte Aufgabe?<br />

Professor Dr. med. Otto P. Hornstein<br />

D<strong>an</strong>ziger Straße 5, 91030 Uttenreuth<br />

D<strong>an</strong>k <strong>an</strong> Kardinal Meisner<br />

. . . Die ethische Verrohung geht einher<br />

mit marktförderlichem Mech<strong>an</strong>ismus.<br />

Der Utilitarismus eines Herrn Lenin lässt<br />

grüßen, ebenso der Sozialdarwinismus aller<br />

Schattierungen. Die Bundesärztekammer<br />

sollte im Wissen um das üble Erbe der<br />

Reichsärztekammer konsequente Hüterin<br />

des Lebens sein! Will m<strong>an</strong> in 50 Jahren<br />

wieder behaupten, die katholische Kirche<br />

hätte zu leise gewarnt? Wer das 20. Jahrhundert<br />

unter Marktaspekten gleich<br />

Ideologieaspekten betrachtet, kommt zu<br />

der Feststellung,dass insbesondere die katholische<br />

Kirche ein Markthemmungsfaktor<br />

ist, den das 20. Jahrhundert erfolgreich<br />

beseitigt hat. Dem Deutschen Ärzteblatt<br />

ist für die Veröffentlichung der Stellungnahme<br />

von Kardinal Meisner außerordentlich<br />

zu d<strong>an</strong>ken.<br />

Dr. med. Steph<strong>an</strong> Kunze<br />

Friedrich-Hegel-Straße 31, 01187 Dresden


Heft 17, 28. April 2000<br />

Der vom Wissenschaftlichen Beirat<br />

der Bundesärztekammer vorgelegte<br />

„Diskussionsentwurf zu einer<br />

Richtlinie zur Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik“<br />

hat unterschiedliche Reson<strong>an</strong>z in<br />

der Öffentlichkeit gefunden. Dabei ist<br />

immer wieder die Frage nach der Vereinbarkeit<br />

der Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

mit dem <strong>Embryonen</strong>schutzgesetz aufgeworfen<br />

worden, so auch von Riedel (DÄ<br />

Heft 10/2000), die feststellt, die Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

stehe im Widerspruch<br />

zum <strong>Embryonen</strong>schutzgesetz.<br />

Es überrascht,wie apodiktisch und vehement<br />

zugleich Riedel zur Einleitung<br />

ihres Plädoyers für eine unvoreingenommene<br />

Debatte behauptet, eine Zulassung<br />

der Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik sei<br />

mit dem <strong>Embryonen</strong>schutzgesetz<br />

(EschG) nicht vereinbar, ohne dass eine<br />

nähere Ausein<strong>an</strong>dersetzung mit dem<br />

Gesetzestext stattgefunden hat.<br />

Ihrem Beitrag,in dem sie die durchaus<br />

nachvollziehbare Forderung einer gesetzlichen<br />

Regelung erhebt, stellt Riedel<br />

die These vor<strong>an</strong>, die Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

stehe im Widerspruch zum<br />

ESchG. Diesem zufolge, so heißt es, dürfe<br />

eine Eizelle nur zum Zweck der Herbeiführung<br />

einer Schw<strong>an</strong>gerschaft bei<br />

der Frau, von der die Eizelle stammt,<br />

künstlich befruchtet werden;ein Embryo<br />

dürfe auch nur zu diesem Zweck weiterentwickelt<br />

und ein extrakorporal erzeugter<br />

Embryo dürfe zu keinem <strong>an</strong>deren<br />

Zweck als zu seiner Erhaltung verwendet<br />

werden, siehe § 1 l Nr. 2, § 2 l und II<br />

ESchG. Ziel der Regelung der künstlichen<br />

Befruchtung im ESchG sei die Beh<strong>an</strong>dlung<br />

von Fertilitätsstörungen, also<br />

die Erfüllung des Kinderwunsches einer<br />

Frau oder eines Paares. Dieses von Riedel<br />

so betonte Ziel wird im ESchG jedoch<br />

gerade nicht ausdrücklich ben<strong>an</strong>nt.<br />

Riedels Aussagen zeigen vielmehr, dass<br />

hier der Wunsch des Bestehens eines<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

Wissenschaftlicher Beirat der Bundesärztekammer<br />

Von richtigen rechtlichen<br />

Voraussetzungen ausgehen<br />

Zur rechtlichen Bewertung der Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

Verbotes Mutter der Argumentation ist,<br />

mehr jedoch nicht.<br />

Ein allgemeines Verbot der Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

könnte sich aus<br />

§ 1 l Nr. 2 ESchG herleiten. Dort heißt<br />

es, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren<br />

oder mit Geldstrafe werde bestraft, wer<br />

es unternimmt, eine Eizelle zu einem<br />

<strong>an</strong>deren Zweck künstlich zu befruchten,<br />

als eine Schw<strong>an</strong>gerschaft der Frau<br />

herbeizuführen, von der die Eizelle<br />

stammt.<br />

Wenn ein Arzt im Rahmen einer Invitro-Fertilisation<br />

(IVF) eine Eizelle befruchtet<br />

und diese durch Entnahme einer<br />

nicht mehr totipotenten Zelle auf bestimmte<br />

genetische Defekte untersucht,<br />

um je nach Befund den Embryo zu tr<strong>an</strong>sferieren<br />

oder nicht, ist fraglich, ob der<br />

Arzt die Eizelle gemäß § 1 l Nr.2 EschG –<br />

wie Riedel behauptet – zu einem <strong>an</strong>deren<br />

Zweck künstlich befruchtet, als die<br />

Schw<strong>an</strong>gerschaft einer Frau herbeizuführen<br />

– nämlich vielmehr, um eine „Selektionsmöglichkeit“<br />

zu eröffnen. Tatbest<strong>an</strong>dslos<br />

h<strong>an</strong>delt, wer mit der Absicht<br />

h<strong>an</strong>delt, eine Schw<strong>an</strong>gerschaft herbeizuführen.<br />

Riedel scheint der Ansicht zu sein,<br />

dass eine solche Absicht bei der Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

zum Zeitpunkt<br />

der Befruchtung noch nicht besteht. Diese<br />

Auffassung wird den tatsächlichen Gegebenheiten<br />

jedoch nicht gerecht, da sie<br />

eine künstliche Aufteilung eines einheitlichen<br />

Vorg<strong>an</strong>ges vornimmt. Die Betroffenen<br />

h<strong>an</strong>deln von Beginn der IVF mit<br />

dem Bewusstsein, dass die gesamte Beh<strong>an</strong>dlung<br />

auf Herbeiführung einer<br />

Schw<strong>an</strong>gerschaft ausgerichtet ist. Dass<br />

die Schw<strong>an</strong>gerschaft noch von einer Bedingung<br />

abhängig gemacht wird, stellt<br />

dabei ein separat zu beh<strong>an</strong>delndes Problem<br />

dar. So ist die Frage, ob die Absicht<br />

deshalb verneint werden könnte,weil ein<br />

später vorzunehmender Teilakt noch<br />

von einer weiteren Bedingung, das heißt<br />

der Entscheidung der Mutter zum Tr<strong>an</strong>sfer,<br />

abhängig gemacht werden soll. Die<br />

Absicht wird allein nach der voluntativen<br />

Beziehung zwischen Täterpsyche<br />

und Taterfolg definiert. Bewusst herbeigeführte<br />

und erwünschte Erfolge sind<br />

immer beabsichtigt, auch wenn ihr Eintritt<br />

nicht sicher ist (Roxin, Strafrecht<br />

Allgemeiner Teil, B<strong>an</strong>d l, <strong>3.</strong>Auflage, § 12<br />

Rdnr. 11; Cramer in: Schönke/Schröder,<br />

25. Auflage, § 15 Rdnr. 67, m. w. N.). Das<br />

Abhängigmachen der Vornahme eines<br />

zukünftig vorzunehmenden Teilaktes<br />

von einem Bedingungsschritt, hier der<br />

Annahme zur Übertragung eines Embryos<br />

auf die Mutter, schließt die Absicht,<br />

eine Schw<strong>an</strong>gerschaft herbeizuführen,<br />

gerade nicht aus. Eine Strafbarkeit<br />

nach § 1 l Nr. 2 ESchG k<strong>an</strong>n daher<br />

nicht bejaht werden, wenn die Fertilisation<br />

erfolgt. Dieses Ergebnis ist naheliegend,<br />

bedenkt m<strong>an</strong>, dass auch bei der<br />

Vornahme einer regulären IVF ohne<br />

Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik der Arzt<br />

den <strong>an</strong>schließenden Embryotr<strong>an</strong>sfer<br />

stets von der Bedingung abhängig macht,<br />

dass sich die Patientin auch später noch<br />

bereit erklärt, diesen vornehmen zu lassen<br />

(hierzu und im Folgenden demnächst<br />

Schneider in MedR 2000. Auf dem Weg<br />

zur Selektion – Strafrechtliche Aspekte<br />

der Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik). Weiterer<br />

Anknüpfungspunkt für eine mögliche<br />

Strafbarkeit nach § 1 l Nr. 2 ESchG<br />

k<strong>an</strong>n sein, die „Ausschließlichkeit“ der<br />

Zweckverfolgung in Zweifel zu ziehen.<br />

Die Frage ist, ob nur derjenige tatbest<strong>an</strong>dslos<br />

h<strong>an</strong>delt, der die Eizelle ausschließlich<br />

deshalb künstlich befruchtet,<br />

um eine Schw<strong>an</strong>gerschaft der Frau herbeizuführen,<br />

von der der Embryo<br />

stammt,oder ob der Täter auch einen <strong>an</strong>deren<br />

Nebenzweck mit der künstlichen<br />

Befruchtung verfolgen k<strong>an</strong>n, ohne tatbest<strong>an</strong>dsmäßig<br />

zu h<strong>an</strong>deln.<br />

Aus dem Gesetzestext geht nicht hervor,<br />

dass die Absicht der Herbeiführung<br />

einer Schw<strong>an</strong>gerschaft durch die gleichzeitige<br />

absichtliche Verfolgung eines <strong>an</strong>deren<br />

Zweckes – nämlich zuvor die genetische<br />

Struktur des Embryos zu prüfen<br />

– ausgeschlossen ist. Dieses Ergebnis<br />

ließe sich nur im Wege unzulässiger erweiternder<br />

Interpretation oder Analogie<br />

gewinnen. Die äußerste Auslegungsgrenze<br />

markiert jedoch nach der Rechtsprechung<br />

des BVerfG (BVerfGE 73,<br />

25


206 [234 ff.];92,1 [12]) und vorherrschender<br />

Ansicht im Schrifttum (Larenz, Methodenlehre<br />

der Rechtswissenschaft, 6.<br />

Auflage, S. 323 m. w. N.) der mögliche<br />

Wortsinn eines gesetzlichen Begriffs.<br />

Im Strafrecht gilt ferner das Verbot<br />

der strafbarkeitsbegründenden oder<br />

-schärfenden Analogie (Roxin, Strafrecht,Allgemeiner<br />

Teil, B<strong>an</strong>d l, <strong>3.</strong>Auflage,<br />

§ 5 Rdnr. 26 ff., m. w. N.). Art. 103 II<br />

GG macht die Strafbarkeit einer Tat von<br />

einer gesetzlichen Regelung abhängig<br />

und verbietet eine Ausdehnung der<br />

Strafbarkeit über den Gesetzeswortlaut<br />

hinaus auf ähnlich strafbedürftig und<br />

strafwürdig erscheinende Verhaltenweisen.<br />

Diese engen Grenzen verkennt Riedel.<br />

Für die Annahme einer „Ausschließlichkeit“<br />

des verfolgten Zwecks im Sinne<br />

des Verbotes eines Nebenzwecks<br />

sind im Gesetz keine Anhaltspunkte ersichtlich.<br />

Von Riedel wird ferner der mit „Missbräuchliche<br />

Verwendung“ überschriebene<br />

§ 2 l EschG als Argument für ein Verbot<br />

gen<strong>an</strong>nt. Dort heißt es, dass derjenige,<br />

der einen extrakorporal erzeugten<br />

[. . .] menschlichen Embryo [. . .] zu einem<br />

nicht seiner Erhaltung dienenden<br />

Zweck [. . .] verwende, mit Freiheitsstrafe<br />

bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe<br />

bestraft werde.<br />

Fraglich ist, ob es eine „missbräuchliche<br />

Verwendung“ darstellt, den<br />

Embryo nach erfolgter Biopsie und der<br />

Feststellung von bestimmten genetischen<br />

Defekten nicht zu tr<strong>an</strong>sferieren,<br />

sondern in der Petrischale liegen zu lassen,<br />

bis er sich nicht weiterentwickeln<br />

k<strong>an</strong>n und daraufhin abstirbt.<br />

Dies setzt zunächst voraus, dass die<br />

„Verwendung“ im Sinne von § 2 l EschG<br />

auch durch Unterlassen begehbar ist<br />

(<strong>an</strong>dere Auffassung Günther, in: Keller/<br />

Günther/Kaiser, § 2 Rn. 34). Unterstellt<br />

m<strong>an</strong> dies, ist im Falle der Vornahme eine<br />

Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik – welche im<br />

Einverständnis und auf Bitten des betroffenen<br />

Ehepaares durchgeführt wird<br />

– § 2 l ESchG in Form des Unterlassens<br />

deshalb nicht einschlägig, weil dem Arzt<br />

die Einsetzung der „selektierten“ Eizelle<br />

entweder gar nicht möglich ist oder es<br />

ihm nicht zuzumuten wäre, gegen den<br />

Willen der Patientin und entgegen dem<br />

Ziel der Beh<strong>an</strong>dlung die Eizelle dennoch<br />

26<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

– etwa unter Täuschung der Patientin –<br />

zu tr<strong>an</strong>sferieren. Im Fall der Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

ist die Erfüllung des<br />

Tatbest<strong>an</strong>des von § 2 l ESchG durch<br />

Nichtübertragung des Embryos, sondern<br />

Liegenlassen, wenn die Patientin einen<br />

Tr<strong>an</strong>sfer der belasteten Zelle ablehnt,<br />

nicht strafbar.<br />

Ein Verstoß gegen § 2 l ESchG wäre<br />

ferner denkbar, wenn m<strong>an</strong> in der Entnahme<br />

und Untersuchung einer Zelle eine<br />

Verwendung des Embryos sehen würde,<br />

die einem nicht seiner Erhaltung<br />

dienenden Zwecke gewidmet ist, das<br />

heißt mit <strong>an</strong>deren Worten, wenn m<strong>an</strong> argumentiert,<br />

„das Untersuchen“ diene<br />

nicht der Erhaltung und würde somit eine<br />

missbräuchliche Verwendung darstellen.<br />

Entnimmt der Arzt dem Embryo eine<br />

Zelle und beeinträchtigt das die späteren<br />

Weiterentwicklungsch<strong>an</strong>cen nicht,<br />

insofern als der Embryo noch mit den<br />

regulären Erfolgsaussichten auf Herbeiführung<br />

einer Schw<strong>an</strong>gerschaft in den<br />

Mutterleib übertragen werden k<strong>an</strong>n, ist<br />

die Beh<strong>an</strong>dlung als „neutrale H<strong>an</strong>dlung“<br />

zu werten. Die Untersuchung ist zwar<br />

nicht notwendig für die Erhaltung, zugleich<br />

beeinträchtigt sie eine solche Erhaltung<br />

auch nicht. Schon der objektive<br />

Tatbest<strong>an</strong>d scheint nicht erfüllt zu sein.<br />

§ 2 l ESchG verl<strong>an</strong>gt jedoch weiter als<br />

spezielles subjektives Tatbest<strong>an</strong>dsmerkmal<br />

die Absicht des Täters, einen nicht<br />

der Erhaltung des Embryos dienenden<br />

Zweck zu verfolgen. Eine solche Absicht<br />

in Form zielgerichteten Wollens ist jedoch<br />

nicht gegeben. Es kommt dem Arzt<br />

nicht darauf <strong>an</strong>, mit der H<strong>an</strong>dlung einen<br />

Zweck zu verfolgen, der nicht der Erhaltung<br />

des Embryos dient. Ein Verstoß gegen<br />

§ 2 l ESchG ist daher auch durch die<br />

Untersuchung nicht gegeben.<br />

Was den § 2 II ESchG betrifft, in dem<br />

es heißt:„Ebenso wird bestraft,wer zu einem<br />

<strong>an</strong>deren Zweck als der Herbeiführung<br />

einer Schw<strong>an</strong>gerschaft bewirkt,dass<br />

sich ein menschlicher Embryo<br />

extrakorporal weiterentwickelt“, so<br />

muss auch hier auf das Erfordernis der<br />

Absicht, das heißt des dolus directus ersten<br />

Grades, hingewiesen werden. Ein<br />

solches zielgerichtetes Wollen ist nicht<br />

gegeben.<br />

Im Ergebnis bleibt festzuhalten, dass<br />

der Ausg<strong>an</strong>gspunkt Riedels, die Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

stehe im Widerspruch<br />

zum ESchG, nicht richtig ist.<br />

Welche Konsequenz die fehlende Regelung<br />

der Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

in Zukunft haben wird und ob der Gesetzgeber<br />

sie regeln sollte, ist damit jedoch<br />

noch keineswegs geklärt. Den Autoren<br />

des Diskussionsentwurfs eine einseitige<br />

Fehlinterpretation des <strong>Embryonen</strong>schutzgesetzes<br />

und eine schon deshalb<br />

falsche Position zur Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

vorzuwerfen, ist verfehlt.<br />

Der Entwurf dient gerade dazu, die öffentliche<br />

Diskussion <strong>an</strong>zuregen. Die in<br />

ihm vertretene Position ist rechtlich jedenfalls<br />

möglich. M<strong>an</strong> sollte bei der Beurteilung<br />

von richtigen rechtlichen Voraussetzungen<br />

ausgehen.<br />

Prof. Dr. Dr. med. h. c. H.-L. Schreiber<br />

Direktor des Juristischen Seminars<br />

Postfach 37 44<br />

37027 Göttingen


Dass die Fortpfl<strong>an</strong>zungsmedizin ein<br />

problem- und konfliktbeladenes Feld<br />

ärztlicher Tätigkeit darstellt, ist unverkennbar.<br />

So war es nahezu unvermeidbar,<br />

dass sich der Wissenschaftliche<br />

Beirat der Bundesärztekammer dieses<br />

schwierigen Terrains <strong>an</strong>genommen hat,<br />

um den St<strong>an</strong>d der Wissenschaft in ein<br />

berufsrechtliches Regelwerk oder Vorschläge<br />

dazu einzubetten. Die „Richtlinien<br />

zur Durchführung der assistierten<br />

Reproduktion“ (1998), die „Richtlinien<br />

zur pränatalen Diagnostik von Kr<strong>an</strong>kheiten<br />

und Kr<strong>an</strong>kheitsdispositionen“<br />

(1998), die „Erklärung zum Schw<strong>an</strong>gerschaftsabbruch<br />

nach Pränataldiagnostik“<br />

(1998) sind als Niederschlag dieser<br />

Bemühungen zu verstehen. In den<br />

„Richtlinien zur Pränataldiagnostik von<br />

Kr<strong>an</strong>kheiten und Kr<strong>an</strong>kheitsdispositionen“<br />

wurde der Komplex Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

ausgeklammert, da<br />

klar geworden war, dass diese wegen<br />

der Sensibilität des Themas eines eigenständigen<br />

Papiers bedurfte. Die intensive<br />

Bearbeitung durch einen multidisziplinär<br />

– in seinen Anschauungen keinesfalls<br />

uniform – besetzten Arbeitskreis<br />

hat ihren Niederschlag gefunden<br />

in der vom Wissenschaftlichen Beirat<br />

einstimmig gebilligten Form eines „Entwurfs<br />

für eine Richtlinie zur Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik“.<br />

Der Wissenschaftliche<br />

Beirat ist ein Beratungsgremium der<br />

Bundesärztekammer.Dem Vorst<strong>an</strong>d der<br />

Bundesärztekammer steht es frei, wie er<br />

Vorschläge des Wissenschaftlichen Beirats<br />

umsetzt. Von diesem Recht hat der<br />

Vorst<strong>an</strong>d der Bundesärztekammer Gebrauch<br />

gemacht und die Vorlage des<br />

Wissenschaftlichen Beirats ohne textliche<br />

oder inhaltliche Änderungen als<br />

„Diskussionsentwurf zu einer Richtlinie<br />

zur Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik“<br />

zustimmend zur Kenntnis genommen<br />

und zur Veröffentlichung freigegeben.<br />

Erklärte Absicht sowohl des Wissenschaftlichen<br />

Beirats als auch des Vorst<strong>an</strong>ds<br />

der Bundesärztekammer war es,<br />

einen „Diskurs mit den gesellschaftlichen<br />

Gruppen“ (nicht gegen sie!) im<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

Heft 17, 28. April 2000<br />

Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

als Ver<strong>an</strong>twortung<br />

Sinne eines „offenen und sachlichen,<br />

gleichwohl kritischen Dialog“(s) zu<br />

führen. Der Wissenschaftliche Beirat<br />

hat sich in einem ausführlichen Vorwort<br />

mit den Problemen der Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

ausein<strong>an</strong>der gesetzt und<br />

die Konfliktfelder offen ben<strong>an</strong>nt. Bei<br />

der Gestaltung des Richtlinienentwurfs<br />

war der Wissenschaftliche Beirat getragen<br />

von dem Bemühen, einerseits dem<br />

Schutz des ungeborenen Lebens, <strong>an</strong>dererseits<br />

aber auch gezielt Paaren gerecht<br />

zu werden, die „<strong>an</strong> der Furcht vor<br />

einem genetisch bedingt schwerstkr<strong>an</strong>ken<br />

Kind gesundheitlich zu zerbrechen<br />

drohen“. Der verständliche Wunsch<br />

nach einem gesunden Kind ist eine sittliche<br />

Norm und k<strong>an</strong>n aus der Diskussion<br />

nicht dadurch ausgeblendet werden,<br />

dass in der Gesellschaft eine Erwartungshaltung<br />

für gesunde Kinder als<br />

Gefahr gebr<strong>an</strong>dmarkt wird.<br />

Einem Dammbruch im Sinne einer<br />

Öffnung der Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

für nicht ausschließlich der Erkennung<br />

einer bek<strong>an</strong>nten, schwerwiegenden, unbeh<strong>an</strong>delbaren,<br />

genetisch bedingten Erkr<strong>an</strong>kung<br />

dienende Indikationen k<strong>an</strong>n<br />

und muss m<strong>an</strong> am ehesten dadurch begegnen,<br />

dass m<strong>an</strong> von einem schematisierten<br />

Indikationskatalog Abst<strong>an</strong>d<br />

nimmt zugunsten einer ver<strong>an</strong>twortungsbewussten<br />

Einzelfallbegutachtung,<br />

die durch Einschaltung von zwei hierarchisch<br />

nachein<strong>an</strong>der <strong>an</strong>geordneten<br />

Kommissionen untermauert wird.<br />

Es geht <strong>an</strong> der Sache völlig vorbei und<br />

verlässt den Boden eines <strong>an</strong> wissenschaftlichen<br />

Maximen orientierten Meinungsaustauschs,<br />

wenn der Eindruck erweckt<br />

wird,aus gutem Grund geschlossene<br />

Schleusen gegenüber nationalsozialistischen<br />

Gräueltaten seien durch den<br />

Wissenschaftlichen Beirat der Bundesärztekammer<br />

wieder geöffnet worden<br />

und wenn die Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

in die ged<strong>an</strong>kliche Nähe einer Eugenik<br />

nationalsozialistischer Prägung<br />

gerückt wird. Letztere stellt den Vollzug<br />

eines von einem verbrecherischen Regime<br />

staatlich verordneten und praktizier-<br />

ten Rassenwahns dar, der vor zw<strong>an</strong>gsweisen<br />

Sterilisationen,Tötungen und <strong>an</strong>deren<br />

Gräueltaten nicht zurückschreckte.<br />

Das Begehren nach einer Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

wird demgegenüber<br />

freiwillig und aus eigenem Antrieb<br />

von einem einzelnen Paar aus einer berechtigten<br />

individuellen Sorge heraus<br />

<strong>an</strong> einen Arzt her<strong>an</strong>getragen, was einen<br />

intensiven Beratungs- und Zustimmungsprozess<br />

in G<strong>an</strong>g setzt, bevor<br />

ein Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik-Verfahren<br />

überhaupt aktiv eingeleitet werden<br />

könnte.<br />

Zentrales rechtliches Thema ist die<br />

Frage nach der Vereinbarkeit der Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

mit dem <strong>Embryonen</strong>schutzgesetz.Anders<br />

als das Bundesministerium<br />

für Gesundheit sind sowohl<br />

die Bioethik-Kommission des L<strong>an</strong>des<br />

Rheinl<strong>an</strong>d-Pfalz unter dem Vorsitz<br />

des (verstorbenen) Justizministers Peter<br />

Caesar als auch der Wissenschaftliche<br />

Beirat der Bundesärztekammer nach eingehender<br />

rechtlicher Prüfung zu dem Ergebnis<br />

gel<strong>an</strong>gt, dass die Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

nicht mit dem <strong>Embryonen</strong>schutzgesetz<br />

kollidiert (siehe dazu<br />

Schreibers vor<strong>an</strong>gehenden Beitrag).<br />

Begründet wird diese Einschätzung<br />

dadurch, dass – in Übereinstimmung<br />

mit dem <strong>Embryonen</strong>schutzgesetz – das<br />

erklärte und einzige Ziel einer In-vitro-<br />

Fertilisation als Voraussetzung einer<br />

Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik die Herbeiführung<br />

einer Schw<strong>an</strong>gerschaft ist.<br />

Erst wenn nach einer Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

„ein hohes Risiko für eine<br />

bek<strong>an</strong>nte und schwerwiegende, genetisch<br />

bedingte Erkr<strong>an</strong>kung“ der Nachkommen<br />

erkennbar wird, stellt sich für<br />

die betroffenen Paare die Frage nach<br />

dem Tr<strong>an</strong>sfer aller zum Zwecke der<br />

Herbeiführung einer Schw<strong>an</strong>gerschaft<br />

befruchteten Eizellen. Die Bioethik-<br />

Kommission Rheinl<strong>an</strong>d-Pfalz mahnt<br />

zwar <strong>an</strong>, dass „die Grundvoraussetzungen<br />

der Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik als<br />

wesentlich für die Grundrechte gesetzlich<br />

geregelt werden“ (müssen). Sie<br />

stellt aber die Legalität der Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

damit nicht grundsätzlich<br />

infrage, sondern sagt vielmehr:<br />

„Damit dem (gesetzliche Regelung der<br />

Grundrechte, Verfasser) Rechnung getragen<br />

wird, sollen folgende Voraussetzungen<br />

gelten:<br />

27


❃ hohes genetisches Risiko (als normativer<br />

Begriff ohne Festlegung eines<br />

Katalogs bestimmter Erkr<strong>an</strong>kungen)<br />

❃ Beratung eines Paares über Ch<strong>an</strong>cen,<br />

Risiken und Alternativen durch den<br />

Arzt<br />

❃ Einwilligung des Paares.<br />

Die darüber hinausgehenden Modalitäten<br />

und Details sollen in Richtlinien<br />

der Bundesärztekammer festgelegt werden,<br />

um sie den jeweiligen medizini-<br />

Heft 18, 5. Mai 2000<br />

Schöne Neue Welt<br />

Die Wissenschaft bewegt sich mit<br />

gewaltigen Schritten vor<strong>an</strong>, natürlich<br />

nur nach vorne . . .? Wer hätte<br />

vor einigen Jahrzehnten von Gentherapie,<br />

Klonierung oder Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

(PGD = preimpl<strong>an</strong>tation<br />

genetic diagnosis) zu träumen gewagt?<br />

Doch, diese Träumer gab es. Es lohnt<br />

einmal wieder, Aldous Huxleys „Schöne<br />

Neue Welt“ aus dem Bücherschr<strong>an</strong>k<br />

zu nehmen. Eine Gruselfiktion der<br />

Zw<strong>an</strong>zigerjahre, visionär aus heutiger<br />

Sicht. Die Klonierung ist dort Routine,<br />

als „Bok<strong>an</strong>owsky-Verfahren“ st<strong>an</strong>dardisiert<br />

und gesellschaftlich (<strong>an</strong>geblich)<br />

akzeptiert. Einen Schönheitsfehler<br />

hat das G<strong>an</strong>ze natürlich; <strong>an</strong>ders als in<br />

der heutigen Realität verliert der Org<strong>an</strong>ismus<br />

beim Klonieren Kompetenz.<br />

Das Ideal also ist der ungeklonte<br />

Mensch, der, der nicht dem „Bok<strong>an</strong>owsky-Verfahren“<br />

unterzogen wurde und<br />

seine Individualität erhalten durfte.<br />

Je mehr Klon-Kopien es gibt, desto<br />

niedriger die soziale und intellektuelle<br />

Intelligenz der Individuen – so weit<br />

Huxley.<br />

Dahinter steht eine intellektuelle Attitüde,<br />

die der Individualität und dem<br />

Unterschied Raum lässt. Nicht die unterschiedslose<br />

Schönheit ist wahrhaft<br />

schön, sondern Schönheit k<strong>an</strong>n m<strong>an</strong><br />

erst <strong>an</strong> der B<strong>an</strong>dbreite von hässlich bis<br />

28<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

schen Entwicklungen <strong>an</strong>gemessen <strong>an</strong>passen<br />

zu können.“ Der Vergleich des<br />

Diskussionsentwurfs der Bundesärztekammer<br />

mit diesen Desideraten sollte<br />

eigentlich erkennen lassen, dass der Vorschlag<br />

der Bundesärztekammer eine gesetzliche<br />

Regelung nicht präjudiziert,<br />

sondern vielmehr geeignet ist,eine <strong>an</strong>gemessene<br />

gesetzliche Rahmenregelung<br />

inhaltlich auszufüllen. Wenn allerdings<br />

kategorisch festgestellt wird, die Präim-<br />

Muss m<strong>an</strong> alles machen, was m<strong>an</strong> k<strong>an</strong>n?<br />

Fortschritt allein genügt nicht, es kommt auch auf die Richtung <strong>an</strong>.<br />

göttlich wirklich ermessen. Von diesem<br />

Ideal entfernen wir uns zusehends. Uniformität<br />

ist gefragt, Kr<strong>an</strong>kheit <strong>an</strong>stößig<br />

und absondernd; nicht die B<strong>an</strong>dbreite<br />

menschlicher Individualität, sondern<br />

ihre Konformität mit gesellschaftlichen<br />

Normen soll mit Technikeinsatz erzeugt<br />

werden.<br />

Ein gutes Beispiel hierfür ist der<br />

„Diskussionsentwurf zu einer Richtlinie<br />

zur Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik“,<br />

den der Vorst<strong>an</strong>d der Bundesärztekammer<br />

(BÄK) unlängst vorgelegt hat.<br />

Nun wäre es sicher unfair, der BÄK<br />

vorzuwerfen, sie fördere <strong>an</strong> dieser Stelle<br />

den Technikeinsatz in der Medizin.<br />

Das tut sie nicht – sie reagiert lediglich<br />

auf wissenschaftliche Entwicklungen<br />

und versucht sie in ethische Dimensionen<br />

vor dem Hintergrund ras<strong>an</strong>ter gesellschaftlicher<br />

Veränderungen zu stellen.<br />

Der Antrieb, der Impuls kommt<br />

von wo<strong>an</strong>ders – aus Forschertrieb, aus<br />

der Überlegung, kr<strong>an</strong>ken Menschen<br />

helfen zu wollen, aus Zukunftsgläubigkeit<br />

und auch aus materiellen Interessen.<br />

Das <strong>Embryonen</strong>schutzgesetz verbietet<br />

die Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik; die<br />

M<strong>an</strong>ipulation <strong>an</strong> totipotenten Zellen ist<br />

verboten. Zusätzlich ist es nicht zulässig,<br />

erzeugte <strong>Embryonen</strong> nicht zu übertragen,<br />

also zu verwerfen. Eine groteske<br />

Ironie wäre es also, in der PGD als<br />

pl<strong>an</strong>tationsdiagnostik stehe im Widerspruch<br />

zum <strong>Embryonen</strong>schutzgesetz,<br />

d<strong>an</strong>n ist die von der Bundesärztekammer<br />

<strong>an</strong>gestrebte unvoreingenommene<br />

offene Debatte zumindest erheblich erschwert,<br />

wenn nicht gar unmöglich.<br />

Der Vorst<strong>an</strong>d des Wissenschaftlichen Beirates<br />

der Bundesärztekammer<br />

Herbert-Lewin-Straße 1, 50931 Köln<br />

Korrespondenzadresse: Prof. Dr. med. K.-Fr. Sewing<br />

Berliner Allee 20 (Ärztehaus), 30175 H<strong>an</strong>nover<br />

„kr<strong>an</strong>k“ erk<strong>an</strong>nte <strong>Embryonen</strong> gleichwohl<br />

übertragen zu müssen. Bei wenigen<br />

erbgebundenen Kr<strong>an</strong>kheitsbildern<br />

könnte PGD helfen. Notwendig wäre<br />

eine Änderung des <strong>Embryonen</strong>schutzgesetzes.<br />

Der Diskussionsentwurf schlägt<br />

darüber hinaus „Ethikkommissionen“<br />

der Selbstverwaltung vor, die Genehmigungen<br />

zur PGD erteilen.<br />

Forschertrieb und<br />

Technikgläubigkeit<br />

Seit einiger Zeit versucht die Wissenschaft,<br />

den Zeitraum der Totipotenz<br />

von Zellen für kürzer und kürzer zu erklären.<br />

Forschergruppen behaupten,<br />

schon ab dem 4-Zell-Stadium sei eine<br />

Totipotenz nicht mehr sicher. Zugleich<br />

gewinnt die moderne Fortpfl<strong>an</strong>zungsmedizin<br />

immer mehr Spielräume zum<br />

erfolgreichen Übertragen von <strong>Embryonen</strong>,<br />

ein Fenster tut sich auf, die<br />

Zellen sind (<strong>an</strong>geblich) nicht mehr totipotent,<br />

die Übertragung ist noch möglich.<br />

Altruistische Ideale<br />

Unter dem Eindruck der großen Trauer<br />

von Familien, die das Risiko genetischer<br />

Fehler in sich tragen und oftmals


schreckliche Leidensgeschichten von<br />

kr<strong>an</strong>ken oder sterbenden Kindern, späten<br />

Abtreibungen oder gar intrauterinen<br />

Fetoziden hinter sich haben,<br />

wollen Ärzte helfen und diesen Familien<br />

das Idealbild „gesunde Kinder“ erfüllen.<br />

Es h<strong>an</strong>delt sich dabei um nur circa<br />

100 Paare per <strong>an</strong>num bundesweit, bei<br />

denen unter dieser Indikation eine<br />

PGD infrage käme. Sie müssten, obwohl<br />

sie auf natürlichem Wege zeugungsfähig<br />

sind, eine im Reagenzglas<br />

erzeugte Schw<strong>an</strong>gerschaft – mit allen<br />

Risiken – ertragen, nur um den Embryo<br />

einer PGD unterziehen zu können.Verkürzt<br />

gesagt: Die technischen Risiken<br />

der In-vitro-Fertilisation (IVF) und<br />

PGD stehen hier den menschlichen<br />

(und auch ethischen) Problemen einer<br />

späten Abtreibung entgegen.<br />

Wahrlich, eine Auswahl zwischen<br />

Beelzebub und Teufel! Auf die einfache<br />

Idee, den Paaren von weiteren Schw<strong>an</strong>gerschaften<br />

abzuraten, kommt m<strong>an</strong> offensichtlich<br />

nicht. Kinderwunsch ist ein<br />

alle Mittel heiligendes Ziel – auch das<br />

ist <strong>an</strong>gesichts der Irrationalitäten unserer<br />

Welt eine groteske gesellschaftliche<br />

Entwicklung.<br />

Fin<strong>an</strong>zielle Auswirkungen<br />

Und natürlich tut sich in der PGD ein<br />

gewaltiges ökonomisches Potenzial auf.<br />

IVF und PGD sind aufwendige und<br />

teure Verfahren; sie werden in <strong>an</strong>deren<br />

Ländern, wo sie zulässig sind, auch unter<br />

ökonomischen Aspekten sehr gewinnbringend<br />

<strong>an</strong>geboten.<br />

Ethischer Deichbruch!<br />

Würde der Diskussionentwurf zu einer<br />

Richtlinie zur PGD verabschiedet und<br />

Wirklichkeit, käme dies in meinen<br />

Augen einem ethischen Deichbruch<br />

gleich. Auch wenn ich sicher bin, dass<br />

die Autoren sich nur von den edelsten<br />

Motiven haben leiten lassen, so halte<br />

ich es doch für ausgeschlossen, die<br />

PGD auf die Paare begrenzen zu können,<br />

die erbgebundene Kr<strong>an</strong>kengeschichten<br />

vorweisen können. Vielmehr<br />

wird im Rahmen aller IVF-Maßnahmen<br />

die Frage gestellt werden müssen,<br />

inwieweit das Risiko der iatrogenen<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

Übertragung „fehlerhafter“ <strong>Embryonen</strong><br />

überhaupt vertretbar ist. Über kurz<br />

oder l<strong>an</strong>g werden bei allen IVF-Maßnahmen<br />

PGDs nötig sein. Und: Wie<br />

verweigert ein Arzt Paaren die PGD im<br />

Rahmen einer IVF? Müssen diese Paare<br />

erst selbst eine „genetische Leidensgeschichte“<br />

vorweisen, um in den<br />

„Genuss“ der gewünschten exakteren<br />

Diagnostik zu kommen? Wäre es nicht<br />

– unter denselben pseudoaltruistischen<br />

Maximen – unmenschlich, ihnen diese<br />

Diagnostik vorzuenthalten?<br />

Hier tut sich nicht nur ein gewaltiger<br />

Markt für Ärzte auf – hier entstehen<br />

auch gewaltige Risiken für unsere Gesetzliche<br />

Kr<strong>an</strong>kenversicherung – es wird<br />

auf Dauer nicht möglich sein, IVF zwar<br />

zu bezahlen, PGD aber nicht.<br />

Schließlich: Sie haben es alle gelesen,<br />

die Entschlüsselung des menschlichen<br />

Genoms steht kurz vor ihrer Vollendung.<br />

Damit aber liegt eine mindestens<br />

abstrakte Genkarte vor, in der Aberrationen,<br />

Variationen und Strickmuster<strong>an</strong>omalien<br />

des Menschen beschrieben<br />

sind.Wer glaubt, diese Karte prognostiziere<br />

mit hundertprozentiger Sicherheit<br />

erbgebundene Kr<strong>an</strong>kheiten,der irrt.Einige<br />

wenige Kr<strong>an</strong>kheiten und ihre Ausprägung<br />

sind heute schon erkennbar,<br />

g<strong>an</strong>z überwiegend aber vermögen wir<br />

zwar die „Strickmusterfehler“ der Natur<br />

zu erkennen, ihre Relev<strong>an</strong>z für das<br />

lebende Individuum aber nicht einzuordnen.<br />

Jeder von uns ist Träger solcher<br />

Anomalien – auch der Gesündeste! Der<br />

Grundged<strong>an</strong>ke der genetischen Selektion<br />

aber, dieses „Nichts-mehr-dem-<br />

Schicksal-überlassen-Wollen“, der dem<br />

gesamten Verfahren nun einmal innewohnt,<br />

wird zu einer natürlichen Ausmerzung<br />

aller Anomalien führen. Wir<br />

sind auf dem direkten Weg zum „qualitätsgesicherten<br />

Kind“.<br />

Welchem Arzt könnte m<strong>an</strong> einen<br />

Vorwurf machen, wenn er Eltern eher<br />

zur Abtreibung (oder in unserem Fall<br />

zur Nichtübertragung des Embryos) raten<br />

wird, als sie zu bestärken, die<br />

Risiken im Vertrauen auf eine starke<br />

Natur in Kauf zu nehmen? Der Bundesgerichtshof<br />

hat uns in seiner Rechtsprechung<br />

klargemacht, dass fehlerhafte<br />

genetische Beratung schadensersatzpflichtig<br />

macht. Das kr<strong>an</strong>ke Kind wird<br />

zum „Schadensfall“ – nicht der bedauernswerten<br />

Eltern, sondern des Arztes!<br />

Fortpfl<strong>an</strong>zungsmedizingesetz<br />

Der Diskussionentwurf der BÄK geht<br />

deswegen einen falschen Weg; in fehlgeleitetem<br />

Altruismus sprengt er ethische<br />

Dämme. Eine Begrenzung auf wenige<br />

Paare – wie vorgesehen – wird sich<br />

nicht durchhalten lassen. Ungewollt<br />

wird der genetischen Selektion die Tür<br />

geöffnet. Fortschrittsgläubigkeit macht<br />

blind vor den Risiken. Noch ist es <strong>an</strong><br />

der Zeit gegenzusteuern. Deswegen<br />

hat der Vorst<strong>an</strong>d der BÄK auch lediglich<br />

einen „Diskussionsentwurf“ vorgelegt.<br />

Am Ende der Diskussion k<strong>an</strong>n<br />

also durchaus auch das Einstampfen<br />

des Papiers stehen.<br />

Die Bundesregierung pl<strong>an</strong>t, das <strong>Embryonen</strong>schutzgesetz<br />

im Lichte neuer<br />

wissenschaftlicher Erkenntnisse zu<br />

überarbeiten. In einem Fortpfl<strong>an</strong>zungsmedizingesetz<br />

müssten d<strong>an</strong>n auch Fragen<br />

der IVF und der PGD geregelt werden.<br />

Ich plädiere für ein Verbot der<br />

Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik.<br />

Dr. med. Fr<strong>an</strong>k Ulrich Montgomery<br />

Präsident der Ärztekammer Hamburg<br />

Vorsitzender des Marburger Bundes<br />

29


Heft 18, 5. Mai 2000<br />

1. Definition und Methode<br />

Jede Schw<strong>an</strong>gerenvorsorgeuntersuchung<br />

ist eine pränataldiagnostische Maßnahme.<br />

Pränataldiagnostik (<strong>PND</strong>) und/<br />

oder -therapie definieren als pränatalmedizinische<br />

Verfahren die fötomaternale<br />

Medizin der Geburtshilfe.<br />

Die Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik ist<br />

im Gegensatz zur invasiven und<br />

noninvasiven Pränataldiagnostik nur<br />

im weiteren Sinne ein pränatalmedizinisches<br />

Verfahren, da die Diagnostik<br />

vor der Impl<strong>an</strong>tation des Embryos, das<br />

heißt vor Beginn der Schw<strong>an</strong>gerschaft,<br />

<strong>an</strong>setzt.<br />

Unter Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

versteht m<strong>an</strong> die Diagnostik nach Invitro-Fertilisation<br />

(IVF) <strong>an</strong> einem Embryo<br />

vor dem intrauterinen Embryo-<br />

Tr<strong>an</strong>sfer (ET). Anstelle der für den<br />

deutschen Sprachraum sich <strong>an</strong>bietenden<br />

Abkürzung <strong>PID</strong> wird das englische<br />

Kürzel PGD bevorzugt (englisch:<br />

preimpl<strong>an</strong>tation genetic diagnosis =<br />

PGD), da <strong>PID</strong> durch Pelvic inflammatory<br />

disease besetzt ist und der Hinweis<br />

auf „genetic“ in der Definition eine<br />

Eingrenzung des diagnostischen<br />

Verfahrens signalisiert. Im Übrigen ist<br />

PGD in der internationalen Wissenschaftssprache<br />

etabliert.<br />

Die PGD zur Aufklärung des genetischen<br />

Status des Embryos hat zur Vor-<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

Diskussionsentwurf zu einer Richtlinie der Bundesärztekammer<br />

Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik –<br />

medizinische,<br />

ethische und rechtliche Aspekte<br />

Der von der Bundesärztekammer vorgelegte „Diskussionsentwurf zu einer Richtlinie zur<br />

Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik“, dokumentiert in Heft 9/2000, wurde von einem Arbeitskreis des<br />

Wissenschaftlichen Beirats der Bundesärztekammer ausgearbeitet. Dessen Vorsitzender, Prof.<br />

Dr. med. Herm<strong>an</strong>n Hepp, Verfasser des nachfolgenden Artikels, hat Inhalt und Hintergründe<br />

des Richtlinienentwurfes vor dem Vorst<strong>an</strong>d der Bundesärztekammer und später auch in einem<br />

BÄK-Presse-Seminar erläutert. Auf diese Ausführungen geht der Artikel zurück.<br />

Herm<strong>an</strong>n Hepp<br />

30<br />

aussetzung eine In-vitro-Fertilisation<br />

(IVF). Edwards, einer der „Väter“ der<br />

IVF, hatte bereits 1965 – l<strong>an</strong>ge vor der<br />

Geburt des ersten Kindes nach IVF<br />

(1978) – die Idee, aus Trophoblastzellen<br />

der Blastozyste über eine Geschlechtsbestimmung<br />

x-chromosomal gebundene<br />

Erkr<strong>an</strong>kungen diagnostizieren zu<br />

können.<br />

Durch die Fortschritte der modernen<br />

Reproduktionsmedizin wurde diese<br />

Vision zur Wirklichkeit. Es entwickelten<br />

sich zwei Indikationsebenen:<br />

die Therapie der Sterilität und die Diagnostik<br />

am Embryo. Beide Verfahren –<br />

Diagnostik und Therapie – verfolgen<br />

unterschiedliche Ziele. Die IVF mit ET<br />

hat als Therapieverfahren zum Ziel,<br />

einem ungewollt kinderlosen Paar zu<br />

einer Empfängnis und einer erfolgreich<br />

verlaufenden Schw<strong>an</strong>gerschaft zu<br />

verhelfen. Die PGD hat zum Ziel, ein<br />

mit hohen Risikofaktoren belastetes<br />

Paar nach einer „Zeugung auf Probe“<br />

(in vitro) und der Diagnostik <strong>an</strong> einer<br />

entnommenen Blastomere im Falle eines<br />

pathologischen Befundes durch Selektion,<br />

das heißt durch Sterbenlassen<br />

des in Warteposition stehenden Embryos,<br />

vor einem kr<strong>an</strong>ken Kind zu bewahren.<br />

Der mittels IVF entst<strong>an</strong>dene Embryo<br />

befindet sich drei Tage in einem<br />

Kulturmedium. D<strong>an</strong>ach erfolgt die<br />

Biopsie von einer oder zwei Blastomeren,<br />

<strong>an</strong> denen die molekulargenetische<br />

Untersuchung mittels Polymerase-Kettenreaktion<br />

(PCR) oder Fluoreszenzin-situ-Hybridisierung<br />

(FISH) vorgenommen<br />

wird. Bei der zur Diagnostik<br />

entnommenen Blastomere h<strong>an</strong>delt es<br />

sich nach dem 8-Zell-Stadium nicht<br />

mehr um eine totipotente Zelle (Embryo).<br />

Die Diagnostik erfolgt demnach<br />

nicht <strong>an</strong> einem Embryo im Sinne einer<br />

einen Embryo verbrauchenden Diagnostik.<br />

Da das Ergebnis der Gendiagnostik<br />

nach etwa drei bis acht Stunden vorliegt,<br />

bedarf es keiner Kryokonservierung<br />

des in Warteposition befindlichen Embryos.<br />

Als eine Alternative zur PGD wird<br />

die Präkonzeptions- beziehungsweise<br />

Präfertilisationsdiagnostik, also die<br />

Untersuchung des Polkörpers der nicht<br />

fertilisierten Eizelle diskutiert. Sie lässt<br />

lediglich eine indirekte Aussage über<br />

den genetischen Status der Eizelle zu.<br />

Nur das mütterliche Genom ist beurteilbar.<br />

Problematisch scheint auch das<br />

Phänomen des Crossing-Over zu sein,<br />

bei dem sich sowohl im Polkörper als<br />

auch in der Eizelle selbst ein betroffenes<br />

Allel befinden k<strong>an</strong>n (Ludwig et al.,<br />

1998).<br />

Von der erfolgreichen Anwendung<br />

einer PGD berichteten erstmals H<strong>an</strong>dyside<br />

et al. (1990). Nach jetzigem


Kenntnisst<strong>an</strong>d scheint das Verfahren in<br />

geübter H<strong>an</strong>d sowohl in der Durchführung<br />

wie auch in der Diagnostik sicher<br />

zu sein. Es ist in weltweit 29 Zentren,<br />

davon 10 in den USA, erprobt.<br />

Auch wenn die Zahl der <strong>an</strong> mehr als 400<br />

Paaren durchgeführten PGD und der<br />

mehr als 100 geborenen Kinder nach<br />

PGD noch bei weitem für eine endgültige<br />

Aussage hinsichtlich der Risiken des<br />

Verfahrens selbst wie auch hinsichtlich<br />

der durch das Verfahren verursachten<br />

Fehlbildungsrate zu klein ist, so k<strong>an</strong>n<br />

vorläufig doch konstatiert werden, dass<br />

die Schw<strong>an</strong>gerschaftsrate nach PGD<br />

mit 26 Prozent derjenigen nach konventioneller<br />

IVF-Therapie entspricht<br />

(Ludwig und Diedrich, 1999).<br />

Eine Indikation zur PGD wird derzeit<br />

bei <strong>an</strong>amnestisch stark belasteten<br />

Paaren gesehen, für deren Nachkommen<br />

ein hohes Risiko für eine bek<strong>an</strong>nte<br />

und schwerwiegende, genetisch bedingte<br />

Erkr<strong>an</strong>kung besteht, zum Beispiel<br />

Muskeldystrophie Duchenne, Fragiles-<br />

X-Syndrom und <strong>an</strong>dere.<br />

2. Rechtliche und ethische<br />

Aspekte<br />

Es besteht Konsens, dass mit der PGD<br />

schwerwiegende rechtliche und ethische<br />

Probleme aufgeworfen werden.<br />

Die juristische Diskussion kreist um<br />

zwei Komplexe:<br />

1. Besteht ein Wertungswiderspruch<br />

zwischen dem seit 1991 gültigen <strong>Embryonen</strong>schutzgesetz<br />

(ESchG) und dem<br />

1995 erneut reformierten § 218 StGB?<br />

2. Ist die PGD mit dem ESchG kompatibel?<br />

Die ethische Diskussion kreist, unabhängig<br />

von der rechtlichen Entscheidung,<br />

um den Konflikt, dass mittels IVF<br />

die Entwicklung menschlichen Lebens<br />

mit dem Ziel einer Schw<strong>an</strong>gerschaft<br />

eingeleitet, der so gezeugte Embryo unter<br />

Umständen jedoch nicht in die Gebärmutter<br />

tr<strong>an</strong>sferiert wird und so –<br />

nach einer Zeugung unter Vorbehalt –<br />

im Falle einer schweren, genetischen<br />

Erkr<strong>an</strong>kung eine gezielte Selektion des<br />

Embryos erfolgt. Mit diesem ethischen<br />

Problemkreis in unmittelbarem Zusammenh<strong>an</strong>g<br />

steht schließlich die Frage, ob<br />

die PGD lediglich eine zeitlich vorgezogene<br />

<strong>PND</strong> sei? Diese vier die PGD be-<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

stimmenden Fragen sollen im Folgenden<br />

besprochen und vorläufigen Antworten<br />

zugeführt werden.<br />

2.1 ESchG und reformierter § 218 StGB<br />

– ein Wertungswiderspruch?<br />

Von den Befürwortern der PGD wird<br />

auf den Wertungswiderspruch zwischen<br />

dem seit 1991 gültigen ESchG und dem<br />

am 29. Juni 1995 im Deutschen Bundestag<br />

mehrheitlich verabschiedeten § 218<br />

StGB verwiesen. Es könne doch wohl<br />

nicht sein, dass dem Embryo in vitro eine<br />

höhere Schutzwürdigkeit zuerk<strong>an</strong>nt<br />

würde als dem Embryo in vivo, der seit<br />

In-Kraft-Treten der Fristenlösung bis<br />

12 Wochen p. c. nach Pflichtberatung<br />

straffrei getötet werden dürfe.<br />

Diese Argumentation greift insofern<br />

zu kurz, als der zweite Senat des Bundesverfassungsgerichtes<br />

mit seinem Urteil<br />

vom 28. Mai 1993 gegen den Mehrheitsbeschluss<br />

des Deutschen Bundestages<br />

vom 27. Juli 1992 erneut festgeschrieben<br />

hat, dass der Schw<strong>an</strong>gerschaftsabbruch<br />

für die g<strong>an</strong>ze Dauer der<br />

Schw<strong>an</strong>gerschaft grundsätzlich als Unrecht,<br />

also als rechtswidrig <strong>an</strong>gesehen<br />

wird und demgemäß rechtlich verboten<br />

bleiben muss. Die im Bundestag beschlossene<br />

„reine“ Fristenlösung (1992)<br />

wurde als Bruch mit der gültigen Verfassung<br />

bezeichnet und mit Streichung<br />

des Wortes „nicht“ (rechtswidrig) die<br />

nicht rechtswidrige Fristenlösung verworfen<br />

und somit dem Leben des Ungeborenen<br />

Vorr<strong>an</strong>g vor der Selbstbestimmung<br />

der Mutter eingeräumt.<br />

Die Bewertung der Abtreibung als<br />

grundsätzlich rechtswidrige Tötung<br />

menschlichen Lebens wurde erneut<br />

festgeschrieben.<br />

Im § 8 Abs. 1 des am 1. J<strong>an</strong>uar 1991 in<br />

Kraft getretenen ESchG wird der<br />

Rechtsstatus des menschlichen Embryos<br />

erneut bestätigt: „Als Embryo im<br />

Sinne dieses Gesetzes gilt bereits die befruchtete,<br />

entwicklungsfähige menschliche<br />

Eizelle vom Zeitpunkt der Kernverschmelzung<br />

<strong>an</strong>, ferner jede einem Embryo<br />

entnommene totipotente Zelle,<br />

die sich bei vorliegenden, dafür erforderlichen<br />

weiteren Voraussetzungen zu<br />

teilen und zu einem Individuum entwickeln<br />

vermag.“ Die Schutzpflicht des<br />

Staates gegenüber dem Embryo „von<br />

Anf<strong>an</strong>g <strong>an</strong>“ ist in diesem Rechtsstatus<br />

des Embryos begründet. Der Grundged<strong>an</strong>ke<br />

des ESchG ist erneut, das Leben<br />

und die Integrität der befruchteten, entwicklungsfähigen<br />

menschlichen Eizelle<br />

vom Zeitpunkt der abgeschlossenen<br />

Kernverschmelzung <strong>an</strong> strafrechtlich zu<br />

schützen. Das heißt auch – es gibt keinen<br />

Raum (Zäsur) für die Annahme einer<br />

rechtlich ungeschützten Frühphase<br />

des Menschen. H<strong>an</strong>dlungen gegen den<br />

Embryo in vitro sind d<strong>an</strong>ach rechtswidrig<br />

und unter Strafe gestellt, während in<br />

vivo – nach der Impl<strong>an</strong>tation – das<br />

Strafgesetz (§ 218 StGB) zugunsten einer<br />

Beratungspflicht zurücktritt.* Das<br />

ESchG gibt darüber hinaus dem Lebensrecht<br />

des Embryos grundsätzlich<br />

Vorr<strong>an</strong>g vor dem Grundrecht der <strong>Forschung</strong>sfreiheit.<br />

Die juristische Argumentation beim<br />

§ 218 StGB basiert auf dem Rechtsstatus<br />

der Mutter, der in Konflikt zum Lebensrecht<br />

des Embryos oder des Fötus<br />

treten k<strong>an</strong>n. D<strong>an</strong>ach ist der legale<br />

Schw<strong>an</strong>gerschaftsabbruch lediglich wegen<br />

Unzumutbarkeit des Austragens<br />

der Schw<strong>an</strong>gerschaft für die Mutter<br />

straflos (keine Rechtfertigung), während<br />

zum Beispiel die Verwendung beziehungsweise<br />

der Verbrauch von <strong>Embryonen</strong><br />

für die <strong>Forschung</strong> oder die<br />

Diagnostik nicht aus einer subjektiven<br />

Notlage des Einzelnen heraus erfolgt.<br />

Das konkurrierende Gut, welches den<br />

Konflikt definiert und Straffreiheit begründet,<br />

ist nicht die subjektive Not des<br />

Einzelnen, sondern etwa das gesundheitspolitische<br />

Ziel der Allgemeinheit,<br />

zum Beispiel die Verbesserung der Ergebnisse<br />

der Sterilitätstherapie. Auch<br />

zum § 219 d StGB, welcher die Nidationsverhütung<br />

straffrei lässt, wurde eine<br />

Analogie entwickelt. Mit Verzicht auf<br />

Strafbewährung der Präimpl<strong>an</strong>tationsphase<br />

in vivo redet der Gesetzgeber<br />

nicht der willkürlichen Verfügbarkeit<br />

dieser Phase das Wort, sondern er verzichtet<br />

nur für eine durchaus besondere<br />

Kollision der Rechtsgüter – prinzipielle<br />

Schutzwürdigkeit des Embryos und Familienpl<strong>an</strong>ung<br />

der Frau durch Hormone<br />

oder Spirale – während der frühesten<br />

Phase der Schw<strong>an</strong>gerschaft auf<br />

Strafrechtschutz (Laufs, 1989). Diese<br />

Position wird auch durch den Kommen-<br />

*Die Präimpl<strong>an</strong>tationsphase in vivo ist nicht durch den<br />

§ 218 StGB erfasst.<br />

31


tar zum ESchG von Keller et al., 1992,<br />

die sich auf Deutsch und Eser beziehen,<br />

bestätigt und gestützt: „Bezüglich eines<br />

generellen Wertungswiderspruchs zwischen<br />

kategorischen strafbewehrten<br />

Verboten der <strong>Embryonen</strong>forschung einerseits,<br />

der strafrechtlichen Duldung<br />

der Nidationsverhütung und des<br />

Schw<strong>an</strong>gerschaftsabbruches <strong>an</strong>dererseits<br />

sind die Unterschiede der jeweiligen<br />

Interessenkollisionen zu bedenken.<br />

Dem Schw<strong>an</strong>gerschaftsabbruch zugrunde<br />

liegt eine aus der symbiotischen<br />

Verbindung zwischen schw<strong>an</strong>gerer<br />

Frau und ungeborenem Kind erwachsene,<br />

höchst persönliche und gegenwärtige<br />

Konfliktsituation. Diese Lage lässt<br />

sich nicht mit der des Forschers vergleichen,<br />

der ohne persönliche Not zur<br />

Mehrung seines Wissens und Ansehens<br />

um möglicher zukünftiger Vorteile für<br />

die Menschheit willen fremdes Leben<br />

aufopfern will. Dass die Rechtsordnung<br />

darauf verzichtet, schw<strong>an</strong>gere Frauen<br />

mit dem Mittel des Strafrechts zu zwingen,<br />

Mutter zu werden, taugt deshalb<br />

nicht als Argument dafür, dem Forscher<br />

<strong>Embryonen</strong> verbrauchende Experimente<br />

zu ermöglichen.“<br />

Es ist wohl davon auszugehen, dass<br />

dieser Kommentar von Keller et al. nicht<br />

nur die verbrauchende <strong>Embryonen</strong>forschung<br />

in die Wertungsdiskussion rückt,<br />

sondern auch die aus diagnostischen<br />

Gründen gezielte Schaffung eines nicht<br />

unter allen Umständen zu tr<strong>an</strong>sferierenden<br />

Embryos in vitro und damit das<br />

Problem der Embryo-Selektion.<br />

Persönlich meine ich, dass m<strong>an</strong> zum<br />

§ 219 StGB, der mit Verzicht auf rechtliche<br />

S<strong>an</strong>ktionierung der Präimpl<strong>an</strong>tationsphase<br />

in vivo die Nidationsverhütung<br />

ermöglicht, wohl einen Wertungswiderspruch<br />

zum hohen Schutz<strong>an</strong>spruch<br />

des Embryos in vitro sehen<br />

k<strong>an</strong>n.<br />

Zusammenfassend ist zu konstatieren,<br />

dass zunächst zwischen der im<br />

§ 218 a Abs. 2 StGB i. d. F. des Schw<strong>an</strong>geren-<br />

und Familienhilfegesetzes (1992)<br />

im Bundestag geregelten und als nicht<br />

strafbar und nicht rechtswidrig deklarierten<br />

Fristenlösung und dem ESchG<br />

(1991) zweifellos ein tiefer Wertungswiderspruch<br />

best<strong>an</strong>d. Dieser wurde erst<br />

durch die im Urteil des Bundesverfassungsgerichtes<br />

wiederhergestellte<br />

Rechtswidrigkeit des Schw<strong>an</strong>gerschafts-<br />

32<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

abbruchs aufgehoben: Die Tötung eines<br />

Embryos in vivo ist straffrei und rechtswidrig.<br />

Die Tötung eines Embryos in<br />

vitro ist rechtswidrig und strafbewehrt.<br />

Bei der Tötung in vivo (nach der Impl<strong>an</strong>tation)<br />

sieht der Gesetzgeber lediglich<br />

wegen einer subjektiven Notlage<br />

der Einzelnen nach Pflichtberatung von<br />

Strafe ab – ein Konflikt, der beim Embryo<br />

in vitro, das heißt in der H<strong>an</strong>d<br />

Dritter (Biologe und/oder Arzt), in der<br />

Regel nicht existiert.<br />

Ob bei schwerer genetischer, <strong>an</strong>amnestischer<br />

Belastung der die Straffreiheit<br />

im § 218 StGB begründende Konflikt<br />

vor einer gepl<strong>an</strong>ten Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

<strong>an</strong>tizipierbar ist und auf<br />

diese Weise ein Verbot dieser Diagnostik<br />

tatsächlich einen Wertungswiderspruch<br />

zum gültigen § 218 a bewirken<br />

würde und ob der zu Recht aufgebaute<br />

besondere Schutz des Embryos in vitro<br />

in eng einzugrenzenden und zu beschreibenden<br />

Indikationen für eine<br />

PGD aufzuheben ist, wird später (Kapitel<br />

3) hinterfragt.<br />

2.2 PGD und ESchG<br />

M<strong>an</strong> k<strong>an</strong>n das durch die Etablierung<br />

der PGD neue Machbare mit Blick auf<br />

das ESchG gleichsam positivistisch entscheiden<br />

und ohne die vorhergehende<br />

Prüfung einer etwaigen Kompatibilität<br />

fordern, das Gesetz habe sich dem neuen<br />

Machbaren <strong>an</strong>zupassen und sei gegebenenfalls<br />

zu ändern. Dieser Ansatz<br />

ist nach meiner Überzeugung ebenso<br />

wenig für das Zusammenleben der<br />

Menschen in einer Gesellschaft akzeptabel<br />

wie jenes in der ethischen Diskussion<br />

um die Fortschritte der assistierten<br />

Reproduktion erhobene Postulat:<br />

„Ethics do not st<strong>an</strong>d still, they have to<br />

move with technology“ (Edwards,<br />

1988).<br />

Sowohl die Bioethik-Kommission<br />

des L<strong>an</strong>des Rheinl<strong>an</strong>d-Pfalz unter der<br />

Leitung des damaligen Justizministers,<br />

P. Caesar (1999), wie auch die Arbeitsgruppe<br />

des Wissenschaftlichen Beirates<br />

der Bundesärztekammer (BÄK) gingen<br />

in ihren Diskussionen von dem in<br />

unserem L<strong>an</strong>d gültigen, den <strong>Embryonen</strong>schutz<br />

regelnden Gesetz aus.<br />

Zunächst ist festzuhalten, dass die<br />

IVF mit <strong>an</strong>schließendem Embryotr<strong>an</strong>sfer<br />

als ärztliches St<strong>an</strong>dardverfahren zur<br />

Beh<strong>an</strong>dlung der Sterilität nach Abs. B<br />

IV Nr. 15 in der 1998 überarbeiteten<br />

neuen Musterberufungsordnung (MBO)<br />

zulässig ist, wenn die nach § 13 MBO<br />

maßgebenden Richtlinien der Ärztekammer<br />

eingehalten werden.<br />

Die Frage, ob die Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik,<br />

die eine IVF als diagnostische<br />

Einstiegstechnik zur Voraussetzung<br />

hat, mit dem seit 1. J<strong>an</strong>uar 1991<br />

gültigen ESchG kompatibel ist, wird<br />

unter Juristen kontrovers diskutiert.<br />

Zunächst geht es um die Frage, ob die<br />

PGD einen Verstoß gegen § 2 I. ESchG<br />

darstellt. Nach diesem Paragraphen ist<br />

es verboten, einen extrakorporal erzeugten<br />

Embryo zu einem nicht seiner<br />

Erhaltung dienenden Zweck zu verwenden.Würde<br />

die Diagnostik <strong>an</strong> einer<br />

noch totipotenten Zelle erfolgen, also<br />

<strong>an</strong> einem zum Zweck der Diagnostik<br />

klonierten Zwilling, wodurch dieser<br />

vernichtet wird, wäre der Tatbest<strong>an</strong>d<br />

des § 2 I. ESchG erfüllt und die PGD<br />

schon von diesem Ansatz her strafrechtlich<br />

verboten. Jede Zelle, soweit<br />

sie noch Totipotenz besitzt, ist über § 8<br />

I. ESchG als Embryo strafrechtlich geschützt.<br />

Denn als Embryo im Sinne des<br />

§ 8 gilt bereits die befruchtete, entwicklungsfähige<br />

menschliche Eizelle vom<br />

Zeitpunkt der Kernverschmelzung <strong>an</strong>,<br />

ferner jede,einem Embryo entnommene<br />

totipotente Zelle, die sich bei Vorliegen<br />

der dafür erforderlichen weiteren Voraussetzungen<br />

zu teilen und zu einem Individuum<br />

zu entwickeln vermag. Der<br />

Schutzbereich des Art. 2 Abs. 2 Satz 1<br />

GG ist also bereits für die befruchtete<br />

Eizelle markiert. Erfolgt die Diagnostik<br />

nach Entnahme <strong>an</strong> einer nicht mehr<br />

totipotenten Blastomere, die also nach<br />

§ 8 I. ESchG nicht als „Embryo“ geschützt<br />

ist,liegt kein Verstoß gegen § 2 I.<br />

ESchG im Sinne einer verbrauchenden<br />

<strong>Forschung</strong> vor (Schreiber u. Schneider,<br />

1999).<br />

Die Frage, ab w<strong>an</strong>n eine aus einer befruchteten<br />

Eizelle hervorgehende Zelle<br />

ihre Totipotenz verliert, scheint mittlerweile<br />

wissenschaftlich eindeutig be<strong>an</strong>twortet.<br />

Dies soll spätestens nach Abschluss<br />

des Acht-Zell-Stadiums des<br />

Embryos der Fall sein (Beier, 1999).<br />

Neuere Untersuchungen lassen den<br />

Schluss zu, dass wahrscheinlich bereits<br />

im Vier-Zell-Stadium nicht mehr alle<br />

Blastomeren totipotent beziehungswei-


se soweit differenziert sind, dass sie ihre<br />

Totipotenz verloren haben. Eine Biopsie<br />

im späteren Teilungsstadium ist im<br />

Hinblick auf die optimale Ch<strong>an</strong>ce der<br />

Nidation von Nachteil. Je später der<br />

Tr<strong>an</strong>sfer des in Warteposition stehenden<br />

„Restembryos“ erfolgt, desto schlechter<br />

wird die Synchronisation mit der hormonalen<br />

Situation der Frau und somit<br />

die Ch<strong>an</strong>ce der Nidation.<br />

Abschließend ist festzustellen, dass<br />

mit der PGD <strong>an</strong> nicht totipotenten Zellen<br />

kein Embryoverbrauch erfolgt, vorausgesetzt,<br />

der „Restembryo“ wird aufgrund<br />

der genetisch unauffälligen Diagnose<br />

im gleichen Zyklus tr<strong>an</strong>sferiert.<br />

Auf den Nichttr<strong>an</strong>sfer des Embryos wegen<br />

der Feststellung der die PGD indizierten<br />

Erkr<strong>an</strong>kung ist später einzugehen.<br />

Im Mittelpunkt der juristischen Diskussion<br />

hinsichtlich einer Kompatibilität<br />

der PGD mit dem ESchG steht die<br />

Frage des Verstoßes vor allem gegen § 1<br />

I. Nr. 2 ESchG. Dort heißt es: „Mit Freiheitsstrafe<br />

bis zu drei Jahren oder mit<br />

Geldstrafe wird bestraft, wer es unternimmt,<br />

eine Eizelle zu einem <strong>an</strong>deren<br />

Zweck künstlich zu befruchten, als eine<br />

Schw<strong>an</strong>gerschaft der Frau herbeizuführen,<br />

von der die Eizelle stammt.“ Für<br />

Laufs (1992) ist eine In-vitro-Fertilisation<br />

i. S. einer bedingten Zeugung beziehungsweise<br />

unter dem „Vorbehalt der<br />

Tötung bei Qualitätsmängeln“ unzulässig.<br />

In die gleiche Richtung denkt Beckm<strong>an</strong>n<br />

(1999), wenn er ausführt, dass bei<br />

einer IVF zwecks Durchführung einer<br />

PGD diese ausschließlich zum Zweck<br />

der präimpl<strong>an</strong>tatorischen Qualitätskontrolle<br />

geschehe und daher gegen § 1 I.<br />

Nr. 2 ESchG verstoße. Ratzel und Heinem<strong>an</strong>n<br />

(1998) argumentieren dagegen:<br />

„Auch wenn feststeht, dass ein belasteter<br />

Embryo nicht übertragen werden<br />

soll, ist die Verwerfung dieses Embryos<br />

doch nicht Ziel der künstlichen<br />

Befruchtung beziehungsweise der<br />

Weiterentwicklung des Embryos. Die<br />

Verwerfung des Embryos ist lediglich<br />

als eine dem Täter höchst unerwünschte<br />

Nebenfolge oder als ein Fehlschlag gegenüber<br />

dem eigentlich erstrebten Ziel,<br />

nämlich dem der Herbeiführung der<br />

Schw<strong>an</strong>gerschaft, <strong>an</strong>zusehen. Eine Absicht<br />

im Sinne zielgerichteten Wollens<br />

(Keller et al., 1992, Zit. b. Ratzel u. Heinem<strong>an</strong>n)<br />

liegt nicht vor.<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

Die durch eine schwer belastete<br />

Anamnese betroffenen Eltern entscheiden<br />

sich nach eingehender hum<strong>an</strong>genetischer<br />

Beratung, die in jedem Falle zu fordern<br />

ist, für das Ziel Schw<strong>an</strong>gerschaft.<br />

Von Beginn <strong>an</strong> h<strong>an</strong>deln die Betroffenen<br />

in Antizipation des Konflikts mit dem<br />

Bewusstsein, dass die IVF mit PGD darauf<br />

ausgerichtet ist, eine Schw<strong>an</strong>gerschaft<br />

herbeizuführen (Schreiber u.<br />

Schneider, 1999).<br />

Ratzel und Heinem<strong>an</strong>n (1998) ergänzen<br />

diesen Ged<strong>an</strong>keng<strong>an</strong>g mit dem Argument,<br />

dass bei jeder IVF der nachfolgende<br />

Tr<strong>an</strong>sfer von Bedingungen abhängt,<br />

– zum Beispiel körperliche und<br />

psychische Befindlichkeit der Frau<br />

und/oder pathologische Veränderungen<br />

am Embryo, die keine Nidation erwarten<br />

oder eine spont<strong>an</strong>e Fehlgeburt prognostizieren<br />

lassen et cetera. „Die bloße<br />

Inkaufnahme des Unterg<strong>an</strong>gs gezeugter<br />

<strong>Embryonen</strong> führt nicht zur Strafbarkeit<br />

der künstlichen Befruchtung, sol<strong>an</strong>ge<br />

das Motiv des H<strong>an</strong>delns die Herbeiführung<br />

der Schw<strong>an</strong>gerschaft ist.“<br />

Das Unterlassen eines Tr<strong>an</strong>sfers bedeutet<br />

demnach keinen <strong>Embryonen</strong>verbrauch,<br />

der nach § 2 I. einen strafbewehrten<br />

Tatbest<strong>an</strong>d darstellen würde,<br />

und verstößt auch nicht gegen § 1 I.Nr. 2.<br />

Auch nach Meinung von Schreiber und<br />

Schneider geht aus § 1 I. Nr. 2 nicht hervor,<br />

dass die Absicht der Herbeiführung<br />

einer Schw<strong>an</strong>gerschaft durch die gleichzeitige<br />

absichtliche Verfolgung eines <strong>an</strong>deren<br />

Zweckes ausgeschlossen ist.<br />

Zusammenfassend ist festzustellen,<br />

dass die PGD bei Entnahme und Diagnostik<br />

<strong>an</strong> einer nicht mehr totipotenten<br />

Zelle nicht nach § 1 I. Nr. 2 ESchG<br />

und § 2 I. Nr. 2 verboten und so mit dem<br />

seit 1. J<strong>an</strong>uar 1991 gültigen ESchG<br />

kompatibel ist.<br />

<strong>3.</strong> Status des Embryos und<br />

ethische Implikationen<br />

Im Zentrum der ethischen Diskussion<br />

steht der Status des Embryos. Die<br />

Rechtsordnung geht im ESchG davon<br />

aus, dass die Schutzwürdigkeit des Embryos<br />

vom Zeitpunkt der Kernverschmelzung<br />

<strong>an</strong> besteht und begründet<br />

diese mit den Wertentscheidungen des<br />

Grundgesetzes für Menschenwürde<br />

und Lebensschutz.<br />

Die Frage ist, ob die PGD die Menschenwürde<br />

berührt, nachdem nach unserer<br />

Rechtsordnung menschliches Leben<br />

bereits mit der Befruchtung unter<br />

das Gebot der Achtung der Menschenwürde<br />

fällt und daher zu schützen ist.<br />

Jede medizinische Diagnostik und <strong>Forschung</strong><br />

<strong>an</strong> und mit <strong>Embryonen</strong>, die –<br />

i. S. einer Einstiegstechnik – durch IVF<br />

erst möglich wurde, wirft die Frage nach<br />

dem Menschen und dem Menschenbild<br />

des Forschers auf. Es geht um den Status<br />

dessen, <strong>an</strong> dem wir h<strong>an</strong>deln. Das<br />

Problem liegt also nicht in der <strong>Forschung</strong><br />

selbst, sondern im „Objekt“ der<br />

<strong>Forschung</strong>.<br />

Es stellen sich zwei zentrale Fragen:<br />

❃ Ab w<strong>an</strong>n ist dem neuen menschlichen<br />

Leben „Würde und damit Lebensrecht<br />

und Schutz zuzubilligen“?<br />

❃ Worin liegt die Begründung, und<br />

wie ist der Umf<strong>an</strong>g der zu gewährenden<br />

Grundrechte bemessen?<br />

<strong>3.</strong>1. Naturwissenschaftliche Fakten<br />

Nach naturwissenschaftlicher Erkenntnis<br />

beginnt neues menschliches Leben<br />

mit der Vereinigung des mütterlichen<br />

haploiden Chromosomensatzes der Eizelle<br />

und des väterlichen haploiden<br />

Chromosomensatzes der Samenzelle,<br />

das heißt nach Abschluss der Befruchtungskaskade<br />

(Beier, 1992). Diese beginnt<br />

mit dem Eindringen eines Spermiums<br />

in die Eizelle (Imprägnation) und<br />

endet mit der Fusion der Zellkerne<br />

(Konjugation). In den Zellkernen liegt<br />

nach der ersten Teilung das neue Genom<br />

in seiner definitiven Form vor. Mit<br />

dem neuen diploiden Genom ist der gegenüber<br />

väterlichem und mütterlichem<br />

Org<strong>an</strong>ismus genetisch neue Mensch<br />

konstitutiert.<br />

Nach Braude (1987) beginnt die erste<br />

Genexpression zwischem dem Vierund<br />

Acht-Zell-Stadium. Bis zu diesem<br />

Stadium hat die einzelne Blastomere,<br />

aus dem Verb<strong>an</strong>d herausgelöst, die<br />

Fähigkeit, sich zu einem neuen Embryo<br />

zu entwickeln. Der Vorg<strong>an</strong>g ist identisch<br />

mit der spont<strong>an</strong>en Bildung eines<br />

eineiigen Zwillings. Das bedeutet, dass<br />

in dieser frühen Phase der Entwicklung<br />

die einzelnen Zellen des Embryos noch<br />

totipotent sind.<br />

In der Diskussion um den Beginn der<br />

Schutzwürdigkeit beziehen sich Einzel-<br />

33


ne auf diese Möglichkeit der Zwillingsbildung<br />

und meinen, dass der Terminus<br />

a quo personaler menschlicher Existenz<br />

frühestens mit dem Ende der orthischen<br />

Teilbarkeit gegeben sein k<strong>an</strong>n. So<br />

stellt auch der Theologe Fuchs (1989)<br />

fest: „Sol<strong>an</strong>ge Zellen noch teilbar sind,<br />

können sie nicht schon menschliches Individuum<br />

und Person sein, diese Möglichkeit<br />

besteht aber gemäß der Biologie<br />

im allgemeinen bis zum 14.Tag.“ Für<br />

Fuchs wäre die Eliminierung des Embryos<br />

in diesem frühen Stadium oder<br />

die Verhinderung der Impl<strong>an</strong>tation<br />

nicht tötender Abortus, könnte jedoch<br />

nur aus wichtigen Gründen gestattet<br />

sein; sie stände zwischen Empfängnisverhütung<br />

und Schw<strong>an</strong>gerschaftsabbruch.<br />

Die „Individuation“ nach der ersten<br />

Zellteilung wäre d<strong>an</strong>ach potenzielles,<br />

aber nicht zw<strong>an</strong>gsläufig in jedem<br />

Falle individuelles menschliches Leben,<br />

wenngleich auch im Regelfalle die damit<br />

ausgelöste Dynamik für die individuelle<br />

Menschwerdung bestimmend ist.<br />

In philosophischem Sinne besagt Individualität,<br />

dass etwas nicht mehr auf<br />

kleinere Einheiten rückführbar ist, ohne<br />

dass es seine Qualität verliert. Diesen<br />

Ged<strong>an</strong>ken führt Wuermeling (1985)<br />

konsequent fort und zeigte auf, dass<br />

biologisch die Teilung eines frühen Embryos<br />

keine Aufteilung in kleinere Einheiten,<br />

sondern eine Form der Lebensäußerung<br />

„Vermehrung“ darstellt.<br />

So auch Rager (1992): „Wenn aus einem<br />

Individuum mehrere Individuen<br />

hervorgehen können, wie das bei jeder<br />

Zellteilung der Fall ist, so folgt daraus,<br />

dass das ursprünglich eine Individuum<br />

die Möglichkeit für eine Mehrzahl für<br />

Individuen in sich trägt.“ Der Zeitpunkt<br />

des Ungeteiltseins des Embryos<br />

erweist sich d<strong>an</strong>ach als unzureichend<br />

zur Definition des Beginns individuellen<br />

menschlichen Lebens.<br />

Über die Frage des Beginns menschlichen<br />

Lebens in naturwissenschaftlicher<br />

Sicht besteht Konsens. Die Frage<br />

nach dem Beginn personalen Lebens ist<br />

mit den Denkkategorien der Naturwissenschaft<br />

nicht zu denken. Es geht hierbei<br />

nach meiner Überzeugung um die<br />

Einführung eines Wertaxioms: Ob und<br />

inwieweit wir neuem artspezifischen<br />

und in seiner Potenzialität auf personales<br />

Leben hin <strong>an</strong>gelegten Leben Wertschätzung<br />

und damit Schutzwürdigkeit<br />

34<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

zuerkennen und vor allem, wie absolut<br />

wir diese setzen.<br />

<strong>3.</strong>2 Schutzwürdigkeit<br />

des Embryos<br />

So besteht auch ein weitgehender Konsens<br />

darüber, dass sich die Schutzwürdigkeit<br />

des Embryos auf seine Natur<br />

als früheste Form einer individuellen<br />

menschlichen Existenz gründet. Ebenso<br />

besteht weitgehend Übereinstimmung<br />

darüber, dass die Schutzwürdigkeit des<br />

Embryos mit der Bildung des Genoms<br />

beginnt, wenngleich Einzelne für den<br />

Umf<strong>an</strong>g der Schutzwürdigkeit und damit<br />

des Rechtsschutzes terminologische<br />

Abstufungen – Zygote, Konseptus oder<br />

Präembryo – einführen, um hiermit im<br />

Falle einer gebotenen ethischen Güterabwägung<br />

auch Abstufungen des<br />

Rechtsschutzes einzufordern. In Art. 2<br />

Abs. 2 S. 1 des GG ist ver<strong>an</strong>kert: „Das<br />

Leben des Menschen ist von Anf<strong>an</strong>g <strong>an</strong><br />

in seinen Schutz genommen.“<br />

Bei der Bemessung des Umf<strong>an</strong>ges<br />

der Schutzwürdigkeit menschlicher<br />

<strong>Embryonen</strong> sind wir heute im nationalen<br />

und vor allem im internationalen<br />

Dialog mit zwei Positionen konfrontiert.<br />

Die einen erkennen das Lebensrecht<br />

und den Schutz im umfassenden<br />

Sinne kategorisch <strong>an</strong>, was jede Güterabwägung<br />

hinsichtlich eines Ziels –<br />

auch von hohem medizinischen R<strong>an</strong>ge<br />

– ausschließt. Die <strong>an</strong>deren relativieren<br />

in grundsätzlicher Anerkennung des<br />

Lebensschutzes dieses Prinzip im Sinne<br />

einer Güterabwägung auf Zwecke hin,<br />

was nach sorgfältiger Prüfung eines<br />

nachgewiesenen hochr<strong>an</strong>gigen Zieles<br />

eine <strong>Forschung</strong> <strong>an</strong> und mit <strong>Embryonen</strong><br />

zulässt. Diese Position beruft sich auf<br />

die „prozesshafte“ Verwirklichung individuellen<br />

personalen Seins in Realisierungsstufen<br />

(Abschluss der zellulären<br />

Totipotenz, Möglichkeit zur<br />

Mehrlingsbildung etc.) und plädiert daher<br />

für einen diesen Stufen entsprechenden<br />

abgestuften Rechtsschutz.<br />

Die Menschenrechtskonvention zur<br />

Biomedizin des Europarates von 1997<br />

(„Bioethik-Konvention“) verbietet in<br />

Artikel 18, 2 die Herstellung von <strong>Embryonen</strong><br />

zu <strong>Forschung</strong>szwecken. Art. 18,<br />

1 fordert von den Mitgliedstaaten, in denen<br />

<strong>Embryonen</strong>forschung zugelassen ist,<br />

die Gewährleistung eines „<strong>an</strong>gemesse-<br />

nen Schutzes“ des Embryos. Ein explizites<br />

Verbot zur verbrauchenden <strong>Forschung</strong><br />

<strong>an</strong> <strong>Embryonen</strong>,die im Deutschen<br />

<strong>Embryonen</strong>schutzgesetz strafrechtlich<br />

untersagt ist,enthält die Regelung in 18,1<br />

nicht,doch betrachtet sie den Embryo als<br />

schützenswertes Rechtsgut und schiebt<br />

die Beweislast für den Nachweis <strong>an</strong>gemessenen<br />

Schutzes dem nationalen Gesetzgeber<br />

zu (Honnefelder, 1998).<br />

Die Richtlinien zur <strong>Forschung</strong> <strong>an</strong><br />

frühen menschlichen <strong>Embryonen</strong> (1985)<br />

des Wissenschaftlichen Beirates der<br />

Bundesärztekammer, wie auch der Bericht<br />

der Benda-Kommission (1986),<br />

hatten sich für ein „grundsätzliches“<br />

Verbot der Erzeugung von <strong>Embryonen</strong><br />

zu <strong>Forschung</strong>szwecken ausgesprochen.<br />

Dieses bedeutete kein kategorisches<br />

Nein. Einigkeit best<strong>an</strong>d darüber, dass<br />

über etwaige Ausnahmen – ohne dass<br />

seinerzeit die Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

speziell im Blick war –, sofern überhaupt<br />

zulässig, die zentrale Kommission<br />

der Bundesärztekammer zu entscheiden<br />

hätte. Das Votum der „Benda-Kommission“<br />

bezog sich, wie jenes der Max-<br />

Pl<strong>an</strong>ck-Gesellschaft und der DFG, vor<br />

allem auf die etwaige Zulassung einer<br />

<strong>Forschung</strong> <strong>an</strong> überzähligen <strong>Embryonen</strong>.<br />

Im Zentrum der ethischen Diskussion<br />

über die PGD steht die Tatsache,<br />

dass der während der Diagnostik in<br />

Warteposition befindliche Embryo wegen<br />

seines Geschädigtseins selektiv<br />

„stehen gelassen“ und so dem Unterg<strong>an</strong>g<br />

preisgegeben wird.<br />

Konkret auf die PGD abgestellt,<br />

heißt daher die Frage, ob mit Rücksicht<br />

auf die gesundheitlichen und/oder sozialen<br />

Lebensinteressen der Mutter die<br />

Schutzwürdigkeit einer positiven Güterabwägung<br />

unterworfen werden darf<br />

und daraus ein abgestufter Rechtsschutz<br />

resultiert.<br />

Wie bei der konventionellen <strong>PND</strong><br />

gibt es bei Einsatz der PGD Argumente<br />

für wie auch gegen deren Anwendung.<br />

Die im Thesenpapier der Bioethik-<br />

Kommission des L<strong>an</strong>des Rheinl<strong>an</strong>d-<br />

Pfalz aufgeführten Pro- und Kontra-Argumente<br />

im Umg<strong>an</strong>g mit der Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

sind in der Tabelle<br />

zusammengefasst.<br />

Die Argumente definieren den Interessenkonflikt,<br />

in den dieser medizinische<br />

Fortschritt das betroffene Paar, die betreuenden<br />

Ärzte und die Gesellschaft


stürzt. Sowohl die Pro- wie auch die Kontra-Argumente<br />

sind von hohem Gewicht<br />

und lassen hinsichtlich der ethischen<br />

Zulässigkeit der PGD keine R<strong>an</strong>gordnung<br />

zu. Der Interessenkonflikt wird bestimmt<br />

durch die Interessen der betroffenen<br />

Paare, den Therapieauftrag der beh<strong>an</strong>delnden<br />

Ärzte, den in Art. 2 Abs. 2<br />

S. 1 des Grundgesetzes ver<strong>an</strong>kerten <strong>an</strong>erk<strong>an</strong>nten<br />

Status des Embryos und den<br />

daraus abgeleiteten Lebensschutz „von<br />

Anf<strong>an</strong>g <strong>an</strong>“. Eine klare ethische Lösung<br />

des Konflikts ist nur über den Verzicht<br />

auf eine weitere Schw<strong>an</strong>gerschaft möglich.<br />

Ob der Gesetzgeber mit Rücksicht<br />

auf die Interessenkollision eine derartige<br />

persönliche Entscheidung verl<strong>an</strong>gen<br />

k<strong>an</strong>n, ist zumindest fraglich. Im Zentrum<br />

der ethischen Abwägung steht die Frage,<br />

ob das für ein friedliches Zusammenleben<br />

einer Gesellschaft höchste Gut,nämlich<br />

die Achtung des Lebensrechts von<br />

Anf<strong>an</strong>g <strong>an</strong>, in Anerkennung der Antizipation<br />

des etwaigen Konfliktes relativiert<br />

und eine PGD zugelassen werden darf.<br />

Das Lebensrecht würde nicht absolut in<br />

Frage gestellt und menschliches Leben<br />

nicht generell wegen seiner genetischen<br />

Schädigung als lebensunwertes Leben<br />

zur Disposition gestellt.<br />

Dies setzt voraus, dass die PGD nur<br />

für Paare zugelassen wird, die um ihr<br />

Risiko der Weitergabe einer unheilbaren<br />

genetischen Kr<strong>an</strong>kheit wissen und<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

mit Hilfe der Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

eine „Schw<strong>an</strong>gerschaft auf Probe“<br />

mit Spätabbruch vermeiden wollen.<br />

M<strong>an</strong> k<strong>an</strong>n einwenden, dass hierbei<br />

die Befürwortung der PGD über den<br />

ethisch zumindest fragwürdigen Ansatz<br />

einer <strong>PND</strong> nach Schw<strong>an</strong>gerschaft auf<br />

Probe versucht wird. Nach H<strong>an</strong>ak<br />

(1984) verbietet jedenfalls das geltende<br />

Recht der Frau nicht, das Risiko eines<br />

kr<strong>an</strong>ken Kindes unter den Vorbehalt einer<br />

gesetzlichen Korrektur zu stellen.<br />

Zugegeben – im ethischen Diskurs ist<br />

diese die Tötung beziehungsweise „Stehenlassen“<br />

oder „Aussondern“ in das<br />

Therapiekonzept einbeziehende H<strong>an</strong>dlungsweise<br />

<strong>an</strong>ders zu beurteilen, als<br />

wenn die Patientin durch die <strong>PND</strong> in<br />

Not und P<strong>an</strong>ik gerät und der Abbruch<br />

nach § 218 a Abs. 2 die Not wendet<br />

(Wuermeling, 1990). Aber, wie schon<br />

ge-sagt, für ein Hochrisikopaar ist der<br />

Konflikt auch ohne Schw<strong>an</strong>gerschaft<br />

<strong>an</strong>tizipierbar, vergleichbar jenem Paar,<br />

das erst durch die <strong>PND</strong> in einen Konflikt<br />

gestürzt wird. In der geistigen Vorwegnahme<br />

des zu erwartenden schweren<br />

Konflikts nimmt das Hochrisikopaar<br />

beim Wunsch nach einer PGD das<br />

auch nicht vollkommen risikofreie Verfahren<br />

der IVF auf sich. Unstrittig ist,<br />

dass ein später Schw<strong>an</strong>gerschaftsabbruch<br />

für die Betroffenen wie auch für<br />

den tötenden Arzt psychisch und kör-<br />

´ Tabelle C ´<br />

Argumente pro und kontra einer Anwendung der PGD <strong>an</strong> nicht totipotenten Zellen<br />

Pro Kontra<br />

Wunsch des Paares mit starker Bewertung embryonalen menschgenetischer<br />

Belastung auf ein lichen Lebens unter dem Aspekt<br />

gesundes Kind eventuell gezielter Selektion<br />

Psychische und physische Belastung Entscheidung zur Selektion unter<br />

durch späten Schw<strong>an</strong>gerschaftsab- Umständen leichter in vitro als später<br />

bruch nach „Schw<strong>an</strong>gerschaft auf in vivo – Reduktion der Ehrfurcht<br />

Probe“ vor dem menschlichen Leben<br />

Diagnose einer genetischen Störung Öffnung zur allgemeinen Akzept<strong>an</strong>z<br />

des Embryos vor Eintritt der und Anspruch auf das „Kind nach<br />

Schw<strong>an</strong>gerschaft Maß“ – Dammbruch zur Eugenik<br />

Tab. 1 in gekürzter Fassung n. Bioethik-Kommission des L<strong>an</strong>des Rheinl<strong>an</strong>d-Pfalz (1999)<br />

Diskriminierung von Leid und<br />

Behinderung. Rückzug der Solidargemeinschaft<br />

Eventuell Verminderung der Lebensch<strong>an</strong>ce<br />

des „Restembryos“ durch<br />

diagnostische M<strong>an</strong>ipulation<br />

perlich eine außerordentliche Belastung<br />

darstellt.<br />

Die Anerkennung und Zulassung<br />

der PGD in streng definierten Indikationsbereichen<br />

ist mit Blick auf die<br />

H<strong>an</strong>dhabung der <strong>PND</strong> nur über eine<br />

Güterabwägung beziehungsweise<br />

über das kleinere <strong>an</strong>stelle des größeren<br />

Übels möglich.<br />

Dem schwerwiegenden Argument gegen<br />

eine Zulassung der PGD, nämlich die<br />

Öffnung einer weiteren Tür zur Selektion<br />

und zu einem Dammbruch hin zur verbrauchenden<br />

<strong>Embryonen</strong>forschung, ist<br />

durch die gesetzgeberische Festlegung<br />

auf eng umschriebene Sonderfälle entgegenzuwirken.<br />

Diesem Ziel dienen unter<br />

<strong>an</strong>derem die von der Arbeitsgruppe des<br />

Wissenschaftlichen Beirats der BÄK vorgelegten<br />

Vorschläge von Richtlinien für<br />

die Anwendung der PGD.<br />

Die Tatsache, dass die Pro-Argumente<br />

einer Einführung der PGD identisch<br />

sind mit jenen seinerzeit für die<br />

Einführung der <strong>PND</strong> vorgebrachten<br />

Begründungen, führt zur Diskussion<br />

der beiden Verfahren.<br />

4. PGD und <strong>PND</strong><br />

Die PGD k<strong>an</strong>n nicht, wie vielfach<br />

geäußert, schlichtweg als eine vorverlegte<br />

<strong>PND</strong> <strong>an</strong>gesehen werden. Zunächst<br />

hat die PGD das mit körperlichen<br />

und seelischen Risiken für die Mutter behaftete<br />

Verfahren der In-vitro-Fertilisation<br />

– hormonelle Stimulation, Follikelpunktion<br />

und IVF – zur Voraussetzung.<br />

Darüber hinaus weist die PGD, wie aus<br />

den Pro- und Kontraargumenten ablesbar,<br />

eine <strong>an</strong>dere ethische H<strong>an</strong>dlungsqualität<br />

auf:Die konventionelle <strong>PND</strong> hat – in<br />

der Regel (s. u.) – nicht primär einen selektiven<br />

oder sogar eugenischen Ansatz.<br />

Im Zentrum der <strong>PND</strong> steht der informative,<br />

über Beratung nicht selten lebenserhaltende<br />

und zunehmend auch intrauterin-therapeutische<br />

Ansatz. Pränataldiagnostik<br />

mit einem primär und ausschließlich<br />

selektiven Ansatz ist ethisch<br />

fragwürdig – wenn wohl rechtlich zulässig<br />

(s. H<strong>an</strong>ak). Der Gesetzgeber hat die<br />

„embryopathische Indikation“ zum<br />

Schw<strong>an</strong>gerschaftsabbruch im reformierten<br />

§ 218 StGB gerade deshalb gestrichen<br />

und deren Inhalte in der medizinischen<br />

Indikation „versteckt“ (Hepp,<br />

35


1996), da er aus der Gesetzessystematik<br />

jeden selektiven Ansatz beziehungsweise<br />

jedes Urteil über lebenswert und lebensunwert<br />

nehmen wollte – was jedoch, wie<br />

von mir mehrfach gezeigt, utopisch ist.<br />

Die <strong>PND</strong> ist heute ein Verfahren, durch<br />

das die Eltern – in der Regel – unerwartet<br />

in Not und P<strong>an</strong>ik geraten, und der Abbruch<br />

der Schw<strong>an</strong>gerschaft ohne primär<br />

selektiven Ansatz, das heißt ohne bereits<br />

vor der Empfängnis <strong>an</strong>tizipierten Konflikt,<br />

erfolgt. Es ist jedoch unbestreitbar,<br />

dass mit der Entwicklung immer subtilerer<br />

Verfahren der <strong>PND</strong> in der Gesellschaft<br />

das Bewusstsein über die Möglichkeit<br />

der Selektion menschlichen Lebens<br />

hin zum Anspruch auf das unbehinderte<br />

Kind gewachsen ist, auch wenn der Gesetzgeber<br />

diesen selektiven Ansatz durch<br />

die Subsumierung in die mütterlichmedizinische<br />

Indikation verstecken oder<br />

verneinen wollte.<br />

Die klinische Wirklichkeit lässt uns<br />

immer wieder erleben, dass Paare im<br />

Wissen um die medizinischen Möglichkeiten<br />

der <strong>PND</strong>, zum Beispiel bei Bestehen<br />

eines deutlich erhöhten Altersrisikos<br />

für die Empfängnis eines Kindes mit<br />

Down-Syndrom, eine „Schw<strong>an</strong>gerschaft<br />

auf Probe“ <strong>an</strong>streben, erleben und nach<br />

„positiver“ <strong>PND</strong> den Schw<strong>an</strong>gerschaftsabbruch<br />

durchführen lassen. Die so<br />

gen<strong>an</strong>nte „Altersindikation“ zur <strong>PND</strong><br />

ist nicht mehr und nicht weniger als die<br />

Antizipation dieses Konfliktes. Die im<br />

Bereich der <strong>PND</strong> H<strong>an</strong>delnden stehen<br />

zudem unter dem Druck des Haftungsrechtes.M<strong>an</strong><br />

k<strong>an</strong>n mit Hilfe der <strong>PND</strong> die<br />

Geburt eines gesunden Kindes gleichsam<br />

erzwingen, indem m<strong>an</strong> aufein<strong>an</strong>der<br />

folgende Schw<strong>an</strong>gerschaften so l<strong>an</strong>ge<br />

abbricht, bis ein nachweislich gesundes<br />

Kind empf<strong>an</strong>gen wird.<br />

In diesen Fallkonstellationen wird der<br />

Konflikt auf dem Boden der Autonomie<br />

der Mutter und der ihr durch ein kr<strong>an</strong>kes<br />

Kind nicht zumutbar erscheinenden Belastung<br />

für die Phase nach der Geburt<br />

gleichsam <strong>an</strong>tizipiert. Die Antizipation<br />

dieses schweren Konfliktes erfolgt für<br />

Eltern eines genetisch und auf den Tod<br />

hin schwer erkr<strong>an</strong>kten Kindes – im Gegensatz<br />

zur allgemeinen „Altersindikation“<br />

– aus der erlebten Wirklichkeit.Aufgrund<br />

der <strong>an</strong>amnestischen Erfahrung eines<br />

genetisch schwer kr<strong>an</strong>ken Kindes<br />

steht das Lebensrecht des Embryos beziehungsweise<br />

Fötus gegen die <strong>an</strong>tizi-<br />

36<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

pierte, gesundheitliche Gefährdung der<br />

zukünftigen Mutter und bewirkt so eine<br />

Analogie von Embryoselektion in vitro<br />

nach PGD und Schw<strong>an</strong>gerschaftsabbruch<br />

in vivo nach <strong>PND</strong>, da . . . „die real<br />

existierende Schw<strong>an</strong>gerschaft für das<br />

Bestehen des Konfliktes nicht konstitutiv<br />

ist“ (Woopen, 1999).<br />

Es gibt demnach nicht nur die unter<br />

Vorbehalt stehende (bedingte) Zeugung,<br />

sondern im Hinblick auf die Möglichkeiten<br />

der <strong>PND</strong> auch die unter Vorbehalt<br />

stehende Schw<strong>an</strong>gerschaft. Bei<br />

diesem Ansatz ist die PGD tatsächlich<br />

eine zeitlich vorverlegte <strong>PND</strong> – mit <strong>an</strong>ders<br />

gearteten und derzeit höheren medizinischen<br />

Risiken.<br />

Nimmt m<strong>an</strong> diese medizinische<br />

Wirklichkeit zur Kenntnis und bejaht<br />

für bestimmte Fallkonstellationen die<br />

aufgezeigte Analogie von <strong>PND</strong> zu<br />

PGD, d<strong>an</strong>n ist in einem zu erwartenden<br />

Fortpfl<strong>an</strong>zungsmedizingesetz die PGD<br />

nur d<strong>an</strong>n strafrechtlich zu verbieten,<br />

wenn auch eine „Schw<strong>an</strong>gerschaft auf<br />

Probe“ expressis verbis als ein Verstoß<br />

gegen § 218 a Abs. 2 geahndet wird.Anderenfalls<br />

bestünde ein Wertungswiderspruch<br />

zwischen § 218 a Abs. 2 und<br />

ESchG – wobei die Beweisführung für<br />

eine „illegale Schw<strong>an</strong>gerschaft auf Probe“<br />

mit Abbruch der Schw<strong>an</strong>gerschaft<br />

wohl sehr schwierig sein dürfte.<br />

5. Schlussbemerkung<br />

Der Bedarf und die klinische Notwendigkeit<br />

einer PGD sind ebenso wenig ein<br />

ethisches Argument wie der Hinweis auf<br />

die Praxis in benachbarten Ländern. Der<br />

Zweck beziehungsweise das Ziel heiligt<br />

nicht das Mittel. Dennoch sind wir durch<br />

das neue Machbare herausgefordert, uns<br />

mit den medizinischen, ethischen und<br />

rechtlichen Aspekten ernsthaft, das heißt<br />

ergebnisoffen, ausein<strong>an</strong>der zu setzen.<br />

Im Zentrum der ethischen Pro- und<br />

Kontra-Diskussion steht der Status des<br />

Embryos. In der Präambel des Vorschlags<br />

einer Richtlinie zur PGD (2000)<br />

hat die Kommission des Wissenschaftlichen<br />

Beirates der BÄK die Frage, ob es<br />

sich bei „positiver“ PGD und dem von<br />

diesem Ergebnis abgeleiteten Nichttr<strong>an</strong>sfer<br />

des Embryos um eine Ausnahme<br />

vom Tötungsverbot h<strong>an</strong>delt, zum<br />

Beispiel vor dem Hintergrund eines ab-<br />

gestuften Schutzkonzepts, oder ob keine<br />

Tötung vorliegt, nicht abschließend<br />

be<strong>an</strong>twortet und eine weitere rechtliche<br />

Diskussion und ethische Würdigung gefordert.<br />

Der Richtlinienvorschlag wird<br />

als wichtiger Beitrag zu dieser notwendigen<br />

Diskussion verst<strong>an</strong>den und soll<br />

„dazu dienen, eine sachgerechte Regelung<br />

herbeizuführen“.<br />

In Berücksichtigung des sehr ernst zu<br />

nehmenden Kontra-Arguments eines<br />

mit Zulassung der PGD eintretenden<br />

Dammbruchs hält die Kommission des<br />

Wissenschaftlichen Beirates der Bundesärztekammer,<br />

wie die Bioethik-Kommission<br />

des L<strong>an</strong>des Rheinl<strong>an</strong>d-Pfalz, die<br />

PGD nur unter eng gefassten Voraussetzungen<br />

für zulässig. Ein Wertungswiderspruch<br />

zum ESchG § 1 I Nr. 2 ESchG<br />

und § 2 I wird nicht erk<strong>an</strong>nt (s. o.).<br />

In dem Vorschlag der Richtlinien<br />

wird unmissverständlich gefordert, dass<br />

mit der PGD keine eugenischen Ziele<br />

verfolgt werden dürfen. Keine Indikation<br />

für eine PGD sind insbesondere<br />

❃ die Geschlechtsbestimmung ohne<br />

Kr<strong>an</strong>kheitsbezug,<br />

❃ das Alter der Eltern,<br />

❃ eine Sterilitätstherapie durch assistierte<br />

Reproduktion.<br />

Der Richtlinienentwurf geht hiermit<br />

weit hinter das Indikationsspektrum für<br />

eine <strong>PND</strong> zurück.<br />

Der Vorschlag beschreibt die Zulassungsbedingungen<br />

für die PGD mit<br />

den berufsrechtlichen Voraussetzungen,<br />

gibt Anweisungen für das Antragsverfahren<br />

<strong>an</strong> die bei der L<strong>an</strong>desärztekammer<br />

gebildete Kommission, die ihr Ergebnis<br />

der der Bundesärztekammer assoziierten<br />

Kommission mitteilt. In dieser<br />

„Kommission Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik“<br />

sollen die Disziplinen Hum<strong>an</strong>genetik,<br />

Gynäkologie, Andrologie, Pädiatrie,<br />

Ethik und Recht vertreten sein.<br />

Neben der Festlegung der fachlichen,<br />

personellen und technischen Voraussetzungen<br />

sind in einem Kapitel<br />

„Durchführungsbedingungen“ die Richtlinien<br />

über Aufklärung, Beratung, Einwilligung,<br />

Gewinnung von Blastomeren,<br />

Tr<strong>an</strong>sfer und Nichttr<strong>an</strong>sfer von<br />

<strong>Embryonen</strong> sowie die Verfahrens- und<br />

Qualitätskontrolle beschrieben.<br />

„Mit Vorlage dieses Diskussionsentwurfes<br />

zu einer Richtlinie zur Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

strebt die Bundesärztekammer<br />

einen Diskurs mit den


gesellschaftlichen Gruppen <strong>an</strong> und erhofft<br />

sich dabei einen offenen und sachlichen,<br />

gleichwohl kritischen Dialog“ –<br />

so Hoppe und Sewing im Vorwort des<br />

Diskussionsentwurfes.<br />

Unabhängig davon, ob die Gesellschaft<br />

sich in einem zu erwartenden<br />

Fortpfl<strong>an</strong>zungsmedizingesetz pro oder<br />

kontra Zulassung der PGD ausspricht,<br />

wird die Debatte über den vorliegenden<br />

Diskussionsentwurf eine erneute<br />

und, wie ich hoffe, ehrlichere Diskussion<br />

über die tatsächlichen Inhalte der<br />

<strong>PND</strong> und ihre Folgen bewirken und so<br />

das Problembewusstsein für die medizinische<br />

und gesellschaftliche Wirklichkeit<br />

der Pränatalmedizin fördern.<br />

❚ Zitierweise dieses Beitrags:<br />

Dt Ärztebl 2000; 97: A 1213–1221 [Heft 18]<br />

Literatur<br />

1. Beckm<strong>an</strong>n R: Rechtsfragen der Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik.<br />

ZfL. 2/1999, 65<br />

(67).<br />

2. Beier HM: Die molekulare Biologie der<br />

Befruchtungskaskade und der beginnenden<br />

Embryonalentwicklung. In: Annals of<br />

Anatomy 174 (1992), 491.<br />

<strong>3.</strong> Beier HM: Die Phänomene Totipotenz<br />

und Pluripotenz: Von der klassischen<br />

Embryologie zu neuen Therapiestrategien.<br />

Reproduktionsmedizin 1999; 15:<br />

190.<br />

4. Braude PR: Gene activity in early hum<strong>an</strong><br />

development. In: Hum<strong>an</strong> Reproduction 2,<br />

Suppl. 1 (1987).<br />

5. Bericht der Bendakommission: In-vitro-<br />

Fertilisation, Genom<strong>an</strong>alyse und Gentherapie.Verlag<br />

Schweizer (1986), München.<br />

6. Caesar P: Bericht der Bioethikkommission<br />

des L<strong>an</strong>des Rheinl<strong>an</strong>d-Pfalz. Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

– Thesen zu den medizinischen,<br />

rechtlichen und ethischen<br />

Problemstellungen. Ministerium der Justiz<br />

Rheinl<strong>an</strong>d-Pfalz (1999).<br />

7. Diskussionsentwurf zu einer Richtlinie zur<br />

Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik. Dt Ärztebl<br />

2000; 97:A-525 [Heft 9].<br />

8. Edwards RG: Maturation in vitro of hum<strong>an</strong><br />

ovari<strong>an</strong> oocytes. L<strong>an</strong>cet II (1965) 926.<br />

9. Edwards RG: Europe<strong>an</strong> bioethics conference<br />

on hum<strong>an</strong> embryo <strong>an</strong>d research.<br />

Mainz (1988) 7–9.11.<br />

10. Fuchs J: Seele und Beseelung im individuellen<br />

Werden des Menschen. Stimmen der<br />

Zeit 1989; 207: 522.<br />

11. H<strong>an</strong>ak EE: Zum Schw<strong>an</strong>gerschaftsabbruch<br />

aus sog. kindlicher Indikation als<br />

Grenzproblem. In: Hauser R, Rehberg J,<br />

Stratenberth G (Hrsg.): Gedächtnisschrift<br />

für Peter Noll, Schulthess, Zürich, 1984.<br />

12. H<strong>an</strong>dyside AH, Lesko JG, Tarin JJ, Winston<br />

RLM, Huges M: Birth of a normal girl<br />

after in vitro fertilization <strong>an</strong>d preimpl<strong>an</strong>tation<br />

diagnostic testing for cystic fibrosis.<br />

NEJM 1992; 327: 905.<br />

1<strong>3.</strong> Hepp H: Pränatalmedizin – Anspruch auf<br />

ein gesundes Kind? J<strong>an</strong>uskopf medizinischen<br />

Fortschritts. In: Jahres- und Tagungsbericht<br />

der Görresgesellschaft 1997,<br />

75.<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

14. Honnefelder L: Bioethik in Europa. Orientierungslinien<br />

und Desirate. – Thesen –<br />

Tagung der Kath. Akademie in Bayern,<br />

27. 11. 1998.<br />

15. Keller R, Günter HL, Kaiser P: <strong>Embryonen</strong>schutzgesetz.<br />

Kommentar zum <strong>Embryonen</strong>schutzgesetz.<br />

Kohlhammer, 1992.<br />

16. Laufs A: Fortpfl<strong>an</strong>zungsmedizin und Arztrecht<br />

1992; 79.<br />

17. Laufs A: Zur rechtlichen Problematik der<br />

Fortpfl<strong>an</strong>zungsmedizin. Geburtsh. u.<br />

Frauenheilk. 1989; 49: 606.<br />

18. Ludwig M, Al Has<strong>an</strong>i S, Diedrich K:<br />

Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik, „Preimpl<strong>an</strong>tation<br />

genetic diagnosis“ (PGD). In: K Diedrich<br />

(Hrsg.): Weibliche Sterilität, Ursachen,<br />

Diagnostik und Therapie. Springer,<br />

1998.<br />

19. Ludwig M, Diedrich K: Die Sicht der<br />

Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik aus der Perspektive<br />

der Reproduktionsmedizin. Ethik<br />

Med. (Suppl.) 1999; 11: 38.<br />

20. Rager G: Zur Frage der Individualität und<br />

Personalität des Ungeborenen. In: Berg D,<br />

Hepp H, Pfeiffer R, Wuermeling HB<br />

(Hrsg.): Würde, Recht und Anspruch des<br />

Ungeborenen. München, 1992.<br />

21. Ratzel K, Heinem<strong>an</strong>n N: Zulässigkeit der<br />

Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik. Nach Ab-<br />

Heft 20, 19. Mai 2000<br />

Medizinethik<br />

Ein eigener Tagesordnungspunkt zum<br />

Thema Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

(PGD = preimpl<strong>an</strong>tation genetic<br />

diagnosis) war in diesem Jahr beim 10<strong>3.</strong><br />

Deutschen Ärztetag nicht vorgesehen.<br />

Dennoch wurde intensiv über die PGD<br />

und ihre Folgen diskutiert. Die Debatte<br />

um den von der Bundesärztekammer<br />

vorgelegten „Diskussionsentwurf zu einer<br />

Richtlinie zur Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik“<br />

(Heft 9/2000) stehe beispielhaft<br />

für die Ethikdiskussionen, die in<br />

nächster Zeit geführt werden müssten,<br />

sagte Bundesgesundheitsministerin Andrea<br />

Fischer auf der Eröffnungsver<strong>an</strong>staltung.<br />

Sie wies darauf hin, dass nach Auffassung<br />

des Bundesgesundheitsministeriums<br />

die PGD nicht erlaubt sei. Aber<br />

Gesetze ließen sich ändern. Sie sei viel-<br />

schnitt D.IV Nr. 14, Satz 2 (Muster-)Berufsordnung<br />

– Änderungsbedarf? Der<br />

Gynäkologe 1998; 31, 364 [Heft 4].<br />

22. Richtlinien zur <strong>Forschung</strong> <strong>an</strong> frühen<br />

menschlichen <strong>Embryonen</strong>. Dt Ärztebl<br />

1985; 50: 3757.<br />

2<strong>3.</strong> Schreiber HL, Schneider S: <strong>Embryonen</strong>schutzgesetz<br />

und Präfertilisations- bzw.<br />

Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik – offene Auslegungsfragen.<br />

Referat Köln, 6. 9. 1999 –<br />

DFG-Symposium.<br />

24. Woopen C: Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

und selektiver Schw<strong>an</strong>gerschaftsabbruch.<br />

Zur Analogie von <strong>Embryonen</strong>selektion in<br />

vitro und Schw<strong>an</strong>gerschaftsabbruch nach<br />

Pränataldiagnostik im Rahmen der medizinischen<br />

Indikation des § 218 a Abs. 2<br />

StGB aus ethischer Perspektive. Zeitschrift<br />

für Ethik 1999; 45 [Heft 3].<br />

25. Wuermeling HB: Rechtspflichten der<br />

Schw<strong>an</strong>geren für das neugeborene Kind?<br />

Bamberger Symposium, 16.–18. <strong>3.</strong> 1990.<br />

Anschrift des Verfassers:<br />

Prof. Dr. med. Herm<strong>an</strong>n Hepp<br />

Klinikum der Universität München<br />

Frauenklinik Großhadern<br />

81366 München<br />

Mindestmaß <strong>an</strong> Schutz<br />

für die Zukunft<br />

Über Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik und die Menschenrechtskonvention<br />

zur Biomedizin des Europarats wurde auf dem<br />

Ärztetag kontrovers diskutiert.<br />

mehr gegen die Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik,<br />

weil es damit Ärzten und potenziellen<br />

Eltern gestatten würde, über<br />

lebens- und nicht lebenswertes Leben<br />

zu entscheiden.Sie befürchtet,„dass wir<br />

von den schweren Einzelfällen rasch<br />

zur Verallgemeinerung kommen könnten<br />

und damit auf eine gefährliche<br />

Bahn, die unseren Blick auf Kr<strong>an</strong>kheit<br />

und Behinderung dramatisch verändern<br />

würde“. Es sei eine Grenze erreicht,<br />

die nicht überschritten werden<br />

dürfte.<br />

Dass die Debatte notwendig sei, betonte<br />

auch der Präsident der Bundesärztekammer,<br />

Prof. Dr. med. Jörg-<br />

Dietrich Hoppe. Schließlich würden die<br />

in der Fortpfl<strong>an</strong>zungsmedizin tätigen<br />

Ärztinnen und Ärzte regelmäßig mit<br />

dem Wunsch nach PGD konfrontiert.<br />

37


Deshalb müsse eine Entscheidung getroffen<br />

werden, ob die Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

kategorisch abgelehnt<br />

werden solle oder m<strong>an</strong> sie bei<br />

streng begrenzten Indikationen zulassen<br />

wolle.<br />

Ein Verbot der PGD würde letztlich<br />

dazu führen, dass wieder auf die Möglichkeiten<br />

der Pränataldiagnostik verwiesen<br />

würde und m<strong>an</strong> sich bei entsprechenden<br />

Ergebnissen möglicherweise<br />

für einen Schw<strong>an</strong>gerschaftsabbruch<br />

entscheidet, sagte Hoppe. Seiner<br />

Auffassung nach ist eine isolierte Diskussion<br />

der Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

ohne eine generelle Diskussion über<br />

den Paragraphen 218 unvertretbar. Dr.<br />

med. Fr<strong>an</strong>k Ulrich Montgomery, Präsident<br />

der Ärztekammer Hamburg, befürchtet<br />

wie Fischer einen ethischen<br />

Deichbruch. Über kurz oder l<strong>an</strong>g würden<br />

bei allen In-vitro-Fertilisationsmaßnahmen<br />

PGDs nötig sein. Montgomery<br />

plädierte deshalb für ein Verbot<br />

der Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik. Ein Entschließungs<strong>an</strong>trag<br />

von Dr. med. Heinz-<br />

Michael Mörlein wurde zurückgezogen.<br />

Darin hatte er vorgeschlagen, die<br />

gesetzliche und die berufsrechtliche Regelung<br />

der Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

<strong>an</strong> die Regelung zur Amniozentese <strong>an</strong>zulehnen.<br />

Von den Anträgen zum Tätigkeitsbericht<br />

der Bundesärztekammer, die ethische<br />

Fragestellungen berührten, wurde<br />

insbesondere die Empfehlung des Vorst<strong>an</strong>ds<br />

der Bundesärztekammer, die<br />

Menschenrechtskonvention zur Biomedizin<br />

des Europarats zu ratifizieren,<br />

kontrovers diskutiert. Diese so gen<strong>an</strong>nte<br />

Bioethik-Konvention ermöglicht unter<br />

bestimmten Voraussetzungen die<br />

<strong>Forschung</strong> <strong>an</strong> nicht einwilligungsfähigen<br />

Patienten. Prof. Dr. med. Eggert<br />

Beleites, Präsident der L<strong>an</strong>desärztekammer<br />

Thüringen, betonte die Notwendigkeit<br />

einer völkerrechtlich verbindlichen<br />

Konvention, um ein Mindestmaß<br />

<strong>an</strong> Schutz für die Zukunft zu<br />

gewährleisten. „Wir dürfen nicht so l<strong>an</strong>ge<br />

warten, bis wir nicht mehr mitreden<br />

dürfen.“ Durch Ratifizierung würden<br />

die auf nationaler Ebene geltenden<br />

höheren Schutzbestimmungen nicht aufgehoben.<br />

Montgomery verwies dagegen auf<br />

die Entschließung des 100. Deutschen<br />

Ärztetages in Eisenach, mit der die<br />

38<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

Bundesregierung vor einer Ratifizierung<br />

der Menschenrechtskonvention<br />

zur Biomedizin gewarnt worden war.<br />

Mit dem Verweis auf den St<strong>an</strong>dortnachteil<br />

gegenüber den Nachbarländern<br />

werde nach einer Ratifizierung<br />

der Druck von Industrie und Wissenschaft<br />

schon bald dazu führen, „das<br />

Schutzniveau bei uns herunterzufahren“.<br />

Als blauäugig bezeichnete er die<br />

Ansicht von Beleites, die Debatte um<br />

Ethik in der medizinischen <strong>Forschung</strong><br />

etwa in den USA lasse sich durch europäische<br />

Konventionen beeindrucken.<br />

Der gerade bek<strong>an</strong>nt gewordene Referentenentwurf<br />

aus dem Bundesjustizministerium,<br />

der vorsehe, Teile menschlicher<br />

Gene patentierbar zu machen,<br />

zeige zudem deutlich, dass wir auch in<br />

Deutschl<strong>an</strong>d „bereits auf der schiefen<br />

Ebene sind“. Mit knapper Mehrheit<br />

lehnten die Delegierten den von Montgomery<br />

eingebrachten Änderungs<strong>an</strong>trag<br />

zur Vorst<strong>an</strong>dsvorlage ab. Sie<br />

Heft 22, 2. Juni 2000<br />

Fortpfl<strong>an</strong>zungsmedizin<br />

stimmten jedoch einer Änderung zu,<br />

wonach die Ratifizierung der Menschenrechtskonvention<br />

zur Biomedizin<br />

nur unter der Voraussetzung erfolgen<br />

soll, dass der Schutz von nicht einwilligungsfähigen<br />

Menschen gewährleistet<br />

ist.<br />

Mit großer Mehrheit sprach sich der<br />

Deutsche Ärztetag gegen die Verwendung<br />

von Informationen über das<br />

menschliche Genom zu kommerziellen<br />

Zwecken aus. Die Patentierbarkeit von<br />

Genomen zum Schutz von biotechnologischen<br />

Erfindungen lehnten die Delegierten<br />

ab. Sie w<strong>an</strong>dten sich zudem gegen<br />

einen Auskunfts<strong>an</strong>spruch von Versicherungen<br />

auf vorliegende Informationen<br />

aus einer Gendiagnostik. Befürchtet<br />

wird, dass aus Angst vor versicherungsrechtlichen<br />

Nachteilen diese<br />

wichtige Diagnostik nicht in Anspruch<br />

genommen wird.<br />

Gisela Klinkhammer,<br />

Thomas Gerst<br />

Absage <strong>an</strong> jede Art<br />

eugenischer Zielsetzung<br />

Bundesgesundheitsministerin Fischer möchte das<br />

<strong>Embryonen</strong>schutzgesetz durch ein neues Fortpfl<strong>an</strong>zungsmedizingesetz<br />

ablösen.<br />

Die Geburt des ersten „Retortenbabys“<br />

Louise Joy Brown hatte im<br />

Jahr 1978 für weltweites Aufsehen<br />

gesorgt. Heute ist die In-vitro-<br />

Fertilisation (IvF) in vielen Ländern<br />

Routine. In Deutschl<strong>an</strong>d sind den Methoden<br />

der Fortpfl<strong>an</strong>zungsmedizin durch<br />

das <strong>Embryonen</strong>schutzgesetz (EschG)<br />

Grenzen gesetzt. Bundesgesundheitsministerin<br />

Andrea Fischer will dies jedoch<br />

durch ein neues Fortpfl<strong>an</strong>zungsmedizingesetz<br />

abgelöst sehen, da ihr<br />

die Gesetzgebung von 1991 nicht<br />

mehr zeitgemäß erscheint. Zur besseren<br />

„Entscheidungsfindung“ hatte sie<br />

Ende Mai rund 600 Ärzte, Natur- und<br />

Geisteswissenschaftler, Juristen sowie<br />

Politiker zu einem dreitägigen Symposium<br />

nach Berlin eingeladen. Dort zog<br />

sich vor allem die Problematik der<br />

Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik (preimpl<strong>an</strong>tation<br />

genetic diagnosis = PGD), der<br />

auch ein eigener Tagesordnungspunkt<br />

gewidmet war, wie ein roter Faden<br />

durch die Diskussion. Es ging unter <strong>an</strong>derem<br />

aber auch um den Einsatz von<br />

Keimzellspenden sowie die Gewinnung<br />

und Verwendung hum<strong>an</strong>er embryonaler<br />

Stammzellen.<br />

Mithilfe der Fortpfl<strong>an</strong>zungsmedizin<br />

könne ein Kinderwunsch Realität werden,<br />

auch wenn die biologischen Vor-


aussetzungen dagegen sprächen, sagte<br />

Fischer zu Beginn der Ver<strong>an</strong>staltung.<br />

„Was jedoch aus Sicht des Einzelnen ein<br />

Fortschritt ist, k<strong>an</strong>n Konsequenzen haben,<br />

die die Gesellschaft womöglich<br />

g<strong>an</strong>z grundlegend verändern.“ Die<br />

Möglichkeit, individuelles Leid zu verhindern,<br />

bedeute keine Rechtfertigung<br />

dafür, auch alles Machbare zu tun.<br />

Durch die neuen Techniken könne ein<br />

Klima entstehen, das den perfekten<br />

Menschen immer mehr zur Norm<br />

werden lasse und das es schließlich<br />

als rechtfertigungsbedürftig erscheinen<br />

lasse, wenn ein behindertes Kind zur<br />

Welt kommt. Diese Auffassung wurde<br />

von zahlreichen Teilnehmern des Symposiums<br />

geteilt. So sagte Prof. Dr. rer. biol.<br />

habil. Elmar Brähler, Leipzig, dass<br />

die Entwicklung der medizinischen<br />

Technik im Einzelfall zur programmierten<br />

Zeugung im Labor unter Einbeziehung<br />

von individuellen und sozial<br />

akzeptierten Wunschkriterien führen<br />

könnte. Die Männer würden zu Statisten<br />

degradiert, die Frauen würden zu<br />

Objekten der Lust, die Kinder zu Produkten.<br />

Mehrere Vertreter von Behindertenverbänden<br />

verwahrten sich<br />

ebenfalls dezidiert gegen jegliche Form<br />

selektiver pränataler Diagnostik.<br />

Kritik <strong>an</strong> PGD<br />

Einem „Machbarkeitswahn“ erteilte<br />

auch der Präsident der Bundesärztekammer<br />

(BÄK), Prof. Dr. med. Jörg-<br />

Dietrich Hoppe, eine Absage. Er warnte<br />

aber gleichzeitig davor, die Vorteile der<br />

modernen Fortpfl<strong>an</strong>zungsmedizin zu<br />

übersehen. So bewerteten kinderlose<br />

Ehepaare die Reproduktionsmedizin<br />

oft als letzte Möglichkeit, ihrem Leiden<br />

mit Hilfe fortpfl<strong>an</strong>zungsmedizinischer<br />

Technik begegnen zu können. In<br />

Deutschl<strong>an</strong>d sei es in den letzten Jahren<br />

zu einer enormen Ausweitung im Bereich<br />

der Reproduktionsmedizin gekommen.<br />

Neue wissenschaftliche Entwicklungen<br />

und molekularbiologische<br />

Kenntnisse hätten es außerdem möglich<br />

gemacht, im Rahmen der In-vitro-Fertilisation<br />

die Anlage schwerster genetischer<br />

Erkr<strong>an</strong>kungen – allerdings nur<br />

solcher – durch die PGD schon in einer<br />

sehr frühen Phase der Entwicklung<br />

menschlichen Lebens zu erkennen.<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

Bisher keine Richtlinie<br />

In Presseberichten zur Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

ist häufig die Rede<br />

davon, die Bundesärztekammer befürworte<br />

mittels einer Richtlinie die<br />

PGD unter strengen Auflagen. So ist<br />

es nicht. Bisher jedenfalls. Die Bundesärztekammer<br />

hat lediglich einen<br />

Diskussionsentwurf zur einer solchen<br />

Richtlinie vorgelegt; der wurde<br />

in Heft 9/2000 veröffentlicht. Dar<strong>an</strong><br />

schließt sich bis heute eine kontroverse<br />

Diskussion <strong>an</strong>. Eine Beschlussfassung<br />

der Bundesärztekammer<br />

steht aus. DÄ<br />

Doch gerade diese Art der Diagnostik<br />

stieß auf scharfe Kritik zahlreicher<br />

Kongressteilnehmer. „Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

ist de facto Eugenik, unabhängig<br />

von den Absichten oder Einstellungen<br />

derjenigen, die sie praktizieren“,<br />

betonte Privatdozentin Dr. phil.<br />

Kathrin Braun, H<strong>an</strong>nover. Für Dr.<br />

med. Dr. phil. Barbara Meier, Salzburg,<br />

könnte durch die Anwendung<br />

von PGD eine fragwürdige Entwicklung<br />

von einem Wunsch nach einem<br />

Kind zu einem „Recht“ beziehungsweise<br />

einer „Pflicht“ zu einem gesunden<br />

Kind die Folge sein.<br />

Der Theologe Prof. Dr. theol. Ulrich<br />

Eibach, Bonn, sieht die Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

sogar als mit dem Grundgesetz<br />

unvereinbar, nach dem die „Menschenwürde<br />

un<strong>an</strong>tastbar und unverlierbar<br />

jedem Augenblick des Lebens von<br />

der Zeugung bis zum Tod zugeeignet<br />

ist“. Mit der PGD werde gegen dieses<br />

Verständnis von Menschenwürde verstoßen,„dadurch,dass<br />

eine konflikthafte<br />

Konkurrenz zwischen dem Leben des<br />

Embryos und den Lebensinteressen der<br />

Frau beziehungsweise des Paares nicht<br />

naturhaft schon vorliegt, sondern erst<br />

durch das bewusste H<strong>an</strong>deln Dritter, der<br />

Ärzte, hervorgerufen wird mit dem Ziel,<br />

die <strong>Embryonen</strong> bei m<strong>an</strong>gelnder Qualität<br />

zu verwerfen“. PGD öffne die Tore zu<br />

weitergehenden Selektionen von und<br />

M<strong>an</strong>ipulationen <strong>an</strong> <strong>Embryonen</strong>.<br />

Hoppe betonte dagegen,dass ein sehr<br />

restriktiver Einsatz der Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

eine deutliche Absage <strong>an</strong><br />

jede Art von eugenischer Zielsetzung<br />

und Selektion begründe.Da die Medizin<br />

mit dieser diagnostischen Möglichkeit<br />

in Grenzbereiche ärztlichen H<strong>an</strong>delns<br />

vordringe, habe die Bundesärztekammer<br />

durch ihren Wissenschaftlichen<br />

Beirat einen „Diskussionsentwurf zu einer<br />

Richtlinie zur Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik“<br />

vorgelegt“ (Heft 9/2000). Darauf,<br />

dass im Zusammenh<strong>an</strong>g einer Diskussion<br />

über PGD auch über den Paragraphen<br />

218 StGB neu nachgedacht<br />

werden müsse, hatte Hoppe bereits auf<br />

dem 10<strong>3.</strong> Deutschen Ärztetag in Köln<br />

hingewiesen. Der Fr<strong>an</strong>kfurter Neonatologe<br />

Prof. Dr. med. Volker von Loewenich<br />

wies darauf hin, dass der menschliche<br />

Embryo im Glase strikten Schutz<br />

genieße, während er im Uterus nur sehr<br />

eingeschränkt geschützt sei. Beim nicht<br />

impl<strong>an</strong>tierten Embryo treffe der Tod ein<br />

so gut wie nicht ausdifferenziertes Individuum.<br />

Die Alternative zum Nichtimpl<strong>an</strong>tieren<br />

sei die gesetzlich mögliche<br />

Abtreibung, bei der ein viel weiter ausdifferenziertes<br />

menschliches Wesen<br />

getötet würde, über dessen Leidensfähigkeit<br />

m<strong>an</strong> nichts Genaues wisse.Vor<br />

allem aber für die betroffene Frau sei<br />

die Abtreibung die weitaus traumatischere<br />

Intervention.<br />

Braun vertrat die Auffassung, dass die<br />

Schw<strong>an</strong>gerschaft ein einzigartiger „Umst<strong>an</strong>d“<br />

sei, der mit keinem <strong>an</strong>deren<br />

gleichgestellt werden könne. Der Embryo<br />

beziehungsweise Fötus könne nicht<br />

durch Dritte gegen den Willen der Frau<br />

geschützt werden, ohne die Würde der<br />

Frau zu verletzen. Da dies bei <strong>Embryonen</strong><br />

außerhalb des Frauenleibes nicht<br />

der Fall sei, könnten und müssten diese<br />

geschützt werden. PGD könne nicht mit<br />

Verweis auf das Selbstbestimmungsrecht<br />

der Frau legitimiert werden.<br />

Fischer wendet sich jedenfalls gegen<br />

eine neue Diskussion über die Abtreibungsgesetzgebung.<br />

Die bestehende<br />

Regelung sei Ergebnis einer l<strong>an</strong>gwierigen<br />

und schwierigen Kompromissfindung.<br />

Es gebe keine Ver<strong>an</strong>lassung,<br />

diesen Kompromiss wieder infrage zu<br />

stellen, da die Möglichkeit der vorgeburtlichen<br />

Auswahl von <strong>Embryonen</strong><br />

nicht mit einer tatsächlich eingetretenen<br />

Schw<strong>an</strong>gerschaft verglichen werden<br />

könne. Die Gesundheitsministerin<br />

ist der Überzeugung, dass eine Verknüpfung<br />

mit der strafrechtlichen Bewertung<br />

des Schw<strong>an</strong>gerschaftsabbruchs<br />

39


jedwede Entscheidungsfindung in Sachen<br />

Fortpfl<strong>an</strong>zungsmedizin unmöglich<br />

machen werde.<br />

Konstruktive Diskussion<br />

Doch sollte das <strong>Embryonen</strong>schutzgesetz<br />

überhaupt revidiert oder durch ein<br />

neues Gesetz abgelöst werden? Ebenso<br />

wie bei der PGD gehen auch bei dieser<br />

Frage die Meinungen ausein<strong>an</strong>der. Im<br />

Bereich der Fortpfl<strong>an</strong>zungsmedizin seien<br />

Staat und Ärzteschaft gleichermaßen<br />

gefordert, sagte Hoppe. Während die<br />

Ärzteschaft „sehr frühzeitig berufsrechtliche<br />

Regelungen zur Fortpfl<strong>an</strong>zungsmedizin<br />

erlassen hat und laufend<br />

aktualisiert, ist es Sache des Bundesgesetzgebers,<br />

die vor allem sozialrechtlich<br />

erforderlichen Rahmenbedingungen<br />

für eine ethisch vertretbare Fortpfl<strong>an</strong>zungsmedizin<br />

zu entwickeln“. Der Gesetzgeber<br />

wäre gut beraten, „die medizinischen<br />

und naturwissenschaftlichen<br />

Fragen sowie Fragen der ärztlichen<br />

Ethik im System ärztlicher Selbstverwaltung<br />

zu belassen“.<br />

Heft 30, 28. Juli 2000<br />

40<br />

Kinderwunsch<br />

Zu dem Beitrag „Fortpfl<strong>an</strong>zungsmedizin:<br />

Absage <strong>an</strong> jede Art eugenischer Zielsetzung“<br />

von Gisela Klinkhammer in Heft 22/2000:<br />

Gesetzgebung leistet Vorschub<br />

Unter eugenischer Zielsetzung versteht<br />

m<strong>an</strong> das Bestreben, unter Anwendung<br />

medizinischer, insbesondere genetischer<br />

Erkenntnisse den Fortbest<strong>an</strong>d<br />

günstiger Erb<strong>an</strong>lagen in einer menschlichen<br />

Population zu fördern und zu sichern.<br />

Wenn auch im gen<strong>an</strong>nten Artikel schon<br />

in der Titelzeile vermittelt werden soll,<br />

dass es sich hierbei um ein unter allen<br />

Umständen aus moralischen Erwägungen<br />

abzulehnendes Verhalten h<strong>an</strong>delt,<br />

so lautet doch der nüchterne Befund,<br />

dass die bundesdeutsche Gesetzgebung<br />

g<strong>an</strong>z eindeutig dieser Zielsetzung Vorschub<br />

leistet, indem sie de facto den gezielten<br />

Abbruch behinderter Föten<br />

straflos lässt. Denn wer wollte bestreiten,<br />

dass Fruchtwasseruntersuchungen<br />

bei Schw<strong>an</strong>geren deshalb durchgeführt<br />

werden, um Fehlbildungen frühzeitig<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

Der CDU-Bundestagsabgeordnete<br />

Hubert Hüppe lehnt jegliche Änderung<br />

des <strong>Embryonen</strong>schutzgesetzes ab. „Über<br />

Parteigrenzen hinweg besteht Einigkeit,<br />

dass der Schutz menschlicher <strong>Embryonen</strong><br />

un<strong>an</strong>getastet bleiben muss.“ Doch<br />

eben dieser Schutz ist für Fischer durch<br />

das Gesetz offensichtlich nicht mehr<br />

eindeutig gewährleistet. Denn zum<br />

Beispiel bei der PGD gehen die Rechtsauslegungen<br />

ausein<strong>an</strong>der. Während<br />

das Bundesgesundheitsministerium die<br />

Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik mit dem<br />

EschG für unvereinbar hält,kommt Prof.<br />

Dr. med. Herm<strong>an</strong>n Hepp, München, zu<br />

dem Schluss, dass die Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

<strong>an</strong> einer nicht mehr totipotenten<br />

Zelle mit dem <strong>Embryonen</strong>schutzgesetz<br />

vereinbar sei (dazu Heft<br />

18/2000). Am Ende des Symposiums<br />

war sich Fischer in diesem Punkt sicher:<br />

Sie will in einem neuen Fortpfl<strong>an</strong>zungsmedizingesetz<br />

die PGD verbieten.Auch<br />

der Genehmigung einer Eizellspende<br />

stehe sie nach wie vor skeptisch gegenüber.<br />

Der möglicherweise zu regelnde<br />

Widerspruch bei der Verwendung embryonaler<br />

Stammzellen sei ihr erst auf<br />

zu erkennen und den betroffenen Fötus<br />

abzutreiben, weswegen von dieser Methode<br />

ausgiebig Gebrauch gemacht<br />

wird.<br />

Der Einw<strong>an</strong>d unserer Gesundheitsministerin,<br />

dass die „Möglichkeit der vorgeburtlichen<br />

Auswahl von <strong>Embryonen</strong><br />

nicht mit einer tatsächlich eingetretenen<br />

Schw<strong>an</strong>gerschaft verglichen werden<br />

könne“, entbehrt jedlicher Beweiskraft<br />

. . .<br />

Wenn in dem Artikel außerdem die<br />

Rede davon ist, dass der Fötus nicht gegen<br />

den Willen der Frau geschützt werden<br />

könne, ohne ihre Würde zu verletzen,<br />

so muss sich der Urheber einer solchen<br />

Theorie (Braun) fragen lassen,<br />

warum dies nach der Geburt durchaus<br />

möglich sein soll: Eine nach der Geburt<br />

vom Vater des Kindes verlassene Frau,<br />

die daraufhin sich außerst<strong>an</strong>de sieht,<br />

das Kind alleine aufzuziehen beziehungsweise<br />

dies als gegen ihre Würde<br />

gerichtet sieht, hat jedenfalls keine<br />

Möglichkeit, ihr Kind straflos zu<br />

töten...<br />

Dr. Martin Klein<br />

Herm<strong>an</strong>n-Hesse-Weg 2<br />

97276 Margetshöchheim<br />

dem Symposium wirklich deutlich geworden.<br />

Diese Problematik hatte Prof.<br />

Dr. iur. Dr. h. c. Rüdiger Wolfrum erläutert.<br />

Er hatte darauf aufmerksam gemacht,<br />

dass die fremdnützige <strong>Forschung</strong><br />

<strong>an</strong> <strong>Embryonen</strong> in Deutschl<strong>an</strong>d weitgehender<br />

als in <strong>an</strong>deren Staaten verboten<br />

sei. „Bleibt in Deutschl<strong>an</strong>d die Herstellung<br />

von embryonalen Stammzellen<br />

verboten, wäre es d<strong>an</strong>n nicht konsequent,<br />

in Deutschl<strong>an</strong>d auch die Anwendungen<br />

aus den entsprechenden<br />

<strong>Forschung</strong>sarbeiten zu untersagen, um<br />

dem Vorwurf der doppelten Moral zu<br />

entgehen?“ fragte Wolfrum.<br />

In vielen <strong>an</strong>deren Bereichen soll die<br />

Debatte, deren konstruktiven Beginn in<br />

Berlin die Ministerin begrüßte, fortgeführt<br />

werden. Deutlich wurde bei dem<br />

Symposium bereits jetzt, dass eine gesetzliche<br />

Regelung der <strong>an</strong>gesprochenen<br />

Probleme, die nach dem Willen der Gesundheitsministerin<br />

noch in dieser Legislaturperiode<br />

durchgesetzt werden soll,<br />

nicht nur den <strong>Embryonen</strong>schutz betrifft,<br />

sondern Auswirkungen auf die gesamtgesellschaftliche<br />

Wertehaltung haben<br />

wird. Gisela Klinkhammer


Heft 28–29, 17. Juli 2000<br />

Ulrike Riedel, Abteilungsleiterin<br />

für Gesundheitsfürsorge und<br />

Kr<strong>an</strong>kheitsbekämpfung im Bundesgesundheitsministerium,<br />

hat in Heft<br />

10/2000 des Deutschen Ärzteblattes den<br />

St<strong>an</strong>dpunkt vertreten, die Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

(PGD ) stehe im Widerspruch<br />

zum <strong>Embryonen</strong>schutzgesetz<br />

(ESchG). Auch Bundesgesundheitsministerin<br />

Andrea Fischer hat sich in diesem<br />

Sinne geäußert. In der Debatte<br />

über den Diskussionsentwurf der Bundesärztekammer<br />

für eine Richtlinie zur<br />

Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik wird diese<br />

Auffassung jedoch <strong>an</strong>gezweifelt. Ferner<br />

betont der Vorsitzende des Wissenschaftlichen<br />

Beirats der Bundesärztekammer,<br />

Prof. Dr. K.-F. Sewing, sowohl<br />

die Bioethik-Kommission des L<strong>an</strong>des<br />

Rheinl<strong>an</strong>d-Pfalz als auch der Wissenschaftliche<br />

Beirat seien „nach eingehender<br />

rechtlicher Prüfung zu dem Ergeb-<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

Nochmals: Öffentlicher Diskurs<br />

Anhaltende Diskussion im Leserkreis:<br />

Schwerpunkte sind weiterhin rechtliche und ethische Probleme.<br />

Der Diskussionsentwurf zu einer Richtlinie der<br />

Bundesärztekammer zur Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik,<br />

veröffentlicht in Heft 9, hat eine umf<strong>an</strong>greiche<br />

Diskussion in der Öffentlichkeit<br />

und nicht zuletzt auch im Deutschen Ärzteblatt<br />

ausgelöst. Der Zusage der Redaktion<br />

entsprechend, sich nach Kräften am öffentlichen<br />

Diskurs zu beteiligen, folgen auf diesen<br />

Seiten weitere Stellungnahmen und Kommentare.<br />

Sie beziehen sich nicht nur auf die<br />

Richtlinien selbst, sondern auf die vor<strong>an</strong>geg<strong>an</strong>gene<br />

Leserdiskussion (Heft 17) sowie Berichte<br />

und Kommentare unter <strong>an</strong>derem von<br />

Dr. med. Fr<strong>an</strong>k Ulrich Montgomery sowie Prof.<br />

Dr. med. Herm<strong>an</strong>n Hepp. Einige Stellungnahmen<br />

beziehen sich zudem auf Kommentare<br />

seitens des Wissenschaftlichen Beirats der<br />

Bundesärztekammer in Heft 17. Die Redaktion<br />

hat gelegentlich unter gleichartigen Zuschriften<br />

auswählen müssen. Die nachfolgenden<br />

Stellungnahmen geben jedoch insgesamt den<br />

Diskussionst<strong>an</strong>d wieder, sofern er die Redaktion<br />

erreicht hat.<br />

Wir beenden fürs Erste die Aussprache.<br />

Kein Grund, das Tor zu öffnen<br />

nis gel<strong>an</strong>gt, dass die Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

nicht mit dem <strong>Embryonen</strong>schutzgesetz<br />

kollidiert“.<br />

Der Bericht der Bioethik-Kommission<br />

Rheinl<strong>an</strong>d-Pfalz kommt zwar in These<br />

II 10 zu dem Ergebnis, dass die PGD<br />

mit der grundlegenden Vorschrift des<br />

§ 1 Abs. 1 Nr. 2 ESchG vereinbar sei. Da<br />

sich die inhaltliche Begründung für diese<br />

Auffassung aber in einem Satz erschöpft,<br />

k<strong>an</strong>n von einer eingehenden<br />

rechtlichen Prüfung kaum die Rede<br />

sein. Der Diskussionsentwurf der Bundesärztekammer<br />

für eine Richtlinie<br />

zur Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik enthält<br />

selbst auch keine argumentative Ausein<strong>an</strong>dersetzung<br />

mit dem ESchG.Allerdings<br />

haben sich der Leiter der Arbeitsgruppe,<br />

die den Entwurf erarbeitet hat,<br />

Prof. Dr. Herm<strong>an</strong>n Hepp, und Prof. Dr.<br />

H.-L. Schreiber für den Wissenschaftlichen<br />

Beirat der Bundesärztekammer<br />

nachträglich zur Vereinbarkeit mit dem<br />

ESchG geäußert.<br />

Auch unter Berücksichtigung dieser<br />

Stellungnahmen führt eine detaillierte<br />

Prüfung jedoch zu dem Ergebnis, dass<br />

wesentliche Verfahrensschritte der Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

nach dem <strong>Embryonen</strong>schutzgesetz<br />

strafbar sind.<br />

Verbot der IVF zu<br />

diagnostischen Zwecken<br />

Nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 ESchG macht sich<br />

strafbar, wer „es unternimmt, eine Eizelle<br />

zu einem <strong>an</strong>deren Zweck künstlich<br />

zu befruchten, als eine Schw<strong>an</strong>gerschaft<br />

der Frau herbeizuführen, von der die<br />

Eizelle stammt“. Von den Befürwortern<br />

der PGD wird diese Strafbestimmung<br />

als nicht einschlägig betrachtet,<br />

da das Verfahren schließlich darauf gerichtet<br />

sei, eine Schw<strong>an</strong>gerschaft bei der<br />

betroffenen Frau herbeizuführen –<br />

wenn auch nach Durchführung diagnostischer<br />

Maßnahmen. Die Verwerfung<br />

von diagnostisch auffälligen Embryo-<br />

nen sei lediglich „eine dem Täter höchst<br />

unerwünschte Nebenfolge“.<br />

Bei genauer Betrachtung des Verfahrens<br />

der PGD stellt sich jedoch heraus,<br />

dass die „Befruchtung der Eizelle“ – so<br />

die tatbest<strong>an</strong>dsmäßige H<strong>an</strong>dlung gem.<br />

§ 1 Abs. 1 Nr. 2 ESchG – nicht von vornherein<br />

mit dem Ziel erfolgt, eine<br />

Schw<strong>an</strong>gerschaft bei der Frau herbeizuführen,<br />

von der die Eizelle stammt. Die<br />

Befruchtung erfolgt zunächst ausschließlich<br />

zum Zweck der präimpl<strong>an</strong>torischen<br />

Qualitätskontrolle. Erst d<strong>an</strong>n<br />

entscheidet sich, was mit dem Embryo<br />

geschehen soll. Die Entscheidung,<br />

durch Übertragung des Embryos in die<br />

Gebärmutter eine Schw<strong>an</strong>gerschaft <strong>an</strong>zustreben,<br />

fällt nicht vor oder bei der<br />

Befruchtung, sondern erst nach der Untersuchung<br />

der befruchteten Eizelle.<br />

Dies wird auch im Richtlinienentwurf<br />

der Bundesärztekammer deutlich:<br />

„Nach PGD ist in einem erneuten<br />

Aufklärungs- und Beratungsgespräch<br />

mit dem Paar zu klären, ob und gegebenenfalls<br />

welche der <strong>Embryonen</strong> tr<strong>an</strong>sferiert<br />

werden sollen . . .“ Das g<strong>an</strong>ze<br />

Verfahren wurde schließlich entwickelt,<br />

um nicht „irgendeinen“, sondern nur einen<br />

auf bestimmte Kr<strong>an</strong>kheiten hin getesteten<br />

Embryo tr<strong>an</strong>sferieren zu können.<br />

Vor und bei der Befruchtung steht<br />

die „Qualität“ des Embryos aber noch<br />

nicht fest. Die Herbeiführung einer<br />

Schw<strong>an</strong>gerschaft mit dem durch IVF erzeugten<br />

Embryo ist im Zeitpunkt der<br />

Befruchtung daher nicht beabsichtigt.<br />

Wollte m<strong>an</strong> <strong>an</strong>nehmen, dass die gen<strong>an</strong>nten<br />

Bestimmungen des ESchG die<br />

Herbeiführung einer Schw<strong>an</strong>gerschaft<br />

nur als „Endziel“ eines Vorg<strong>an</strong>gs mit<br />

verschiedenen Teilschritten voraussetzen,<br />

wären in der Phase zwischen Befruchtung<br />

und Übertragung M<strong>an</strong>ipulationen<br />

jedweder Art möglich, sol<strong>an</strong>ge nur<br />

letztendlich wenigstens ein Embryo auf<br />

die Frau übertragen werden soll. Eine<br />

sachgemäße Interpretation des ESchG<br />

41


k<strong>an</strong>n aber nur darin bestehen, dass sich<br />

das Tatbest<strong>an</strong>dsmerkmal „Herbeiführung<br />

einer Schw<strong>an</strong>gerschaft“ auf den<br />

einzelnen extrakorporal erzeugten Embryo<br />

bezieht. Die Formulierung des<br />

ESchG ist insoweit <strong>an</strong> Eindeutigkeit<br />

kaum zu überbieten. Es kommt darauf<br />

<strong>an</strong>, welcher Zweck konkret bei der Befruchtung<br />

der Eizelle hinsichtlich genau<br />

dieser Eizelle verfolgt wird. Wenn die<br />

Herbeiführung einer Schw<strong>an</strong>gerschaft<br />

beabsichtigt ist, ist die Befruchtung der<br />

Eizelle zulässig. Besteht diese Absicht<br />

nicht und erfolgt die Entscheidung über<br />

den Tr<strong>an</strong>sfer erst zu einem späteren<br />

Zeitpunkt – nach der Diagnose –, liegt<br />

eine nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 ESchG „missbräuchliche<br />

Anwendung von Fortpfl<strong>an</strong>zungstechniken“<br />

vor. Der zunächst<br />

ausschließlich verfolgte Zweck<br />

der künstlichen Befruchtung ist die Selektion<br />

genetisch belasteter <strong>Embryonen</strong>.<br />

Der später eventuell hinzukommende<br />

Tr<strong>an</strong>sfer auf die Frau k<strong>an</strong>n den<br />

bereits vollendeten Verstoß gegen das<br />

ESchG in seiner rechtlichen Bedeutung<br />

nicht mehr beeinflussen. Dass die Methode<br />

der IVF hier „missbraucht“ wird,<br />

ist auch dar<strong>an</strong> erkennbar, dass diejenigen<br />

Paare, für die PGD in Betracht<br />

kommt, regelmäßig in ihrer natürlichen<br />

Fortpfl<strong>an</strong>zungsfähigkeit nicht eingeschränkt<br />

sind.<br />

Der Hinweis von Schreiber, dass das<br />

Ergebnis der Diagnostik nur eine Bedingung<br />

der Entscheidung für die Herbeiführung<br />

der Schw<strong>an</strong>gerschaft sei<br />

und der Arzt auch bei regulärer IVF<br />

„den <strong>an</strong>schließenden Embryotr<strong>an</strong>sfer<br />

stets von der Bedingung abhängig<br />

macht, dass sich die Patientin auch später<br />

noch bereit erklärt, diesen vornehmen<br />

zu lassen“, geht fehl. Zum einen<br />

ändert dies nichts dar<strong>an</strong>, dass der Tatbest<strong>an</strong>d<br />

des § 1 Abs. 1 Nr. 2 ESchG bereits<br />

verwirklicht ist, wenn die „Bedingung“<br />

für den Embryotr<strong>an</strong>sfer eintritt. Zum<br />

Zweiten werden hier ersichtlich zwei Situationen<br />

verglichen, die unter völlig<br />

unterschiedlichen Voraussetzungen stehen.<br />

Voraussetzung einer „normalen“<br />

IVF-Beh<strong>an</strong>dlung ist die Einwilligung<br />

der Frau in die Befruchtung und die<br />

Übertragung der Eizellen. Damit ist die<br />

„Bedingung“, mit dem Tr<strong>an</strong>sfer der<br />

<strong>Embryonen</strong> einverst<strong>an</strong>den zu sein, bei<br />

jeder IVF-Beh<strong>an</strong>dlung von vornherein<br />

gegeben. Bei der PGD ist diese Bedin-<br />

42<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

gung jedoch im Zeitpunkt der Befruchtung<br />

von vornherein nicht gegeben. Sie<br />

kommt erst später hinzu. Damit liegt<br />

nur im Fall der PGD eine echte „bedingte<br />

Zeugung“ vor. Aus dem Ablauf<br />

der normalen IVF-Beh<strong>an</strong>dlung lässt<br />

sich kein Argument für die PGD gewinnen.<br />

Verbot der Verwendung totipotenter<br />

Zellen zur Diagnostik<br />

Weitgehende Einigkeit besteht darin,<br />

dass ein Verstoß gegen § 2 Abs. 1 ESchG<br />

vorliegt, wenn totipotente Zellen (bis<br />

etwa zum 8-Zell-Stadium) zum Zweck<br />

der PGD entnommen und „verbraucht“<br />

werden. Die entnommenen totipotenten<br />

Zellen sind gem. § 8 Abs. 1 ESchG<br />

einem Embryo gleichgestellt. Ihr Verbrauch<br />

im Rahmen der Diagnose dient<br />

offensichtlich nicht dem Erhalt dieser<br />

Zellen und stellt daher einen Verstoß<br />

gegen § 2 Abs. 1 ESchG dar. Sachlich<br />

könnte m<strong>an</strong> das Verfahren auch als<br />

„Klonierung“ eines Zwillings (durch<br />

Abspalten einer totipotenten Zelle) beschreiben,<br />

der für Diagnosezwecke verbraucht<br />

werden soll. Damit ist auch der<br />

Straftatbest<strong>an</strong>d von § 6 Abs. 1 i. V. m. § 8<br />

Abs. 1 ESchG erfüllt.<br />

Verwerfung des (Rest-)Embryos<br />

bei positivem Befund<br />

Wenn die PGD ergibt, dass der getestete<br />

Embryo den befürchteten Gendefekt<br />

hat, wird er nicht auf die Frau übertragen,<br />

sondern „verworfen“. Dies ist wiederum<br />

nach § 2 Abs. 1 ESchG strafbar.<br />

Denn das „Wegschütten“ oder <strong>an</strong>derweitige<br />

Abtöten des genetisch auffälligen<br />

Embryos dient „nicht seiner Erhaltung“<br />

und wird von § 2 Abs. 1 ESchG erfasst.<br />

K<strong>an</strong>n dem entgegengehalten werden,<br />

dass die einzige Möglichkeit, sich der Bestrafung<br />

zu entziehen, nämlich die Übertragung<br />

des Embryos auf eine Frau,<br />

ebenfalls strafbar wäre (§ 6 Abs. 2<br />

ESchG)? K<strong>an</strong>n das Recht jede denkbare<br />

Verhaltensalternative unterschiedslos<br />

unter Strafe stellen?<br />

Die Lösung dieses Problems liegt darin,<br />

die Geltung von § 6 Abs. 2 ESchG zu<br />

hinterfragen. Wenn das Gesetz ausdrücklich<br />

in dieser Vorschrift für geklonte<br />

<strong>Embryonen</strong> eine „Tötungspflicht“<br />

vorsieht,weil sie nicht auf eine Frau übertragen<br />

werden dürfen, liegt ein Verstoß<br />

gegen Art. 2 Abs. 2 S. 1 i. V. m.Art. 1 GG<br />

vor. In dem Bestreben, menschliche Klone<br />

zu verhindern, ist der Gesetzgeber offensichtlich<br />

über das Ziel hinausgeschossen.<br />

Das Verbot, genetisch identische<br />

Mehrlinge künstlich herzustellen, ist<br />

nachvollziehbar, berechtigt aber nicht<br />

dazu, einmal verbotswidrig entst<strong>an</strong>dene<br />

menschliche <strong>Embryonen</strong> per Gesetz zum<br />

Tode zu verurteilen. § 6 Abs. 2 ESchG ist<br />

daher aus verfassungsrechtlichen Gründen<br />

nicht <strong>an</strong>zuwenden. § 2 Abs. 1 ESchG<br />

bleibt damit auf den Umg<strong>an</strong>g mit denjenigen<br />

Restembryonen, die nach der Diagnostik<br />

nicht tr<strong>an</strong>sferiert werden sollen,<br />

<strong>an</strong>wendbar.<br />

Wertungswiderspruch und<br />

„PGD-Tourismus“<br />

Von den Befürwortern der PGD wird –<br />

nicht g<strong>an</strong>z zu Unrecht – <strong>an</strong>geführt, dass<br />

die Schutzbestimmungen des ESchG in<br />

einem Wertungswiderspruch zu der weitgehenden<br />

Zulässigkeit von embryopathisch<br />

motivierten Abtreibungen stünden.<br />

Ferner würden ausländische Forscherteams<br />

die Technik ohnehin <strong>an</strong>wenden.<br />

Während de facto das Problem nur<br />

ins Ausl<strong>an</strong>d verlagert werde („PGD-Tourismus“),<br />

führe ein Verbot der PGD zu<br />

einer wesentlichen Erschwerung der wissenschaftlichen<br />

Weiterentwicklung auf<br />

diesem Gebiet.<br />

Der Wertungswiderspruch zu den<br />

Abtreibungsbestimmungen ist de lege<br />

lata hinzunehmen. Er war auch dem<br />

Gesetzgeber zum Zeitpunkt der Verabschiedung<br />

des ESchG bek<strong>an</strong>nt. Ob die<br />

Begründungen für die unterschiedliche<br />

Beh<strong>an</strong>dlung menschlicher <strong>Embryonen</strong><br />

im oder außerhalb des Mutterleibes<br />

tragfähig sind, k<strong>an</strong>n hier nicht erörtert<br />

werden. Differenzierungsgesichtspunkte<br />

gibt es durchaus. Jedenfalls ist es<br />

nicht zwingend, die Auflösung eines<br />

Wertungswiderspruchs in Richtung des<br />

niedrigeren Schutzniveaus zu fordern.<br />

Aus verfassungsrechtlichen Gründen,<br />

dem Benachteiligungsverbot für Behinderte<br />

(Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG), wäre vielmehr<br />

das Gegenteil <strong>an</strong>gemessen. Hinzu<br />

kommt, dass durch die PGD embryopathisch<br />

motivierte Schw<strong>an</strong>gerschaftsabbrüche<br />

nicht wirklich vermieden werden<br />

können, weil „zur Absicherung“


des Ergebnisses der PGD in der Regel<br />

eine spätere Pränataldiagnostik erforderlich<br />

ist.<br />

Auch der Verweis auf die Praxis im<br />

Ausl<strong>an</strong>d überzeugt nicht. Der deutsche<br />

Gesetzgeber k<strong>an</strong>n nur für den eigenen<br />

Zuständigkeitsbereich Regelungen treffen.<br />

Abweichende Bestimmungen im<br />

Ausl<strong>an</strong>d beeinflussen die Begründetheit<br />

der nationalen Regelung nicht. Die in<br />

Deutschl<strong>an</strong>d geltenden Arbeitsschutzbestimmungen<br />

können beispielsweise nicht<br />

schon deshalb zur Disposition gestellt<br />

werden, weil in Jap<strong>an</strong> oder Indien das<br />

Schutzniveau niedriger ist. Wenn es vernünftige<br />

Gründe für Schutzbestimmungen<br />

gibt,sollten sie verwirklicht werden –<br />

und möglicherweise <strong>an</strong>deren Staaten als<br />

Beispiel dienen. Das muss auch und vor<br />

allem für den Schutz menschlichen Lebens<br />

gelten.<br />

Als Ergebnis bleibt festzuhalten, dass<br />

der Anwendung der PGD in Deutschl<strong>an</strong>d<br />

gegenwärtig mehrere Strafvorschriften<br />

des ESchG entgegenstehen.<br />

Dies gilt nicht nur bei der Verwendung<br />

totipotenter Zellen. Die PGD stellt nach<br />

geltendem Recht generell eine missbräuchliche<br />

Anwendung von Fortpfl<strong>an</strong>zungstechniken<br />

dar.<br />

Die rechtspolitische Frage, ob die bestehenden<br />

Schutzvorschriften geändert<br />

werden sollten, ist damit zwar nicht be<strong>an</strong>twortet.Falls<br />

sich aber die gesellschaftlichen,<br />

ethischen und verfassungsrechtlichen<br />

Einschätzungen, die zum ESchG<br />

geführt haben, seit dessen Verabschiedung<br />

im Jahr 1990 nicht verändert haben,<br />

gibt es keinen Grund, das Tor zur bedingten<br />

Zeugung mit vorgepl<strong>an</strong>ter Selektion<br />

und einkalkulierter Vernichtung menschlicher<br />

<strong>Embryonen</strong> zu öffnen.<br />

Literatur beim Verfasser<br />

Rainer Beckm<strong>an</strong>n<br />

Richter am Amtsgericht<br />

Mitglied der Enquete-Kommission „Recht und Ethik<br />

der modernen Medizin“ des Deutschen Bundestages<br />

Friedenstraße 3a, 97318 Kitzingen<br />

Wertungswidersprüche – oder<br />

widersprüchliche Wertungen?<br />

In der Debatte über die Einführung der<br />

Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik auf der<br />

Grundlage einer Richtlinie der Bundesärztekammer<br />

taucht, um die Zulässig-<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

keit der <strong>PID</strong> zu begründen, immer wieder<br />

die Argumentationslinie auf, es gebe<br />

einen Wertungswiderspruch zwischen<br />

§ 218 StGB neuer Fassung und einem<br />

Verbot der <strong>PID</strong>.Es könne nicht sein,dass<br />

dem Embryo in vitro eine höhere<br />

Schutzwürdigkeit zuerk<strong>an</strong>nt wird als<br />

dem Embryo in vivo, dessen Abtreibung<br />

nach § 218 a StGB straffrei möglich sein<br />

k<strong>an</strong>n. Demgegenüber betont Hepp zu<br />

Recht, dass auf der Grundlage der<br />

Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts<br />

die Tötung eines Embryos in vivo<br />

rechtswidrig ist; insoweit besteht in<br />

der Tat kein Wertungswiderspruch.Hepp<br />

versucht d<strong>an</strong>n aber dennoch einen Wertungswiderspruch<br />

unter Berufung auf die<br />

klinische Wirklichkeit, die Möglichkeit<br />

einer „Schw<strong>an</strong>gerschaft auf Probe“ unter<br />

§ 218 StGB und einen auf den Zeitpunkt<br />

der <strong>PID</strong> <strong>an</strong>tizipierten Schw<strong>an</strong>gerschaftskonflikt<br />

zu konstruieren. Dagegen ist<br />

Folgendes einzuwenden:<br />

➀ Auf der Suche nach einem möglichen<br />

Wertungswiderspruch kommt es<br />

entscheidend darauf <strong>an</strong>, die richtigen Bezugspunkte<br />

zu wählen. Nicht die Nichtdurchführung<br />

der <strong>PID</strong> „zwingt“ später<br />

zu einem Schw<strong>an</strong>gerschaftsabbruch, sondern<br />

die Durchführung der In-vitro-Fertilisation.Wenn<br />

die Rede von einem <strong>an</strong>tizipierten<br />

Schw<strong>an</strong>gerschaftsabbruch sein<br />

soll, muss konsequent <strong>an</strong>tizipiert werden,<br />

das heißt nicht nur bis zur Möglichkeit<br />

der <strong>PID</strong>, sondern bis zum Segen der<br />

IVF. Die entscheidende Frage lautet<br />

d<strong>an</strong>n, ob im Zeitpunkt der Durchführung<br />

der IVF entweder eine Situation<br />

vorliegt, die bereits zu diesem Zeitpunkt<br />

einen Schw<strong>an</strong>gerschaftsabbruch rechtfertigen<br />

würde, oder ob bereits zum Zeitpunkt<br />

der IVF feststeht, dass später ein<br />

Schw<strong>an</strong>gerschaftsabbruch gerechtfertigt<br />

sein wird. Im ersten Fall ist die Durchführung<br />

der IVF nicht nachvollziehbar.<br />

Im zweiten Fall ist wesentlich, dass die<br />

medizinische Indikation des § 218 a Abs.<br />

2 StGB ausschließlich auf die Gesundheit<br />

der Frau und nicht auf das Kind abstellt.Zum<br />

Wegfall der früheren embryopathischen<br />

Indikation formuliert Eser in<br />

Schönke/Schröder, Kommentar zum<br />

StGB,25.Auflage:„Obgleich es schon bei<br />

der bisher (das heißt nach § 18 StGB<br />

a. F.) eingeräumten Zulassung eines<br />

Schw<strong>an</strong>gerschaftsabbruchs im Falle einer<br />

genetischen und pränatalen Schädigung<br />

des Kindes nicht um die Verhinde-<br />

rung erbkr<strong>an</strong>ken Nachwuchses als solches<br />

ging, sondern letztentscheidend damit<br />

allein der Schw<strong>an</strong>geren die befürchtete<br />

psychische Belastung erspart werden<br />

sollte, war damit die Gefahr nicht<br />

auszuschließen, dass dadurch l<strong>an</strong>gfristig<br />

das Tor zur platten Eugenik geöffnet<br />

werden könnte.“ . . . „Deshalb ist vor jedem<br />

Automatismus zwischen Befund<br />

und Schw<strong>an</strong>gerschaftsabbruch zu warnen.“<br />

Was bedeutet das für einen „<strong>an</strong>tizipierten<br />

Schw<strong>an</strong>gerschaftskonflikt“ im<br />

Zeitpunkt der IVF? Dass eine physische<br />

Gesundheitsgefahr für die Frau, die eine<br />

Abtreibung nach § 218 a Abs. 2 StGB<br />

rechtfertigt, aufgrund einer durch die<br />

<strong>PID</strong> festzustellenden Behinderung des<br />

Kindes droht, ist unwahrscheinlich. Soweit<br />

bereits im Zeitpunkt der Durchführung<br />

einer IVF bei der Gesamtwürdigung<br />

der Umstände soziale Aspekte eine<br />

Abtreibung rechtfertigen würden, wäre<br />

die Durchführung der IVF nicht nachvollziehbar.<br />

Bleiben psychische Gesundheitsgefahren<br />

für die Frau.Muss in einem<br />

solchen Fall die IVF durchgeführt werden?<br />

Wenn bei einem Paar mit hohem<br />

Risiko für eine schwerwiegende Behinderung<br />

des Nachwuchses (nur d<strong>an</strong>n soll<br />

nach dem Richtlinienentwurf eine <strong>PID</strong><br />

zugelassen werden) diese Behinderung<br />

eine solche seelische Gefahr für die Mutter<br />

bedeuten würde, dass dies eine Abtreibung<br />

rechtfertigte, stellt sich die Frage,ob<br />

in dieser Situation die IVF gerechtfertigt<br />

ist.Werden hier nicht mit dem Segen<br />

einer neuen Technik Mutter und<br />

Kind in einen Schw<strong>an</strong>gerschaftsabbruch<br />

getrieben? Diese Fragen werden umso<br />

drängender, wenn m<strong>an</strong> bedenkt, dass der<br />

<strong>PID</strong> ausschließlich eine rationale Entscheidung<br />

zu ihrer Durchführung vor<strong>an</strong>geht,<br />

was im Fall der natürlichen Fortpfl<strong>an</strong>zung<br />

mit derselben Ausschließlichkeit<br />

nicht als Regelfall unterstellt werden<br />

k<strong>an</strong>n.Wenn üblicherweise pränatale Diagnostik<br />

und <strong>PID</strong> verglichen werden, sei<br />

hier die Frage gestellt, weshalb die IVF<br />

eine Konfliktsituation überhaupt aufbauen<br />

muss, nur weil sie sich nach einer<br />

<strong>PID</strong> möglicherweise „einfacher“ lösen<br />

lässt als nach einer <strong>PND</strong>.<br />

➁ Unter Berufung auf die in der klinischen<br />

Wirklichkeit bestehende Möglichkeit<br />

einer „Schw<strong>an</strong>gerschaft auf Probe“<br />

in Verbindung mit der <strong>PND</strong> konstruiert<br />

Hepp d<strong>an</strong>n doch einen <strong>an</strong>geblichen Wer-<br />

43


tungswiderspruch zwischen § 218 StGB<br />

und einer Nichtzulassung der <strong>PID</strong>. Dem<br />

ist entgegenzuhalten, dass aus der Möglichkeit<br />

des kalten Missbrauchs einer Regelung,<br />

die einen existenziellen Konflikt<br />

lösen soll, nicht der Schluss zulässig ist<br />

auf die Ausweitung der vom Gesetz notgedrungen<br />

zugelassenen Konfliktlösung<br />

auf Fälle des gezielten Missbrauchs. Keine<br />

Gleichheit im Unrecht!<br />

➂ Dem noch vorgängig ist die Frage,<br />

wie sich die so gen<strong>an</strong>nte „Schw<strong>an</strong>gerschaft<br />

auf Probe“ und eine zu prognostizierende<br />

psychische Belastung der<br />

Frau vereinbaren lassen.Auch bei einer<br />

„Schw<strong>an</strong>gerschaft auf Probe“ k<strong>an</strong>n die<br />

Frau nicht sicher sein, dass eine Abtreibung<br />

zulässig sein wird. Wenn sie<br />

trotzdem eine Entscheidung für eine<br />

„Schw<strong>an</strong>gerschaft auf Probe“ trifft,<br />

schreitet sie in berechnender Absicht in<br />

eine Konfliktlage, die ihr das Gesetz<br />

ausnahmsweise abnehmen will. Entweder<br />

ist der Konflikt d<strong>an</strong>n ernst, d<strong>an</strong>n ist<br />

die rationale Entscheidung für eine<br />

„Schw<strong>an</strong>gerschaft auf Probe“ weder<br />

nachvollziehbar noch s<strong>an</strong>ktionierbar.<br />

Oder das mit dem Konflikt war doch<br />

nicht so ernst gemeint. D<strong>an</strong>n scheidet<br />

eine Berufung auf § 218 a Abs. 2 StGB<br />

aus. In jedem Fall lassen sich kühles<br />

Kalkül und existenzieller Konflikt nicht<br />

vereinbaren.<br />

➃ M<strong>an</strong> könne „mit Hilfe der <strong>PND</strong> die<br />

Geburt eines gesunden Kindes gleichsam<br />

erzwingen“, formuliert Hepp. Das mag<br />

schon sein, dass m<strong>an</strong> das k<strong>an</strong>n. Zu dieser<br />

Haltung passt aber nicht, dass sich Hepp<br />

direkt im nächsten Satz auf einen „Konflikt<br />

auf dem Boden der Autonomie der<br />

Mutter und der ihr durch ein kr<strong>an</strong>kes<br />

Kind nicht zumutbar erscheinenden Belastung<br />

für die Phase nach der Geburt“<br />

beruft. Muss die IVF zugelassen werden,<br />

um die Geburt eines gesunden Kindes<br />

gleichsam zu erzwingen?<br />

➄ Diese Argumente zeigen, dass jedenfalls<br />

ein „Dammbruch“, ausgehend<br />

von § 218 StGB, zur Zulässigkeit der <strong>PID</strong><br />

nicht zwingend ist. Bei genauer Betrachtung,<br />

insbesondere der Tatsache, dass<br />

§ 218 a StGB nur auf die Gesundheit der<br />

Mutter schaut und dass Bezugspunkt für<br />

eine Antizipation des Konflikts nicht die<br />

<strong>PID</strong>, sondern die IVF ist, wird deutlich,<br />

dass § 218 StGB als Argument für die<br />

Zulässigkeit der <strong>PID</strong> nicht taugt. Die Berufung<br />

auf Missbrauchsmöglichkeiten in<br />

44<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

der klinischen Wirklichkeit führt <strong>an</strong>dererseits<br />

zur Frage, ob es letztlich gar nicht<br />

um die Auflösung von Wertungswidersprüchen<br />

geht, sondern darum, den<br />

Damm etwas zu lockern. Die medizinische<br />

Machbarkeit ist dafür kein Grund.<br />

Regierungsrat Steffen Walter<br />

Ministerium für Wissenschaft, <strong>Forschung</strong> und Kunst<br />

Baden-Württemberg<br />

Königstraße 46, 70173 Stuttgart<br />

Menschenzucht<br />

Ich möchte einen Gesichtspunkt in die<br />

Diskussion einbringen, der bisher keine<br />

Beachtung f<strong>an</strong>d und wohl auch wissentlich<br />

verschwiegen wurde.<br />

Im Diskussionsentwurf zu einer<br />

Richtlinie zur Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

(PGD) steht im Vordergrund die Situation<br />

von kinderlosen Paaren, bei deren<br />

Kindern ein genetisches Risiko besteht.In<br />

diesen Fällen k<strong>an</strong>n nach einer Invitro-Fertilisation<br />

zu einem sehr frühen<br />

Zeitpunkt eine genetische Überprüfung<br />

des Embryos erfolgen und gegebenenfalls<br />

das kr<strong>an</strong>khafte Produkt vernichtet oder<br />

auch m<strong>an</strong>ipuliert werden. De facto reicht<br />

die Problematik weit über diese eng umgrenzte<br />

Situation hinaus, und durch keine<br />

noch so strenge Regelung wird sich die<br />

PGD auf Dauer auf diesen Bereich beschränken<br />

lassen.<br />

Die Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik k<strong>an</strong>n<br />

nur durchgeführt werden, wenn ein Embryo<br />

nach der Befruchtung in vitro zur<br />

Verfügung steht. Diese Situation wurde<br />

erstmals mit der Technik der In-vitro-<br />

Fertilisation (IVF) möglich. Bei diesem<br />

Verfahren erfolgt allerdings die Befruchtung<br />

der Eizelle durch eins von der Vielzahl<br />

der vorh<strong>an</strong>denen Spermien, der<br />

natürlichen Situation entsprechend unbeeinflusst.<br />

Anders ist dies bei der Technik der intracytoplasmatischen<br />

Spermieninjektion<br />

(ICSI), die nahezu zwingend eine PGD<br />

erfordert, eine artifizielle Befruchtung.<br />

Bei ICSI wird ein Spermium selektiert<br />

und gezielt m<strong>an</strong>uell gesteuert in eine Eizelle<br />

gebracht und damit der Befruchtungsprozess<br />

in G<strong>an</strong>g gesetzt. Es sei darauf<br />

hingewiesen, dass die beiden Techniken<br />

PGD und ICSI fast zeitgleich entwickelt<br />

wurden. Die primäre Indikation<br />

für ICSI ist die männlich bedingte Sterilität,<br />

das heißt in den Fällen, wo defekte,<br />

pathologische oder unreife Spermien<br />

vorliegen, die von sich aus nicht die<br />

Fähigkeit haben zu befruchten.Selbst bei<br />

einer Azoospermie k<strong>an</strong>n mit aus Hodenbiopsien<br />

gewonnenen Spermien durch<br />

intracytoplasmatische Injektion eine Befruchtung<br />

erzwungen werden. Bei dieser<br />

Ausg<strong>an</strong>gssituation ist mit einer gesteigerten<br />

Zahl von genetischen Störungen zu<br />

rechnen; nicht nur genetisch bedingte<br />

Sterilität wird weitergegeben. Welchen<br />

Einfluss die mech<strong>an</strong>ische Irritation bei<br />

der M<strong>an</strong>ipulation hat, ist letztlich nicht<br />

geklärt. Defekte und Fehlentwicklungen<br />

beim Embryo sollen d<strong>an</strong>n mit der PGD<br />

erfasst und eliminiert werden.<br />

ICSI wird zwar von den Kassen nicht<br />

bezahlt, aber dennoch in ständig steigendem<br />

Umf<strong>an</strong>g durchgeführt. Diese Praxis<br />

zeigt, welchen Einfluss gesetzgeberische<br />

Maßnahmen auf die Anwendung von<br />

neuen Techniken haben, obwohl eine<br />

Entscheidung des Bundesausschusses<br />

Ärzte und Kr<strong>an</strong>kenkassen, ICSI nicht<br />

als Kassenleistung <strong>an</strong>zuerkennen, vorliegt.<br />

Daher ist es fraglich, ob entsprechende<br />

Regelungen für PGD überhaupt<br />

greifen werden. Für die Entscheidung<br />

pro oder kontra PGD wesentlich erscheint<br />

mir die Einsicht, dass ICSI plus<br />

PGD Menschenzucht ist, der Beginn einer<br />

genetischen Selektion beim Menschen.<br />

Selektiert wird gezielt ein Spermium<br />

zur Befruchtung, und nach der Befruchtung<br />

k<strong>an</strong>n der Embryo in Abhängigkeit<br />

von der genetischen Diagnose selektiert<br />

werden. Beide Techniken sind<br />

Eugenik: ICSI im negativen Sinn, da<br />

spont<strong>an</strong> nicht zur Befruchtung taugliche<br />

Spermien zur Fertilisation m<strong>an</strong>ipuliert<br />

werden und als Folge davon mit einem<br />

Weiterreichen von Fehlinformationen<br />

<strong>an</strong> die Kinder gerechnet werden muss.<br />

PGD im „positiven“ Sinn, da hier ein<br />

Aussortieren nach der Fertilisation in<br />

vitro erfolgt.<br />

Dem Verbot einer PGD, wie von<br />

Montgomery gefordert, muss ein Verbot<br />

von ICSI vorausgehen. Der Beitrag von<br />

Montgomery ist klar und eindeutig, der<br />

von Hepp wortreich und unverbindlich.<br />

Noch so ausgeklügelte Regularien werden<br />

nicht verhindern, dass die PGD aus<br />

vielfältigen Gründen bei in vitro gezeugten<br />

<strong>Embryonen</strong> erfolgen wird.<br />

Ich hoffe, dass sich noch viele einsichtige<br />

und ver<strong>an</strong>twortungsbewusste Mediziner<br />

zum eindeutigen Nein bekennen.


Die breite „öffentliche Meinung“ ist sicherlich<br />

überfordert. Das zeigt die unreflektierte,<br />

breite Zustimmung zu ICSI,<br />

offensichtlich ist es schwer, den qualitativen<br />

Unterschied zwischen der natürlichen<br />

Befruchtung und der künstlichen zu<br />

verstehen. ICSI und PGD sind die Techniken<br />

für eine Eugenik.<br />

„Gegen das, was der Fortschritt der<br />

Fortpfl<strong>an</strong>zungstechnik, der zw<strong>an</strong>gsläufig<br />

auch ein Fortschritt <strong>an</strong> Eugenik ist, <strong>an</strong><br />

moralisch Zweifelhaftem noch zu bieten<br />

hat, wird die Atombombe ein sittliches<br />

Kinderspiel gewesen sein.“ (C. Koch,<br />

Ende der Natürlichkeit. Eine Streitschrift<br />

zu Biotechnik und Bio-Moral,<br />

H<strong>an</strong>ser 1994)<br />

Prof. Dr. Gerhard Bettendorf<br />

ehem. Direktor der Abteilung für klinische und<br />

experimentelle Endokrinologie und des<br />

Reproduktionszentrums der Universität Hamburg<br />

Friedrich-Kirsten-Straße 19, 22391 Hamburg<br />

Kinderlosigkeit:<br />

Zumutbares Schicksal<br />

Es ist wohltuend, in einer ärztlich-<strong>an</strong>thropologischen<br />

Grundsatzdiskussion,<br />

die im Kontext der Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

(<strong>PID</strong>) entbr<strong>an</strong>nt ist, aus dem<br />

Mund wenigstens eines Kammerpräsidenten<br />

kompetente und insofern auch<br />

mutige Worte zu hören,die einen eigenen<br />

St<strong>an</strong>dpunkt klar formulieren, der nicht<br />

unbedingt Zeitströmungen hörig ist.<br />

Dafür möchte ich dem H<strong>an</strong>seaten Montgomery<br />

d<strong>an</strong>ken und Respekt zollen, dass<br />

er aus einem tiefen ärztlichen Ver<strong>an</strong>twortungsbewusstsein<br />

heraus unpolemisch,<br />

aber unmissverständlich zur aktuellen Situation<br />

der <strong>PID</strong>-Diskussion eine prospektive<br />

Sichtweise entwickelt, die würdig<br />

neben einer solchen von Aldous<br />

Huxley steht.<br />

Gestatten Sie mir aber noch eine persönliche<br />

Ergänzung. Wie Herr Hepp im<br />

gleichen Heft schreibt, hat die <strong>PID</strong> zur<br />

Aufklärung des genetischen Status des<br />

Embryos eine In-vitro-Fertilisation zur<br />

Voraussetzung. Hier <strong>an</strong> der ursächlichen<br />

Wurzel dieser g<strong>an</strong>zen Problematik<br />

möchte ich <strong>an</strong>setzen. Ich stelle die Frage,<br />

ob in einer Welt, die bevölkerungspolitisch<br />

überquillt, überhaupt eine IVF<br />

sozialethisch zu rechtfertigen ist. Hinzu<br />

kommt, dass unsere Solidargemeinschaft<br />

im medizinischen Bereich heute<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

bereits überfordert ist, sogar wenn es<br />

um existenziell bedrohliche Situationen<br />

geht. Im Kontext dazu möchte ich nur<br />

auf die im gleichen Heft erschienene Arbeit<br />

„Radioonkologie, Strahlenbiologie<br />

und medizinische Physik“ Bezug nehmen,<br />

wonach es „wegen des hohen fin<strong>an</strong>ziellen<br />

Aufw<strong>an</strong>des...Protonen für<br />

den klinischen Einsatz . . .“ in Deutschl<strong>an</strong>d<br />

erst seit 1998 möglich war, eine<br />

Therapieeinheit zu errichten. Hier stellt<br />

sich mir als l<strong>an</strong>gjährigem Frauenarzt<br />

trotzdem die Frage, ob ein Kinderwunsch<br />

– bei Würdigung aller Fakten –<br />

Priorität haben muss beispielsweise vor<br />

der Therapie besonderer maligner Tumoren?<br />

Kinderwunsch, so edel er sein<br />

mag, ist keine Existenzfrage. Verzicht<br />

auf ein Kind – ob primär oder bei Verdacht<br />

auf genetisches Risiko – ist ein zumutbares<br />

Schicksal, zumindest rechtfertigt<br />

es nicht die fin<strong>an</strong>zielle Belastung der<br />

Solidargemeinschaft. Der Kinderlosigkeit<br />

lässt sich überdies durch die Möglichkeit<br />

der Adoption eines der vielen<br />

armen Kinder auf unserer schönen neuen<br />

Welt begegnen. Dies könnte mit echter<br />

Liebe zum Kind erreicht werden, allerdings<br />

nicht durch narzisstische Liebe<br />

zu sich selbst oder Forschernarzissmus,<br />

alles möglich zu machen, koste es, was<br />

es wolle.<br />

Dr. med. Günter Link<br />

Auf der Halde 13, 87439 Kempten<br />

Die PGD kommt<br />

Sehr geehrter Herr Kollege Montgomery,<br />

Sie (und alle <strong>an</strong>deren) können dieses<br />

Thema wenden und drehen, wie Sie<br />

wollen. Die PGD kommt so bestimmt<br />

wie der nächste Winter, letzten Endes<br />

routinemäßig ohne besondere Indikation.<br />

– Nein, ich bin kein Prophet.<br />

Dr. med. Josef Sliva<br />

73117 W<strong>an</strong>gen<br />

Nachdenken über Limitierung<br />

der künstlichen Befruchtung<br />

Den Ausführungen von Dr. Montgomery<br />

ist im Hinblick auf die Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

absolut zuzustimmen.Zu<br />

fragen wäre nur, ob es tatsächlich ungewollt<br />

ist, dass der genetischen Selektion<br />

die Tür geöffnet wird,wenn die Deutsche<br />

Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe<br />

schon die Forcierung der Pränataldiagnostik<br />

für notwendig hält, weil<br />

immer weniger Kinder geboren werden.<br />

Der wenige Nachwuchs in Deutschl<strong>an</strong>d<br />

soll d<strong>an</strong>n im Sinne des „Designer<br />

Child’s“ wenigstens gesund sein.<br />

Prof. Hepp widerspricht sich in seinem<br />

Beitrag zur PGD leider selbst.<br />

Wenn das menschliche Leben – nach<br />

einhelliger naturwissenschaftlicher Meinung<br />

– mit der Konjugation der haploiden<br />

Chromosomensätze beginnt, d<strong>an</strong>n<br />

ist die Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik eine<br />

sehr frühe Form der Pränataldiagnostik<br />

und hat nichts mit der Impl<strong>an</strong>tation und<br />

dem Beginn der Schw<strong>an</strong>gerschaft zu<br />

tun. Pränataldiagnostik ist eine Untersuchung<br />

des Menschen vor seiner Geburt.<br />

Ist dies der subtile Versuch, doch<br />

eine Abstufung des Lebensrechtes zu<br />

erreichen?<br />

Es ist zudem erstaunlich, dass in der<br />

Debatte um die PGD die Befruchtungskontrolle<br />

kaum erwähnt wird. Vor der<br />

Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik steht bereits<br />

die Untersuchung der befruchteten Eizelle<br />

auf ihre Vorkerne. Bereits ein Abweichen<br />

von den „normalen“ zwei Vorkernen<br />

führt zur Vernichtung der Zygoten,<br />

obwohl m<strong>an</strong> weiß, dass sich mindestens<br />

14 Prozent dieser <strong>Embryonen</strong> normal<br />

entwickeln können. Die Selektion,<br />

die Vorsicht vor dem nicht g<strong>an</strong>z Normalen<br />

und die Unterscheidung zwischen lebenswert<br />

und lebensunwert beginnt damit<br />

schon vor der genetischen Untersuchung.<br />

Leider blieb bisher auch zu wenig<br />

beachtet, dass amerik<strong>an</strong>ische Fortpfl<strong>an</strong>zungsmediziner<br />

die <strong>an</strong>schließende Pränataldiagnostik<br />

zur Sicherung des Ergebnisses<br />

der PGD besonders empfehlen.<br />

Die Meldung über 50 000 vernichtete<br />

<strong>Embryonen</strong> in Engl<strong>an</strong>d – ebenfalls in<br />

Heft 18/2000 – müsste jede weitere Diskussion<br />

über die Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

im Keim ersticken und – wie von<br />

Dr. Montgomery gefordert – zu einem<br />

absoluten Verbot führen.<br />

Notwendig ist zusätzlich ein intensives<br />

Nachdenken über eine gesetzliche Einschränkung<br />

der Pränataldiagnostik und<br />

Limitierung der künstlichen Befruchtung...<br />

Dr. med. Claudia Kaminski<br />

Ottmarsgässchen 8, 86152 Augsburg<br />

45


Ethisch nicht vertretbar<br />

Herrn Dr. Montgomery ist sehr zu d<strong>an</strong>ken<br />

für sein klares Plädoyer, die Präimplatationsdiagnostik<br />

zu verbieten. Dabei<br />

bildet weniger die Diagnostik <strong>an</strong><br />

sich das Problem; vielmehr sind es die<br />

Konsequenzen, die sich aus dieser Diagnostik<br />

ableiten. Sol<strong>an</strong>ge therapeutische<br />

Möglichkeiten fehlen und sol<strong>an</strong>ge<br />

lediglich die Tötung des ungeborenen<br />

Menschen die Folge ist, lässt sich die<br />

Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnosik ethisch nicht<br />

vertreten.<br />

Natürlich ist es Aufgabe eines jeden<br />

Arztes, Kr<strong>an</strong>kheit zu verhindern. Doch<br />

auch hier sind seinem H<strong>an</strong>deln ethische<br />

Grenzen gesetzt. Es ist keine Prophylaxe,<br />

eine Erkr<strong>an</strong>kte/einen Erkr<strong>an</strong>kten<br />

frühzeitig zu identifizieren und d<strong>an</strong>n zu<br />

töten.<br />

Dr. Rupert Pullen<br />

Anemonenweg 1, 42553 Velbert<br />

Alternativen<br />

In den Diskussionsbeiträgen zur Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

k<strong>an</strong>n m<strong>an</strong> leider<br />

nicht durchweg erkennen, dass im Mittelpunkt<br />

aller Überlegungen ein Ehepaar<br />

mit Kinderwunsch steht, das ein hohes<br />

genetisches Risiko trägt und damit<br />

rechnen muss, dass eine oder eine weitere<br />

Fehlgeburt,Totgeburt oder Geburt eines<br />

schwer geschädigten oder bald sterbenden<br />

Kindes zu befürchten ist. Wir<br />

Ärzte werden zum genetischen Risiko<br />

beziehungsweise Wiederholungsrisiko<br />

gefragt,nennen die Gefahr und sind dem<br />

ärztlichen Ethos verpflichtet vorzubeugen<br />

und zu heilen.Die Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

bietet die Möglichkeit der<br />

Verminderung des Risikos, dass schwer<br />

defektive Nachkommen entstehen, bevor<br />

der Embryo in den Mutterleib tr<strong>an</strong>sferiert<br />

wird, bevor die Nidation als Bindung<br />

von Embryo und Mutter erfolgt<br />

und bevor Org<strong>an</strong>systeme entstehen, die<br />

das Menschenkind erst einmal lebensfähig<br />

werden lassen. Und schließlich<br />

wird ein Schw<strong>an</strong>gerschaftsabbruch bis<br />

zur zwölften SSW (oder gar noch später?)<br />

vermieden.<br />

Der BÄK-Richtlinienentwurf gibt eine<br />

simple Empfehlung, wie die ethischen<br />

Konflikte der <strong>PID</strong> vermeidbar sind: „indem<br />

betroffene Paare bewusst auf Kinder<br />

46<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

verzichten oder sich zu einer Adoption<br />

entschließen“. Der Ethos vom Verzicht<br />

entspricht der Schicksalsergebenheit gegenüber<br />

einer höheren Gewalt. Ärztlicher<br />

Ethos erlaubt uns nicht, apathischnihilistisch<br />

Kr<strong>an</strong>kheiten, Leiden und<br />

Schäden als Schicksal hinzunehmen, sol<strong>an</strong>ge<br />

Hoffnung auf Vermeidung und<br />

Heilung besteht.<br />

Der BÄK-Richtlinienentwurf nennt<br />

leider nicht die schlechten Ch<strong>an</strong>cen für<br />

eine Adoption. In Deutschl<strong>an</strong>d warten<br />

sechs bis acht Ehepaare auf ein adoptierbares<br />

Kind, die meisten warten frustriert<br />

jahrel<strong>an</strong>g, bis sie schließlich für<br />

die Adoption zu alt geworden sind. Der<br />

BÄK-Richtlinienentwurf nennt leider<br />

auch nicht eine seit über 30 Jahren in<br />

Deutschl<strong>an</strong>d sehr erfolgreich praktizierte<br />

Heilbeh<strong>an</strong>dlung, die dem Rat suchenden<br />

Ehepaar unbedingt gen<strong>an</strong>nt<br />

werden sollte, die donogene (gespendete,<br />

d. Red.) Insemination und donogene<br />

IVF aus genetischer Indikation. Sie ist<br />

weder ethisch noch rechtlich unzulässig.<br />

Seit Jahren existieren Richtlinien zur<br />

Spenderauswahl und zur Verfahrensweise.<br />

Das Ehepaar muss selbst zwischen<br />

Adoption, donogener Befruchtung und<br />

Verzicht entscheiden.<br />

Prof. Dr. E. Günther<br />

Max-Steenbeck-Straße 46, 07745 Jena<br />

Anspruchsdenken verschließen<br />

Mit der In-vitro-Fertilisation hat m<strong>an</strong><br />

die Basis ärztlichen H<strong>an</strong>delns verlassen.<br />

Mit ESchG und Richtlinien zur<br />

<strong>PID</strong> versucht m<strong>an</strong> jetzt Dämme aufzurichten,<br />

die wahrscheinlich nicht l<strong>an</strong>ge,<br />

auf keinen Fall ewig halten werden. Offen<br />

wird in einzelnen Diskussionsbeiträgen<br />

bereits von eugenischen Zielsetzungen<br />

gesprochen. Zuerst wollte<br />

m<strong>an</strong> nur den Kinderwunsch von Paaren<br />

erfüllen, jetzt wird bereits von amerik<strong>an</strong>ischen<br />

Gerichten ein Recht des Kindes<br />

auf körperliche und geistige Gesundheit<br />

festgelegt, demnächst wird ein behindertes<br />

Kind seine Eltern auf Schadensersatz<br />

verklagen können. Und niem<strong>an</strong>d<br />

k<strong>an</strong>n sich damit entschuldigen,<br />

das habe er nicht gewollt.<br />

Erst 1968 wurde von der Bundesregierung<br />

das 1933 erlassene „Gesetz zur<br />

Verhütung erbkr<strong>an</strong>ken Nachwuchses“<br />

endgültig für unwirksam erklärt, vorher<br />

war es nur dispensiert. Die Idee der Eugenik<br />

geht auf Sir Fr<strong>an</strong>cis Galton<br />

zurück, welcher forderte, eine ver<strong>an</strong>twortungsvolle<br />

Menschheit müsse ihre<br />

„Zuchtwahl“ selbst in die H<strong>an</strong>d nehmen,<br />

um die Bevölkerung vor einem<br />

vermeintlichen biologischen Niederg<strong>an</strong>g<br />

zu bewahren. Und 1930 rief der<br />

Generalsekretär der Americ<strong>an</strong> Eugenics<br />

Society aus:„In Zukunft wird der<br />

Mensch auf das 20. Jahrhundert zurückblicken<br />

und es das eugenische Jahrhundert<br />

nennen. Eugenik fegt wie eine<br />

große Religion über die Welt.“ Der Medizin<br />

wuchs die Rolle des Vollstreckers<br />

des sozial Wünschenswerten und<br />

scheinbar wissenschaftlich Erforderlichen<br />

zu. Wie es geendet hat, wissen wir.<br />

Was vergessen wurde, ist die Reson<strong>an</strong>z,<br />

welche diese Ideen seinerzeit hatten.<br />

Selbst die späteren Friedensnobelpreisträger<br />

Aiva und Gunnar Myrdal<br />

forderten ein schonungsloses Sterilisationsprogramm,<br />

und der amerik<strong>an</strong>ische<br />

Physik-Nobelpreisträger W. Shockley<br />

wollte alle Menschen mit niedrigem IQ<br />

sterilisiert wissen. Zw<strong>an</strong>gssterilisationen<br />

so gen<strong>an</strong>nter Erbkr<strong>an</strong>ker f<strong>an</strong>den<br />

bis in die jüngste Zeit in europäischen<br />

Ländern statt.<br />

Und jetzt leben diese Ideen in neuem<br />

Gew<strong>an</strong>d wieder auf. Statt der Zuchtwahl<br />

geht es jetzt um die Evolution, „es sei <strong>an</strong><br />

der Zeit, dass der Mensch seine Evolution<br />

selbst in die H<strong>an</strong>d nehme“, so Nobelpreisträger<br />

James Watson auf einem<br />

Symposion der Universität von Kalifornien<br />

in Los Angeles 1998. Vordergründig<br />

wird die Notwendigkeit einer Keimbahntherapie<br />

mit dem bisherigen Misserfolg<br />

der somatischen Gentherapie begründet.James<br />

Watson stritt mögliche Erfolge<br />

der somatischen Therapieform<br />

rundweg ab, darauf könne m<strong>an</strong> warten,<br />

„bis die Sonne erlischt“.Gerade die Möglichkeit<br />

des Verwerfens von misslungenen<br />

Keimen im Blastozystenstadium wurde<br />

von allen <strong>an</strong>wesenden Wissenschaftern<br />

(Molekularbiologen, Evolutionsbiologen,<br />

Ethikern) als der große Vorteil gegenüber<br />

der unsicheren somatischen Gentherapie<br />

ohne Widerspruch begrüßt. Keimbahntherapie<br />

sei schließlich nur eine Erweiterung<br />

der somatischen Gentherapie,<br />

gab der Molekularbiologe John Campbell<br />

zu verstehen. Sie verurteilten einhellig<br />

alle Versuche von gesetzlichen Regle-


mentierungen von Keimbahneingriffen.<br />

Gewisse Bedenken scheinen aber doch<br />

zu bestehen, denn es wurde postuliert,<br />

dass keinesfalls genetische Veränderungen<br />

zw<strong>an</strong>gsläufig von Generation zu Generation<br />

weitergegeben werden dürften,<br />

was durch den Einbau von Steuerungsmech<strong>an</strong>ismen<br />

verhindert werden soll<br />

(eine Zusammenfassung ist im Internet<br />

unter http://www.ess.ucla.edu:80/huge/<br />

report.html zugänglich).<br />

Die evolutionsbiologische Notwendigkeit<br />

genetischer Defekte sollte bei<br />

der Diskussion genetischer M<strong>an</strong>ipulationen<br />

nicht außer Acht gelassen werden.<br />

Unser Überleben beruht auf einem<br />

ständigen genetischen Lotteriespiel.<br />

Das hohe Maß genetischer Variabilität<br />

gehört zur Grundbedingung allen Lebens.<br />

Einen genetisch definierten Idealtyp<br />

gibt es nicht. Als Preis dafür haben<br />

wir die Anzahl mehr oder weniger genetischer<br />

Vari<strong>an</strong>ten zu zahlen. Aus<br />

zwingenden evolutionsbiologischen<br />

Gründen k<strong>an</strong>n kein Mensch, kein Lebewesen,<br />

genetisch völlig unbeschädigt<br />

und gesund sein. Und deshalb ist es <strong>an</strong>gemessen,<br />

selbst den Zust<strong>an</strong>d gewöhnlicher<br />

Gesundheit nicht als naturgegebene<br />

Norm <strong>an</strong>zusehen oder gar als<br />

Menschenrecht einzufordern.<br />

Die Medizin sollte sich jedem ihr<br />

<strong>an</strong>getragenen Anspruchsdenken verschließen,<br />

umso konsequenter, wenn dadurch<br />

ethische Konflikte vorprogrammiert<br />

sind. Bei Sterilität oder genetisch<br />

schwer belasteten Paaren, wie im Fall der<br />

Ethikkommission der Med. Univ. Lübeck,<br />

sollte m<strong>an</strong> von einer Schw<strong>an</strong>gerschaft<br />

abraten.<br />

Die Ethik darf sich nicht dem so gen<strong>an</strong>nten<br />

Fortschritt <strong>an</strong>passen, „die Seele<br />

ist um sehr vieles älter als der menschliche<br />

Geist“ (K. Lorenz).<br />

Literatur beim Verfasser<br />

Dr. med. Rolf Klimm<br />

Bach 2, 83093 Bad Endorf<br />

Verunglimpfung deutscher<br />

Ethikkommissionen<br />

Grundlegend falsch, schon im Titel und<br />

d<strong>an</strong>n noch mehrfach im Text, ist die <strong>an</strong>geblich<br />

von der modernen Medizin gelehrte<br />

Gleichsetzung von „menschlich<br />

sein“ mit „Mensch sein“. Spermien, Ei-<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

zellen und <strong>Embryonen</strong> des Menschen<br />

sind zwar menschlich, aber sie sind noch<br />

kein halber oder g<strong>an</strong>zer Mensch. Diese<br />

frühesten Entwicklungsformen menschlichen<br />

Lebens haben weder die laut Bibel<br />

(Buch Genesis) notwendige Form<br />

noch den göttlichen Odem. Wenn die<br />

katholische Amtskirche durch ihr Verbieten<br />

von Kondom und Pille (und jetzt<br />

Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik) diese Frühestformen<br />

schützen möchte, so können<br />

(und werden) den Kirchenoberen hierbei<br />

selbst von ihren eigenen Gläubigen<br />

nur noch wenige folgen.<br />

Auch <strong>Embryonen</strong> sind mit Sicherheit<br />

in den ersten zwei Wochen keine Kinder<br />

oder Menschen, weil ein Mensch nicht<br />

zu zwei Menschen, der Embryo in diesem<br />

Zeitraum aber noch zu eineiigen<br />

Zwillingen werden k<strong>an</strong>n – er ist also<br />

noch nicht einmal ein In-dividu-um, ein<br />

Unteilbares. Zudem ist das typische<br />

Schicksal von <strong>Embryonen</strong>, wie auch von<br />

Keimzellen, der frühe Tod: mindestens<br />

zwei Drittel sterben vor der Monatsblutung<br />

und gehen in der Regel mit der Regel<br />

unbemerkt ab.<br />

In unserer Zeit der höchstentwickelten<br />

medizinischen Fürsorge für Frühgeborene<br />

den Vorwurf der „dumpfen<br />

Mentalität . . . für das... nicht behinderte<br />

und kräftige Leben“ aufzustellen,<br />

zeugt von Unkenntnis oder Missachtung.<br />

Wird für behinderte Kinder und<br />

Erwachsene heute nicht get<strong>an</strong>, was<br />

früher schlicht unmöglich war? Wie<br />

hoch war denn in der Zeit vor der heutigen<br />

Medizin die Kindersterblichkeit, als<br />

die Menschen mit Gebeten und Gottes<br />

Hilfe auskommen mussten?<br />

Da Kardinal Meisner die Kollaboration<br />

deutscher Ärzte mit dem Nazi-Regime<br />

<strong>an</strong>spricht, so darf dar<strong>an</strong> erinnert<br />

werden, dass der Vatik<strong>an</strong> als erster Staat<br />

jene Machtergreifung mit dem Konkordat<br />

völkerrechtlich <strong>an</strong>erk<strong>an</strong>nte und dieser<br />

Vertrag immer noch gültig ist . . .<br />

Bemerkenswert auch,dass ein Kardinal<br />

zweimal im Namen der Christen redet,<br />

obwohl er wissen müsste, dass die<br />

meisten christlichen Religionen die extreme<br />

Position der katholischen Amtskirche<br />

auf dem Gebiet der Fortpfl<strong>an</strong>zung<br />

keineswegs zu teilen vermögen...<br />

Dr. M<strong>an</strong>fred Schleyer<br />

Diplom-Biologe, Institutstraße 22,<br />

81241 München-Pasing<br />

Kultur des Lebens<br />

Positiv und beachtenswert ist die Entschiedenheit,<br />

mit der Joachim Kardinal<br />

Meisner, Erzbischof von Köln, seine<br />

Stimme für den Schutz allen menschlichen<br />

Lebens erhebt. Ich freue mich, dass<br />

er sich für Klarheit in der Debatte um<br />

die Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik auf diese<br />

Weise engagiert.<br />

Gerade eine „Schärfung des Problembewusstseins“<br />

ist bei dieser Diskussion<br />

<strong>an</strong>gesagt. Die Debatte für und<br />

wider die Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

sollte dabei auf den freiheitlichen<br />

Grundsätzen dieses Rechtsstaates beruhen.<br />

Vor allem die deutsche Staatsidee,<br />

die sich in Artikel eins des Grundgesetzes<br />

niederschlägt, stellt einen hohen moralischen<br />

Anspruch, der ver<strong>an</strong>twortungsbewusstes<br />

H<strong>an</strong>deln voraussetzt.<br />

Daher geht es in erster Linie nicht um<br />

„Einzelfallentscheidungen“, sondern<br />

vielmehr um den grundsätzlichen Primat<br />

des Schutzes allen menschlichen<br />

Lebens.<br />

Ich bin sicher, dass es nicht nur mir,<br />

als hoffentlich <strong>an</strong>gehender Medizinstudentin,<br />

sondern vielen ein Anliegen ist,<br />

jene ethisch-moralischen und naturrechtlichen<br />

Werte in dieser Gesellschaft<br />

ohne Abstriche aufrechtzuerhalten. Leben<br />

ist zu bejahen. Daraus erwächst das<br />

Gebot, die Schwachen und Hilflosen in<br />

ihrer G<strong>an</strong>zheit zu akzeptieren und zu<br />

fördern.<br />

Die Geste seitens der Bundesärztekammer,<br />

zu einem offenen und sachlichen,<br />

gleichwohl kritischen Dialog mit<br />

der Öffentlichkeit beizutragen, zeigt,<br />

dass sogar bei der Forderung nach einem<br />

sehr restriktiven Einsatz der<br />

Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik nicht über<br />

die Köpfe hinweg entschieden werden<br />

darf und ein Entgegenkommen ihrerseits<br />

möglich ist.<br />

Alice K<strong>an</strong>g<br />

Rheinstraße 39, 53179 Bonn<br />

47


Heft 47, 24. November 2000<br />

Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

Eine schottische Familie mit fünf<br />

Kindern verlor durch einen Unfall<br />

die einzige Tochter. Sie möchte jetzt<br />

mithilfe von Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

(preimpl<strong>an</strong>tation genetic diagnosis<br />

= PGD) gar<strong>an</strong>tiert wieder ein<br />

Mädchen bekommen. Diesen „Fall“ der<br />

zurzeit in Großbrit<strong>an</strong>nien diskutiert<br />

wurde, trug der Vorsitzende des Marburger<br />

Bundes und Präsident der Ärztekammer<br />

Hamburg, Dr. med. Fr<strong>an</strong>k<br />

Ulrich Montgomery, in Berlin vor.<br />

„Direkter Weg zum<br />

qualitätsgesicherten Kind“<br />

Auch wenn in Deutschl<strong>an</strong>d die Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

nicht zur Geschlechtswahl<br />

genutzt werden soll, so<br />

hält Montgomery die PGD dennoch für<br />

den „direkten Weg zum qualitätsgesicherten<br />

Kind“. Bei einer öffentlichen<br />

Anhörung der Enquete-Kommission<br />

„Recht und Ethik der modernen Medizin“<br />

drückte er die Befürchtung aus,<br />

dass die PGD nicht auf die Paare begrenzt<br />

werden könne, die erbgebundene<br />

Kr<strong>an</strong>kheitsgeschichten vorwiesen.<br />

„Über kurz oder l<strong>an</strong>g werden bei allen<br />

In-vitro-Fertilisations-Maßnahmen<br />

PGDs nötig sein“, so Montgomery. Die<br />

Entschlüsselung des menschlichen Genoms<br />

stehe kurz vor ihrer Vollendung.<br />

Damit aber liege eine mindestens abstrakte<br />

Genkarte vor, in der Aberrationen,<br />

Variationen und Strickmuster<strong>an</strong>omalien<br />

des Menschen beschrieben<br />

sind. „Jeder von uns ist Träger solcher<br />

Anomalien – auch der Gesundeste.“<br />

Der Grundged<strong>an</strong>ke der genetischen Selektion,<br />

der dem g<strong>an</strong>zen Verfahren in-<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

Ethisches Dilemma der<br />

Fortpfl<strong>an</strong>zungsmedizin<br />

Ärzte, Politiker, Juristen und Theologen diskutierten bei einer<br />

öffentlichen Anhörung der Enquete-Kommission des<br />

Bundestages „Recht und Ethik der modernen Medizin“ über<br />

Ch<strong>an</strong>cen und Risiken der PGD.<br />

48<br />

newohne, werde zu einer natürlichen<br />

„Ausmerzung aller Anomalien“ führen.<br />

Prof. Dr. med. Klaus Diedrich, Medizinische<br />

Universität zu Lübeck, hält diese<br />

Befürchtungen für unbegründet. So sei<br />

ein Screening auf mehrere monogenetische<br />

Veränderungen allein aufgrund des<br />

normalen Hintergrundrisikos in der Bevölkerung<br />

wenig sinnvoll.Die weltweiten<br />

Zahlen demonstrierten außerdem eindrucksvoll,<br />

dass die PGD immer noch eine<br />

in der Anwendung sehr begrenzte<br />

Technik sei. Um einem Missbrauch vorzubeugen,<br />

habe die Bundesärztekammer<br />

(BÄK) im März einen Diskussionsentwurf<br />

zur PGD (Deutsches Ärzteblatt,<br />

Heft 9/2000) vorgelegt, in dem ein Diagnosenkatalog<br />

eindeutig abgelehnt und<br />

in klarer Weise die Diagnostik vorgegeben<br />

werde. Durch eine Beibehaltung des<br />

Verbots der PGD würden möglicherweise<br />

deutsche Paare zu kommerziell orientierten<br />

Einrichtungen im Ausl<strong>an</strong>d getrieben,<br />

auf deren ethische und medizinische<br />

St<strong>an</strong>dards m<strong>an</strong> keinerlei Einfluss habe,<br />

befürchtet Priv.-Doz. Dr. med. Wolfram<br />

Henn, Homburg/Saar.<br />

Doch ist es eigentlich gerechtfertigt,<br />

einem Embryo, bei dem Behinderungen<br />

festgestellt wurden, das Lebensrecht zu<br />

verwehren? Nein – ist die deutliche Antwort<br />

von Karl Finke, Behindertenbeauftragter<br />

des L<strong>an</strong>des Niedersachsen. Er<br />

betrachtet es „mit Sorge und Kritik, dass<br />

Behinderung zunehmend als ein mit modernen<br />

medizintechnologischen Methoden<br />

aus der Welt zu schaffendes Übel <strong>an</strong>gesehen<br />

wird. Menschen mit Behinderungen<br />

erlebten dies schon heute als eine<br />

m<strong>an</strong>gelnde Akzept<strong>an</strong>z gegenüber denjenigen,<br />

die dem gesellschaftlichen Leitbild<br />

von Gesundheit, Leistungsfähigkeit<br />

und Fitness nicht entsprechen.“ Führende<br />

Fortpfl<strong>an</strong>zungsmediziner und Biologen,<br />

wie kürzlich der Nobelpreisträger<br />

James Watson, sprächen bereits von einem<br />

Recht auf ein nichtbehindertes<br />

Kind, so Finke. Ein Recht, das sich zu einer<br />

Pflicht zur eugenischen Selektion<br />

verkehren könne. Die PGD intensiviere<br />

die schon in der pränatalen Diagnostik<br />

<strong>an</strong>gelegte Tendenz zur eugenisch motivierten<br />

Auslese behinderten Lebens und<br />

öffne gleichzeitig die Tür zur positiven<br />

Eugenik. Studien zeigten zum Beispiel,<br />

dass in mehr als 90 Prozent der Fälle, in<br />

denen einer Frau im Rahmen von pränataler<br />

Diagnostik mitgeteilt wird, sie erwarte<br />

ein Kind mit Down-Syndrom, eine<br />

Abtreibung vorgenommen werde.<br />

Doch diese Schw<strong>an</strong>gerschaftsabbrüche,<br />

die bei festgestellter Behinderung<br />

nach pränataler Diagnostik aufgrund<br />

der medizinischen Indikation bis<br />

zum Ende der Schw<strong>an</strong>gerschaft möglich<br />

sind, könnten gerade durch PGD<br />

verhindert werden, erläuterte Prof. Dr.<br />

jur. Joachim Renzikowski, Universität<br />

Halle-Wittenberg. Ein später Abbruch<br />

einer „Schw<strong>an</strong>gerschaft auf Probe“ sei<br />

nichts <strong>an</strong>deres als eine künstliche Frühgeburt<br />

und mit erheblichen Belastungen<br />

für die Mutter und die Leibesfrucht<br />

verbunden, so der Jurist.<br />

Eindeutige gesetzliche<br />

Regelung gefordert<br />

Dr. Hildburg Wegener, Netzwerk gegen<br />

Selektion durch Pränataldiagnostik,<br />

wies allerdings darauf hin, dass die Methode<br />

der PGD ebenso fehler<strong>an</strong>fällig<br />

wie aufwendig sei. Deshalb werde der<br />

schw<strong>an</strong>geren Frau im Richtlinienentwurf<br />

der BÄK zur Absicherung des<br />

Ergebnisses eine Fruchtwasseruntersuchung<br />

empfohlen. Ein Schw<strong>an</strong>gerschaftsabbruch<br />

müsse also eventuell<br />

trotz Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik vorgenommen<br />

werden. Wegener vertritt<br />

außerdem die Auffassung, dass die In<strong>an</strong>spruchnahme<br />

einer Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

und ein Schw<strong>an</strong>gerschaftsabbruch<br />

nach pränataler Diagnostik gar<br />

nicht mitein<strong>an</strong>der verglichen werden<br />

dürften: „Bei einem Schw<strong>an</strong>gerschaftsabbruch<br />

reagieren die Beteiligten auf eine<br />

schicksalhaft vorgegebene Situation.<br />

Bei der PGD liegt keine Schw<strong>an</strong>ger-


Baby genetisch<br />

ausgewählt<br />

In Fr<strong>an</strong>kreich ist zum ersten Mal ein<br />

genetisch ausgewähltes Kind zur Welt<br />

gekommen. Das Baby wurde im<br />

Béclère-Kr<strong>an</strong>kenhaus im südlich von<br />

Paris gelegenen Departement Hautsde-Seine<br />

geboren. Damit wurde in<br />

Fr<strong>an</strong>kreich erstmals die Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

<strong>an</strong>gew<strong>an</strong>dt. Das Kind<br />

ist nicht von der unheilbaren Kr<strong>an</strong>kheit<br />

betroffen, die einer der Elternteile<br />

in sich trägt und möglicherweise<br />

übertragen hätte. afp<br />

schaft vor. Die Beteiligten reagieren auf<br />

eine Situation, die sie selbst im Wissen<br />

um die sich daraus ergebenden Entscheidungen<br />

erst herbeigeführt haben.“<br />

Auch von Juristen wird diese Einschätzung<br />

geteilt. „Die Situation des<br />

(ungewollt) gezeugten Embryos in vivo<br />

ist mit der Situation eines (bewusst und<br />

gewollt) erzeugten Embryos in vitro in<br />

keiner Weise vergleichbar“, sagte Dr.<br />

iur. Elke H. Mildenberger, Universität<br />

Münster. Deshalb sei es konsequent,<br />

wenn das <strong>Embryonen</strong>schutzgesetz<br />

(ESchG) eine künstlich befruchtete Eizelle<br />

bereits vom Zeitpunkt der Kernverschmelzung<br />

<strong>an</strong> schütze, im Paragraphen<br />

218 dagegen dem Interesse einer<br />

ungewollt schw<strong>an</strong>geren Frau Vorr<strong>an</strong>g<br />

eingeräumt und nidationsverhütende<br />

Maßnahmen nicht bestraft würden.<br />

Ihrer Ansicht nach ist die PGD mit dem<br />

<strong>Embryonen</strong>schutzgesetz nicht vereinbar.<br />

Prof. Dr. med. Karl Friedrich Sewing,<br />

Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats<br />

der BÄK, teilt diese Auffassung<br />

nicht. Dennoch plädierte er für eine eindeutige<br />

gesetzliche Regelung, um „bestehende<br />

Wertungswidersprüche aufzuheben<br />

oder diese gar nicht aufkommen zu<br />

lassen. Die gesetzlichen Regelungen sollten<br />

sich aber auch im Blick auf das europäische<br />

Ausl<strong>an</strong>d ausrichten mit dem<br />

Ziel, ethische Schieflagen zu vermeiden,<br />

etwa in dem Sinne, dass es nicht unbedingt<br />

ethischen Normen folgt, wenn wir<br />

im eigenen L<strong>an</strong>d Entwicklungen unterbinden,<br />

die im Ausl<strong>an</strong>d gewonnenen Ergebnisse<br />

jedoch im eigenen L<strong>an</strong>d nutzen<br />

wollen.“ Sobald die gesetzlichen Rahmenbedingungen<br />

klar seien, werde zu<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

prüfen sein, ob und gegebenenfalls in<br />

welcher Weise berufsrechtliche Regeln zu<br />

erarbeiten oder zu modifizieren seien.Sewing<br />

betonte, dass <strong>an</strong> der prinzipiellen<br />

Schutzwürdigkeit des Embryos festgehalten<br />

werden müsse. Es sei allerdings nicht<br />

auszuschließen, dass in Einzelfällen eine<br />

Güterabwägung getroffen werden müsse.<br />

Dagegen vertritt Finke die Auffassung,<br />

dass der dem Grundgesetz zugrunde<br />

liegende Menschenwürdeged<strong>an</strong>ke davon<br />

ausgehe, dass ein Embryo vom Moment<br />

seines Entstehens <strong>an</strong> schützenswert<br />

sei. Der niedersächsische Behindertenbeauftragte<br />

wies darauf hin, dass ein abgestufter<br />

Schutzstatus des Embryos je<br />

nach Entwicklungsstadium im Gegensatz<br />

zu <strong>an</strong>deren Staaten in der Bundesrepublik<br />

nicht vorgesehen sei. Das deutsche<br />

Rechtssystem schütze den Embryo<br />

als solchen, betonte auch der Theologe<br />

Prof. Dr. Dietmar Mieth,Tübingen.<br />

Der Präsident der Bundesärztekammer,<br />

Prof. Dr. med. Jörg-Dietrich Hoppe,<br />

begrüßte die „ergebnisoffene“ Diskussion<br />

bei der Anhörung. „Das ethi-<br />

Heft 48, 1. Dezember 2000<br />

Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

Unterschiedliche<br />

Schutzwürdigkeit<br />

sche Dilemma, Paaren mit hohen genetischen<br />

Risikofaktoren neue Perspektiven<br />

öffnen zu können, damit zugleich<br />

aber ethische Tabus zu berühren, erfordert<br />

eine gesamtgesellschaftliche Wertediskussion<br />

auf breiter Grundlage“, so<br />

Hoppe. Er räumte ein, dass ein Patentrezept<br />

für diese Fragen nicht in Sicht sei.<br />

Schließlich dürfe m<strong>an</strong> nicht ignorieren,<br />

dass die betroffenen Paare in der Regel<br />

weder bewusst auf Kinder verzichten<br />

noch sich zu einer Adoption entschließen,<br />

sondern die PGD in <strong>an</strong>deren<br />

Staaten in Anspruch nehmen. Wenn die<br />

PGD in Deutschl<strong>an</strong>d zugelassen werden<br />

sollte, d<strong>an</strong>n nur, so der Diskussionsentwurf<br />

der BÄK, wenn Rechtssicherheit<br />

und ein hohes Schutzniveau über strenge<br />

und restriktiv zu fassende Zulassungskriterien<br />

erreicht werden können.<br />

Über die rein medizinischen Aspekte<br />

dieses Verfahrens hinaus sei es unverzichtbar,<br />

dass der Bundesgesetzgeber<br />

die im Zivil- und Strafrecht notwendigen<br />

Regelungen vornehme, forderte der<br />

BÄK-Präsident. Gisela Klinkhammer<br />

Auf Wertungswidersprüche weist der Vorsitzende des<br />

Wissenschaftlichen Beirats der Bundesärztekammer hin.<br />

Unzulässig ist die Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

(preimpl<strong>an</strong>tation genetic<br />

diagnosis = PGD) in Portugal,<br />

Österreich und der Schweiz. In den meisten<br />

europäischen Ländern ist sie entweder<br />

gesetzlich erlaubt, oder entsprechende<br />

Gesetzesvorhaben sind in Vorbereitung.<br />

In Deutschl<strong>an</strong>d ist es umstritten,<br />

ob die PGD mit dem <strong>Embryonen</strong>schutzgesetz<br />

vereinbar ist. In einem<br />

Fortpfl<strong>an</strong>zungsmedizingesetz, das demnächst<br />

möglicherweise das <strong>Embryonen</strong>schutzgesetz<br />

ablösen wird,soll nach Vorstellung<br />

von Bundesgesundheitsministerin<br />

Andrea Fischer die Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

verboten werden.<br />

Nach Ansicht von Prof. Dr. med. Karl-<br />

Friedrich Sewing,Vorsitzender des Wissenschaftlichen<br />

Beirats der Bundesärztekammer,<br />

verstößt die PGD nicht<br />

gegen das bestehende <strong>Embryonen</strong>schutzgesetz.<br />

Er kritisierte Bestrebungen,<br />

die Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik explizit<br />

zu verbieten, obwohl ein eventueller<br />

„PGD-Tourismus“ kein Argument<br />

dafür sei, diese Methode zu gestatten.<br />

Er hält es jedoch generell für<br />

ethisch fragwürdig, Wissen, das im Ausl<strong>an</strong>d<br />

entwickelt wurde, <strong>an</strong>schließend in<br />

Deutschl<strong>an</strong>d zu nutzen.<br />

Zwar müsse gerade in Deutschl<strong>an</strong>d in<br />

Fragen des Lebensschutzes ein hoher<br />

49


St<strong>an</strong>dard gelten, betonte Dr. med. Christi<strong>an</strong>e<br />

Woopen, Mitglied des Wissenschaftlichen<br />

Beirats, <strong>an</strong>lässlich der Medica<br />

in Düsseldorf vor Journalisten. Einen<br />

Wertungswiderspruch sieht sie jedoch<br />

in der unterschiedlichen Schutzwürdigkeit<br />

des Embryos in vitro und in<br />

vivo. „Ein Gesetzgeber, der nidationsverhütende<br />

Maßnahmen nicht verbietet,<br />

der Schw<strong>an</strong>gerschaftabbrüche nach<br />

Pränataldiagnostik nicht verbietet, der<br />

die Schw<strong>an</strong>gerschaftsvermeidung durch<br />

die ,Pille d<strong>an</strong>ach‘ nicht der Beratungsregelung<br />

zum Schutz des ungeborenen Lebens<br />

unterwirft, k<strong>an</strong>n die Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

nicht mit der Begründung<br />

verbieten, es gehe um den Schutz des<br />

Embryos.“ Den Hinweis darauf, dass bei<br />

bestehender Schw<strong>an</strong>gerschaft in vivo<br />

der Embryo unter dem realen Schutz<br />

der Frau stehe, hält Woopen für realitätsfern.<br />

So begännen 53,6 Prozent der<br />

Frauen mit einem bek<strong>an</strong>nten hohen Risiko<br />

für eine schwere genetisch bedingte<br />

Kr<strong>an</strong>kheit oder Behinderung des Kindes<br />

eine Schw<strong>an</strong>gerschaft nur im Hinblick<br />

auf eine Pränataldiagnostik mit<br />

möglicherweise folgendem Schw<strong>an</strong>gerschaftsabbruch.<br />

Auch wenn m<strong>an</strong> so gen<strong>an</strong>nte<br />

Schw<strong>an</strong>gerschaftsabbrüche auf<br />

Probe als problematisch erachte, müsse<br />

m<strong>an</strong> im Rahmen rechtlicher Regelungsmöglichkeiten<br />

das geringere Übel nicht<br />

verbieten, fordert die Medizinethikerin.<br />

Gesellschaftlicher Diskurs<br />

Auch Sewing ist dieser Auffassung.<br />

Wenn der Embryo einen uneingeschränkten<br />

Schutz besäße, so sei dieser<br />

auch uneingeschränkt bis zur Geburt zu<br />

be<strong>an</strong>spruchen. Mit der Begründung einer<br />

symbiotischen Situation in vivo<br />

werde dieser Schutz im Sinne einer Güterabwägung<br />

beim straffreien Schw<strong>an</strong>gerschaftsabbruch<br />

allerdings eingeschränkt.<br />

Sewing und Woopen begrüßten den<br />

gesellschaftlichen Diskurs. „Auf breiter<br />

Ebene sollte deutlich werden, dass es<br />

nicht nur um Detailfragen der Fortpfl<strong>an</strong>zungsmedizin<br />

geht. Vielmehr geht<br />

es um Prinzipien übersteigende grundsätzliche<br />

Fragen über unsere Haltungen<br />

zu menschlichem Leben in all seiner<br />

Vielfalt und seinen Entwicklungsstufen“,<br />

sagte Woopen. Gisela Klinkhammer<br />

50<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

Heft 51–52, 25. Dezember 2000<br />

Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

Zunehmendes Lebensrecht<br />

Genetische Untersuchungen am Embryo in vitro<br />

im medizinischen und juristischen Kontext*<br />

Rudolf Neidert<br />

Vor dem Hintergrund biomedizinischer<br />

Umbrüche – die „Entschlüsselung“<br />

des menschlichen<br />

Genoms und die Stammzellgewinnung<br />

durch Klonen von <strong>Embryonen</strong> – spielt<br />

sich in der deutschen Fachöffentlichkeit<br />

eine kontroverse Diskussion um<br />

die Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik (preimpl<strong>an</strong>tation<br />

genetic diagnosis = PGD)<br />

ab; zum ersten Mal wurde sie durch den<br />

„Lübecker Fall“ im Jahr 1995 in die Öffentlichkeit<br />

gebracht. Angestoßen hat<br />

die aktuelle medizinisch-ethisch-juristische<br />

Debatte die Bundesärztekammer<br />

(BÄK) im Februar dieses Jahres mit<br />

ihrem Diskussionsentwurf einer PGD-<br />

Musterrichtlinie (1). Verstärkt wurde<br />

dieser Diskurs durch ein dreitägiges<br />

fortpfl<strong>an</strong>zungsmedizinisches Symposium<br />

des Bundesministeriums für Gesundheit<br />

Ende Mai in Berlin (2). Auch<br />

die Enquete-Kommission „Recht und<br />

Ethik der modernen Medizin“ des<br />

Deutschen Bundestages hat sich mit<br />

diesem Thema beschäftigt. Die intensive<br />

Kontroverse, die sich vor allem im<br />

Deutschen Ärzteblatt zwischen März<br />

und Juli niedergeschlagen hat, zeigt leider<br />

noch das Trennende stärker als das<br />

Verbindende; dasselbe gilt für die Vorträge<br />

und Diskussionen auf dem Symposium.<br />

Dabei gehen die Fronten quer<br />

durch die „Lager“ der Theologen, Ethiker,<br />

Ärzte und Juristen (3).<br />

Der vorliegende Aufsatz möchte<br />

deshalb die Diskussion – im Zusammenh<strong>an</strong>g<br />

werdenden Lebens in vitro<br />

und in vivo – durch einen empirischen<br />

Zug<strong>an</strong>g zu der Problematik vor<strong>an</strong>bringen,<br />

und zwar auf zweifache Weise: indem<br />

er zunächst die medizinischen Gegebenheiten<br />

der embryonal-fetalen<br />

Entwicklung des Ungeborenen, zum<br />

* Zum Diskussionsentwurf einer Muster-Richtlinie der Bundesärztekammer<br />

in Heft 9/2000 und den dazu erschienenen<br />

Beiträgen in den Heften 9, 10, 14, 16–18, 22 und 28–29<br />

<strong>an</strong>deren die wichtigsten juristischen,<br />

vor allem gesetzlichen Gegebenheiten<br />

herausarbeitet. Im Zentrum seiner Betrachtungen<br />

steht dabei das nicht nur<br />

nach dem Grundgesetz oberste Rechtsgut:<br />

menschliches Leben – das Leben<br />

des geborenen und das erst „werdende<br />

Leben“ des ungeborenen Menschen.<br />

Medizinische Gegebenheiten<br />

Das genetische Diagnostikverfahren<br />

der PGD (4) umfasst drei Abschnitte:<br />

Erzeugung von bis zu drei <strong>Embryonen</strong><br />

mit herkömmlicher In-vitro-Fertilisation<br />

(IVF), und zwar meist durch Mikroinjektion<br />

(ICSI); die genetische Untersuchung<br />

von je einer oder zwei aspirierten<br />

Embryonalzellen (nach dem Stadium<br />

der Totipotenz); schließlich der<br />

Tr<strong>an</strong>sfer der nicht geschädigten oder –<br />

und darin liegt der ethische Angelpunkt<br />

– das Absterbenlassen der geschädigten<br />

<strong>Embryonen</strong>. Insgesamt ein aufwendiges<br />

und die Frau belastendes Verfahren –<br />

was erklärt, dass die Fallzahlen weltweit<br />

auch zehn Jahre nach den ersten Verfahren<br />

in engen Grenzen geblieben sind.<br />

Das Gesamtverfahren der PGD<br />

spielt sich meist in den ersten drei Tagen<br />

nach Beginn der „künstlichen“ Befruchtung<br />

ab, nachdem die <strong>Embryonen</strong><br />

das Acht- bis 14-Zell-Stadium erreicht<br />

haben. Die embryonalen Entwicklungen<br />

sind keine plötzlichen Schritte, sondern<br />

Prozesse: so ist schon die Konzeption<br />

eine „Befruchtungskaskade“ mit<br />

14 Schrittfolgen, und die Expression<br />

der Gene des neuen Individuums zeigt<br />

sich erst im Acht-Zell-Stadium. Setzt<br />

m<strong>an</strong> den Beginn embryonalen und<br />

menschlichen Lebens bei der Befruchtung<br />

<strong>an</strong> und definiert m<strong>an</strong> ihn zugleich<br />

genetisch – Vereinigung zweier haploider<br />

Chromosomensätze zu einem di-


ploiden Genom –, muss m<strong>an</strong> die „Unschärfe“<br />

dieses circa drei Tage währenden<br />

Vorg<strong>an</strong>gs konstatieren.<br />

Vorab ein kurzer Blick auf den „Beginn<br />

vor dem Beginn“ embryonalen Lebens!<br />

Auch die Gameten von Frau und<br />

M<strong>an</strong>n, Ei- beziehungsweise Samenzelle,<br />

„leben“, aber noch nicht im konstitutiven<br />

Sinn eines Individuums; dies tun sie<br />

erst nach der Kernverschmelzung zum<br />

Embryo. Von dem Her<strong>an</strong>wachsen des<br />

Ungeborenen k<strong>an</strong>n hier nur weniges <strong>an</strong>gedeutet<br />

werden: Im Übrigen verweise<br />

ich auf die Stellungnahme des Wissenschaftlichen<br />

Beirates der BÄK über<br />

„Pränatale und perinatale Schmerzempfindung“<br />

(5). Unbewusste Schmerzempfindung<br />

mit Reaktionen des Ungeborenen<br />

beginnt bereits in der frühen Fetalzeit<br />

– noch in den ersten zwölf Wochen –<br />

und nimmt kontinuierlich zu. Ab der<br />

22. Woche post conceptionem (p. c.) ist<br />

ein bewusstes Schmerzerlebnis des Fetus<br />

zunehmend wahrscheinlich. Insgesamt<br />

wird die pränatale Schmerzempfindung<br />

als „werdende Funktion“ beschrieben –<br />

also auch hier keine festen Einschnitte.<br />

Ungefähr zur selben Zeit – ab der 20.<br />

bis 22. Woche p. c. – hat der Fetus die so<br />

gen<strong>an</strong>nte extrauterine Lebensfähigkeit<br />

erreicht, k<strong>an</strong>n d<strong>an</strong>n also nach einem<br />

Schw<strong>an</strong>gerschaftsabbruch überleben.<br />

Auf diese schockierenden „Spätabbrüche“<br />

hat die Bundesärztekammer<br />

mit der „Erklärung zum Schw<strong>an</strong>gerschaftsabbruch<br />

nach Pränataldiagnostik“<br />

und mit der gemeinsamen Empfehlung<br />

der einschlägigen Fachgesellschaften<br />

zur „Frühgeburt <strong>an</strong> der Grenze<br />

der Lebensfähigkeit“ von 1998 reagiert<br />

(6). Die Erklärung der BÄK empfiehlt<br />

dem Arzt, die extrauterine Lebensfähigkeit<br />

in der Regel als zeitliche Begrenzung<br />

für einen Abbruch <strong>an</strong>zusehen, weil<br />

sich zu diesem Zeitpunkt „der Schutz<strong>an</strong>spruch<br />

des ungeborenen Kindes aus<br />

ärztlicher Sicht nicht von demjenigen<br />

des geborenen unterscheidet“. Die<br />

Empfehlung stellt den Grundsatz auf,<br />

lebenserhaltende Maßnahmen seien zu<br />

ergreifen, wenn für das Kind auch nur<br />

eine kleine Ch<strong>an</strong>ce zum Leben bestehe.<br />

Das Ausmaß, in dem embryonal-fetales<br />

Leben „geopfert“ wird, zeigt sich<br />

in folgenden Zahlen (7): 1999 (mindestens)<br />

130 471 legale Abbrüche, davon<br />

97,2 Prozent nach der Beratungsregelung<br />

– also ohne Indikation – in den er-<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

sten zwölf Wochen p. c. (§ 218 a Abs.<br />

StGB).Auf die medizinische Indikation<br />

(§ 218 a Abs. 2) entfielen 3 661 Abbrüche<br />

(= 2,8 Prozent), teils vor, teils<br />

nach der 1<strong>3.</strong> Woche (von Woche 13 bis<br />

22 noch 1,4 Prozent; ab Woche 23 – der<br />

Zeit der „Spätabbrüche“ – 0,1 Prozent,<br />

absolut „nur“ 164 Fälle). Die amtliche<br />

Statistik schweigt zu den Abbrüchen<br />

aufgrund pränataldiagnostischer Befunde.<br />

Für 1994 werden mehr als 800<br />

solcher Abbrüche aufgrund fetaler Pathologien<br />

oder auffälliger genetischer<br />

Befunde <strong>an</strong>gegeben (8) – die meisten<br />

wohl ab der 1<strong>3.</strong>Woche.<br />

Rechtliche Gegebenheiten<br />

Während naturwissenschaftliche Fakten<br />

als solche keine moralischen Grenzen<br />

aufzeigen, sind gesetzliche Gegebenheiten<br />

Normsetzungen – zwar keine<br />

ethischen, aber rechtliche. Dabei<br />

zählt nicht nur ein Steinchen des<br />

Rechts, sondern letztlich das g<strong>an</strong>ze Mosaik<br />

eines Rechtsgebietes: bei der PGD<br />

nicht nur ein Paragraph des <strong>Embryonen</strong>schutzgesetzes<br />

(ESchG) oder dieses<br />

g<strong>an</strong>ze Gesetz, sondern die Gesamtheit<br />

der menschliches Leben regelnden<br />

Normen.<br />

Das ESchG ist ein sehr abstraktes<br />

Strafgesetz, selbst für Juristen schwer<br />

auszulegen (9). Unbestritten strafbar ist<br />

es, für die genetische Diagnostik eine<br />

noch totipotente,das heißt zur Entwicklung<br />

des g<strong>an</strong>zen Individuums fähige<br />

Zelle zu verwenden, da das Gesetz diese<br />

einem Embryo gleichstellt (10). Für<br />

das rechtliche Hauptproblem – das<br />

„Verwerfen“ eines genetisch geschädigten<br />

Embryos – gilt Folgendes: Nach § 2<br />

Abs. 1 macht sich strafbar, wer einen extrakorporal<br />

erzeugten Embryo „zu einem<br />

nicht seiner Erhaltung dienenden<br />

Zweck . . . verwendet“. Ein Verwenden<br />

durch Unterlassen – das Absterbenlassen<br />

eines geschädigten Embryos durch<br />

Nichtübertragen – ist jedoch nicht tatbest<strong>an</strong>dsmäßig;<br />

§ 2 Abs. 1 trifft schon<br />

deshalb nicht zu. Außerdem fehlt es <strong>an</strong><br />

dem „Zweck“, das heißt <strong>an</strong> der Absicht<br />

des Täters, die mehr ist als Vorsatz: es<br />

müsste ihm gerade darauf <strong>an</strong>kommen,<br />

den Embryo nicht zu erhalten; tatsächlich<br />

ist ihm dies jedoch höchst unerwünscht.<br />

M<strong>an</strong> wird dem Paar, das eine<br />

PGD vornehmen lässt, nur gerecht,<br />

wenn m<strong>an</strong> seinen – meist sehnlichsten –<br />

Kinderwunsch moralisch ernst nimmt,<br />

auch sein Bemühen, diesem Kind eine<br />

absehbare schwerste Kr<strong>an</strong>kheit zu ersparen.<br />

Es kommt auf den Gesamtvorg<strong>an</strong>g<br />

„IVF mit PGD“ <strong>an</strong>, nicht auf unselbstständige<br />

Teilakte. Den „Täter“<br />

Arzt würde m<strong>an</strong> sonst, obwohl er aus<br />

ärztlichem Ethos der Kr<strong>an</strong>kheitsverhütung<br />

Patienten hilft und Mitver<strong>an</strong>twortung<br />

für künftiges Leben übernimmt,<br />

mit Freiheitsstrafe bis zu drei<br />

Jahren bedrohen. „Die Aufgabe des<br />

Strafrechts beschränkt sich auch sonst<br />

darauf, das ethische Minimum festzulegen<br />

. . .“ (11).<br />

Das ESchG gilt nur für die wenigsten<br />

<strong>Embryonen</strong>, die in vitro gezeugten – und<br />

für diese nur von der Befruchtung bis zur<br />

Nidation. In derselben Entwicklungsphase<br />

genießen die natürlich gezeugten<br />

<strong>Embryonen</strong> keinerlei Lebensschutz,<br />

weshalb nidationshemmende Mittel<br />

straflos vertrieben und <strong>an</strong>gewendet werden<br />

dürfen. Unter dem Gesichtspunkt<br />

des „Lebensschutzes von Anbeginn“ eine<br />

widersprüchliche Rechtslage! (12)<br />

Mit dem Abschluss der Einnistung<br />

des Embryos in der Gebärmutter<br />

(§ 218 a Abs.1 StGB) beginnt das Recht<br />

des Schw<strong>an</strong>gerschaftsabbruchs. In den<br />

ersten zwölf Wochen p. c. gilt die so gen<strong>an</strong>nte<br />

Beratungsregelung (§ 218 a<br />

Abs. 1) – praktisch eine „Fristenregelung<br />

mit Beratungspflicht“ (13); der abbrechende<br />

Arzt h<strong>an</strong>delt ohne Indikation,<br />

auf Wunsch der Frau. Hinter deren<br />

Selbstbestimmungsrecht lässt das Gesetz<br />

das Lebensrecht des Ungeborenen<br />

zurücktreten, wenn auch unter dem<br />

Verdikt der Rechtswidrigkeit. Fast alle<br />

<strong>an</strong>deren legalen Abbrüche fallen unter<br />

die medizinische Indikation (§ 218 a<br />

Abs. 2), die den Abbruch für „nicht<br />

rechtswidrig“ erklärt.<br />

Auch der Lebensschutz des Ungeborenen<br />

durch die medizinische Indikation<br />

ist gering, lässt der Tatbest<strong>an</strong>d des<br />

§ 218 a Abs. 2 doch außer der Gefahr<br />

für das Leben der Schw<strong>an</strong>geren auch eine<br />

solche für deren körperlichen oder<br />

seelischen Gesundheitszust<strong>an</strong>d genügen<br />

– das Leben des bereits her<strong>an</strong>gewachsenen<br />

Kindes gilt dem Gesetz somit<br />

weniger als die Gesundheit der<br />

Frau! Diese Rechtslage erstreckt sich<br />

sogar über den Zeitpunkt der extraute-<br />

51


inen Lebensfähigkeit des Nasciturus<br />

hinaus bis – theoretisch – zur Geburt.<br />

D<strong>an</strong>n, mit dem Ende der für das Ungeborene<br />

so lebensgefährlichen Zeit der<br />

Schw<strong>an</strong>gerschaft, macht die Rechtsordnung<br />

gleichsam einen Sprung: „Die<br />

Rechtsfähigkeit des Menschen beginnt<br />

mit Vollendung der Geburt“ (§ 1 BGB);<br />

und zugleich gewährt das StGB dem<br />

nunmehr geborenen Menschen mit seinen<br />

Tötungsparagraphen 211 und 212<br />

vollen Lebensschutz.<br />

Ansätze einer vermittelnden<br />

Lösung<br />

Sowohl die medizinischen als auch die<br />

rechtlichen Gegebenheiten lassen –<br />

trotz gravierender Inkonsequenzen der<br />

Gesetzeslage – in etwa eine gemeinsame<br />

Linie erkennen, <strong>an</strong> der eine <strong>an</strong> der<br />

Empirie orientierte und von ihr legitimierte<br />

Lösung der PGD-Frage <strong>an</strong>setzen<br />

k<strong>an</strong>n.<br />

Die Embryonal- und Fetalentwicklung<br />

zeigt sich als „stufenloses Kontinuum“<br />

(14); signifik<strong>an</strong>te Entwicklungsschritte<br />

k<strong>an</strong>n nur die ethische Bewertung<br />

des empirischen Substrats<br />

festmachen. Hervorzuheben ist die bewusste<br />

Schmerzempfindung; es ist ja<br />

gerade dieser erste Ausdruck einer<br />

leib-seelischen Einheit, wor<strong>an</strong> ethischrechtlich<br />

eine erhöhte Schutzbedürftigkeit<br />

von Embryo und Fetus <strong>an</strong>zuknüpfen<br />

haben. Schließlich sind es die potenzielle<br />

Lebensfähigkeit außerhalb<br />

des mütterlichen Körpers und als Abschluss<br />

dieser Entwicklung die Geburt.<br />

Über den Beginn embryonalen Lebens<br />

sollte Konsens herrschen: die Entstehung<br />

eines genetisch neuen Individuums<br />

mit Verschmelzung von Ei- und<br />

Samenzelle – zwar erst potenzielles Leben<br />

als Mensch, aber kontinuierlich<br />

wachsendes Leben, bis dieses sich vollem<br />

menschlichen Leben vor der Geburt<br />

<strong>an</strong>genähert und mit dieser vollendet<br />

hat (15).<br />

Die vergleichbare Linie des geltenden<br />

Rechtes verläuft ebenfalls im Sinne<br />

wachsenden Schutzes, allerdings in groben<br />

Stufen: widersprüchlich in der ersten<br />

Stufe von der Befruchtung bis zur<br />

Einnistung: verfassungsrechtlich volles<br />

menschliches Leben, einfachgesetzlich<br />

nur im „Ausnahmefall“ (in vitro) ge-<br />

52<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

schützt. Als zweite, große Stufe folgt<br />

d<strong>an</strong>n die frühe Schw<strong>an</strong>gerschaftszeit<br />

von der Nidation bis zur zwölften Woche:<br />

mit dem fragilen Schutz des Embryos<br />

durch das Beratungskonzept des<br />

Bundesverfassungsgerichts. Ab der 1<strong>3.</strong><br />

Woche p. c. (dritte Stufe) schränkt das<br />

Gesetz die Abbruchmöglichkeit auf die<br />

ungleich strengere medizinische Indikation<br />

ein.<br />

Mag sich übrigens das Verfassungsgerichtsurteil<br />

von 1993 im Sinne von<br />

Menschenwürde und Lebensschutz<br />

noch so kategorisch lesen – letztlich<br />

rechtfertigt es die Beratungslösung – eine<br />

„Quasi-Freigabe“ embryonalen Lebens.<br />

Dahinter verbirgt sich, dass das<br />

Gericht ungeborenes Leben mitnichten<br />

als absolutes Rechtsgut (wie die Menschenwürde)<br />

begreift, das keiner Güterabwägung<br />

fähig wäre; vielmehr lässt<br />

es in der Zwölf-Wochen-Frist dessen<br />

fast völlige Verdrängung durch das Entscheidungrecht<br />

der Frau zu, setzt bezeichnenderweise<br />

aber für die Zeit d<strong>an</strong>ach<br />

durch die medizinische Indikation<br />

höhere Anforderungen <strong>an</strong> eine Abwägung<br />

zulasten des Nasciturus. Kurzum:<br />

Gesetz und Rechtsprechung <strong>an</strong>erkennen<br />

tatsächlich, wenn auch zum Teil uneingest<strong>an</strong>den,<br />

die Notwendigkeit eines<br />

höheren Rechtsschutzes bei höherem<br />

Alter des Ungeborenen (16).<br />

In den konkreten Vorschriften, die<br />

für ungeborenes Leben gelten, drückt<br />

sich der ethische und rechtliche Status<br />

aus, der im geltenden Recht dem Embryo<br />

beziehungsweise Fetus zugebilligt<br />

wird. Wo dieses gesetzliche Recht Widersprüche<br />

in sich oder zum Verfassungsrecht<br />

aufweist, ist durch Auslegung,<br />

erforderlichenfalls durch Gesetzesänderung,<br />

Widerspruchsfreiheit herzustellen:<br />

orientiert am Prinzip der Einheit<br />

unserer Rechtsordnung. In der<br />

Phase zwischen Zeugung und Einnistung<br />

lässt sich die Diskrep<strong>an</strong>z zwischen<br />

dem Schutz des natürlich und des<br />

„künstlich“ gezeugten Embryos nur<br />

zum Teil durch dessen in vitro höhere<br />

Verletzlichkeit erklären – rechtfertigen<br />

lässt sie sich nicht, geht es doch hier wie<br />

dort um dasselbe embryonale Leben.<br />

Der verbleibende Widerspruch zeigt<br />

nur allzu deutlich die im rechtlichen<br />

Kontext schwer zu integrierende<br />

Schutzhöhe künstlich gezeugten Lebens<br />

bis zur Nidation. Gemessen <strong>an</strong><br />

dem hehren verfassungsgerichtlichen<br />

Prinzip einer Gleichwertigkeit ungeborenen<br />

und geborenen Lebens (17),<br />

klafft allerdings die Schere zwischen<br />

dem Lebensschutzpostulat und dem –<br />

trotz Schutzkonzept – schwachen<br />

Schutz durch die Beratungsregelung<br />

(ab der Nidation) empfindlich ausein<strong>an</strong>der.<br />

Immerhin soll der Abbruch in<br />

dieser Zeit von der Rechtsordnung missbilligt<br />

sein und lediglich straflos bleiben<br />

– <strong>an</strong>ders als der vom Gesetz für „nicht<br />

rechtswidrig“ erklärte Abbruch aus medizinischer<br />

Indikation, die nach den ersten<br />

zwölf Wochen praktisch allein zum<br />

Tragen kommt.<br />

Mit der extrauterinen Lebensfähigkeit<br />

des Nasciturus ist d<strong>an</strong>n der<br />

„Durchbruch“ in der Entwicklung ungeborenen<br />

Lebens erreicht, dem höchste<br />

Rechtserheblichkeit zukommt. Eine<br />

Erstreckung der Indikation des § 218 a<br />

Abs. 2 – eigentlich einer medizinisch-sozialen<br />

– auf diese Endphase des Ungeborenen<br />

als eines selbstständig Lebensfähigen<br />

verträgt sich schlechterdings<br />

nicht mit dem hier vertretenen und empirisch<br />

belegten, auf ein volles<br />

Menschsein hin wachsenden Leben<br />

des Embryos und Fetus. In dieser „vierten<br />

Stufe“ müsste deshalb dem Lebensrecht<br />

des Ungeborenen vergleichbares<br />

Gewicht wie der Rechtsposition der<br />

Schw<strong>an</strong>geren beigemessen werden – zu<br />

realisieren nur durch eine Einschränkung<br />

des § 218 a Abs. 2 (18). Ohne<br />

einen „zeitlichen Sicherheitsabst<strong>an</strong>d“<br />

zwischen der medizinischen Indikation,<br />

die eine Tötung des Ungeborenen<br />

rechtfertigt, und dem Tötungsverbot<br />

des Strafgesetzbuchs ab der Geburt<br />

würde die innere Akzept<strong>an</strong>z eben dieses<br />

Verbotes unterhöhlt.<br />

Zusammengefasst bedeutet der<br />

skizzierte Lösungs<strong>an</strong>satz Folgendes:<br />

grundsätzliches Lebensrecht des Embryos<br />

ab der Befruchtung mit Rücksicht<br />

auf seine Möglichkeit, Mensch zu werden<br />

(Potenzialität), jedoch zwischen<br />

Zeugung und Geburt ein entwicklungsbedingtes<br />

Her<strong>an</strong>wachsen aus rudimentären<br />

Anfängen bis zum sich auf die<br />

Geburt hin vollendenden Rechtsstatus<br />

– ein zwischen den Extrempositionen<br />

vermittelndes Konzept. Selbstver<strong>an</strong>twortung<br />

und -entscheidung der Frau<br />

verdienen umso mehr Berücksichtigung,<br />

je früher der Embryo in seiner


Entwicklung steht; umgekehrt fordert<br />

das Lebensrecht des her<strong>an</strong>wachsenden<br />

Fetus umso größere Achtung, je mehr<br />

sich dieser dem geborenen Menschen<br />

<strong>an</strong>nähert. Dies hat gegenläufige Konsequenzen:<br />

für die Schlussphase der<br />

Schw<strong>an</strong>gerschaft eine grundsätzliche<br />

Unzulässigkeit der Spätabtreibung lebensfähiger<br />

Kinder, für den ersten Abschnitt<br />

die Möglichkeit einer Güterabwägung<br />

auch zulasten des eben erst gezeugten<br />

embryonalen Lebens.<br />

In den ersten Tagen spielt sich ja die<br />

PGD ab; doch welches Gewicht soll das<br />

keimende Lebensrecht der winzigen<br />

Morula in der Petrischale besitzen? Ein<br />

einfacher Umkehrschluss von dem<br />

zweiten, unter der Beratungslösung stehenden<br />

Abschnitt – Alleinentscheidung<br />

der Frau erst recht hier! – wäre voreilig.<br />

Gewiss überzeugt die gegen die PGD<br />

vorgetragene These von der Unvergleichbarkeit<br />

der Situationen in vitro<br />

und in vivo (19) im Wesentlichen nicht:<br />

denn hier wie dort sieht sich die Frau<br />

mit dem Dilemma konfrontiert, ein<br />

schwerstgeschädigtes Kind austragen<br />

zu sollen – bei einer PGD würde dieser<br />

Konflikt nur „<strong>an</strong>tizipiert“, aber gleichwohl<br />

real erlebt. Zudem wäre es ein<br />

rechtlicher Widerspruch, denselben geschädigten<br />

Embryo in vitro nicht absterben,<br />

in vivo dagegen durchaus abtreiben<br />

lassen zu dürfen – ein zu Recht<br />

häufig vorgebrachtes Argument.<br />

Allerdings ist in der Petrischale das<br />

„künstlich gezeugte“ Leben tatsächlich<br />

wesentlich gefährdeter, da seine Abtötung<br />

ohne ärztlichen Eingriff im Körper<br />

der Mutter möglich ist. Deshalb sollte<br />

eine rechtliche Regelung dieser Diagnostik<br />

von einer engen genetischen Indikation<br />

ausgehen, die in einem formellen<br />

Verfahren – nach Billigung durch eine<br />

Ethikkommission – festzustellen wäre.<br />

Dies hat der Wissenschaftliche Beirat<br />

der Bundesärztekammer mit seinem<br />

restriktiven und ver<strong>an</strong>twortungsvollen<br />

Diskussionsentwurf vorgeschlagen. Die<br />

<strong>an</strong> einer PGD Beteiligten würden d<strong>an</strong>n<br />

rechtmäßig h<strong>an</strong>deln.<br />

Eine vom Vorst<strong>an</strong>d der Bundesärztekammer<br />

– nach Ablauf der Diskussionsphase<br />

– verabschiedete Muster-<br />

Richtlinie müsste von der jeweiligen<br />

Ärztekammer umgesetzt werden; da<br />

nach hier begründeter Auffassung die<br />

PGD nicht strafbar ist, wäre dies auch<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

ohne weiteres möglich. Allerdings sollte<br />

dieses Verfahren von erheblicher<br />

Grundrechtsrelev<strong>an</strong>z durch den Gesetzgeber<br />

über eine gesetzliche Klarstellung,<br />

wenn auch in engen Grenzen,<br />

ausdrücklich erlaubt werden.<br />

Anmerkungen<br />

Mein D<strong>an</strong>k für Hinweise auf Literatur bzw. zum M<strong>an</strong>uskript<br />

dieses Aufsatzes gilt den Professoren K. Bayertz<br />

(Ethik), H. M. Beier, K. Diedrich und W. Holzgreve (Medizin)<br />

sowie F. Hufen und H.-L. Schreiber (Recht).<br />

1. DÄBl v. <strong>3.</strong> <strong>3.</strong> 2000, S. A-525 ff. Die ver<strong>an</strong>twortliche<br />

Arbeitsgruppe der BÄK st<strong>an</strong>d unter der Federführung<br />

von H. Hepp. Der „Lübecker Fall“ (von K. Diedrich und<br />

E. Schwinger wegen Mukoviszidose-Belastung des<br />

Paares be<strong>an</strong>tragte PGD) f<strong>an</strong>d durch die dortige Ethik-<br />

Kommission 1996 ein zwiespältiges Votum (ethisch<br />

ja, nach ESchG nein).<br />

2. Zwei Tagungsbände „Fortpfl<strong>an</strong>zungsmedizin in<br />

Deutschl<strong>an</strong>d“ dürften Anf<strong>an</strong>g 2001 bei Nomos, Baden-Baden,<br />

erscheinen (Wiss. Red. D. Arndt, Berlin,<br />

und G. Obe, Essen). Kritik <strong>an</strong> dem Symposium übt H.<br />

M. Beier in: Reproduktionsmedizin 2000/16, S. 332 ff.<br />

<strong>3.</strong> Die folgenden Kurzbelege sind exemplarisch und notwendigerweise<br />

subjektiv: Für die Theologen Rendtorff<br />

eher pro und Mieth eher kontra (R. auf dem Symposium,<br />

M. in: Ethik Med, Bd. 11, Suppl. 1); für die Ethiker<br />

Bayertz pro, Graum<strong>an</strong>n kontra (beide auf dem Symposium);<br />

für die Naturwissenschaftler Ludwig/Diedrich<br />

pro, Kollek kontra (L./D. in: Gynäkologie 4/98, S. 353 ff.,<br />

K.: Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik, Tüb. u. Basel, 2000);<br />

für die Juristen Schreiber pro, Laufs kontra (Schr. in:<br />

DÄBl v. 28. 4. 2000, S. A-1135 ff., Laufs im Symposium<br />

und in: Ethik Med 1999/11, S. 55 ff.).<br />

4. Zum Verfahren ausführlich R. Kollek (Fußnote 3, S.<br />

27 ff.), M. Ludwig/B. Schöpper/K. Diedrich in: Reproduktionsmedizin<br />

1999/15, S. 65 ff., und H. M. Beier:<br />

Assistierte Reproduktion, München 1997 („Befruchtungskaskade“,<br />

S. 10 f.).– Ende 1999 gab es insgesamt<br />

nur 424 nach PGD geborene Kinder aufgrund<br />

von 499 Schw<strong>an</strong>gerschaften bei 1 317 Patientinnen<br />

(Mitteilung Prof. Diedrich).<br />

5. DÄBl v . 21. 11. 1991, S. A-4157 ff.<br />

6. DÄBl v. 20. 11. 1998, S. A-3013 ff. Die Arbeitsgruppe<br />

des Wiss. Beirates der BÄK st<strong>an</strong>d wie diejenige zur<br />

PGD unter der Federführung von H. Hepp. Gemäß<br />

Empfehlung in: Frauenarzt 12/1998, S. 1803 ff. (unter<br />

Mitwirkung u. a. von H. Hepp und W. Holzgreve).<br />

7. Statistisches Bundesamt, Gesundheitswesen, Fachserie<br />

12, Reihe 3 1999 (zur Methodik – Untererfassung<br />

– dort 2.3); die Dauer der abgebrochenen<br />

Schw<strong>an</strong>gerschaft ist p. c. berechnet (2.4.).<br />

8. M. Ludwig/K. Diedrich in: Ethik Med 1999/11, Suppl.<br />

1, S. 38 ff. (39): 838 Fälle für 1994.<br />

9. Bei den Juristen gegen Strafbarkeit H.-L. Schreiber<br />

(Mitglied der BÄK-AG) in: DÄBl v. 28. 4. 2000, S. A-<br />

1135 f., Ch. Rittner in: DÄBl v. 28. 4. 2000, S.A-1130 f.,<br />

R. Ratzel in: DÄBl v. 28. 4. 2000, S.A-1125 f., S. Schneider<br />

in: MedR 2000/8, S. 360 ff., B. Tag in: Kämmerer/<br />

Speck, Geschlecht und Moral, Heidelberg 1999, S. 87<br />

ff., R. Neidert in: MedR 1998/8, S. 347 ff., Bericht der<br />

Bioethik-Kommission Rheinl<strong>an</strong>d-Pfalz v. 20. 6. 1999,<br />

Teil II Vorbem. und Thesen II. 8 ff., im Ergebnis auch<br />

M. Frommel (Symposium); für Strafbarkeit A. Laufs in:<br />

Ethik Med 1999/11, S. 55 ff., R. Beckm<strong>an</strong>n in: DÄBl<br />

v. 17. 7. 2000, S. A-1959 ff., U. Riedel in: DÄBl v. 10. <strong>3.</strong><br />

2000, S. A-586 f., R. Röger in: Schriftnr. der Juristenv.<br />

Lebensrecht e.V., Nr. 17 (2000), S. 55 ff. – Bei den juristischen<br />

Laien gegen Strafbarkeit insb. H. Hepp (im<br />

Anschluss u. a. <strong>an</strong> Schreiber) in: DÄBl v. 5. 5. 2000, S.<br />

C-930 ff.; für Strafbarkeit R. Kollek (Fußnote 3), Kap. 6<br />

(jedoch zum Teil ohne zureichende juristische Interpretation).<br />

10. § 8 Abs. 1 ESchG. – Ende der Totipotenz nach dem 8-<br />

Zell-Stadium (H. M. Beier in: Reproduktionsmedizin<br />

1998/14, S. 41 ff. und 2000/16, S. 332 ff.). Im Ausl<strong>an</strong>d<br />

punktiert m<strong>an</strong> schon vor dem 8-Zell-Stadium; allerdings<br />

ist die Diagnostik auch noch d<strong>an</strong>ach möglich.<br />

11. H.-L.Günther im Komm. Zum ESchG von Keller/Günther/Kaiser<br />

1992, Rz. 34 zu § 2.<br />

12. So – über den Gegenst<strong>an</strong>d der Entscheidung (§ 218)<br />

hinaus – das Bundesverfassungsgericht am 28. 5.<br />

1993 (Bd. 88, S. 203 ff., 251 f.) und u. a. A. Laufs<br />

(Fußnote 3).<br />

1<strong>3.</strong> H. Tröndle, Komm. zum StGB, Rz 14 b vor § 218. Mit<br />

seinem Beratungskonzept verfolgt das BVerfG immerhin<br />

das Ziel, dem Lebensschutz des Ungeborenen<br />

in der Frühphase der Schw<strong>an</strong>gerschaft durch austragungsorientierte<br />

Beratung statt durch Strafdrohung<br />

zu dienen (Fußnote 12, S. 264 ff.).<br />

14. Stellungnahme des Wiss. Beirates der BÄK (Fußnote<br />

5), Ziffer 2.<br />

15. So ausdrücklich auch der Ethiker K. Bayertz (Symposium,<br />

Fußnote 3), der eine „gradualistische Auffassung“<br />

vertritt: wachsender, graduell abgestufter Status<br />

zwischen Befruchtung und Geburt. Dass auf der<br />

leiblich-seelischen Grundlage von Personalität der<br />

Gradualismus auch von einem Moraltheologen vertreten<br />

werden k<strong>an</strong>n, zeigt das Beispiel von B. Irrg<strong>an</strong>g,<br />

dargestellt von P. Fonk: Schw<strong>an</strong>gerschaft auf Probe?<br />

. . . in: Ethica 7 (1999), S. 29 ff. und 143 ff. (161 f.).<br />

16. Ansatzweise E. G. Mahrenholz und B. Sommer in ihrer<br />

abweichenden Meinung zu BVerfGE 88, S. 203 ff.<br />

(342). Auch das eigentliche Urteil <strong>an</strong>erkennt, dass<br />

das Lebensrecht nicht absolut gilt (S. 253 f.); sogar in<br />

das „Recht auf Leben“ des (geborenen) Menschen<br />

darf aufgrund eines Gesetzes eingegriffen werden<br />

(Art. 2 Abs. 2 GG). Der in der ethischen Diskussion oft<br />

unkritische Umg<strong>an</strong>g mit der (absoluten) „Würde des<br />

Menschen“ (Art. 1 Abs. 1 GG) verdiente eine gesonderte<br />

verfassungsrechtliche Widerlegung.<br />

17. BVerfGE 39 (S. 1 ff., 37 f.) und E 88 (S. 203 ff., 251 f.)<br />

sowie H. Tröndle (Fußnote 13), Rz. 19 vor § 218, mit<br />

weiteren Nachweisen.<br />

18. Eine Änderung fordert auch A. Laufs (Symposium,<br />

Fußnote 3). Mögliche Ansatzpunkte einer Änderung:<br />

Befristung der medizinischen Indikation, übergesetzlicher<br />

Notst<strong>an</strong>d. E. G. Mahrenholz und B. Sommer<br />

(Fußnote 16, S. 345) weisen auf das niederländische<br />

StGB hin (Abbruch nur bis zur 24. Woche).<br />

19. Insbesondere R. Kollek (Symposium der Ärztekammer<br />

Berlin am 11. 4. 2000, auch Publikation Fußnote<br />

3, S. 210 f.). Überzeugend gegen diese These Chr.<br />

Woopen, Zeitschr. für med. Ethik 1999, S. 233 ff. (mit<br />

einem Überblick über die Vertreter der Nichtvergleichbarkeits-These).<br />

Dieselbe Autorin erörtert Argumente<br />

zur ethischen Bewertung der PGD und deren<br />

Folgen in: Jahrbuch für Wissenschaft und Ethik,<br />

Bd. 5, 2000, S. 117 ff. (auch zu Kriterien für ein abgestuftes<br />

Schutzkonzept, S. 119).<br />

❚ Zitierweise dieses Beitrags:<br />

Dt Ärztebl 2000; 97: A 3483–3486 [Heft 51–52]<br />

Anschrift des Verfassers:<br />

Ministerialrat a. D. Dr. jur. Rudolf Neidert<br />

Herrengarten 15<br />

53343 Wachtberg<br />

53


Heft 14, 6. April 2001<br />

DISKUSSION<br />

Lebensrecht-Kompromiss<br />

birgt viele Risiken<br />

„Zunehmendes Lebensrecht“ – diese Begriffsprägung<br />

setzt den Ged<strong>an</strong>ken vom<br />

„werdenden“ beziehungsweise „wachsenden<br />

Leben des Embryos und Fetus“<br />

voraus „auf ein volles Menschenleben<br />

hin“. Nicht notwendigerweise logisch,<br />

das g<strong>an</strong>ze Ged<strong>an</strong>kengebäude jedoch erhellend,<br />

wird „die Entstehung eines genetisch<br />

neuen Individuums mit Verschmelzung<br />

von Ei- und Samenzelle“ mit<br />

dem Terminus „potenzielles Leben als<br />

Mensch“ in Verbindung gebracht. Dieser<br />

nun ist nichts <strong>an</strong>deres als interessenorientierte<br />

und somit gewollte Irreführung: Es<br />

entsteht nach Verschmelzung von Ei und<br />

Samenzelle kein potenzielles, sondern<br />

einsehr reales Leben, ein sehr potentes<br />

dazu, dessen ungeheure Entwicklungsmöglichkeiten<br />

und ras<strong>an</strong>tes Entwicklungstempo,<br />

dessen Verletzlichkeit aber<br />

auch dem Betrachter nahe legen, dass gerade<br />

in den frühesten Entwicklungsphasen<br />

dieses Menschen eine besondere<br />

Schutzbedürftigkeit bestehen könnte.<br />

Denn fest steht: So eindeutig wie es kein<br />

potenzielles und kein werdendes Leben<br />

gibt, so eindeutig ist das durch die Verschmelzung<br />

der Keimzellen Entst<strong>an</strong>dene<br />

eben Leben und von Anf<strong>an</strong>g <strong>an</strong> Mensch,<br />

ja ein einmaliges und unverwechselbares<br />

Individuum.<br />

Wie trivial, ethisch-rechtlich eine erhöhte<br />

Schutzbedürftigkeit <strong>an</strong> einer Schmerzempfindung,<br />

<strong>an</strong> einer potenziellen Lebensfähigkeit<br />

außerhalb des mütterlichen<br />

Körpers oder <strong>an</strong> der Geburt festmachen<br />

zu wollen: Schmerzen können provoziert,<br />

aber auch genommen werden; der Zeitpunkt<br />

der Überlebensfähigkeit außerhalb<br />

des Mutterleibes verschiebt sich pro Dekade,<br />

ja bald von Jahr zu Jahr, weiter vor<br />

zu immer früheren Schw<strong>an</strong>gerschaftsstadien;<br />

und nicht erst das Dilemma der<br />

Spätabtreibungen hat aufgezeigt, wie<br />

54<br />

zu dem Beitrag<br />

Zunehmendes<br />

Lebensrecht<br />

von<br />

Ministerialrat a. D. Dr. jur.<br />

Rudolf Neidert<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

wahrhaft abwegig es ist, das Recht, ein<br />

Menschenleben beenden zu dürfen, auf<br />

die Tatsache der noch nicht erfolgten Geburt<br />

zu beziehen, wohingegen Frühgeborene<br />

gleicher Behinderung oder Erkr<strong>an</strong>kung<br />

volles Lebensrecht zugeschrieben<br />

wird und voller Schutz<strong>an</strong>spruch.<br />

Wie gern gehen <strong>an</strong> diesem Punkt die<br />

Ged<strong>an</strong>ken auf die schiefe Bahn. Was<br />

heißt denn auch schon lebensfähig? Wie<br />

lebensfähig ist denn ein Neugeborenes,<br />

gar ein behindertes Neugeborenes? Doch<br />

nur in dem Maße, wie sich Mutter und Vater<br />

und gegebenenfalls Ärzte und Schwestern<br />

ihm zuwenden beziehungsweise eine<br />

Pflegefamilie, eine bestellte Person, eine<br />

gesellschaftliche Einrichtung, im weitesten<br />

Sinn: die Solidargemeinschaft.Wie<br />

aber ist es um die Solidargemeinschaft<br />

mit Behinderten und Kr<strong>an</strong>ken in einer<br />

Gesellschaft bestellt, die Spätabtreibungen<br />

rechtlich ver<strong>an</strong>kern ließ? Hat uns Peter<br />

Singers Ged<strong>an</strong>kengut nicht bereits soweit<br />

infiziert, dass die Bereitschaft<br />

wächst, das Lebensrecht Neugeborener<br />

mit Behinderung zur Disposition zu stellen?<br />

Mag der Wunsch nach einer vermittelnden<br />

Lösung auch noch so verständlich<br />

sein, ein Kompromiss in Sachen Lebensrecht<br />

birgt viele Risiken, wie auch aus<br />

der Formulierung eines zunehmenden<br />

Lebensrechtes ersichtlich wird. Es bedarf<br />

nur des Perspektivwechsels vom späten<br />

zum früheren Lebensstadium hin, und es<br />

wird ein abnehmendes Lebensrecht daraus.<br />

Gibt es d<strong>an</strong>n vielleicht auch ein maximales<br />

Lebensrecht, etwa zum Zeitpunkt<br />

der vollen H<strong>an</strong>dlungs- und Leistungsfähigkeit,<br />

der vollen Gesundheit und des<br />

vollen Wohlbefindens (entsprechend dem<br />

„vollen Menschsein“?), dem mit Rückg<strong>an</strong>g<br />

dieser Fähigkeiten und Eigenschaften<br />

Abnahme verordnet wird? Die <strong>an</strong>geblich<br />

von Gesetz und Rechtsprechung <strong>an</strong>erk<strong>an</strong>nte<br />

„Notwendigkeit“ eines altersbezogenen<br />

abgestuften Rechtsschutzes der<br />

Ungeborenen ist auch nur politisch verordnet.<br />

Dr. med. Gerhard Haasis<br />

Max-Reger-Straße 40<br />

28209 Bremen<br />

Unklare Begriffe,<br />

zweifelhafte Schlüsse<br />

In allem, was Rudolf Neidert über Feten<br />

schreibt, gebe ich ihm gern Recht. Bei seinen<br />

Thesen über Zygoten und Embryo-<br />

nen jedoch sehe ich zwei Schwierigkeiten.<br />

Erstens können auch nach mehr als einer<br />

Woche noch (ohne dass es dazu eines<br />

menschlichen Eingriffs bedürfte) aus einem<br />

Embryo eineiige Zwillinge entstehen.<br />

Zumindest so l<strong>an</strong>ge haben wir es mit<br />

einem „Dividuum“ zu tun. Was den Zeitraum<br />

nach den ersten beiden Wochen post<br />

conceptionem (p. c.) betrifft, so bin ich mir<br />

nicht sicher,ob es einen Begriff von Individualität<br />

gibt, der sich auf etwas ohne Zentralnervensystem<br />

(ZNS) und ohne persönliche<br />

Geschichte <strong>an</strong>wenden lässt.<br />

Zweitens ist der Ausdruck „unbewusste<br />

Schmerzempfindung“ recht dunkel.<br />

„Es tut weh, aber ich merke davon nichts“<br />

ist eine widersprüchliche Auskunft. Der<br />

Hinweis auf „Reaktionen des Ungeborenen“<br />

trägt nicht zur Aufklärung bei. Es<br />

gibt keinen Schmerz ohne Bewusstsein<br />

(von Schmerz), und es gibt kein Bewusstsein<br />

ohne ein ZNS oder ein ZNS-Äquivalent.<br />

Und Letzteres fehlt im frühen Embryonalstadium<br />

nachweislich.<br />

Sol<strong>an</strong>ge die Begriffe, die wir benutzen,<br />

unklar bleiben, sind die Schlüsse, die wir<br />

aus ihnen ziehen, zweifelhaft.<br />

Andreas Scholtz M. A.<br />

Bredowstraße 18<br />

10551 Berlin<br />

Klärung vor Vermittlung<br />

Die Idee des zunehmenden Lebensschutzes<br />

ist zumindest genauso plausibel<br />

wie absurd. Das Paradox wird durch unterschiedliche<br />

Perspektiven ausgelöst:<br />

zwar mag die intrauterine Entwicklung eine<br />

Tendenz der Zunahme nahe legen, <strong>an</strong>dererseits<br />

geschieht jene in einer so engen<br />

zeitlichen Abfolge, dass jegliche Abstufungen<br />

genauso unzulässig sein dürften.<br />

Die eine Sichtweise mag eine Unterscheidung<br />

bei einem Abst<strong>an</strong>d von wenigen Wochen,<br />

ja Tagen sogar für zulässig erklären,<br />

die <strong>an</strong>dere lässt fragen, was dieser Abst<strong>an</strong>d<br />

<strong>an</strong> der Bal<strong>an</strong>ce zwischen dem Lebensrecht<br />

des Kindes und der Selbstver<strong>an</strong>twortung<br />

(„Lebensinteressen“) der<br />

Mutter ändern k<strong>an</strong>n. Meine Kritik ist<br />

nicht, dass der Autor nur die eine Perspektive<br />

dargestellt hatte. Dass diese jedoch<br />

zur „vermittelnden Lösung“ erklärt<br />

wurde, empfinde ich intellektuell als befremdend.<br />

Methodologisch ist zu fragen, ob hier<br />

der Vermittlungsversuch überhaupt begründet<br />

sei und nicht eher vor der


Klärung der Frage der eventuellen PGD<br />

der gesetzliche Lebensschutz revidiert<br />

werden müsste.Wenn in Berlin jede dritte<br />

Schw<strong>an</strong>gerschaft abgebrochen wird, d<strong>an</strong>n<br />

ist ernsthaft zu fragen, ob das Beratungskonzept<br />

seine Aufgabe erfüllt. Sonst setzen<br />

wir das gleiche Modell fort: hoher Anspruch<br />

in der Theorie und eine verheerende<br />

Praxis.Also Klärung vor Vermittlung!<br />

Dr. med. Rafael Mikolajczyk<br />

Friedrichrodaer Straße 121<br />

12249 Berlin<br />

Kaum absehbare<br />

Auswirkungen<br />

Rudolf Neidert will mit seinem Beitrag<br />

die Diskussion um die Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

„durch einen empirischen Zug<strong>an</strong>g“<br />

vor<strong>an</strong>bringen. Als Lösungs<strong>an</strong>satz<br />

propagiert er einen „Gleichkl<strong>an</strong>g“ zwischen<br />

dem kontinuierlichen Her<strong>an</strong>wachsen<br />

des ungeborenen Kindes und dessen<br />

rechtlichem Schutz. Am Anf<strong>an</strong>g der vorgeburtlichen<br />

Entwicklung soll das Lebensrecht<br />

des Embryos in weitem Umf<strong>an</strong>g<br />

zur Disposition stehen. In späteren<br />

Stadien verdiene der Embryo umso<br />

größere Achtung, „je mehr sich dieser<br />

dem geborenen Menschen <strong>an</strong>nähert“.<br />

Dieser Ansatz wirkt auf den ersten Blick<br />

in sich stimmig.Tatsächlich gibt es für diesen<br />

„Gleichkl<strong>an</strong>g“ biologischer Wachstumsprozesse<br />

mit rechtlichen Schutzbestimmungen<br />

weder einen rational nachvollziehbaren<br />

Grund, noch wird dieses<br />

Prinzip von seinen Verfechtern selbst<br />

ernst genommen.<br />

Der Mensch macht während seines<br />

Lebens eine ausgeprägte Entwicklung<br />

durch. Er wird bek<strong>an</strong>ntlich nicht vom<br />

Klapperstorch gebracht, fällt also nicht<br />

„fertig“ vom Himmel. Er entsteht, wie alle<br />

Lebewesen, aus kleinsten Anfängen<br />

heraus, entwickelt sich allmählich und<br />

kontinuierlich zu einer – individuell sehr<br />

unterschiedlichen – „ausgewachsenen“<br />

Form, altert, verliert wieder <strong>an</strong> Leistungsfähigkeit<br />

und stirbt schließlich. Es<br />

ist keineswegs einleuchtend, irgendeiner<br />

Phase dieses Lebens allein aufgrund der<br />

biologischen Entwicklungsstufe größeren<br />

rechtlichen Schutz <strong>an</strong>gedeihen zu<br />

lassen als einer <strong>an</strong>deren. Bei der Suche<br />

nach einer <strong>an</strong>gemessenen rechtlichen<br />

Bewertung der vorgeburtlichen Entwicklung<br />

des Menschen lautet die<br />

Grundfrage: Geht es um den Schutz<strong>an</strong>spruch<br />

des menschlichen Lebewesens<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

als solches oder um die Wertschätzung<br />

bestimmter Bewusstseinszustände und<br />

Fähigkeiten? Schmerzempfinden findet<br />

sich auch bei den Tieren. Soll also der<br />

empfindungslose Embryo rechtlich weniger<br />

Schutz genießen als ein ausgewachsener<br />

Hund, ein Schwein oder ein Huhn<br />

– wie der australische Bioethiker Peter<br />

Singer meint? In vielen Leistungsbereichen<br />

haben Haustiere einen weiten Vorsprung<br />

vor ungeborenen – aber auch<br />

neugeborenen – Kindern. Soll es wirklich<br />

darauf <strong>an</strong>kommen? D<strong>an</strong>n müsste Kleinkindern<br />

noch bis zum Alter von ein bis<br />

zwei Jahren das Lebensrecht abgesprochen<br />

werden.<br />

Unsere Rechtsordnung basiert auf der<br />

Un<strong>an</strong>tastbarkeit der Menschenwürde.<br />

Sie ist das Fundament der Verfassung.<br />

Die Würde des Menschen k<strong>an</strong>n aber<br />

nicht mit dem Körperwachstum, der physischen<br />

oder der intellektuellen Leistungsfähigkeit<br />

<strong>an</strong>wachsen und gegebenenfalls<br />

auch wieder abnehmen. Würde<br />

und (Nutz-)Wert unterscheiden sich<br />

prinzipiell. Deshalb k<strong>an</strong>n aus einzelnen<br />

biologischen Entwicklungen auf dem<br />

Weg zum „fertigen“ Menschen (w<strong>an</strong>n ist<br />

der Mensch „fertig“?) ein unterschiedlicher<br />

Grundstatus nicht abgeleitet werden.<br />

Gerade das Recht auf Leben, die<br />

Voraussetzung und Basis aller <strong>an</strong>deren<br />

Grundrechte, k<strong>an</strong>n von der „Nützlichkeit“<br />

oder Leistungsfähigkeit des einzelnen<br />

Menschen nicht abhängen. Neidert<br />

nimmt das von ihm postulierte Prinzip<br />

„wachsendes Leben gleich wachsender<br />

Schutz“ selbst nicht wirklich ernst, weil<br />

er es auf den Zeitraum vor der Geburt<br />

beschränkt. Die „Logik des Wachsens“<br />

überschreitet diese Grenze. Die Geburt<br />

ist sicher ein wichtiger Einschnitt im Leben<br />

des Menschen, seine biologische<br />

Entwicklung bleibt <strong>an</strong> diesem Punkt<br />

aber keineswegs stehen. Die Leistungsfähigkeit<br />

des Neugeborenen befindet<br />

sich fast auf dem Nullpunkt. Der Säugling<br />

ist von der Hilfe und Zuwendung <strong>an</strong>derer<br />

völlig abhängig. Sowohl körperlich<br />

als auch geistig ist er noch meilenweit<br />

vom Entwicklungsst<strong>an</strong>d eines Erwachsenen<br />

entfernt. Warum sollte d<strong>an</strong>n das<br />

Recht auf Leben nicht auch nachgeburtlich<br />

noch „wachsen“ oder in Alter und<br />

Kr<strong>an</strong>kheit sowie im Falle einer Behinderung<br />

„abnehmen“? Wer hier nicht konsequent<br />

seinen Begründungs<strong>an</strong>satz für das<br />

Lebensrecht durchhält, setzt sich dem<br />

Verdacht aus, nur ein bestimmtes Ergebnis<br />

erzielen zu wollen.<br />

Die von Neidert <strong>an</strong>geführten Stufen<br />

der menschlichen Entwicklung (Schmerzempfinden,<br />

extrauterine Lebensfähigkeit),<br />

die er für rechtlich relev<strong>an</strong>t hält,<br />

sind auch für sich genommen nicht geeignet,<br />

eine Abstufung des Lebensrechts zu<br />

rechtfertigen.<br />

Ansatz- und begründungslos bezeichnet<br />

Neidert die „bewusste Schmerzempfindung“<br />

als „ersten Ausdruck einer leibseelischen<br />

Einheit“. Die Seele hat er in der<br />

Schilderung der „medizinischen Gegebenheiten“<br />

nicht erwähnt. Ich bezweifle, dass<br />

die Seele Gegenst<strong>an</strong>d der medizinischen<br />

Wissenschaft ist oder mit den naturwissenschaftlichen<br />

Methoden der Medizin beschrieben<br />

oder erfasst werden k<strong>an</strong>n.Wenn<br />

Neidert aber von der Existenz einer Seele<br />

ausgeht, warum sollte d<strong>an</strong>n die Schmerzempfindung<br />

das erste Erkennungszeichen<br />

dieser Seele sein? Die Seele als geistiges<br />

Sein- und Wirkprinzip (oder wie m<strong>an</strong> sie<br />

auch immer definieren mag) könnte bereits<br />

l<strong>an</strong>ge vor dem Beginn der Schmerzempfindlichkeit<br />

vorh<strong>an</strong>den sein, zum Beispiel<br />

in dem zehn- oder zwölfzelligen<br />

Frühembryo, den Neidert im Rahmen der<br />

PGD zu opfern bereit ist.Wäre es nicht nahe<br />

liegend <strong>an</strong>zunehmen, dass der Embryo<br />

von Anf<strong>an</strong>g <strong>an</strong> beseelt ist, da er die Fähigkeit<br />

zu bewusster Schmerzempfindung<br />

hervorbringt? Die von Neidert behauptete<br />

„Relev<strong>an</strong>z“ der Schmerzempfindlichkeit<br />

für die Frage der rechtlichen Schutzwürdigkeit<br />

entbehrt einer sachlichen Begründung.<br />

Eine solche wird auch nicht zu finden<br />

sein. Schließlich führt eine beeinträchtigte<br />

oder aufgehobene Schmerzempfindlichkeit<br />

bei geborenen Menschen auch<br />

nicht zu einer Minderung des Rechts auf<br />

Leben.<br />

Den „Durchbruch“ in der Entwicklung<br />

ungeborenen Lebens sieht Neidert<br />

erst mit der extrauterinen Lebensfähigkeit<br />

erreicht. Ihr spricht er „höchste<br />

Rechtserheblichkeit“ zu. Die Fähigkeit,<br />

außerhalb des Mutterleibes überleben zu<br />

können, ist aber ebenfalls ungeeignet, die<br />

Schutzwürdigkeit ungeborener Kinder zu<br />

beeinflussen. Je nach der individuellen<br />

Konstitution des ungeborenen Kindes<br />

k<strong>an</strong>n diese Überlebensfähigkeit schon<br />

nach dem fünften Schw<strong>an</strong>gerschaftsmonat<br />

gegeben sein. Der Zeitpunkt lässt sich<br />

aber nicht abstrakt für alle Fälle einheitlich<br />

bestimmen. Die extrauterine Lebensfähigkeit<br />

ist aber kein Wesensmerkmal<br />

des Embryos, sondern hängt von den medizinischen<br />

Kenntnissen des beh<strong>an</strong>delnden<br />

Arztes und der technischen Aus-<br />

55


stattung der Klinik ab. Ein Kind, das auf<br />

der neonatologischen Abteilung eines<br />

deutschen Kr<strong>an</strong>kenhauses im sechsten<br />

Schw<strong>an</strong>gerschaftsmonat „überlebensfähig“<br />

ist, wird im gleichen Entwicklungsstadium<br />

in einem L<strong>an</strong>d der „Dritten<br />

Welt“ nicht überleben, weil die notwendigen<br />

Geräte und Medikamente fehlen.<br />

Das Kind ist aber unabhängig vom Ort<br />

der Geburt dasselbe. Während noch vor<br />

dreißig bis vierzig Jahren viele Kinder<br />

im siebten Schw<strong>an</strong>gerschaftsmonat als<br />

Frühgeborene nicht überlebensfähig waren,<br />

wären sie es heute ohne weiteres. Das<br />

k<strong>an</strong>n aber nicht bedeuten, dass heute<br />

Kinder während der Entwicklung im<br />

Mutterleib „schneller“ zu schutzwürdigen<br />

Menschen werden als in den 60er-<br />

Jahren. Der Zeitpunkt der extrakorporalen<br />

Überlebensfähigkeit sagt etwas über<br />

das ärztliche Können und den St<strong>an</strong>d der<br />

medizinischen Technik, aber nichts über<br />

die „Menschqualität“ oder die rechtliche<br />

Schutzwürdigkeit eines Lebewesens aus.<br />

Das Kriterium der Lebensfähigkeit wäre<br />

im Übrigen ein Argument für den stärkeren<br />

strafrechtlichen Schutz künstlich erzeugter<br />

<strong>Embryonen</strong> durch das <strong>Embryonen</strong>schutzgesetz,<br />

den Neidert als problematisch<br />

<strong>an</strong>sieht. Im Rahmen der In-vitro-<br />

Fertilisation werden schließlich menschliche<br />

<strong>Embryonen</strong> einige Tage außerhalb<br />

des Mutterleibes am Leben erhalten. Sie<br />

müssten somit nach dem Kriterium der<br />

„extrauterinen Lebensfähigkeit“ in diesem<br />

frühen Entwicklungsstadium besonderen<br />

rechtlichen Schutz genießen. Nach<br />

dem Tr<strong>an</strong>sfer des Embryos in die Gebärmutter<br />

müsste der Schutzstatus wieder<br />

abnehmen, um gegen Ende der Schw<strong>an</strong>gerschaft<br />

erneut <strong>an</strong>zusteigen – ein zwar<br />

tatsächlich aus Rechtsvorschriften ableitbares<br />

Auf und Ab des Lebensschutzes,<br />

das allerdings rationaler Logik entbehrt.<br />

Die Abhängigkeit von günstigen Umgebungsbedingungen<br />

für das Weiterleben<br />

ändert <strong>an</strong> der Qualität des Subjekts<br />

nichts und k<strong>an</strong>n daher auch kein Kriterium<br />

für den rechtlichen Schutz<strong>an</strong>spruch<br />

sein. Unterschiedliche Schutzbestimmungen<br />

sind daher – wenn überhaupt –<br />

nur mit <strong>an</strong>deren Argumenten zu begründen.<br />

Fragwürdig ist auch der „empirische Zug<strong>an</strong>g“<br />

Neiderts zu den Rechtsfragen. Die<br />

unterschiedlichen Rechtsfolgen in einzelnen<br />

gesetzlichen Regelungen müssen keineswegs<br />

Ausdruck eines unterschiedlichen<br />

Grundrechtsstatus hinsichtlich diverser<br />

vorgeburtlicher Entwicklungsstadien des<br />

56<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

Menschen sein. Vor allem lässt sich aus widersprüchlichen<br />

Regelungen im einfachen<br />

Recht kein Schluss auf die grundrechtliche<br />

Schutzwürdigkeit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG)<br />

ziehen.Neidert erkennt selbst <strong>an</strong>,dass dort,<br />

wo Widersprüche zu <strong>an</strong>deren Gesetzen<br />

oder zum Verfassungsrecht bestehen, „erforderlichenfalls<br />

durch Gesetzesänderung“<br />

Widerspruchsfreiheit herzustellen sei. In<br />

welche Richtung die Gesetzesänderungen<br />

gehen müssten, k<strong>an</strong>n sich nicht aus dem<br />

einfachen Recht, sondern nur aus einer<br />

Orientierung am Verfassungsrecht ergeben.<br />

Ein abgestuftes Lebensrecht lässt sich<br />

aus der Verfassung nicht begründen. Das<br />

Bundesverfassungsgericht hat vielmehr<br />

entschieden, dass „die von Anf<strong>an</strong>g <strong>an</strong> im<br />

menschlichen Sein <strong>an</strong>gelegten potenziellen<br />

Fähigkeiten genügen, um die Menschenwürde<br />

zu begründen“. „Liegt die Würde<br />

des Menschseins auch für das ungeborene<br />

Leben im Dasein um seiner selbst willen,<br />

verbieten sich jegliche Differenzierungen<br />

der Schutzverpflichtung mit Blick auf Alter<br />

und Entwicklungsst<strong>an</strong>d dieses Lebens.“<br />

Der menschliche Embryo hat daher auch<br />

im Frühstadium seiner Entwicklung vor der<br />

Nidation Anteil am Schutz der Menschenwürde<br />

und des Rechts auf Leben und darf<br />

im Rahmen der PGD nicht zur Disposition<br />

gestellt werden.<br />

Neidert gibt letztlich nur vor, eine<br />

„vermittelnde Lösung“ <strong>an</strong>zubieten. Der<br />

von ihm favorisierte gradualistische Ansatz<br />

endet schlicht in einer Befürwortung<br />

der PGD. Dies stellt keine „mittlere“ Position<br />

dar – auch nicht, wenn die PGD nur<br />

unter einschränkenden Bedingungen zugelassen<br />

werden soll. Zwischen Leben<br />

und Tod gibt es keine Mitte. Diejenigen<br />

<strong>Embryonen</strong>, die im Rahmen der PGD<br />

„aussortiert“ werden, bleiben nicht in einem<br />

Zwischenstadium hängen, sondern<br />

sterben ab. Das ist dem Verfahren imm<strong>an</strong>ent<br />

und wird von allen Beteiligten von<br />

vornherein einkalkuliert.<br />

Wenn – wie Neidert es vorschlägt –<br />

„Selbstver<strong>an</strong>twortung und -entscheidung<br />

der Frau“ umso mehr Berücksichtigung<br />

verdienen, „je früher der Embryo in seiner<br />

Entwicklung steht“, d<strong>an</strong>n sind nennenswerte<br />

Restriktionen im Umg<strong>an</strong>g mit<br />

<strong>Embryonen</strong> überhaupt nicht begründbar.<br />

D<strong>an</strong>n müssen sie nicht nur für das<br />

vermeintliche „Recht auf ein gesundes<br />

Kind“, sondern auch für <strong>an</strong>dere, sicherlich<br />

„hochwertige“ Interessen in <strong>Forschung</strong><br />

und Therapie geopfert werden.<br />

Die Entscheidung über die Zulassung der<br />

Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik ist daher ei-<br />

ne Grundsatzentscheidung mit kaum absehbaren<br />

Auswirkungen für den weiteren<br />

Umg<strong>an</strong>g mit dem menschlichen Leben.<br />

Literatur beim Verfasser<br />

Rainer Beckm<strong>an</strong>n<br />

Richter am Amtsgericht, Mitglied der<br />

Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages<br />

„Recht und Ethik der modernen Medizin“<br />

Friedenstraße 3 a, 97318 Kitzingen<br />

Schlusswort<br />

Vier Leserzuschriften, eine eher pro, die<br />

<strong>an</strong>deren kontra; drei echte Leserbriefe,<br />

ein Gegen-Aufsatz von über fünf Spalten<br />

– was lässt sich darauf „kurz“ <strong>an</strong>tworten?<br />

Nun denn: Ich gäbe eine vermittelnde Lösung<br />

nur vor (Mikolajczyk, Beckm<strong>an</strong>n).<br />

Gewiss vermittle ich nicht zwischen Ja<br />

und Nein zur <strong>PID</strong>,wohl aber zwischen den<br />

Extremen „volles Lebensrecht ab Zeugung“<br />

und „erst ab Geburt“. – Dass Haasis<br />

nicht einmal Potenzialität gelten lassen<br />

will, entzieht seiner eigenen Position<br />

„Leben von Anbeginn“ den Boden;<br />

<strong>PID</strong>-Gegner stützen sich sonst gerade<br />

darauf. – Die „Logik des Wachsens“<br />

überschreite die Grenze der Geburt<br />

(Beckm<strong>an</strong>n). Ich begründe das gewachsene<br />

Schutzbedürfnis des Fetus mit<br />

Schmerzempfindung und Lebensfähigkeit<br />

(etwa 20 Wochen vor der Geburt!)<br />

und fordere ein strengeres Abtreibungsrecht<br />

zugunsten reifer Feten. – „Unbewusste<br />

Schmerzempfindung“ (dies zu<br />

Scholtz) ist ein sinnvoller Begriff, den der<br />

in Fußnote 14 zitierte Wissenschaftliche<br />

Beirat der BÄK verwendet.<br />

Letztlich geht es mir um Konsequenz<br />

und Ehrlichkeit <strong>an</strong>gesichts unseres (auch<br />

vom BVerfG gebilligten) Abtreibungsrechts.<br />

„Menschenwürde“ wird zur Phrase,<br />

wenn m<strong>an</strong> sie für <strong>Embryonen</strong> in vitro<br />

fordert, aber in vivo über 130 000 Abbrüche<br />

im Jahr zulässt. Da wünschte ich<br />

mir mehr Einsatz für Leben und Würde<br />

lebensfähiger Feten und gegen die Barbarei<br />

der Spätabtreibungen – auch dies ist<br />

meine Konsequenz zunehmenden Lebensrechts!<br />

Dr. jur. Rudolf Neidert<br />

Herrengarten 15<br />

53343 Wachtberg


Mirjam Zimmerm<strong>an</strong>n<br />

Ruben Zimmerm<strong>an</strong>n<br />

Die Bundesärztekammer (BÄK)<br />

hat in ihrem „Diskussionsentwurf<br />

zu einer Richtlinie zur Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik“<br />

(Deutsches Ärzteblatt<br />

9/2000) die fächerübergreifende<br />

Tragweite der Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

(preimpl<strong>an</strong>tation genetic diagnosis<br />

= PGD) ben<strong>an</strong>nt und zu einer gesamtgesellschaftlichen<br />

Ausein<strong>an</strong>dersetzung<br />

mit dem Thema aufgerufen. Zentral ist<br />

dabei folgende Frage: Welche ethische<br />

Bedeutung hat der Wunsch der betroffenen<br />

Eltern nach einem (gesunden)<br />

Kind?<br />

Die prinzipielle Schutzbedürftigkeit<br />

des ungeborenen Lebens wird im Vorwort<br />

zum Diskussionsentwurf hervorgehoben.<br />

Wenn aus diesem Grundsatz<br />

zugleich die zerstörende „Untersuchung<br />

von <strong>Embryonen</strong> im Stadium zellulärer<br />

Totipotenz“ und „fremdnützige<br />

Verwendung von <strong>Embryonen</strong>“ verworfen<br />

werden, k<strong>an</strong>n m<strong>an</strong> folgern, dass die<br />

Verfasser auf die Nennung eines zeitlichen<br />

Beginns dieser Schutzbedürftigkeit<br />

des ungeborenen Lebens verzichten.<br />

Keine subjektive Notlage<br />

Der Embryo ist von Beginn, das heißt<br />

ab dem Zeitpunkt der Fertilisation,<br />

schutzbedürftig im Sinne von Grundgesetz<br />

Art. 2 Abs. 2: „Jeder hat das Recht<br />

auf Leben und körperliche Unversehrtheit.“<br />

Hier folgt der Wissenschaftliche<br />

Beirat der BÄK der geltenden Gesetzeslage,<br />

wie sie etwa im <strong>Embryonen</strong>schutzgesetz<br />

(EschG) § 8 Abs. 1 oder im<br />

Urteil des Bundesverfassungsgerichts<br />

vom 28. Mai 1993 zum Schw<strong>an</strong>gerschaftsabbruch<br />

festgeschrieben wurde.<br />

Die Verwerfung eines Embryos in vitro,<br />

<strong>an</strong> dem ein genetischer Defekt diagno-<br />

Heft 51–52, 25. Dezember 2000<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

Gibt es das Recht auf<br />

ein gesundes Kind?<br />

Eine ethische Anfrage zum „Diskussionsentwurf zu einer Richtlinie<br />

zur Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik“ der Bundesärztekammer<br />

stiziert wurde, muss demnach als<br />

rechtswidrige Tötung eines menschlichen<br />

Lebens betrachtet werden.<br />

Allerdings besteht zum Beispiel<br />

nach Meinung der juristischen Vertreter<br />

der Bioethik-Kommission Rheinl<strong>an</strong>d-Pfalz<br />

in ihrem Bericht zur PGD<br />

„das Recht auf Leben nach Artikel 2<br />

Abs. 2 GG nicht uneingeschränkt, sondern<br />

unterliegt gesetzlichen Schr<strong>an</strong>ken.<br />

Es muss gegen <strong>an</strong>dere, verfassungsrechtlich<br />

gar<strong>an</strong>tierte Rechte, wie<br />

das Persönlichkeitsrecht, die Gesundheit<br />

der Mutter und das Elternrecht abgewogen<br />

werden“ (Bericht 1999, These<br />

II 4).<br />

Die entscheidende Frage in der Einschätzung<br />

der PGD lautet deshalb:<br />

K<strong>an</strong>n es Gründe geben,die das prinzipielle<br />

Lebensrecht des Embryos so relativieren,<br />

dass im Falle eines Nicht-<br />

Tr<strong>an</strong>sfers – das entspräche dem Sterbenlassen<br />

des Embryos im Sinne einer<br />

passiven Tötung – von der Strafverfolgung<br />

abgesehen werden k<strong>an</strong>n? K<strong>an</strong>n also<br />

<strong>an</strong>alog zur gängigen Rechtspraxis<br />

beim Schw<strong>an</strong>gerschaftsabbruch nach<br />

Pränataldiagnostik die Verwerfung eines<br />

erkr<strong>an</strong>kten Embryos in vitro nach<br />

Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik als „rechtswidrig,<br />

aber straffrei“ eingestuft werden?<br />

Bei der Tötung ungeborenen<br />

menschlichen Lebens in vivo – das<br />

heißt der Abtreibung – sieht der Gesetzgeber<br />

lediglich wegen einer subjektiven<br />

Notlage der Mutter nach<br />

Pflichtberatung von einer Strafe ab.<br />

Im Blick auf den Embryo in vitro besteht<br />

diese subjektive Notlage zunächst<br />

nicht, weil er sich in der H<strong>an</strong>d Dritter<br />

(Biologe/Arzt) befindet. Es wäre also<br />

zu fragen, ob bei schwerer genetischer<br />

Belastung der Eltern der bei einer<br />

Schw<strong>an</strong>gerschaft die Straffreiheit be-<br />

gründende Konflikt als Rechtfertigung<br />

für eine PGD <strong>an</strong>tizipierbar ist. Die<br />

BÄK bejaht dies, wenn es in der Richtlinie<br />

heißt: „Ausschlaggebend ist, dass<br />

diese Erkr<strong>an</strong>kung zu einer schwerwiegenden<br />

gesundheitlichen Beeinträchtigung<br />

der künftigen Schw<strong>an</strong>geren<br />

beziehungsweise der Mutter führen<br />

könnte.“ (Abs. 2: Indikationsgrundlage)<br />

Dabei wird allerdings außer Acht gelassen,<br />

dass im Fall des Schw<strong>an</strong>gerschaftsabbruchs<br />

nach Pränataldiagnostik<br />

eine Schw<strong>an</strong>gerschaft bereits besteht<br />

und ein schon existierendes erkr<strong>an</strong>ktes<br />

Kind den gen<strong>an</strong>nten Konflikt<br />

für die Mutter auslöst. Ärztlicher Rat<br />

und ärztliches H<strong>an</strong>deln reagieren hierbei<br />

auf eine schon bestehende Kr<strong>an</strong>kheitssituation.<br />

Anders im Fall der PGD: Hier wird<br />

der mögliche schwere Konflikt erst<br />

durch ärztliches Tun herbeigeführt,<br />

denn durch die assistierte Reproduktion<br />

entsteht mit „hohem Risiko“, wie<br />

der Richtlinienentwurf vorschreibt, ein<br />

Kind, durch dessen Schädigung eine<br />

schwerwiegende Beeinträchtigung der<br />

Mutter zu befürchten ist. Ist es mit dem<br />

Ethos ärztlichen H<strong>an</strong>delns vereinbar,<br />

eine solche Konfliktsituation absichtlich<br />

herbeizuführen? Rechtfertigt es die<br />

Notlage der zukünftigen Mutter, eine<br />

Situation künstlich herbeizuführen, die<br />

mit hoher Wahrscheinlichkeit die Tötung<br />

eines menschlichen Embryos zur<br />

Folge hat?<br />

„Lebensinteressen“<br />

In der ethisch-rechtlichen Bewertung<br />

ist jedoch nicht die Gesundheit der<br />

Mutter <strong>an</strong>gesichts eines erkr<strong>an</strong>kten<br />

Kindes mit dem Lebensrecht des Em-<br />

57


yos aufzurechnen (wie beim Schw<strong>an</strong>gerschaftsabbruch),<br />

sondern die Frage<br />

heißt, wie Prof. Dr. med. Herm<strong>an</strong>n<br />

Hepp als Vorsitzender des BÄK-<br />

Arbeitskreises erläutert, „ob mit Rücksicht<br />

auf die gesundheitlichen und/<br />

oder sozialen Lebensinteressen der<br />

Mutter die Schutzbedürftigkeit (des<br />

kr<strong>an</strong>ken Embryos in vitro) einer positiven<br />

Güterabwägung unterworfen<br />

werden darf und daraus ein abgestufter<br />

Rechtsschutz resultiert.“ (Hepp<br />

2000, 218).<br />

Wenn m<strong>an</strong> also die Rechte der Mutter<br />

geltend machen will, d<strong>an</strong>n geht es<br />

um „Lebensinteressen“, sei es die<br />

Angst, „<strong>an</strong> der Furcht vor einem genetisch<br />

bedingt schwerstkr<strong>an</strong>ken Kind<br />

gesundheitlich zu zerbrechen“ (Diskussionsentwurf<br />

zu einer Richtlinie,<br />

Vorwort), sei es um die Hoffnung auf<br />

ein gesundes Kind. In jedem Fall wird<br />

die schwere Konfliktsituation gegenwärtig<br />

nur <strong>an</strong>tizipiert. Die entscheidende<br />

Frage lautet also, ob und in welchem<br />

Maß die Wünsche und Interessen der<br />

Mutter, die sich auf einen zukünftigen<br />

Sachverhalt beziehen, ethische Bedeutung<br />

erl<strong>an</strong>gen können. Die Ethik-Kommission<br />

des L<strong>an</strong>des Rheinl<strong>an</strong>d-Pfalz<br />

versichert, dass der Wunsch eines Paares<br />

mit hohen genetischen Risikofaktoren<br />

„ein eigenes gesundes Kind zu erhalten,<br />

(. . .) sittliche Qualität“ hat<br />

(These III 2 a).<br />

Doch wie hoch ist diese „sittliche<br />

Qualität“? Darf sich der „Kinderwunsch“<br />

ausdrücklich auf „Wunschkinder“,<br />

nämlich gesunde eigene Kinder<br />

beschränken? Wenn sich der Wunsch<br />

allgemein auf Kinder beziehen würde,<br />

wäre entweder durch Verzicht auf biologische<br />

Elternschaft (Adoption, Besamung)<br />

oder durch Inkaufnahme eines<br />

behinderten Kindes die PGD überflüssig.<br />

Der Wunsch der Eltern bezieht sich<br />

folglich auf eigene gesunde Kinder, sofern<br />

m<strong>an</strong> „gesund“ im Sinne der Abwesenheit<br />

der zu befürchtenden genetischen<br />

Schädigung definiert.<br />

Hedonismus-Prinzip<br />

In rechtlicher Hinsicht etwa nach Art. 6<br />

Abs. 2 GG sind zwar „Pflege und Erziehung<br />

der Kinder (. . .) das natürliche<br />

Recht der Eltern“, allerdings wird da-<br />

58<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

bei die Existenz der Kinder selbstverständlich<br />

vorausgesetzt. Können Eltern<br />

hingegen auch Rechte auf die Existenz<br />

gesunder Kinder geltend machen,<br />

oder k<strong>an</strong>n m<strong>an</strong> diesem Wunsch zumindest<br />

hohe sittliche Qualität bescheinigen?<br />

Wer dazu beiträgt, das Leid einer betroffenen<br />

Familie (durch Vermeidung<br />

einer Schw<strong>an</strong>gerschaft auf Probe oder<br />

durch Nicht-Tr<strong>an</strong>sfer eines kr<strong>an</strong>ken<br />

Kindes) zu verringern beziehungsweise<br />

das Glück der Eltern durch ein gesundes<br />

Kind zu vermehren, ist dem so gen<strong>an</strong>nten<br />

Hedonismus-Prinzip verpflichtet:<br />

Nach dieser Maxime ist es ethisch<br />

geboten, Leid zu verringern und Glück<br />

zu vergrößern. „Der klassische Utilitarist<br />

betrachtet eine H<strong>an</strong>dlung als richtig,<br />

wenn sie ebenso viel oder mehr Zuwachs<br />

<strong>an</strong> Glück für alle Betroffenen<br />

produziert als jede <strong>an</strong>dere H<strong>an</strong>dlung,<br />

und als falsch, wenn sie das nicht tut“<br />

(Singer 1994, 17).<br />

Präferenz-Utilitarismus<br />

Da sich die ethische Bewertung allerdings<br />

zunächst nicht auf eine schon existierende<br />

H<strong>an</strong>dlung bezieht, sondern<br />

auf einen Wunsch beziehungsweise ein<br />

bestimmtes Interesse der Eltern, h<strong>an</strong>delt<br />

es sich bei dieser Argumentation<br />

um eine Spielart des klassischen Utilitarismus,<br />

dem „Präferenz-Utilitarismus“,<br />

wie er beispielsweise von Richard<br />

Marvin Hare (Oxford) vertreten<br />

wurde. Nach dieser Vari<strong>an</strong>te werden<br />

nicht die H<strong>an</strong>dlungen, sondern die<br />

Präferenzen, das heißt die Interessen<br />

und Wünsche, der betroffenen Personen<br />

gegenein<strong>an</strong>der abgewogen. Eine<br />

H<strong>an</strong>dlung wird nach dem Grad der<br />

Übereinstimmung ihrer zu erwartenden<br />

Folgen mit den Wünschen der betroffenen<br />

Personen bewertet. In dieser<br />

Weise k<strong>an</strong>n dem „Interesse (der Mutter),<br />

kein missgebildetes Kind zu haben,<br />

das die normale Entwicklung der<br />

übrigen Familie verhindern oder stark<br />

beeinträchtigen k<strong>an</strong>n“ (Hare 1992,<br />

376), hohe sittliche Qualität zugesprochen<br />

werden.<br />

Das Hedonismus-Prinzip wird gerade<br />

von Vertretern des Präferenz-Utilitarismus<br />

mit der Perspektive der „Total<strong>an</strong>sicht“<br />

(total view) verknüpft: Den<br />

moralischen Wert einer H<strong>an</strong>dlung k<strong>an</strong>n<br />

<strong>an</strong> nur aus der Gesamtsumme des<br />

Glücks aller Betroffenen eruieren.<br />

Nach Hare und Singer spielt es keine<br />

Rolle, ob die Gesamtsumme des Glücks<br />

durch die Lustvermehrung existierender<br />

Wesen oder durch die Vermehrung<br />

lustfähiger Wesen <strong>an</strong>gestrebt wird (Singer<br />

1994, 139).<br />

Wenn es ethisch gerechtfertigt<br />

scheint, mit dem Ziel der Leidverringerung<br />

gesunde <strong>Embryonen</strong> zu produzieren,<br />

kr<strong>an</strong>ke aber zu verwerfen, d<strong>an</strong>n<br />

findet exakt die Argumentation des<br />

Präferenz-Utilitarismus mit Hedonismus-Prinzip<br />

und Total<strong>an</strong>sicht Anwendung.<br />

Denn, so Singer, „für den Präferenz-Utilitarismus<br />

ist das dem getöteten<br />

Wesen zugefügte Unrecht nur ein<br />

zu beachtender Faktor, und die Präferenz<br />

des Opfers könnte m<strong>an</strong>chmal<br />

durch die Präferenzen von <strong>an</strong>deren<br />

aufgewogen werden“ (Singer 1994,<br />

130). Wenn m<strong>an</strong> die bei Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

gestellte Problematik als<br />

„Interessenkonflikt“ definiert, bei dem<br />

„Lebensinteressen“ der Mutter und<br />

Lebensinteresse des Embryos abgewogen<br />

werden müssen, d<strong>an</strong>n unterstreicht<br />

das die Beobachtung, dass die Argumentation<br />

des Präferenz-Utilitarismus<br />

bemüht wird.<br />

Peter Singer und Richard Marvin<br />

Hare befürworten aber nicht nur die selektive<br />

Ch<strong>an</strong>ce des Schw<strong>an</strong>gerschaftsabbruchs,<br />

sie sind auch der Auffassung,<br />

dass die Eliminierung von leidenden<br />

Menschen auch nach der Geburt, zum<br />

Beispiel bei behinderten Säuglingen,<br />

möglich sein sollte. „Säuglinge zu töten<br />

k<strong>an</strong>n nicht gleichgesetzt werden mit<br />

dem Töten normaler menschlicher<br />

Wesen oder <strong>an</strong>derer selbstbewusster<br />

Wesen. (. . .) Das Leben eines Neugeborenen<br />

hat für dieses weniger Wert<br />

als das Leben eines Schweins, eines<br />

Hundes oder eines Schimp<strong>an</strong>sen für das<br />

nichtmenschliche Tier“ (Singer 1994,<br />

23<strong>3.</strong>219).<br />

Ethische Dammbrüche<br />

Die Ethik Singers beruht auf Voraussetzungen<br />

(wie Speziezismuskritik, reduktionistisches<br />

Menschenbild, vgl. dazu<br />

Zimmerm<strong>an</strong>n 1996 und 1997), die von<br />

den Verfassern des Diskussionsent-


wurfs nicht geteilt werden. Dennoch<br />

sollte es zu denken geben, dass sich<br />

die durch die Argumentation begründete<br />

abgestufte Schutzwürdigkeit des Embryos<br />

in vitro problemlos auf <strong>an</strong>dere<br />

Bereiche menschlichen Lebens übertragen<br />

lässt. In dem Maß, wie m<strong>an</strong> dem<br />

Hedonismus-Prinzip Raum gewährt,<br />

wird m<strong>an</strong> sich bei konsistenter Argumentation<br />

kaum gegen ethische<br />

Dammbrüche in <strong>an</strong>deren Bereichen<br />

wehren können.<br />

Die Argumentation in der medizinischen<br />

Praxis läuft auf einer <strong>an</strong>deren<br />

Ebene: Die Verfechter der PGD wollen<br />

mit hohem Ethos Menschen helfen, und<br />

zwar Menschen, die „<strong>an</strong> der Furcht vor<br />

einem genetisch bedingt schwerstkr<strong>an</strong>ken<br />

Kind gesundheitlich zu zerbrechen<br />

drohen“ (Bundesärztekammer,<br />

Vorwort zum Richtlinienentwurf).<br />

Wenn die Hilfe für die betroffenen<br />

Menschen jedoch darin besteht, ihnen<br />

zu einem „gesunden“ eigenen Kind zu<br />

verhelfen, dient die Erzeugung (und<br />

Verwerfung) der <strong>Embryonen</strong> letztlich<br />

fremden Zwecken.<br />

Imm<strong>an</strong>uel K<strong>an</strong>t wollte dieser Verzweckung<br />

des menschlichen Lebens einen<br />

Riegel vorschieben. Eine Formulierung<br />

seines so gen<strong>an</strong>nten kategorischen<br />

Imperativs in der „Grundlegung<br />

der Metaphysik der Sitten“ lautet:<br />

„H<strong>an</strong>dle so, dass du die Menschheit in<br />

deiner Person als in der Person eines jeden<br />

<strong>an</strong>deren, jederzeit zugleich als<br />

Zweck, und niemals bloß als Mittel gebrauchst“<br />

(K<strong>an</strong>t 1991, 79). Der Mensch,<br />

und das gilt auch für das Kind und den<br />

Embryo in jedem Entwicklungsstadium,<br />

„existiert als Zweck <strong>an</strong> sich selbst“.<br />

Ein Embryo k<strong>an</strong>n deshalb nicht zum<br />

Heft 8, 2<strong>3.</strong> Februar 2001<br />

Medizinische Ethik<br />

Zu dem Beitrag „Gibt es das Recht auf ein gesundes<br />

Kind?“ von Dr. theol. Mirjam Zimmerm<strong>an</strong>n<br />

und Dr. theol. Ruben Zimmerm<strong>an</strong>n in Heft<br />

51–52/2000:<br />

Nichts für Nichtmediziner!<br />

Bei diesem Thema ist eine sachliche<br />

Diskussion geboten. Leider vermitteln<br />

die Autoren dieses Artikels durch ihre<br />

Ausdrucksweise, dass es ihnen weniger<br />

auf eine solide Bewertung der Präim-<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

Mittel der Furchtbekämpfung seiner<br />

Eltern <strong>an</strong>gesichts ihres Wunsches auf<br />

ein gesundes eigenes Kind eingesetzt<br />

werden.<br />

„Praktische Ethik“<br />

Fazit: Weder die klinische Notwendigkeit<br />

noch der Hinweis auf die Praxis in<br />

Nachbarländern können als ethisches<br />

Argument hinreichen (Hepp 2000,<br />

1221). Ebenso wenig k<strong>an</strong>n der Wunsch<br />

der Eltern nach einem gesunden Kind<br />

eine ethische Validität be<strong>an</strong>spruchen,<br />

die das Lebensrecht <strong>an</strong>deren menschlichen<br />

Lebens außer Kraft setzen könnte.<br />

Wenn m<strong>an</strong> <strong>an</strong>erkennt, dass die<br />

Schutzwürdigkeit des menschlichen<br />

Embryos vom Zeitpunkt der Fertilisation<br />

<strong>an</strong> besteht, d<strong>an</strong>n könnte das<br />

Lebensrecht des Embryos nur d<strong>an</strong>n<br />

einer positiven Güterabwägung mit<br />

den Interessen der Mutter unterworfen<br />

werden, wenn der spätere, die<br />

Straffreiheit bei Schw<strong>an</strong>gerschaftsabbruch<br />

begründende Konflikt im Analogieschluss<br />

bereits bei der PGD <strong>an</strong>tizipiert<br />

wird. Eine ethische Argumentation,<br />

die dies bejaht, stützt sich<br />

auf utilitaristische Maximen wie Interessenabwägung,<br />

Hedonismus-Prinzip<br />

und Total<strong>an</strong>sicht unter Einbeziehung<br />

noch nicht existierender Wesen. Wem<br />

diese „praktische Ethik“ <strong>an</strong>gemessen<br />

erscheint, der findet darin einen moralischen<br />

Rückhalt zur Begründung der<br />

Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik. Wer jedoch<br />

gegenüber dieser Moralphilosophie<br />

mit ihren bek<strong>an</strong>nten Konsequenzen<br />

(vgl. Peter Singers Euth<strong>an</strong>asie-Thesen)<br />

skeptisch bleibt, sollte die<br />

pl<strong>an</strong>tationsdiagnostik (PGD) – eventuell<br />

unter Einbeziehung der Erfahrungen<br />

<strong>an</strong>derer Länder – als auf eine polemische<br />

Debatte <strong>an</strong>kommt. Bereits die<br />

Überschrift „Recht auf das gesunde<br />

Kind?“ ist einer ernsthaften Debatte in<br />

einer medizinischen Zeitschrift un<strong>an</strong>gemessen.Auch<br />

die Autoren wissen<br />

natürlich, dass es bei der PGD nicht um<br />

„Gesundheit“ des Kindes schlechthin<br />

geht, sondern nur um die Vermeidung<br />

von bestimmten Kr<strong>an</strong>kheiten, die wir<br />

heute erkennen können (deren Liste<br />

ethische Argumentation in der Begründung<br />

der PGD noch einmal überdenken.<br />

Literatur<br />

1. Hare RM: Das missgebildete Kind. Moralische Dilemmata<br />

für Ärzte und Eltern. In: Leist A (Hg.): Um Leben<br />

und Tod. Moralische Probleme bei Abtreibung, künstlicher<br />

Befruchtung, Euth<strong>an</strong>asie und Selbstmord,<br />

Fr<strong>an</strong>kfurt a. M.: Suhrkamp, <strong>3.</strong> Aufl. 1992; 374–383<br />

(zuerst: The Abnormal Child: Moral Dilemmas of Doctors<br />

<strong>an</strong>d Parents, <strong>Dokumentation</strong> in Medical Ethics 3,<br />

1974).<br />

2. Hepp H: Diskussionsentwurf zu einer Richtlinie der<br />

Bundesärztekammer: Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik –<br />

medizinische, ethische und rechtliche Aspekte, Dt<br />

Ärztebl 2000; 97: A-1213–1221 [Heft 18].<br />

<strong>3.</strong> Höffe O: Einführung in die utilitaristische Ethik, Tübingen,<br />

²1992.<br />

4. K<strong>an</strong>t I: Grundlegung der Metaphysik der Sitten (1785),<br />

Stuttgart, 1991.<br />

5. Ministerium der Justiz Rheinl<strong>an</strong>d-Pfalz (Hg.): Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik.<br />

Thesen zu den medizinischen,<br />

rechtlichen und ethischen Problemstellungen.<br />

Bericht der Bioethik-Kommission des L<strong>an</strong>des Rheinl<strong>an</strong>d-Pfalz<br />

vom 20. Juni 1999, Alzey, 1999.<br />

6. Singer P: Praktische Ethik. Neuausgabe, Stuttgart:<br />

Reclam, 1994 (orig. Cambridge 1993).<br />

7. Zimmerm<strong>an</strong>n M, Zimmerm<strong>an</strong>n R: Präferenz-Utilitarismus.<br />

Zur Neuausgabe der „Praktischen Ethik“ von Peter<br />

Singer, Zeitschrift für Ev<strong>an</strong>gelische Ethik 40 (1996),<br />

295–307.<br />

8. Zimmerm<strong>an</strong>n M: Geburtshilfe als Sterbehilfe? Zur<br />

Beh<strong>an</strong>dlungsentscheidung bei schwerstgeschädigten<br />

Neugeborenen und Frühgeborenen, Fr<strong>an</strong>kfurt a. M.<br />

u. a., 1997.<br />

9. Zimmerm<strong>an</strong>n M, Zimmerm<strong>an</strong>n R: Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik:<br />

Ch<strong>an</strong>ce oder Irrweg?, Zeitschrift für Ev<strong>an</strong>gelische<br />

Ethik 45 (2001), 47–57.<br />

❚ Zitierweise dieses Beitrags:<br />

Dt Ärztebl 2000; 97: A 3487–3489 [Heft 51–52]<br />

Anschrift der Verfasser:<br />

Dr. theol. Mirjam Zimmerm<strong>an</strong>n<br />

Dr. theol. Ruben Zimmerm<strong>an</strong>n<br />

Nadlerstraße 17<br />

69226 Nußloch<br />

E-Mail: ir8@ix.urz.uni-heidelberg.de<br />

mit der Zeit sicherlich zunehmend länger<br />

werden wird).Auch geht es nicht<br />

um „kr<strong>an</strong>ke“ <strong>Embryonen</strong>, sondern um<br />

solche mit früh erkennbaren genetischen<br />

Schäden. Polemisch ist auch die<br />

Behauptung, mit der Erlaubnis der<br />

PGD würde einer weitergehenden Eugenik<br />

Tür und Tor geöffnet. Jede medizinisch-technische<br />

Entwicklung hat ihre<br />

Missbrauchsmöglichkeiten. Gab es<br />

nicht auch ernsthafte Menschen, die vor<br />

den Gefahren der Narkose gewarnt haben?<br />

✁<br />

59


Die Ansicht, die PGD missachte ethische<br />

Normen unserer Gesellschaft,<br />

missachtet gröblich die Einzelschicksale<br />

betroffener Eltern und Kinder.Wer<br />

k<strong>an</strong>n sich das Recht nehmen, sich über<br />

die Sorgen der Betroffenen hinwegzusetzen.<br />

Ich denke, dass in unserer Gesellschaft<br />

das Wohl des Einzelnen das<br />

höchste Gut ist. Oder wollen wir tatsächlich<br />

wieder eine Unterordnung des<br />

Individualwohls unter den gesellschaftlichen<br />

Nutzen? Das hat, gleich unter<br />

welchem Vorzeichen, das freiheitliche<br />

Denken noch nie gefördert.<br />

Beispielhaft zeigt dieser Artikel das Dilemma<br />

der Ethik der Naturwissenschaften<br />

auf: sie k<strong>an</strong>n nicht selbst Neues erschaffen,<br />

sondern k<strong>an</strong>n nur wissenschaftliche<br />

Ergebnisse <strong>an</strong>derer Wissenschaften<br />

bewerten. Die Basis der Bewertung bleibt<br />

oft unklar, so auch in diesem Artikel.Wie<br />

ein Journalist sucht der Ethiker Beispiele<br />

aus der Literatur, die seinen St<strong>an</strong>dpunkt<br />

untermauern, ohne ein Für und Wider<br />

umfassend zu berücksichtigen. Dazu<br />

gehören auch abschreckende Beispiele<br />

von Autoren, die über das jeweilige Ziel<br />

hinaus gedacht haben, wie der in diesem<br />

Artikel zitierte Autor Singer.<br />

Ich plädiere dafür, Fragen der medizinischen<br />

Ethik nicht in die Hände von<br />

Nichtmedizinern zu legen. Diejenigen,<br />

die eine Entwicklung vor<strong>an</strong>treiben, sind<br />

ver<strong>an</strong>twortlich für deren Richtung,<br />

denn nur sie kennen die Möglichkeiten,<br />

die in dieser Entwicklung stecken. Diese<br />

Wissenschaftler müssen sich über die<br />

ethischen Auswirkungen ihrer Technik<br />

Ged<strong>an</strong>ken machen. Die Delegation <strong>an</strong><br />

Ethiker gleich welcher Herkunft, die<br />

sich mühsam mit der Anwendung solcher<br />

Techniken vertraut machen müssen,<br />

bedeutet fast immer einen Schritt<br />

zurück. Es bedeutet auch, wichtige<br />

Aspekte der Wissenschaft aus der H<strong>an</strong>d<br />

zu geben.<br />

Prof. Dr. med. W. Krause, Klinik für Andrologie und<br />

Venerologie, Universitäts-Hautklinik,<br />

Deutschhausstraße 9, 35037 Marburg<br />

Menschenwürde<br />

nicht t<strong>an</strong>giert<br />

Ich empfehle den Autoren, die Frage<br />

einmal umgestellt zu diskutieren: Gibt<br />

es das Recht des Kindes auf Gesund-<br />

60<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

heit? Ich denke, die Theologen werden<br />

mit ihrem insinuiertem „Hedonismus-<br />

Prinzip“ Schwierigkeiten bekommen. In<br />

der Tat: Die Deutschen holen in der<br />

Gen-Technik auf. Das ist erfreulich und<br />

auch notwendig, denn Engländer und<br />

Fr<strong>an</strong>zosen sind schon weiter.Wir haben<br />

die reelle Ch<strong>an</strong>ce, die Vererbung<br />

furchtbarer Kr<strong>an</strong>kheiten und Missbildungen<br />

zu vermeiden.Wenn das gelänge,<br />

welch ein Segen und welch ein Triumph<br />

für die biomedizinische <strong>Forschung</strong>!<br />

Die Einsprüche und Bedenken der Moralisten<br />

aller Konfessionen können den<br />

wissenschaftlichen Fortschritt allenfalls<br />

verzögern, aber ihn nicht aufhalten. Der<br />

ethische Diskurs ist ein Faktum, er mag<br />

die <strong>Forschung</strong> begleiten, aber er soll sie<br />

nicht behindern. Die Menschenwürde,<br />

von der stets die Rede ist, wird durch die<br />

Impl<strong>an</strong>tationstechnik nicht t<strong>an</strong>giert,<br />

wenngleich die Wertvorstellungen von<br />

L<strong>an</strong>d zu L<strong>an</strong>d, von Kontinent zu Kontinent<br />

unterschiedlich bleiben werden.<br />

Der Gesetzgeber ist nun aufgefordert,<br />

eindeutige und verbindliche Regeln zu<br />

treffen. Im Gesetz soll sich die vertretbare<br />

(nicht die wahre oder falsche)<br />

Bioethik wiederfinden. Schiller im Wallenstein:<br />

„Das g<strong>an</strong>z Gemeine ist’s, das<br />

ewig Gestrige, was immer war und immer<br />

wiederkehrt, und morgen gilt, weil’s<br />

heute hat gegolten ...“<br />

Dr. Alfons Werner Reuke, Sommerhalde 42, 71672<br />

Marbach am Neckar<br />

Eugenische Selektion?<br />

Als Eltern von drei Kindern, darunter<br />

eines mit Down-Syndrom, sehen wir<br />

mit zunehmender Sorge die Entwicklung<br />

auf dem Gebiet der Pränataldiagnostik.<br />

Unter der Ehrfurcht gebietenden<br />

Maske der „Medizinischen Indikation“<br />

kommt die altbek<strong>an</strong>nte Fratze der<br />

eugenischen Selektion zum Vorschein.<br />

Es ist erschreckend, wie gelassen und<br />

routiniert Spätabtreibungen von Feten<br />

mit Trisomie 21 abgewickelt und inzwischen<br />

kaum noch hinterfragt werden.<br />

Leider ist es so, dass Frauen oftmals zu<br />

einer Amniozentese gedrängt werden<br />

(mit allen fatalen Konsequenzen),<br />

Frauen, die einem solchen Eingriff <strong>an</strong>f<strong>an</strong>gs<br />

vielleicht unentschlossen oder gar<br />

ablehnend gegenüberst<strong>an</strong>den („Ich<br />

empfehle Ihnen eine Fruchtwasseruntersuchung.“).<br />

Es wird der Anschein erweckt,<br />

die Amniozentese sei Best<strong>an</strong>dteil<br />

einer modernen Schw<strong>an</strong>gerschaftsvorsorge<br />

(für Frauen ab 35). Etwas<br />

mehr Sorgsamkeit seitens der „beratenden“<br />

Ärzte wäre hier <strong>an</strong>gebracht. Diese<br />

sind m<strong>an</strong>gels eigener Anschauung und<br />

Reflexion vielfach nicht in der Lage, die<br />

liebenswerte Individualität eines Kindes<br />

mit Down-Syndrom zu würdigen.<br />

Die Entscheidung zur Spätabtreibung<br />

demonstriert scheinbar Selbstbestimmung,<br />

verheißt Befreiung und Ungebundenheit,<br />

entlässt die Betroffenen<br />

aber häufig in schwere Krisen, die, auch<br />

wenn m<strong>an</strong> sie aus eigener Kraft überwunden,<br />

pharmakologisch gemeistert<br />

oder psychotherapeutisch ausbeh<strong>an</strong>delt<br />

glaubt, doch Narben im Gemüt hinterlassen.<br />

Unser Erleben in der Familie<br />

und die Erfahrung vieler Eltern zeigen<br />

g<strong>an</strong>z klar, dass es durchaus Sinn macht<br />

und tiefe Freude bereitet, teilnehmend<br />

die Entwicklung eines Down-Kindes zu<br />

begleiten, unterstützt durch vielfältige<br />

und hervorragende Fördermöglichkeiten.<br />

Das Down-Syndrom lässt sich eben<br />

nicht auf die Auflistung typischer Stigmata<br />

reduzieren ...Kein unbedeutender<br />

Lichtblick in einer Welt, die in vielen<br />

Bereichen als kalt, abweisend und<br />

hart empfunden wird. Es mag schon<br />

sein, dass ein Mensch mit Down-Syndrom<br />

außerst<strong>an</strong>de ist, die Anforderungen<br />

unserer Leistungsgesellschaft zu erfüllen.<br />

K<strong>an</strong>n dies aber seine vorgeburtliche<br />

Tötung in irgendeiner Weise<br />

rechtfertigen?<br />

Dres. med. Isabel und Christoph Starz, Valentin-<br />

Becker-Straße 2, 97769 Bad Brückenau


<strong>3.</strong>, <strong>erweiterte</strong> Auflage<br />

der <strong>Dokumentation</strong><br />

<strong>PID</strong>, <strong>PND</strong>, <strong>Forschung</strong><br />

<strong>an</strong> <strong>Embryonen</strong><br />

Aufsätze<br />

Berichte<br />

Diskussionsbeiträge<br />

Kommentare<br />

im Deutschen Ärzteblatt<br />

Beiträge aus 2001<br />

www.aerzteblatt.de/dossiers/embryonenforschung


V O R W O R T<br />

Als das Deutsche Ärzteblatt im Jahr 2002 seine<br />

<strong>erweiterte</strong> <strong>Dokumentation</strong> zu embryonaler<br />

Stammzellforschung, pränataler Diagnostik<br />

(<strong>PND</strong>) und Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

(<strong>PID</strong>) vorlegte, war die Diskussion über diese<br />

Themen in vollem G<strong>an</strong>ge. Ein Ende ist nach wie<br />

vor nicht in Sicht. Ausgelöst wurde der öffentliche<br />

Diskurs durch den vom Vorst<strong>an</strong>d der Bundesärztekammer<br />

vorgelegten „Diskussionsentwurf<br />

zu einer Richtlinie zur Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik“<br />

im März 2000.<br />

Von Anf<strong>an</strong>g <strong>an</strong> hat sich das Deutsche Ärzteblatt<br />

<strong>an</strong> der Debatte beteiligt und die unterschiedlichsten<br />

Stimmen zu Wort kommen lassen. In einem<br />

Sonderdruck aus dem Jahr 2001 wurden diese<br />

Beiträge, beginnend mit dem Diskussionsentwurf,<br />

zusammengefasst. Unmerklich verlagerte<br />

sich der Schwerpunkt d<strong>an</strong>n von der Diskussion<br />

über die Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik zur <strong>Forschung</strong><br />

<strong>an</strong> und mit <strong>Embryonen</strong> und zur Gewin-<br />

nung von Stammzellen. Die<br />

Meinungsbildung in der Ärzteschaft<br />

spiegelt sich in der<br />

Berichterstattung und Kommentierung<br />

des Deutschen<br />

Ärzteblattes wider,wie die ein<br />

Jahr später publizierte Materialsammlung beweist.Auch<br />

dieser Sonderdruck war – ebenso wie<br />

die erste Auflage – schnell vergriffen.<br />

Inzwischen sind im Deutschen Ärzteblatt zahlreiche<br />

weitere Beiträge zu der Thematik erschienen.<br />

Darin wird deutlich, dass nach wie vor großer<br />

Diskussionsbedarf besteht. So berichtete das DÄ<br />

beispielsweise über die Beschlusslage zur internationalen<br />

Klonkonvention. Bisher gibt es noch keine<br />

Einigung.Im November 2003 gingen die Vertreter<br />

der UN-Mitgliedstaaten ergebnislos ausein<strong>an</strong>der,<br />

sie verschoben die Verh<strong>an</strong>dlungen um weitere<br />

zwei Jahre. Es geht immer noch um die Frage, ob<br />

nur das reproduktive Klonen oder auch das therapeutische<br />

Klonen weltweit geächtet werden<br />

soll. Inzwischen ist es einem Team der südkore<strong>an</strong>ischen<br />

Nationaluniversität Seoul gelungen,<br />

menschliche <strong>Embryonen</strong> zu klonen. Als „Durchbruch<br />

in der Medizin“ haben die Forscher ihr Ex-<br />

Ein Ende der Diskussion<br />

über Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

und <strong>Embryonen</strong>forschung<br />

ist nicht in Sicht.<br />

62<br />

Dossier zur <strong>Embryonen</strong>forschung<br />

<strong>PID</strong>, <strong>PND</strong>, <strong>Forschung</strong> <strong>an</strong><br />

<strong>Embryonen</strong><br />

Das Deutsche Ärzteblatt gibt eine <strong>erweiterte</strong> <strong>Dokumentation</strong><br />

heraus, die im Internet abgerufen werden k<strong>an</strong>n.<br />

periment bezeichnet. Auf seiner Basis wollen sie<br />

Ersatzgewebe „therapeutisch klonen“, um Kr<strong>an</strong>ke<br />

zu heilen. Für Kritiker ist dieser Menschenversuch<br />

Anlass, noch vehementer ein internationales Klonverbot<br />

zu fordern. Doch die Haltung Deutschl<strong>an</strong>ds<br />

ist uneinheitlich. Während sich der Bundestag für<br />

ein absolutes Klonverbot ausgesprochen hatte,<br />

unterstützte die Regierung dies nicht. Während<br />

Bundesforschungsministerin Edelgard Bulmahn<br />

betonte, dass das therapeutische Klonen in<br />

Deutschl<strong>an</strong>d verboten sei und<br />

es auch bleibe, sprach sich<br />

Bundesjustizministerin Brigitte<br />

Zypries vor kurzem für<br />

eine Lockerung des <strong>Embryonen</strong>schutzgesetzes<br />

aus. Dies<br />

stieß auf teilweise scharfe Kritik<br />

aus der Ärzteschaft, bei Kirchen, aber auch Politikern.Ausführlich<br />

berichtet wurde im Deutschen<br />

Ärzteblatt auch über die Pläne der EU-Kommission,<br />

die <strong>Forschung</strong> <strong>an</strong> embryonalen Stammzellen<br />

mit Milliardensummen fin<strong>an</strong>ziell zu fördern.<br />

Im Bereich der pränatalen Diagnostik besteht<br />

ebenfalls weiterhin Klärungsbedarf. So werden<br />

zunehmend Forderungen erhoben, die Abtreibungsregelung<br />

zu ändern, da durch den Wegfall<br />

der embryopathischen Indikation Spätabtreibungen<br />

bis zur Geburt möglich geworden sind.<br />

Die Beiträge der DÄ-Redakteurinnen und<br />

-Redakteure zu diesen Themen sowie Aufsätze<br />

und Kommentare von Ärzten, Wissenschaftlern<br />

und Theologen mit teilweise konträren Ansichten<br />

sind in dieser <strong>erweiterte</strong>n <strong>Dokumentation</strong> veröffentlicht.<br />

Sie ist inzwischen so umf<strong>an</strong>greich geworden,<br />

dass eine Publikation als Sonderdruck<br />

den Rahmen sprengen würde, sodass sich die Redaktion<br />

entschlossen hat, sie online zu veröffentlichen.<br />

Zusätzlich können unter <strong>an</strong>derem<br />

auch der Diskussionsentwurf zu einer Richtlinie<br />

zur Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik, wichtige Gesetze,<br />

wie das <strong>Embryonen</strong>schutzgesetz und das<br />

Stammzellgesetz, Positionspapiere und Stellungnahmen<br />

sowie die Entschließungen der Deutschen<br />

Ärztetage zu dieser Thematik abgerufen<br />

werden. Gisela Klinkhammer<br />

Die Meinungsbildung in der<br />

Ärzteschaft spiegelt sich in<br />

der Berichterstattung und<br />

Kommentierung des Deutschen<br />

Ärzteblattes wider.


Als der Vorst<strong>an</strong>d der Bundesärztekammer<br />

den „Diskussionsentwurf zu einer<br />

Richtlinie zur Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik“<br />

vorlegte, rief er zugleich zu einem<br />

öffentlichen Diskurs auf. Der läuft seit<br />

nunmehr rund eineinhalb Jahren und<br />

hat einen kaum noch fassbaren Niederschlag<br />

in der Presse gefunden. Inzwischen<br />

bringen auch Funk und Fernsehen<br />

fast täglich Diskussionen nicht mehr<br />

nur zur Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

(<strong>PID</strong>), sondern auch zur <strong>Embryonen</strong>forschung.<br />

Das Deutsche Ärzteblatt hat sich<br />

von Anf<strong>an</strong>g <strong>an</strong> <strong>an</strong> dem Diskurs beteiligt<br />

und die unterschiedlichsten Stimmen<br />

zu Wort kommen lassen. In diesem<br />

Sonderdruck sind diese Beiträge, beginnend<br />

mit dem Diskussionsentwurf,<br />

zusammengefasst. Die Redaktion hat<br />

sich sehr um Vollständigkeit bemüht,<br />

gleichwohl k<strong>an</strong>n nicht ausgeschlossen<br />

werden, dass vielleicht ein Leserbrief<br />

oder eine kleinere Notiz fehlen. Die<br />

Diskussion ist im Übrigen keineswegs<br />

abgeschlossen. Weitere Beiträge für<br />

spätere Hefte des Deutschen Ärzteblattes<br />

sind in Satz – Stoff genug für eine<br />

allfällige <strong>erweiterte</strong> Auflage des Sonderdrucks.<br />

Der <strong>Dokumentation</strong> der im Deutschen<br />

Ärzteblatt erschienenen Beiträge<br />

sind vor<strong>an</strong>gestellt ein Interview mit dem<br />

Präsidenten der Bundesärztekammer<br />

und des Deutschen Ärztetages, geführt<br />

im Vorfeld des in diesen Tagen beginnenden<br />

104. Deutschen Ärztetages, sowie<br />

der Bericht über die einschlägige<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

Vorwort zur 1. Auflage<br />

Beiträge zum Diskurs<br />

Diskussion beim vor<strong>an</strong>geg<strong>an</strong>genen 10<strong>3.</strong><br />

Deutschen Ärztetag.<br />

Im Grunde genommen müsste eine<br />

vollständige <strong>Dokumentation</strong> über die<br />

Auffassungen der Ärzteschaft in der mit<br />

Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik zusammenhängenden<br />

Thematik weitaus früher beginnen,<br />

zumindest mit dem 88. Deutschen<br />

Ärztetag, der 1985 in Lübeck-Travemünde<br />

seine Haltung zur In-vitro-Fertilisation<br />

(IVF) formulierte. Bereits damals<br />

wurden die daraus entstehenden<br />

Probleme der <strong>Embryonen</strong>forschung klar<br />

erk<strong>an</strong>nt, der Umg<strong>an</strong>g mit den so gen<strong>an</strong>nten<br />

überzähligen <strong>Embryonen</strong> diskutiert.<br />

Der Ärztetag sprach sich schließlich<br />

mit großer Mehrheit zugunsten von IVF<br />

aus. Zur <strong>Embryonen</strong>forschung stellte er<br />

fest: „Experimente mit <strong>Embryonen</strong> sind<br />

grundsätzlich abzulehnen, soweit sie<br />

nicht der Verbesserung der Methode<br />

oder dem Wohle des Kindes dienen.“<br />

Diese Formulierung war ein wenig strenger<br />

als die Vorst<strong>an</strong>dsvorlage, entsprach<br />

aber noch einer zugleich vorgelegten<br />

Richtlinie des Wissenschaftlichen Beirates<br />

der Bundesärztekammer zur IVF (veröffentlicht<br />

in Heft 22/1985), die der Ärztetag<br />

pauschal „begrüßte“. In einer weiteren<br />

Richtlinie äußerte sich der Wissenschaftliche<br />

Beirat später, ohne Zutun des<br />

Ärztetages, zur <strong>Forschung</strong> <strong>an</strong> frühen<br />

menschlichen <strong>Embryonen</strong> (veröffentlicht<br />

in Heft 50/1985). D<strong>an</strong>ach dürfen<br />

menschliche <strong>Embryonen</strong> „grundsätzlich“<br />

nicht mit dem Ziel der Verwendung<br />

zu <strong>Forschung</strong>szwecken erzeugt werden.<br />

Mit der Formel „grundsätzlich“ wurden<br />

Impressum <strong>Dokumentation</strong> „<strong>PID</strong>, <strong>PND</strong>, <strong>Forschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Embryonen</strong>“<br />

Chefredakteur: Norbert Jachertz, Köln<br />

(ver<strong>an</strong>twortlich für den Gesamtinhalt im Sinne der<br />

gesetzlichen Bestimmungen)<br />

Chefs vom Dienst: Gisela Klinkhammer, Herbert Moll<br />

Redaktion: Norbert Jachertz, Gisela Klinkhammer, Michael Schmedt (Internet)<br />

Technische Redaktion: Jörg Kremers, Michael Peters<br />

Schlussredaktion: Helmut Werner<br />

Verlag: Deutscher Ärzte-Verlag GmbH, Köln<br />

erhebliche Sp<strong>an</strong>nungen innerhalb des<br />

Beirates zu dieser Frage überdeckt. Die<br />

Richtlinien sprechen sich hingegen eindeutig<br />

für Untersuchungen, die der<br />

Verbesserung der Lebensbedingungen<br />

des jeweiligen Embryos und gleichzeitig<br />

dem wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn<br />

dienen,aus,sofern Nutzen und Risiken<br />

mitein<strong>an</strong>der sorgfältig abgewogen<br />

werden.<br />

Der 91. Deutsche Ärztetag beschloss<br />

1988 in Fr<strong>an</strong>kfurt eine Änderung der<br />

(Muster-)Berufsordnung. Die Delegierten<br />

entschieden sich für einen Mittelweg:<br />

Die Erzeugung von <strong>Embryonen</strong> für<br />

<strong>Forschung</strong>szwecke wurde untersagt und<br />

dem ein weiterer Satz hinzugefügt:<br />

„Grundsätzlich verboten ist auch die<br />

<strong>Forschung</strong> <strong>an</strong> menschlichen <strong>Embryonen</strong>.“<br />

Bei Einhaltung strikter Kriterien<br />

wurden allerdings <strong>Forschung</strong>en für<br />

zulässig gehalten,sofern sie der Deklaration<br />

von Helsinki entsprechen.<br />

Machen wir einen Sprung zum 100.<br />

Deutschen Ärztetag 1997 in Eisenach.<br />

Die damals neu strukturierte, bis heute<br />

geltende (Muster-)Berufsordnung verbietet<br />

gleichfalls die Erzeugung von menschlichen<br />

<strong>Embryonen</strong> zu <strong>Forschung</strong>szwecken.Verboten<br />

sind ferner diagnostische<br />

Maßnahmen <strong>an</strong> <strong>Embryonen</strong>, „es sei<br />

denn, es h<strong>an</strong>delt sich um Maßnahmen<br />

zum Ausschluss schwerwiegender geschlechtsgebundener<br />

Erkr<strong>an</strong>kungen im<br />

Sinne § 3 <strong>Embryonen</strong>schutzgesetz“.<br />

Und das gehört der Vollständigkeit<br />

halber dazu: Seit 1991 gilt das <strong>Embryonen</strong>schutzgesetz<br />

mit seinen strengen<br />

Regeln – strengeren als sie 1985 von der<br />

ärztlichen Selbstverwaltung und ihren<br />

wissenschaftlichen Beratern formuliert<br />

worden waren. Norbert Jachertz<br />

63


64<br />

I N H A L T<br />

<strong>Dokumentation</strong> in chronologischer Reihenfolge<br />

Vorwort zur <strong>3.</strong> Auflage:<br />

<strong>PID</strong>, <strong>PND</strong>, <strong>Forschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Embryonen</strong> . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62<br />

Vorwort zur 1. Auflage:<br />

Beiträge zum Diskurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63<br />

Beiträge aus dem Jahr 2001<br />

Medizinische Ethik:<br />

Weiterhin Diskussionsbedarf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65<br />

Gisela Klinkhammer<br />

<strong>Embryonen</strong>schutz: Englische Verführung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65<br />

Norbert Jachertz<br />

Bioethik: CDU lotet noch Grenzen aus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67<br />

Meinungsaustausch mit dem Bundesk<strong>an</strong>zler:<br />

Kurskorrekturen bei den Budgets im Gespräch. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68<br />

Sabine Rieser<br />

Gentechnik: Der Zweck heiligt die Mittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69<br />

Dr. med. Eva A. Richter<br />

Medizinethik: Irritationen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70<br />

Gisela Klinkhammer<br />

Fortpfl<strong>an</strong>zungsmedizin:<br />

Die Gewichte verschieben sich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70<br />

Dr. med. Eva A. Richter<br />

Medizinische Ethik: Auf Schlingerkurs. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71<br />

Gisela Klinkhammer<br />

Biomedizin: Kein „Hirtenwort“,<br />

sondern Diskussions<strong>an</strong>stoß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72<br />

Dr. med. Eva A. Richter<br />

Bischofskonferenz:<br />

Warnung vor Missbrauch der Gentechnik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73<br />

Gisela Klinkhammer<br />

Ärztinnenbund: Dammbruch befürchtet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73<br />

Fortschritt der Biomedizin:<br />

Die Politik steht vor der Quadratur des Kreises . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74<br />

Andreas Kuhlm<strong>an</strong>n<br />

<strong>PID</strong>: „Glasklare Regelung“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77<br />

Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik: G<strong>an</strong>z am Anf<strong>an</strong>g . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78<br />

Dr. med. Eva A. Richter<br />

Einmal Gott spielen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78<br />

Streit um die <strong>Embryonen</strong>:<br />

Was tun, wenn m<strong>an</strong> sich nicht einigen k<strong>an</strong>n? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79<br />

Prof. Dr. med. Dr. phil. Urb<strong>an</strong> Wiesing<br />

<strong>Embryonen</strong>forschung in Europa:<br />

Gesundheit ist nicht das höchste Gut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81<br />

Prof. Dr. theol. Ulrich Eibach<br />

Diskussion: Gesundheit ist nicht das höchste Gut . . . . . . . . . . . . . . . . 83<br />

<strong>PID</strong>: „Ein Verfahren zur Selektion“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84<br />

<strong>PID</strong>: Motivsuche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85<br />

Dr. med. Fr<strong>an</strong>k Ulrich Montgomery<br />

Diskussion: <strong>PID</strong>: Motivsuche. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86<br />

Zum 104. Deutschen Ärztetag:<br />

„Eine Sieger-Besiegten-Stimmung darf nicht aufkommen“. . . 87<br />

DÄ-Interview mit Prof. Dr. med. Jörg-Dietrich Hoppe<br />

Gestaffeltes Schutzkonzept. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89<br />

Dr. jur. Tade M. Spr<strong>an</strong>ger<br />

104. Deutscher Ärztetag: Gesp<strong>an</strong>ntes Abwarten. . . . . . . . . . . . . . . . . . 89<br />

Norbert Jachertz<br />

Gesundheits- und Sozialpolitik:<br />

Freiheit und Ver<strong>an</strong>twortung in der modernen Medizin. . . . . . . . . 90<br />

TOP I: Ethik: Die Unverfügbarkeit menschlichen Lebens . . . . . . . 92<br />

Gisela Klinkhammer<br />

Entschließungen:<br />

Gesundheits-, Sozial- und ärztliche Berufspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . 94<br />

Diskussion: 104. Deutscher Ärztetag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95<br />

Gentechnikdebatte im Bundestag: Wo ist die Grenze? . . . . . . . . . 97<br />

Gisela Klinkhammer<br />

Embryonale Stammzellforschung: Die Mech<strong>an</strong>ismen<br />

entschlüsseln und auf adulte Zellen <strong>an</strong>wenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99<br />

DÄ-Interview mit Prof. Dr. med. Oliver Brüstle<br />

Bioethik-Diskussion: Gespaltene Fraktionen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101<br />

Dr. med. Eva A. Richter<br />

Stammzellen: Was Forscher wollen, was sie dürfen. . . . . . . . . . . . . . 102<br />

Dr. med. Peter Bartm<strong>an</strong>n<br />

Embryonale Stammzellen:<br />

Entscheidung über Import vertagt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104<br />

Gisela Klinkhammer, Dr. med. Eva A. Richter<br />

<strong>Embryonen</strong>schutz:<br />

Keine Entscheidung ohne qualifizierte Beratung . . . . . . . . . . . . . . . 106<br />

Priv.-Doz. Dr. med. Wolfram Henn et al.<br />

Stammzellforschung: „Ethik des Heilens“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108<br />

Gisela Klinkhammer<br />

Hum<strong>an</strong>ismusstreit: Vom Überschreiten des Rubikon. . . . . . . . . . . 108<br />

Gisela Klinkhammer<br />

Embryonale Stammzellforschung:<br />

Unterschiedliche Wertvorstellungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110<br />

Gisela Klinkhammer<br />

Deutsche Bischofskonferenz: Kein „Zellhaufen“ . . . . . . . . . . . . . . . . 111<br />

Gisela Klinkhammer<br />

Reproduktionsmedizin:<br />

Fachgesellschaften für klare Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111<br />

Dr. Renate Leinmüller<br />

Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik: Anf<strong>an</strong>g ohne Ende . . . . . . . . . . . . . . . . 112<br />

Stammzellen-Import: Signal auf Stopp . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113<br />

Dr. med. Eva A. Richter<br />

Stammzellen-Import: Druck von allen Seiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113<br />

Dr. med. Eva A. Richter<br />

Stammzellforschung: Perfektes Timing. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114<br />

Norbert Jachertz<br />

Stammzellforschung (I):<br />

Abschied von der Menschenwürde? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115<br />

Priv.-Doz. Dr. med. S<strong>an</strong>tiago Ewig<br />

<strong>Dokumentation</strong>: Stellungnahme der Zentralen<br />

Ethikkommission zur Stammzellforschung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118<br />

Stammzellforschung (II):<br />

Menschenrecht auf Gesundheit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119<br />

Prof. Dr. theol. Hartmut Kreß


Heft 1–2, 8. J<strong>an</strong>uar 2001<br />

Medizinische Ethik<br />

Weiterhin<br />

Diskussionsbedarf<br />

Die Niederländer legalisieren die<br />

aktive Sterbehilfe, in Großbrit<strong>an</strong>nien<br />

ist soeben das therapeutische<br />

Klonen genehmigt worden, in zahlreichen<br />

europäischen Staaten ist die<br />

Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik erlaubt. In<br />

Deutschl<strong>an</strong>d sind sich Ärzte und Politiker<br />

weitgehend einig: Es soll nicht alles<br />

erlaubt werden, was möglich ist. So will<br />

zum Beispiel Bundesgesundheitsministerin<br />

Andrea Fischer die Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

(preimpl<strong>an</strong>tation genetic<br />

diagnosis = PGD) unmissverständlich<br />

in einem neuen Fortpfl<strong>an</strong>zungsmedizingesetz<br />

verbieten. Dies soll das bisher<br />

geltende <strong>Embryonen</strong>schutzgesetz<br />

ablösen. In G<strong>an</strong>g gesetzt wurde die Diskussion<br />

über diese Methode der<br />

vorgeburtlichen Diagnostik durch einen<br />

von der Bundesärztekammer vorgelegten,<br />

von deren Wissenschaftlichem<br />

Beirat ausgearbeiteten „Diskussionsentwurf<br />

zu einer Richtlinie zur Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik“.<br />

Nach dem Entwurf<br />

k<strong>an</strong>n eine streng auf den Einzelfall<br />

bezogene Indikationsstellung zur PGD<br />

infrage kommen. Das Spektrum möglicher<br />

Indikationen ist äußerst eng gefasst<br />

und bezieht sich ausschließlich auf<br />

Paare, bei deren Nachkommen nachgewiesenermaßen<br />

ein hohes Risiko für eine<br />

schwerwiegende, genetisch bedingte<br />

Erkr<strong>an</strong>kung besteht.<br />

Das Bundesgesundheitsministerium<br />

lehnt eine Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

dagegen unter <strong>an</strong>derem deswegen ab,<br />

weil die Gefahr bestehe, dass in der Gesellschaft<br />

eine Erwartungshaltung für<br />

gesunde Kinder entstehen könnte und<br />

es Eltern schwer gemacht werde, sich<br />

für ein behindertes Kind zu entscheiden.<br />

Auch in der Bundesärztekammer<br />

(BÄK) sei die Meinungsbildung über<br />

die Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik keineswegs<br />

abgeschlossen, betont deren Prä-<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

Die deutschen Ärzte sind sich weitgehend einig. Die Gesetze<br />

sollten nicht alles erlauben, was medizinisch möglich ist.<br />

sident, Prof. Dr. med. Jörg-Dietrich<br />

Hoppe. Vielmehr habe die BÄK die<br />

Diskussion <strong>an</strong>geregt, um zu entscheiden,<br />

ob und inwieweit die PGD in<br />

Deutschl<strong>an</strong>d Anwendung finden soll.<br />

Ein Argument, das für die Anwendung<br />

der PGD <strong>an</strong>geführt wird, ist, dass sie<br />

Spätabtreibungen verhindern könnte.<br />

Bei festgestellter Behinderung nach<br />

pränataler Diagnostik sind derzeit aufgrund<br />

der medizinischen Indikation<br />

Abtreibungen bis zum Ende der<br />

Schw<strong>an</strong>gerschaft möglich. Dazu erklärte<br />

Andrea Fischer, dass es zwischen den<br />

beteiligten Ministerien und dem Bundestag<br />

Arbeitsgruppen gebe, die sich<br />

mit dieser Problematik beschäftigten.<br />

„Dort wird darüber nachgedacht, dass<br />

Spätabtreibungen nur in bestimmten<br />

Zentren gemacht werden sollen, mit<br />

entsprechender vorheriger Beratung.<br />

Dies soll Spätabtreibungen sehr stark<br />

einschränken.“<br />

Auch zum therapeutischen Klonen,<br />

das durch das <strong>Embryonen</strong>schutzgesetz<br />

(ESchG) verboten ist, fordert Hoppe eine<br />

gesellschaftliche Diskussion. Eine<br />

Lockerung des ESchG hält er für den<br />

falschen Weg. Es müsste vielmehr geklärt<br />

werden, ob nicht auch mit körpereigenen<br />

erwachsenen Stammzellen<br />

neue Therapien für bisher unheilbare<br />

Kr<strong>an</strong>kheiten entwickelt werden könnten.<br />

Nach Hoppes Überzeugung wird<br />

das Klonen von <strong>Embryonen</strong> erhebliche<br />

Auswirkungen auf „unser Verständnis<br />

von Menschenwürde und schützenswertem<br />

Leben“ haben. Ministerin Fischer<br />

teilt diese Auffassung: „Wenn wir die<br />

<strong>Forschung</strong> <strong>an</strong> embryonalen Stammzellen<br />

erlauben, würde dies den Einstieg in<br />

die Produktion überzähliger <strong>Embryonen</strong><br />

bedeuten. Das ist zurzeit aber nicht<br />

erlaubt, und ich meine auch nicht, dass<br />

wir diesen Weg gehen sollten.“ Sie<br />

räumt aber ebenso wie die CDU-Parteivorsitzende<br />

Angela Merkel ein, dass es<br />

eine Grauzone im ESchG gibt: Im Ausl<strong>an</strong>d<br />

gewonnene embryonale Stammzellen<br />

können nach Deutschl<strong>an</strong>d importiert<br />

werden. „Trotzdem k<strong>an</strong>n sich ein<br />

L<strong>an</strong>d dafür entscheiden, dass es <strong>an</strong> dieser<br />

Erforschung nicht <strong>an</strong> vorderster<br />

Stelle teilnimmt, die Ergebnisse später<br />

jedoch nutzt“, sagte Merkel.<br />

In den Niederl<strong>an</strong>den hat Ende November<br />

2000 das Parlament ein Gesetz<br />

beschlossen, wonach aktive Sterbehilfe<br />

unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt<br />

sein soll.Auch in Deutschl<strong>an</strong>d gibt<br />

es, so Hoppe, eine Bewegung, die auf die<br />

Abschaffung des § 216 des Strafgesetzbuches<br />

hinarbeitet, in dem die Tötung<br />

auf Verl<strong>an</strong>gen unter Strafe gestellt ist.<br />

Bundesjustizministerin Herta Däubler-<br />

Gmelin sprach sich strikt gegen solche<br />

Bestrebungen aus. Die BÄK hatte aktiver<br />

Euth<strong>an</strong>asie in ihren Grundsätzen<br />

zur ärztlichen Sterbebegleitung ebenfalls<br />

eine deutliche Absage erteilt.<br />

Ärzte sollten Leben erhalten und nicht<br />

töten. Gisela Klinkhammer<br />

Heft 3, 19. J<strong>an</strong>uar 2001<br />

<strong>Embryonen</strong>schutz<br />

Englische<br />

Verführung<br />

Das Feuilleton der Fr<strong>an</strong>kfurter Allgemeinen<br />

Zeitung hat neuerdings einen<br />

gewissen Ruf, gegenüber dem Fortschritt<br />

in der Biotechnologie besonders<br />

aufgeschlossen zu sein und die tradierte<br />

Ethik, <strong>an</strong>gesichts allerlei hoch gesp<strong>an</strong>nter<br />

Hoffnungen, infrage zu stellen. Die<br />

Lehre vom Segen der reinen Marktwirtschaft<br />

schwappt so vom Wirtschaftsund<br />

Fin<strong>an</strong>zteil ins Kulturelle.<br />

G<strong>an</strong>z in diesem Sinne erschien dort<br />

am 29. Dezember letzten Jahres ein Artikel<br />

„gegen eine Ethik mit Scheuklappen“,<br />

in dem Karl-Friedrich Sewing die<br />

Entscheidung des britischen Unterhauses<br />

zum so gen<strong>an</strong>nten therapeutischen<br />

Klonen verständnisvoll würdigte und<br />

Kritiker aus Deutschl<strong>an</strong>d als „verbale<br />

Schnellfeuergewehre“ abtat. Lediglich<br />

65


Bundesk<strong>an</strong>zler Schröder bekam ein<br />

Lob wegen seiner „Ansätze einer differenzierten<br />

Betrachtungsweise“.<br />

Sewing spricht sich für <strong>Forschung</strong> <strong>an</strong><br />

embryonalen Stammzellen aus, „überzählige“<br />

<strong>Embryonen</strong>, die bei der künstlichen<br />

Befruchtung <strong>an</strong>fielen, sollten<br />

eingesetzt werden dürfen. Die traditionellen<br />

Verfahren hätten wohl ausgedient,<br />

der Aufbruch zu neuen Ufern<br />

sei gerechtfertigt, begründet Sewing.<br />

Wenn im Ausl<strong>an</strong>d mit embryonalen<br />

Stammzellen geforscht werde, dürfe<br />

sich die deutsche medizinische Wissenschaft<br />

nicht verweigern.<br />

Sewing firmiert in der Fr<strong>an</strong>kfurter<br />

Allgemeinen als Vorsitzender des Wissenschaftlichen<br />

Beirates der Bundesärztekammer,<br />

nicht als Privatm<strong>an</strong>n.<br />

Dem würde m<strong>an</strong> selbstverständlich die<br />

Freiheit zubilligen, seine Meinung in<br />

dieser Weise zu artikulieren und gegen<br />

(<strong>an</strong>gebliche) ethische Scheuklappen<br />

aufzufahren. Für den Vorsitzenden<br />

einer offiziellen Einrichtung der Ärzteschaft<br />

gelten <strong>an</strong>dere Spielregeln.<br />

Sewing vertritt Auffassungen, die<br />

vielleicht von interessierten Forschern<br />

geteilt werden, nicht aber von der verfassten<br />

Ärzteschaft. Er segelt somit unter<br />

falscher Flagge. Er segelt freilich im<br />

Strom des Zeitgeistes, gehört er doch zu<br />

jenen, die <strong>an</strong>gestrengt d<strong>an</strong>ach suchen,<br />

<strong>Forschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Embryonen</strong>, die bisher<br />

nicht erlaubt und ärztlich umstritten ist,<br />

zu rechtfertigen.<br />

Lockt Sewing mit dem noch relativ<br />

schlichten Hinweis auf das Ausl<strong>an</strong>d,<br />

d<strong>an</strong>n der neue Kulturstaatsminister in<br />

des Bundesk<strong>an</strong>zlers Kabinett mit philosophischen<br />

Versuchungen, was nahe<br />

liegt, ist doch Juli<strong>an</strong> Nida-Rümelin Professor<br />

für Bioethik: Für ihn (so sein<br />

Artikel im Berliner Tagesspiegel vom<br />

<strong>3.</strong> J<strong>an</strong>uar) ist das ausschlaggebende Kriterium<br />

die Menschenwürde.<br />

So weit, so gut. Doch d<strong>an</strong>n kommt’s.<br />

Die rhetorische Frage, ob das Klonen<br />

eines Embryos die Menschenwürde beschädige,<br />

be<strong>an</strong>twortet er: „Die Antwort<br />

ist für mich: zweifellos nein.“ Denn, so<br />

Nida-Rümelins Rechtfertigung: „Die<br />

Achtung der Menschenwürde ist dort<br />

<strong>an</strong>gebracht, wo die Voraussetzungen<br />

erfüllt sind, dass ein menschliches<br />

Wesen entwürdigt werde, ihm seine<br />

Selbstachtung genommen werden<br />

k<strong>an</strong>n. Daher lässt sich das Kriterium<br />

66<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

der Menschenwürde nicht auf <strong>Embryonen</strong><br />

ausweiten. Die Selbstachtung eines<br />

<strong>Embryonen</strong> lässt sich nicht beschädigen.“<br />

Das ist die <strong>an</strong>spruchsvolle Ver-<br />

Heft 7, 16. Februar 2001<br />

<strong>Embryonen</strong>schutz<br />

Zu dem Kommentar „Englische Verführung“<br />

von Norbert Jachertz in Heft 3/2001:<br />

Journalistische Schlittenfahrt<br />

Im Deutschen Ärzteblatt hat dessen<br />

Chefredakteur Norbert Jachertz meinen<br />

Aufsatz „Warum nicht <strong>Embryonen</strong>?<br />

Gegen eine Ethik mit Scheuklappen“<br />

in der Fr<strong>an</strong>kfurter Allgemeinen<br />

Zeitung vom 29. Dezember 2000 „kommentiert“.<br />

Die Äußerungen von Jachertz<br />

(inhaltlich hat er sich mit dem<br />

Aufsatz überhaupt nicht ausein<strong>an</strong>der<br />

gesetzt) zeigen, dass es in ihm Gott sei<br />

D<strong>an</strong>k wenigstens einen Menschen in<br />

Deutschl<strong>an</strong>d gibt, der auf die schwierigen<br />

Fragen der modernen Medizin eine<br />

Antwort weiß. Er wird auch sicherlich<br />

Gleichgesonnene finden, die ihm die<br />

Richtigkeit seiner Denke bestätigen. Im<br />

Namen der von ihm gleichermaßen wie<br />

ich gescholtenen interessierten Forscher<br />

(Diese haben der Ärzteschaft seit<br />

Jahrhunderten durch ihre Arbeit ermöglicht,<br />

ihre Patienten auf hohem wissenschaftlichem<br />

und technischem Niveau<br />

erfolgreich zu beh<strong>an</strong>deln.) entschuldige<br />

ich mich dafür, dass sie <strong>an</strong>ders<br />

denken als Jachertz. Ob Jachertz wohl<br />

weiß, dass nicht gerade die dümmsten<br />

Ärzte, Naturwissenschaftler, Juristen,<br />

Theologen und Philosophen zurzeit in<br />

den verschiedensten Gremien (Wissenschaftlicher<br />

Beirat der Bundesärztekammer,<br />

Deutsche <strong>Forschung</strong>sgemeinschaft,<br />

Europe<strong>an</strong> Science Foundation)<br />

um einen sachgerechten und ethisch<br />

und rechtlich vertretbaren Umg<strong>an</strong>g mit<br />

den modernen medizinischen Problemen<br />

ringen? Bei solchen Äußerungen<br />

des Chefredakteurs des Deutschen Ärzteblattes<br />

darf sich niem<strong>an</strong>d wundern,<br />

wenn die Diskussion um die brennenden<br />

Themen der modernen Medizin auf<br />

hohem sachkundigem und ethischem<br />

Niveau (wenn m<strong>an</strong> von den Äußerungen<br />

von Nida-Rümelin einmal absieht,<br />

mit dem Jachertz mich gerne ged<strong>an</strong>klich<br />

zu identifizieren versucht) nicht im<br />

brämung des Bioethikers Nida-Rümelin<br />

von Sewings schlichtem Utilitarismus.<br />

Die Schlittenfahrt hat begonnen.<br />

Norbert Jachertz<br />

Deutschen Ärzteblatt, sondern (auch<br />

von Ärzten) in den großen Tages- und<br />

Wochenzeitungen geführt wird. Eine<br />

journalistische Schlittenfahrt nach<br />

Jachertzschem Strickmuster schadet der<br />

deutschen Ärzteschaft, nicht aber<br />

demjenigen, den er im Fadenkreuz<br />

seines „Kommentars“ hat.<br />

Prof. Dr. med. Karl-Friedrich Sewing, Vorsitzender<br />

des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesärztekammer,<br />

Herbert-Lewin-Straße 1, 50931 Köln<br />

Wer ist die deutsche<br />

Ärzteschaft?<br />

Herr Jachertz greift den Vorsitzenden<br />

des Wissenschaftlichen Beirats der<br />

Bundesärztekammer, Prof. Dr. Sewing,<br />

wegen seines Aufsatzes in der FAZ<br />

massiv <strong>an</strong>, indem er die Behauptung<br />

aufstellt – als Chefredakteur des Deutschen<br />

Ärzteblattes als solcher gekennzeichnet<br />

–, dass Sewings Auffassungen<br />

zwar „von interessierten Forschern“,<br />

aber nicht von der „verfassten Ärzteschaft“<br />

geteilt würden.<br />

Wer ist das? Die gesamte deutsche<br />

Ärzteschaft? Der Deutsche Ärztetag?<br />

Der Präsident/Vizepräsident der Bundesärztekammer?<br />

W<strong>an</strong>n hat eine Abstimmung<br />

über das therapeutische Klonen<br />

stattgefunden? Das müsste mir<br />

entg<strong>an</strong>gen sein!<br />

Es ehrt die Herren Prof. Hoppe und<br />

Dr. Montgomery, wenn sie für die Beibehaltung<br />

des deutschen <strong>Embryonen</strong>schutzgesetzes<br />

plädieren, das therapeutisches<br />

Klonen verbietet. Dennoch<br />

h<strong>an</strong>delt es sich dabei nur um ihre persönliche<br />

Meinung.Auch dem Chefredakteur<br />

des Mitteilungsblattes aller<br />

deutschen Ärztinnen und Ärzte steht<br />

eine solche apodiktische Feststellung<br />

nicht zu. Sie hat eine herabsetzende<br />

Tendenz, die gerade bei einem so sensiblen<br />

Thema Herrn Jachertz nicht gut zu<br />

Gesicht steht.Warum nicht den ethischen<br />

Diskurs im Deutschen Ärzteblatt<br />

eröffnen, wie zur <strong>PID</strong> geschehen? Warum<br />

nicht ein Leserforum, wo jeder zu<br />

Wort kommt? Es sind im Übrigen


längst nicht nur „interessierte (etwa<br />

profitorientierte?) Forscher“, die sich<br />

mutig dafür aussprechen, dass Deutschl<strong>an</strong>d<br />

nicht bei dem Anspruch verharrt,<br />

eine Insel höchster ethischer Maßstäbe<br />

in Europa bleiben zu wollen und dabei<br />

die Entwicklung eines der aussichtsreichsten<br />

therapeutischen Ansätze dieses<br />

Jahrtausends zu verpassen.<br />

Prof. Dr. med. Ch. Rittner, Institut für<br />

Rechtsmedizin, Joh<strong>an</strong>nes Gutenberg-Universität<br />

Mainz, Am Pulverturm 3, 55131 Mainz<br />

Heft 10, 9. März 2001<br />

Unter falscher Flagge?<br />

Mit scharfen Worten kritisiert Jachertz<br />

die in der FAZ getätigte Meinungsäußerung<br />

zur Stammzellenforschung von Sewing,<br />

dem Chef des Wissenschaftlichen<br />

Beirats der Bundesärztekammer. Er habe<br />

nicht „die Meinung der verfassten<br />

Ärzteschaft“ wiedergegeben und „segele<br />

unter falscher Flagge“. Ziel der <strong>Forschung</strong><br />

mit (pluri-, nicht toti-potenten!)<br />

hum<strong>an</strong>en Stammzellen ist die Entwicklung<br />

von Therapien für bisher nicht beh<strong>an</strong>delbare<br />

Kr<strong>an</strong>kheiten. Dies ist wohl<br />

zunächst ein akzeptables, ja respektables<br />

Ansinnen eines Arztes. Dasselbe gilt für<br />

Konzepte des therapeutischen Klonens,<br />

mit dessen Hilfe klinisch dringend<br />

benötigtes Gewebe, keine <strong>Embryonen</strong><br />

hergestellt werden sollen. Ebenfalls eine<br />

Absicht, die ein Vorsitzender des Wissenschaftlichen<br />

Beirates der verfassten<br />

Heft 4, 26. J<strong>an</strong>uar 2001<br />

Bioethik<br />

CDU lotet noch<br />

Grenzen aus<br />

Mahnende Stimmen bei einem<br />

Kongress in Berlin<br />

Angela Merkel hat eine breite öffentliche<br />

Debatte über die ethische<br />

Ver<strong>an</strong>twortung der Wissenschaft und die<br />

Grenzen der Gentechnik gefordert.<br />

Die CDU-Vorsitzende äußerte sich beim<br />

Bioethik-Kongress ihrer Partei im Dezember<br />

in Berlin. Er st<strong>an</strong>d unter dem<br />

Motto: „Auch in Zukunft menschenwür-<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

deutschen Ärzteschaft wohl (auch öffentlich)<br />

äußern darf, vielleicht sogar<br />

muss (?).<br />

Gegen diese (zukünftigen) Heilmethoden,<br />

deren Erforschung unter Verwendung<br />

embryonaler Stammzellen in<br />

den USA, in Engl<strong>an</strong>d und Fr<strong>an</strong>kreich<br />

auch mittels therapeutischen Klonens<br />

mittlerweile politisch akzeptiert sind,<br />

steht das deutsche <strong>Embryonen</strong>schutzgesetz.<br />

Dieses spricht jeder befruchteten<br />

hum<strong>an</strong>en Eizelle, gleich welchen<br />

Stadiums und wo immer sich diese befindet,<br />

den vollen Umf<strong>an</strong>g der Menschenwürde<br />

zu. Gleichzeitig verschreibt<br />

und impl<strong>an</strong>tiert die „verfasste<br />

deutsche Ärzteschaft“ Millionen von<br />

Frauen Spiralen zur Kontrazeption, die<br />

nichts <strong>an</strong>deres tun, als solche „<strong>Embryonen</strong>“<br />

unter dem Schutz der gesellschaftlichen<br />

Akzept<strong>an</strong>z zu töten.<br />

Gleichzeitig vollzieht die „verfasste<br />

deutsche Ärzteschaft“ unter dem<br />

Schutz des Gesetzgebers jährlich über<br />

200 000 Abtreibungen <strong>an</strong> <strong>Embryonen</strong><br />

in weitaus fortgeschritteneren Entwicklungsstadien.<br />

Wer segelt hier unter falscher Flagge?<br />

Der Diskurs macht doch unmissverständlich<br />

deutlich, dass die Definition<br />

der „Würde des Embryos“ dringend<br />

neu bedacht werden will. Eine abstufende<br />

Einschätzung des „moral status<br />

of the embryo“, wie von der Europäischen<br />

Kommission definiert, stellt wohl<br />

die einzig intelligente und praktikable<br />

Lösung dar. Ein Umdenken in diese<br />

Richtung scheint dringend geboten und<br />

folgt nicht der „englischen Verführung“,<br />

sondern dem St<strong>an</strong>d der medizinischen<br />

Wissenschaft.Auf der Insel<br />

wurde seit l<strong>an</strong>gem und sehr sorgfältig<br />

diskutiert, ob auf diese Weise (hoffentlich)<br />

verfügbare Beh<strong>an</strong>dlungsverfahren<br />

für englische Patienten in Großbrit<strong>an</strong>nien<br />

entwickelt werden sollen oder ob<br />

m<strong>an</strong> sie importiert beziehungsweise<br />

Kr<strong>an</strong>ke im Ausl<strong>an</strong>d beh<strong>an</strong>deln lässt.<br />

Prof. Dr. med. Axel Haverich,<br />

Klinik für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie, MHH,<br />

Carl-Neuberg-Straße 1, 30625 H<strong>an</strong>nover<br />

Anmerkung (zugleich zu den Briefen von<br />

Sewing und Rittner in Heft 7): Mein<br />

Kommentar „Englische Verführung“ kritisierte,<br />

dass Sewing als Vorsitzender des Wissenschaftlichen<br />

Beirats der Bundesärztekammer Auffassungen<br />

vertrat, die der Beschlusslage der<br />

verfassten Ärzteschaft nicht entsprechen. Als<br />

Vorsitzender eines offiziellen Gremiums der<br />

Bundesärztekammer hätte sich Sewing <strong>an</strong> die<br />

Beschlusslage halten oder deutlich machen<br />

müssen, dass er sich als Privatm<strong>an</strong>n äußerte.<br />

Die verfasste Ärzteschaft ist ein eingeführter<br />

Begriff. Gemeint ist in diesem Fall die in<br />

Ärztekammern und in der Arbeitsgemeinschaft<br />

der Ärztekammern, nämlich der<br />

Bundesärztekammer, org<strong>an</strong>isierte Ärzteschaft;<br />

sie hat im Deutschen Ärztetag, der Hauptversammlung<br />

der Bundesärztekammer, eine<br />

aus demokratischen Wahlen hervorgeg<strong>an</strong>gene<br />

oberste Repräsent<strong>an</strong>z. Der Deutsche<br />

Ärztetag hat sich bisher gegen therapeutisches<br />

Klonen und <strong>Embryonen</strong>forschung ausgesprochen.<br />

Norbert Jachertz<br />

dig leben – Ethik und Gentechnologie im<br />

21. Jahrhundert“.<br />

Merkel zeigte sich sowohl gegenüber<br />

der Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik wie gegenüber<br />

Gentests skeptisch. Im Fall derartiger<br />

Tests müsse der Gesetzgeber verhindern,<br />

dass Arbeitgeber und Versicherer<br />

Zug<strong>an</strong>g zu Daten von Kunden oder ihren<br />

Mitarbeitern erhielten.<br />

Der stellvertretende Vorsitzende der<br />

CDU, Jürgen Rüttgers, bezeichnete es als<br />

sk<strong>an</strong>dalös, dass derzeit wieder offen gegen<br />

die Geburt behinderter Kinder votiert<br />

werde. Grundüberzeugungen von der<br />

Würde des Menschen und seiner unbedingten<br />

Schutzwürdigkeit dürften nicht<br />

zugunsten „postmoderner Beliebigkeit“<br />

aufgegeben werden. Rie<br />

67


68<br />

Heft 4, 26. J<strong>an</strong>uar 2001<br />

Freundlich, inhaltsreich, unvoreingenommen<br />

– so beschrieben Prof. Dr.<br />

Jörg-Dietrich Hoppe und Dr. M<strong>an</strong>fred<br />

Richter-Reichhelm übereinstimmend<br />

die Atmosphäre beim Meinungsaustausch<br />

mit dem Bundesk<strong>an</strong>zler am<br />

18. J<strong>an</strong>uar. Gerhard Schröder hatte den<br />

Präsidenten der Bundesärztekammer<br />

(BÄK) und den Ersten Vorsitzenden<br />

der Kassenärztlichen Bundesvereinigung<br />

(KBV) schon vor einigen Wochen eingeladen.<br />

Nun nahmen auch die neue Bundesgesundheitsministerin<br />

Ulla Schmidt<br />

teil sowie die Parlamentarische Staatssekretärin<br />

im BMG, Gudrun Schaich-<br />

Walch, und der Beauftragte für die Bel<strong>an</strong>ge<br />

der Behinderten, Karl-Herm<strong>an</strong>n<br />

Haack, alle SPD.<br />

Dennoch: „Eine <strong>an</strong>genehme Atmosphäre<br />

reicht nicht. Es müssen Ergebnisse<br />

her“, sagte Richter-Reichhelm gegenüber<br />

dem Deutschen Ärzteblatt.<br />

Das habe m<strong>an</strong> auch deutlich gemacht.<br />

Der K<strong>an</strong>zler wisse, dass die Ärzteschaft<br />

die Konfrontation nicht suche, aber zu<br />

Aktionen bereit sei. Hoppe ist der Auffassung,<br />

dass ein wichtiger Antrieb für<br />

Gespräche wie das gerade geführte der<br />

Wunsch Schröders sei, durch die Lösung<br />

der gröbsten Probleme die Gesundheitspolitik<br />

aus Wahlkämpfen herauszuhalten.<br />

Für h<strong>an</strong>dfeste Ergebnisse reicht ein<br />

einstündiges Gespräch nicht aus, ebenso<br />

wenig eine K<strong>an</strong>zlerzusage. Um die<br />

Probleme zu beseitigen, die die Ärzteschaft<br />

belasten, sind Mehrheiten in den<br />

Parlamenten von Bund und Ländern<br />

erforderlich. Einige Themen wurden jedoch<br />

am 18. J<strong>an</strong>uar zumindest problematisiert<br />

und mögliche Alternativen<br />

besprochen.<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

Meinungsaustausch mit dem Bundesk<strong>an</strong>zler<br />

Kurskorrekturen bei den<br />

Budgets im Gespräch<br />

Ein Treffen zwischen Gerhard Schröder, Jörg-Dietrich Hoppe und<br />

M<strong>an</strong>fred Richter-Reichhelm war seit längerem eingepl<strong>an</strong>t, der Wechsel<br />

im Bundesgesundheitsministerium <strong>an</strong>geblich nicht. Nun wird mit<br />

Ulla Schmidt um die Umsetzung ärztlicher Forderungen gerungen.<br />

So soll geprüft werden, ob die Honorar-<br />

und Arzneimittelbudgets durch <strong>an</strong>dere<br />

sinnvolle Alternativen ersetzt werden.<br />

Richter-Reichhelm sagte, m<strong>an</strong> habe<br />

budgetablösende individuelle Richtgrößen<br />

für die Arzneimittelversorgung<br />

in der Gesetzlichen Kr<strong>an</strong>kenversicherung<br />

(GKV) als Ziel gen<strong>an</strong>nt. Was die<br />

Honorarbudgets <strong>an</strong>bel<strong>an</strong>gt, so wurde<br />

im Kern über Regelleistungsvolumina<br />

gesprochen. Noch für diese Woche sind<br />

dazu weitere Gespräche zwischen Vertretern<br />

der Ärzteschaft und dem BMG<br />

<strong>an</strong>gesetzt.<br />

Schröder hat zugesagt, sich dafür einzusetzen,<br />

dass noch in dieser Legislaturperiode<br />

das Wohnortprinzip eingeführt<br />

wird. Damit wäre die Zahlung der ärztlichen<br />

Vergütung nach dem Kassensitz<br />

abgeschafft.<br />

Erörtert wurde weiterhin, welche<br />

Konsequenzen sich für die Ärzte aus<br />

dem Kr<strong>an</strong>kenkassenwechsel von immer<br />

mehr Versicherten und aus Steuerungsinstrumenten<br />

wie dem Risikostrukturausgleich<br />

ergeben. Ebenso war die besondere<br />

Situation von Ärztinnen und<br />

Ärzten in den fünf neuen Bundesländern<br />

Thema.<br />

Breiten Raum nahm nach den Worten<br />

Hoppes das Gespräch über medizinethische<br />

Fragen ein.Schröder ließ in der offiziellen<br />

Erklärung des Bundesk<strong>an</strong>zleramtes<br />

unter <strong>an</strong>derem verbreiten, m<strong>an</strong><br />

stimme mit der Ärzteschaft überein,dass<br />

nur die ethisch vertretbaren Potenziale<br />

der Gentechnik für die Beh<strong>an</strong>dlung von<br />

Kr<strong>an</strong>kheiten genutzt werden sollen.<br />

Politische Beobachter glauben dennoch,dass<br />

Schröder und Schmidt auf diesem<br />

Feld gewisse Lockerungen <strong>an</strong>streben<br />

(siehe auch „Seite eins“ in diesem<br />

Heft). Dem Präsidenten der Bundesärztekammer<br />

zufolge hat Schröder erklärt,<br />

er wolle in Sachen <strong>Embryonen</strong>forschung<br />

keine Regelung wie in Großbrit<strong>an</strong>nien.<br />

Gesetzesinitiativen, die die derzeitige<br />

Rechtslage verändern, sind wohl nicht<br />

gepl<strong>an</strong>t, damit auch keine Verschärfungen.<br />

Schröder will sich jedoch offenbar<br />

mittelfristig die Option offen halten, <strong>Forschung</strong><br />

<strong>an</strong> embryonalen Stammzellen in<br />

einem gewissen Rahmen zu erlauben,<br />

ebenso den eng begrenzten Einsatz der<br />

Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik. Diese Möglichkeit<br />

favorisiert der Wissenschaftliche<br />

Beirat der BÄK; eine Beschlussfassung<br />

des Verb<strong>an</strong>des der Bundesärztekammer<br />

steht bisher aus. Im Gespräch ist derzeit<br />

im Übrigen ein neuer Ethikrat,der direkt<br />

beim K<strong>an</strong>zler <strong>an</strong>gesiedelt würde.<br />

Bei diesen und <strong>an</strong>deren Fragen wird<br />

in Zukunft neben Schmidt und Schaich-<br />

Walch der zweite Staatssekretär Dr.<br />

Klaus Theo Schröder ein Wort mitzureden<br />

haben (dazu auch „Seite eins“).<br />

Richter-Reichhelm, zugleich KV-<br />

Vorsitzender in Berlin, kennt ihn als<br />

ruhigen, sachlichen Gesprächspartner.<br />

Auch zu Gudrun Schaich-Walch habe<br />

m<strong>an</strong> einen guten Draht. „Sie ist seit l<strong>an</strong>gem<br />

in diesem Themenfeld sachkundig“,<br />

bekräftigt Hoppe. Er sieht eine<br />

Ch<strong>an</strong>ce darin, dass das Bundesgesundheitsministerium<br />

nun in der H<strong>an</strong>d des<br />

großen Koalitionspartners ist.<br />

Ulla Schmidt auf Schröders Linie<br />

Einfach wird es aber auch in Zukunft<br />

nicht. Denn innerhalb der SPD-Bundestagsfraktion<br />

sind die Meinungen, welche<br />

gesundheitspolitischen Reformen


die richtigen sind, geteilt. Schröder steht<br />

für einen eher wirtschaftsfreundlichen,<br />

„modernen“ Kurs; er wird sich kaum eine<br />

Ministerin ausgesucht haben, die eine<br />

völlig <strong>an</strong>dere Linie vertritt. Schaich-<br />

Walchs Position ist schwer zu bestimmen.<br />

Sie hat sich in letzter Zeit zum Beispiel<br />

für eine Überprüfung des Leistungskatalogs<br />

der GKV ausgesprochen<br />

wie auch für Alternativen zur jetzigen<br />

Budgetpolitik. Ihr jüngster Vorschlag<br />

Heft 4, 26. J<strong>an</strong>uar 2001<br />

Gentechnik<br />

Die Karten in der Gesundheitspolitik<br />

werden neu gemischt. Das<br />

betrifft auch die Gentechnik. Die<br />

Parlamentarische Staatssekretärin im<br />

Bundesgesundheitsministerium, Gudrun<br />

Schaich-Walch (SPD), kündigte bereits<br />

<strong>an</strong>, dass es keine übereilten gesetzlichen<br />

Neuregelungen geben werde,<br />

damit wohl auch kein neues Fortpfl<strong>an</strong>zungsmedizingesetz<br />

in dieser Legislaturperiode.<br />

Bisher hatte Ex-Gesundheitsministerin<br />

Andrea Fischer als<br />

„Bremse“ in Sachen Gentechnik gegolten.<br />

Ihr Eckpunktepapier sah vor,<br />

Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik und das<br />

Klonen von menschlichen <strong>Embryonen</strong><br />

zu verbieten. Wenn es nun bei dem aus<br />

dem Jahr 1990 stammenden <strong>Embryonen</strong>schutzgesetz<br />

bleibt, wird auch der<br />

Import und damit die <strong>Forschung</strong> <strong>an</strong> embryonalen<br />

Stammzellen in Deutschl<strong>an</strong>d<br />

erlaubt bleiben.<br />

Diskussion im EU-Parlament<br />

„Das erste geklonte Baby wird früher<br />

zur Welt kommen, als dem ersten Parkinson-Patienten<br />

durch embryonale<br />

Stammzellen wirksam geholfen wird“,<br />

meint Dr. med. Peter Liese (CDU),<br />

Mitglied des Europäischen Parlaments,<br />

<strong>an</strong>gesichts dieser Entwicklung. „Wir<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

zielte darauf ab, den Ärzten mehr Zeit<br />

einzuräumen, ein überzogenes Arzneimittel-Jahresbudget<br />

auszugleichen. Vieles<br />

traf in ihrer Fraktion keinesfalls<br />

auf Zustimmung. Dort stehen Klaus<br />

Kirschner, der Vorsitzende des Bewertungsausschusses<br />

für Gesundheit, und<br />

Regina Schmidt-Zabel, die neue gesundheitspolitische<br />

Sprecherin, eher für<br />

eine traditionelle Haltung. Und was ist<br />

von Ulla Schmidt zu erwarten? Da sie<br />

Der Zweck heiligt die Mittel<br />

müssen die Ch<strong>an</strong>cen der Gentechnik<br />

nutzen, aber die Menschenwürde muss<br />

das oberste Prinzip sein.“ Am 16. J<strong>an</strong>uar<br />

hat im Europäischen Parlament der<br />

Ausschuss „Hum<strong>an</strong>genetik und die <strong>an</strong>deren<br />

neuen Technologien in der modernen<br />

Medizin“ seine Arbeit aufgenommen.<br />

36 Mitglieder aus allen politischen<br />

Fraktionen werden sich ein Jahr<br />

l<strong>an</strong>g mit den Möglichkeiten und Gefahren<br />

der DNA-Analyse, der Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

sowie mit den Fragen<br />

des Klonens von menschlichen <strong>Embryonen</strong><br />

und der Patentierung von biotechnologischen<br />

Erfindungen beschäftigen.<br />

Das Europäische Parlament lehnt<br />

das Klonen von Menschen grundsätzlich<br />

ab. Liese befürchtet dennoch bald<br />

einen Dammbruch in Europa. Der<br />

Grund: Die britische Regierung will<br />

das Herstellen von menschlichen<br />

<strong>Embryonen</strong> durch die gleiche Methode<br />

erlauben, die zum geklonten Schaf<br />

Dolly führte. Am 20. Dezember 2000<br />

hat sie dafür die Unterstützung des<br />

Unterhauses (jedoch nicht des Oberhauses)<br />

bekommen. Die Methode sei<br />

notwendig, um Patienten mit Erkr<strong>an</strong>kungen<br />

wie Parkinson oder Diabetes<br />

zu helfen, argumentieren die Befürworter<br />

des therapeutischen Klonens.<br />

Indes hofft Liese auf den entschiede-<br />

keine gesundheitspolitische Erfahrung<br />

besitzt, weiß m<strong>an</strong> über ihre Absichten<br />

noch nicht viel. Schröder hat jedoch im<br />

Gespräch mit Hoppe und Richter-<br />

Reichhelm bekräftigt, dass in der nächsten<br />

Legislaturperiode eine Reform der<br />

GKV nach dem Muster der Rentenversicherung<br />

<strong>an</strong>steht. Für diese Thematik<br />

wäre die neue Ministerin, die als ausgewiesene<br />

Rentenexpertin gilt, d<strong>an</strong>n gut<br />

gerüstet. Sabine Rieser<br />

Das Ziel, Gewebe aus embryonalen Stammzellen zu züchten<br />

und Therapien zu entwickeln, lässt ethische Bedenken in den Hintergrund treten.<br />

nen Widerst<strong>an</strong>d von Staats- und Regierungschefs<br />

gegen die britische Initiative.<br />

Geklontes Baby ist nicht weit<br />

Wenn einmal das Ziel, dem Menschen<br />

zu helfen, über den ethischen Bedenken<br />

stünde, sei das Klonen nicht mehr aufzuhalten,<br />

meinen Kritiker. Ein Beispiel<br />

dafür ist Baby Adam in den USA.Adam<br />

wurde durch Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

und In-vitro-Fertilisation so selektiert,<br />

dass er seiner <strong>an</strong> Leukämie erkr<strong>an</strong>kten<br />

Schwester als Zellspender dienen<br />

konnte.<br />

Für die Hoffnung auf Hilfe dürfe<br />

nicht der <strong>Embryonen</strong>schutz geopfert<br />

werden: „Es ist viel einfacher, geklonte<br />

menschliche <strong>Embryonen</strong> in den Uterus<br />

einzupfl<strong>an</strong>zen, als aus menschlichen<br />

embryonalen Stammzellen wirksame<br />

Therapien zu entwickeln“, gibt Liese zu<br />

bedenken. Trotzdem gebe es Alternativen.<br />

Für aussichtsreich hält Liese die<br />

<strong>Forschung</strong> <strong>an</strong> adulten Stammzellen.<br />

Diese könnten beispielsweise aus der<br />

Nabelschnur gewonnen werden, wogegen<br />

sonst der Embryo zerstört würde.<br />

Große deutsche Pharma-Unternehmen<br />

investieren bereits in die adulte Stammzellforschung.<br />

Dr. med. Eva A. Richter<br />

69


Zunächst sah es so aus, als bahne sich<br />

in der Regierungskoalition bei der<br />

Einstellung zu medizinethischen<br />

Fragen ein Kurswechsel <strong>an</strong>. Bundesk<strong>an</strong>zler<br />

Gerhard Schröder hatte Ende<br />

letzten Jahres vor „ideologischen<br />

Scheuklappen“ bei Fragen der Gentechnik<br />

gewarnt. Juli<strong>an</strong> Nida-Rümelin<br />

hatte noch vor seinem Amts<strong>an</strong>tritt als<br />

neuer Kulturstaatsminister <strong>Embryonen</strong><br />

eine Menschenwürde abgesprochen.<br />

Die neue Parlamentarische Staatssekretärin<br />

im Bundesgesundheitsministerium,<br />

Gudrun Schaich-Walch (SPD),<br />

grenzte sich von der Linie der bisherigen<br />

Gesundheitsministerin Andrea Fischer<br />

ab. Schaich-Walch hält es nämlich<br />

nicht für erforderlich, noch in dieser Legislaturperiode<br />

ein Fortpfl<strong>an</strong>zungsmedizingesetz<br />

zu verabschieden. Darin<br />

wollte Fischer die Präimpl<strong>an</strong>tationsdia-<br />

Obwohl eine Novellierung des <strong>Embryonen</strong>schutzgesetzes<br />

vorerst in<br />

die Ferne gerückt ist, bleibt die<br />

Fortpfl<strong>an</strong>zungsmedizin ein bris<strong>an</strong>tes<br />

Thema. Besonderer Streitpunkt: die<br />

Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik (<strong>PID</strong>). Das<br />

Positionspapier von Ex-Bundesgesundheitsministerin<br />

Andrea Fischer, das unter<br />

<strong>an</strong>derem das Verbot der <strong>PID</strong> vorgesehen<br />

hatte, ist inzwischen in einer<br />

Schublade des BMG verschwunden.<br />

Konkrete Vorstellungen, in welchen<br />

Punkten das <strong>Embryonen</strong>schutzgesetz<br />

geändert werden sollte, liegen jedoch<br />

auch von <strong>an</strong>deren Seiten vor.<br />

Bei einer Podiumsdiskussion der<br />

Berliner Wissenschaftlichen Gesellschaft,<br />

der Gesellschaft für Geburtshilfe<br />

und Gynäkologie und der Kaiserin-<br />

Friedrich-Stiftung tauschten sich Ende<br />

J<strong>an</strong>uar in Berlin Ärzte, Ethiker, Naturwissenschaftler,<br />

Juristen und Politiker<br />

über aktuelle Entwicklungen und Kontroversen<br />

innerhalb der Fortpfl<strong>an</strong>zungsmedizin<br />

aus. Prof. Dr. med. Heribert<br />

Kentenich, Chefarzt der Frauenklinik<br />

der DRK-Kliniken Westend,<br />

Berlin, stellte sein Konzept zur Änderung<br />

des <strong>Embryonen</strong>schutzgesetzes<br />

vor, das großen Zuspruch f<strong>an</strong>d.<br />

Kentenich plädierte für eine „limitierte,<br />

jedoch positive Regelung der<br />

<strong>PID</strong> in Deutschl<strong>an</strong>d“. Die Information<br />

und Beratung der Paare müsse verbes-<br />

70<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

Heft 4, 26. J<strong>an</strong>uar 2001<br />

Medizinethik<br />

Irritationen<br />

gnostik unmissverständlich verbieten.<br />

Das therapeutische Klonen ist zwar<br />

nicht erlaubt, eine Lücke im Gesetz ermöglicht<br />

jedoch das Forschen mit embryonalen<br />

Stammzellen aus dem Ausl<strong>an</strong>d.<br />

Die Äußerungen der Politiker<br />

stießen allerdings sogar in den eigenen<br />

Reihen auf Protest. So bezeichnete der<br />

Parlamentarische Geschäftsführer der<br />

SPD, Wilhelm Schmidt, die Ankündigungen<br />

Schaich-Walchs als „verfrüht“.<br />

Auch die Bündnisgrünen sind irritiert:<br />

Darüber müsse in der Koalition zunächst<br />

geredet werden, teilten sie mit.<br />

Heft 7, 16. Februar 2001<br />

Fortpfl<strong>an</strong>zungsmedizin<br />

sert werden, um es ihnen zu ermöglichen,<br />

sowohl den Weg der <strong>PID</strong> als auch<br />

den „normalen“ Weg zu einer Schw<strong>an</strong>gerschaft<br />

zu gehen, sagte der Gynäkologe.<br />

Im Fortpfl<strong>an</strong>zungsmedizingesetz<br />

müsse es hierfür eine klare gesetzliche<br />

Regelung geben. Die Grenzen, die das<br />

<strong>Embryonen</strong>schutzgesetz derzeit setzt,<br />

hält Kentenich für „unzeitgemäß und<br />

<strong>an</strong> die Konfliktsituation nicht konkret<br />

genug adaptiert“. Die spezifische Geschichte<br />

Deutschl<strong>an</strong>ds dürfe nicht dazu<br />

führen, dass die Reproduktionsmedizin<br />

generell in Deutschl<strong>an</strong>d einer sehr restriktiven<br />

Regelung unterworfen werde.<br />

Paare würden im Zweifelsfalle die<br />

<strong>PID</strong> im Ausl<strong>an</strong>d vornehmen lassen oder<br />

eine „Schw<strong>an</strong>gerschaft auf Probe“ eingehen.<br />

„Die <strong>PID</strong> k<strong>an</strong>n nicht unabhängig von<br />

der Pränataldiagnostik diskutiert werden“,<br />

betonte der Präsident der Bun-<br />

Der Präsident der Bundesärztekammer,<br />

Prof. Dr. med. Jörg-Dietrich Hoppe,<br />

registrierte, dass der Bundesk<strong>an</strong>zler<br />

die wirtschaftlichen und therapeutischen<br />

Aspekte offensichtlich gegenüber<br />

dem Lebensschutz stärker gewichte als<br />

Andrea Fischer.<br />

Möglicherweise überrascht von diesen<br />

Reaktionen, bekräftigte Schröder inzwischen,<br />

dass „Deutschl<strong>an</strong>d auf die <strong>Forschung</strong><br />

mit adulten Stammzellen setzt“.<br />

Bundesjustizministerin Herta Däubler-<br />

Gmelin (SPD) betonte ebenfalls, dass es<br />

keinen Kurswechsel geben werde. Sie<br />

warnte davor,dass Gentests bei <strong>Embryonen</strong><br />

zu einer „Selektion von Menschen“<br />

führen könnten. Es bleibt allerdings zu<br />

bezweifeln, ob die Bundesregierung nicht<br />

letztlich doch die Gentechnik vorwiegend<br />

unter ökonomischen Gesichtspunkten<br />

bewerten wird. Gisela Klinkhammer<br />

Die Gewichteverschieben sich<br />

Ob die Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik in Deutschl<strong>an</strong>d<br />

zugelassen werden soll, ist weiterhin umstritten. Die<br />

Zahl der Befürworter nimmt jedoch zu.<br />

desärztekammer (BÄK), Prof. Dr. med.<br />

Jörg-Dietrich Hoppe. Die moment<strong>an</strong>e<br />

„Unlogik im Schutz des Lebens“ hätte<br />

er auch beim K<strong>an</strong>zlergespräch Anf<strong>an</strong>g<br />

J<strong>an</strong>uar dargestellt und auf den dringenden<br />

Regelungsbedarf hingewiesen. Die<br />

Meinung innerhalb der BÄK zur <strong>PID</strong><br />

sei heterogen, aber würde prinzipiell dem<br />

im Frühjahr 2000 vorgelegten Diskussionsentwurf<br />

entsprechen, so Hoppe.<br />

„Vor dem Hintergrund der „Schw<strong>an</strong>gerschaft<br />

auf Probe“ müsste die <strong>PID</strong> erlaubt<br />

sein“, meinte Dr. med. Christi<strong>an</strong>e<br />

Woopen, Institut für Geschichte und<br />

Ethik in der Medizin der Universität<br />

Köln, Mitglied des Wissenschaftlichen<br />

Beirats der BÄK. In dessen Arbeitsgruppe<br />

„Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik“<br />

sei über mögliche Änderungen des Entwurfs<br />

gesprochen worden, berichtete<br />

sie. So müsse der Screeningeffekt bei<br />

der <strong>PID</strong> noch deutlicher ausgeschlossen


und die psychosoziale Beratung verstärkt<br />

werden.<br />

Dass der Forderung nach einer hum<strong>an</strong>genetischen<br />

Beratung vor einer <strong>PID</strong><br />

im Diskussionsentwurf der BÄK nicht<br />

genügend Rechnung getragen werde,<br />

monierte Prof. Dr. rer. nat. Karl Sperling,<br />

Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft<br />

für Hum<strong>an</strong>genetik. Im Übrigen<br />

vertrete seine Fachgesellschaft die Ansicht,<br />

dass die <strong>PID</strong> grundsätzlich allen<br />

Frauen zur Verfügung stehen sollte, die<br />

ein erhöhtes genetisches Risiko für eine<br />

schwerwiegende kindliche Erkr<strong>an</strong>kung<br />

tragen. Die <strong>PID</strong> sei eine Möglichkeit<br />

der vorgeburtlichen Diagnostik, die<br />

Schw<strong>an</strong>gerschaftsabbrüche und die damit<br />

verbundene Belastung der Betroffenen<br />

vermeiden könne. „Eine <strong>PID</strong> darf<br />

jedoch nur unter Einhaltung strikter<br />

Richtlinien erfolgen“, betonte Sperling.<br />

Prof. Dr. jur. Friedhelm Hufen, Lehrstuhl<br />

für öffentliches Recht der Universität<br />

Mainz, plädierte nicht nur für die<br />

Zulassung der <strong>PID</strong>. Er ging sogar noch<br />

weiter: „Da die Pränataldiagnostik zur<br />

Nachgefragt<br />

DÄ: Die Bundesregierung will<br />

eine Überarbeitung des <strong>Embryonen</strong>schutzgesetzes<br />

vorerst<br />

auf Eis legen. Halten Sie eine<br />

Novellierung zurzeit für nötig?<br />

Ulrike Flach: Das wäre nur<br />

die zweitbeste Lösung. Besser<br />

wäre ein neues Fortpfl<strong>an</strong>zungsmedizingesetz,<br />

das diesen<br />

Bereich umfassend regelt.<br />

Die <strong>Forschung</strong> und die medizinischenAnwendungsmöglichkeiten<br />

rasen vor<strong>an</strong>, das Recht<br />

humpelt hinterher. Eine Verschiebungsstrategie<br />

ist grundfalsch.<br />

Die FDP meint, dass<br />

wir noch in dieser Legislaturperiode<br />

entweder ein Fortpfl<strong>an</strong>zungsmedizingesetz<br />

oder eine<br />

Novellierung des <strong>Embryonen</strong>schutzgesetzes<br />

brauchen.<br />

DÄ: In welchen Punkten würden<br />

Sie das <strong>Embryonen</strong>schutzgesetz<br />

ändern?<br />

Ulrike Flach: Wir wollen eine<br />

offene, fraktionsübergreifende<br />

Diskussion zur Schaffung von<br />

rechtlichen Rahmenbedingungen<br />

für die Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

(<strong>PID</strong>). Dieses<br />

Verfahren ist ja nach Meinung<br />

<strong>an</strong>erk<strong>an</strong>nter Rechtsexperten<br />

prinzipiell im <strong>Embryonen</strong>schutzgesetz<br />

schon vorgesehen.<br />

Die <strong>PID</strong> könnte bei Invitro-Fertilisation<br />

generell <strong>an</strong>wendbar<br />

sein, müsste aber in<br />

der Entscheidungsgewalt der<br />

Eltern bleiben. Gleichzeitig<br />

müssten natürlich Missbrauchschr<strong>an</strong>ken<br />

eingebaut werden.<br />

Die <strong>PID</strong> muss auf die Verhinderung<br />

genetischer Erkr<strong>an</strong>kungen<br />

dort beschränkt werden,<br />

wo die Eltern das Risiko sehen<br />

und begründen können.<br />

DÄ: Gibt es für Sie Tabus?<br />

Ulrike Flach: Natürlich! Tabu<br />

ist beispielsweise die<br />

Züchtung von Menschen. Tabu<br />

sind auch alle M<strong>an</strong>ipulationen,<br />

die darauf zielen, Kinder<br />

nach Wunsch mit blauen<br />

oder grünen Augen, blonden<br />

oder schwarzen Haaren zu<br />

schaffen. Außerdem müssen<br />

wir uns immer fragen: Rechtfertigt<br />

das Ziel den Eingriff?<br />

Die Erfüllung des Kinderwunsches<br />

für Eltern mit hohen genetischen<br />

Risiken rechtfertigt<br />

ihn, nicht aber die Züchtung<br />

von Zwitterwesen aus<br />

Mensch und Tier. Wir werden<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

Verfügung steht, ist ein absolutes Verbot<br />

der <strong>PID</strong> un<strong>an</strong>gemessen.“ Aus verfassungsrechtlicher<br />

Sicht bedürfe nicht<br />

die Zulassung, sondern das Verbot der<br />

<strong>PID</strong> einer Rechtfertigung.<br />

Auch <strong>an</strong>dere Änderungen des <strong>Embryonen</strong>schutzgesetzes,für<br />

die sich Kentenich<br />

in der Berliner Ver<strong>an</strong>staltung einsetzte,<br />

wären nach Ansicht Hufens verfassungsrechtlich<br />

in vollem Umf<strong>an</strong>g<br />

möglich. Kentenich forderte unter <strong>an</strong>derem<br />

die Zulassung der Eizellspende.<br />

Es sei ein „Sk<strong>an</strong>dal“, dass die Eizellgewinnung<br />

in Deutschl<strong>an</strong>d schwieriger sei<br />

als die Samenzellgewinnung und sich<br />

ein Arzt potenziell strafbar mache,<br />

wenn er die Adresse eines Beh<strong>an</strong>dlungszentrums<br />

im Ausl<strong>an</strong>d weitergebe.<br />

Für die Samenzellspende forderte Kentenich<br />

klare gesetzliche Regelungen.<br />

Ferner sprach er sich dafür aus, die <strong>Forschung</strong><br />

<strong>an</strong> <strong>Embryonen</strong> und ihre Selektion<br />

unter strengen Limits zu erlauben.<br />

Gegner der <strong>PID</strong> waren bei der Podiumsdiskussion<br />

in Berlin nicht <strong>an</strong>wesend.<br />

Dr. med. Eva A. Richter<br />

aber noch oft vor einem Abwägungskonflikt<br />

stehen.<br />

DÄ: Unter welchen Bedingungen<br />

würden Sie die <strong>PID</strong><br />

erlauben?<br />

Ulrike Flach: Die Bundesärztekammer<br />

hat einen Entwurf<br />

vorgelegt, den ich als Grundlage<br />

für geeignet halte. Darin<br />

sind klare Zulassungsbedingungen<br />

und berufsrechtliche<br />

Voraussetzungen enthalten.<br />

DÄ: Ist die <strong>PID</strong> nicht der erste<br />

Schritt zum „Designer-Baby“?<br />

Ulrike Flach: <strong>PID</strong> ist eine<br />

Methode für einen sehr eingeschränkten<br />

Kreis von Eltern.<br />

Wenn keine medizinischen<br />

Gründe vorliegen, sondern<br />

einfach das „Wunschkind“<br />

geschaffen werden soll, würde<br />

ich keine Zustimmung zur<br />

Anwendung geben. Freilich:<br />

Die technischen Möglichkeiten<br />

für das „Designer-Baby“<br />

gibt es. Die Gesellschaft muss<br />

sich darüber einigen, welche<br />

Werteorientierung gelten soll.<br />

<strong>PID</strong> ist ja nur ein Werkzeug; es<br />

kommt darauf <strong>an</strong>, zu welchem<br />

Zweck es verwendet wird.<br />

Die Fragen stellte Dr. med. Eva A. Richter<br />

Heft 8, 2<strong>3.</strong> Februar 2001<br />

Medizinische Ethik<br />

Auf<br />

Schlingerkurs<br />

Wohin die Bundesregierung<br />

bei der Gentechnik steuert,<br />

bleibt unklar.<br />

Ein möglicher Kurswechsel der Bundesregierung<br />

in der Gentechnik<br />

zeichnet sich bereits seit längerem ab.<br />

In einer Antwort auf eine kleine Anfrage<br />

der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, die<br />

letzte Woche vorgelegt wurde,bezieht die<br />

Regierung Stellung unter <strong>an</strong>derem zu<br />

den Themen Fortpfl<strong>an</strong>zungsmedizingesetz<br />

und gepl<strong>an</strong>te Einrichtung eines nationalen<br />

Ethikrates. Klare Aussagen lässt<br />

die Koalition jedoch vermissen.<br />

Die damalige Bundesgesundheitsministerin<br />

Andrea Fischer wollte noch in dieser<br />

Legislaturperiode ein Fortpfl<strong>an</strong>zungsmedizingesetz<br />

verabschieden, in dem unter<br />

<strong>an</strong>derem die Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

eindeutig verboten werden sollte.Um<br />

möglichst schnell zu klaren Positionen zu<br />

kommen, hatte das Bundesgesundheitsministerium<br />

im letzten Jahr ein hochkarätiges<br />

Symposium ver<strong>an</strong>staltet. Doch<br />

Fischers Bestrebungen finden zurzeit offenbar<br />

keine Fortsetzung.<br />

Ausweichend fällt jedenfalls die Stellungnahme<br />

zu einem künftigen Fortpfl<strong>an</strong>zungsmedizingesetz<br />

aus. Die Bundesregierung:<br />

Auf dem Symposium sei<br />

der „derzeitige Meinungsst<strong>an</strong>d der medizinischen<br />

Wissenschaft und Praxis, der<br />

<strong>Forschung</strong>, Ethik, Rechtswissenschaft<br />

und Sozialwissenschaft von den unterschiedlichen<br />

St<strong>an</strong>dpunkten aus dargestellt<br />

und kontrovers diskutiert“ worden.<br />

Vor der Entscheidung über gesetzliche<br />

Regelungen sollte nach Auffassung der<br />

Bundesregierung die Debatte im Bundestag<br />

intensiv fortgesetzt werden. Und<br />

bei dem von Andrea Fischer vorgelegten<br />

Eckpunktepapier,in dem sie ihre Vorstellungen<br />

dargelegt hatte, habe es sich nicht<br />

„um ein innerhalb der Bundesregierung<br />

abgestimmtes Konzept für ein mögliches<br />

Fortpfl<strong>an</strong>zungsmedizingesetz geh<strong>an</strong>delt,<br />

sondern um ein Positionspapier, das die<br />

71


Meinung der damaligen Bundesministerin<br />

für Gesundheit wiedergab“.<br />

Andrea Fischers strikte Auffassung<br />

werde jetzt nicht mehr geteilt, sagte der<br />

Präsident der Bundesärztekammer<br />

(BÄK), Prof. Dr. med. Jörg-Dietrich<br />

Hoppe, der Katholischen Nachrichten-<br />

Agentur. Hoppe glaubt indessen nicht<br />

<strong>an</strong> einen generellen Kurswechsel der<br />

Bundesregierung in der Biomedizin. So<br />

haben sich beispielsweise Bundesjustizministerin<br />

Herta Däubler-Gmelin und<br />

Bundesforschungsministerin Edelgard<br />

Bulmahn deutlich gegen das Klonen von<br />

<strong>Embryonen</strong> zu <strong>Forschung</strong>szwecken ausgesprochen.<br />

Bundesk<strong>an</strong>zler Gerhard<br />

Schröder und Bundesgesundheitsministerin<br />

Ulla Schmidt seien jedoch möglicherweise<br />

bereit, die Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

in sehr eng gefassten Grenzen<br />

zu gestatten, so der BÄK-Präsident.<br />

Ob bereits wenige Tage alten <strong>Embryonen</strong><br />

eine Menschenwürde zugesprochen<br />

werden k<strong>an</strong>n, lässt die Bundesregierung<br />

ebenfalls offen. Sie dist<strong>an</strong>ziert sich jedenfalls<br />

nicht ausdrücklich von Äußerungen<br />

des Kulturstaatsministers Juli<strong>an</strong> Nida-<br />

Rümelin (SPD), der die Auffassung vertritt,<br />

dass sich „das Kriterium Menschenwürde<br />

nicht auf <strong>Embryonen</strong> ausweiten“<br />

lässt. „Ethische Argumente sind keine<br />

rechtlichen Argumente“, heißt es dazu in<br />

der Stellungnahme der Bundesregierung.<br />

In der internationalen Philosophie würden<br />

Begriffe wie zum Beispiel der der<br />

Menschenwürde gelegentlich <strong>an</strong>ders verwendet<br />

als im verbindlichen deutschen<br />

Verfassungsrecht. Die Bundesregierung<br />

sehe sich in ihrem H<strong>an</strong>deln auch künftig<br />

verfassungsrechtlich verpflichtet, die<br />

Würde des Menschen, wie sie in der<br />

Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts<br />

ihren Ausdruck gefunden hat, zu<br />

achten und zu schützen.<br />

Auch zur Zulässigkeit von Gentests<br />

und ihrer Verwertung wurde die Bundesregierung<br />

befragt. Sie sieht „für die<br />

Verwertung von aus genetischen Tests<br />

gewonnenen Erkenntnissen beim Zug<strong>an</strong>g<br />

zu Sozialversicherungen keinen<br />

Raum“. Die Bundesregierung bewertet<br />

es positiv, dass „in der privaten Kr<strong>an</strong>ken-,<br />

Unfall- und Lebensversicherung<br />

Gentests gegenwärtig nicht als Voraussetzung<br />

für den Abschluss von Versicherungsverträgen<br />

verl<strong>an</strong>gt werden“.<br />

Darauf hätte sich die deutsche Versicherungswirtschaft<br />

verständigt.<br />

72<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

Diese Äußerung stieß auf Kritik bei<br />

den Bundestagsabgeordneten Hubert<br />

Hüppe und Annette Widm<strong>an</strong>n-Mauz<br />

(beide CDU). Sie erklären, dass die<br />

Bundesregierung offenbar ungerührt<br />

scheine von den Sorgen der Bürger, die<br />

mit Recht eine verlässlichere Grundlage<br />

erwarteten als Absprachen unter Wirtschaftsunternehmen.<br />

Nicht nur bei Oppositionspolitikern,<br />

sondern auch in<br />

den eigenen Reihen stieß die Ankündigung<br />

Schröders, einen nationalen Ethikrat<br />

einzurichten, auf Kritik. Dieser solle,<br />

so die Bundesregierung, „die verschiedenen<br />

gesellschaftlichen Positio-<br />

Heft 10, 9. März 2001<br />

Biomedizin<br />

nen widerspiegeln“. Während Ulla<br />

Schmidt die Einrichtung eines Ethikrates<br />

begrüßt, hält Monika Knoche<br />

(Bündnis 90/Die Grünen) ihn nicht<br />

für erforderlich. Ethikräte hätten keine<br />

Definitionshoheit darüber, was das<br />

ethisch Ver<strong>an</strong>twortbare sei. Außerdem<br />

gebe es bereits einen bei dem Bundesgesundheitministeriumzugeordneten<br />

Ethikbeirat sowie die vom Bundestag<br />

eingesetzte Enquete-Kommission<br />

„Recht und Ethik der modernen Medizin“.<br />

Doch offensichtlich, so Hüppe und<br />

Widm<strong>an</strong>n-Mauz, „passt deren Arbeit<br />

Schröder nicht“. Gisela Klinkhammer<br />

Kein „Hirtenwort“, sondern<br />

Diskussions<strong>an</strong>stoß<br />

Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken hat ein<br />

Thesenpapier zur Bioethik vorgelegt.<br />

Das Zentralkomitee der deutschen<br />

Katholiken (ZdK) will die Überarbeitung<br />

des <strong>Embryonen</strong>schutzgesetzes<br />

oder die Erarbeitung eines<br />

neuen Fortpfl<strong>an</strong>zungsmedizingesetzes<br />

begleiten – und zwar ohne ideologische<br />

Scheuklappen. Dabei hält die katholische<br />

Laienorg<strong>an</strong>isation prinzipiell <strong>an</strong><br />

ihren Positionen fest, wünscht sich jedoch<br />

eine breite gesellschaftliche Debatte.<br />

Unter dem hohen Tempo des biomedizinischen<br />

Erkenntnisgewinns sowie<br />

dem Druck auf die Politiker, die<br />

strengen deutschen St<strong>an</strong>dards im <strong>Embryonen</strong>schutz<br />

zu „nivellieren“, gerate<br />

der ethische Diskurs zunehmend in die<br />

Defensive, warnt das ZdK.<br />

„Nicht nur die Kritiker, sondern auch<br />

die Befürworter des biomedizinischen<br />

Fortschritts müssen die Gründe für ihr<br />

H<strong>an</strong>deln offen legen“, heißt es im Thesenpapier<br />

„Der biomedizinische Fortschritt<br />

als Herausforderung für das<br />

christliche Menschenbild“, das das ZdK<br />

am 1. März in Berlin vorstellte. Darin<br />

werden die katholischen Orientierungen<br />

ben<strong>an</strong>nt und begründet (www.zdk.de).<br />

Die neun „Orientierungen im<br />

Zeitalter der Biomedizin“ des ZdK:<br />

● Die Würde des Menschen ist un<strong>an</strong>tastbar; vom<br />

Moment der Zeugung bis zum Tod.<br />

● Das menschliche Leben ist der Verfügbarkeit<br />

des Menschen entzogen; niem<strong>an</strong>d darf darüber<br />

urteilen, wer lebenswert oder lebensunwert ist.<br />

● Das menschliche Leben ist unteilbar; vorgeburtliche<br />

Phase und der erste Lebensabschnitt unterscheiden<br />

sich nur graduell.<br />

● Der Mensch ist mehr als die Summe seiner Gene<br />

und Neuronen.<br />

● Der christliche Glaube stellt Menschen mit<br />

Behinderungen, Kr<strong>an</strong>kheiten und Benachteiligungen<br />

in den Mittelpunkt; Gendiagnostik darf<br />

nur nach Einwilligung erfolgen.<br />

● Der Mensch bedarf der Erlösung; nahezu religiöse<br />

Verheißungen der Medizin und der Technik<br />

sind realitätsferne Illusionen.<br />

● Biomedizinische Fortschritte müssen dem Wohl<br />

der Patienten dienen.<br />

● Jeder Mensch ist für sein H<strong>an</strong>deln ver<strong>an</strong>twortlich;<br />

Forscher, Anwender und Nutzer müssen<br />

sich ein eigenes Urteil bilden.<br />

● Der Staat ist auf die Menschenwürde verpflichtet;<br />

sie darf nicht der <strong>Forschung</strong>sfreiheit und<br />

Marktinteressen geopfert werden.


Das ZdK wolle nicht belehren, sondern<br />

einen Denk- und Diskussions<strong>an</strong>stoß<br />

zum „Jahr der Lebenswissenschaften“<br />

2001 liefern, betonte Dr. Thomas Sternberg,<br />

Sprecher des kulturpolitischen Arbeitskreises<br />

des ZdK.<br />

Dass es den Katholiken mit der Diskussion<br />

Ernst ist, zeigte die öffentliche<br />

Vorstellung des Thesenpapiers. Diese<br />

war nicht als Frontal-, sondern als Diskussionsver<strong>an</strong>staltung<br />

konzipiert,zu der<br />

Politiker verschiedener Fraktionen, Befürworter,<br />

aber auch Gegner der katholischen<br />

Position eingeladen waren. Von<br />

ihnen mussten die Verfasser des Papiers<br />

einige Kritik einstecken. Bereits die mit<br />

der Biomedizin verbundenen Visionen<br />

seien zu negativ dargestellt, bef<strong>an</strong>d Dr.<br />

Martin Hrabe de Angelis, München, einer<br />

der vier Koordinatoren des deutschen<br />

Hum<strong>an</strong>-Genom-Projektes. Die<br />

Ch<strong>an</strong>cen, die die Gentechnik den Menschen<br />

bietet, dürften nicht verschwiegen<br />

werden. Die katholische Laienorg<strong>an</strong>isation<br />

benennt die „Reproduktionsvision“<br />

(Gar<strong>an</strong>tie für die genetische Gesundheit<br />

der Neugeborenen), die<br />

„Steuerungsvision“ (frühzeitiges Erkennen<br />

von Kr<strong>an</strong>kheiten) und die „Heilungsvision“.<br />

Gleichzeitig warnte sie davor,<br />

dass hinter diesen Visionen häufig<br />

ökonomische Interessen stehen könnten.<br />

Ferner bestehe die Gefahr, dass sich<br />

unter dem Deckm<strong>an</strong>tel der Gesundheit<br />

<strong>an</strong>dere Gesichtspunkte einschleichen,<br />

wie eine „effizientere Ressourcenverwertung“<br />

oder der Wunsch nach „Verbesserung<br />

der Evolution“.<br />

Dass die Heilung von Menschen die<br />

biomedizinische <strong>Forschung</strong> rechtfertigt,<br />

erschien auch der <strong>an</strong>wesenden ehemaligen<br />

Bundesgesundheitsministerin Andrea<br />

Fischer (Grüne) zu „trivial“: „Heilung<br />

ist kein Wert, der <strong>an</strong>deres irrelev<strong>an</strong>t<br />

werden lässt“, sagte die Verfechterin eines<br />

restriktiven <strong>Embryonen</strong>schutzes.<br />

Leiden in Kauf zu nehmen, hält Angelis<br />

dagegen für problematisch: „Wenn es die<br />

Möglichkeit gibt zu heilen, müssen wir<br />

dies tun.“ Er warnte davor, dass jetzt das<br />

„ethische Ross zu hoch gesattelt wird“.<br />

Wo die Menschenwürde beginnt, die es<br />

zu schützen gelte, blieb schließlich offen.<br />

Die Katholiken gehen davon aus, dass<br />

das menschliche Leben „im biologischen<br />

Sinn“ und damit die Menschenwürde mit<br />

der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle<br />

beginnt. Jede Grenzziehung sei will-<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

kürlich. Fischer sieht dies ähnlich; m<strong>an</strong><br />

dürfe jedoch keine Norm daraus ableiten;<br />

graduelle Abstufungen seien möglich.<br />

So ist es straffrei, die Nidation des<br />

Embryos in den Uterus während der ersten<br />

14 Tage zu verhindern. Der Berliner<br />

Philosoph Prof. Dr. Volker Gerhardt,<br />

Vorsitzender der Bioethik-Kommission<br />

der Deutschen <strong>Forschung</strong>sgemeinschaft,<br />

plädierte dafür, die Grenze für das<br />

„Menschsein“ bei der Geburt zu ziehen.<br />

Die vorgeburtliche Zeit dürfe jedoch<br />

nicht ignoriert werden, schränkte er ein.<br />

Heft 11, 16. März 2001<br />

Bischofskonferenz<br />

Ärztinnenbund<br />

Dammbruch befürchtet<br />

Für zweckmäßig hält er graduelle<br />

Schutzbestimmungen. Diese sähe das<br />

<strong>Embryonen</strong>schutzgesetz bereits vor,<br />

betonte Wolf-Michael Catenhusen<br />

(SPD), Parlamentarischer Staatssekretär<br />

im Bundesforschungsministerium.<br />

Zur Position der SPD äußerte er sich<br />

nicht. M<strong>an</strong> dürfe jedoch nicht jede<br />

Art von <strong>Forschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Embryonen</strong> erlauben.<br />

Um einen gesamtgesellschaftlichen<br />

Konsens zu finden, könne m<strong>an</strong> allerdings<br />

nicht auf Fundamentalisten<br />

eingehen. Dr. med. Eva A. Richter<br />

Warnung vor Missbrauch<br />

der Gentechnik<br />

Die katholischen Bischöfe lehnen Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

und therapeutisches Klonen ab.<br />

Der Mensch: sein eigener Schöpfer?“<br />

ist der Titel einer Schrift, die<br />

von der Deutschen Bischofskonferenz<br />

letzte Woche in Augsburg vorgestellt<br />

wurde. Die Antwort lautet erwartungsgemäß<br />

„nein“, und dies wird auch<br />

gleich zu Beginn des Papiers begründet:<br />

Heft 9, 2. März 2001<br />

„Menschliches Leben ist heilig und<br />

steht weder <strong>an</strong> seinem Anf<strong>an</strong>g noch <strong>an</strong><br />

seinem Ende zur Disposition. Das Leben<br />

ist der Verfügbarkeit des Menschen<br />

entzogen; da alle Menschen unter Gottes<br />

Schutz stehen, darf sich keiner am<br />

Leben des <strong>an</strong>deren vergreifen.“ ✁<br />

Ärztinnen sprechen sich gegen Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik aus.<br />

Der Deutsche Ärztinnenbund lehnt die Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik (<strong>PID</strong>)<br />

ab. Dabei beruft er sich auf eine Stellungnahme seines Ausschusses für<br />

Ethikfragen. Darin heißt es, dass m<strong>an</strong> mit Einführung der Methode befürchten<br />

müsse, dass ihre Anwendung auch auf weniger schwerwiegende<br />

Kr<strong>an</strong>kheiten und <strong>an</strong>dere genetische Merkmale ausgeweitet werde. Das<br />

Hauptargument der Befürworter der <strong>PID</strong> sei, dass dadurch ein Schw<strong>an</strong>gerschaftsabbruch<br />

und das damit verbundene Trauma für die Mutter vermieden<br />

werden könne. Die Mutter müsse jedoch bis zum Zeitpunkt der Bek<strong>an</strong>ntgabe<br />

der Ergebnisse der pränatalen Diagnostik damit rechnen, dass das ungeborene<br />

Kind eine erkennbar schwere Erkr<strong>an</strong>kung aufweise. Daher könne es auch<br />

nach <strong>PID</strong> zu einem Abbruch kommen. Die Stellungnahme k<strong>an</strong>n abgerufen<br />

werden unter: www.aerztinnenbund.de<br />

73


Folgerichtig wird von den Bischöfen<br />

die Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik als „Tötung<br />

menschlichen Lebens“ kategorisch<br />

abgelehnt. Sie sei ein „eindeutiges Instrument<br />

zur Selektion“, da genetisch<br />

belastete <strong>Embryonen</strong> aussortiert und<br />

vernichtet würden. Sie müsse daher in<br />

Deutschl<strong>an</strong>d auch weiterhin verboten<br />

bleiben, fordert die Bischofskonferenz.<br />

Beim therapeutischen Klonen werde<br />

menschliches Leben, das immer zugleich<br />

personales und von Gott bejahtes<br />

Leben ist, zum Ersatzteillager degradiert.Auch<br />

medizinischer Nutzen könne<br />

kein Verfahren mit menschlichen <strong>Embryonen</strong><br />

rechtfertigen, das die un<strong>an</strong>tastbare<br />

Würde dieses Lebens infrage stelle.<br />

Das reproduktive Klonen wird ebenfalls<br />

abgelehnt, unter <strong>an</strong>derem weil der Embryo<br />

instrumentalisiert würde.<br />

Die Gentherapie wird allerdings nicht<br />

grundsätzlich von den Bischöfen verurteilt.<br />

Schon jetzt würden in Deutschl<strong>an</strong>d<br />

Gentests für mehr als hundert Kr<strong>an</strong>kheiten<br />

<strong>an</strong>geboten. Mit ihrer Hilfe könne<br />

m<strong>an</strong> nicht nur bestehende Kr<strong>an</strong>kheiten<br />

feststellen, sondern auch Ver<strong>an</strong>lagungen<br />

für Kr<strong>an</strong>kheiten, die sich mit einer gewissen<br />

Wahrscheinlichkeit erst in Zukunft<br />

auswirken würden. Das Recht auf Nichtwissen<br />

gehöre allerdings zu den verfassungsmäßig<br />

verbrieften Persönlichkeitsrechten.<br />

Prädiktive Gentests dürfen nach<br />

Auffassung der Bischöfe weder von Arbeitgebern<br />

noch von Versicherungen<br />

verl<strong>an</strong>gt, <strong>an</strong>genommen oder verwertet<br />

werden. Bei der pränatalen Diagnostik<br />

heben die Bischöfe die Möglichkeit einer<br />

vorzeitigen Therapie hervor.Es könne jedoch<br />

nicht gebilligt werden, einen Embryo<br />

abzutreiben, bei dem eine Kr<strong>an</strong>kheit<br />

oder Behinderung festgestellt wurde.<br />

Gegen die Keimbahntherapie sprechen<br />

nach Ansicht der Bischöfe vor allem<br />

drei Argumente: die noch unausgereifte<br />

Methode; die für die Entwicklung notwendige<br />

verbrauchende <strong>Embryonen</strong>forschung<br />

und die Gefahr des Missbrauchs<br />

zur Menschenzüchtung.<br />

Die Bischofskonferenz fordert den<br />

Bundestag auf, den Missbrauch der Gentechnik<br />

durch Gesetze zu verhindern.<br />

Unterstützung für ihr Anliegen erhielten<br />

sie unter <strong>an</strong>derem vom Ratsvorsitzenden<br />

der Ev<strong>an</strong>gelischen Kirche in Deutschl<strong>an</strong>d,<br />

Präses M<strong>an</strong>fred Kock. „In diesen<br />

Fragen passt kein Blatt Papier zwischen<br />

uns“, sagte er. Gisela Klinkhammer<br />

74<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

Heft 11, 16. März 2001<br />

Fortschritt der Biomedizin<br />

Die Politik steht vor der<br />

Quadratur des Kreises<br />

Unser Verhältnis zu Zeugung, Geburt und Tod hat sich<br />

radikal verändert. In dem Buch „Politik des Lebens – Politik des<br />

Sterbens“ beschreibt Andreas Kuhlm<strong>an</strong>n diese Umwälzungen<br />

und macht Vorschläge für Reaktionen der Politik. Das Deutsche<br />

Ärzteblatt veröffentlicht einen auszugsweisen Vorabdruck.<br />

Durch den Fortschritt der Biomedizin<br />

können Kr<strong>an</strong>kheitsverläufe<br />

besser begriffen und beeinflusst,<br />

im günstigen Fall abgewehrt und Leiden<br />

kuriert werden. Dieser Fortschritt<br />

rüttelt aber zugleich <strong>an</strong> den Grundfesten<br />

des menschlichen Selbstverständnisses:<br />

Das Verhältnis zur eigenen Physis,<br />

zu Zeugung, Geburt und Tod, zu versehrter<br />

Existenz muss neu bestimmt<br />

werden. Mit der Erkenntnis wächst<br />

nicht nur der Aktionsradius, sondern<br />

auch die Definitionsmacht des Menschen<br />

in Bezug auf seine eigene Natur.<br />

Je mehr er nämlich über die physischen<br />

Gesetzmäßigkeiten seines Daseins erfährt,<br />

desto größer wird zugleich sein<br />

H<strong>an</strong>dlungsspielraum: Mehr und mehr<br />

als Naturwesen beschrieben und begriffen,<br />

wird der Mensch zum Subjekt wie<br />

zum Objekt gezielter M<strong>an</strong>ipulation –<br />

zum Artefakt.<br />

Hinsichtlich Zeugung und Elternschaft<br />

ist gut zw<strong>an</strong>zig Jahre nach der ersten<br />

erfolgreichen Laborbefruchtung<br />

buchstäblich nichts mehr so, wie es einmal<br />

war. <strong>Embryonen</strong> können zu einem<br />

bestimmten Datum produziert und der<br />

Frau impl<strong>an</strong>tiert werden, sie können<br />

aber auch eingefroren und zu einem<br />

späteren Zeitpunkt übertragen werden<br />

– selbst d<strong>an</strong>n, wenn die Ei- und Samenspender<br />

inzwischen tot sind. Schließlich<br />

wird der Embryo zum Gegenst<strong>an</strong>d der<br />

Merkmalsselektion und -pl<strong>an</strong>ung. Pränatale<br />

Diagnostik und Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

erlauben es schon heute,<br />

die Geburt von Kindern mit bestimmten<br />

schweren Erkr<strong>an</strong>kungen zu verhindern.<br />

In dem Maße, in dem das menschliche<br />

Genom entschlüsselt und die<br />

Funktionsweise der einzelnen Gene offenbar<br />

wird, nimmt auch die Möglichkeit<br />

zu, Ver<strong>an</strong>lagungen zu diagnostizieren<br />

und eine entsprechende Auswahl zu<br />

treffen. Die Optimierung des Nachwuchses<br />

durch Genm<strong>an</strong>ipulation ist als<br />

ein Zukunftsszenario, das von m<strong>an</strong>chen<br />

Fachleuten nach Kräften ausgemalt<br />

wird, in der Öffentlichkeit schon sehr<br />

präsent. Lassen sich unter dem Einfluss<br />

der Fortpfl<strong>an</strong>zungsmedizin mehrere<br />

frühe Lebensstadien unterscheiden,<br />

über deren Eigenschaften und Status zu<br />

befinden ist, so führt die Intensivmedizin<br />

dazu, dass sich auch am Ende des<br />

Lebens menschliche Existenz vervielfältigt<br />

und ausdifferenziert. Die meisten<br />

entwickelten Gesellschaften sehen es<br />

inzwischen als legitim <strong>an</strong>, den Menschen<br />

Org<strong>an</strong>e zu entnehmen, wenn das<br />

Gehirn nicht mehr arbeitet, der Kreislauf<br />

aber durch Apparate aufrechterhalten<br />

werden k<strong>an</strong>n.<br />

Vor der Org<strong>an</strong>entnahme müssen die<br />

Ärzte sich vergewissern, dass es sich bei<br />

dem Patienten tatsächlich um einen<br />

Hirntoten h<strong>an</strong>delt. Das verl<strong>an</strong>gt ihnen<br />

wie dem Pflegepersonal ein zutiefst paradoxes<br />

Verhalten ab: Weil und obwohl<br />

der Patient noch lebendig aussieht – er<br />

atmet, ist durchblutet, zeigt bestimmte<br />

Reflexe –, muss ihm mitgespielt werden,<br />

als h<strong>an</strong>dle es sich um eine Leiche.<br />

Damit m<strong>an</strong> sicher sein k<strong>an</strong>n, dass der<br />

Hirnstamm nicht mehr funktioniert,<br />

wird der Körper auf dem Operationstisch<br />

in einer Weise malträtiert, die<br />

m<strong>an</strong> einem Lebenden nur zumuten<br />

würde, wenn das irgendeinen therapeutischen<br />

Nutzen für diesen selbst verspräche.<br />

Durch apparative Tests, vor al-


lem aber durch Drücken, Stechen,<br />

Kneifen, durch Einspülen von Eiswasser<br />

in die Gehörgänge oder Reizung des<br />

Atemzentrums mit Kohlendioxyd soll<br />

bestätigt werden, dass der Körper nicht<br />

mehr in signifik<strong>an</strong>ter Weise reagiert.<br />

Fällt der Test positiv aus, erklärt m<strong>an</strong><br />

den Patienten für hirntot und gibt ihn<br />

zur Expl<strong>an</strong>tation frei.<br />

Für die Org<strong>an</strong>entnahme wird der<br />

Körper in vielen Fällen vom Brust- bis<br />

zum Schambein aufgeschnitten wie ein<br />

Kadaver, den m<strong>an</strong> nach Belieben ausweiden<br />

k<strong>an</strong>n. Auf diese Prozedur reagiert<br />

der „tote“ Leib aber durch Ansteigen<br />

des Blutdrucks, Hautrötung,<br />

Schwitzen und Muskelkontraktionen.<br />

Dagegen werden Betäubungsmittel<br />

und muskelentsp<strong>an</strong>nende Pharmaka<br />

verabreicht, die die Restaktivität des<br />

Körpers unterdrücken. Da aber gar<strong>an</strong>tiert<br />

sein muss, dass die Org<strong>an</strong>e frisch<br />

bleiben, wird <strong>an</strong>dererseits der Kreislauf<br />

medikamentös unterstützt, damit der<br />

Körper weiterhin seinen Dienst tun<br />

k<strong>an</strong>n. Hirntoddiagnostik und Org<strong>an</strong>expl<strong>an</strong>tation<br />

schaffen also eine Sphäre<br />

zwischen Leben und Tod: Die Akteure<br />

müssen von dem, was sie sehen, abstrahieren<br />

und sich sagen, dass der Patient<br />

nichts mehr empfindet. Bevor sie expl<strong>an</strong>tieren<br />

können, müssen sie sich und<br />

<strong>an</strong>deren dies bestätigen, indem sie die<br />

Leiblichkeit desselben Patienten vehement<br />

stimulieren, <strong>an</strong>statt ihm, der doch<br />

„tot“ ist, seine Ruhe zu lassen.<br />

Entfesselte Dynamik einer<br />

<strong>an</strong>onymen Technologie<br />

Die bereits existierenden, zu erwartenden<br />

oder auch nur mutmaßlichen<br />

Neuerungen der Biomedizin drohen<br />

das menschliche Selbstverständnis und<br />

die menschlichen Lebensweisen radikal<br />

zu verändern. Das meiste, was offiziell<br />

als „Politik“ gilt, erscheint dagegen<br />

relativ bedeutungslos. Medizintechnologische<br />

Innovationen werden<br />

fast immer weitgehend unbemerkt von<br />

der Öffentlichkeit in den wissenschaftlichen<br />

Labors entwickelt. Wenn sie<br />

d<strong>an</strong>n plötzlich zum Gegenst<strong>an</strong>d einer<br />

hektischen und geradezu wuchernden<br />

Erörterung werden, geraten die Dispute<br />

über Präferenzen und Befürchtungen<br />

häufig eher diffus. Die moderne<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

Medizin erscheint in den Augen ihrer<br />

Kritiker als „Biomacht“, die die Patienten<br />

erbarmungslos der eigenen Funktionslogik<br />

unterwirft. Diese werde durch<br />

unterschiedlichste Faktoren bestimmt:<br />

den Zw<strong>an</strong>g zur optimalen Anpassung<br />

der Menschen <strong>an</strong> soziale Erfordernisse,<br />

die entfesselte Dynamik einer <strong>an</strong>onymen<br />

Technologie sowie die Profit- und<br />

Profilierungsinteressen von Wissenschaftlern,<br />

Ärzten und des medizinisch-industriellen<br />

Komplexes. Das alles<br />

forciere den „Fortschritt“ und degradiere<br />

den Einzelnen zum bloßen<br />

Opfer, dessen Wünsche und Bedürfnisse<br />

keinerlei Berücksichtigung mehr finden<br />

würden.<br />

Dieses gerade in Deutschl<strong>an</strong>d so verbreitete,<br />

mit herrschaftskritischem Furor<br />

und mit allen Mitteln politischer<br />

Rhetorik beschworene Szenario einer<br />

menschenfeindlichen Medizin sieht sich<br />

notorisch mit dem Einw<strong>an</strong>d konfrontiert,<br />

dass viele therapeutische Neuerungen<br />

sehr wohl für sich in Anspruch<br />

nehmen können, den Interessen und<br />

Hoffnungen g<strong>an</strong>z bestimmter Patienten<br />

zu dienen. Der Verweis, dass Institutionen<br />

und Technologien die Autonomie<br />

und das Wohlergehen von Individuen<br />

bedrohen, ignoriert häufig mit frappierender<br />

Hartnäckigkeit, welche Bedeutung<br />

dem Heilungs- oder Präventionswunsch<br />

konkreter Personen für die Legitimierung<br />

selbst risk<strong>an</strong>ter oder<br />

ethisch fragwürdiger wissenschaftlicher<br />

und therapeutischer Bemühungen zukommt.<br />

In säkularisierten Gesellschaften<br />

gilt die Gesundheit des Einzelnen als<br />

weithin <strong>an</strong>erk<strong>an</strong>nter und hoch ver<strong>an</strong>schlagter<br />

Wert. Einwände, die den<br />

medizinischen Fortschritt infrage stellen,<br />

sind dagegen meistens machtlos.<br />

Gemeinwesen, die sich verfassungsgemäß<br />

als Sozialstaaten verstehen, ist<br />

ja das g<strong>an</strong>z elementare, gerade auch<br />

physische Wohlergehen ihrer Bürger<br />

glücklicherweise nicht gleichgültig. In<br />

solch einem sozialen Rahmen muss das<br />

Heilsversprechen der Medizin auf<br />

fruchtbaren Boden fallen. Gewiss, die<br />

frohe Botschaft der Fortschrittslobbyisten<br />

wird häufig geradezu milit<strong>an</strong>t<br />

verbreitet. Was sich <strong>an</strong> ernstlichen<br />

Warnungen selbst dem nur vagen Versprechen<br />

auf therapeutische Errungenschaften<br />

in den Weg stellt, wird<br />

förmlich niedergewalzt mit dem forschen<br />

Verweis, dass Recht hat, wer heilt<br />

oder das Heilen – eventuell – befördert.<br />

Die berechtigte Kritik <strong>an</strong> einem<br />

solchen Fortschrittsfuror sollte aber<br />

nicht darüber hinwegtäuschen, in welchem<br />

Maße dieser mit der Akzept<strong>an</strong>z<br />

der – meist schweigenden – Mehrheit<br />

rechnen k<strong>an</strong>n.<br />

Hinter der Vorstellung, Wunschkinder<br />

„fabrizieren“, Fortpfl<strong>an</strong>zung „m<strong>an</strong>agen“<br />

und auch das Sterben souverän<br />

„beherrschen“ zu können, verbergen<br />

sich Extremvisionen persönlicher Autonomie.<br />

Daraus werden Forderungen<br />

abgeleitet, die sich mitunter nicht nur<br />

als ethisch fragwürdig, sondern schlicht<br />

als unrealistisch erweisen. Als wäre die<br />

Verfügungsmacht, die der biomedizinische<br />

Komplex bereitstellt, nicht schon<br />

eindrucksvoll genug, wird in verzerrender<br />

Weise die Kontrollierbarkeit<br />

kreatürlicher Prozesse <strong>an</strong>gepriesen –<br />

und unterschlagen, dass spont<strong>an</strong>e, nicht<br />

voraussehbare und deshalb nicht kalkulierbare<br />

physische und psychische<br />

Ereignisse sich zweifellos auch weiterhin<br />

geltend machen. M<strong>an</strong> mag das bedauern<br />

oder erleichtert konstatieren –<br />

es zu ignorieren k<strong>an</strong>n jedoch zur Folge<br />

haben, dass das proklamierte Prinzip<br />

der Selbstbestimmung krass verletzt<br />

und den Einzelnen Gewalt <strong>an</strong>get<strong>an</strong><br />

wird.<br />

M<strong>an</strong> darf sich nichts vormachen: Darüber,ob<br />

eine therapeutische Maßnahme<br />

der Selbstbestimmung des Einzelnen<br />

förderlich ist oder nicht, lässt sich selten<br />

Einigkeit erzielen. Kontrovers sind<br />

Möglichkeiten der Biomedizin häufig<br />

vor allem deshalb, weil die Meinungen<br />

ausein<strong>an</strong>der gehen, was unter Autonomie<br />

überhaupt zu verstehen ist. Was<br />

heißt es, selbstbestimmt zu leben, und<br />

was heißt es, selbstbestimmt zu sterben?<br />

Die Antworten stehen sich allerdings<br />

nicht in abstrakter, säuberlich ausbuchstabierter<br />

Form gegenüber. Umstritten<br />

sind zumeist Situationsdeutungen: Beim<br />

Disput darüber, welche neuen diagnostischen,<br />

prognostischen und therapeutischen<br />

Verfahren zulässig und erwünscht<br />

sind, versuchen die Kontrahenten<br />

jene Ch<strong>an</strong>cen und Risiken möglichst<br />

<strong>an</strong>schaulich zu vergegenwärtigen, die<br />

für die Patienten mit dem Einsatz solcher<br />

Verfahren einhergehen. Der Hum<strong>an</strong>genetiker,<br />

der die Präimpl<strong>an</strong>tati-<br />

75


onsdiagnostik <strong>an</strong>preist, erzählt von Paaren,<br />

die schon ein Kind oder gar zwei<br />

Kinder mit Mukoviszidose haben, diese<br />

auch mit aller Liebe und Fürsorge großziehen,<br />

sich nun aber sehnlichst noch ein<br />

gesundes Kind wünschen – nicht zuletzt<br />

deshalb, weil Menschen mit Mukoviszidose<br />

nur über eine eingeschränkte Lebenserwartung<br />

verfügen. Diese Eltern<br />

nun, so lautet der Bericht, haben schon<br />

zwei Kinder im fünften Schw<strong>an</strong>gerschaftsmonat<br />

abtreiben lassen, weil sich<br />

nach pränataler Diagnose herausstellte,<br />

dass sie wieder kr<strong>an</strong>k sein würden. Um<br />

ihnen eine abermalige Frustration nach<br />

begonnener Schw<strong>an</strong>gerschaft zu ersparen,<br />

soll den Eltern nun die nach Auffassung<br />

der Beteiligten weniger belastende<br />

Labordiagnostik von <strong>Embryonen</strong> <strong>an</strong>geboten<br />

werden.<br />

Kritikern dieses av<strong>an</strong>cierten Selektionsverfahrens<br />

fällt es erstaunlich<br />

leicht, solche konkreten Wünsche auszublenden.<br />

Für sie ist die Frau vor allem<br />

das Opfer m<strong>an</strong>ipulativer Strategien:<br />

Schon das bloße Angebot, diagnostizieren<br />

zu lassen, setze die Frauen<br />

nur schwer erträglichen Entscheidungszwängen<br />

aus; die Durchführung<br />

der Tests und die Mitteilung abstrakter<br />

Risikozahlen verunsichere sie darüber<br />

hinaus massiv. Und bei „positivem“ Befund<br />

bleibe ihnen in Wirklichkeit gar<br />

keine Wahl: Der Druck von Ärzten und<br />

Juristen und der Einfluss eines behindertenfeindlichen<br />

sozialen Umfelds<br />

führten dazu, dass sie das aller Voraussicht<br />

nach geschädigte Kind – g<strong>an</strong>z<br />

gleich, was sie selbst sich wünschen –<br />

nicht zur Welt bringen.<br />

Noch kontroverser wird die Meinungsbildung,<br />

wenn moralische Normen<br />

ins Spiel kommen, die mit dem Autonomieprinzip<br />

konkurrieren. Um zu<br />

demonstrieren, dass ein medizinisches<br />

Verfahren die Grundfesten der menschlichen<br />

Zivilisation bedroht, setzt m<strong>an</strong><br />

Werte immer wieder wie Trumpfkarten<br />

ein. Ob Achtung der Menschenwürde,<br />

unbedingter Lebensschutz, Recht auf<br />

„natürliche“ Abstammung oder Schutz<br />

intakter Familienstrukturen – all das<br />

wird beschworen, als verstünde es sich<br />

von selbst, dass zum Beispiel Praktiken<br />

der „therapeutischen“ Selektion, der<br />

Genveränderung oder der Org<strong>an</strong>tr<strong>an</strong>spl<strong>an</strong>tation<br />

mit diesen Prinzipien unvereinbar<br />

seien. Doch solche magischen<br />

76<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

B<strong>an</strong>nsprüche, die alle Erklärungen<br />

überflüssig zu machen scheinen, verlieren<br />

in der öffentlichen Debatte oft allzu<br />

schnell ihre Eindeutigkeit:Was die Achtung<br />

der Menschenwürde eigentlich<br />

konkret gebietet und ob es wirklich ausnahmslos<br />

oberstes Gebot sein k<strong>an</strong>n,<br />

menschliches Leben um jeden Preis zu<br />

erhalten, erweist sich d<strong>an</strong>n als unklar<br />

und fragwürdig.<br />

Wenn es um revolutionäre Neuerungen<br />

geht, ist die Reaktion meist noch relativ<br />

einhellig. Auf die Geburt des ersten<br />

„Retortenbabys“ im Jahre 1978<br />

reagierte ein großer Teil der Bevölkerung<br />

mit Abscheu oder Befremden.<br />

Dass hier die „Würde“, genauer die<br />

physische und psychische Integrität, der<br />

Frau bedroht sei und dass außerdem<br />

frühe Stadien menschlichen Lebens in<br />

unzulässiger Weise instrumentalisiert<br />

werden könnten, schien intuitiv einzuleuchten.<br />

Je mehr jedoch die Erfolgsmeldungen<br />

überwogen, desto schwieriger<br />

wurde es, <strong>an</strong> der ursprünglichen kategorischen<br />

Ablehnung festzuhalten.<br />

Was sollte eigentlich so verdammenswert<br />

dar<strong>an</strong> sein, wenn infertile Paare<br />

mit Kinderwunsch medizinische Hilfe<br />

bei der Zeugung in Anspruch nahmen?<br />

Was sprach umgekehrt dafür, die<br />

„natürliche“ Fortpfl<strong>an</strong>zung für sakros<strong>an</strong>kt<br />

zu erklären? Ohnehin wurde mit<br />

der fortschreitenden Etablierung der<br />

Laborbefruchtung, die m<strong>an</strong> bei Sterilität<br />

mittlerweile als Routineverfahren<br />

einsetzte, immer undeutlicher, was „unnatürlich“<br />

in diesem Zusammenh<strong>an</strong>g<br />

eigentlich zu bedeuten hatte.<br />

Politik, die biomedizinische Innovationen<br />

zu regulieren sucht, muss mit<br />

umstrittenen Situationsdeutungen wie<br />

mit konkurrierenden moralischen Prinzipien<br />

umgehen. Entziehen k<strong>an</strong>n sie<br />

sich dieser Aufgabe nicht. Denn dass reguliert<br />

werden muss, erkennen auch die<br />

Verfechter der neuen Verfahren <strong>an</strong>. Sie<br />

möchten selbst genau wissen, was zulässig<br />

ist und was nicht: Dürfen bei der<br />

künstlichen Fertilisation Gameten genutzt<br />

werden, die nicht einem der beiden<br />

Partner entstammen, und ist die<br />

Herkunft dieser Keimzellen zu dokumentieren<br />

und bei Verl<strong>an</strong>gen später<br />

dem Kind mitzuteilen? Was darf oder<br />

muss mit <strong>Embryonen</strong> geschehen, die<br />

bei der Laborbefruchtung „übrig bleiben“?<br />

Wie muss der Arzt bei Risi-<br />

koschw<strong>an</strong>gerschaften aufklären, um<br />

sich vor Regress<strong>an</strong>sprüchen nach der<br />

Geburt eines behinderten Kindes zu<br />

schützen? Wie lässt sich der Hirntod mit<br />

hundertprozentiger Sicherheit feststellen,<br />

und wie muss diese Diagnose belegt<br />

werden? Unter welchen Voraussetzungen<br />

darf expl<strong>an</strong>tiert werden, und <strong>an</strong><br />

wen können die Org<strong>an</strong>e weitergegeben<br />

werden?<br />

Die einzelnen Praktiken enthalten eine<br />

kaum überschaubare Fülle von<br />

Aspekten,die rechtlich definiert werden<br />

müssen, will m<strong>an</strong> nicht der Willkür Tür<br />

und Tor öffnen. Bei jeder Gesetzgebung<br />

stellt sich d<strong>an</strong>n aber zugleich die Grundsatzfrage,<br />

ob das neue Verfahren mit<br />

„der Moral“ der Gesellschaft im Einkl<strong>an</strong>g<br />

steht. Das zu entscheiden, überfordert<br />

staatliche Inst<strong>an</strong>zen in aller Regel.<br />

Zumeist werden sie ohnehin erst<br />

d<strong>an</strong>n mit dieser Frage konfrontiert,<br />

wenn durch die Entwicklung und Einführung<br />

einer Diagnostik oder Therapie<br />

die Weichen bereits gestellt sind. Die<br />

Entwicklung, die schon voll im G<strong>an</strong>ge<br />

ist, k<strong>an</strong>n d<strong>an</strong>n nur nachträglich „abgesegnet“<br />

und in einem begrenzten Maß<br />

k<strong>an</strong>alisiert, kaum aber noch grundsätzlich<br />

umgelenkt oder aufgehalten werden.<br />

Für eine qualifizierte Prognose der<br />

mittel- und l<strong>an</strong>gfristigen Konsequenzen<br />

der Innovationen – die auch bei den<br />

Fachleuten selbst umstritten sind – fehlt<br />

den Politikern meist die nötige Sachkenntnis.<br />

Zudem fließen in die Entscheidung<br />

über die Zulässigkeit biomedizinischer<br />

Verfahren so vielfältige und tief verwurzelte<br />

Werthaltungen ein, dass es unter<br />

den Vorzeichen des welt<strong>an</strong>schaulichen<br />

Pluralismus höchst schwierig ist,<br />

zu konsensfähigen Beschlüssen zu gel<strong>an</strong>gen.<br />

Stellungnahmen, die aus der<br />

Sicht einer der Parteien besonders<br />

überzeugend und nahe liegend erscheinen,<br />

stoßen oft allgemein auf wenig Akzept<strong>an</strong>z.<br />

Das heißt: Je zwingender ein<br />

Urteil für die Verfechter oder Kritiker<br />

einer Option ausfällt, desto unwahrscheinlicher<br />

ist es, dass es mit allgemeiner<br />

Zustimmung rechnen k<strong>an</strong>n. Die<br />

Wertmaßstäbe und Tatsachenbehauptungen,<br />

die in diese Urteile einfließen,<br />

sind nämlich derart spezifisch, dass sie<br />

in einer wertpluralen Gesellschaft immer<br />

nur von einzelnen Fraktionen des<br />

Gemeinwesens akzeptiert werden. M<strong>an</strong>


k<strong>an</strong>n sagen: Je partikularer eine Überzeugung,<br />

desto schwieriger ist es für ihre<br />

Anhänger hinzunehmen, dass sie den<br />

Lauf der Dinge nicht entscheidend beeinflussen<br />

können.<br />

Die Frage nach dem <strong>an</strong>gemessenen<br />

Umg<strong>an</strong>g mit Zeugung, Geburt, Kr<strong>an</strong>kheit,<br />

Sterben und Tod provoziert quasireligiöse<br />

Vorstellungen von Gut und Böse,<br />

die sich nicht einfach wegrationalisieren<br />

und in die private Sphäre der Bürger abdrängen<br />

lassen. Das liberale Credo, dass<br />

politische Entscheidungen wertneutral<br />

ausfallen müssen, wird damit auf eine<br />

harte Probe gestellt.Permissive Regelungen,<br />

das heißt Gesetze, die möglichst wenig<br />

verbieten, sind zwar den liberalen<br />

Grundwerten westlicher Gesellschaften<br />

insofern eher <strong>an</strong>gemessen, als sie den<br />

Bürgern weitgehend die Wahl lassen, ob<br />

sie von gewissen Möglichkeiten Gebrauch<br />

machen wollen oder nicht. Doch<br />

unparteiisch sind solche Regelungen deshalb<br />

keineswegs. Denn auch sie basieren<br />

auf g<strong>an</strong>z bestimmten Wertüberzeugungen:<br />

Dass Ärzte mit gespendeten Keimzellen<br />

im Labor ein Kind zeugen und diese<br />

vielleicht sogar nach besonderen medizinischen<br />

St<strong>an</strong>dards auswählen oder<br />

dass ein g<strong>an</strong>zes Geschwader von Chirurgen<br />

<strong>an</strong> einen „hirntoten“ Patienten mit<br />

einem Wunschzettel her<strong>an</strong>tritt, ihn aufschneidet<br />

und ihm Zellmaterial und Org<strong>an</strong>e<br />

entnimmt – all das k<strong>an</strong>n nur d<strong>an</strong>n<br />

zulässig erscheinen, wenn m<strong>an</strong> menschliches<br />

Leben in einer g<strong>an</strong>z bestimmten<br />

Weise definiert und damit das totale Verfügen<br />

über frühe und späte Lebensstadien<br />

als moralisch akzeptabel deklariert.<br />

Wunsch, Menschen zu heilen,<br />

entfaltet ungeheure Kräfte<br />

Die Politik steht deshalb vor einem Dilemma,<br />

und was ihr abverl<strong>an</strong>gt wird,<br />

mutet nicht selten <strong>an</strong> wie die Quadratur<br />

des Kreises: Sie ist gut beraten, möglichst<br />

wenig restriktiv zu verfahren, um<br />

nicht die Wahlfreiheit der Bürger zu<br />

verletzen. Zugleich aber darf sie nicht<br />

den Verdacht aufkommen lassen, dass<br />

sie mit solcher Liberalität einzelne<br />

Welt<strong>an</strong>schauungen privilegiert oder<br />

den Wünschen einzelner Interessengruppen<br />

– den Forschern, der Wirtschaft,<br />

den Patienten – nachgibt. Entscheidungsträger<br />

müssen den häufig be-<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

rechtigten oder doch gut nachvollziehbaren<br />

Vorbehalten gegenüber dem radikalen<br />

W<strong>an</strong>del im Umg<strong>an</strong>g mit Leben<br />

und Sterben Gehör schenken, ohne ihnen<br />

doch in der Weise nachgeben zu<br />

können, dass sie g<strong>an</strong>ze therapeutische<br />

Entwicklungsstränge durch staatliche<br />

Order einfach kappen.<br />

Es ist deshalb schwer vorstellbar,dass<br />

das extrem restriktive deutsche <strong>Embryonen</strong>schutzgesetz<br />

Best<strong>an</strong>d haben<br />

wird. Das Verbot der <strong>Embryonen</strong>forschung<br />

beschränkt nicht nur den Verhaltensspielraum<br />

von Wissenschaftlern,<br />

sondern es erstickt auch eine Fülle medizinisch-therapeutischerMöglichkeiten.<br />

Mit dem Selbstverständnis liberaler<br />

Gesellschaften, sich und ihren Bürgern<br />

ein breites Spektrum von Entwicklungswegen<br />

offen zu halten, ist dies sol<strong>an</strong>ge<br />

unvereinbar, wie hiermit nicht eindeutig<br />

die elementaren Interessen konkreter<br />

Personen verletzt werden. Dass aber<br />

frühe menschliche <strong>Embryonen</strong> in gleicher<br />

Weise unbedingten Schutz ihrer Integrität<br />

verdienen wie voll entwickelte<br />

Personen, wird wohl kaum eine Mehrheit<br />

der Bevölkerung bejahen.<br />

Erweist sich das <strong>Embryonen</strong>schutzgesetz<br />

als zu restriktiv, so muss das deutsche<br />

Tr<strong>an</strong>spl<strong>an</strong>tations medizingesetz<br />

gerade aus liberaler Sicht als zu permissiv<br />

gelten. Dem Postulat, dass die persönlichen<br />

Wertentscheidungen jedes<br />

Einzelnen zu respektieren sind, hätte<br />

m<strong>an</strong> Rechnung tragen können, ohne<br />

damit der Org<strong>an</strong>spende und Org<strong>an</strong>tr<strong>an</strong>spl<strong>an</strong>tation<br />

ein Ende zu bereiten.<br />

Weil es eben nach wie vor strittig<br />

ist, ob „hirntote“ Personen „richtig“ tot<br />

sind oder nicht, k<strong>an</strong>n nur jeder selbst<br />

entscheiden, ob ihm seine Org<strong>an</strong>e in<br />

diesem Zust<strong>an</strong>d, in den er womöglich<br />

einmal gerät, entnommen werden dürfen.<br />

Hier h<strong>an</strong>delt es sich um eine solch<br />

gravierende Entscheidung, dass sie nicht<br />

– wie nach deutschem Recht erlaubt – <strong>an</strong><br />

Angehörige delegiert werden darf, die<br />

hiermit im Augenblick des Abschiednehmens<br />

vom todkr<strong>an</strong>ken Patienten<br />

häufig auch psychisch völlig überfordert<br />

sind. Das Argument, dass mit einer<br />

„engen“ Regelung das ohnehin unzureichende<br />

„Org<strong>an</strong>aufkommen“ abermals<br />

stark zurückgehen würde, zeigt die<br />

ungeheure Versuchung, der m<strong>an</strong> nicht<br />

erliegen darf: dass nämlich im Namen<br />

des zu erzielenden therapeutischen<br />

Nutzens die Persönlichkeitssphäre des<br />

Einzelnen verletzt wird. Die Medizinverbrechen<br />

des zurückliegenden Jahrhunderts<br />

können uns – <strong>an</strong>ders, als häufig<br />

behauptet wird – nicht darüber belehren,<br />

welche neuen medizinischen<br />

Verfahren verwerflich und welche wünschenswert<br />

sind. Die Geschichte zeigt<br />

jedoch, was für eine ungeheuer exp<strong>an</strong>sive<br />

und destruktive Kraft der – echte<br />

oder vorgebliche – Wunsch entfalten<br />

k<strong>an</strong>n, Menschen zu heilen. Dieser Dynamik<br />

fallen d<strong>an</strong>n allzu schnell jene<br />

zum Opfer, die als unheilbar gelten.<br />

M<strong>an</strong> sollte sich hier<strong>an</strong> erinnern, damit<br />

der „therapeutische Imperativ“ nicht<br />

als ein „kategorischer Imperativ“ missverst<strong>an</strong>den<br />

wird und inhum<strong>an</strong>en Interventionen<br />

Tür und Tor öffnet. ✮<br />

Heft 13, 30. März 2001<br />

<strong>PID</strong><br />

„Glasklare<br />

Regelung“<br />

BÄK-Präsident fordert Rechtssicherheit.<br />

Prof. Dr. med. Jörg-Dietrich Hoppe,<br />

Präsident der Bundesärztekammer<br />

(BÄK), fordert eine<br />

„glasklare gesetzliche Regelung zur<br />

<strong>PID</strong>“. Wenn die Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

(<strong>PID</strong>) in Deutschl<strong>an</strong>d zugelassen<br />

werden sollte, d<strong>an</strong>n nur, wie<br />

es der Diskussionsentwurf der BÄK<br />

vom Februar 2000 vorsehe, wenn<br />

Rechtssicherheit und ein hohes<br />

Schutzniveau über strenge und restriktiv<br />

zu fassende Zulassungskriterien<br />

erreicht werden könnten.<br />

Bundesjustizministerin Herta<br />

Däubler-Gmelin wies in einem<br />

Schreiben <strong>an</strong> einen Gynäkologen<br />

auf die Strafbarkeit von „<strong>PID</strong>-Tourismus“<br />

hin: Ein Arzt, der eine Frau<br />

zur <strong>PID</strong> <strong>an</strong> den ausländischen Kollegen<br />

vermittele oder die Patientin<br />

im Rahmen der hormonellen Stimulation<br />

betreue, unterstütze eine<br />

strafbare H<strong>an</strong>dlung. Er könne sich<br />

als Gehilfe strafbar machen. Das<br />

gelte auch, wenn die <strong>PID</strong> in dem<br />

L<strong>an</strong>d, in dem sie vorgenommen<br />

werde, nicht strafbar sei.<br />

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D O K U M E N T A T I O N


Heft 12, 2<strong>3.</strong> März 2001<br />

Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

G<strong>an</strong>z am Anf<strong>an</strong>g<br />

Eine Entscheidung, ob die Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

(<strong>PID</strong>) in<br />

Deutschl<strong>an</strong>d zugelassen werden<br />

soll, wird in nächster Zeit nicht fallen.<br />

Dies verdeutlichte die Parlamentarische<br />

Staatssekretärin im Bundesgesundheitsministerium<br />

(BMG), Gudrun<br />

Schaich-Walch (SPD), bei der Diskussionsver<strong>an</strong>staltung<br />

„Berliner Dialog<br />

Biomedizin“ der Friedrich-Ebert-<br />

Stiftung am 1<strong>3.</strong> März. „Wir stehen<br />

g<strong>an</strong>z am Anf<strong>an</strong>g der Diskussion und<br />

müssen keine Eile haben“, sagte sie.<br />

„Im wissenschaftlichen Bereich werden<br />

wir nichts verpassen.“ Dass die<br />

neue Führung des Bundesgesundheitsministeriums<br />

das Positionspapier<br />

des ursprünglichen Ministeriums unter<br />

Andrea Fischer nicht als Diskussionsgrundlage<br />

verwende, läge nicht <strong>an</strong><br />

einer großzügigeren Haltung gegenüber<br />

biomedizinischen Fragen. M<strong>an</strong><br />

wolle allerdings in der Debatte nicht<br />

vorgeben, dass die <strong>PID</strong> verboten werden<br />

solle.<br />

Auch wenn Zeitpunkt und Ergebnis<br />

offen sind – äußern wird sich der<br />

Gesetzgeber zur <strong>PID</strong> gewiss. Um eine<br />

Entscheidung zu fällen, sei rechtliche<br />

Klarheit erforderlich, so Schaich-Walch.<br />

Zurzeit ist das Gegenteil der Fall: Die<br />

Rechtsauffassungen, ob das <strong>Embryonen</strong>schutzgesetz<br />

die <strong>PID</strong> zulässt oder<br />

verbietet, gehen ausein<strong>an</strong>der. Das<br />

BMG will daher ein Gesetz erarbeiten,<br />

das einen Konsens im Bundestag und in<br />

der Bevölkerung findet. Die Frage der<br />

Zulässigkeit der <strong>PID</strong> soll klar geregelt<br />

und nicht nur Auslegungssache sein. Eine<br />

Regelung durch die Richtlinien der<br />

Bundesärztekammer und das Berufsrecht<br />

lehnt Schaich-Walch ab.<br />

Auch der Präsident der Bundesärztekammer,<br />

Prof. Dr. med. Jörg-Dietrich<br />

Hoppe, plädiert für eine gesetzliche<br />

Klarstellung. Die Ver<strong>an</strong>twortung dürfe<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

Das Bundesgesundheitsministerium möchte vor<br />

einer gesetzlichen Regelung die Frage der<br />

Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik auf breiter Basis diskutieren.<br />

78<br />

nicht allein auf die Ärzte übertragen<br />

werden. „Wenn der Gesetzgeber die<br />

<strong>PID</strong> will, brauchen wir zunächst<br />

Rechtsklarheit; d<strong>an</strong>ach sind wir gern<br />

bereit, eine berufsrechtliche Regelung<br />

zu finden“, betonte er in Berlin.<br />

Erst eine gesetzliche, d<strong>an</strong>n<br />

eine berufsrechtliche Regelung<br />

Für eine solche Reihenfolge sprach sich<br />

während der Podiumsdiskussion auch<br />

Dr. Carola Reim<strong>an</strong>n (SPD), Biotechnologin<br />

und Mitglied der Enquete-Kommission<br />

„Recht und Ethik der modernen<br />

Medizin“, aus. Die Kommission<br />

hätte zwar am Vortag mehrheitlich die<br />

<strong>PID</strong> als unvereinbar mit dem <strong>Embryonen</strong>schutzgesetz<br />

beurteilt; bei diesem<br />

Thema seien jedoch keine Mehrheiten,<br />

sondern ein Konsens erforderlich. Dazu<br />

müsse die Schutzwürdigkeit der <strong>Embryonen</strong><br />

diskutiert werden. Die Kern-<br />

Einmal Gott spielen<br />

Reproduktives Klonen ist für<br />

Experten „reine Scharlat<strong>an</strong>erie“.<br />

Nicht die therapeutischen Möglichkeiten, sondern<br />

die Idee, den Menschen zu optimieren, stünde <strong>an</strong>scheinend<br />

bisl<strong>an</strong>g im Mittelpunkt der Bemühungen<br />

um das Klonen, warnte der Kulturstaatsminister<br />

Prof. Dr. Juli<strong>an</strong> Nida-Rümelin bei den „Berliner Wissenschaftsgesprächen“,<br />

die am 12. März von der<br />

Berliner Zeitung und der Deutschen <strong>Forschung</strong>sgemeinschaft<br />

(DFG) ver<strong>an</strong>staltet wurden. Das therapeutische<br />

Klonen könne den Einstieg in das Projekt<br />

des „optimierten Menschen“ bedeuten. Sol<strong>an</strong>ge<br />

diese Gefahr bestehe, wende auch er sich gegen diese<br />

Bemühungen. Sobald das Risiko aber ausgeschlossen<br />

sei, habe er keine grundsätzlichen Einwände<br />

gegen das therapeutische Klonen. Zugleich<br />

räumte der Minister auf der Ver<strong>an</strong>staltung ein, sich<br />

möglicherweise im J<strong>an</strong>uar missverständlich ausgedrückt<br />

zu haben. Damals hatte er im „Tagesspiegel“<br />

frage laute: Ist ein Embryo in vitro<br />

schutzwürdiger als in vivo? Die Spirale<br />

als legale Verhütungsmethode, die die<br />

Nidation des Embryos in vivo verhindert,<br />

und die Möglichkeit der straffreien<br />

Abtreibung nach § 218 StGB würden<br />

von den Frauen nicht leichtfertig <strong>an</strong>gew<strong>an</strong>dt.<br />

Schon dass die In-vitro-Fertilisation<br />

mit erheblichen Nebenwirkungen<br />

verbunden sei, würde die Anwendung<br />

der <strong>PID</strong> nach Ansicht Reim<strong>an</strong>ns begrenzen.<br />

Voraussetzung sei allerdings,<br />

die <strong>PID</strong> auf bestimmte Erkr<strong>an</strong>kungen<br />

einzuengen und eine ausführliche psychosoziale<br />

Beratung <strong>an</strong>zubieten. Eine<br />

„Schw<strong>an</strong>gerschaft auf Probe“ durch die<br />

Möglichkeiten der Pränataldiagnostik<br />

bezeichnete Reim<strong>an</strong>n als „frauenverachtend“.<br />

Sowohl die <strong>PID</strong> als auch die Pränataldiagnostik<br />

hält Dr. med. Alfred Sonnenfeld,<br />

Theologe und Medizinethiker<br />

der Charite´ Berlin, für unvertretbar.<br />

M<strong>an</strong> müsse sich der Herausforderung<br />

stellen, den Embryo schon als vollständigen<br />

Menschen zu sehen. Auch Hoppe<br />

stellte klar, dass es sich in jedem Fall um<br />

menschliches Leben h<strong>an</strong>dele und die<br />

<strong>PID</strong> eine Selektionsmethode sei. Eine<br />

unterschiedliche Schutzwürdigkeit der<br />

<strong>Embryonen</strong> in vivo und in vitro sieht er<br />

jedoch nicht.Ferner scheint es ihm nicht<br />

sinnvoll zu sein, Grenzen der <strong>PID</strong> <strong>an</strong>h<strong>an</strong>d<br />

einer Diagnosenliste zu ziehen.<br />

Zweckmäßiger sei eine individuelle<br />

ärztliche Beratung. Dr. med. Eva A. Richter<br />

<strong>Embryonen</strong> im frühen Stadium die Menschenwürde<br />

abgesprochen. Menschenwürde sei jedoch nicht mit<br />

Schutzwürdigkeit gleichzusetzen, betonte der Philosoph<br />

jetzt in Berlin. Die Schutzwürdigkeit des Embryos<br />

bestünde von Anbeginn <strong>an</strong> und nähme im Reifungsprozess<br />

graduell zu.<br />

Das Vorhaben der italienischen Forschergruppe<br />

um Severino Antinori, einen Menschen zu klonen,<br />

bezeichnete Prof. Dr. Ernst-Ludwig Winnacker, Präsident<br />

der DFG, als „reine Scharlat<strong>an</strong>erie“. Das Klonen<br />

eines vollständigen Org<strong>an</strong>ismus sei inakzeptabel.<br />

Bereits der Weg dahin sei unvertretbar, weil<br />

Tierversuche gezeigt hätten, dass viele <strong>Embryonen</strong><br />

sterben und Jungtiere missgebildet oder lebensunfähig<br />

zur Welt kämen. Auch der Benefit des therapeutischen<br />

Klonens läge noch in weiter Ferne. Eine<br />

Alternative sieht der DFG-Präsident hingegen in<br />

der <strong>Forschung</strong> <strong>an</strong> adulten Stammzellen. Eine Änderung<br />

des deutschen <strong>Embryonen</strong>schutzgesetzes, in<br />

dem das therapeutische Klonen verboten wird,<br />

lehnt Winnacker ab. Deutschl<strong>an</strong>d dürfe sich allerdings<br />

innerhalb der internationalen Wissenschaft<br />

nicht isolieren. ER


Heft 14, 6. April 2001<br />

Dem Leser „<strong>an</strong>spruchsvoller“ Zeitungen<br />

wird seit einigen Monaten<br />

ein erbitterter Kampf aufgefallen<br />

sein. Gestritten wird um neuere Technologien<br />

wie die Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

oder die <strong>Forschung</strong> <strong>an</strong> embryonalen<br />

Stammzellen, vor allem aber um die<br />

grundlegende Frage, welcher Schutz<br />

dem ungeborenen menschlichen Leben<br />

zukommen soll. Anlässe zu dieser Debatte<br />

gab es mehrere: Die Bundesärztekammer<br />

hatte einen Entwurf einer<br />

Richtlinie zur Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

(<strong>PID</strong>) vorgestellt, in der sie diese innerhalb<br />

strenger Grenzen befürwortet.<br />

Ein Mitglied der Bundesregierung,<br />

Staatsminister Juli<strong>an</strong> Nida-Rümelin, hatte<br />

sich gegen die gleiche Zuschreibung<br />

der Menschenwürde <strong>an</strong> menschliche<br />

<strong>Embryonen</strong> in den ersten 14 Tagen vor<br />

der Impl<strong>an</strong>tation ausgesprochen. Seither<br />

wechseln sich wöchentlich, zuweilen täglich<br />

die Stellungnahmen für und gegen<br />

den Lebensschutz von <strong>Embryonen</strong> ab.<br />

Die Argumente sind seit<br />

l<strong>an</strong>gem bek<strong>an</strong>nt<br />

Die St<strong>an</strong>dpunkte und die <strong>an</strong>geführten<br />

Argumente zum Lebensrecht des ungeborenen<br />

menschlichen Lebens sind<br />

nicht neu, sondern seit l<strong>an</strong>gem bek<strong>an</strong>nt.<br />

Alles, was in den letzten Monaten für<br />

und wider den Lebensschutz von <strong>Embryonen</strong><br />

zu lesen war, lässt sich schon<br />

seit geraumer Zeit in der einschlägigen<br />

moralphilosophischen Literatur finden.<br />

Neu ist allenfalls die Aufgeregtheit <strong>an</strong>gesichts<br />

der Tatsache, dass ein Mitglied<br />

der Bundesregierung den Lebensschutz<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

Streit um die <strong>Embryonen</strong><br />

Was tun, wenn m<strong>an</strong> sich<br />

nicht einigen k<strong>an</strong>n?<br />

Nach den Äußerungen des Präsidenten der Bundesärztekammer<br />

in der Fr<strong>an</strong>kfurter Allgemeinen stellt sich die Frage:<br />

Welche Rolle kommt der Ärzteschaft zu?<br />

Urb<strong>an</strong> Wiesing<br />

von <strong>Embryonen</strong> relativiert hat. Dabei<br />

hat Nida-Rümelin nur das öffentlich gesagt,<br />

was in der Moralphilosophie – der<br />

Staatsminister ist hier ausgewiesener<br />

Experte – zu den ausführlich diskutierten<br />

Positionen gehört.<br />

M<strong>an</strong> wird sich nicht<br />

einigen können<br />

Bei der Debatte war eines schon vorab<br />

klar: M<strong>an</strong> wird sich am Ende nicht einigen<br />

können. M<strong>an</strong> hätte gleich eing<strong>an</strong>gs<br />

vor der Illusion warnen sollen, es ließe<br />

sich zum moralischen Status des ungeborenen<br />

menschlichen Lebens ein Konsens<br />

finden. Die Positionen zwischen den Befürwortern<br />

eines uneingeschränkten<br />

Schutzes der <strong>Embryonen</strong> ab Verschmelzung<br />

von Samen- und Eizelle und den<br />

Befürwortern eines abgestuften, wachsenden<br />

Schutzes der <strong>Embryonen</strong> liegen<br />

so weit ausein<strong>an</strong>der, dass sie nicht zu<br />

vermitteln sind. Selbst ein Rückgriff auf<br />

das Grundgesetz und die darin ver<strong>an</strong>kerte<br />

Menschenwürde k<strong>an</strong>n die Kontroverse<br />

nicht entschärfen. Zwar schützt<br />

das Grundgesetz nach Ansicht der meisten<br />

Rechtsgelehrten menschliches Leben<br />

ab der Verschmelzung von Samenund<br />

Eizelle, doch auch hier erhebt sich<br />

Widerspruch.Für Norbert Hoerster lässt<br />

die Verfassung keine eindeutigen Rückschlüsse<br />

zu, und für Reinhard Merkel ist<br />

das <strong>Embryonen</strong>schutzgesetz gar verfassungswidrig.<br />

Es bestätigt sich, was im<br />

Grunde seit l<strong>an</strong>gem bek<strong>an</strong>nt ist: M<strong>an</strong><br />

wird sich nicht einig, und dar<strong>an</strong> dürfte<br />

sich auch in Zukunft nichts ändern. Für<br />

mehrere Positionen zum Schutz des un-<br />

geborenen Lebens lassen sich plausible<br />

Argumente <strong>an</strong>führen.Wenn es eines Beweises<br />

bedurft hätte,dass wir uns in einer<br />

wertepluralen Gesellschaft befinden,<br />

hier ist er. Was folgt aus dieser ernüchternden<br />

Diagnose? Die Debatte um den<br />

moralischen Status des ungeborenen<br />

menschlichen Lebens führt uns mit<br />

Deutlichkeit vor Augen, dass in dieser<br />

Frage eine politische Entscheidung gefällt<br />

werden muss, da kein moralischer<br />

Konsens erwartet werden darf.Der Staat<br />

in Form seiner demokratisch legitimierten<br />

Institutionen muss sich Fragen jenseits<br />

der verschiedenen Überzeugungen<br />

stellen. Erstens: Auf welchen Prämissen<br />

basieren die jeweiligen Positionen zum<br />

Lebensschutz des ungeborenen Lebens,<br />

und inwieweit sind diese Vor<strong>an</strong>nahmen –<br />

zum Beispiel religiöser Art – für alle verbindlich?<br />

Zweitens: Nicht die Frage, welche<br />

Vorgehensweise ist moralisch die<br />

einzig richtige, stellt sich, sondern: Welche<br />

H<strong>an</strong>dlungen soll der Staat erlauben?<br />

Im Grunde hat sich der Gesetzgeber so<br />

bereits beim § 218 verhalten. Dieses Gesetz<br />

ist einzig ein politischer Kompromiss,der<br />

dem moralischen Dissens in unserer<br />

Gesellschaft nicht beikommen<br />

konnte.<br />

Auch die Konsequenzen aus der notorischen<br />

Uneinigkeit beim <strong>Embryonen</strong>schutz<br />

sind l<strong>an</strong>ge bek<strong>an</strong>nt. Schon<br />

vor über zehn Jahren beendete Anton<br />

Leist seine Untersuchung zum moralischen<br />

Status des ungeborenen Lebens<br />

mit der Feststellung, dass sie in die Frage<br />

der Toler<strong>an</strong>z münden würde. Was<br />

soll erlaubt werden, ohne die Zumutbarkeit<br />

der Vertreter <strong>an</strong>derer Ansichten<br />

zu überfordern? Wenn gute Argumente<br />

für einen gestuften Lebensschutz<br />

von <strong>Embryonen</strong> <strong>an</strong>geführt werden<br />

können und die Gegenargumente<br />

zumeist auf bedingt verallgemeinerungsfähigen<br />

Vor<strong>an</strong>nahmen beruhen,<br />

d<strong>an</strong>n sollte m<strong>an</strong> den Schutz der <strong>Embryonen</strong><br />

in der frühesten Phase<br />

zumindest gegen <strong>an</strong>dere hochr<strong>an</strong>gige<br />

Güter zur Abwägung stellen. Dass diese<br />

Überlegungen nicht g<strong>an</strong>z folgewidrig<br />

sind, sei mit Verweis auf die Realität<br />

untermauert: Die Tötung von<br />

<strong>Embryonen</strong> geschieht beispielsweise<br />

durch die Spirale millionenfach, ohne<br />

dass sie sonderlich kontrovers wäre.<br />

Entweder die Spirale müsste verboten<br />

werden, oder die Überlegungen der<br />

79


Bundesärztekammer zur <strong>PID</strong> sind<br />

nicht g<strong>an</strong>z abwegig. Zudem schließen<br />

liberale rechtliche Regelungen nicht<br />

aus, dass für zahlreiche Bürger aufgrund<br />

von moralischen, hoch respektablen<br />

Überzeugungen eine <strong>PID</strong> oder<br />

ein Schw<strong>an</strong>gerschaftsabbruch nicht infrage<br />

kommen.<br />

In die Diskussion haben sich Ärzte<br />

und Vertreter der verfassten Ärzteschaft<br />

eingeschaltet – mit deutlicher Reson<strong>an</strong>z.<br />

Insbesondere ein Artikel des<br />

Präsidenten der Bundesärztekammer,<br />

Jörg-Dietrich Hoppe, in der Fr<strong>an</strong>kfurter<br />

Allgemeinen Zeitung hat zahlreiche<br />

Reaktionen provoziert. Nicht zuletzt<br />

von ihm selbst, wurde doch sein Artikel<br />

ohne Rücksprache gekürzt, entstellend<br />

überschrieben und redaktionell vernichtend<br />

kommentiert: Seine Ausführungen<br />

seien „in weiten Teilen ein<br />

Dokument der Hilflosigkeit“.<br />

Das bitterböse Urteil des redaktionellen<br />

Kommentars richtete sich unter<br />

<strong>an</strong>derem gegen Hoppes Äußerung, die<br />

aufgeworfenen Fragen könnten nur von<br />

der „Gesamtgesellschaft“ be<strong>an</strong>twortet<br />

werden. Dem hielt wenig später Steph<strong>an</strong><br />

Sahm entgegen, es zähle „zu den<br />

vornehmsten ärztlichen Pflichten [. . .],<br />

zu den ethischen Herausforderungen<br />

medizinischer Praxis einen St<strong>an</strong>dpunkt<br />

zu finden“ .<br />

Unweigerlich drängt sich die Frage<br />

auf, welche Rolle der Ärzteschaft bei<br />

der Ausein<strong>an</strong>dersetzung zukommt.<br />

Zweierlei sollte m<strong>an</strong> sich vergegenwärtigen.<br />

Erstens: Wen betreffen die Entscheidungen?<br />

Und zweitens: Gibt es eine<br />

Gruppe, die über einen privilegierten<br />

Zug<strong>an</strong>g zu einer besseren und in höherem<br />

Maße verbindlichen Moral verfügt?<br />

Die erste Frage lässt sich leicht be<strong>an</strong>tworten:<br />

Die Auswirkungen neuer<br />

Technologien in der Medizin betreffen<br />

alle potenziellen Kr<strong>an</strong>ken, also im Prinzip<br />

alle Bürger. Die Frage, wie eine<br />

Gesellschaft mit dem ungeborenen<br />

menschlichen Leben umgehen soll, betrifft<br />

gleichermaßen alle Bürger. Hier<br />

steht kein professionsinternes, sondern<br />

ein „gesamtgesellschaftliches“ Problem<br />

zur Debatte.<br />

Bei der Frage nach einem privilegierten<br />

Zug<strong>an</strong>g zu einer Moral wird m<strong>an</strong> auf<br />

Grund<strong>an</strong>nahmen unseres Gemeinwesens<br />

verweisen müssen. Zu diesen<br />

gehört, dass ein jeder Bürger in Sachen<br />

80<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

Moral zunächst einmal selbst Experte<br />

ist. Als sittliche Subjekte sind wir in hohem<br />

Maße auf uns selbst verwiesen, und<br />

darin sind sich alle Bürger gleich. Es ist<br />

mit dem Selbstverständnis einer demokratischen<br />

und offenen Gesellschaft daher<br />

kaum zu vereinbaren, dass einer Berufsgruppe<br />

exklusive moralische Fähigkeiten<br />

zugest<strong>an</strong>den werden, und Gleiches<br />

gilt für exklusive moralische Befugnisse.<br />

Wer es <strong>an</strong>ders sieht, müsste es begründen<br />

– und das dürfte kaum gelingen.<br />

Kurzum: Die Frage, wie eine Gesellschaft<br />

mit dem ungeborenen Leben umgehen<br />

soll, lässt sich nicht von einer Profession<br />

lösen. Erstens geht sie alle <strong>an</strong>,<br />

und zweitens verfügt ein Berufsst<strong>an</strong>d<br />

über keinerlei besondere Fähigkeiten<br />

und Befugnisse in moralischen Fragen.<br />

Die Ärzteschaft – Spiegel einer<br />

wertepluralen Gesellschaft<br />

Demokratische Gesellschaften halten<br />

die Zuständigkeit von Professionen gezielt<br />

begrenzt: Für die moralischen Probleme<br />

in ihrem Arbeitsbereich und vor<br />

allem für die Grundhaltungen des ärztlichen<br />

Ethos wird der Profession zwar<br />

ein Formulierungsrecht, beim ärztlichen<br />

Ethos gar ein Vorschlagsrecht eingeräumt.<br />

Die Berufsordnung – in<br />

Selbstverwaltung erstellt – muss jedoch<br />

stets von einem Minister gezeichnet<br />

werden. Anderes wäre in einem demokratischen<br />

Rechtsstaat auch schwerlich<br />

zu vertreten. Ärzte können die moralischen<br />

Normen ihres H<strong>an</strong>delns formulieren,<br />

argumentativ untermauern und<br />

für sie werben. Ihre Gültigkeit festlegen<br />

können sie als Profession jedoch nicht.<br />

Zuständig sind die demokratisch legitimierten<br />

Institutionen der Gesellschaft.<br />

Dieser Aufteilung von Zuständigkeit<br />

wird stets der hohe Sachverst<strong>an</strong>d der<br />

Professionen entgegengehalten. Nur sie<br />

verfügten über die Kenntnisse, die <strong>an</strong>gemessene<br />

und sachgerechte Urteile erlauben.<br />

Und in der Tat ist der öffentliche<br />

Diskurs vom Sachverst<strong>an</strong>d der Experten<br />

abhängig – allerdings nur in<br />

technischen Fragen. Nichts <strong>an</strong>deres ist<br />

mit dem Selbstverständnis einer Demokratie<br />

zu vereinbaren, als dass die Diskussion<br />

um die Medizin im öffentlichen<br />

Raum stattfindet, dass die Vertreter der<br />

St<strong>an</strong>desorg<strong>an</strong>isationen ein Diskussi-<br />

onspartner unter vielen sind, dass von<br />

ihnen zwar technischer Sachverst<strong>an</strong>d<br />

verl<strong>an</strong>gt werden k<strong>an</strong>n, ihnen aber kein<br />

privilegierter Zug<strong>an</strong>g auf eine überlegene<br />

oder bindende Moral zusteht.<br />

Ein Vergleich drängt sich auf: M<strong>an</strong><br />

stelle sich das Befremden vor, wenn die<br />

militärische Führung der Bundeswehr<br />

feststellen würde, es gehöre zu den vornehmsten<br />

Pflichten des Militärs, in Sachen<br />

Kriegsführung einen St<strong>an</strong>dpunkt<br />

zu finden und entsprechend zu entscheiden.<br />

Wenn demokratische Gesellschaften<br />

beständig darauf beharren,<br />

dass Soldaten „Bürger in Uniform“<br />

sind und ihnen keinerlei Sonderstellung<br />

zukommt, d<strong>an</strong>n ist doch nicht einzusehen,<br />

was so schlecht dr<strong>an</strong> ist, wenn sich<br />

die Ärzte als „Bürger im weißen Kittel“<br />

verstehen.<br />

Insofern war es nur zu <strong>an</strong>gemessen,<br />

wenn die Bundesärztekammer zunächst<br />

einen Entwurf zur Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

zur Diskussion gestellt<br />

hat. Den Kritikern dieser Vorgehensweise<br />

sei gesagt, dass alles <strong>an</strong>dere ungleich<br />

mehr Proteste hervorgerufen hätte.<br />

Jörg-Dietrich Hoppe hat nicht nur die<br />

„Gesamtgesellschaft“ als Forum des Diskurses<br />

<strong>an</strong>geführt, sondern realistischerweise<br />

hinzugefügt, dass es um ethische<br />

Grundfragen gehe, „über die gesamtgesellschaftlich<br />

keine Einigkeit erzielt werden<br />

k<strong>an</strong>n“.Ist es vor diesem Hintergrund<br />

nicht völlig abwegig, von den Ärzten zu<br />

verl<strong>an</strong>gen – wie im redaktionellen Kommentar<br />

der Fr<strong>an</strong>kfurter Allgemeinen –,<br />

was der Gesellschaft nicht mehr gelingt?<br />

Die Ärzteschaft spiegelt auch nur die<br />

Gesellschaft wider, und es wäre g<strong>an</strong>z illusorisch<br />

<strong>an</strong>zunehmen, dass sich alle Ärzte<br />

in der Frage des Schw<strong>an</strong>gerschaftsabbruchs<br />

oder der <strong>PID</strong> einig wären. (Noch<br />

nicht einmal innerhalb der Vorst<strong>an</strong>des<br />

der Bundesärztekammer, wie der Kommentar<br />

von Fr<strong>an</strong>k Ulrich Montgomery,<br />

gleichfalls in der Fr<strong>an</strong>kfurter Allgemeinen,<br />

verdeutlicht!) Die Ärzteschaft einer<br />

wertepluralen Gesellschaft ist keine vollständig<br />

homogene Gruppe, bei der es zu<br />

schwierigen und komplexen Themen nur<br />

eine Meinung gibt.<br />

Dem Präsidenten der Bundesärztekammer<br />

wurde überdies der Verweis<br />

auf eine Äußerung von Herm<strong>an</strong>n-Josef<br />

Hepp vorgeworfen, in dieser Situation<br />

könne es „ein schuldfreies Arztsein“<br />

nicht mehr geben. M<strong>an</strong> mag über den


Begriff „schuldfrei“ streiten, vermutlich<br />

wäre „konfliktfrei“ treffender. Gleichwohl,<br />

in der Sache steht jedoch völlig<br />

außer Zweifel, dass die Herausforderungen<br />

der modernen Medizin – auch<br />

die <strong>PID</strong> – eben nicht einfach zu lösen<br />

sind, sondern die Unsicherheit, die Abwägung<br />

und der Kompromiss zur Regelung<br />

dieser Verfahren gehören. Viele<br />

Aspekte sind zu berücksichtigen, und<br />

bei einer Entscheidung müssen bestimmte<br />

Aspekte zurücktreten – so oder<br />

so mit Folgen für die Beteiligten. Zu loben<br />

ist, wer sich dazu bekennt, und<br />

nicht, wer das verleugnet.<br />

Hilflosigkeit oder Eingeständnis<br />

der Schwierigkeiten?<br />

Wenn der redaktionelle Kommentar<br />

der Fr<strong>an</strong>kfurter Allgemeinen die Ausführungen<br />

Hoppes als „hilflos“ bezeichnet,<br />

so mag m<strong>an</strong> dem in gewissem<br />

Maße zustimmen.Aber eignet sich diese<br />

Eigenschaft eines Diskussionsbeitrags<br />

als Vorwurf? Wer ist denn in dieser<br />

Situation nicht hilflos? Die, die vorgeben,<br />

es nicht zu sein, berufen sich zumeist<br />

auf Prämissen, die schwerlich zu<br />

verallgemeinern sind, oder sie scheuen<br />

die Komplexität der Sachverhalte. Sie<br />

erklären ihren eigenen St<strong>an</strong>dpunkt<br />

zum Maßstab für alle <strong>an</strong>deren und<br />

glauben, die Tiefe ihrer persönlichen<br />

Überzeugtheit gebiete zw<strong>an</strong>gsläufige<br />

Allgemeinverbindlichkeit. Sie können<br />

sich beispielsweise auf religiöse Überzeugung<br />

zurückziehen, aber in einem<br />

Rechtsstaat mit Religionsfreiheit sind<br />

damit die Schwierigkeiten einer allgemeinen<br />

Regelung nicht behoben. Ein<br />

Eingeständnis der Schwierigkeiten,<br />

will m<strong>an</strong> in einer wertepluralen Gesellschaft<br />

hochkomplizierte Methoden der<br />

Medizin regeln, ist kein Ausdruck der<br />

Hilflosigkeit, sondern ein Ausdruck<br />

der Redlichkeit und ein erster Schritt.<br />

❚ Zitierweise dieses Beitrags:<br />

Dt Ärztebl 2001; 98: A 896–898 [Heft 14]<br />

Literatur beim Verfasser<br />

Anschrift des Verfassers:<br />

Prof. Dr. med. Dr. phil. Urb<strong>an</strong> Wiesing<br />

Lehrstuhl für Ethik in der Medizin<br />

Universität Tübingen<br />

Keplerstraße 15<br />

72074 Tübingen<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

Heft 14, 6. April 2001<br />

<strong>Embryonen</strong>forschung in Europa<br />

Gesundheit ist nicht<br />

das höchste Gut<br />

Die unterschiedlichen Auffassungen von Menschenwürde<br />

haben ihre Ursache in verschiedenen geistigen Traditionen.<br />

Ulrich Eibach<br />

Der Begriff Menschenwürde spielt in<br />

vielen Verfassungen von Staaten<br />

und internationalen Übereinkommen<br />

eine zentrale Rolle. Es gibt jedoch<br />

selbst in Europa recht unterschiedliche<br />

Auffassungen über das, was unter diesem<br />

„Prädikat“ zu verstehen ist. Im <strong>an</strong>gelsächsischen<br />

Bereich bezeichnet m<strong>an</strong><br />

„frühe <strong>Embryonen</strong>“ als „Präimpl<strong>an</strong>tationsprodukte“<br />

und Leben,das endgültig<br />

ohne Bewusstsein ist, als „hum<strong>an</strong> vegetable“.<br />

M<strong>an</strong> unterscheidet also zwischen<br />

biologisch menschlichem und personalem<br />

Leben. Entsprechend bleibt in dem<br />

Übereinkommen des Europarats die<br />

Frage nach dem Beginn und dem Ende<br />

des Lebens offen, wohingegen die deutsche<br />

Gesetzgebung das Ende des personalen<br />

Lebens im Tr<strong>an</strong>spl<strong>an</strong>tationsgesetz<br />

mit dem Hirntod und seinen Beginn im<br />

<strong>Embryonen</strong>schutzgesetz mit der Bildung<br />

der Zygote gegeben sieht. Frühen <strong>Embryonen</strong><br />

k<strong>an</strong>n d<strong>an</strong>ach eine Teilhabe <strong>an</strong><br />

der Menschenwürde nicht abgesprochen<br />

werden. Diese unterschiedlichen Auffassungen<br />

haben ihren Grund in verschiedenen<br />

geistigen Traditionen.<br />

Religiös-tr<strong>an</strong>szendentes<br />

Verständnis<br />

Die nach dem Grundgesetz un<strong>an</strong>tastbare<br />

Würde des Menschen (Art. 1) konkretisiert<br />

sich nach Art. 2 im Recht auf Freiheit,<br />

Leben und körperliche Unversehrtheit,<br />

unabhängig vom Grad der Behinderung<br />

(Art. 3 Abs. <strong>3.</strong>). Dieses Verständnis<br />

von Menschenwürde ist maßgeblich geprägt<br />

durch die jüdisch-christliche Vorstellung<br />

von der „Gottebenbildlichkeit“<br />

des Menschen. Sie gründet in der beson-<br />

deren Beziehung Gottes zum Geschöpf<br />

Mensch. Der Mensch konstituiert sich<br />

weder in seinem Leben noch in seiner<br />

Würde selbst. Er „verd<strong>an</strong>kt“ sein Leben,<br />

sein Personsein und seine Würde <strong>an</strong>deren,<br />

letztlich nicht den Eltern, sondern<br />

Gott. Demnach sind Personsein und<br />

Menschenwürde keine empirischen Qualitäten,<br />

sondern „tr<strong>an</strong>szendente“ Größen,<br />

die – von Gott her – dem g<strong>an</strong>zen Leben<br />

vom Beginn bis zum Tod zugesprochen<br />

sind. Kein menschliches Leben<br />

muss erst selbst den Erweis erbringen,<br />

dass es der Prädikate Person und Menschenwürde<br />

würdig ist. Deshalb muss<br />

ihm die Menschenwürde auch nicht erst<br />

von Menschen zuerk<strong>an</strong>nt werden, vielmehr<br />

ist sie von allen Menschen zugleich<br />

mit dem Gegebensein von Leben <strong>an</strong>zuerkennen,<br />

unabhängig vom Grad<br />

seiner seelisch-geistigen Fähigkeiten. In<br />

dieser Begründung der Menschenwürde<br />

in „Tr<strong>an</strong>szendenz“,in Gott,ist der Grund<br />

zu suchen, dass alles Leben einer totalen<br />

ge- und verbrauchenden Verfügung von<br />

Menschen entzogen sein soll.<br />

Menschenwürde ist demnach keine<br />

empirische Größe, die im Mikroskop<br />

oder sonst wie sinnlich fassbar wäre.Fragt<br />

m<strong>an</strong> nach dem „<strong>an</strong>atomischen Substrat“,<br />

dem die Menschenwürde nach dieser<br />

Sicht zukommt, so ist es die g<strong>an</strong>ze Leiblichkeit,<br />

der Lebensträger (= Org<strong>an</strong>ismus).<br />

W<strong>an</strong>n org<strong>an</strong>ismisches Leben beginnt,k<strong>an</strong>n<br />

nur auf der Grundlage der Erkenntnisse<br />

der Biologie ermittelt werden.<br />

Für die biologische Definition von individuellem<br />

Leben bei höheren Lebewesen<br />

mit geschlechtlicher Fortpfl<strong>an</strong>zung<br />

sind folgende Kriterien entscheidend: (1)<br />

Es muss eine genetische Individualität<br />

vorliegen. Dieses Kriterium ist mit der<br />

81


Bildung der Zygote erfüllt. (2) Es muss<br />

ein zu einer G<strong>an</strong>zheit integriertes, also<br />

org<strong>an</strong>ismisches Lebensgeschehen feststellbar<br />

sein, das in Interaktion mit seiner<br />

Umwelt (beispielsweise Eileiter, Gebärmutter)<br />

zu einer eigenständigen Lebensdynamik<br />

fähig ist (unter <strong>an</strong>derem Stoffwechsel,Wachstum).<br />

Es wird oft behauptet,<br />

frühe <strong>Embryonen</strong> erfüllten dieses<br />

Kriterium nicht, sie seien ein bloßer<br />

„Zellhaufen“.Aber die „Totipotenz“ der<br />

Zellen im frühesten Embryonalstadium<br />

widerspricht nicht der Erkenntnis,dass es<br />

sich von der Bildung der Zygote <strong>an</strong> um<br />

eine sich selbst org<strong>an</strong>isierende und differenzierende<br />

funktionelle „G<strong>an</strong>zheit“<br />

h<strong>an</strong>delt. Dass nur aus einem Teil dieser<br />

Zellen der Embryo, aus <strong>an</strong>deren der Trophoblast<br />

entsteht, widerspricht dem auch<br />

nicht, weil dieses Differenzierungsgeschehen<br />

nicht determiniert ist, m<strong>an</strong> also<br />

nicht vorwegsagen k<strong>an</strong>n, welche der totipotenten<br />

Zellen zu was werden.<br />

Schutzrechte des Embryos<br />

Wird die Menschenwürde dem g<strong>an</strong>zen<br />

Lebensträger zugesprochen, so können<br />

frühen <strong>Embryonen</strong> zumindest nicht die<br />

Teilhabe <strong>an</strong> der Menschenwürde und<br />

Schutzrechte g<strong>an</strong>z abgesprochen werden.<br />

Das grundlegende Recht ist dabei<br />

das Recht auf Leben. Es ist umstritten,<br />

inwieweit dieses christlich geprägte Verständnis<br />

von Menschenwürde ohne die<br />

religiösen Voraussetzungen zu begründen<br />

ist. Jedoch ist auch in der deutsches<br />

Rechtsverständnis maßgeblich prägenden<br />

Philosophie Imm<strong>an</strong>uel K<strong>an</strong>ts festgehalten,<br />

dass das Prädikat Person dem<br />

Menschen als „Natur- und Gattungswesen“<br />

zuzuordnen ist. Zwar ist K<strong>an</strong>ts Verständnis<br />

von Menschenwürde stark <strong>an</strong><br />

der Freiheit orientiert, doch ist diese<br />

nach ihm ein Postulat der praktischen<br />

Vernunft,also eine „tr<strong>an</strong>szendente“ und<br />

keine empirische Größe.<br />

Eine grundsätzlich abweichende Sicht<br />

wird d<strong>an</strong>n vertreten, wenn Personsein<br />

und Menschenwürde als empirisch feststellbare<br />

seelisch geistige Qualitäten<br />

des Lebens (zum Beispiel Selbstbewusstsein,<br />

bewusste Interessen) verst<strong>an</strong>den<br />

werden, wie es in der <strong>an</strong>gelsächsischen<br />

positivistisch-empiristischen Philosophie<br />

der Fall ist, die die internationale<br />

Diskussion über Bioethik<br />

82<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

prägt. Fragt m<strong>an</strong> nach dem <strong>an</strong>atomischen<br />

Substrat, dem diese empirischen<br />

Qualitäten zuzuordnen sind, so ist es<br />

nicht mehr der g<strong>an</strong>ze Lebensträger, sondern<br />

es sind nur bestimmte Bereiche<br />

des Großhirns. Dies besagt einerseits,<br />

dass dem Leben frühestens ab dem<br />

Zeitpunkt eine Teilhabe <strong>an</strong> der Menschenwürde<br />

zugesprochen werden k<strong>an</strong>n,<br />

ab dem die entsprechenden Strukturen<br />

des Gehirns ausgebildet sind, und <strong>an</strong>dererseits,<br />

dass deren Fehlen beziehungsweise<br />

Verlust infolge Kr<strong>an</strong>kheit gleichzusetzen<br />

ist mit dem Fehlen beziehungsweise<br />

Verlust des Personseins, das damit<br />

nur biologisch-menschliches Leben ist.<br />

Der Ged<strong>an</strong>ke einer unverlierbaren<br />

und unverrechenbaren Menschenwürde<br />

allen menschlichen Lebens ist diesem<br />

Denk<strong>an</strong>satz fremd. Die Teilhabe <strong>an</strong> der<br />

Menschenwürde wird je nach Entwicklungsgrad<br />

des Lebens abgestuft gedacht.<br />

Da nicht mehr das Leben in sich, sondern<br />

nur die seelisch- geistigen Qualitäten<br />

zu schützen sind, k<strong>an</strong>n Leben, sofern<br />

es noch nicht zum Besitz dieser Qualitäten<br />

her<strong>an</strong>gereift ist (<strong>Embryonen</strong>, Feten)<br />

oder sie nie besessen (behindert Geborene)<br />

oder sie durch Kr<strong>an</strong>kheit verloren<br />

hat, gegen <strong>an</strong>dere Güter und Interessen<br />

verrechnet werden.<br />

Mit abnehmender „Wertigkeit“ ist das<br />

Leben immer weniger zu schützen, darf<br />

es zunehmend als Mittel zum Zweck<br />

(zum Beispiel therapeutischer oder auch<br />

rein wissenschaftlicher Art) ge- und verbraucht<br />

werden. Nur auf der Basis eines<br />

empiristischen Menschenbilds k<strong>an</strong>n m<strong>an</strong><br />

von frühen <strong>Embryonen</strong> als einem „Zellhaufen“<br />

reden, da <strong>an</strong> ihm in der Tat im<br />

Mikroskop keine empirische Menschenwürde<br />

zu beobachten ist.<br />

Der Streit um die <strong>Forschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Embryonen</strong><br />

in Europa ist nicht zu verstehen<br />

ohne die aufgezeigten unterschiedlichen<br />

geistigen Traditionen. Es geht<br />

demnach um grundsätzliche Fragen des<br />

Menschenbilds und der Interpretation<br />

des Grundgesetzes.<br />

Entscheidungen, die für den Bereich<br />

der „fremdnützigen“ <strong>Forschung</strong> mit <strong>Embryonen</strong><br />

gefällt werden, haben eine weit<br />

über diesen Fachbereich hinausgehende<br />

Bedeutung. Begründet m<strong>an</strong> sie mit dem<br />

empiristischen Menschenbild, so werden<br />

damit zugleich negative Lebenswerturteile<br />

über menschliches Leben gerechtfertigt,<br />

und „minderwertiges“, <strong>an</strong>geblich<br />

bloß biologisch menschliches Leben wird<br />

in einer Güterabwägung verrechenbar<br />

gegen Interessen <strong>an</strong>derer. Dieses Vorgehen<br />

wird sich nicht auf früheste Stadien<br />

des Lebens begrenzen lassen, es wird –<br />

wenn die zu seiner Rechtfertigung <strong>an</strong>geführten<br />

therapeutischen und sonstigen<br />

Interessen stark genug sind – auch fortgeschrittene<br />

Lebensstadien, selbst geborenes<br />

Leben umfassen. Eine mit derartigen<br />

Argumenten gerechtfertigte therapeutische<br />

<strong>Forschung</strong> k<strong>an</strong>n zur Aushöhlung<br />

des für den Schutz des Lebens fundamentalen<br />

Verständnisses von Menschenwürde<br />

führen. Es könnte sich erneut<br />

bewahrheiten, was der bedeutende<br />

Arzt Viktor von Weizsäcker <strong>an</strong>lässlich<br />

der „Nürnberger Ärzteprozesse“<br />

schrieb, dass ein „tr<strong>an</strong>szendenzloses“,<br />

rein empirisches Verständnis des Menschenlebens<br />

zw<strong>an</strong>gsläufig zur Vorstellung<br />

vom „lebensunwerten“ Leben führt<br />

und dass der ungeheure Kampf für die<br />

Gesundheit einerseits und der experimentelle<br />

und vernichtende Umg<strong>an</strong>g mit<br />

„unheilbarem“ Leben <strong>an</strong>dererseits nur<br />

die zwei Seiten ein und derselben Medaille<br />

seien, der Glorifizierung von Gesundheit<br />

und diesseitigem Leben.Wo der<br />

wissenschaftliche und therapeutische<br />

Fortschritt die vor allem für den Schutz<br />

der schwächsten Glieder der Gesellschaft<br />

grundlegenden Rechte,wie das <strong>an</strong>gedeutete<br />

Verständnis von Menschenwürde,<br />

infrage stellt, muss die Gesellschaft<br />

bereit sein, auf mögliche therapeutische<br />

Fortschritte zu verzichten,und dies<br />

auch durch rechtliche Verbote einfordern.<br />

Die Gesundheit ist nicht das höchste<br />

und erst recht nicht das einzige zu<br />

schützende Gut.<br />

❚ Zitierweise dieses Beitrags:<br />

Dt Ärztebl 2001; 98: A 899–900 [Heft 14]<br />

Literatur<br />

1. Bayertz K: (Ed.) (1996) S<strong>an</strong>ctity of Life <strong>an</strong>d Hum<strong>an</strong><br />

Dignity, (Kluwer) Dordrecht (NL).<br />

2. Eibach U: (2000) Menschenwürde <strong>an</strong> den Grenzen<br />

des Lebens, (Neukirchener Verlagshaus) Neukirchen-<br />

Vluyn.<br />

<strong>3.</strong> Rager G (Hrsg.) (1998): Beginn, Personalität und<br />

Würde des Menschen, (Alber) Freiburg, 2. Aufl.<br />

Anschrift des Verfassers:<br />

Prof. Dr. theol. Ulrich Eibach<br />

Ev<strong>an</strong>gelisch-Theologische Fakultät der Universität Bonn<br />

und Pfarrer <strong>an</strong> den Universitätskliniken Bonn<br />

Sigmund-Freud-Straße 25, Haus 30, 53105 Bonn<br />

E-Mail: eibach@uni-bonn.de


Heft 27, 6. Juli 2001<br />

DISKUSSION<br />

zu dem Beitrag<br />

<strong>Embryonen</strong>forschung<br />

in Europa<br />

Gesundheit ist nicht<br />

das höchste Gut<br />

von<br />

Prof. Dr. theol. Ulrich Eibach<br />

in Heft 14/2001<br />

Keine stichhaltigen<br />

Argumente<br />

Der Verfasser argumentiert gegen die<br />

<strong>Embryonen</strong>forschung nach bewährtem<br />

Muster. Er begründet die Menschenwürde<br />

mit der Gottebenbildlichkeit des<br />

Menschen und behauptet, dass ohne religiöse<br />

Voraussetzungen das christlich<br />

geprägte Verständnis dieser Menschenwürde<br />

schwierig zu begründen sei, um<br />

d<strong>an</strong>n nahezu überg<strong>an</strong>gslos die „empiristische“<br />

Position zu kritisieren, die nicht<br />

mehr den g<strong>an</strong>zen Menschen zum Subjekt<br />

der ethischen Betrachtung mache,<br />

sondern nur noch Teile des Großhirns.<br />

Ohne weiteres sieht er in dieser philosophischen<br />

Position einen schlüpfrigen<br />

Abh<strong>an</strong>g, der über die Diskussion des<br />

„minderwertigen“ zum „lebensunwürdigen“<br />

Leben führe.<br />

Leider enthält der g<strong>an</strong>ze Artikel<br />

kaum einen Ged<strong>an</strong>ken, den m<strong>an</strong> als<br />

stichhaltiges Argument bezeichnen<br />

könnte. Denn wenn m<strong>an</strong> das Verbot,<br />

frühe <strong>Embryonen</strong> zu „verbrauchen“,mit<br />

der Notwendigkeit der Befolgung eines<br />

göttlichen Willens begründet, so sind <strong>an</strong><br />

diese Regelung mehrere Voraussetzungen<br />

geknüpft:Es müsste zum Beispiel ein<br />

Gott existieren, wovon viele Menschen<br />

nicht überzeugt sind, und dieser Gott<br />

müsste die Tötung von <strong>Embryonen</strong> verboten<br />

haben. Dass darüber hinaus noch<br />

zu fragen wäre, inwiefern wir Menschen<br />

diese Gebote zu befolgen hätten, soll<br />

hier nicht weiter diskutiert werden.<br />

Aber selbst wenn diese Voraussetzungen<br />

erfüllt wären, müsste noch die<br />

Frage be<strong>an</strong>twortet werden, wieso dieser<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

göttliche Wille für <strong>Embryonen</strong> gültig<br />

wäre, nicht aber zum Beispiel für passive<br />

Sterbehilfe, Notwehr, Tötungen im<br />

Verteidigungskrieg oder sogar die Todesstrafe,<br />

die von der katholischen Kirche<br />

bek<strong>an</strong>ntlich gebilligt wird.<br />

Darüber hinaus ist bei konsequenter<br />

Befolgung des Menschenwürdeprinzips,<br />

wie es Eibach vertritt, völlig unklar,<br />

wieso nicht massivster Widerst<strong>an</strong>d<br />

gegen millionenfache Tötungen von<br />

unschuldigen <strong>Embryonen</strong> im frühen<br />

Stadium (durch Gebrauch von Intrauterinpessaren)<br />

vonseiten der offiziellen<br />

Kirchenvertreter erfolgt. Immerhin<br />

h<strong>an</strong>delt es sich bei der Nichtbeachtung<br />

des Tötungsverbotes der Bibel um eine<br />

Todsünde, die nach zumindest katholischer<br />

Lehre den ewigen Tod in der Hölle<br />

bedeutet, wenn „sie nicht durch Reue<br />

und göttliche Vergebung wieder gutgemacht<br />

wird“ (Katechismus der katholischen<br />

Kirche 1993, 1860). Bei konsequenter<br />

Sichtweise wäre d<strong>an</strong>n sogar der<br />

Einsatz des verstorbenen Apostelnachfolgers<br />

Dyba, der außer verbaler Kritik<br />

<strong>an</strong> der Abtreibung noch die Kirchenglocken<br />

zu unpassenden Zeiten betätigte,<br />

als zu gemäßigt zu qualifizieren. Hier<br />

bleibt also für Professor Dr. theol. U.<br />

Eibach noch einiges zu tun.<br />

Die von ihm konstruierte Verbindung<br />

„empiristische Philosophie“ und<br />

„lebensunwertes Leben“ dagegen bedarf<br />

eigentlich kaum eines Kommentars.<br />

Wer keine besseren Argumente<br />

hat, greift zum nächst verfügbaren: dem<br />

Dammbruchargument. Es ist deshalb<br />

bei Menschen, die gewohnt sind, wenig<br />

Zeit mit Nachdenken zu verbringen, so<br />

erfolgreich, weil es prinzipiell unwiderlegbar<br />

ist : Es ist nämlich keine ethische<br />

Entscheidung vorstellbar, die nicht zumindest<br />

theoretisch den Gefahren des<br />

Dammbruchs ausgesetzt wäre.<br />

Dr. med. Martin Klein,<br />

Herm<strong>an</strong>n Hesse Weg 2, 97276 Margetshöchheim<br />

Zustimmung<br />

Ich k<strong>an</strong>n den Ausführungen von Herrn<br />

Eibach nur vollstens zustimmen. Das<br />

starke <strong>Forschung</strong>sinteresse und das methodisch<br />

Interess<strong>an</strong>te und Machbare<br />

dürfen unsere Gesellschaft nicht dazu<br />

verleiten, in ihren ethischen Grundsätzen<br />

unscharf zu werden. Je laxer wir mit<br />

der Definition des Lebens umgehen, desto<br />

stärker machen wir uns selbst zum<br />

„Schöpfer“ von Leben und Tod. Dies wäre<br />

ein fataler Irrtum. Auch k<strong>an</strong>n es uns<br />

zum Bumer<strong>an</strong>g im Alter werden, wenn<br />

uns das Recht auf Leben einmal verneint<br />

wird, zum Beispiel weil unsere „seelischgeistigen“<br />

Qualitäten nachlassen.<br />

Dr. med. Mathias Brinschwitz,<br />

Georg-Voigt-Straße 21, 35039 Marburg<br />

Widersprüche<br />

Ohne die grundsätzlichen Feststellungen<br />

Eibachs zur Un<strong>an</strong>tastbarkeit der<br />

Menschenwürde infrage stellen zu wollen,<br />

sehe ich doch in zwei Punkten seiner<br />

Ausführungen Widersprüche:<br />

✁ Eibach äußert, Voraussetzung für<br />

„individuelles Leben“ sei, dass „ein zu<br />

einer G<strong>an</strong>zheit integriertes, also org<strong>an</strong>ismisches<br />

Lebensgeschehen feststellbar<br />

sein (muss), das in Interaktion mit<br />

seiner Umwelt (beispielsweise Eileiter,<br />

Gebärmutter) zu einer eigenständigen<br />

Lebensdynamik fähig ist (Stoffwechsel,<br />

Wachstum)“.<br />

Nun liegt es aber auf der H<strong>an</strong>d, dass<br />

das nach der Befruchtung entstehende<br />

Zellkonglomerat ohne Nidation nicht<br />

lebensfähig ist.Wird die Nidation durch<br />

natürliche oder künstliche Umstände<br />

verhindert, geht der Zellverb<strong>an</strong>d zugrunde.<br />

✁ Eibach wendet sich gegen den<br />

St<strong>an</strong>dpunkt der Abhängigkeit einer<br />

Teilhabe <strong>an</strong> der Menschenwürde von<br />

der Entwicklung bestimmter Bereiche<br />

des Großhirns.<br />

Es besteht aber spätestens seit der<br />

Verabschiedung des Tr<strong>an</strong>spl<strong>an</strong>tationsgesetzes<br />

vom 5. November 1997 ein allgemeiner<br />

Konsens, dass mit dem Hirntod<br />

der Individualtod des Menschen<br />

eingetreten ist und d<strong>an</strong>ach Teile des<br />

menschlichen Org<strong>an</strong>ismus für medizinische<br />

Zwecke verwendet werden dürfen.<br />

Wenn m<strong>an</strong> also der Linie Eibachs<br />

konsequent folgen wollte, verstieße sowohl<br />

der Gebrauch der Spirale zur<br />

Empfängnisverhütung als auch die Org<strong>an</strong>entnahme<br />

zu Tr<strong>an</strong>spl<strong>an</strong>tationszwecken<br />

beim hirntoten Org<strong>an</strong>ismus<br />

gegen die Menschenwürde.<br />

Meines Erachtens muss ein ethisches<br />

Prinzip unabhängig von seinen Wurzeln<br />

in sich schlüssig sein, um den Anspruch<br />

83


allgemeiner Verbindlichkeit erheben<br />

und als Vorgabe für den Gesetzgeber<br />

dienen zu können.<br />

Prof. Dr. med. habil. H. W. Opderbecke,<br />

Kesslerplatz 10, 90489 Nürnberg<br />

Präventivmedizinische<br />

Aufgabe<br />

In seinem Beitrag fordert Eibach, dass<br />

Gesundheit beziehungsweise ihre Wiederherstellung<br />

nicht durch Verletzung<br />

der Menschenwürde erkauft werden<br />

dürfe. Damit wird auf ein immer auffälliger<br />

werdendes Grundproblem in der<br />

Medizin hingewiesen, dass nämlich Gesundheit<br />

und Menschenwürde, <strong>an</strong>statt<br />

sich zu ergänzen, in ein gegensätzliches,<br />

beinahe sich ausschließendes Verhältnis<br />

zuein<strong>an</strong>der geraten könnten.<br />

Während die medizinischen, die Menschenwürde<br />

verletzenden Übergriffe<br />

im Nationalsozialismus sowohl ethisch<br />

als auch rechtlich klar bewertet werden<br />

konnten, ist die Frage nach der Verletzung<br />

der Menschenwürde heute offensichtlich<br />

nicht eindeutig zu be<strong>an</strong>tworten,<br />

wenn es um das Forschen <strong>an</strong> <strong>Embryonen</strong>,<br />

aber auch um menschliches<br />

Klonen oder um Babys nach Maß usw.<br />

geht. Ein solches Ausein<strong>an</strong>derdriften<br />

von Gesundheit und Menschenwürde<br />

bedeutet aber, die Gesellschaft einer<br />

Zerreißprobe auszusetzen. Abgesehen<br />

von dem verfassungsrechtlichen Gebot<br />

zur Menschenwürde (Art. 1. Abs. 1 des<br />

Grundgesetzes) wäre die Gesundheit<br />

nur noch ein zweifelhaftes Gut, wenn<br />

sie zu dem Verständnis von Menschenwürde<br />

in einem Widerspruch stünde.<br />

Der Medizin sollte es vielmehr darum<br />

gehen, die gemeinsame Schnittfläche<br />

von Gesundheit und Menschenwürde<br />

zu fassen und diese für das medizinische<br />

H<strong>an</strong>deln und Forschen zu erschließen.<br />

Die wirklich strittige Frage ist aber,<br />

wie Eibach hervorhebt, welche Auffassung<br />

von Menschenwürde denn nun bei<br />

den <strong>an</strong>stehenden Entscheidungen in<br />

der medizinischen <strong>Forschung</strong> und Therapie<br />

gelten soll: die religiös-tr<strong>an</strong>szendentale<br />

oder die positivistisch-empirische.<br />

Es mag aus medizinisch-naturwissenschaftlicher<br />

Sicht schwer fallen, <strong>an</strong>stelle<br />

von empirisch begründbaren<br />

theologische Argumente zu übernehmen.<br />

Nach Spaem<strong>an</strong>n ist es aber die re-<br />

84<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

ligiös-metaphysische Dimension der<br />

Würde, die dem menschlichen Leben<br />

die herausgehobene Wertigkeit verleiht.<br />

„Es ist ein auch heute noch nicht<br />

g<strong>an</strong>z ausgestorbener Irrtum, m<strong>an</strong> könne<br />

die religiöse Betrachtung der Wirklichkeit<br />

fallenlassen, ohne dass einem<br />

etliches <strong>an</strong>dere mit abh<strong>an</strong>den kommt,<br />

auf das m<strong>an</strong> weniger leicht verzichten<br />

möchte“, schreibt er in seinem „Über<br />

den Begriff der Menschenwürde“ betitelten<br />

Aufsatz (Spaem<strong>an</strong>n, 1987).<br />

G<strong>an</strong>z unabhängig von den ethischphilosophischen<br />

oder theologischen<br />

Aussagen zur Frage, ob <strong>Embryonen</strong><br />

Menschenwürde zusteht, müssen auf jeden<br />

Fall die hier relev<strong>an</strong>ten medizinischepidemiologischen<br />

Zusammenhänge,<br />

wenn es doch um Gesundheit geht, beachtet<br />

werden. Wie zahlreiche sozialmedizinisch-epidemiologischeUntersuchungen<br />

ausweisen, steht das Schutzziel<br />

Gesundheit mit <strong>an</strong>deren Wertebereichen<br />

in einem engen Bedeutungsund<br />

Funktionszusammenh<strong>an</strong>g. Natürlich<br />

sind es Menschenwürde – im Gegensatz<br />

zum Menschenhass –, aber auch Selbstwertgefühl,<br />

Bedeutsamkeit und Sinnhaftigkeit,<br />

die soziale und biologische<br />

Lebenszusammenhänge durchdringen<br />

und Gesundheit des einzelnen und der<br />

Allgemeinheit fördern (Antonovsky,<br />

1997). Diese Qualitäten, nur weil sie naturwissenschaftlich<br />

unzugänglich sind<br />

oder weil auch Gelehrte über ihre Bedeutung<br />

streiten mögen, nun dem Menschen<br />

dort vorzuenthalten oder auszureden,<br />

wo er sie nicht gerade expressis verbis<br />

be<strong>an</strong>sprucht und erkämpft, führt vor<br />

allem zur Schwächung gesundheitsfördernder<br />

Systemzusammenhänge.<br />

Durch Zuweisung von Menschenwürde<br />

und von Achtung vor Mensch und<br />

Natur (dazu zählen <strong>Embryonen</strong>) ist uns<br />

– Art.1. Abs.1 GG außer Acht lassend –<br />

eine Möglichkeit und Ch<strong>an</strong>ce gegeben,<br />

eine bestimmte soziale Wirklichkeit zu<br />

erzeugen und dadurch Wohlbefinden<br />

und gesundheitsfördernde Lebensbedingungen<br />

zu schaffen. Diese Möglichkeit<br />

zu nutzen, ist eine präventivmedizinische<br />

Aufgabe, sie ungenutzt zu lassen,<br />

bedeutet ein Weniger <strong>an</strong> Gesundheit.<br />

Literatur beim Verfasser<br />

Prof. Dr. med. Hartmut Dunkelberg,<br />

Abteilung Allgemeine Hygiene und Umweltmedizin<br />

der Universität Göttingen,<br />

Windausweg 2, 37073 Göttingen<br />

<strong>PID</strong><br />

„Ein Verfahren zur<br />

Selektion“<br />

Bei der Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

(<strong>PID</strong>) h<strong>an</strong>delt es sich nach Auffassung<br />

der Org<strong>an</strong>isation „Ärzte für das Leben“<br />

(ÄfdL) ausschließlich um ein Selektionsverfahren.<br />

Die Org<strong>an</strong>isation<br />

lehnt deshalb in einer Stellungnahme<br />

den „Diskussionsentwurf zu einer<br />

Richtlinie zur Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik“<br />

des Wissenschaftlichen Beirats der<br />

Bundesärztekammer ab. Sie befürchtet,<br />

dass durch die Einführung der <strong>PID</strong> gesellschaftliche<br />

Vorurteile gegen Behinderte<br />

verstärkt werden und dass sich die<br />

Tendenz verhärtet, „im behinderten<br />

Mitmenschen allein den ,Belastungsfaktor‘<br />

zu sehen, statt ihn als prinzipiell<br />

Gleichberechtigten zu achten“. Die<br />

Äfdl befürchtet, dass das Lebensrecht<br />

behinderter Menschen infrage gestellt<br />

werden könnte. Die Verfahren der Invitro-Fertilisation<br />

seien deshalb auf<br />

Fälle der Sterilitätsbeh<strong>an</strong>dlung zu beschränken.<br />

Ein ursprünglich ärztliches<br />

Beh<strong>an</strong>dlungsverfahren dürfe nicht zu<br />

Selektionszwecken missbraucht und zu<br />

eugenischen H<strong>an</strong>dlungsspielräumen erweitert<br />

werden. Wenn erblich schwer<br />

belastete Paare einen dringenden Kinderwunsch<br />

äußerten, empfiehlt die Org<strong>an</strong>isation<br />

die Adoption als eine hum<strong>an</strong>e<br />

Alternative.<br />

Ein Recht auf ein gesundes Kind gibt<br />

es nach Auffassung der Ärzte für das<br />

Leben nicht. Jeder ungeborene und geborene<br />

Mensch habe ein persönliches<br />

Recht auf Leben. Zwar fordere auch<br />

der Diskussionsentwurf strenge Bestimmungen,<br />

doch diese könnten<br />

schnell überholt werden, befürchten die<br />

Ärzte für das Leben. Sie lehnen auch<br />

die verbrauchende <strong>Embryonen</strong>forschung<br />

ab. Die Verfahren der künstlichen<br />

Befruchtung müssten vor einer<br />

solchen Möglichkeit rechtlich über<br />

das <strong>Embryonen</strong>schutzgesetz abgesichert<br />

bleiben. Die ÄfdL fordert, den<br />

Gesetzestext so zu formulieren, dass<br />

Missdeutungen nicht mehr möglich<br />

sind.<br />

Der gesamte Text der Stellungnahme<br />

k<strong>an</strong>n abgerufen werden unter www.<br />

aerzte-fuer-das-leben.de Kli


Nach der Äußerung der Enquete-<br />

Kommission des Deutschen Bundestags<br />

scheint festzustehen, dass<br />

ohne eine Gesetzesänderung Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

(<strong>PID</strong>) in Deutschl<strong>an</strong>d<br />

nicht möglich sein wird. Damit ist der<br />

Weg frei für eine tief greifende Debatte,<br />

die Zeit der Taktiererei ist vorbei.<br />

In der nun <strong>an</strong>stehenden Debatte werden<br />

auch die Motive der Akteure von Interesse<br />

sein. Gerade bei Menschen, die<br />

in ethischen Debatten eher unerfahren<br />

sind – was niem<strong>an</strong>dem vorzuwerfen ist –,<br />

bestimmen oftmals das Ziel, der<br />

Wunsch, das Wollen auch die Argumente.<br />

Doch ethische Grundprinzipien bestimmen<br />

das Gewicht der Argumente,<br />

nicht umgekehrt.<br />

In der Diskussion mit Gesundheitspolitikerinnen<br />

– vor allem der SPD – ist mir<br />

ein Argument immer wieder vorgehalten<br />

worden, mit dem m<strong>an</strong> sich intensiv<br />

ausein<strong>an</strong>der setzen muss: <strong>PID</strong> sei eine<br />

Form des Selbstbestimmungsrechts der<br />

Frau. („Mein Bauch gehört mir.“) Hinter<br />

der <strong>PID</strong>-Debatte stehe die Fortsetzung<br />

des Befreiungskampfes der Frau in<br />

unserer Gesellschaft.<br />

Verkürzt gesagt, Politikerinnen, die<br />

noch geprägt sind von der Abtreibungsdebatte<br />

der 70er- und 80er-Jahre, vermuten<br />

einen Rückschritt hinter die Positionen,<br />

die sie mühsam erkämpft haben. Wieder<br />

einmal sehen wir, wie viele Zusammenhänge<br />

es zwischen der §-218-Debatte und<br />

der <strong>PID</strong> gibt. Aus der Sicht der reinen<br />

Ethik war und ist der § 218 ein Sündenfall.<br />

Und doch: Mit diesem Bruch müssen wir<br />

alle leben,denn die Neuregelung des § 218<br />

hat zugleich Millionen Frauen aus Abhängigkeit,<br />

Zweifel und Not befreit. Das muss<br />

gesellschaftlich <strong>an</strong>erk<strong>an</strong>nt und akzeptiert<br />

werden.<br />

Bei der <strong>PID</strong> hingegen geht es nicht um<br />

Millionen Frauen, sondern höchstens um<br />

50 bis 100 Paare. Ihnen soll auch nicht das<br />

Recht auf Schw<strong>an</strong>gerschaftsabbruch genommen<br />

werden – alle Methoden der pränatalen<br />

Diagnostik und die daraus abzuleitenden<br />

Indikationen zum straffreien<br />

Schw<strong>an</strong>gerschaftsabbruch stehen ihnen<br />

nach wie vor offen.<br />

Und schließlich, Regine Kollek; die<br />

Hamburger Medizinethikerin wird nicht<br />

müde, darauf hinzuweisen, dass gerade<br />

die Anwendung der <strong>PID</strong> Frauen noch<br />

mehr belasten k<strong>an</strong>n als der Verzicht.<br />

Schließlich muss eine IVF mit all ihren<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

Heft 15, 1<strong>3.</strong> April 2001<br />

<strong>PID</strong><br />

Motivsuche<br />

technischen und hormonellen M<strong>an</strong>ipulationen,<br />

ihren Imponderabilien und Risiken<br />

<strong>an</strong> Frauen vorgenommen werden, die<br />

in der Lage sind, ihre Kinder auf normalem<br />

Wege zu konzipieren. Insofern hat also<br />

der Verzicht auf <strong>PID</strong> nichts mit einer<br />

Einschränkung der Rechte von Frauen zu<br />

tun, schon gar nichts mit einem Zurückdrehen<br />

der aus dem § 218 abgeleiteten<br />

Frauenrechte.<br />

Unser Bundesk<strong>an</strong>zler, Gerhard<br />

Schröder, hat sich nun auch in letzter<br />

Zeit intensiv um das Thema gekümmert.<br />

Was treibt ihn auf dieses ethisch schwierige<br />

Feld? Hier gibt es nur Vermutungen,<br />

die sich aus seinen sonstigen Aktivitäten<br />

ableiten lassen. Schröder ist ein<br />

Politiker, der immer d<strong>an</strong>n aktiv wird,<br />

wenn<br />

❃ große Populationen betroffen sind,<br />

❃ das Thema weite Bevölkerungsbereiche<br />

<strong>an</strong>spricht,<br />

❃ wissenschaftliche Möglichkeiten<br />

und Freiheitsräume eingeschränkt werden<br />

oder<br />

❃ wirtschaftliche Interessen t<strong>an</strong>giert<br />

sind.<br />

Nimmt m<strong>an</strong> die Ankündigungen<br />

ernst, dass die <strong>PID</strong> auf wenige schwerwiegende<br />

Indikationen beschränkt bleiben<br />

soll, d<strong>an</strong>n werden weder große Populationen<br />

betroffen sein, noch wird die<br />

<strong>PID</strong>, ausgeführt <strong>an</strong> 50 bis 100 Paaren<br />

jährlich, ein wirtschaftlich nennenswertes<br />

Feld werden. Diese Argumente<br />

scheiden also aus.<br />

Auch ist die Bevölkerung, das belegen<br />

alle Umfragen, mehrheitlich gegen alle<br />

M<strong>an</strong>ipulationen am Embryo, auch gegen<br />

<strong>PID</strong>. Durch die Erklärung zur „Chefsache“<br />

ist hier also auch kein „politischer<br />

Blumentopf“ zu gewinnen.<br />

Wissenschaftlich ist die <strong>PID</strong> ein seit<br />

rund zw<strong>an</strong>zig Jahren bek<strong>an</strong>ntes Verfahren.<br />

In der Biologie, <strong>an</strong> Tieren schon viel<br />

verwendet, selbst am Menschen (im Ausl<strong>an</strong>d)<br />

längst erprobt. Wissenschaftlich also<br />

auch nichts Neues!<br />

Bleibt die Frage nach übergeordneten<br />

wirtschaftlichen Motiven. Wir wissen,<br />

dass der K<strong>an</strong>zler auch eine intensive De-<br />

batte um die Verwendung von embryonalen<br />

Stammzellen und „therapeutisches<br />

Klonen“ <strong>an</strong>gestoßen hat. Der<br />

K<strong>an</strong>zler selber scheint diesen Methoden<br />

offener gegenüberzustehen als weite<br />

Teile der Bevölkerung. Er hat großes Interesse<br />

<strong>an</strong> biotechnologischen Verfahren<br />

und will diese befördern. Ihn treiben dabei<br />

vorr<strong>an</strong>gig wirtschaftspolitische Motive.<br />

Er ist sich der Tatsache bewusst, dass<br />

die Verwendung embryonaler Stammzellen<br />

heute noch vom <strong>Embryonen</strong>schutzgesetz<br />

verboten ist. Für eine Änderung dieser<br />

Bestimmung bestehen zurzeit weder<br />

Mehrheiten im Parlament noch in der Bevölkerung.<br />

Würde m<strong>an</strong> aber die <strong>PID</strong> – am unauffälligsten,<br />

und deshalb von politischen<br />

Befürwortern der <strong>PID</strong> am liebsten gesehen,<br />

durch untergesetzliche Regelung<br />

über eine Richtlinie der Bundesärztekammer<br />

– zulassen, würde ein offener<br />

logischer Bruch entstehen, dass <strong>Embryonen</strong>m<strong>an</strong>ipulationen<br />

und Verbrauch<br />

von <strong>Embryonen</strong> zum Nutzen einzelner<br />

Paare zwar zulässig, <strong>Forschung</strong> zur Heilung<br />

g<strong>an</strong>zer Volkskr<strong>an</strong>kheiten (so zumindest<br />

die euphorischen Heilsversprechungen<br />

m<strong>an</strong>cher Wissenschaftler) aber verboten<br />

bliebe. In die Debatte um die ethischen<br />

Probleme <strong>an</strong> Anf<strong>an</strong>g und Ende<br />

des Lebens wäre eine weitere Irrationalität<br />

eingeführt, die uns weg von der reinen<br />

Ethik hin zu einer pragmatischen<br />

Moral führt.<br />

Im Klartext: Ich befürchte, dass das<br />

Engagement des K<strong>an</strong>zlers vor allem ein<br />

dialektischer Trick ist, da ihm längst bewusst<br />

geworden ist, dass mit der Zulassung<br />

der <strong>PID</strong> auch die Vorbehalte gegen<br />

embryonale Stammzellforschung und<br />

therapeutisches Klonen fallen werden.<br />

Damit aber wäre die Tür geöffnet für ein<br />

wissenschaftliches und wirtschaftliches<br />

„Eldorado“ – d<strong>an</strong>n gäbe es kein Halten<br />

mehr. Dr. med. Fr<strong>an</strong>k Ulrich Montgomery<br />

Der Verfasser ist Präsident der Ärztekammer Hamburg<br />

und 1. Vorsitzender des Marburger Bundes.<br />

85


Heft 26, 29. Juni 2001<br />

DISKUSSION<br />

Armutszeichen der<br />

<strong>PID</strong>-Verhinderer<br />

Vielleicht sollten in der Diskussion über<br />

Präimpl<strong>an</strong>tations-Diagnostik nicht nur<br />

„ethische Prinzipien“, sondern auch<br />

Prinzipien der Logik berücksichtigt<br />

werden. Es ist unverständlich, weshalb<br />

die Aufrechterhaltung des <strong>PID</strong>-Verbots<br />

„nichts mit einer Einschränkung der<br />

Rechte von Frauen zu tun“ haben soll,<br />

wie Frau Kollek behauptet. Wenn Frauen<br />

<strong>an</strong>derer Länder die Möglichkeit zur<br />

<strong>PID</strong> haben, d<strong>an</strong>n sind im Vergleich hierzu<br />

die Frauen in Deutschl<strong>an</strong>d nach der<br />

mir bek<strong>an</strong>nten Logik in ihren Rechten<br />

eingeschränkt. Oder sehe ich da etwas<br />

falsch?<br />

Zum zweiten soll durch die Zulassung<br />

der <strong>PID</strong> „ein wissenschaftliches<br />

und wirtschaftliches Eldorado“ eröffnet<br />

werden. Andererseits ist „die <strong>PID</strong><br />

ein seit rund zw<strong>an</strong>zig Jahren bek<strong>an</strong>ntes<br />

Verfahren“. Warum hat m<strong>an</strong> d<strong>an</strong>n von<br />

jenem Gold aus jenen wissenschaftlichen<br />

und wirtschaftlichen Minen noch<br />

nie etwas gesehen? Auch beim Menschen<br />

wird <strong>PID</strong> seit 1989 <strong>an</strong>gew<strong>an</strong>dt:<br />

Wo sind denn die Missbräuche dieser<br />

Methode? Sie existieren doch nur im<br />

Wunschdenken jener Schwarzseher.<br />

Wegen der dem Autor bek<strong>an</strong>nten<br />

„technischen und hormonellen M<strong>an</strong>ipulationen,<br />

ihren Imponderabilien und<br />

Risiken“ wird die <strong>PID</strong> auch in Zukunft<br />

eine äußerst selten <strong>an</strong>gew<strong>an</strong>dte Methode<br />

bleiben. Potenzieller Missbrauch wie<br />

„embryonale Stammzellforschung und<br />

therapeutisches Klonen“ ist schon deshalb<br />

unwahrscheinlich und darf kein<br />

86<br />

zu dem Kommentar<br />

<strong>PID</strong>: Motivsuche<br />

von<br />

Dr. med.<br />

Fr<strong>an</strong>k Ulrich Montgomery<br />

in Heft 15/2001<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

Grund für das Verbieten des Gebrauchs<br />

sein. Ad hominem, auf den Menschen,<br />

losgehen, wenn m<strong>an</strong> ad rem, zur Sache,<br />

keine guten Argumente hat. Ein alter<br />

rhetorischer Trick, der hier am K<strong>an</strong>zler<br />

vorexerziert wird. Ein Armutszeichen<br />

der <strong>PID</strong>-Verhinderer.<br />

Dr. rer. nat. M<strong>an</strong>fred Schleyer,<br />

Institutsstraße 22, 81241 München-Pasing<br />

Gentechnik suggeriert eine<br />

Art von Allmachtsf<strong>an</strong>tasie<br />

In der Tat liegt die Versuchung verschiedener<br />

Interessenvertreter nahe, die<br />

Möglichkeiten der Gentechnik und der<br />

Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik m<strong>an</strong>ipulativ<br />

und moralisierend zu missbrauchen<br />

und die öffentliche Diskussion gezielt zu<br />

lenken; der wissenschaftliche Umg<strong>an</strong>g<br />

mit dem menschlichen Erbgut verspricht<br />

die Aussicht auf sehr viel Geld<br />

und Macht. Der Gebrauch der Gentechnik<br />

suggeriert eine Art von Allmachtsf<strong>an</strong>tasie<br />

in der <strong>Forschung</strong>,dass existenzielle<br />

Fragen von Hunger und Kr<strong>an</strong>kheit<br />

für immer wirksam zum Wohl aller<br />

gelöst werden könnten. Dabei wird,<br />

mehr oder weniger absichtlich, die<br />

Komplexität menschlicher Lebensformen<br />

ausgeblendet. Die Allmacht dieser<br />

inf<strong>an</strong>tilen Ged<strong>an</strong>kenwelt geht zulasten<br />

der Wahrnehmung der Realität und verschleiert<br />

die eigentlichen Ursachen<br />

menschlicher Unzulänglichkeiten. Dieser<br />

Reduktionismus würde Wissenschaftlichkeit<br />

nachhaltig konterkarie-<br />

Eine Zusammenstellung der im Deutschen<br />

Ärzteblatt erschienenen Beiträge zu <strong>PID</strong>, <strong>PND</strong><br />

und <strong>Embryonen</strong>schutz lag beim Deutschen<br />

Ärztetag aus. Sie k<strong>an</strong>n auch über das Internet<br />

unter www.aerzteblatt.de abgerufen werden.<br />

ren.Wir müssen uns vor der Vorstellung<br />

hüten, dass Leben nur aus Genen besteht,<br />

die fallweise repariert oder ausgetauscht<br />

werden müssen. Hier käme<br />

Wissenschaft einem archaischen Religionsersatz<br />

gleich mit dem Anspruch,<br />

die Sicht von menschlicher Existenz<br />

auf physiologisch nachprüfbare Funktionen<br />

zu beschränken, in der kritischer<br />

Geist und Seele zu Störfaktoren werden.<br />

In einer derart gestylten Welt<br />

könnten eigentlich nur noch Gentechniker<br />

Aussagen über Nützlichkeit und<br />

Brauchbarkeit von Menschen in Abhängigkeit<br />

der Erb<strong>an</strong>lagen treffen.<br />

Dr. med. Friedrich Bofinger,<br />

Berliner Platz 1, 84489 Burghausen<br />

Wer kennt die Meinung der<br />

Mehrheit?<br />

Zweimal führt Kollege Montgomery in<br />

seinem Kommentar zur <strong>PID</strong> <strong>an</strong>, dass<br />

<strong>an</strong>geblich die Mehrheit der Bevölkerung<br />

nicht für die <strong>PID</strong> sei. Ich bezweifle,<br />

ob das wirklich so ist. Es zeigt sich immer<br />

wieder das gleiche Bild, egal ob es<br />

sich um <strong>PID</strong> h<strong>an</strong>delt, oder um das Klonen,<br />

die Stammzellzucht, den Schw<strong>an</strong>gerschaftsabbruch<br />

oder neuerdings um<br />

die Sterbehilfe. Das Volk schweigt, aber<br />

einige Politiker, Theologen und Ärztefunktionäre<br />

legen sich lautstark quer<br />

und prophezeien Katastrophen. Ich<br />

weiß aber nicht, ob die Gen<strong>an</strong>nten es<br />

wirklich besser wissen oder gar – wie in<br />

dem Kommentar – <strong>an</strong>geblich eine<br />

Mehrheit vertreten.<br />

Ein Beispiel: Die „Magdeburger<br />

Volksstimme“ führte gerade eben eine<br />

TED-Umfrage bezüglich der Sterbehilfe<br />

durch. 91 Prozent der 1 420 Anrufer<br />

sprachen sich für die Sterbehilfe aus,<br />

nur neun Prozent dagegen! Sicher, diese<br />

Umfrage ist nicht repräsentativ, doch<br />

sollte das Ergebnis den Politikern und<br />

Funktionären vor Augen führen, wie<br />

weit sie von der Basis entfernt sind und<br />

dass sie zum Teil überhaupt nicht die<br />

Meinung der Mehrheit vertreten, ja sie<br />

vermutlich nicht einmal kennen. Nur<br />

weil den Wenigen ständig die Medien<br />

offen stehen, sind sie noch l<strong>an</strong>ge nicht<br />

im Besitz der Wahrheit.<br />

Dr. med. Paul R. Fr<strong>an</strong>ke,<br />

Harnackstraße 4, 39104 Magdeburg


Heft 20, 18. Mai 2001<br />

Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

DÄ: Seit knapp eineinhalb Jahren läuft<br />

der von der Ärzteschaft <strong>an</strong>gestoßene gesellschaftliche<br />

Diskurs über die Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik,<br />

ausgehend von<br />

dem Diskussionsentwurf einer Richtlinie<br />

des Wissenschaftlichen Beirates der Bundesärztekammer.<br />

Hat die öffentliche Diskussion<br />

Sie beziehungsweise die Bundesärztekammer<br />

in der Entscheidungsfindung<br />

vor<strong>an</strong>gebracht?<br />

Hoppe: Wir haben diesen Diskurs<br />

ja nicht primär <strong>an</strong>gestoßen, sondern vielmehr<br />

eine mehr im Verborgenen stattfindende<br />

Diskussion öffentlich gemacht.<br />

Damals, nach dem Regierungswechsel,<br />

hatte die neue Bundesregierung gesagt,<br />

sie wolle das Thema gesetzlich regeln.<br />

Und wir wollten, dass niem<strong>an</strong>d sagen<br />

k<strong>an</strong>n, er habe nicht gewusst, um was es<br />

geht, wenn die Entscheidungen des Gesetzgebers<br />

gefällt werden. Dieses Ziel haben<br />

wir erreicht. Die Probleme um die<br />

Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik, aber auch die<br />

weitergehenden Komplexe wie Stammzellzüchtung,<br />

<strong>Embryonen</strong>forschung, <strong>Embryonen</strong>verbrauch<br />

sind in der Öffentlichkeit<br />

mittlerweile sehr bek<strong>an</strong>nt.<br />

DÄ: Wie aber steht es um den Entscheidungsprozess<br />

innerhalb der Ärzteschaft?<br />

Hoppe: Auch bei uns selbst ist die Diskussion<br />

weitergeg<strong>an</strong>gen. Wir sind uns<br />

aber klar darüber, dass m<strong>an</strong> über etliche<br />

Konfliktfelder nicht nach Mehrheitsbildung<br />

innerhalb der Ärzteschaft abstimmen<br />

k<strong>an</strong>n. Wir können Rat erteilen, können<br />

die Alternativen benennen, die sich<br />

ergeben, und können so die Gesellschaft<br />

vorbereiten, um eine Mehrheitsbildung<br />

im politischen Raum zu beschleunigen<br />

oder überhaupt erst möglich zu machen.<br />

DÄ: Haben diese l<strong>an</strong>gen Diskussionen<br />

und das Abwarten nicht dazu geführt,<br />

dass das Thema <strong>PID</strong> schon fast verlassen<br />

worden ist und inzwischen über die von<br />

Ihnen erwähnten weitergehenden Möglichkeiten<br />

laut nachgedacht wird, siehe die<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

„Eine Sieger-<br />

Besiegten-Stimmung darf<br />

nicht aufkommen“<br />

Interview mit Professor Dr. med. Jörg-Dietrich Hoppe,<br />

dem Präsidenten der Bundesärztekammer und des<br />

Deutschen Ärztetages, über <strong>PID</strong>, <strong>PND</strong>, <strong>Embryonen</strong>schutz<br />

und die Haltung der Ärzteschaft<br />

jüngste Stellungnahme der DFG zugunsten<br />

der embryonalen Stammzellforschung?<br />

Hoppe: Die Stammzellforschung ist<br />

nicht neu und auch nicht mehr aufzuhalten.<br />

Es h<strong>an</strong>delt sich um eine weltweit<br />

stattfindende Entwicklung, die m<strong>an</strong> dadurch,<br />

dass Deutschl<strong>an</strong>d sich aus dieser<br />

Diskussion heraushalten würde, nicht<br />

verhindert. In Hinblick auf die Zielsetzung<br />

der <strong>Forschung</strong> mit embryonalen<br />

Stammzellen sehe ich auch keinen direkten<br />

Zusammenh<strong>an</strong>g mit der <strong>PID</strong>. Eine<br />

gemeinsame Zielsetzung erkenne ich<br />

vielmehr bei Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik,<br />

Pränataldiagnostik und Reproduktionsmedizin.<br />

Eine losgelöste Diskussion um<br />

Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik mit der Zielrichtung,<br />

allein diese zu verbieten, die<br />

<strong>PND</strong> aber nicht, halte ich für einen logischen<br />

Bruch. Bei uns geht es auch um die<br />

Frage, ob Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

denjenigen Paaren <strong>an</strong>geboten werden<br />

soll, die sonst eine „Schw<strong>an</strong>gerschaft auf<br />

Probe“ eingehen würden.<br />

DÄ: Meine Frage zielte in eine <strong>an</strong>dere<br />

Richtung. Um sie zu präzisieren: Ist <strong>PID</strong><br />

nur ein Einfallstor für weitergehende <strong>Forschung</strong>,<br />

die zurzeit noch verboten ist?<br />

Hoppe: Nein. Ich denke, dass die <strong>PID</strong><br />

auch bei denjenigen, die sie entwickelt<br />

haben und die sie heute in <strong>an</strong>deren Ländern<br />

<strong>an</strong>wenden, nur darauf zielt, den Paaren,<br />

die eine Erblast mit sich tragen, zu einem<br />

gesunden Kind zu verhelfen. Wenn<br />

m<strong>an</strong> diese Diagnostik nicht zulässt, bedeutet<br />

das, dass m<strong>an</strong> diese Paare implizit<br />

<strong>PID</strong> = Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

<strong>PND</strong> = Pränataldiagnostik<br />

IVF = In-vitro-Fertilisation<br />

DFG = Deutsche <strong>Forschung</strong>sgemeinschaft<br />

Frau Däubler-Gmelin = Bundesjustizministerin<br />

Frau Fischer = frühere Bundesgesundheitsministerin<br />

auf Pränataldiagnostik im Sinne der<br />

Schw<strong>an</strong>gerschaft auf Probe verweist.<br />

Darin sehe ich das Problem. Wenn m<strong>an</strong><br />

diesen Zusammenh<strong>an</strong>g verneint und sagt,<br />

mit <strong>PID</strong> solle der Weg zur Stammzellforschung<br />

und weiteren genetischen <strong>Forschung</strong><br />

geebnet werden, und gäbe es<br />

dafür Beweise, d<strong>an</strong>n würde ich sagen:<br />

Nehmen wir in Gottes Namen die Pränataldiagnostik<br />

mit Spätabtreibung in Kauf<br />

und lassen <strong>PID</strong> nicht zu. Aber ich sehe<br />

den Zusammenh<strong>an</strong>g so nicht.<br />

DÄ: Sind Sie demnach guter Hoffnung,<br />

dass m<strong>an</strong> die <strong>PID</strong> mit g<strong>an</strong>z engen Indikationen<br />

und unter strengen Kriterien einführen<br />

k<strong>an</strong>n, ohne dass das zu Weiterungen<br />

führt?<br />

Hoppe: Ja, da bin ich sicher – wenn m<strong>an</strong><br />

<strong>PID</strong> unter Kontrolle hält. Eine solche<br />

Kontrolle muss gewährleistet sein, <strong>an</strong>dernfalls<br />

sehe ich die Gefahr des Missbrauchs<br />

bis hin zur Menschenzüchtung.<br />

DÄ: <strong>PID</strong> enthält als Grundged<strong>an</strong>ken<br />

die Auswahl nach lebenswertem und lebensunwertem<br />

Leben. Dieser Grundged<strong>an</strong>ke<br />

könnte, wenn er bei der <strong>PID</strong> gesellschaftlich<br />

akzeptiert wird, auch auf <strong>an</strong>dere<br />

Lebenserscheinungen übertragen werden.<br />

Oder ist es ein purer Zufall, dass parallel<br />

mit der <strong>PID</strong>-Diskussion auch eine Diskussion<br />

über die Beendigung des Lebens im<br />

Alter geführt wird, nicht nur in Holl<strong>an</strong>d,<br />

sondern auch bei uns?<br />

Hoppe: Die Euth<strong>an</strong>asiediskussion ist<br />

wesentlich älter als die Diskussion über<br />

<strong>PID</strong>. Sie läuft mit wechselnden Höhen<br />

und Tiefen schon seit Mitte der 70er-Jahre.<br />

Im Moment erleben wir ein besonderes<br />

Interesse vor allem infolge<br />

der Diskussion in Holl<strong>an</strong>d. Zweifelhafte<br />

Umfragen heizen die Stimmung zusätzlich<br />

<strong>an</strong>. Doch wenn die deutschen Bürgerinnen<br />

und Bürger konkret gefragt würden<br />

und genau wüssten, was hier gemeint<br />

ist, d<strong>an</strong>n würde in Deutschl<strong>an</strong>d mit Sicherheit<br />

Euth<strong>an</strong>asie in dieser Form, wie<br />

sie in Holl<strong>an</strong>d geübt wird, also Einschläferung<br />

von Menschen, von denen m<strong>an</strong><br />

meint, dass sie kein lebenswertes Leben<br />

mehr führen, abgelehnt werden. Ich glaube,<br />

die Diskussionen um <strong>PID</strong> und Sterbehilfe<br />

werden eben doch unabhängig vonein<strong>an</strong>der<br />

geführt. Die <strong>PID</strong> sehe ich genauso<br />

wie die <strong>PND</strong> primär nicht als selektive<br />

Methode, sondern als eine Methode, erbbelasteten<br />

Eltern zu einem gesunden<br />

Kind zu verhelfen. M<strong>an</strong> k<strong>an</strong>n das ablehnen<br />

und empfehlen,Paare,die eine schwere<br />

erbliche Belastung mit sich tragen, sollten<br />

auf Kinder verzichten. Mir wäre am<br />

liebsten, wenn das so wäre. Aber diese<br />

Auffassung ist längst nicht mehr gesellschaftsfähig,<br />

seit die IVF zugelassen ist<br />

und Pränataldiagnostik durchgeführt<br />

wird mit dem Ziel, intrauterin eine Erbschädigung<br />

bei Kindern festzustellen und<br />

87


diese Kinder d<strong>an</strong>n abzutreiben. Nachdem<br />

dazu offensichtlich ein gesellschaftlicher<br />

Konsens besteht, ist <strong>PID</strong> nur eine Alternative<br />

zur <strong>PND</strong>. Diese g<strong>an</strong>ze Diskussion<br />

wäre im Übrigen überflüssig, wenn wir in<br />

unserer Gesellschaft Behinderung ohne<br />

Wenn und Aber akzeptieren würden. Damit<br />

hätten wir eine g<strong>an</strong>z <strong>an</strong>dere Bewusstseinslage,<br />

d<strong>an</strong>n müssten aber sowohl <strong>PID</strong><br />

als auch <strong>PND</strong> mit dieser Zielsetzung in<br />

Deutschl<strong>an</strong>d verboten werden.<br />

DÄ: Wenn m<strong>an</strong> aus ethischen Erwägungen<br />

<strong>PND</strong> ablehnt, müsste m<strong>an</strong> konsequenterweise<br />

auch gegen <strong>PID</strong> sein?<br />

Hoppe: Ja, und umgekehrt.<br />

DÄ: Sie verweisen immer wieder auf<br />

diesen Zusammenh<strong>an</strong>g von <strong>PND</strong> und<br />

<strong>PID</strong> und argumentieren: Wenn wir <strong>PND</strong><br />

zulassen, d<strong>an</strong>n müssen wir auch <strong>PID</strong> zulassen.<br />

Ist das nicht eine selbst gebaute Falle?<br />

Denn niem<strong>an</strong>d wird <strong>PND</strong> verbieten,<br />

nachdem sie einmal eingeführt ist; konsequenterweise<br />

müsste d<strong>an</strong>n auch, wenn<br />

m<strong>an</strong> Ihrer Logik folgt, <strong>PID</strong> zugelassen<br />

werden.<br />

Hoppe: Ich sehe das nicht als Falle,<br />

ich sehe das als eine logische Konsequenz.<br />

Wenn m<strong>an</strong> allein <strong>PID</strong> verbietet,<br />

hat m<strong>an</strong> nicht die Welt in Ordnung gebracht.<br />

Ich will nicht alleine <strong>PID</strong> nicht,<br />

ich will auch <strong>PND</strong> nicht. Denn wenn<br />

m<strong>an</strong> nur <strong>PID</strong> nicht will, d<strong>an</strong>n verstärkt<br />

m<strong>an</strong> <strong>PND</strong>, denn <strong>PND</strong> ist d<strong>an</strong>n die Methode<br />

der Wahl, oder <strong>PID</strong>-Ausl<strong>an</strong>dstourismus<br />

wäre d<strong>an</strong>n die Alternative. Und<br />

das k<strong>an</strong>n doch nicht richtig sein.<br />

DÄ: Müssten Sie d<strong>an</strong>n nicht sowohl gegen<br />

<strong>PID</strong> als auch gegen <strong>PND</strong> zu Felde ziehen?<br />

Hoppe: Das tue ich ja. Ich verweise bei<br />

allen Gelegenheiten auf den direkten Zusammenh<strong>an</strong>g<br />

zur <strong>PID</strong> und <strong>PND</strong>. Das darf<br />

m<strong>an</strong> nicht getrennt vonein<strong>an</strong>der betrachten.<br />

DÄ: Rübergekommen ist: <strong>PND</strong> und<br />

<strong>PID</strong> sind eng verw<strong>an</strong>dt, und wenn wir<br />

<strong>PND</strong> haben, müssen wir <strong>PID</strong> zulassen.<br />

Deshalb die Bemerkung von der selbst gebauten<br />

Falle.<br />

Hoppe: Nein, ich argumentiere so, weil<br />

ich nicht nur <strong>PND</strong>, sondern den g<strong>an</strong>zen<br />

Paragraphen 218 neu diskutieren will. Ich<br />

halte auch die Argumentation von Frau<br />

Däubler-Gmelin für völlig richtig, die<br />

sagt, wir kommen gar nicht umhin, in diesem<br />

Zusammenh<strong>an</strong>g den 218 erneut zu<br />

diskutieren. Frau Fischer wollte das ja<br />

nicht. Frau Fischer wollte ich dazu bringen,<br />

<strong>PND</strong> neu zu überdenken, denn m<strong>an</strong><br />

k<strong>an</strong>n nicht schlüssig der Öffentlichkeit<br />

klar machen, dass m<strong>an</strong> gegen <strong>PID</strong> ist, und<br />

<strong>PND</strong> unberührt lassen. Wenn m<strong>an</strong> es<br />

nicht mehr schafft, <strong>PND</strong> zurückzudrängen,<br />

wird sich auch <strong>PID</strong> etablieren. Das<br />

würde ich sehr schweren Herzens ertragen<br />

wie damals, als <strong>PND</strong> zugelassen wur-<br />

88<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

de und wie die Entwicklung des 218 überhaupt.<br />

Wer allerdings dagegen sagt: Wir<br />

verbieten <strong>PID</strong>, und d<strong>an</strong>n ist unser Gewissen<br />

entlastet, macht es sich zu einfach.<br />

Und dieser Switch, <strong>PID</strong> sei nur das Einfallstor<br />

für Stammzellforschung, ist<br />

künstlich, ein Stimmungsargument, aber<br />

für mich nicht überzeugend.<br />

DÄ: Aber es passt ins Bild, in dem <strong>PID</strong><br />

nur ein Teil ist; dazu gehört auch verbrauchende<br />

<strong>Embryonen</strong>forschung. Die DFG<br />

hat diese gerade befürwortet.Wenn sich die<br />

Politik dem <strong>an</strong>schließt, d<strong>an</strong>n muss es zu einer<br />

Änderung des <strong>Embryonen</strong>schutzgesetzes<br />

kommen.Wenn das geändert wird,d<strong>an</strong>n<br />

ist vieles frei.<br />

Hoppe: Auch für <strong>PID</strong> müsste das <strong>Embryonen</strong>schutzgesetz<br />

geändert werden.<br />

DÄ: Der Auffassung war der Wissenschaftliche<br />

Beirat der Bundesärztekammer<br />

aber nicht.<br />

Hoppe: Ja, damals. Ich bin seit geraumer<br />

Zeit der Meinung, dass m<strong>an</strong> das <strong>Embryonen</strong>schutzgesetz<br />

auf jeden Fall ändern<br />

müsste, wenn <strong>PID</strong> zugelassen werden<br />

soll, weil damit rechtliche Klarheit<br />

geschaffen wird.<br />

DÄ: Nehmen wir einmal <strong>an</strong>, das <strong>Embryonen</strong>schutzgesetz<br />

würde geändert, vielleicht<br />

im Sinne von <strong>PID</strong>, vielleicht aber<br />

auch zugunsten verbrauchender <strong>Embryonen</strong>forschung.<br />

Glauben Sie, dass es d<strong>an</strong>n<br />

zu einer Stellungnahme der Ärzteschaft<br />

kommen wird, oder bleibt die Ärzteschaft<br />

dabei, wie Sie eben sagten, Alternativen<br />

und deren Folgen aufzuzeigen und die Diskussion<br />

zu moderieren?<br />

Hoppe: Ich glaube, dass wir als Ärzte<br />

immer wieder klarstellen müssen, dass es<br />

nicht so sein darf, dass Menschen selbst<br />

im frühesten Stadium ihrer Entwicklung,<br />

also von der Verschmelzung der Gameten<br />

<strong>an</strong>, für <strong>an</strong>dere Menschen verfügbar<br />

gemacht werden dürfen. Es darf nie sein,<br />

dass Menschen für den Heilungsprozess<br />

<strong>an</strong>derer ausgenutzt werden. Deswegen<br />

müssen wir die <strong>Forschung</strong> mit adulten<br />

Stammzellen fördern oder die ja auch in<br />

der Diskussion befindliche Vari<strong>an</strong>te einer<br />

Umlenkung der Entwicklung des noch<br />

nicht befruchteten und noch nicht verschmolzenen<br />

Eies in Richtung der Produktion<br />

von Stammzellen. Es gibt Wissenschaftler,<br />

die sagen, es sei möglich, im<br />

Vorkernstadium, ohne Erzeugung eines<br />

Embryos im Sinne unserer Definition,<br />

bereits Stammzellen zu produzieren, die<br />

funktionstüchtig sind. Das wäre d<strong>an</strong>n keine<br />

verbrauchende <strong>Embryonen</strong>forschung.<br />

Wenn die Technik gelingen sollte, bliebe<br />

zwar unser Verständnis vom menschlichen<br />

Leben unverändert, wie wir das bei<br />

adulten Stammzellen erreichen wollen,<br />

nämlich ohne die Produktion von<br />

menschlichem Leben verursacht zu haben,<br />

das nur als Org<strong>an</strong>b<strong>an</strong>k dient.<br />

DÄ: Demnach wäre es vorschnell, wenn<br />

der Gesetzgeber durch Änderung des <strong>Embryonen</strong>schutzgesetzes<br />

die Gewinnung von<br />

embryonalen Stammzellen fördern würde.<br />

Er würde d<strong>an</strong>n solche alternativen <strong>Forschung</strong>en<br />

behindern, indem er jetzt den einfacheren<br />

Weg eröffnet.<br />

Hoppe: M<strong>an</strong> sollte alles unternehmen,<br />

um die beiden alternativen Wege zu fördern<br />

und alles <strong>an</strong>dere gesetzgeberisch erst<br />

einmal nicht zuzulassen, damit m<strong>an</strong> den<br />

Druck nicht herausnimmt, in die beiden<br />

<strong>an</strong>deren Richtungen weiterzukommen.<br />

DÄ: Zwei eher praktische Fragen: Was<br />

wird aus dem Richtlinienentwurf des Wissenschaftlichen<br />

Beirates, kommt er als<br />

Richtlinie, oder bleibt er als Diskussionsentwurf<br />

liegen?<br />

Hoppe: Wenn die <strong>PID</strong> zugelassen wird,<br />

also das <strong>Embryonen</strong>schutzgesetz so geändert<br />

wird, dass diese Methode erlaubt<br />

wird, d<strong>an</strong>n sind wir bereit, bei der<br />

späteren Operationalisierung eine entsprechend<br />

adaptierte Richtlinie auszuarbeiten,<br />

ähnlich wie bei der Pränataldiagnostik.<br />

Wenn <strong>PID</strong> in Deutschl<strong>an</strong>d eindeutig<br />

verboten bleibt, d<strong>an</strong>n wird der<br />

Entwurf als Diskussionsgrundlage zurückgezogen,<br />

das Thema hat sich damit<br />

erübrigt.<br />

DÄ: Beim kommenden Deutschen<br />

Ärztetag werden die Themen <strong>PID</strong> und<br />

<strong>Embryonen</strong>forschung sicher zur Sprache<br />

kommen. Nehmen wir <strong>an</strong>, der Ärztetag<br />

wollte dazu Beschlüsse fassen. Sollte er<br />

oder sollte er es bleiben lassen?<br />

Hoppe: Ich glaube, wir müssen auf dem<br />

Ärztetag erst einmal die Zusammenhänge<br />

klarstellen und dort, wo sich aus ärztlicher<br />

Sicht eine klare Meinung und auch eine<br />

klare Hilfe für die Entscheidungsfindung<br />

in der Öffentlichkeit formulieren lässt,<br />

sollte der Ärztetag sich äußern. Eine Abstimmung<br />

über ethische Themen auf dem<br />

Ärztetag, und das werden die Delegierten-Kolleginnen<br />

und -Kollegen auf dem<br />

Ärztetag sicher selbst wissen, darf niemals<br />

dazu führen, dass es eine Sieger-Besiegten-Stimmung<br />

gibt.<br />

DÄ: Eine abschließende Frage: In<br />

Schröders Nationalem Ethikrat ist die<br />

Ärzteschaft als gesellschaftliche Gruppe<br />

nicht vertreten. Stört Sie das?<br />

Hoppe: Nein, das stört mich nicht. Ich<br />

sehe den Ethikrat auch nicht so sehr als<br />

aus gesellschaftlichen Gruppen zusammengesetzt,<br />

sondern mehr aus Professionen,<br />

und die Ärzteschaft ist insofern auch<br />

fachkundig vertreten. Wenn die Ärzteschaft<br />

dort quasi als Körperschaft vertreten<br />

wäre, wären derjenige oder diejenige,<br />

die dort tätig sein würden, ja <strong>an</strong> Gremienentscheidungen<br />

gebunden und damit<br />

in einer Konfliktsituation, die m<strong>an</strong><br />

dem oder der Betreffenden nicht wünschen<br />

k<strong>an</strong>n. DÄ-Fragen: Norbert Jachertz


Die Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

(<strong>PID</strong>) zählt zu den umstrittensten<br />

Bereichen der modernen Gentechnologie.<br />

Welche Vorgaben für die<br />

normative Einhegung der <strong>PID</strong> möglich<br />

oder sogar geboten sind, be<strong>an</strong>twortet<br />

sich vor allem nach den Bestimmungen<br />

des Verfassungsrechts.Als kollidierende<br />

Rechte stehen sich Berechtigungen der<br />

Eltern einerseits und des in vitro erzeugten<br />

Embryos <strong>an</strong>dererseits gegenüber.<br />

Mitunter zeichnet sich die aktuelle<br />

Debatte durch erstaunliche Argumentationskünste<br />

der Protagonisten beziehungsweise<br />

durch den Rückgriff auf<br />

recht abwegige verfassungsrechtliche<br />

Konstruktionen aus. So gewährt zwar<br />

das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus<br />

Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 1 Abs. 1 GG –<br />

ebenso wie der Schutz der Ehe nach<br />

Art. 6 Abs. 1 GG – den Eltern das<br />

Recht, über die eigene Fortpfl<strong>an</strong>zung<br />

zu bestimmen. Diese Berechtigung erfasst<br />

aber lediglich die Entscheidung<br />

über das „Ob“ der Fortpfl<strong>an</strong>zung. Ein<br />

vermeintliches Recht der Eltern, nur<br />

gesunde Kinder zu haben, wird hingegen<br />

nicht begründet. Ebenso wenig<br />

räumt das allgemeine Persönlichkeitsrecht<br />

den Eltern einen Anspruch auf<br />

Kenntnis der genetischen Information<br />

des Embryos ein. Da der Embryo ein eigenständiges<br />

Rechtssubjekt darstellt,<br />

endet hier das elterliche Selbstbestimmungsrecht.<br />

Einschlägig sind lediglich die fundamentalen<br />

Verbürgungen der Menschenwürde<br />

sowie des Rechts auf Leben<br />

und körperliche Unversehrtheit. So<br />

berührt ein Verbot der <strong>PID</strong> das der<br />

Mutter über Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG gewährleistete<br />

Recht auf körperliche Unversehrtheit,<br />

wenn die Frau nach der<br />

Impl<strong>an</strong>tation aufgrund der in Erm<strong>an</strong>gelung<br />

einer Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

nicht vorab diagnostizierten Behinderung<br />

des Kindes physische oder, aufgrund<br />

des Wissens um die Behinderung,<br />

psychische Nachteile erleidet. Umgekehrt<br />

führt die gesetzliche Gestattung<br />

der <strong>PID</strong> zu einer Aktivierung staatlicher<br />

Schutzpflichten. Eine Schutzpflicht<br />

kommt dem Staat nach der<br />

Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts<br />

insbesondere beim Schutz<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

Heft 21, 25. Mai 2001<br />

Gestaffeltes Schutzkonzept<br />

des ungeborenen Lebens vor den Eingriffen<br />

Dritter zu. Ebenso gilt es, die<br />

Würde des Embryos zu schützen, wobei<br />

aber kein lückenloser, sondern lediglich<br />

ein effektiver Schutz erforderlich ist.<br />

Eine gesetzliche Regelung der <strong>PID</strong><br />

muss die gen<strong>an</strong>nten Rechtsgüter zu einem<br />

gerechten Ausgleich bringen. Welchen<br />

Mindest<strong>an</strong>forderungen ein solcher<br />

Ausgleich grundsätzlich zu genügen hat,<br />

wurde vom Bundesverfassungsgericht<br />

vor allem im Hinblick auf die Abtreibungsproblematik<br />

ausführlich dargelegt.<br />

Diese flexible Konzeption muss zur Vermeidung<br />

<strong>an</strong>derenfalls drohender Verwerfungen<br />

in der Systematik des verfassungsrechtlichen<br />

Lebensschutzes <strong>an</strong>alog<br />

auf den Bereich der <strong>PID</strong> übertragen werden.<br />

Eine gesetzliche Regelung hat sich<br />

Heft 22, 1. Juni 2001<br />

104. Deutscher Ärztetag<br />

Die CDU steckt in dem gleichen<br />

Dilemma wie alle großen Org<strong>an</strong>isationen,<br />

die ein weites Meinungsspektrum<br />

in sich vereinen und sich nunmehr<br />

zu Gendiagnostik und <strong>Embryonen</strong>forschung<br />

äußern müssen.<br />

Da gibt es einerseits die Befürworter<br />

einer liberalen H<strong>an</strong>dhabung,<br />

die unser L<strong>an</strong>d nicht vom tatsächlichen<br />

oder vermeintlichen Fortschritt abkoppeln<br />

wollen, und da gibt es <strong>an</strong>dererseits<br />

jene, die auf tradierten Grundwerten<br />

bestehen und befürchten, mit Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

werde der Weg<br />

zur Menschenselektion beschritten und<br />

mit <strong>Embryonen</strong>forschung werde bewusst<br />

die Tötung von Menschenleben<br />

in Kauf genommen.<br />

Die CDU-Spitze, die am 28. Mai<br />

stundenl<strong>an</strong>g beraten hat, hat schließlich<br />

den bewährten taktischen (Aus-)<br />

Weg eingeschlagen: M<strong>an</strong> bekräftigt<br />

das Bekenntnis zu den Grundwerten,<br />

m<strong>an</strong> erklärt das Leben von Anf<strong>an</strong>g <strong>an</strong><br />

für schutzwürdig, m<strong>an</strong> lehnt g<strong>an</strong>z eindeutig<br />

ab, was alle ablehnen, nämlich<br />

Klonen und <strong>Embryonen</strong>forschung aus<br />

<strong>an</strong> den folgenden Eckpunkten zu orientieren:<br />

Die Selektion eines Embryos aufgrund<br />

<strong>PID</strong> ist infolge der staatlichen<br />

Schutzpflicht gesetzlich zu verbieten.<br />

Die ebenfalls zu berücksichtigende<br />

Grundrechtsposition der Frau führt dazu,<br />

dass es in Ausnahmesituationen<br />

zulässig ist, Ausnahmetatbestände von<br />

einem solchen grundsätzlichen Verbot<br />

vorzusehen. Ein solcher Fall besteht jedenfalls<br />

d<strong>an</strong>n, wenn eine ernste Gefahr<br />

für das Leben der Frau oder das Risiko<br />

einer schwerwiegenden Beeinträchtigung<br />

ihrer Gesundheit zu befürchten<br />

ist. Gleiches gilt für den Fall einer drohenden<br />

besonders schwerwiegenden<br />

Behinderung des Kindes. Nur ein derartiges<br />

gestaffeltes Schutzkonzept vermag<br />

die erforderliche Abwägung der<br />

betroffenen Rechtspositionen zu gewährleisten.<br />

Dr. jur. Tade M. Spr<strong>an</strong>ger<br />

Gesp<strong>an</strong>ntes Abwarten<br />

schnöder Gewinnsucht, und hält sich<br />

bei den wirklich umstrittenen Fragen<br />

die Türen offen. <strong>PID</strong> lehnt die CDU<br />

„nicht grundsätzlich“ ab, wohl aber deren<br />

eugenische Ausnutzung. Sie weiß<br />

indes nicht so recht, wie das zu bewerkstelligen<br />

ist, und spricht sich für eine<br />

weitere offene Diskussion aus. Sie<br />

wartet zunächst mal ab.<br />

Das Verhalten der CDU gleicht auffallend<br />

dem der Ärzteschaft. Auch die<br />

steckt nämlich in jenem Dilemma, auch<br />

sie muss gegensätzliche Meinungen<br />

mitein<strong>an</strong>der vereinbar machen – doch<br />

die Kundigen ahnen, dass das letztlich<br />

nicht geht. Am Ende könnten mit verschämter<br />

Freude jene stehen, denen der<br />

„Durchbruch“ gelungen ist, und auf der<br />

<strong>an</strong>deren Seite jene mit tapferer Miene,<br />

die „alles versucht“ haben.<br />

Bis auf weiteres setzt die Ärzteschaft<br />

auf gesellschaftliche Diskussion und<br />

wartet gleichfalls ab. Sie lehnt, abzulesen<br />

<strong>an</strong> Beschlussfassungen des jüngsten<br />

Deutschen Ärztetages, <strong>Embryonen</strong>forschung,<br />

wie sie jüngst die Deutsche <strong>Forschung</strong>sgemeinschaft<br />

befürwortet hat,<br />

89


ab. Allerdings – den Beschluss gilt es<br />

aufmerksam zu lesen: Die Ablehnung<br />

gilt „derzeit“. Die Haltung zur <strong>PID</strong> ist<br />

weiterhin offen. Auch hier empfiehlt<br />

sich, genau hinzusehen:Anträge, die auf<br />

eine eindeutige Absage <strong>an</strong> <strong>PID</strong> zielten,<br />

wurden vom Deutschen Ärztetag mit<br />

deutlicher Mehrheit abgelehnt.<br />

Am Ende des auch vom Ärztetag gewünschten<br />

„gesellschaftlichen“ Klärungsprozesses<br />

dürfte die „gesellschaftliche“<br />

Entscheidung stehen, und die<br />

Ärzteschaft wäre der eigenen Entscheidung<br />

enthoben. Sie hat freilich zuvor<br />

die nötigen Informationen bereitgestellt,<br />

die Alternativen aufgezeigt, wie<br />

es der Präsident der Bundesärztekammer,<br />

Prof. Dr. Jörg-Dietrich Hoppe, in<br />

einem Interview, das in Heft 20 erschienen<br />

ist, formuliert hat. Alsd<strong>an</strong>n würde<br />

die Ärzteschaft, so Hoppe, falls der Gesetzgeber<br />

den <strong>Embryonen</strong>schutz abschwächen<br />

sollte, nötigenfalls Richtlinien<br />

für die innerärztlich sachgemäße<br />

Durchführung beschließen.<br />

Bis dahin wird es noch eine Weile<br />

dauern, der gesellschaftliche Diskurs<br />

dauert <strong>an</strong>. Wem nützt die ablaufende<br />

Zeit? Vordergründig beiden Richtungen.<br />

Die Gesellschaft ist in den letzten<br />

Monaten tatsächlich, auch im Sinne derer,<br />

die zur Vorsicht raten, problembewusst<br />

geworden. Das ist gut so. Jeder<br />

soll wissen, dass Grundfragen des Lebens<br />

zur Diskussion stehen. Die ablaufende<br />

Zeit nützt nicht zuletzt aber auch<br />

den Befürwortern der liberalen H<strong>an</strong>dhabung.<br />

Sie führen derzeit immer neue<br />

medizinische und naturwissenschaftliche<br />

Bataillone und philosophische und<br />

juristische Hilfstruppen ins Feld.<br />

Bis zur Entscheidung des Gesetzgebers<br />

– der wird um eine solche nicht<br />

herumkommen – herrscht gesp<strong>an</strong>ntes<br />

Abwarten. Norbert Jachertz<br />

90<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

Heft 22, 1. Juni 2001<br />

Gesundheits- und Sozialpolitik<br />

Freiheit und Ver<strong>an</strong>twortung<br />

in der modernen Medizin<br />

Auszug aus der Rede zur Eröffnung des 104. Deutschen<br />

Ärztetages: Die Aussagen zur ärztlichen Ethik<br />

Jörg-Dietrich Hoppe<br />

Freiheit und Ver<strong>an</strong>twortung in der modernen Medizin<br />

– das heißt für uns vor allen Dingen Freiheit in<br />

Ver<strong>an</strong>twortung. Diese ethische Selbstverpflichtung<br />

eben ist der entscheidende Unterschied zur Beliebigkeit.<br />

Bei keinem <strong>an</strong>deren Thema offenbart sich<br />

diese Differenz so gravierend wie bei der Diskussion<br />

um die Sterbehilfe.<br />

Die Entscheidung des niederländischen Parlaments,<br />

das Tötungsverbot in bestimmten Fällen aufzuheben<br />

und ärztlich gestützte Euth<strong>an</strong>asie zuzulassen,<br />

rührt <strong>an</strong> den Grundfesten einer hum<strong>an</strong>en Gesellschaft.<br />

Es ist zu befürchten, dass nunmehr auch<br />

in <strong>an</strong>deren europäischen Ländern diejenigen Auftrieb<br />

bekommen werden, die einer Legalisierung der<br />

Euth<strong>an</strong>asie das Wort reden.<br />

Für uns aber ist eine gezielte Lebensverkürzung<br />

durch Maßnahmen, die den Tod herbeiführen oder<br />

das Sterben beschleunigen sollen, nach wie vor mit<br />

den Prinzipien des Arztberufes unvereinbar. Das hat<br />

auch der Weltärztebund wiederholt festgestellt, zuletzt<br />

am verg<strong>an</strong>genen 5. Mai mit nur einer Gegenstimme,<br />

und die kam aus den Niederl<strong>an</strong>den.<br />

Denn ethische Werte sind keine Modeerscheinungen<br />

der Postmoderne, ethische Werte sind Prinzipien<br />

des Hum<strong>an</strong>ismus, ihrem Wesen nach unverbrüchlich,<br />

vielleicht sogar naturgegeben. Wie<br />

schnell allerdings solche Werte durch Ignor<strong>an</strong>z,<br />

Ideologie oder schlicht durch eine Gebrauchsethik<br />

ersetzt werden können, zeigt schon ein kurzer Blick<br />

zurück in die Verg<strong>an</strong>genheit.<br />

Das Euth<strong>an</strong>asie-Programm der Nazis, die Vernichtung<br />

so gen<strong>an</strong>nten lebensunwerten Lebens,<br />

nahm seinen Anf<strong>an</strong>g in der Diskreditierung des Verbots<br />

aktiver Sterbehilfe. Erst als Tötung auf Verl<strong>an</strong>gen<br />

gesellschaftlich akzeptiert erschien und das unbedingte<br />

Lebensrecht des Menschen <strong>an</strong> sich schon<br />

nichts mehr galt, beg<strong>an</strong>nen die Nazis mit der Massentötung<br />

behinderter Menschen. Der Bevölkerung<br />

wurde d<strong>an</strong>n eingeredet, m<strong>an</strong> täte den „armseligen<br />

Kreaturen“ – wie es damals hieß – nur einen Gefallen<br />

und gewähre ihnen deshalb den „Gnadentod“.<br />

Ohne die Gleichgültigkeit beziehungsweise<br />

schweigende Zustimmung in der Bevölkerung hätten<br />

diese Mordtaten <strong>an</strong> psychisch Kr<strong>an</strong>ken, geistig und<br />

körperlich Behinderten so nicht geschehen können.<br />

Warum dieser kleine Exkurs in unsere Geschichte?<br />

Ich glaube, dass ethische Werte verteidigt werden<br />

müssen, wenn sie bewahrt werden sollen, dass<br />

m<strong>an</strong> für die Werte des Hum<strong>an</strong>ismus kämpfen muss<br />

und dass Ignor<strong>an</strong>z und Gleichgültigkeit gegenüber<br />

den Schwächeren der Anf<strong>an</strong>g vom Ende sind.<br />

Auch dürfen wir uns nicht gefälligen Argumentationen<br />

des Zeitgeistes hingeben und uns allzu sehr<br />

von Meinungsumfragen beeindrucken lassen. Zumal<br />

wenn sie lapidar formuliert sind wie etwa „Sollte<br />

die aktive Sterbehilfe erlaubt werden?“. Wer<br />

denkt da nicht sofort <strong>an</strong> das Selbstbestimmungsrecht<br />

des mündigen Menschen?<br />

Wie aber würde wohl das Ergebnis einer solchen<br />

Umfrage aussehen, wenn die Frage lautete: „Sollte<br />

ihr Arzt Patienten im finalen Stadium töten dürfen?“<br />

Wir müssen uns mit aller Macht dagegen wenden,<br />

dass ein gesellschaftliches Klima entsteht, das<br />

Sterbehilfe zum Mittel der Wahl bei schwerstkr<strong>an</strong>ken<br />

und lebensmüden Menschen erklärt. Schon eine<br />

Relativierung würde unweigerlich auf eine schiefe<br />

Ebene führen. Denn dadurch würde auch der Druck<br />

auf diejenigen Patienten, welche sich den Tod nicht<br />

wünschen, sondern bis zum letzten Atemzug zu hoffen<br />

wagen, unerträglich steigen.<br />

J<strong>an</strong> Roß hat Recht, wenn er sagt: „Wer meint,<br />

dass getötet werden darf, wer getötet werden will,<br />

wird leicht zu dem Schluss kommen, dass nur der<br />

nicht getötet werden darf, der nicht getötet werden<br />

will.“ Zitatende<br />

Es ist deshalb nicht nur Verpflichtung der Ärzte,<br />

sondern aller Menschen in diesem L<strong>an</strong>d, die Unverfügbarkeit<br />

menschlichen Lebens <strong>an</strong>zuerkennen und<br />

zu bewahren. Deshalb plädieren wir mit Nachdruck<br />

für einen Ausbau der Hospize und der palliativmedizinischen<br />

Versorgung und wenden uns mit aller<br />

Macht gegen jeden Versuch, Ärzte zu staatlich legitimierten<br />

Euth<strong>an</strong>atikern zu machen!<br />

◆<br />

Wie am Ende des menschlichen Lebens, so müssen<br />

wir uns auch <strong>an</strong> dessen Beginn immer wieder dar-


auf besinnen, was originäre Aufgabe des Arztes ist.<br />

Darüber haben wir gerade bei der Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

in der Ärzteschaft eine intensive<br />

Diskussion geführt. Und ich bin dem Chefredakteur<br />

des Deutschen Ärzteblattes, Herrn Jachertz, außerordentlich<br />

d<strong>an</strong>kbar, dass er in einer umf<strong>an</strong>greichen<br />

<strong>Dokumentation</strong> die verschiedenen Meinungsbeiträge<br />

für uns zusammengefasst hat.<br />

Unser grundlegendes Problem in der Bewertung<br />

neuester Medizintechniken liegt in ihrem offensichtlichen<br />

Wertewiderspruch. Einerseits versprechen sie<br />

bisher unheilbare Kr<strong>an</strong>kheiten zu heilen oder zu verhindern,zum<br />

<strong>an</strong>deren aber drohen wir in die Selektion<br />

oder Verwertung menschlichen Lebens zu geraten.<br />

Auch der Gesetzgeber k<strong>an</strong>n längst nicht mehr<br />

Schritt halten mit medizinischem Fortschritt. So regelt<br />

das <strong>Embryonen</strong>schutzgesetz von 1990 zwar<br />

den Umg<strong>an</strong>g mit befruchteten Eizellen und <strong>Embryonen</strong><br />

bis zur Nidation. Inwieweit aber die Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

– oder auch <strong>PID</strong> – mit diesem Gesetz<br />

vereinbar ist, ist nach wie vor umstritten.<br />

Mit dem „Diskussionsentwurf zu einer Richtlinie<br />

zur Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik“ vom Februar verg<strong>an</strong>genen<br />

Jahres, in dem die Zulassungskriterien<br />

äußerst restriktiv gefasst sind, haben wir den öffentlichen<br />

Diskurs zu diesem Thema gefordert, ja regelrecht<br />

provoziert. Wir wollten Problembewusstsein<br />

schärfen, und es sollte niem<strong>an</strong>d mehr sagen<br />

können, er habe nicht gewusst, um was es geht.<br />

Dafür sind wir auch gescholten worden.<br />

Aber es bleibt dabei, was auch Bundespräsident<br />

Joh<strong>an</strong>nes Rau in seiner jüngsten, bemerkenswerten<br />

Berliner Rede <strong>an</strong>gemerkt hat:<br />

„Nachdenken k<strong>an</strong>n m<strong>an</strong> nur, wenn zwischen<br />

Entdeckung und Anwendung Zeit bleibt, wenn wir<br />

die möglichen Folgen bedenken können, bevor sie<br />

eingetreten sind.“ Zitatende<br />

Ich darf noch einmal dar<strong>an</strong> erinnern: Durch die<br />

ras<strong>an</strong>te Entwicklung im Bereich der Fortpfl<strong>an</strong>zungsmedizin<br />

ist es in den verg<strong>an</strong>genen Jahren möglich<br />

geworden, einen Embryo außerhalb des Mutterleibes<br />

zu erzeugen und bereits in den ersten Tagen<br />

nach der Befruchtung auf bestimmte genetische Belastungen<br />

oder Chromosomenstörungen zu untersuchen.<br />

Nach einer solchen Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

k<strong>an</strong>n entschieden werden, ob eine Einnistung<br />

erfolgen oder ob der Embryo dem Absterben<br />

<strong>an</strong>heim gegeben werden soll.<br />

<strong>PID</strong> ermöglicht es erblich schwer belasteten Paaren<br />

mit Kinderwunsch, auf eine so gen<strong>an</strong>nte<br />

„Schw<strong>an</strong>gerschaft auf Probe“, also auf Postnidationsdiagnostik<br />

beziehungsweise Pränataldiagnostik<br />

mit der möglichen Konsequenz eines Schw<strong>an</strong>gerschaftsabbruchs,<br />

zu verzichten. In elf Ländern<br />

der Europäischen Union ist die <strong>PID</strong> erlaubt, in drei<br />

Ländern ausdrücklich verboten, in Deutschl<strong>an</strong>d bisher<br />

umstritten – und das zu Recht.<br />

Denn allein schon aufgrund von Gesetzgebung<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

und Rechtsprechung ist der Mensch bei uns in seiner<br />

Entwicklung vom befruchteten Ei bis zum Greis<br />

unterschiedlich geschützt:<br />

1. Der Keim, also das in Teilung befindliche befruchtete<br />

Ei im Reagenzglas, ist de jure und zugleich<br />

de facto geschützt.<br />

2. Der Embryo im Mutterleib ist zwar de jure geschützt,<br />

de facto aber nicht:<br />

a) vor der Nidation durch die Spirale oder die<br />

Pille d<strong>an</strong>ach als Mittel der Einnistungsverhütung –<br />

das heißt ohne konkrete Konfliktsituation Frau/Kind<br />

b) nach der Nidation wegen der Möglichkeit des<br />

Schw<strong>an</strong>gerschaftsabbruchs wegen eines Konfliktes<br />

Frau/Kind bis zur 12. Schw<strong>an</strong>gerschaftswoche<br />

c) während der gesamten Schw<strong>an</strong>gerschaftsdauer<br />

bei so gen<strong>an</strong>nter medizinischer Indikation<br />

(nach Pränataldiagnostik) bis zum Geburtsbeginn<br />

<strong>3.</strong> Sonderfall: Ein Kind, das den Schw<strong>an</strong>gerschaftsabbruch<br />

überlebt hat, ist de jure und de facto<br />

geschützt – trotz des Konfliktes Frau/Kind.<br />

Schlussfolgerung: Eine völlig inkonsistente<br />

Rechtslage, die auch der Verfassung nicht entsprechen<br />

k<strong>an</strong>n.<br />

Eine unerträgliche Situation für unsere Gynäkologen<br />

und Perinatalärzte!<br />

Darüber hinaus sind weitere wichtige Fragen ungeklärt:<br />

❃ Wie lässt sich gewährleisten, dass der Embryo<br />

nur auf die genetischen Belastungen oder Chromosomenstörungen<br />

der Eltern untersucht wird?<br />

❃ Ist es sicher auszuschließen, dass die Entnahme<br />

einer Zelle zur Diagnostik wirklich keine Schädigung<br />

des „Rest“-Embryos zur Folge hat?<br />

❃ Darf ein künstlich gezeugter Embryo im Reagenzglas<br />

nicht untersucht werden, während ein Embryo<br />

im Mutterleib jederzeit untersucht werden darf?<br />

❃ Und schließlich: Lässt sich die Möglichkeit eines<br />

Spätschw<strong>an</strong>gerschaftsabbruchs nach Pränataldiagnostik<br />

mit einem Verbot der <strong>PID</strong> widerspruchsfrei<br />

vereinbaren?<br />

Wie wird denn schon jetzt im Rahmen einer IvF-<br />

Beh<strong>an</strong>dlung mit <strong>Embryonen</strong> verfahren, die als schadhaft<br />

gelten oder infiziert sind? M<strong>an</strong> lässt sie sterben.<br />

Ich persönlich sehe die Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

von ihrer Intention her genauso wie die Pränataldiagnostik<br />

primär nicht als selektive Methode,<br />

sondern als eine Möglichkeit, erbbelasteten Eltern<br />

zu einem gesunden Kind zu verhelfen. M<strong>an</strong> k<strong>an</strong>n<br />

das ablehnen und Paaren mit einer schweren erblichen<br />

Belastung empfehlen, auf Kinder zu verzichten.<br />

Das wäre uneingeschränkt auch meine Präferenz.<br />

Und ich stimme dem Bundespräsidenten uneingeschränkt<br />

zu in seiner Feststellung:<br />

„Wenn es die Möglichkeit gibt, Kinder künstlich<br />

zu erzeugen oder die genetischen Anlagen eines<br />

Embryos zu testen – entsteht d<strong>an</strong>n nicht leicht eine<br />

Haltung, dass jede und jeder, der eigene Kinder bekommen<br />

will, auch das Recht dazu habe – und zwar<br />

sogar ein Recht auf gesunde Kinder? Wo bisher unerfüllbare<br />

Wünsche erfüllbar werden oder erfüllbar<br />

erscheinen, da entsteht daraus schnell ein Anschein<br />

von Recht. Wir wissen aber doch, dass es ein solches<br />

Recht nicht gibt.“ Zitatende<br />

Aber, meine Damen und Herren, ist diese Auffassung<br />

noch mehrheitsfähig, seit die In-vitro-Fertilisation<br />

zugelassen ist und Pränataldiagnostik durchgeführt<br />

wird mit dem Ziel, intrauterin mögliche Erbschädigungen<br />

bei Kindern festzustellen und diese<br />

Kinder d<strong>an</strong>n abzutreiben?<br />

Deshalb sage ich: Durch ein Verbot der Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

allein ist die Welt nicht in<br />

Ordnung zu bringen. Die Problematik ist komplexer<br />

und sollte nicht simplifiziert diskutiert werden.<br />

Ich mahne aber zugleich, dass wir d<strong>an</strong>n die <strong>PID</strong><br />

unter strikter Kontrolle halten müssen, damit nicht<br />

Antworten gesucht werden auf Fragen, die wir nicht<br />

stellen wollen. D<strong>an</strong>n nämlich wäre <strong>PID</strong> tatsächlich<br />

der erste Schritt in Richtung Selektion.<br />

Bedingt durch die derzeit ungeklärte Rechtslage<br />

in Deutschl<strong>an</strong>d, sehen sich Ärzte häufig dazu gedrängt,<br />

Rat suchende Paare mit erblichen Belastungen<br />

in einer Konfliktsituation auf eine Beh<strong>an</strong>dlung<br />

im Ausl<strong>an</strong>d hinzuweisen und sich dadurch möglicherweise<br />

strafbar zu machen. Dies ist für die Ärzteschaft<br />

eine untragbare Situation.<br />

Deshalb appellieren wir dringend <strong>an</strong> den Gesetzgeber,<br />

eine Klärung der Rechtslage herbeizuführen<br />

und für den Fall einer Zulassung der <strong>PID</strong> weitere Kriterien<br />

einer restriktiven H<strong>an</strong>dhabung mitzugestalten.<br />

Diese g<strong>an</strong>ze Diskussion wäre im Übrigen überflüssig,<br />

wenn wir in unserer Gesellschaft Behinderte<br />

ohne Wenn und Aber akzeptieren würden.<br />

Umso wichtiger ist es, dass wir Ärzte immer wieder<br />

klarstellen, dass Menschen selbst im frühesten<br />

Stadium ihrer Entwicklung, also von der Verschmelzung<br />

der Gameten <strong>an</strong>, nicht für <strong>an</strong>dere Menschen<br />

verfügbar gemacht werden dürfen. Es darf niemals<br />

so sein, dass Menschen für den Heilungsprozess <strong>an</strong>derer<br />

ausgenutzt werden. Verbrauchende <strong>Embryonen</strong>forschung<br />

lehnen wir deshalb strikt ab.<br />

Eine ethisch vertretbare Alternative ist die <strong>Forschung</strong><br />

mit adulten Stammzellen oder Stammzellen<br />

aus Nabelschnurblut.Diese müssen wir fördern,so wie<br />

es auch die Deutsche <strong>Forschung</strong>sgemeinschaft in ihrer<br />

vorletzten Stellungnahme noch empfohlen hat. ✮<br />

91


Heft 22, 1. Juni 2001<br />

Die Würde des Menschen ist un<strong>an</strong>tastbar.<br />

Das wird wohl von niem<strong>an</strong>dem<br />

bestritten.Doch ab w<strong>an</strong>n<br />

besitzt ein Embryo eine menschliche<br />

Würde? Darf <strong>an</strong> menschlichen <strong>Embryonen</strong><br />

geforscht werden, oder dürfen<br />

gar embryonale Stammzellen zu <strong>Forschung</strong>szwecken<br />

hergestellt werden?<br />

Nein – ist die Antwort des 104. Deutschen<br />

Ärztetages. Er erteilt der Herstellung,<br />

dem Import und der Verwendung<br />

von embryonalen Stammzellen eine<br />

klare Absage. Einschränkend wurde allerdings<br />

das Wort „derzeit“ eingefügt.<br />

Der Ärztetag w<strong>an</strong>dte sich damit gegen<br />

die Empfehlungen der Deutschen <strong>Forschung</strong>sgemeinschaft<br />

(DFG), die den<br />

Import embryonaler Stammzellen und<br />

l<strong>an</strong>gfristig auch deren Gewinnung in<br />

Deutschl<strong>an</strong>d zulassen will (dazu DÄ,<br />

Heft 19/2001).<br />

Dieser Vorstoß der DFG ziele auf<br />

eine Änderung des <strong>Embryonen</strong>schutzgesetzes<br />

ab, um die <strong>Forschung</strong> mit<br />

embryonalen Stammzellen auch in<br />

Deutschl<strong>an</strong>d zu ermöglichen. Der Ärztetag<br />

stimmt in dieser Frage mit Bundespräsident<br />

Joh<strong>an</strong>nes Rau überein, der<br />

sich in seiner Berliner Rede „Wird alles<br />

gut? – Für einen Fortschritt nach<br />

menschlichem Maß“ am 18. Mai ebenfalls<br />

für eine Beibehaltung des <strong>Embryonen</strong>schutzgesetzes<br />

ausgesprochen hatte:<br />

„Auch hochr<strong>an</strong>gige Ziele wissenschaftlicher<br />

<strong>Forschung</strong> dürfen nicht darüber<br />

bestimmen, ab w<strong>an</strong>n menschliches Leben<br />

geschützt werden soll.“<br />

Um die vielen noch offenen Fragen<br />

der zellulären Entwicklungsbiologie<br />

zu klären, seien weitere intensive<br />

<strong>Forschung</strong>s<strong>an</strong>strengungen notwendig,<br />

heißt es in dem Beschluss. „Die Wissen-<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

TOP I: Ethik<br />

Die Unverfügbarkeit<br />

menschlichen Lebens<br />

Die Delegierten des Ärztetages legten sich (vorerst) fest:<br />

nein zur embryonalen Stammzellforschung, nein zur<br />

aktiven Euth<strong>an</strong>asie. Bei der Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

konnten sie sich auf keine eindeutige Position einigen.<br />

Der Gesetzgeber soll zunächst die Rechtslage klären.<br />

92<br />

schaftler müssen die Öffentlichkeit<br />

sachlich und fundiert über die Grundlagen<br />

der <strong>Forschung</strong> mit embryonalen<br />

und adulten Stammzellen informieren“,<br />

forderte der Ärztetag. Auch die<br />

Quellen für menschliche Stammzellen<br />

müsse m<strong>an</strong> genau benennen (überzählige<br />

<strong>Embryonen</strong>, fetales Gewebe, adulte<br />

Stammzellen). Dabei dürften sich Ärzte<br />

und Patienten keine übertriebenen<br />

Hoffnungen auf eine baldige therapeutische<br />

Anwendung dieser Techniken<br />

machen. Die Öffentlichkeit müsse „ergebnisoffen“<br />

in den Dialog über die<br />

ethischen und rechtlichen Probleme<br />

eingebunden werden, um Möglichkeiten,<br />

aber auch Grenzen der <strong>Forschung</strong><br />

mit embryonalen Stammzellen zu erkennen.<br />

Der Präsident der Bundesärztekammer,<br />

Prof. Dr. med. Jörg-Dietrich Hoppe,<br />

sagte, er erwarte, dass der Beschluss<br />

eine politische Entscheidung zur embryonalen<br />

Stammzellforschung zumindest<br />

hinauszögere. Eine ethisch vertretbare<br />

Alternative sei die <strong>Forschung</strong> mit<br />

adulten Stammzellen oder Stammzellen<br />

aus Nabelschnurblut. Diese müsse<br />

gefördert werden, so wie es die Deutsche<br />

<strong>Forschung</strong>sgemeinschaft in ihrer<br />

vorletzten Stellungnahme noch empfohlen<br />

habe.<br />

Der Beschluss des Ärztetages wurde<br />

mehrheitlich gefasst. Zum Thema <strong>Embryonen</strong>forschung<br />

gab es zuvor jedoch<br />

erheblichen Diskussionsbedarf. Eine<br />

g<strong>an</strong>ze Reihe von Delegierten wollte einer<br />

Empfehlung des Vorsitzenden des<br />

Wissenschaftlichen Beirates der Bundesärztekammer,<br />

Prof. Dr. med. Karl-<br />

Friedrich Sewing, folgen, der dafür plädierte,zunächst<br />

das Votum des Beirates,<br />

der sich in einem eigenen Ausschuss mit<br />

dem Problem beschäftige, abzuwarten.<br />

Zahlreiche Delegierte betonten dagegen,<br />

dass m<strong>an</strong> die Debatte nur befördern<br />

könne, wenn m<strong>an</strong> sich dar<strong>an</strong> beteilige,<br />

statt abzuwarten.<br />

Die Delegierten fordern<br />

rechtliche Klarheit<br />

Schwieriger als bei der embryonalen<br />

Stammzellforschung fiel dem Ärztetag<br />

eine Einschätzung der Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

(<strong>PID</strong>). Auf eine klare<br />

Pro- oder Kontraposition wollte sich<br />

die Mehrheit der Delegierten nicht festlegen.<br />

Ein Grund dafür ist die bisher<br />

noch ungeklärte Rechtslage. Die Delegierten<br />

des Ärztetages appellierten deshalb<br />

<strong>an</strong> den Gesetzgeber, rechtliche<br />

Klarheit über die Zulässigkeit der <strong>PID</strong><br />

herzustellen. Es müsse geklärt werden,<br />

inwieweit genetische Untersuchungen<br />

von <strong>Embryonen</strong> vor einer möglichen<br />

Übertragung in die Gebärmutter mit<br />

der geltenden Rechtslage zu vereinbaren<br />

seien.<br />

Ärzte sähen sich häufig dazu gedrängt,<br />

Rat suchende Paare in einer<br />

Konfliktsituation auf eine Beh<strong>an</strong>dlung<br />

im Ausl<strong>an</strong>d hinzuweisen und sich dadurch<br />

möglicherweise strafbar zu machen.<br />

„Dies ist für die Ärzteschaft eine<br />

untragbare Situation“, heißt es in dem<br />

Beschluss. Für den Fall einer Zulassung<br />

müsse der Gesetzgeber weitere Kriterien<br />

für eine maximale Eingrenzbarkeit<br />

dieser Methode mitgestalten. Außerdem<br />

sollten zahlreiche noch offene Fragen<br />

geklärt werden, zum Beispiel wie es<br />

zu gewährleisten sei, dass der Embryo<br />

nur auf die genetischen Belastungen<br />

oder Chromosomenstörungen der Eltern<br />

untersucht wird und ob sich die<br />

Möglichkeit eines Spätschw<strong>an</strong>gerschaftsabbruchs<br />

nach Pränataldiagnostik mit<br />

einem Verbot der <strong>PID</strong> widerspruchsfrei<br />

vereinbaren lässt.<br />

Ein Antrag von Prof. Dr. med. Winfried<br />

Kahlke, Ärztekammer Hamburg,<br />

sprach sich dafür aus, „<strong>PID</strong> nicht in die<br />

medizinische Praxis aufzunehmen und<br />

das <strong>Embryonen</strong>schutzgesetz in seiner<br />

gegenwärtigen Fassung zu belassen“.<br />

Nach Auffassung Kahlkes bedeutet die<br />

Etablierung dieser Methode, dass die<br />

Entscheidung, welche Kinder ausgetra-


gen werden sollen, bereits vor der<br />

Schw<strong>an</strong>gerschaft getroffen werde, um<br />

die Geburt von kr<strong>an</strong>ken und behinderten<br />

Kindern zu verhindern. Damit stelle<br />

<strong>PID</strong> den Einzug einer genetischen Selektion<br />

in die medizinische Praxis dar.<br />

Das Argument, dass ein möglicher<br />

Schw<strong>an</strong>gerschaftsabbruch durch die<br />

Vorauswahl des zu impl<strong>an</strong>tierenden<br />

Embryos vermieden werden könnte,<br />

hält Kahlke nicht für überzeugend. Der<br />

Schw<strong>an</strong>gerschaftsabbruch erfolge, um<br />

eine als unerträglich beziehungsweise<br />

als unzumutbar empfundene Belastung<br />

der Schw<strong>an</strong>geren abzuwehren, die <strong>an</strong>ders<br />

nicht abzuwenden sei. Das Verwerfen<br />

eines ungewollten Embryos im<br />

Rahmen der <strong>PID</strong> beabsichtige, den Anspruch<br />

auf ein bestimmtes Kind zu erfüllen:<br />

„Eine Notlage, die durch kein<br />

<strong>an</strong>deres Mittel abzuwenden wäre, liegt<br />

hier nicht vor.“ Kahlke wies auch auf<br />

die Gefühlslage der Betroffenen hin.<br />

Die in der Selbsthilfevereinigung Mukoviszidose<br />

vertretenen Eltern und Patienten<br />

hätten schwere Bedenken gegen<br />

eine Zulassung der Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik.<br />

Dass Behinderte dieser Methode<br />

äußerst kritisch gegenüberstehen, ist<br />

nachvollziehbar. Eine Äußerung von<br />

Dr. med. Norbert Metke, L<strong>an</strong>desärztekammer<br />

Baden-Württemberg, dürfte<br />

sie in ihrer Sorge bestärken. Metke bezeichnete<br />

die <strong>PID</strong> als „Pflicht der Ärzte“.<br />

Ärztliches H<strong>an</strong>deln sei immer ein<br />

Eingriff in die Natur. „Wenn wir künstliches<br />

Leben schaffen, haben wir auch<br />

die Pflicht, gesundes Leben zu schaffen.“<br />

Metke, der als Orthopäde selbst<br />

behinderte Kinder beh<strong>an</strong>delt, ging sogar<br />

noch weiter und sagte: „Ich sehe<br />

keinen Eigenwert in behindertem Leben.“<br />

Die Bemerkung löste Pfiffe und<br />

Buh-Rufe aus.Wenig später nahm Metke<br />

den „schlimmen Satz“ zwar wieder<br />

zurück, sagte aber, dass er im Leid von<br />

Behinderten nichts Positives erkennen<br />

könne.<br />

Mehrere Delegierte kritisierten Metke<br />

scharf. So meinte Dr. med. Helmut<br />

Peters, L<strong>an</strong>desärztekammer Rheinl<strong>an</strong>d-Pfalz,<br />

dass Kinder mit Trisomie 21<br />

häufig zufriedener als „ambitionierte<br />

Wissenschaftler“ seien. Peters zitierte<br />

unter großem Beifall Erich Kästners<br />

Gedicht „Der synthetische Mensch“.<br />

Den darin beschriebenen Katalog-<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

Menschen, „mit Bärten oder mit Busen,<br />

mit allen Zubehörteilen, je nach Geschlecht“,<br />

wollten die Delegierten offenbar<br />

nicht. „Behindertes Leben hat<br />

denselben Eigenwert wie das von jedem<br />

Delegierten hier im Raum“, sagte Rudolf<br />

Henke, Vorst<strong>an</strong>dsmitglied der<br />

Bundesärztekammer.<br />

Bundespräsident Joh<strong>an</strong>nes Rau hatte<br />

in seiner Berliner Rede die <strong>PID</strong> als<br />

eine Praxis bezeichnet, „die das Tor<br />

weit öffnet für biologische Selektion,<br />

für eine Zeugung auf Probe“. Ein<br />

Recht auf gesunde Kinder gebe es<br />

nicht. Noch so verständliche Wünsche<br />

und Sehnsüchte seien keine Rechte.<br />

Diese Auffassung wurde auch von Delegierten<br />

des Ärztetages geteilt, unter<br />

<strong>an</strong>derem von Dr. med. Astrid Bühren,<br />

Vorst<strong>an</strong>dsmitglied der Bundesärztekammer.<br />

In einem von ihr eingebrachten<br />

Antrag fragte sie, ob es gerechtfertigt<br />

sei, dass eine grundsätzlich fertile<br />

Frau als Patientin dem In-vitro-Fertilisationsprogramm<br />

mit seinen potenziellen<br />

medizinischen Risiken zugeführt<br />

werde. Bühren forderte eine „Abwägung,<br />

ob es gerechtfertigt ist, einem<br />

grundsätzlich fertilen Paar, das Kinder<br />

in intimer Zweisamkeit ohne technische<br />

Eingriffe und Laboratmosphäre<br />

zeugen könnte, die invasive Eizellentnahme,<br />

die masturbatorische Samenzellspende,<br />

eine reduzierte Konzeptionsch<strong>an</strong>ce,<br />

das Risiko emotionaler Krisensituationen<br />

und psychosomatische<br />

Auswirkungen mit Einfluss auf die<br />

Paarbeziehung <strong>an</strong>zuraten“. Dr. med.<br />

Fr<strong>an</strong>k Ulrich Montgomery, Vorst<strong>an</strong>dsmitglied<br />

der Bundesärztekammer, sagte<br />

ebenfalls, dass die Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

keine „schöne, saubere Methode“<br />

sei.<br />

Es gab jedoch auch Befürworter der<br />

Zulassung dieser Methode; Bührens Antrag<br />

wurde ebenso wie der von Kahlke<br />

abgelehnt. Wenn jährlich mehr als<br />

200 000 <strong>Embryonen</strong> weggeworfen würden,<br />

warum solle m<strong>an</strong> d<strong>an</strong>n nicht <strong>an</strong> ihnen<br />

forschen, fragte Dr. med. Ulrich<br />

L<strong>an</strong>g, L<strong>an</strong>desärztekammer Hessen.<br />

Wiederholt wurde eingewendet, dass<br />

<strong>PID</strong> im Ausl<strong>an</strong>d erlaubt sei und dass<br />

diese Möglichkeit von Paaren d<strong>an</strong>n<br />

auch genützt würde.<br />

Hoppe äußerte Verständnis für die<br />

Befürchtungen der Gegner der Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik.<br />

Er erläuterte aber<br />

auch, warum seiner Auffassung nach die<br />

Welt durch ein Verbot der <strong>PID</strong> nicht in<br />

Ordnung zu bringen sei (dazu auch<br />

das Interview mit Hoppe in DÄ,<br />

Heft 20/2001). Er betrachte die Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

und die Pränataldiagnostik<br />

nicht primär als selektive<br />

Methode, sondern als eine Möglichkeit,<br />

erbbelasteten Eltern zu einem<br />

gesunden Kind zu verhelfen.<br />

„M<strong>an</strong> k<strong>an</strong>n das ablehnen, und Paaren<br />

mit einer schweren erblichen Belastung<br />

empfehlen, auf Kinder zu verzichten.<br />

Das wäre uneingeschränkt<br />

auch meine Präferenz.“ Es sei jedoch<br />

fraglich, ob eine solche Auffassung<br />

noch mehrheitsfähig sei, seit die Invitro-Fertilisation<br />

zugelassen sei und<br />

Pränataldiagnostik vorgenommen werde,<br />

mit dem Ziel, intrauterin mögliche<br />

Erbschädigungen bei Kindern festzustellen<br />

und diese Kinder d<strong>an</strong>n abzutreiben.<br />

Wenn <strong>PID</strong> zugelassen würde, dürfte<br />

sie allerdings nur mit Restriktionen<br />

erlaubt werden, „damit nicht Antworten<br />

gesucht werden auf Fragen, die wir<br />

nicht stellen wollen. D<strong>an</strong>n nämlich wäre<br />

<strong>PID</strong> der erste Schritt in Richtung Selektion.“<br />

Bei der Einstellung zur aktiven Euth<strong>an</strong>asie<br />

waren sich die Delegierten einig.<br />

Die niederländische Regelung wird<br />

von ihnen einmütig abgelehnt. „Aktive<br />

Sterbehilfe ist das vorsätzliche Töten<br />

von Menschen. Das steht in krassem<br />

Widerspruch zum ärztlichem Auftrag,<br />

das Leben zu schützen. Der ärztliche<br />

Beruf würde so ein <strong>an</strong>derer, der Arzt<br />

würde zum Vollstrecker werden“, heißt<br />

es in einem Beschluss. Jeder Patient<br />

müsse sich zu jeder Zeit sicher sein, dass<br />

Ärzte konsequent für das Leben eintreten<br />

und weder aus wirtschaftlichen<br />

noch aus politischen Gründen das Leben<br />

zur Disposition stellen. Diese Sicherheit<br />

könne nur d<strong>an</strong>n gar<strong>an</strong>tiert<br />

werden,wenn Ärzte das Töten von Patienten<br />

kategorisch ablehnen. Es gebe<br />

schon Wissenschaftler, die von „Sterbekosten“<br />

sprechen, wenn sie die Beh<strong>an</strong>dlung<br />

und Hilfe in der Zeit vor dem Tod<br />

meinen. „Wenn Schwerstkr<strong>an</strong>ke schnell<br />

und kostengünstig sterben wollen,<br />

kommt eine makabre Kostenlogik in<br />

G<strong>an</strong>g“, warnt der Ärztetag.<br />

Inhalt des ärztlichen Auftrages sei,<br />

Leiden zu lindern und Angst zu nehmen,<br />

um damit ein würdevolles Lebens-<br />

93


ende zu ermöglichen. Als Alternative<br />

zur aktiven Sterbehilfe müssten daher<br />

die Voraussetzungen für eine weitere<br />

Verbreitung und Anwendung der Palliativmedizin<br />

verbessert werden. Die<br />

Ärztetagsdelegierten betonten, dass<br />

das Sterben Teil des Lebens sei und<br />

auch die letzte Phase des Lebens menschenwürdig<br />

gelebt werden könne.Deshalb<br />

müssten die für Kr<strong>an</strong>kenhauspla-<br />

Heft 22, 1. Juni 2001<br />

Entschließungen zum Tagesordnungspunkt I<br />

Gesundheits-, Sozial-<br />

und ärztliche Berufspolitik<br />

Konflikte bei ärztlichen<br />

Entscheidungen – am Beispiel<br />

der Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

Durch die ras<strong>an</strong>te Entwicklung im Bereich der<br />

Fortpfl<strong>an</strong>zungsmedizin in den verg<strong>an</strong>genen Jahren<br />

ist es möglich geworden, einen Embryo außerhalb<br />

des Mutterleibs zu zeugen und bereits in den<br />

ersten Tagen nach der Befruchtung auf bestimmte<br />

genetische Belastungen oder Chromosomenstörungen<br />

zu untersuchen. Das Ergebnis dieser<br />

Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik (<strong>PID</strong>) ermöglicht den<br />

Eltern die Entscheidung, ob der Embryo impl<strong>an</strong>tiert<br />

werden soll.<br />

Das <strong>Embryonen</strong>schutzgesetz (ESchG) von 1990<br />

regelt den Umg<strong>an</strong>g mit Gameten, befruchteten Eizellen<br />

und <strong>Embryonen</strong> im Zeitraum bis zur Einnistung<br />

des Embryos in den Uterus. Vom Beginn des<br />

menschlichen Lebens <strong>an</strong> soll der Lebensschutz gewährleistet<br />

werden.Als Beginn wird nach § 8 Abs.<br />

1 ESchG der Abschluss der Befruchtung der Eizelle,<br />

d. h. also die Kernverschmelzung in der befruchteten<br />

Eizelle mit der Entstehung eines neuen,<br />

individuellen Genoms <strong>an</strong>gesehen.<br />

Juristisch ungeklärt ist bisher, inwieweit die <strong>PID</strong><br />

mit dem <strong>Embryonen</strong>schutzgesetz vereinbar ist.<br />

1. Mit der Veröffentlichung des „Diskussionsentwurfs<br />

zu einer Richtlinie zur Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik“<br />

im Februar 2000 hat die Ärzteschaft<br />

die öffentliche Diskussion <strong>an</strong>gestoßen und das<br />

Problembewusstsein geschärft.<br />

Die Ärzteschaft hat keine Entscheidung getroffen,<br />

sondern für den Fall einer Zulassung die<br />

engstmögliche Zulässigkeit der ärztlichen Durchführung<br />

für <strong>PID</strong> beschrieben und einen möglichen<br />

Verfahrensweg aufgezeigt.<br />

2. Es ist Aufgabe der Ärzteschaft, in dem gesellschaftlichen<br />

Diskurs auf ethische Probleme<br />

94<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

nung zuständigen Länder bei der Kapazitätenermittlung<br />

für die stationäre<br />

Versorgung die Notwendigkeit palliativmedizinischer<br />

Maßnahmen einbeziehen.<br />

Über die Verbesserung der palliativmedizinischen<br />

Versorgung im Kr<strong>an</strong>kenhaus<br />

hinaus sei auch die weitere<br />

Förderung und fin<strong>an</strong>zielle Sicherstellung<br />

ambul<strong>an</strong>ter und stationärer Hospizarbeit<br />

erforderlich. Gisela Klinkhammer<br />

hinzuweisen, vor denen Ärzte mit ihren Patientinnen<br />

und Patienten stehen:<br />

Die in der Reproduktionsmedizin tätigen Ärzte<br />

stehen in der Situation, einerseits mit <strong>PID</strong> in Verbindung<br />

mit einer IvF über Methoden zu verfügen,<br />

die Paaren mit monogenetischen Erkr<strong>an</strong>kungen zu<br />

einem nicht betroffenen Kind verhelfen könnten,<br />

<strong>an</strong>dererseits mit der gesellschaftlich <strong>an</strong>erk<strong>an</strong>nten<br />

Anwendung von Pränataler Diagnostik (<strong>PND</strong>) der<br />

Frau eine „Schw<strong>an</strong>gerschaft auf Probe“ und gegebenenfalls<br />

eine Abtreibung, den Verzicht auf Kinder,<br />

eine heterologe Befruchtung mit Spendersamen<br />

oder eine Adoption zuzumuten.<br />

In diesem Zusammenh<strong>an</strong>g ist es unerlässlich,<br />

die offenen Fragen zu klären:<br />

❃ Wie wird im Rahmen einer IvF-Beh<strong>an</strong>dlung<br />

mit <strong>Embryonen</strong> verfahren, die sichtlich erkennbare<br />

Zellveränderungen haben?<br />

❃ Wie lässt sich gewährleisten, dass der Embryo<br />

nur auf die genetischen Belastungen oder<br />

Chromosomenstörungen der Eltern untersucht<br />

wird?<br />

❃ Ist auszuschließen, dass die Entnahme einer<br />

Zelle zur Diagnostik keine Schädigung des „Rest“-<br />

Embryos zur Folge hat?<br />

❃ Darf ein künstlich gezeugter Embryo im Reagenzglas<br />

nicht untersucht werden, während ein<br />

Embryo ím Mutterleib jederzeit untersucht werden<br />

darf?<br />

❃ Lässt sich die Möglichkeit eines Spätschw<strong>an</strong>gerschaftsabbruchs<br />

nach Pränataldiagnostik<br />

mit einem Verbot der <strong>PID</strong> widerspruchsfrei<br />

vereinbaren?<br />

<strong>3.</strong> Die Ärzteschaft appelliert dringend <strong>an</strong> den<br />

Gesetzgeber, eine Klärung der Rechtslage herbeizuführen<br />

und für den Fall einer Zulassung der <strong>PID</strong><br />

weitere Kriterien für eine maximale Eingrenzbarkeit<br />

mitzugestalten.<br />

Im europäischen Ausl<strong>an</strong>d ist die Diskussion um<br />

<strong>PID</strong> bereits Anf<strong>an</strong>g der 90er-Jahre geführt worden<br />

mit dem Ergebnis, dass die <strong>PID</strong> in vielen Ländern<br />

„in Ausnahmefällen und mit strengen Indikationen“<br />

zugelassen wurde. Mittlerweile sind weltweit<br />

500 Kinder nach <strong>PID</strong> geboren. Um eine Ausweitung<br />

der Anwendung zu verhindern, wäre beispielsweise<br />

eine Beschränkung auf wenige Kompetenzzentren<br />

denkbar.<br />

Bedingt durch die derzeit ungeklärte Rechtslage<br />

in Deutschl<strong>an</strong>d, sehen sich Ärzte häufig dazu<br />

gedrängt, Rat suchende Paare in dieser Konfliktsituation<br />

auf eine Beh<strong>an</strong>dlung im Ausl<strong>an</strong>d hinzuweisen<br />

und sich dadurch möglicherweise strafbar<br />

zu machen. Dies ist für die Ärzteschaft eine untragbare<br />

Situation.<br />

4. Die Frage der Zulässigkeit der <strong>PID</strong> bedarf einer<br />

gesamtgesellschaftlichen Ausein<strong>an</strong>dersetzung.<br />

Dabei bilden die normativen Maßstäbe der Verfassung<br />

den Rahmen des ethischen Diskurses.<br />

Hierzu gehören die Würde des Menschen, die<br />

Wahrung grundlegender Ansprüche und Rechte,<br />

aber auch die Widerspruchsfreiheit der Normen<br />

und die Verhältnismäßigkeit.<br />

Mehrheitsentscheidungen im Vorst<strong>an</strong>d der<br />

Bundesärztekammer oder auf dem Deutschen<br />

Ärztetag sind zum jetzigen Zeitpunkt nicht zielführend,<br />

zumal ethische Konflikte nicht durch Abstimmung<br />

gelöst werden können.<br />

5. Der Gesetzgeber allein ist legitimiert, darüber<br />

zu entscheiden, welche rechtlichen Grundlagen<br />

den Umg<strong>an</strong>g mit diesen Konflikten bestimmen<br />

sollen. ✮<br />

<strong>Forschung</strong> mit hum<strong>an</strong>en<br />

embryonalen Stammzellen<br />

Die Empfehlungen der Deutschen <strong>Forschung</strong>sgemeinschaft<br />

(DFG) zur <strong>Forschung</strong> mit menschlichen<br />

Stammzellen vom Mai 2001 zielen auf eine Änderung<br />

des § 1 <strong>Embryonen</strong>schutzgesetz (EschG), um<br />

eine Herstellung und Verwendung hum<strong>an</strong>er embryonaler<br />

Stammzellen auch in Deutschl<strong>an</strong>d zu ermöglichen.<br />

Der Deutsche Ärztetag stellt fest, dass derzeit<br />

einer solchen Forderung einer Öffnung des ESchG<br />

nicht gefolgt werden k<strong>an</strong>n.<br />

Die Öffentlichkeit muss ergebnisoffen in den<br />

Dialog über die mit der <strong>Forschung</strong> <strong>an</strong> hum<strong>an</strong>en<br />

embryonalen Stammzellen verbundenen ethischen<br />

und rechtlichen Probleme eingebunden werden,<br />

um Möglichkeiten, aber auch Grenzen der <strong>Forschung</strong><br />

mit menschlichen embryonalen Stammzellen<br />

zu erkennen. Auch der Import embryonaler<br />

Stammzellen ist ethisch nicht akzeptabel.<br />

Der Deutsche Ärztetag stellt fest, dass die <strong>Forschung</strong><br />

<strong>an</strong> embryonalen sowie <strong>an</strong> gewebespezifischen<br />

(adulten) Stammzellen in den letzten Jahren


zu Fortschritten sowohl im Bereich der naturwissenschaftlichen<br />

als auch der medizinischen Erkenntnis<br />

geführt hat. Um die vielen offenen Fragen<br />

der zellulären Entwicklungsbiologie zu klären,<br />

sind aus wissenschaftlicher Sicht weitere intensive<br />

<strong>Forschung</strong>s<strong>an</strong>strengungen notwendig. In diesem<br />

Zusammenh<strong>an</strong>g sind die Wissenschaftler aufgefordert,<br />

die Öffentlichkeit sachlich und fundiert<br />

über die Grundlagen der <strong>Forschung</strong> mit embryonalen<br />

und adulten Stammzellen und eine mögliche<br />

Ausweitung auf hum<strong>an</strong>e embryonale Stammzellen<br />

zu informieren und die verschiedenen Quellen<br />

für menschliche Stammzellen (überzählige<br />

<strong>Embryonen</strong>, fetales Gewebe, adulte Stammzellen)<br />

zu benennen.<br />

Der Deutsche Ärztetag fordert die Wissenschaftler<br />

auf, bei der Darstellung der zu erwartenden<br />

<strong>Forschung</strong>sergebnisse größtmögliche Sachlichkeit<br />

zu üben, da die Möglichkeiten einer Realisierung<br />

von therapeutischen Anwendungen wahrscheinlich<br />

noch in weiter Zukunft liegen. Patienten<br />

als auch Ärzten darf keine übertriebene Hoffnung<br />

auf eine baldige Anwendung gemacht werden.<br />

Auch der Gesetzgeber wird seine zu treffende<br />

Entscheidung, ob eine <strong>Forschung</strong> mit menschlichen<br />

embryonalen Stammzellen in Deutschl<strong>an</strong>d<br />

erlaubt werden soll, erst nach intensiver Beratung<br />

fällen. Insbesondere sollte der Enquete-Kommission<br />

„Recht und Ethik der modernen Medizin“ sowie<br />

dem Nationalen Ethikrat die Möglichkeit<br />

gegeben werden, die Gesellschaft und die politischen<br />

Entscheidungsträger über die ethischen<br />

Fragen zu beraten, um eine sachgerechte Urteilsbildung<br />

vorzubereiten. ✮<br />

Heft 30, 27. Juli 2001<br />

DISKUSSION<br />

zu unserer<br />

Berichterstattung vom<br />

104. Deutschen<br />

Ärztetag<br />

in Heft 22/2001<br />

Auf die Gefahr hinweisen<br />

Die offiziellen Org<strong>an</strong>e der Ärzteschaft<br />

tragen leider nur wenig dazu bei, das im<br />

Moment in der Gesellschaft brodelnde<br />

Bemühen zu unterstützen, <strong>an</strong>gesichts<br />

zukunftsweisender Entscheidungsnotwendigkeiten<br />

zwischen einem ökono-<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

mischen Diskurs und einem Diskurs einer<br />

Ethik des Heilens zu differenzieren.<br />

Ich möchte dies <strong>an</strong> einem Beispiel illustrieren:<br />

Aufgabe der Ärzteschaft wäre<br />

es, auf die Gefahr hinzuweisen, die in<br />

den Vorstellungen steckt, mit der über<br />

die <strong>PID</strong> als Möglichkeit zur Vermeidung<br />

„erbkr<strong>an</strong>ken Nachwuchses“ diskutiert<br />

wird.<br />

Eine <strong>PID</strong> ist nur d<strong>an</strong>n möglich, wenn<br />

eine IVF gepl<strong>an</strong>t ist. Sich genetisch belastet<br />

fühlende Paare müssten auf die<br />

noch normalen Fortpfl<strong>an</strong>zungsrituale<br />

mit allen deren Freuden und inspirierenden<br />

Risiken verzichten, wenn sie eine<br />

<strong>PID</strong> durchführen lassen wollten. Ist<br />

diese Entfremdung im Denken erst einmal<br />

etabliert, entsteht – wie m<strong>an</strong> es von<br />

der <strong>PND</strong> weiß – eine Nachfrage, die das<br />

Angebot rechtfertigt. Die Nachfrage<br />

fragt jedoch nicht mehr nach Ethik,sondern<br />

nur noch nach dem Preis. Dies<br />

dient zwar der Belegung gynäkologischer<br />

Abteilungen, lässt aber den Arzt<br />

in seiner individuellen Gewissensentscheidung<br />

verworren allein.<br />

Dr. med. Gudrun Wollm<strong>an</strong>n,<br />

Am Mühlrain 24 e, 69151 Neckargemünd<br />

In „Fliegerm<strong>an</strong>ier“ fordern<br />

Liebe Vertretung unserer Interessen,<br />

schöne Papiere haben Sie da wieder aufgesetzt.<br />

Politisch korrekt formuliert, viele<br />

Forderungen,kein Druck.Gleichzeitig<br />

stehen die von Ihnen Vertretenen im niedergelassenen<br />

Bereich vor Pfennigsbetrags-Bezahlungen.<br />

Im stationären Bereich<br />

wird bei bek<strong>an</strong>nten unmöglichen<br />

Arbeitsbedingungen s<strong>an</strong>ft über neue<br />

Urteile zur Arbeitszeit diskutiert. In der<br />

Summe klingt durch: Wo zu wenig Geld<br />

ist, können wir nicht zu vehement fordern.<br />

Brav sind wir, die die Leistungen<br />

der Patientenversorgung erbringen.Verkaufen<br />

wir den Patienten doch lieber, jeder<br />

für sich, ein paar gewisse Extras oder<br />

betrügen bei der Abrechnung,weil es <strong>an</strong>ders<br />

nicht geht.Wir haben in den letzten<br />

zehn Jahren auf Gehaltserhöhung verzichtet,<br />

in Kliniken mehr Stunden gearbeitet,<br />

um auch der <strong>Dokumentation</strong> gerecht<br />

zu werden. Aber <strong>an</strong> gemeinsamer<br />

Stärke haben wir nicht gearbeitet. Wo<br />

Kr<strong>an</strong>kenkassen hintenrum nicht erstattungsfähige<br />

Leistungen <strong>an</strong> Patienten bezahlen,<br />

um sie als Kunden zu halten, wa-<br />

chen wir immer noch nicht auf. Geld genug<br />

ist da, ob von den Kassen oder den<br />

Patienten. Wir müssen es nur in Fliegerm<strong>an</strong>ier<br />

einfordern. Wo das d<strong>an</strong>n herkommt,<br />

sollen Kassen und Politiker bestimmen,<br />

die haben den Patienten ja<br />

auch l<strong>an</strong>ge genug beigebracht – wählt<br />

uns, d<strong>an</strong>n gibt es fast alles.<br />

Dr. med. U. Siepm<strong>an</strong>n-Winkler,<br />

Nerotal 59, 65193 Wiesbaden<br />

Die Zeit, grundlegend Neues<br />

zu formulieren, verrinnt<br />

Der Deutsche Ärztetag stützt das bestehende<br />

System und will es, wie Politik,<br />

Kr<strong>an</strong>kenkassen, Ärztekammern und<br />

KVen auch, durch ständige Reformen<br />

und noch mehr Bürokratie retten, obwohl<br />

der endgültige Zusammenbruch<br />

<strong>an</strong>gesichts der ständigen Zunahme<br />

chronisch kr<strong>an</strong>ker und immer älterer<br />

Patienten, in Verbindung mit dem ras<strong>an</strong>ten<br />

Fortschritt, absehbar ist. Daher<br />

störte mich das Fehlen von Nachdenklichkeit<br />

über g<strong>an</strong>z neue Wege oder Visionen.<br />

Angesichts der berufspolitisch,<br />

leider immer noch, weitgehend passiven<br />

Ärzteschaft, der es <strong>an</strong>scheinend gefällt,Spielball<br />

von Politik und Kassen zu<br />

sein, kein Wunder. Sollte das Gesundheitswesen<br />

nicht endlich <strong>an</strong> unsere sonstige<br />

gesellschaftliche Wirklichkeit <strong>an</strong>gepasst<br />

werden, hin zu mehr Eigenver<strong>an</strong>twortung,<br />

zu Effizienz durch Wettbewerb<br />

und Marktwirtschaft?<br />

Die Patienten sind längst nicht mehr<br />

der Mittelpunkt. Es fehlt dringend am<br />

„case m<strong>an</strong>agement“. Das heutige System<br />

ruft zu viel Unzufriedenheit hervor,<br />

daher der Zulauf zu alternativer<br />

Medizin. Fazit: Während ärztliche Gremien<br />

fröhlich über Reformen, neue<br />

Bürokratisierung, DRGs oder <strong>PID</strong> debattieren,<br />

verrinnt die Zeit, grundlegend<br />

Neues zu formulieren.<br />

Dr. med. Udo Saueressig,<br />

Gründelsweg 7, 69436 Schönbrunn<br />

<strong>PID</strong> ist medizinisch sinnvoll<br />

Die Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik (<strong>PID</strong>)<br />

ist medizinisch sinnvoll. Dass die Delegierten<br />

des Deutschen Ärztetages sich<br />

einer klaren Stellungnahme zu diesem<br />

Thema mit dem Verweis auf die „unge-<br />

95


klärte Rechtslage“ enthielten,ist beschämend.<br />

Es geht hierbei nicht um die<br />

„Rechtslage“, sondern um die Ausein<strong>an</strong>dersetzung<br />

mit der Tatsache, dass die<br />

<strong>PID</strong>,trotz medizinischer Rechtfertigung,<br />

das ethische Fundament unserer<br />

Menschlichkeit durch die Teilung in „lebenswert“<br />

und „lebensunwert“ infrage<br />

stellt. Dieses Paradoxon k<strong>an</strong>n nur durch<br />

die gleichzeitige radikale Bejahung eines<br />

jeden menschlichen Lebens und Unterstützung<br />

kr<strong>an</strong>ker und behinderter Menschen<br />

gelöst werden – nur auf diesem gesellschaftlichen<br />

Fundament ist eine <strong>PID</strong><br />

paradoxerweise ethisch vertretbar.<br />

Dr. med. H<strong>an</strong>s Jörgen Grabe,<br />

Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie,<br />

Rostocker Chaussee 70, 18437 Stralsund<br />

Wohltuende Offenheit<br />

Wohltuend, mit welcher Offenheit gerade<br />

auf diesem Ärztetag bris<strong>an</strong>te Themen<br />

wie etwa die Ethik-Diskussion <strong>an</strong>geg<strong>an</strong>gen<br />

wurden, ebenso auch die ausgewogene<br />

Zivilcourage des Präsidenten Hoppe,<br />

mit seiner nicht nur medizinischen, sondern<br />

ärztlichen Einstellung etwa zur <strong>PID</strong>.<br />

Aber merkwürdig f<strong>an</strong>d ich doch, dass offensichtlich<br />

nicht bewusst – oder schamvoll<br />

nicht <strong>an</strong>gesprochen – wird, dass das<br />

Thema <strong>PID</strong> unbeschadet der ethisch<br />

nicht vertretbaren Akzept<strong>an</strong>z auch unter<br />

ökonomischen und damit gesundheitspolitischem<br />

Aspekt gesehen werden<br />

muss. Droht hier nicht auch ein Eigentor<br />

der Ärzteschaft, wenn Forderungen aus<br />

der gynäkologischen und biomedizinischen<br />

Ecke in den gesetzlichen Leistungskatalog<br />

aufgenommen werden sollen,<br />

der mit den vorh<strong>an</strong>denen Fin<strong>an</strong>zmitteln<br />

schon jetzt nicht mehr ausreichend<br />

bedient werden k<strong>an</strong>n. Zu Recht besteht<br />

der Anspruch auf leistungsgerechte Honorierung<br />

der Ärzteschaft – im Hintergrund<br />

ein Jammern der Gynäkologen<br />

über das Budgetkorsett –, und d<strong>an</strong>n soll<br />

sich der Luxus geleistet werden, die fin<strong>an</strong>zträchtige<br />

<strong>PID</strong> einzuführen mit der<br />

inhum<strong>an</strong>en Konsequenz, genetisch minderwertigen<br />

Nachwuchs zu verhindern.<br />

Ist ärztlich statt Wunscherfüllung nicht<br />

ein Beh<strong>an</strong>dlungsauftrag bei unerfülltem<br />

Kinderwunsch mittels Psychotherapie<br />

gegeben, womit die Menschenwürde für<br />

die Frau und den Embryo gewahrt bleiben<br />

und unser abendländisches Welt-<br />

96<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

und Menschenbild nicht infrage gestellt<br />

wird. Denn das Embryonalstadium ist<br />

kein „Niem<strong>an</strong>dsl<strong>an</strong>d der Menschwerdung“!<br />

Erschütternd, wenn Mediziner<br />

vor dem Gremium eines Ärztetages wagen,<br />

zu äußern, sie würden im behinderten<br />

Leben keinen Eigenwert sehen. Das<br />

hat nichts mehr mit demokratischer Redefreiheit<br />

zu tun und disqualifiziert darüber<br />

hinaus einen M<strong>an</strong>datsträger. Ich<br />

k<strong>an</strong>n mich des Eindrucks nicht erwehren,<br />

dass es in der <strong>PID</strong>- und Stammzellenausein<strong>an</strong>dersetzung<br />

weniger um<br />

Menschlichkeit im ethischen Sinne als<br />

um Ideologie – Forschernarzissmus, Materialismus?<br />

– geht. Herrn Montgomerys<br />

Befürchtungen, über die Stammzellforschung<br />

die Hintertüre zur <strong>PID</strong> öffnen zu<br />

können, bewölken bedrohlich den politischen<br />

Himmel. Darum mein besonderer<br />

D<strong>an</strong>k allen Kolleginnen und Kollegen,<br />

die – wie unser Bundespräsident – für unser<br />

hum<strong>an</strong>itär geprägtes Arzttum eintreten,<br />

nicht zuletzt <strong>an</strong> dieser Stelle aber<br />

auch dem Chefredakteur, Norbert Jachertz,<br />

der nicht nur im DÄ ausreichend<br />

Raum zur Diskussion zu diesem schicksalsträchtigen<br />

Thema gibt, sondern darüber<br />

hinaus ehrlich seine eigene Sichtweise<br />

(Heft 3/2001) einbringt, was ihn nur<br />

ehren k<strong>an</strong>n, auch wenn es leider Kollegen<br />

gibt, die ihm in dieser Position das<br />

Recht dazu absprechen wollen.<br />

Dr. med. Günter Link,<br />

Auf der Halde 13, 87439 Kempten<br />

Zum Beitrag „Die Unverfügbarkeit menschlichen<br />

Lebens“ von Gisela Klinkhammer und der dort<br />

zitierten Äußerung von Dr. med. Norbert Metke<br />

(L<strong>an</strong>desärztekammer Baden-Württemberg): „Ich<br />

sehe keinen Eigenwert in behindertem Leben.“:<br />

Empörend<br />

Als Hebamme und g<strong>an</strong>z besonders als<br />

Mutter von drei Kindern – wovon das<br />

jüngste chronisch kr<strong>an</strong>k und deshalb<br />

schwerbehindert ist – möchte ich Ihnen<br />

gegenüber meine Empörung äußern.<br />

Mein 14-jähriger Sohn erfährt nach und<br />

nach alle Stadien einer fortschreitenden<br />

Behinderung und benötigt mittlerweile<br />

eine kontinuierliche Schmerztherapie.<br />

Er ist trotzdem ausgesprochen lebensfroh,<br />

sehr sozial und findet immer wieder<br />

neue Lebensinhalte.<br />

Ich habe ihn einmal g<strong>an</strong>z direkt gefragt,<br />

ob er froh ist, geboren worden und<br />

am Leben zu sein. Er <strong>an</strong>twortete sofort:<br />

„Natürlich!“ – und – etwas vorwurfsvoll<br />

(?): „Was denkst du denn?“ Haben Sie<br />

das Recht, <strong>an</strong>deren Menschen ihr Lebensrecht<br />

abzusprechen? Haben Sie das<br />

Recht zu bestimmen, wie viel und welches<br />

„Leid“ lebenswert ist und welches<br />

nicht? In meinen Augen sind Menschen<br />

wie Sie behindert – in ihrer Sichtweise<br />

und Toler<strong>an</strong>z <strong>an</strong>deren gegenüber und in<br />

ihrem Größenwahn, „lebenswert“ beurteilen<br />

zu können. Haben Sie als Arzt<br />

wirklich schon einmal ein persönliches<br />

Gespräch mit Ihren behinderten Patienten<br />

geführt? Das habe ich nämlich bei<br />

vielen Ärzten in Bezug auf meinen Sohn<br />

vermisst. Er wurde untersucht, geröntgt,<br />

operiert und medikamentös beh<strong>an</strong>delt,<br />

aber kaum ein Arzt fragte ihn:„Wie geht<br />

es dir mit deinem Leben?“<br />

Gudrun Grabe-Rump, Pilzweg 4, 51069 Köln<br />

Zum Beitrag: „Beim Geld wird’s ernst“ von<br />

Norbert Jachertz:<br />

Stimmgewichtung ändern<br />

Es ist schade, dass über die noch zu<br />

führende Satzungsänderungsdiskussion<br />

so oberflächlich berichtet wurde. Denn<br />

demokratisches Denken und H<strong>an</strong>deln<br />

lebt nun einmal vor allem von und mit<br />

Entscheidungen von Mehrheiten. Dieses<br />

hohe demokratische Prinzip wird<br />

nach jetziger Regelung im Hinblick auf<br />

die deutsche Ärzteschaft im Vorst<strong>an</strong>d<br />

der BÄK nicht verwirklicht. Denn ohne<br />

eine Stimmgewichtung im Vorst<strong>an</strong>d der<br />

Bundesärztekammer können sich Entscheidungen<br />

ergeben, dass mit einer<br />

Mehrheit von neun Präsidenten der<br />

L<strong>an</strong>desärztekammern gerade einmal 25<br />

Prozent der deutschen Ärzte vertreten<br />

werden (Quelle: Fin<strong>an</strong>zbericht 99/00).<br />

Dies bedeutet im Extremfall, dass lediglich<br />

13 Prozent der Gesamtärzteschaft<br />

hinter einem Mehrheitsbeschluss des<br />

Vorst<strong>an</strong>des der BÄK stehen müssen. Da<br />

der Deutsche Ärztetag nur einmal im<br />

Jahr tagen k<strong>an</strong>n,werden sinnvollerweise<br />

im Laufe des Jahres viele wichtige Fragen,<br />

teilweise sogar Schlüsselfragen der<br />

Berufspolitik, im Vorst<strong>an</strong>d be<strong>an</strong>twortet.<br />

Dazu ist es notwendig, dass der Vorst<strong>an</strong>d<br />

der BÄK glaubhaft darstellen<br />

k<strong>an</strong>n, dass hinter seiner Mehrheit auch<br />

die Mehrheit der deutschen Ärzteschaft


versammelt ist. Nur so k<strong>an</strong>n er kraftvoll<br />

und effizient auch wichtige Fragen be<strong>an</strong>tworten,<br />

und gesellschafts- und berufspolitische<br />

Meinungen folgerichtig nach<br />

außen vertreten. Natürlich sind in diesem<br />

Zusammenh<strong>an</strong>g auch Vorst<strong>an</strong>dsentscheidungen<br />

mit erheblicher Tragweite<br />

zu fin<strong>an</strong>ziellen Fragestellungen<br />

von Wichtigkeit. Hierzu stellt der Berichterstatter<br />

fest: „Über die Fin<strong>an</strong>zgebaren<br />

wird seit Jahren argwöhnisch gewacht.“<br />

Ich denke, die damit befassten<br />

Delegierten und Mitglieder des Fin<strong>an</strong>zausschusses<br />

nehmen lediglich ihre<br />

Aufgabe sehr ernst, die sich aus der<br />

Treuhänderschaft über die Beiträge der<br />

Pflichtmitglieder ergibt. Sorgfältiges<br />

Überwachen der jährlichen Steigerungsrate<br />

im Haushalt, Überprüfen der<br />

eingeg<strong>an</strong>genen Verpflichtungen auf ihre<br />

Notwendigkeit im Interesse der Ärzteschaft<br />

und genaue Kontrolle von Verträgen<br />

zur Sicherung von investierten Millionenbeträgen<br />

sollten absolute Selbstverständlichkeit<br />

sein. Dass hier bayerische<br />

Bedenken öfter in der Verg<strong>an</strong>genheit<br />

nicht ausreichend ernst genommen<br />

wurden, sei nur am R<strong>an</strong>de erwähnt.<br />

Fazit: Grundsätzlich sei festgestellt,<br />

dass Inhalte einer Satzung weiterzuentwickeln<br />

und <strong>an</strong>zupassen sind, wenn<br />

m<strong>an</strong> sich auch zukünftig <strong>an</strong> einer<br />

sinnvollen Satzung orientieren will.<br />

Als Beispiel für notwendige Anpassungen<br />

mögen aus dem Bereich der<br />

Fin<strong>an</strong>zen der § 9 Abs. 7 Satz 3 gesehen<br />

werden.<br />

Mehrheitsvoten des BÄK-Vorst<strong>an</strong>des<br />

müssen weiterhin in der Öffentlichkeit<br />

als hoch respektierte Meinungsäußerungen<br />

der deutschen Ärzteschaft<br />

zu werten sein. Dies ist ohne Stimmgewichtung<br />

nicht möglich. Insbesondere<br />

auch bei Entscheidungen mit großen fin<strong>an</strong>ziellen<br />

Folgelasten ist die Stimme<br />

des Präsidenten einer Ärztekammer,<br />

der 60 000 Ärzte vertritt, <strong>an</strong>ders zu<br />

sehen als die eines Präsidenten, der<br />

knapp 4 000 Ärzte vertritt.<br />

In einem Satz allerdings k<strong>an</strong>n von<br />

unserer Seite dem Berichterstatter,<br />

Herrn Jachertz, voll zugestimmt werden:<br />

„Gleichwohl ist nicht auszuschließen,<br />

dass Bayern das Thema erneut<br />

aufs Tapet bringt.“<br />

Dr. med. Joachim Calles, Bayerischer Delegierter und<br />

Mitglied der Fin<strong>an</strong>zkommission der Bundesärztekammer,<br />

Mozartstraße 29, 96332 Pressig-Rothenkirchen<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

Heft 24, 15. Juni 2001<br />

Gentechnikdebatte im Bundestag<br />

Wo ist die Grenze?<br />

Politiker aller Fraktionen sprachen im Deutschen Bundestag<br />

über den Wert und die Würde vorgeburtlichen Lebens.<br />

Es sei vielleicht eine der wichtigsten<br />

Debatten gewesen, die je im Deutschen<br />

Bundestag geführt wurden,<br />

sagte Hubert Hüppe (CDU). Und dabei<br />

ging es nicht um konkrete Gesetzesvorhaben.<br />

Aber es ging um den Wert und<br />

die Würde des (vorgeburtlichen) Lebens.<br />

Abgeordnete aller Bundestagsfraktionen<br />

legten am 31. Mai – ausgehend<br />

von der Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

(<strong>PID</strong>) und der embryonalen<br />

Stammzellforschung – ihr jeweils persönliches<br />

Menschenbild und ihre<br />

Wertehaltung dar. Um Politik ging es<br />

dabei eher sekundär. Am Ende des<br />

Meinungsbildungsprozesses steht möglicherweise<br />

eine Novellierung des <strong>Embryonen</strong>schutzgesetzes.<br />

Dies ist allerdings<br />

in dieser Legislaturperiode eher<br />

unwahrscheinlich.<br />

Die Vorsitzende der Enquete-Kommission<br />

„Recht und Ethik der modernen<br />

Medizin“, Margot von Renesse<br />

(SPD), setzte gleich zu Anf<strong>an</strong>g Akzente.<br />

Sie warnte davor, das „Gewissen zu<br />

vergewaltigen“. Die „Guten“ dürften<br />

nicht von den „Bösen“ getrennt werden.<br />

Der Begriff der Menschenwürde<br />

lasse sich nicht benutzen wie eine binomische<br />

Formel in der Mathematik.<br />

Menschenwürde sei nicht ein Gerinnungsprodukt<br />

von Ideologie, und sie<br />

eigne sich schon gar nicht als Knüppel,<br />

mit dem m<strong>an</strong> auf den Kopf eines <strong>an</strong>deren<br />

einschlage. Renesse forderte dazu<br />

auf, erst nach einer breiten Diskussion<br />

in Fragen, die das Menschenbild betreffen,<br />

zu Entscheidungen zu kommen.<br />

Nahezu alle Redner schlossen sich<br />

dieser Forderung <strong>an</strong>. Die Diskussion<br />

wurde sachlich und nachdenklich geführt,<br />

es gab einige bemerkenswerte<br />

Wortbeiträge. Dabei wurde deutlich,<br />

dass die Fronten quer durch alle Parteien<br />

verlaufen. Die Regierung wollte jedoch<br />

Einigkeit demonstrieren. Das dürfte<br />

der Grund dafür sein, dass die mit<br />

dem Themenkomplex befassten Ministerinnen<br />

in der Debatte schwiegen.Weder<br />

Bundesgesundheitsministerin Ulla<br />

Schmidt und Bundesbildungsministerin<br />

Edelgard Bulmahn, eher Befürworterinnen<br />

einer Gentechnik-Öffnung, äußerten<br />

sich, noch Bundesjustizministerin<br />

Herta Däubler-Gmelin, die der Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

und <strong>Embryonen</strong>forschung<br />

kritisch gegenübersteht.<br />

Lediglich Bundesk<strong>an</strong>zler Gerhard<br />

Schröder ergriff das Wort, und zwar in<br />

seiner Funktion als Abgeordneter. Er<br />

plädierte für eine „Ethik des Heilens<br />

und des Helfens“, die ebenso Respekt<br />

wie die „Achtung der Schöpfung“ verdiene.<br />

„Ich sehe nicht, dass sich beides<br />

gleichzeitig ausschließt“, sagte der Abgeordnete<br />

Schröder. Er sprach sich für<br />

eine „begrenzte <strong>Forschung</strong>“ <strong>an</strong> überzähligen<br />

befruchteten Eizellen aus, die<br />

bei der In-vitro-Fertilisation in Deutschl<strong>an</strong>d<br />

<strong>an</strong>fallen.<br />

Auch die Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

befürwortet er. Unter Anspielung auf<br />

die kritische Rede von Bundespräsident<br />

Joh<strong>an</strong>nes Rau am 18. Mai in Berlin fragte<br />

er: „Ist der Rubikon wirklich überschritten,<br />

wenn ein Verfahren, das im<br />

Mutterleib <strong>an</strong>gewendet werden darf, auf<br />

<strong>Embryonen</strong>, die durch künstliche Befruchtung<br />

entst<strong>an</strong>den sind, übertragen<br />

werden soll?“ Die <strong>PID</strong> sei ein „rein diagnostisches<br />

und kein therapeutisches<br />

Verfahren“. Nach seiner Ansicht sei die<br />

Methode „in genau den Grenzen“ zu<br />

ver<strong>an</strong>tworten, wie die medizinische Indikation<br />

beim Schw<strong>an</strong>gerschaftsabbruch<br />

zugelassen sei.Ohne sie direkt <strong>an</strong>zusprechen,<br />

w<strong>an</strong>dte sich Schröder gegen<br />

die Justizministerin, die die Anwendung<br />

der neuen Verfahren als grundgesetzwidrig<br />

bezeichnet hatte. „Ich stimme<br />

Herrn Schmidt-Jortzig ausdrücklich zu,<br />

wenn er darauf hinweist, dass der Rückgriff<br />

auf das Verfassungsgericht zurzeit<br />

wenig hilft“, sagte Schröder.<br />

97


G<strong>an</strong>z <strong>an</strong>derer Auffassung war der<br />

SPD-Abgeordnete Wolfg<strong>an</strong>g Wodarg,<br />

der seine Haltung <strong>an</strong>schaulich erläuterte.<br />

Wodarg, selbst Arzt, berichtete<br />

über ein Gespräch unter Kollegen. Ein<br />

Bonner Gynäkologe hatte einer Mutter<br />

freigestellt, ihr Kind mit Lippenkiefergaumenspalte<br />

abzutreiben. „Er<br />

hat gesagt, das Kind wäre der Mutter<br />

nicht zuzumuten gewesen, sie hätte<br />

das nicht ausgehalten.“ Neben ihm habe<br />

einer der besten deutschen Pädiater<br />

gesessen, dem m<strong>an</strong> <strong>an</strong>gesehen habe,<br />

dass er als Kind <strong>an</strong> einer solchen<br />

Lippenkiefergaumenspalte operiert<br />

worden war. „Da wurde für mich sehr<br />

deutlich, in welchem Maße dieses Thema<br />

auch mit Menschenwürde zu tun<br />

hat.“<br />

Ein entschiedener Gegner der <strong>PID</strong><br />

ist auch Hüppe, der stellvertretende<br />

Vorsitzende der Enquete-Kommission.<br />

Zur Unterstützung seiner Argumentation<br />

führte er eine Erhebung <strong>an</strong>,<br />

wonach bei Paaren, die <strong>PID</strong> in Anspruch<br />

nahmen, trotz teilweise mehrfacher<br />

Versuche nur jede siebte Frau ein<br />

Kind ausgetragen habe. „Das ist ein<br />

Menschenverbrauch, den ich nicht akzeptieren<br />

k<strong>an</strong>n.“ Auch das Argument,<br />

dass Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik Abtreibungen<br />

vermeide, sei falsch: „Die<br />

Statistik belegt, dass vier Prozent der<br />

Föten nach Pränataldiagnostik abgetrieben<br />

und fünf Prozent durch so gen<strong>an</strong>nte<br />

Mehrlingsreduktionen getötet<br />

wurden. Wer diesen Menschenverbrauch<br />

leugnet, der macht sich nicht<br />

nur am menschlichen Leben schuldig,<br />

sondern auch <strong>an</strong> den Eltern, die den<br />

Versprechungen der <strong>PID</strong>-Befürworter<br />

glauben.“<br />

Diese Auffassung findet in der Union<br />

Befürworter, aber keineswegs ungeteilte<br />

Zustimmung. So lehnte die CDU-<br />

Parteivorsitzende Angela Merkel ein<br />

„radikales Nein“ zur <strong>PID</strong> ab. Es falle ihr<br />

in bestimmten Fällen schwer, Eltern,<br />

die bereits ein behindertes Kind haben,<br />

dieses Verfahren zu verwehren. Merkel<br />

wies jedoch darauf hin, dass es weder<br />

das Recht auf ein gesundes Kind noch<br />

auf ein Kind überhaupt gebe. Es gebe<br />

lediglich die Hoffnung auf ein gesundes<br />

Kind. Die CDU-Vorsitzende forderte<br />

ein Moratorium: Sol<strong>an</strong>ge es keine politische<br />

Entscheidung gebe, müsse <strong>PID</strong><br />

und <strong>Embryonen</strong>forschung verboten<br />

98<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

bleiben. Auch ein Import von pluripotenten<br />

Stammzellen sei mit dem Geist<br />

des <strong>Embryonen</strong>schutzgesetzes nicht<br />

vereinbar. Merkel kündigte inzwischen<br />

<strong>an</strong>, die Union wolle dazu einen Gesetzentwurf<br />

einbringen. Auslöser ist der<br />

Vorstoß des nordrhein-westfälischen<br />

Ministerpräsidenten Wolfg<strong>an</strong>g Clement<br />

(SPD). Clement befürwortet den Import<br />

embryonaler Stammzellen aus<br />

Haifa und hat Fördergelder des L<strong>an</strong>des<br />

Nordrhein-Westfalen zugesichert (dazu<br />

das Interview mit dem Bonner Forscher<br />

Oliver Brüstle in diesem Heft).<br />

Der Fraktionsvorsitzende der CDU,<br />

Friedrich Merz, ging deutlich auf Dist<strong>an</strong>z<br />

zu seiner Parteivorsitzenden.<br />

Merz warnte davor, den Zeitpunkt der<br />

Menschwerdung nach hinten zu verschieben.<br />

Damit sei d<strong>an</strong>n nicht nur am<br />

Beginn, sondern auch am Ende des<br />

menschlichen Lebens der absolute<br />

Schutz des Grundgesetzes relativiert.<br />

Er befürchtet, dass mit der Einführung<br />

von <strong>PID</strong> der Selektion „Tür und Tor<br />

geöffnet“ werde. „Im Reagenzglas<br />

werden genauso wie die schweren genetischen<br />

Defekte auch positive genetische<br />

Dispositionen feststellbar sein.<br />

Wo ist die Grenze? Wer trifft die Entscheidung?“<br />

fragte Merz. Der CDU-<br />

Fraktionsvorsitzende w<strong>an</strong>dte sich wie<br />

die meisten Redner seiner Partei gegen<br />

die Stammzellforschung mit <strong>Embryonen</strong>.Aber<br />

auch in dieser Frage geht ein<br />

Riss durch die Union. So verbindet<br />

Peter Hintze mit der embryonalen<br />

Stammzellforschung die „Hoffnung,<br />

schwere Kr<strong>an</strong>kheiten heilen zu können“.<br />

Die Grünen äußerten sich vorwiegend<br />

ablehnend gegenüber <strong>Embryonen</strong>forschung<br />

und <strong>PID</strong>. Die frühere<br />

Bundesgesundheitsministerin Andrea<br />

Fischer befürchtet, „dass sich bei der<br />

Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik eine Begrenzung<br />

nicht einhalten lässt, dass die<br />

Nachfrage nach diesem Verfahren steigen<br />

wird, sodass es immer selbstverständlicher<br />

sein wird, von künftigen Eltern<br />

zu verl<strong>an</strong>gen, dass sie kein kr<strong>an</strong>kes<br />

Kind bekommen oder dass sie sich vielleicht<br />

sogar, wenn sie es doch wollen,<br />

dafür rechtfertigen.“ Der Fraktionsvorsitzende<br />

von Bündnis 90/Die Grünen,<br />

Rezzo Schlauch, betonte jedoch,<br />

dass seine Partei die Hoffnung der<br />

Kr<strong>an</strong>ken und die Sorgen der Eltern<br />

ernst nehme. „Wir wollen Gentechnik<br />

deswegen dort zulassen, wo sie den<br />

Menschen tatsächlich hilft und sie nicht<br />

gefährdet.“<br />

Auch die PDS ist bei der Beurteilung<br />

der Gentechnik gespalten. Darauf wies<br />

der Fraktionsvorsitzende der PDS, Rol<strong>an</strong>d<br />

Claus, hin. Tradierte Wertvorstellungen<br />

reichten für diese Debatte jedenfalls<br />

nicht aus. Die PDS-Abgeordnete<br />

Angela Marquardt warnte vor „einer<br />

Entwicklung, die letztlich dazu<br />

führt, dass der Mensch nicht mehr die<br />

Gesellschaft verbessert und lebenswerter<br />

macht, sondern dass sich die Menschen<br />

<strong>an</strong> bestehende Umstände <strong>an</strong>zupassen<br />

haben“.<br />

Keine alleinige<br />

Ver<strong>an</strong>twortung der Ärzte<br />

Eindeutig legte sich nur die FDP fest.<br />

Sie sprach sich geschlossen für die neuen<br />

Möglichkeiten der Gentechnik aus.<br />

Der frühere Justizminister Edzard<br />

Schmidt-Jortzig sagte zwar, dass die<br />

Menschenwürde gegen nichts abwägbar<br />

sei, der Schutz des Menschenlebens<br />

lasse aber sehr wohl Einschränkungen<br />

zugunsten <strong>an</strong>derer Rechtsgüter zu.<br />

FDP-Fraktionschef Wolfg<strong>an</strong>g Gerhardt<br />

warb für eine Zulassung der Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

in engen Grenzen. Es<br />

müsse moralisch und ethisch ausgelotet<br />

werden, ob menschliches Leid durch die<br />

Möglichkeiten der Gentechnik beseitigt<br />

werden könnte.<br />

Klare Entscheidungen forderte der<br />

Präsident der Bundesärztekammer,<br />

Jörg-Dietrich Hoppe, <strong>an</strong>lässlich der Debatte:<br />

„Wir brauchen widerspruchsfreie<br />

rechtliche Regelungen, die von der Gesellschaft<br />

akzeptiert und durch unsere<br />

ethischen Werte begründet werden.<br />

Deshalb kommt für die Ärzteschaft<br />

auch bei der Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

keine Regelung infrage, die den<br />

Ärzten die alleinige Ver<strong>an</strong>twortung zuschiebt<br />

und ihr H<strong>an</strong>deln als rechtswidrig<br />

erscheinen lässt.“ Gisela Klinkhammer


Heft 24, 15. Juni 2001<br />

Embryonale Stammzellforschung<br />

Herr Brüstle, weshalb drängen<br />

Sie derzeit so darauf, dass<br />

wissenschaftspolitische Entscheidungen<br />

in Richtung embryonaler Stammzellforschung<br />

getroffen werden?<br />

Brüstle: Seit eineinhalb Jahren wird<br />

bereits intensiv über dieses Thema diskutiert.<br />

Inzwischen arbeiten international<br />

zahlreiche Teams <strong>an</strong> der Umsetzung der<br />

Stammzell-Technologie, aus embryonalen<br />

Stammzellen des Menschen Spenderzellen<br />

für die Tr<strong>an</strong>spl<strong>an</strong>tationsmedizin<br />

herzustellen. Wir haben in der Verg<strong>an</strong>genheit<br />

Erfolge im Bereich des Nervensystems<br />

am Tiermodell erzielen können.<br />

Jetzt sind wir stark dar<strong>an</strong> interessiert, diese<br />

Befunde auf menschliche Zellen umzusetzen.Wenn<br />

die Diskussion weiterhin<br />

hinausgezögert wird,sehe ich die Gefahr,<br />

dass wir uns l<strong>an</strong>gfristig abkoppeln.<br />

DÄ: Sie waren gemeinsam mit dem<br />

NRW-Ministerpräsidenten Wolfg<strong>an</strong>g<br />

Clement in einem Labor in Haifa, Israel.<br />

Warum ist dieses für Sie so interess<strong>an</strong>t?<br />

Brüstle: In Haifa ist eine der Gruppen,<br />

der es gelungen ist, hum<strong>an</strong>e embryonale<br />

Stammzellen herzustellen.<br />

Und wir sind im Moment auf der Suche<br />

nach Partnern, mit denen sich unsere<br />

Vorstellungen verwirklichen lassen.<br />

DÄ: Sie haben derzeit einen Partner in<br />

den USA.Wollen Sie den auswechseln?<br />

Brüstle: Wir halten weiterhin Kontakt<br />

zu dem Campus <strong>an</strong> der Universität<br />

Madison,Wisconsin.In Israel h<strong>an</strong>delt es<br />

sich lediglich um Sondierungsgespräche.<br />

Wir sind dar<strong>an</strong> interessiert, einen<br />

Partner zu finden, mit dem sich eine<br />

l<strong>an</strong>gfristige, faire Partnerschaft verwirklichen<br />

lässt, ohne in eine zu starke<br />

Abhängigkeit zu geraten. Hier bieten<br />

sich in Israel möglicherweise <strong>an</strong>dere<br />

Perspektiven als in den USA.<br />

DÄ: Wo liegt der Unterschied?<br />

Brüstle: Der Austausch von Zellen ist<br />

<strong>an</strong> strenge Auflagen gebunden.Quasi al-<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

Die Mech<strong>an</strong>ismen entschlüsseln<br />

und auf adulte Zellen <strong>an</strong>wenden<br />

Interview mit dem Bonner Neuropathologen Prof. Dr. med. Oliver Brüstle<br />

DÄ:<br />

le Ergebnisse, die mit diesen Zellen erzielt<br />

werden, fallen <strong>an</strong> den Partner in<br />

den USA. Auch das <strong>Forschung</strong>sprojekt<br />

selbst, das m<strong>an</strong> bearbeiten will, muss<br />

von dem Partner genehmigt werden.<br />

Diese ausgeprägte Abhängigkeit spielt<br />

die eine Rolle, zudem sind aber die Zelllinien<br />

in Haifa sehr erfolgversprechend<br />

– sofern m<strong>an</strong> das nach dem ersten Besuch<br />

beurteilen k<strong>an</strong>n. Es geht aber um<br />

mehr als um einen Austausch von Zelllinien.<br />

Es ist ein sehr intensiver personeller<br />

Austausch mit Israel möglich. Auch<br />

dazu wurden bereits erste Gespräche<br />

geführt. Moment<strong>an</strong> sind jedoch noch<br />

keinerlei Vereinbarungen getroffen<br />

worden. Keinesfalls sollen aber Dinge<br />

durchgeführt werden, die den rechtlichen<br />

Rahmen in Deutschl<strong>an</strong>d umgehen<br />

würden. Es geht nicht um die Herstellung<br />

neuer ES-Zelllinien, es geht nicht<br />

um <strong>Embryonen</strong>forschung, sondern um<br />

die Nutzung pluripotenter Zelllinien.<br />

DÄ: Welche Projekte pl<strong>an</strong>en Sie mit<br />

Haifa?<br />

Brüstle: In der Verg<strong>an</strong>genheit ist es<br />

uns gelungen, Spenderzellen für das<br />

Nervensystem aus embryonalen Stammzellen<br />

der Maus herzustellen und am<br />

Tiermodell einzusetzen. Dort wollen<br />

wir <strong>an</strong>knüpfen und prüfen, ob es möglich<br />

ist, aus hum<strong>an</strong>en embryonalen<br />

Stammzellen in gleicher Weise Vorläuferzellen<br />

des Nervensystems in der<br />

Zellkultur herzustellen. Im nächsten<br />

Schritt müssten diese Zellen am Tiermodell<br />

erprobt werden. Erst d<strong>an</strong>n k<strong>an</strong>n<br />

abgewogen werden, inwieweit diese<br />

Technik verbreitert werden soll, und ob<br />

diese Zellen für zukünftige Beh<strong>an</strong>dlungsstrategien<br />

infrage kommen.<br />

DÄ: Wie l<strong>an</strong>ge wird das dauern?<br />

Brüstle: Insgesamt rechne ich mit<br />

mindestens fünf bis zehn Jahren, bis<br />

überhaupt abgeschätzt werden k<strong>an</strong>n, in<br />

welcher Art und Weise und in welchem<br />

Umf<strong>an</strong>g embryonale Stammzellen klinisch<br />

relev<strong>an</strong>t sind. Das schließt auch<br />

den Vergleich mit adulten Stammzellen<br />

ein. D<strong>an</strong>n erst würden klinische Studien<br />

folgen.<br />

DÄ: Über die klinische Relev<strong>an</strong>z der<br />

Stammzellforschung wird viel spekuliert.Wo<br />

liegen die realen Ch<strong>an</strong>cen?<br />

Brüstle: Die große Perspektive ist,<br />

Spenderzellen für Zellersatz – nicht für<br />

Org<strong>an</strong>ersatz – in nahezu unbegrenzter<br />

Menge herzustellen. Es bietet sich die<br />

Möglichkeit, eines der Kernprobleme<br />

der Tr<strong>an</strong>spl<strong>an</strong>tationsmedizin l<strong>an</strong>gfristig<br />

zu lösen, nämlich den M<strong>an</strong>gel <strong>an</strong> Spendergewebe.<br />

Die zweite Perspektive ist,<br />

Probleme der Abstoßungsreaktion zu<br />

umgehen, indem Zellen mit identischer<br />

Erbinformation hergestellt werden.<br />

Dies ist im Bereich der adulten Stammzellen<br />

durch Gewinnung der Zellen direkt<br />

vom Patienten, im Bereich der embryonalen<br />

Stammzellen durch Kernreprogrammierungsstrategien<br />

möglich.<br />

DÄ: Kernreprogrammierung – wäre<br />

das nicht therapeutisches Klonen?<br />

Brüstle: Es läuft im weitesten Sinne<br />

darauf hinaus. Doch ich glaube nicht,<br />

dass dieses Konzept jemals therapeutisch<br />

eingesetzt wird. Und zwar aus zwei<br />

Gründen: Erstens wären Eizellspenden<br />

in großer Zahl nötig, zweitens würden<br />

auf diese Weise Blastozysten erzeugt,<br />

also <strong>Embryonen</strong>. Beides ist aus ethischer<br />

Sicht hochproblematisch und sollte<br />

nach meiner Ansicht nicht durchgeführt<br />

werden. Auch eine naturwissenschaftliche<br />

Argumentation spricht dagegen:<br />

Bis heute sind die Prozesse der<br />

Kernreprogrammierung völlig unverst<strong>an</strong>den.<br />

Fehlentwicklungen können<br />

nicht ausgeschlossen werden. Zellen,<br />

die auf diese Weise hergestellt werden,<br />

bergen unter Umständen Schäden, die<br />

wir im Zellkulturstadium gar nicht erkennen<br />

können.<br />

99


DÄ: Sollte m<strong>an</strong> auf dem Gebiet der<br />

Kernreprogrammierung forschen?<br />

Brüstle: Meine Vorstellung geht dahin,<br />

die unbek<strong>an</strong>nten Mech<strong>an</strong>ismen<br />

durch Kernreprogrammierungs-Studien<br />

<strong>an</strong> tierischen Zellen zu entschlüsseln,<br />

um sie d<strong>an</strong>n l<strong>an</strong>gfristig auf adulte<br />

hum<strong>an</strong>e Zellen <strong>an</strong>zuwenden. Es besteht<br />

die Idee, adulte Zellen direkt in ein pluripotentes<br />

Stadium umzuprogrammieren,<br />

das dem einer embryonalen<br />

Stammzelle entspricht. Die Erzeugung<br />

der Blastozyste würde so umg<strong>an</strong>gen.<br />

Wir hätten d<strong>an</strong>n eine Fusion von adulter<br />

und embryonaler Stammzelltechnologie,<br />

die es uns erlauben würde, die<br />

Vorteile pluripotenter Stammzellen zu<br />

nutzen und gleichzeitig die ethisch kritischen<br />

Bereiche zu umgehen.<br />

DÄ: Reichen für die Kernreprogrammierungs-Studien<br />

Zellen tierischen Ursprungs<br />

aus?<br />

Brüstle: Zunächst schon. Es wäre aus<br />

meiner Sicht unver<strong>an</strong>twortlich, Untersuchungen<br />

auf hum<strong>an</strong>e Zellen auszuweiten,<br />

bevor nicht alles erdenklich<br />

Mögliche am Tierexperiment gemacht<br />

worden ist. Natürlich müssen die Ergebnisse<br />

schließlich am Menschen validiert<br />

werden. Beim therapeutischen<br />

Klonen besteht allerdings die Hoffnung,<br />

dass dies ohne Erzeugung von<br />

<strong>Embryonen</strong> möglich sein wird.<br />

DÄ: In den USA haben Sie eine Methode<br />

entwickelt, mit der m<strong>an</strong> durch<br />

Zellkultur aus embryonalen Stammzellen<br />

Nervenzellen herstellen k<strong>an</strong>n. Wie<br />

funktioniert diese?<br />

Brüstle: Embryonale Stammzellen<br />

können prinzipiell in alle Gewebetypen<br />

ausreifen. Das Schüsselproblem ist, diese<br />

Entwicklung in die gewünschte Richtung<br />

zu steuern und die Zellpopulation<br />

so aufzureinigen, dass keine unreifen<br />

embryonalen Zellen mehr vorh<strong>an</strong>den<br />

sind. Denn diese könnten nach der<br />

Tr<strong>an</strong>spl<strong>an</strong>tation Teratome erzeugen.<br />

DÄ: Wie steuern Sie die Ausreifung?<br />

Brüstle: Die Zellen werden zunächst<br />

unter der Anwesenheit von Wachstumsfaktoren<br />

auf embryonalen Fibroblasten<br />

beliebig vermehrt. D<strong>an</strong>n werden die<br />

Zellen zu Embryoidkörperchen zusammengelagert.<br />

Dies sind Zellaggregate,<br />

in denen spont<strong>an</strong> die Ausreifung in verschiedene<br />

Gewebetypen stattfindet.<br />

Nach einigen Tagen werden die Embryoidkörperchen<br />

in Zellkulturlösun-<br />

100<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

gen überführt, die so zusammengesetzt<br />

sind, dass bevorzugt Zellen des Nervensystems<br />

überleben. Diese werden d<strong>an</strong>n<br />

durch Wachstumsfaktoren gezielt vermehrt.<br />

DÄ: Werden Zellen, die nicht gewünscht<br />

sind, während des Verfahrens<br />

vernichtet?<br />

Brüstle: Um zur Zelltyp-Spezifizierung<br />

zu kommen, gibt es zwei Strategien:<br />

Zum einen werden Faktoren eingebracht,<br />

die eine bestimmte Zellpopulation<br />

bevorzugen und <strong>an</strong>dere während<br />

des Kulturverfahrens ausmerzen. Bei<br />

der <strong>an</strong>deren Strategie werden Marker<br />

in embryonale Stammzellen eingefügt,<br />

die nur von bestimmten Zelltypen exprimiert<br />

werden, beispielsweise ein Antibiotikaresistenz-Gen<br />

oder ein grün<br />

fluoreszierendes Protein, das ausschließlich<br />

in den entst<strong>an</strong>denen Nervenzellen<br />

exprimiert wird. Durch Gabe<br />

eines Antibiotikums oder durch ein<br />

Sortierverfahren ist es möglich, diese<br />

Zelltypen <strong>an</strong>zureichern.<br />

DÄ: Wäre nach der Tr<strong>an</strong>spl<strong>an</strong>tation<br />

dieser gewonnenen Zellen nicht auch<br />

noch eine Eigendifferenzierung oder gar<br />

eine Tumorbildung denkbar?<br />

Brüstle: Dies ist ein ernst zu nehmendes<br />

Problem. Deshalb müssen vor einer<br />

klinischen Anwendung L<strong>an</strong>gzeituntersuchungen<br />

stehen, die gewährleisten,<br />

dass diese Zellen über Jahre hinweg stabil<br />

in ihrem Zelltyp ver<strong>an</strong>kert bleiben.<br />

Eine Tumorbildung ist bei den von uns<br />

hergestellten hochaufgereinigten Gliazellen<br />

im Tierversuch bisher in keinem<br />

Fall vorgekommen.<br />

DÄ: In Großbrit<strong>an</strong>nien ist m<strong>an</strong> bereits<br />

in die klinische Anwendung geg<strong>an</strong>gen<br />

und hat Parkinson-Patienten fetale<br />

dopaminproduzierende Zellen tr<strong>an</strong>spl<strong>an</strong>tiert,<br />

von denen sich d<strong>an</strong>n wohl auch<br />

einige zu Knochen- und Knorpelzellen<br />

entwickelt haben . . .<br />

Brüstle: Das sind Experimente, die<br />

nicht sauber durchgeführt wurden. Dabei<br />

h<strong>an</strong>delt es sich um einen Ansatz, der<br />

nicht auf Stammzellen aufbaut, sondern<br />

auf der Isolation von Zellen aus dem fetalen<br />

Nervensystem. Wird das Verfahren<br />

– die Entnahme von Zellen aus der<br />

Hirnregion, aus der sich später die<br />

dopaminergen Neurone entwickeln –<br />

nicht sachgemäß durchgeführt, besteht<br />

die Gefahr, dass <strong>an</strong>dere Gewebeteile<br />

mit tr<strong>an</strong>spl<strong>an</strong>tiert werden und sich spä-<br />

ter entwickeln. In dieser Hinsicht unterscheidet<br />

sich die embryonale Stammzelltechnik.<br />

Dort müssen wiederum die<br />

undifferenzierten Zellen aussortiert<br />

werden, da diese nach Tr<strong>an</strong>spl<strong>an</strong>tation<br />

in alle möglichen Zellen ausreifen<br />

könnten.<br />

DÄ: Wie hoch ist die Gefahr der Abstoßung<br />

nach der Tr<strong>an</strong>spl<strong>an</strong>tation?<br />

Brüstle: Die Abstoßung ist ein Kernproblem<br />

der Tr<strong>an</strong>spl<strong>an</strong>tationsmedizin<br />

überhaupt. Um sie zu verhindern, wäre<br />

es bei den embryonalen Stammzellen<br />

denkbar, B<strong>an</strong>den von Zellen aufzubauen,<br />

in denen verschiedene Gewebetypen<br />

vorh<strong>an</strong>den sind, und d<strong>an</strong>n für den<br />

jeweiligen Patienten einen gematchten<br />

Donor zu finden. Weiterhin ist es möglich,<br />

die Oberflächenstruktur dieser<br />

Zellen genetisch so zu verändern, dass<br />

Abstoßungsreaktionen zumindest gehemmt<br />

werden. Es ist über die Kernreprogrammierung<br />

l<strong>an</strong>gfristig möglich,<br />

pluripotente Zellen mit dem Erbgut<br />

desselben Patienten herzustellen.<br />

DÄ: Das wäre auch mit adulten<br />

Stammzellen möglich. Warum forscht<br />

m<strong>an</strong> d<strong>an</strong>n nicht zunächst <strong>an</strong> diesen?<br />

Brüstle: In der moment<strong>an</strong>en Diskussion<br />

werden die adulten Stammzellen<br />

oft als den embryonalen Stammzellen<br />

ebenbürtig dargestellt. Aus naturwissenschaftlicher<br />

Sicht k<strong>an</strong>n m<strong>an</strong> in meinen<br />

Augen jedoch nicht auf die <strong>Forschung</strong><br />

<strong>an</strong> embryonalen Stammzellen<br />

verzichten. Diese haben wichtige Vorteile:<br />

eine uneingeschränkte Vermehrbarkeit<br />

über l<strong>an</strong>ge Zeiträume und die<br />

Möglichkeit der gezielten Ausreifung in<br />

der Zellkultur.<br />

DÄ: Doch neuen Publikationen zufolge<br />

sollen auch adulte Stammzellen in <strong>an</strong>dere<br />

Gewebe einw<strong>an</strong>dern und dort nicht<br />

nur Ursprungsgewebe bilden können . . .<br />

Brüstle: Es ist aber noch nicht möglich,<br />

diesen Tr<strong>an</strong>sdifferenzierungsprozess<br />

gezielt in der Zellkultur zu steuern.<br />

Es gibt wohl einzelne Fälle, bei denen<br />

aus adulten Stammzellen verw<strong>an</strong>dte<br />

Gewebszellen gezüchtet wurden. Es<br />

scheinen jedoch gravierende Unterschiede<br />

zu den embryonalen Stammzellen<br />

zu bestehen, da es sich bei diesen um<br />

eine Programmierung von einer unreifen<br />

in eine reife Zelle h<strong>an</strong>delt. Bei den<br />

adulten Stammzellen h<strong>an</strong>delt es sich um<br />

eine Umprogrammierung von einer<br />

spezifischen Zelle in eine <strong>an</strong>dere gewe-


espezifische Zelle. Diesen Prozess<br />

k<strong>an</strong>n m<strong>an</strong> heute noch nicht gezielt in einer<br />

Zellkultur ablaufen lassen.Auch die<br />

Vermehrbarkeit ist eingeschränkt. Seit<br />

vielen Jahren wird bereits versucht,<br />

Knochenmarks-Stammzellen außerhalb<br />

des Körpers zu vermehren. Die Erfolge<br />

sind jedoch sehr ernüchternd.<br />

Diese Kernprobleme müssen gelöst<br />

werden, bevor die adulten Stammzellen<br />

Äquvalenz erreichen können.<br />

DÄ: Mit den embryonalen Stammzellen<br />

taucht aber die ethische Problematik<br />

auf.Verletzt m<strong>an</strong> in Ihren Augen ethische<br />

Normen mit der embryonalen Stammzellforschung?<br />

Brüstle: Mit der Gewinnung dieser<br />

Zellen ist sicher eine ethische Problematik<br />

verbunden. Darüber denken wir<br />

sehr ernsthaft nach. Einerseits ist auch<br />

bei bereits existierenden Zelllinien<br />

letztlich ein Embryo verbraucht worden.<br />

Auf der <strong>an</strong>deren Seite steht die<br />

ärztliche Verpflichtung, nach neuen Beh<strong>an</strong>dlungsstrategien<br />

zu suchen. Im Nervensystem<br />

ist die Situation besonders<br />

prekär, da dort so gut wie keine Regeneration<br />

stattfindet.<br />

DÄ: Könnte m<strong>an</strong> d<strong>an</strong>n nicht alles<br />

und jedes mit der ärztlichen Beh<strong>an</strong>dlungspflicht<br />

und dem Wunsch zu Heilen<br />

begründen,auch therapeutisches Klonen<br />

oder Keimbahninterventionen?<br />

Brüstle: Da müssen g<strong>an</strong>z klare Grenzen<br />

gezogen werden. Für mich wäre ein<br />

Einsatz nur unter klar definierten Bedingungen<br />

zu akzeptieren.<br />

DÄ: Welche wären das?<br />

Brüstle: Weder für <strong>Forschung</strong>s- noch<br />

für therapeutische Zwecke dürfen <strong>Embryonen</strong><br />

gezielt hergestellt werden. Eingriffe<br />

in die Keimbahn und reproduktives<br />

Klonen müssen verboten bleiben.<br />

Auf der <strong>an</strong>deren Seite halte ich es<br />

durchaus für erwägenswert, so gen<strong>an</strong>nte<br />

überzählige <strong>Embryonen</strong>, für die keinerlei<br />

<strong>an</strong>dere Verwendung vorgesehen ist,<br />

mit Zustimmung der Eltern in begrenzter<br />

Zahl und unter strenger Kontrolle<br />

für die Gewinnung von Zelllinien einzusetzen.<br />

Dabei h<strong>an</strong>delt es sich nicht um<br />

eine verbrauchende <strong>Embryonen</strong>forschung<br />

im großen Maßstab.Wenige Zelllinien<br />

würden genügen, um alle Zentren<br />

in Europa mit Zellen auszustatten.<br />

DÄ: Der Import von pluripotenten<br />

Zellen nach Deutschl<strong>an</strong>d würde also<br />

genügen?<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

Brüstle: Im ersten Schritt ist der Import<br />

die einzige Lösung, die überhaupt<br />

praktikabel ist, auch aufgrund der<br />

rechtlichen Situation. Zunächst geht es<br />

darum, die prinzipielle Übertragbarkeit<br />

der Befunde von Mauszellen auf<br />

menschliche Zellen zu überprüfen.<br />

Dafür k<strong>an</strong>n m<strong>an</strong> auf bestehende Zelllinien<br />

zurückgreifen. Wenn sich zeigt,<br />

dass diese Zellen halten, was die Mauszellen<br />

versprechen, k<strong>an</strong>n darüber nachgedacht<br />

werden, ob es in begrenzter<br />

Zahl, unter strengen Auflagen und nur<br />

<strong>an</strong> ausgewählten Zentren möglich sein<br />

soll, solche Zelllinien auch in Deutschl<strong>an</strong>d<br />

herzustellen. Es scheint mir – wenn<br />

wir uns für die Technologie entscheiden<br />

– zudem wenig konsequent, jetzt kritische<br />

Bereiche ins Ausl<strong>an</strong>d zu verlagern<br />

oder sie gar moralisch zu verurteilen,<br />

um d<strong>an</strong>n in fünf bis zehn Jahren den<br />

Nutzen zu reimportieren. Wenn wir uns<br />

gegen die <strong>Forschung</strong> <strong>an</strong> embryonalen<br />

Stammzellen entscheiden, sollte das<br />

auch konsequent sein. Auch die DFG<br />

spricht sich in ihrer Stellungnahme<br />

dafür aus, eine begrenzte Herstellung<br />

eigener Zellinien zu überdenken, wenn<br />

der Import nicht ausreiche.<br />

DÄ: In Deutschl<strong>an</strong>d gibt es nach dem<br />

<strong>Embryonen</strong>schutzgesetz keine oder nur<br />

g<strong>an</strong>z wenige überzählige <strong>Embryonen</strong>.<br />

Könnten diese überhaupt ausreichen?<br />

Brüstle: Nach den Ergebnissen in<br />

Haifa zu urteilen, könnte eine geringe<br />

Zahl von <strong>Embryonen</strong> genügen, um dauerhaft<br />

vermehrungsfähige Zelllinien zu<br />

erzeugen.Allerdings hat meine Arbeitsgruppe<br />

keinen Anteil bei der Herstellung<br />

von embryonalen Stammzellen,<br />

sondern wir arbeiten ausschließlich mit<br />

bereits existierenden Zelllinien.<br />

Heft 25, 22. Juni 2001<br />

Bioethik-Diskussion<br />

Bei keiner <strong>an</strong>deren Frage gehen die Ansichten<br />

innerhalb der Parteien so ausein<strong>an</strong>der<br />

wie bei der Bioethik.Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

(<strong>PID</strong>) ja oder nein? Embryonale<br />

Stammzellforschung? Besonders<br />

die beiden Volksparteien SPD und<br />

CDU/CSU können sich auf keinen gemeinsamen<br />

Nenner einigen.<br />

DÄ: Würde mit der Herstellung von<br />

Stammzellen in Deutschl<strong>an</strong>d der „<strong>Embryonen</strong>industrie“<br />

das Tor geöffnet?<br />

Brüstle: Gerade dies muss verhindert<br />

werden. Wenn wir den Bereich für eine<br />

therapeutische Nutzung öffnen, halte<br />

ich es für unabdingbar, dass die Grenzen<br />

klar gezogen werden. Es dürfte nur<br />

auf <strong>Embryonen</strong> zurückgegriffen werden,<br />

die aus <strong>an</strong>deren Gründen überzählig<br />

sind.<br />

DÄ: Glauben Sie , dass die DFG am<br />

4. Juli Ihr Projekt und damit den Import<br />

der embryonalen Stammzellen billigt?<br />

Brüstle: Ja, ich bin optimistisch. Meine<br />

Befürchtung aber ist, dass das Projekt<br />

zwar nicht abgelehnt wird,aber sich<br />

ein erneuter zeitlicher Aufschub <strong>an</strong>bahnt.<br />

Der Antrag liegt jetzt bereits elf<br />

Monate bei der DFG. Die Entwicklung<br />

auf diesem Gebiet schreitet aber so ras<strong>an</strong>t<br />

vor<strong>an</strong>, dass es jetzt schon fraglich<br />

ist, ob wir überhaupt den Vorsprung,<br />

den wir auf tierexperimentellem Niveau<br />

hatten, noch halten können.Wenn<br />

wir die Diskussion weiter hinziehen,<br />

wird sie sich selbst totlaufen. D<strong>an</strong>n haben<br />

die Dinge, die wir machen wollten,<br />

<strong>an</strong>dere Instituten im Ausl<strong>an</strong>d durchgeführt.<br />

DÄ: Würden Sie bei einem „Nein“ der<br />

DFG auf Ihre <strong>Forschung</strong> verzichten?<br />

Brüstle: Wenn es tatsächlich die demokratische<br />

Entscheidung gäbe, dass<br />

wir in Deutschl<strong>an</strong>d diese Technologie<br />

nicht wollen, d<strong>an</strong>n muss sich der einzelne<br />

Wissenschaftler dieser Entscheidung<br />

auch <strong>an</strong>schließen. Aus persönlichen<br />

Gründen ins Ausl<strong>an</strong>d zu gehen, ist jedem<br />

selbst überlassen. Ich bin da im<br />

Moment noch unentschieden.<br />

DÄ-Fragen: Dr. med. Eva A. Richter, Norbert Jachertz<br />

Gespaltene Fraktionen<br />

Diametral unterschiedliche Positionen<br />

gibt es in der SPD-Fraktion. Für<br />

Bundesk<strong>an</strong>zler Gerhard Schröder verwirklicht<br />

sich die Würde des Menschen in<br />

erster Linie im Zug<strong>an</strong>g zur Erwerbsarbeit,<br />

wie er als Antwort auf die Berliner<br />

Rede von Bundespräsident Joh<strong>an</strong>nes<br />

Rau (auch SPD) sagte. Dieser hatte<br />

101


am 18. Mai betont, dass<br />

es „Dinge gibt, die wir<br />

um keines tatsächlichen<br />

oder vermeintlichen<br />

Vorteiles willen tun dürfen“.<br />

Sowohl <strong>PID</strong> als<br />

auch <strong>Embryonen</strong>forschung<br />

lehnt Rau ab.<br />

Auch für Justizministerin<br />

Herta Däubler-<br />

Gmelin (SPD) ist beides<br />

nicht mit der Verfassung<br />

vereinbar. Anders<br />

verhalten sich die beiden<br />

SPD-Ministerinnen<br />

Ulla Schmidt (Bundes-<br />

gesundheitsministerin) und Edelgard<br />

Bulmahn (Bundesforschungsministerin).<br />

Sie wollen die <strong>PID</strong> in engen Grenzen erlauben<br />

und halten die embryonale<br />

Stammzellforschung für diskutabel. Unterstützt<br />

werden sie von der Vorsitzenden<br />

der Enquete-Kommission des Deutschen<br />

Bundestages „Recht und Ethik der<br />

modernen Medizin“, Margot von Renesse.<br />

Sie meint, es liege in der Natur der<br />

Wissenschaft, auch Tabus zu brechen.<br />

Eine ausführliche bioethische Diskussion<br />

am 28. Mai brachte der CDU/<br />

Heft 25, 22. Juni 2001<br />

Stammzellen<br />

Reinhard Merkel ließ es wie Zauberei<br />

aussehen: Entnähme m<strong>an</strong> einem<br />

frühen menschlichen Embryo eine<br />

totipotente Zelle mit einer Pipette, so erklärte<br />

der Hamburger Rechtsphilosoph,<br />

und setze sie <strong>an</strong>schließend wieder <strong>an</strong><br />

ihren Platz zurück, d<strong>an</strong>n unterscheide<br />

sich dieser Zust<strong>an</strong>d in nichts von der Ausg<strong>an</strong>gssituation.<br />

Nach dem Gesetz habe<br />

m<strong>an</strong> aber das Vergehen einer „missbräuchlichen<br />

Verwendung eines menschlichen<br />

<strong>Embryonen</strong>“ beg<strong>an</strong>gen. Auch sei<br />

der Straftatbest<strong>an</strong>d des „Klonens“ er-<br />

102<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

´ Tabelle C ´<br />

Was soll m<strong>an</strong> in der Biomedizin zulassen?<br />

– Antworten der Parteien (St<strong>an</strong>d 6. Juni 2001)<br />

<strong>PID</strong> Embryonale<br />

Stammzellforschung<br />

SPD unentschlossen, unentschlossen,<br />

konträre Ansichten konträre Ansichten<br />

CDU/CSU CDU: unentschlossen CDU: nein<br />

CSU: nein CSU: nein<br />

FDP ja ja<br />

B90/Die Grünen nein nein<br />

PDS unentschlossen, unentschlossen,<br />

eher nein eher nein<br />

CSU-Fraktion ebenfalls keinen innerparteilichen<br />

Konsens. Einig waren sich<br />

die Abgeordneten lediglich, dass sie die<br />

verbrauchende <strong>Embryonen</strong>forschung<br />

nicht zulassen wollen. Die CSU lehnt<br />

zudem die <strong>PID</strong> ab. Darauf k<strong>an</strong>n (und<br />

will) sich die CDU aber nicht festlegen.<br />

Im Vorfeld der Sitzung des CDU-<br />

Bundesvorst<strong>an</strong>des, die gleichfalls am<br />

28. Mai stattf<strong>an</strong>d, hatte der stellvertretende<br />

Parteivorsitzende der CDU, Jürgen<br />

Rüttgers, den Entwurf eines<br />

Grundsatzpapiers vorgelegt, in dem er<br />

Was Forscher wollen,<br />

was sie dürfen<br />

Die Biomedizin weckt die Hoffnung auf neue Therapieformen.<br />

Vor allem aber löst sie ethisch begründete Vorbehalte aus.<br />

füllt. Und durch die Rückführung der<br />

Zelle habe m<strong>an</strong> von zwei <strong>Embryonen</strong> einen<br />

spurlos verschwinden lassen. Mit der<br />

Absurdität dieses Exempels brachte<br />

Merkel seine Kritik am <strong>Embryonen</strong>schutzgesetz<br />

(ESchG) zum Ausdruck.<br />

Blastomerenzelle = Embryo<br />

„Stammzellen und therapeutisches Klonen<br />

– Biomedizin ohne Grenzen?“ hieß<br />

die Tagung in Düsseldorf, mit der<br />

die <strong>PID</strong> als „Diagnosemöglichkeit“ bezeichnete.<br />

Die Parteivorsitzende Angela<br />

Merkel schloss sich dieser Meinung<br />

<strong>an</strong>. Auch sie neige dazu, die <strong>PID</strong> unter<br />

bestimmten Restriktionen zuzulassen.<br />

Dies stieß auf innerparteiliche Kritik, so<br />

dass schließlich Rüttgers <strong>PID</strong>-Passagen<br />

im Positionspapier geändert wurden.<br />

Kein Ja, kein Nein, die Haltung der<br />

CDU bleibt offen. „Wir wollen die Diskussion<br />

weiter führen“, erklärte Merkel.<br />

Bereits vor Wochen hat sich die FDP<br />

mit ihrem Positionspapier eindeutig für<br />

<strong>PID</strong> und embryonale Stammzellforschung<br />

ausgesprochen. Sie betont die<br />

medizinischen und wirtschaftlichen<br />

Ch<strong>an</strong>cen der Biomedizin. Mitte Mai hat<br />

sich die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen<br />

auf eine gemeinsame Position verständigt.<br />

In ihrem Eckpunktepapier zur<br />

Gentechnikpolitik lehnt sie <strong>PID</strong> und<br />

<strong>Embryonen</strong>forschung ab und fordert<br />

zudem eine Präzisierung des <strong>Embryonen</strong>schutzgesetzes,<br />

um den Umg<strong>an</strong>g mit<br />

„überzähligen“ <strong>Embryonen</strong> zu regeln.<br />

Noch nicht positioniert hat sich die<br />

PDS, doch sie scheint in dieser Frage die<br />

Ansicht der CSU und der Grünen zu<br />

teilen. Dr. med. Eva A. Richter<br />

das Wissenschaftszentrum Nordrhein-<br />

Westfalen eine aktuelle gesellschaftliche<br />

Diskussion aufgriff. Die Tübinger<br />

Bioethikerin Eve-Marie Engels, Mitglied<br />

im Nationalen Ethikrat, und der<br />

Rechtswissenschaftler Rüdiger Wolfrum,<br />

Vizepräsident der Deutschen <strong>Forschung</strong>sgemeinschaft<br />

(DFG), stellten in<br />

ihren Beiträgen juristische und ethische<br />

Probleme der <strong>Embryonen</strong>forschung<br />

heraus. Engels erläuterte, jede menschliche<br />

totipotente Zelle trage die Anlage,<br />

zu einem vollständigen Menschen her<strong>an</strong>zureifen,<br />

sei also bereits ein Embryo.<br />

Dies treffe auch für eine Blastomerenzelle<br />

zu. Aus dem Keimling entnommen,<br />

könne sie unter geeigneten Bedingungen<br />

zu einem menschlichen Individuum<br />

her<strong>an</strong>wachsen. Totipotente<br />

menschliche Zellen dürfen in Deutschl<strong>an</strong>d<br />

kraft des ESchG ausschließlich<br />

zu ihrem eigenen Nutzen, etwa in der<br />

In-vitro-Fertilisation (IVF), verwendet<br />

werden.<br />

Die Entnahme von pluripotenten<br />

Stammzellen aus dem weiteren Ent-


wicklungsstadium der Blastozyste sei<br />

ebenso untersagt wie eine <strong>Embryonen</strong>herstellung<br />

zu diesem Zweck, sagte Engels.<br />

Zwar habe eine pluripotente Zelle<br />

den Status eingebüßt, ein vollständiger<br />

Embryo zu sein, ihre Gewinnung, so<br />

Engels weiter, sei jedoch nicht ohne<br />

Zerstörung oder Schädigung des Embryos<br />

möglich. Ebenfalls verboten sei<br />

die Benutzung bereits existierender, so<br />

gen<strong>an</strong>nter überzähliger <strong>Embryonen</strong> aus<br />

der IVF zur Entnahme von Stammzellen.<br />

Der Import von im Ausl<strong>an</strong>d hergestellten,<br />

pluripotenten embryonalen<br />

Stammzellen (ES-Zellen) sei ethisch<br />

bedenklich, jedoch gesetzgeberisch<br />

nicht verboten. Nun würden Entwicklungen<br />

in der Biomedizin, etwa das<br />

therapeutische Klonen, die Frage aufwerfen,<br />

ob das ESchG geändert werden<br />

solle.<br />

Wolfrum erklärte, er halte eine Änderung<br />

des Gesetzes vorerst nicht für<br />

erforderlich. Die DFG lehne therapeutisches<br />

ebenso wie reproduktives Klonen<br />

nach wie vor ab. Vorr<strong>an</strong>gig solle<br />

weiterhin die ethisch unbedenklichere<br />

<strong>Forschung</strong> <strong>an</strong> adulten Stammzellen<br />

(AS-Zellen) gefördert werden. Falls<br />

sich die Notwendigkeit einer <strong>Forschung</strong><br />

<strong>an</strong> ES-Zellen bestätigen sollte<br />

und die bisherigen Möglichkeiten dafür<br />

nicht ausreichen, schlage die DFG<br />

eine „zeitlich befristete“ Lockerung des<br />

ESchG vor.<br />

In der Frage des Lebensschutzes des<br />

Embryos sieht Wolfrum eine Ähnlichkeit<br />

zur Abtreibungsfrage, auch<br />

wenn bei der Stammzellforschung dem<br />

Lebensrecht des Embryos kein direktes,<br />

den vitalen mütterlichen Bedürfnissen<br />

gleichwertiges Äquivalent<br />

entgegengestellt werden könne. „Der<br />

Preis einer eingeschränkten Eröffnung<br />

dieser <strong>Forschung</strong> unter wissenschaftlicher<br />

und ethischer Kontrolle k<strong>an</strong>n gemessen<br />

<strong>an</strong> dem Schutz, den der Embryo<br />

im deutschen Recht de facto genießt,<br />

gering gehalten werden“, heißt es in<br />

seinem Thesenpapier. In der Diskussion<br />

wurde eingewendet, dass auch eine<br />

geringfügige Einschränkung des Lebensschutzes<br />

zw<strong>an</strong>gsläufig seine Vernichtung<br />

zur Folge habe. Merkel ging so<br />

weit, „ein echtes subjektives Grundrecht<br />

des Embryos auf Lebens- und<br />

Würdeschutz“ generell in Abrede zu<br />

stellen.<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

Visionen<br />

Einen ähnlichen St<strong>an</strong>dpunkt vertrat<br />

der britische Genomforscher Austin<br />

Smith. Nach seiner Ansicht ist der Fetus<br />

bis zur Geburt noch kein Mensch,<br />

sondern lediglich als „Teil des menschlichen<br />

Lebenszyklus“ zu betrachten. Der<br />

Embryo müsse jedoch allein schon wegen<br />

seines gewaltigen Potenzials<br />

besonders geachtet und geschätzt werden.ES-Zellen,möglicherweise<br />

der „biomedizinische<br />

Rohstoff des 21. Jahrhunderts“,<br />

seien aus der inneren Zellmasse<br />

von Blastozysten leicht zu gewinnen.<br />

ES-Zellen seien fähig, sich in identische<br />

Zellen zu teilen und schier grenzenlos<br />

zu vermehren. Zugleich zeigten sie<br />

eine ausgeprägte Plastizität. Smith hofft,<br />

aus ihnen tr<strong>an</strong>spl<strong>an</strong>tierbare Ersatzgewebe<br />

zu züchten. Nach Stimulation mit<br />

Wachstumsfaktoren könnten sie in den<br />

Händen von Tr<strong>an</strong>spl<strong>an</strong>tationsmedizinern<br />

zu ausgezeichneten Werkzeugen<br />

werden. Bei zahlreichen bisl<strong>an</strong>g unheilbaren<br />

Kr<strong>an</strong>kheiten wie Herzinfarkt,Parkinsonismus,<br />

multipler Sklerose, Typ-1-<br />

Diabetes oder Mukoviszidose seien<br />

künftig neue, sehr effektive Beh<strong>an</strong>dlungsmöglichkeiten<br />

denkbar.Schon bald<br />

könnten ES-Zellen in der pharmazeutischen<br />

<strong>Forschung</strong> eingesetzt werden.<br />

Smith führte aus, dass adulte Stammzellen<br />

sich weniger gut zur Weiterentwicklung<br />

der Gentherapie eigneten.<br />

Unter In-vitro-Bedingungen seien sie<br />

nicht so problemlos zu vermehren wie<br />

ES-Zellen. Ob die <strong>an</strong>gestrebten Differenzierungsprozesse<br />

bei ES-Zellen tatsächlich<br />

gut steuerbar und eine etwaige<br />

Onkogenität beherrschbar seien, müsse<br />

vordringlich erforscht werden. Restriktionen<br />

auf nationaler Ebene dürften die<br />

internationale Zusammenarbeit nicht<br />

behindern, so Smith.<br />

Auftragsforschung<br />

Der Bonner Neuropathologe Oliver<br />

Brüstle kritisierte die bisherigen <strong>Forschung</strong>sbedingungen<br />

in Deutschl<strong>an</strong>d.<br />

In einem früheren Projekt hatte Brüstle<br />

tierische ES-Zellen zu Vorläuferzellen<br />

gezüchtet und in die Gehirne von Mäusen<br />

mit einer Markscheidenerkr<strong>an</strong>kung<br />

tr<strong>an</strong>spl<strong>an</strong>tiert. Dort war der Zellersatz<br />

zu Myelin-bildenden Stützzellen ge-<br />

reift. Um weitere <strong>Forschung</strong>en auch mit<br />

menschlichen ES-Zellen durchzuführen,<br />

sei er aufgrund der Gesetzeslage in<br />

Deutschl<strong>an</strong>d jedoch auf Importe aus<br />

dem Ausl<strong>an</strong>d <strong>an</strong>gewiesen, sagte Brüstle.<br />

Zelllinien, aber auch Verfahren und<br />

selbst die <strong>Forschung</strong>sergebnisse, müssten<br />

dem ausländischen Partner zurückgegeben<br />

werden. „Krass gesagt, das ist<br />

Auftragsforschung für das Ausl<strong>an</strong>d“,<br />

beschrieb er die Situation. Auch um<br />

nicht in den Ruf einer – so Brüstle –<br />

„Doppelmoral“ zu geraten, möchte er<br />

die rechtlichen Grundlagen für die<br />

Stammzellforschung in Deutschl<strong>an</strong>d neu<br />

geregelt wissen.<br />

Brüstle stellte dar, warum sich ES-<br />

Zellen für die <strong>Forschung</strong> besser eigneten<br />

als AS-Zellen. Einzelne Gene könnten<br />

aus dem Kernmaterial gezielt eliminiert<br />

und ein Zellersatz zu Tr<strong>an</strong>spl<strong>an</strong>tationszwecken<br />

einfacher hergestellt werden.AS-Zellen<br />

seien wenig proliferativ,<br />

ihre Anreicherung in der Zellkultur bisl<strong>an</strong>g<br />

selten gelungen und die gezielte<br />

Umzüchtung (Tr<strong>an</strong>sdifferenzierung)<br />

noch wenig überzeugend.<br />

Als ein wichtiger Vorteil der AS-Zellen<br />

müsse jedoch deren immunologische<br />

Kompatibilität gesehen werden, da<br />

ihr Spender zugleich Empfänger sei.<br />

Ebenso dürfe nicht verk<strong>an</strong>nt werden,<br />

dass die <strong>Forschung</strong> mit ES-Zellen gewisse<br />

Risiken berge.Diese beträfen ihre<br />

Zelltyp-Spezifizierung und den Reinheitsgrad<br />

der verwendeten Kulturen,<br />

was vielleicht zu Teratomen (Missbildungen)<br />

führen könnte.<br />

Einen Konflikt zwischen den <strong>Forschung</strong>en<br />

<strong>an</strong> ES-Zellen und AS-Zellen<br />

gibt es nach Brüstles Einschätzung<br />

nicht. Die meisten Stammzellforscher<br />

seien <strong>an</strong> beiden Richtungen interessiert,<br />

um sie mitein<strong>an</strong>der zu vergleichen.<br />

Gewarnt werden müsse allerdings<br />

vor allzu optimistischen Erwartungen.<br />

Vor dem Einsatz beim Menschen seien<br />

viele abgestufte Vorversuche notwendig,<br />

und früheste Therapieerfolge erst in<br />

fünf bis zehn Jahren zu erwarten.<br />

Auswirkungen auf die<br />

Gesellschaft<br />

Ein entschiedenes Plädoyer für eine<br />

Beschränkung der <strong>Forschung</strong> auf AS-<br />

Zellen unternahm der amerik<strong>an</strong>ische<br />

103


Wissenschaftsautor Jeremy Rifkin. Er<br />

wies auf Entwicklungen hin, zu denen<br />

die neuen Biowissenschaften in den <strong>an</strong>gelsächsischen<br />

Ländern bereits geführt<br />

hätten. Dort seien Patente nicht nur<br />

auf Laborverfahren und Gensequenzen,<br />

sondern auch auf Stammzelllinien<br />

und Hybridlebewesen vergeben worden.<br />

Viele Biotechnologieunternehmen<br />

versuchten, sich mit den Entwicklungen<br />

in der Biomedizin „eine goldene Nase“<br />

zu verdienen. Diese kommerziellen Interessen<br />

würden im Ringen um eine<br />

ethische und rechtliche Basis für die<br />

<strong>Embryonen</strong>forschung leider allzu oft<br />

übersehen.<br />

Rifkin behauptete, die Gesellschaft<br />

setze sich ohne Not der Gefahr einer<br />

neuen, kommerziell orientierten Form<br />

der Eugenik aus.Viele Gefahren („slippery<br />

slopes“) drohten allein schon<br />

durch die imm<strong>an</strong>ente Dynamik der biomedizinischen<br />

Technologie. Jeder<br />

Schritt fordere und rechtfertige den<br />

nächsten. Aber diese Entwicklungen<br />

seien später nicht mehr rückgängig zu<br />

machen.<br />

Zu wenig beachtet werde weiterhin,<br />

dass der Verlust genetisch bedingter rezessiver<br />

Eigenschaften sich in der Evolution<br />

des Menschen nachteilig auswirken<br />

könnte. Noch schwerer wiege, dass<br />

der Versuch einer Perfektionierung des<br />

Menschen durch Genm<strong>an</strong>ipulation und<br />

Klonierung unweigerlich zu einem Verlust<br />

<strong>an</strong> Empathie, zu Geringerschätzung<br />

von Abweichung und Behinderung<br />

führe.<br />

Nach Rifkins Worten würden gesellschaftliche<br />

Ausein<strong>an</strong>dersetzungen heute<br />

weniger durch Positionen wie „rechts“<br />

oder „links“ als durch den Widerspruch<br />

zwischen „utilitaristischen und<br />

intrinsischen“ Werten geprägt. Sol<strong>an</strong>ge<br />

es für die Biowissenschaftler aussichtsreiche<br />

und ethisch unbedenklichere Alternativen<br />

wie die <strong>Forschung</strong> <strong>an</strong> AS-<br />

Zellen gebe, sei nicht einzusehen, <strong>Embryonen</strong><br />

als Rohstoffliefer<strong>an</strong>ten für<br />

zukünftige Therapieformen zu instrumentalisieren.<br />

Ärzte seien gut beraten, sich auf den<br />

hippokratischen Eid mit seinem „primum<br />

nihil nocere“ (vor allem nicht schaden)<br />

zurück zu besinnen.Dr. med. Peter Bartm<strong>an</strong>n<br />

104<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

Heft 28–29, 16. Juli 2001<br />

Embryonale Stammzellen<br />

Entscheidung über<br />

Import vertagt<br />

SPD und Grüne haben im Bundestag die Forderung<br />

der Union nach einem Moratorium zur Einfuhr<br />

von Stammzellen zurückgewiesen. Die Deutsche<br />

<strong>Forschung</strong>sgemeinschaft verhält sich bisher abwartend.<br />

Bundesk<strong>an</strong>zler Gerhard Schröder<br />

befürwortet die <strong>Forschung</strong> <strong>an</strong> embryonalen<br />

Stammzellen. Einen Import<br />

lehnt er allerdings ab. Er ist sich<br />

wohl bewusst, dass eine offene Ausein<strong>an</strong>dersetzung<br />

dem Image der Koalition<br />

großen Schaden zufügen würde. Deshalb<br />

sprach sich die SPD gemeinsam<br />

mit den Grünen für einen Kompromiss<br />

aus: Zunächst wurde ein Antrag der<br />

CDU/CSU-Bundestagsfraktion abgelehnt.<br />

Darin heißt es: „Der Deutsche<br />

Bundestag fordert die Bundesregierung<br />

auf, bis zu einer endgültigen Entscheidung<br />

des Deutschen Bundestages sicherzustellen,<br />

dass kein Import von embryonalen<br />

Stammzellen nach Deutschl<strong>an</strong>d<br />

stattfindet, deren Gewinnung die<br />

Tötung von <strong>Embryonen</strong> voraussetzt.<br />

Der Deutsche Bundestag appelliert <strong>an</strong><br />

die Wissenschaftler in der Bundesrepublik<br />

Deutschl<strong>an</strong>d, bis zu einer entsprechenden<br />

Entscheidung des Deutschen<br />

Bundestages vom Import von und der<br />

<strong>Forschung</strong> <strong>an</strong> embryonalen Stammzellen<br />

abzusehen.“<br />

Dagegen stimmte das Parlament mit<br />

der Mehrheit der Koalitionsfraktionen<br />

für einen Antrag von Bündnis 90/Die<br />

Grünen und SPD, wonach sich der Bundestag<br />

voraussichtlich im Herbst mit der<br />

Frage der <strong>Forschung</strong> <strong>an</strong> importierten<br />

embryonalen Stammzellen unter Berücksichtigung<br />

von Stellungnahmen der<br />

Enquete-Kommission des Bundestages<br />

„Recht und Ethik der modernen Medizin“,<br />

des Nationalen Ethikrats und der<br />

Deutschen <strong>Forschung</strong>sgemeinschaft befassen<br />

soll. Auch in diesem Antrag wird<br />

<strong>an</strong> alle Forscher appelliert,der Entscheidung<br />

nicht durch Schaffung von vollendeten<br />

Tatsachen vorzugreifen.<br />

Sprecher der Koalitionsfraktionen<br />

wiesen darauf hin, dass die Forscher<br />

nicht zu einem Moratorium gezwungen<br />

werden könnten. Ein Importverbot sei<br />

außerdem nur bei einer entsprechenden<br />

Änderung des <strong>Embryonen</strong>schutzgesetzes<br />

(ESchG) möglich. SPD und Grüne<br />

hatten sich jedoch darauf verständigt,<br />

das ESchG in dieser Legislaturperiode<br />

nicht mehr zu novellieren.<br />

Ein „Moratorium in recht abgeschwächter<br />

Form“, so die stellvertretende<br />

Unions-Fraktionsvorsitzende Maria<br />

Böhmer, stellt allerdings auch der Antrag<br />

der Regierungskoalition dar. Doch<br />

auch in ihrer Fraktion gibt es keine Einigkeit.<br />

Während Böhmer forderte, die<br />

<strong>Forschung</strong> <strong>an</strong> adulten Stammzellen stärker<br />

zu fördern und eine verbrauchende<br />

<strong>Embryonen</strong>forschung abzulehnen, wollte<br />

der frühere Bundesgesundheitsminister<br />

Horst Seehofer (CSU) eine <strong>Forschung</strong><br />

<strong>an</strong> Stammzellen aus überzähligen <strong>Embryonen</strong><br />

nicht ausschließen.<br />

Die SPD-Abgeordnete und Vorsitzende<br />

der Enquete-Kommission, Margot<br />

von Renesse, wies auf Versäumnisse<br />

des Parlaments hin, das die „derzeitige<br />

Hängepartie mit verschuldet“ und das<br />

<strong>Embryonen</strong>schutzgesetz nicht fortgeschrieben<br />

habe. Sie frage sich, „ob wir als<br />

Gesetzgeber nicht einiges verschlafen<br />

haben“.Die FDP sprach sich in einem eigenen<br />

Antrag für den Import von embryonalen<br />

Stammzellen aus. „Der Import<br />

embryonaler Stammzellen ist zum<br />

Zweck der <strong>Forschung</strong> zulässig, denn er<br />

ist laut <strong>Embryonen</strong>schutzgesetz nicht<br />

verboten“, sagte die FDP-Abgeordnete<br />

Ulrike Flach. Ein Importstopp sei aus<br />

forschungspolitischer Sicht nicht vertretbar:<br />

„Wer heute ein Moratorium verab-


schiedet, lähmt einen g<strong>an</strong>zen <strong>Forschung</strong>szweig“,<br />

so Flach. Der Antrag der<br />

FDP wurde allerdings mit den Stimmen<br />

aller <strong>an</strong>deren Fraktionen abgelehnt.<br />

Auch der Präsident der Bundesärztekammer<br />

(BÄK), Prof. Dr. med.<br />

Jörg-Dietrich Hoppe, appellierte <strong>an</strong>lässlich<br />

der Bundestagsdebatte <strong>an</strong> die<br />

Wissenschaftler, ihren vorläufigen Verzicht<br />

auf die <strong>Forschung</strong> <strong>an</strong> embryonalen<br />

Stammzellen öffentlich zu erklären.<br />

„Die Zentren, die bereits solche Stammzellen<br />

importiert haben, sollten sich<br />

freiwillig einem Moratorium unterwerfen,<br />

bis der Bundestag eine eindeutige<br />

Entscheidung getroffen hat,“ forderte<br />

Hoppe. In einem Interview mit der<br />

Rheinischen Post verwies Hoppe darauf,<br />

dass er den Import embryonaler<br />

Stammzellen unter den jetzigen Umständen<br />

nicht für vertretbar hält.<br />

Ergebnisse von <strong>Forschung</strong>en <strong>an</strong> der<br />

Universität Essen könnten außerdem<br />

zu g<strong>an</strong>z neuen Überlegungen führen.<br />

Der Entwicklungsbiologe Prof. Dr.<br />

med. Dr. rer. nat. H<strong>an</strong>s-Werner Denker<br />

hält nämlich die Annahme, dass sich aus<br />

embryonalen Stammzellen keine <strong>Embryonen</strong><br />

entwickeln können, für nicht<br />

ausreichend belegt. Dazu Hoppe:<br />

„Wenn Denker Recht hat, h<strong>an</strong>delte es<br />

sich bei diesen Zellen um totipotente,<br />

also um <strong>Embryonen</strong>. Sie dürften natürlich<br />

für <strong>Forschung</strong> oder Experimente<br />

nicht zur Verfügung stehen. Wir gehen<br />

davon aus, dass Stammzellen nur noch<br />

pluripotent sind.“ Um die vielen Fragen<br />

der zellulären Entwicklungsbiologie zu<br />

klären, seien weitere intensive <strong>Forschung</strong>s<strong>an</strong>strengungen<br />

notwendig.<br />

Die DFG wartet ab<br />

Die Deutsche <strong>Forschung</strong>sgemeinschaft<br />

(DFG) hat ihre Entscheidung, ob die<br />

<strong>Forschung</strong> <strong>an</strong> hum<strong>an</strong>en embryonalen<br />

Stammzellen gefördert werden soll,<br />

nochmals vertagt. Eigentlich st<strong>an</strong>d die<br />

Beh<strong>an</strong>dlung des vor etwa einem Jahr<br />

gestellten Antrags der beiden Bonner<br />

Neuropathologen Priv.-Doz. Dr. med.<br />

Oliver Brüstle und Prof. Dr. med. Otmar<br />

Wiestler auf der Tagesordnung des<br />

DFG-Hauptausschusses am <strong>3.</strong> Juli. Auf<br />

Vorschlag des Präsidiums wurde die Debatte<br />

darüber aber abgesetzt. Über die<br />

Vergabe von Fördermitteln für die hu-<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

m<strong>an</strong>e embryonale Stammzellforschung<br />

soll nun bei der Sitzung am 7.Dezember<br />

entschieden werden – „spätestens“.<br />

Damit wird die DFG der Bitte des<br />

Nationalen Ethikrates gerecht, Zeit für<br />

die eigene Diskussion zu gewinnen. Sie<br />

wolle die von ihr gewünschte und selbst<br />

<strong>an</strong>gestoßene Diskussion nicht durch eine<br />

konkrete Förderentscheidung beeinflussen,<br />

heißt es in der Stellungnahme.<br />

Lieber wolle m<strong>an</strong> im Dezember auf der<br />

Basis der d<strong>an</strong>n geltenden Rechtslage<br />

ein Votum abgeben. Prof. Dr. Ernst-<br />

Ludwig Winnacker, Präsident der DFG,<br />

will abwarten. „Eile ist auch jetzt nicht<br />

geboten“, betonte er in Berlin. Ein Aufschub<br />

des Votums brächte keinen wesentlichen<br />

Schaden für die deutsche<br />

Wissenschaft. Der Nationale Ethikrat<br />

will sich in seiner nächsten Sitzung am<br />

27. September mit dem Thema befassen.<br />

Dies gab der Vorsitzende, Dr.<br />

Spiros Simitis, am 9. Juli in Berlin bek<strong>an</strong>nt.<br />

Der Rat wolle aber im Herbst<br />

keinem Entscheidungsgremium die<br />

Kompetenz abnehmen, sondern nur Argumente<br />

aufbereiten und der Regierung<br />

und dem Deutschen Bundestag<br />

zur Verfügung stellen, betonte Simitis.<br />

Die Forscher hingegen drängen. Die<br />

Entwicklung auf dem Gebiet der embryonalen<br />

Stammzellforschung schreite<br />

so schnell vor<strong>an</strong>,dass m<strong>an</strong> leicht den Anschluss<br />

verpassen könnte,warnte Brüstle<br />

(DÄ, Heft 24/2001). Einen Aufschub der<br />

DFG-Entscheidung hatte er bereits vor<br />

einem Monat befürchtet. Er betonte jedoch,<br />

dass er <strong>an</strong> einer offenen Diskussion<br />

und <strong>an</strong> einer tr<strong>an</strong>sparenten <strong>Forschung</strong><br />

interessiert sei. Deshalb habe er<br />

vor Beginn weiterer <strong>Forschung</strong>saktivitäten<br />

einen Antrag bei der DFG gestellt.<br />

Bisher hat Brüstle nur <strong>an</strong> embryonalen<br />

Stammzellen der Maus geforscht.<br />

„Es war gut, dass die Deutsche <strong>Forschung</strong>sgemeinschaft<br />

nicht vorzeitig Fakten<br />

geschaffen und den Förder<strong>an</strong>trag von<br />

Professor Brüstle zur <strong>Forschung</strong> <strong>an</strong> importierten<br />

Stammzellen bis zum Jahresende<br />

zurückgestellt hat“, lobte am 4. Juli<br />

Bundesk<strong>an</strong>zler Gerhard Schröder bei<br />

der DFG-Jahresversammlung 2001 in<br />

Berlin. „Gerade in dieser Frage, die wie<br />

kaum eine <strong>an</strong>dere das Selbstverständnis<br />

der Menschen berührt,brauchen wir eine<br />

offene und gewissenhafte Debatte sowie<br />

mehr Information und Aufklärung.“<br />

Deshalb habe er auch den Nationalen<br />

Ethikrat berufen. Allerdings solle dieser<br />

nicht stellvertretend für Politik und Gesellschaft<br />

abschließend und verbindlich<br />

entscheiden, die Diskussion könne auch<br />

nach seinem Votum kontrovers weitergeführt<br />

werden.<br />

Schröder bekräftigte, dass die Qualität<br />

der <strong>Forschung</strong> g<strong>an</strong>z wesentlich für<br />

die wirtschaftliche Entwicklung eines<br />

L<strong>an</strong>des sei. Ethische Fragen dürften<br />

nicht nach wirtschaftlichem Nutzen entschieden<br />

werden. Doch es sei klar, dass<br />

neue wissenschaftliche Erkenntnisse es<br />

erforderlich machen könnten, welt<strong>an</strong>schauliche<br />

Grundsätze neu zu bewerten.<br />

Das <strong>Embryonen</strong>schutzgesetz will<br />

Schröder derzeit jedoch nicht ändern.<br />

„Auf seiner Basis ist der Import embryonaler<br />

Stammzellen erlaubt“, erklärte<br />

er. „Das schafft hinreichende Sicherheit<br />

für unsere Forscher.“<br />

Embryonale Stammzellen<br />

bereits importiert<br />

Was nicht verboten ist, ist erlaubt – diesen<br />

Grundsatz nutzen einige Wissenschaftler.<br />

Sie haben hum<strong>an</strong>e embryonale<br />

Stammzellen bereits nach Deutschl<strong>an</strong>d<br />

importieren lassen, ohne dies bei<br />

der DFG zu be<strong>an</strong>tragen oder gar von<br />

ihr genehmigen zu lassen. Dies wurde<br />

wenige Tage vor der gepl<strong>an</strong>ten Entscheidung<br />

bek<strong>an</strong>nt.<br />

So bestätigten die Universitätskliniken<br />

in Lübeck, München und Köln, dass<br />

sie embryonale Stammzellen bei der<br />

Firma WiCell, USA, bestellt und von ihr<br />

erhalten haben. Die Wissenschaftler<br />

versicherten aber gleichzeitig, vor einer<br />

politischen Regelung in Deutschl<strong>an</strong>d<br />

nicht <strong>an</strong> diesen Zellen zu forschen.<br />

Auch die Kieler Universität pl<strong>an</strong>te, in<br />

den nächsten Wochen embryonale<br />

Stammzellen von der australischen Firmas<br />

ES Cell International zu importieren.<br />

Außer den gen<strong>an</strong>nten Universitäten<br />

ist derzeit nicht bek<strong>an</strong>nt, dass <strong>an</strong>dere<br />

Einrichtungen in Deutschl<strong>an</strong>d bereits<br />

embryonale Stammzelllinien erworben<br />

haben. Denkbar wäre dies jedoch.<br />

Weitere Import-Anträge lägen der<br />

DFG jedoch nicht vor, bestätigte Winnacker.<br />

Gleichzeitig betonte er jedoch,<br />

dass es jederm<strong>an</strong>n frei gestellt sei, embryonale<br />

Stammzellen zu importieren,<br />

105


da es sich dabei nicht um <strong>Embryonen</strong><br />

h<strong>an</strong>dele. Das <strong>Embryonen</strong>schutzgesetz<br />

würde in diesem Fall nicht greifen; die<br />

Forscher müssten demzufolge nicht einmal<br />

eine Gesetzeslücke nutzen. Für die<br />

Kontrolle des Import von embryonalen<br />

Stammzellen fühlt er sich nicht ver<strong>an</strong>twortlich:<br />

„Wir sind keine <strong>Forschung</strong>spolizei.“<br />

Der DFG-Präsident schlug<br />

deshalb vor, die Arbeit <strong>an</strong> embryonalen<br />

Stammzellen von einer unabhängigen<br />

Kommission überwachen zu lassen,<br />

ähnlich der Zentralen Kommission für<br />

biologische Sicherheit. Diese solle die<br />

Heft 33, 17. August 2001<br />

<strong>Embryonen</strong>schutz<br />

Die Eigenver<strong>an</strong>twortung von Patientinnen<br />

und Patienten ist in der<br />

Medizinethik ein maßgebendes<br />

Leitbild geworden. Voraussetzung dafür<br />

sind Aufklärung und Beratung, die<br />

in der Reproduktions- und Pränatalmedizin<br />

unter dem Aspekt des <strong>Embryonen</strong>schutzes<br />

einen besonders hohen<br />

Stellenwert besitzen. So wird in der gegenwärtig<br />

geführten Diskussion über<br />

eine Zulassung der Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

(<strong>PID</strong>) in Deutschl<strong>an</strong>d immer<br />

wieder auf das Erfordernis einer<br />

Pflichtberatung verwiesen. Die Ausein<strong>an</strong>dersetzung<br />

mit deren Inhalt droht dabei<br />

aber ebenso zu kurz zu kommen wie<br />

der Blick auf Defizite in vergleichbaren<br />

Konfliktsituationen.<br />

Hohe Anforderungen <strong>an</strong> die<br />

Qualität der Aufklärung<br />

Eine <strong>an</strong>gemessene Aufklärung ist notwendige<br />

Voraussetzung der rechtlich<br />

wirksamen Einwilligung von Patienten<br />

106<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

Rahmenbedingungen für den Import<br />

und die Arbeit <strong>an</strong> den Zellen festlegen<br />

und von einem Genehmigungsverfahren<br />

abhängig machen. Die DFG kümmere<br />

sich um die Anträge und die Einhaltung<br />

von wissenschaftlichen, ethischen<br />

und rechtlichen Grundlagen dieser<br />

Anträge. „Als Verteiler staatlicher<br />

Mittel zielt unser Einsatz darauf ab, die<br />

Stammzellforschung nicht in den privaten<br />

Sektor abzudrängen, sondern in der<br />

gebotenen Tr<strong>an</strong>sparenz stattfinden zu<br />

lassen“, betonte der DFG-Präsident.<br />

Gisela Klinkhammer/Dr. med. Eva A. Richter<br />

Keine Entscheidung ohne<br />

qualifizierte Beratung<br />

Bei Schw<strong>an</strong>gerschaftskonflikten nach pränataler Diagnostik<br />

und auch im Falle der Zulassung von Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

sind eine <strong>an</strong>gemessene Aufklärung sowie eine<br />

Pflichtberatung erforderlich.<br />

in eine diagnostische oder therapeutische<br />

ärztliche Intervention. Die Anforderungen<br />

<strong>an</strong> die Qualität der Aufklärung<br />

sind umso höher,<br />

– je folgenschwerer die Intervention<br />

sein k<strong>an</strong>n (im Sinne von Risiken sowie<br />

psychischen Belastungen für die Patientin<br />

oder den Patienten selbst, aber<br />

auch für vorgeburtliches menschliches<br />

Leben),<br />

– je größer der Entscheidungsspielraum<br />

ist (aufgrund der Möglichkeit, medizinisch,<br />

aber auch ethisch gleichr<strong>an</strong>gige<br />

oder zumindest erwägenswerte alternative<br />

Optionen in Anspruch zu nehmen),<br />

und<br />

– je komplexer und ferner vom jeweiligen<br />

intuitiven Vorverständnis der Ablauf<br />

und die möglichen Folgen der Intervention<br />

sind.<br />

Diesen Kriterien gemäß sind die Anforderungen<br />

<strong>an</strong> die Beratung in der Reproduktions-<br />

und Pränatalmedizin besonders<br />

hoch. Deshalb muss ärztliche<br />

Beratung in ihrem Umf<strong>an</strong>g, im Spektrum<br />

der vermittelten Inhalte und in der<br />

Qualifikation der Berater höchsten<br />

Maßstäben genügen. Sie bedarf spezifischer<br />

berufsrechtlicher Ver<strong>an</strong>kerung<br />

und einer entsprechend qualifizierenden<br />

Unterweisung. Ziel dieser Regelungen<br />

und ihrer praktischen Umsetzung muss<br />

es sein, bei den Ratsuchenden einen als<br />

Grundlage autonomer Entscheidungen<br />

hinreichenden Kenntnisst<strong>an</strong>d über die<br />

medizinischen Fakten, die möglichen sozialen<br />

Folgen sowie über die ethischen<br />

und rechtlichen Probleme zu vermitteln.<br />

Von zentraler Bedeutung ist dafür<br />

die Verpflichtung sowohl der auf diesem<br />

Gebiet tätigen medizinischen Einrichtungen,<br />

geeignete Beratungs<strong>an</strong>gebote<br />

sicherzustellen, als auch der Ratsuchenden,<br />

diese Angebote tatsächlich<br />

wahrzunehmen. Eine solche Pflichtberatung<br />

ist so auszugestalten, dass sie die<br />

Entscheidungsfreiheit der Frau und der<br />

Familie nicht einschränkt. Daher ist eine<br />

möglichst umfassende und zugleich<br />

ergebnisoffene Beratung erforderlich.<br />

Bei reproduktionsmedizinischen Fragen<br />

kommt einer solchen Beratung besonderes<br />

Gewicht zu, weil Entscheidungen<br />

für oder gegen diese Verfahren stets<br />

Dritte mitbetreffen, nämlich das ungeborene<br />

Leben und Angehörige.<br />

Diagnostik im reproduktionsmedizinischen<br />

Kontext geht über die übliche<br />

medizinische Diagnostik hinaus. Das bedeutet,<br />

dass nicht nur vor einer Diagnostik<br />

individuell beraten werden muss,<br />

sondern dass auch die Ergebnisse der<br />

Der Beitrag wurde von der Arbeitsgruppe<br />

„Reproduktionsmedizin und<br />

<strong>Embryonen</strong>schutz“ der Akademie für<br />

Ethik in der Medizin verfasst: Dr. theol.<br />

Markus Babo, M.A., Katholisches Pfarramt<br />

Gommiswald/Schweiz; Ass. jur. Urs Peter<br />

Böcher, Lehrstuhl für Strafrecht und Strafprozessrecht,<br />

Universität Mainz; Priv.-Doz. Dr.<br />

med. Wolfram Henn, Institut für Hum<strong>an</strong>genetik,<br />

Universität des Saarl<strong>an</strong>des; Prof. Dr. phil.<br />

Dipl.-Biol. Uwe Körner, Universitätsklinikum<br />

Charité, Humboldt-Universität zu Berlin; Prof.<br />

Dr. theol. Hartmut Kreß, Abt. Sozialethik,<br />

Ev<strong>an</strong>g.-Theol. Fakultät, Universität Bonn; Prof.<br />

Dr. sc. agr. H<strong>an</strong>s-Wilhelm Michelm<strong>an</strong>n, Frauenklinik,<br />

Universität Göttingen; Dr. med. M.A.<br />

phil. Fuat S. Oduncu, Medizinische Klinik, Klinikum<br />

der Universität München – Innenstadt, Dr.<br />

phil. Alfred Simon, Akademie für Ethik in der<br />

Medizin e.V.; Prof. Dr. jur. Christi<strong>an</strong>e Wendehorst,Abt.<br />

für Arzt- und Arzneimittelrecht, Juristisches<br />

Seminar, Universität Göttingen; Dipl.-<br />

Biol. Christa Wewetzer, Zentrum für Gesundheitsethik,<br />

Ev<strong>an</strong>gelische Akademie Loccum


Diagnostik <strong>an</strong>schließend in interpretierenden<br />

Beratungsgesprächen erörtert<br />

werden müssen [1].<br />

Derzeit ist noch nicht entschieden, ob<br />

in Deutschl<strong>an</strong>d die <strong>PID</strong> zugelassen wird.<br />

1. Für den Fall einer Zulassung nennt<br />

der Diskussionsentwurf der Bundesärztekammer<br />

(BÄK) [2] Mindestst<strong>an</strong>dards<br />

für die Beratung im Zusammenh<strong>an</strong>g mit<br />

der <strong>PID</strong>, die keinesfalls unterschritten<br />

werden dürfen. Gefordert ist in diesem<br />

Diskussionspapier die Beteiligung von<br />

Hum<strong>an</strong>genetikern und Gynäkologen<br />

am Beratungsprozess. Darüber hinaus<br />

muss auch psychosoziale und ethische<br />

Beratungskompetenz eingebracht werden.<br />

Zur Forderung des Entwurfs, in der<br />

Beratung als zur <strong>PID</strong> alternative H<strong>an</strong>dlungsoptionen<br />

zum Beispiel „Adoption<br />

oder Verzicht auf eigene Kinder“ und<br />

„im Falle einer Schw<strong>an</strong>gerschaft die<br />

Möglichkeit zur pränatalen Diagnostik“<br />

darzustellen, müssen als weitere Alternativen<br />

ergänzt werden: „Realisierung<br />

des Kinderwunsches im Bewusstsein des<br />

individuellen Risikos von Kindern des<br />

Paares für die in Rede stehende Kr<strong>an</strong>kheit“<br />

sowie „Möglichkeit der heterologen<br />

Fertilisation (Insemination beziehungsweise<br />

– falls künftig zugelassen –<br />

Eizellspende)“. Zudem müssen ethische,<br />

psychosoziale und rechtliche Aspekte<br />

der <strong>PID</strong> und der verfügbaren Alternativen<br />

thematisiert werden. Zu den ethischen<br />

Aspekten gehört der Sachverhalt,<br />

dass durch die Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

der embryonale Lebensschutz relativiert<br />

wird.<br />

Schutz<br />

von vorgeburtlichem Leben<br />

Die grundsätzlich zu fordernde Trias<br />

Beratung – Diagnostik – Beratung k<strong>an</strong>n<br />

im biologisch vorgegebenen engen zeitlichen<br />

Rahmen einer <strong>PID</strong> <strong>an</strong> praktische<br />

Grenzen stoßen. Umso umfassender<br />

müssen in der Beratung vor der <strong>PID</strong> die<br />

aus der künstlichen Befruchtung und<br />

der Diagnostik resultierenden H<strong>an</strong>dlungsoptionen<br />

erörtert werden.<br />

2. Für den Fall, dass die <strong>PID</strong> in<br />

Deutschl<strong>an</strong>d nicht zugelassen wird,<br />

muss die Tatsache berücksichtigt werden,<br />

dass für <strong>an</strong> Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

interessierte Paare Angebote<br />

im Ausl<strong>an</strong>d verfügbar sein werden. Da-<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

bei ist zu befürchten, dass <strong>an</strong> <strong>PID</strong> <strong>an</strong>bietenden,<br />

zum Teil privatwirtschaftlichen<br />

Einrichtungen im Ausl<strong>an</strong>d die als erforderlich<br />

<strong>an</strong>zusehende Beratungsqualität<br />

nicht immer gewährleistet sein wird.<br />

Insbesondere ethische Probleme und<br />

alternative H<strong>an</strong>dlungsoptionen zur<br />

<strong>PID</strong> werden oft nicht aufgezeigt.<br />

Deshalb muss auch für diesen Fall<br />

qualifizierten Beratungseinrichtungen<br />

die Möglichkeit eingeräumt werden,<br />

Paare mit dem Wunsch nach <strong>PID</strong> zu betreuen<br />

und ergebnisoffen zu beraten.<br />

Das setzt voraus, dass auch bei einem<br />

Verbot von <strong>PID</strong> Ärzte, die über <strong>PID</strong> im<br />

Ausl<strong>an</strong>d informieren und die Paare beraten,<br />

nicht von Strafe bedroht sein dürfen.<br />

Umgekehrt darf sich ein Arzt aber<br />

auch nicht dadurch strafbar oder haftbar<br />

machen, dass er dies unterlässt.<br />

Im Zuge der Reform des § 218 StGB<br />

ist die embryopathische Indikation für<br />

den Schw<strong>an</strong>gerschaftsabbruch abgeschafft<br />

worden. Die früher von der embryopathischen<br />

Indikation umfassten<br />

Problemstellungen sind seither faktisch<br />

in die medizinische Indikation aufgenommen<br />

worden. Dadurch sind für den<br />

Fall der pränatalen Diagnose einer<br />

Schädigung des ungeborenen Kindes<br />

keine spezifischen Beratungsverfahren<br />

gesetzlich vorgeschrieben. Die bestehenden<br />

Richtlinien zur pränatalen Diagnostik<br />

[3] sind offensichtlich nicht ausreichend,<br />

da in der Praxis nur wenige<br />

Schw<strong>an</strong>gere nach pathologischem Befund<br />

einer Pränataldiagnostik genetisch<br />

beraten werden.<br />

Weil von den Befürwortern der <strong>PID</strong><br />

die Pflichtberatung als eine Voraussetzung<br />

für deren Zulassung <strong>an</strong>gesehen<br />

wird, würde sich ohne eine gleichartige<br />

Beratung nach Pränataldiagnostik ein<br />

Wertungswiderspruch ergeben. Es wäre<br />

nicht nachvollziehbar, warum die Beratung<br />

als Instrument auch des Schutzes<br />

ungeborenen Lebens im Rahmen einer<br />

vorh<strong>an</strong>denen Schw<strong>an</strong>gerschaft einen<br />

niedrigeren Stellenwert haben sollte als<br />

präkonzeptionell. Zumal die Pränataldiagnostik,<br />

die zu einem sehr viel späteren<br />

Zeitpunkt als die <strong>PID</strong> stattfindet,<br />

Feten betrifft, welche mit Blick auf Gehirnbildung<br />

und Schmerzempfindung<br />

bereits weit entwickelt sind. Das moralische<br />

Anliegen des Schutzes von individuellem<br />

vorgeburtlichem Leben ist bei<br />

der Pränataldiagnostik insofern noch<br />

deutlicher als bei der <strong>PID</strong> berührt.Auch<br />

gegenüber der in § 218 a Abs. 1 StGB<br />

festgelegten „Fristenregelung mit Beratungspflicht“<br />

ist das Fehlen einer korrespondierenden<br />

Pflichtberatung in einem<br />

Schw<strong>an</strong>gerschaftskonflikt bei pränatal<br />

diagnostizierter zu erwartender<br />

Behinderung des ungeborenen Kindes<br />

als eine ethisch inakzeptable Benachteiligung<br />

behinderten Lebens <strong>an</strong>zusehen.<br />

Weiterhin zeigen sich im Zusammenh<strong>an</strong>g<br />

mit pränatalen Screeningtests, wie<br />

dem „Triple-Screening“, empfindliche<br />

Defizite in der Schw<strong>an</strong>gerenberatung.<br />

Diese Tests zielen auf eine Risikoerkennung<br />

für genetisch bedingte Schädigungen<br />

des ungeborenen Kindes, speziell<br />

Chromosomen<strong>an</strong>omalien. Da sie bei bestimmter<br />

Risiko<strong>an</strong>zeige eine invasive<br />

Pränataldiagnostik mit der Option des<br />

Schw<strong>an</strong>gerschaftsabbruchs nach sich<br />

ziehen, stehen sie beim Beratungsbedarf<br />

nicht der allgemeinen Schw<strong>an</strong>gerschaftsüberwachung,<br />

sondern der genetischen<br />

Pränataldiagnostik nahe. Folglich sind<br />

für diese Screeningtests <strong>an</strong>aloge Aufklärungsst<strong>an</strong>dards<br />

unabdingbar wie für<br />

die Pränataldiagnostik selbst. Insbesondere<br />

ist erforderlich,dass – entgegen verbreiteter<br />

Praxis – jede Schw<strong>an</strong>gere vor<br />

einem Screeningtest wie vor einer Pränataldiagnostik<br />

spezifisch über dessen<br />

medizinische und ethische Implikationen<br />

aufgeklärt werden muss und ihre<br />

Einwilligung schriftlich erklärt.<br />

In der politischen Realität ist auf allen<br />

Seiten große Zurückhaltung zu verspüren,<br />

den mühsam erarbeiteten Konsens<br />

zum § 218 StGB durch erneute Reformbemühungen<br />

aufs Spiel zu setzen.<br />

Dennoch machen die bestehenden Defizite<br />

in der Beratung im Zusammenh<strong>an</strong>g<br />

mit der Pränataldiagnostik und<br />

deren Inkonsistenz mit Prinzipien des<br />

<strong>Embryonen</strong>schutzes eine Diskussion<br />

notwendig, wie auch hier eine für Ärzte<br />

und Schw<strong>an</strong>gere verpflichtende Beratung<br />

<strong>an</strong>gemessener Qualität sichergestellt<br />

werden k<strong>an</strong>n.<br />

Beratung in zugelassenen<br />

Einrichtungen<br />

Eine Möglichkeit, dies ohne die keinesfalls<br />

<strong>an</strong>zustrebende Wiedereinführung<br />

einer embryopathischen Indikation<br />

zum Schw<strong>an</strong>gerschaftsabbruch zu errei-<br />

107


chen, wäre eine bescheinigungspflichtige<br />

problembezogene Schw<strong>an</strong>gerenkonfliktberatung<br />

auch vor Schw<strong>an</strong>gerschaftsabbrüchen<br />

aus medizinischer Indikation.<br />

Ohne eine solche Beratung<br />

sollte der Schw<strong>an</strong>gerschaftsabbruch nur<br />

d<strong>an</strong>n nicht rechtswidrig sein, wenn mit<br />

dem Aufschub durch die Beratung eine<br />

vitale Bedrohung für die Schw<strong>an</strong>gere<br />

verbunden wäre.<br />

Die Pflichtberatung zu medizinischen<br />

Schw<strong>an</strong>gerschaftskonflikten sollte<br />

hierfür zugelassenen Einrichtungen<br />

vorbehalten bleiben, die <strong>an</strong>gemessene<br />

Kompetenzen auf medizinischem, aber<br />

auch psychosozialem und ethischem<br />

Gebiet vorweisen können.<br />

Literatur<br />

1. Kommission für Öffentlichkeitsarbeit und ethische<br />

Fragen der Gesellschaft für Hum<strong>an</strong>genetik e.V.<br />

(1996): Positionspapier. Med. Genetik 8: 125–131.<br />

2. Bundesärztekammer: Diskussionsentwurf zu einer<br />

Richtlinie zur Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik. Dt Ärztebl<br />

2000; 97: A 525–528 [Heft 9].<br />

<strong>3.</strong> Bundesärztekammer: Richtlinien zur pränatalen Diagnostik<br />

von Kr<strong>an</strong>kheiten und Kr<strong>an</strong>kheitsdispositionen.<br />

Dt Ärztebl 1998; 95: A 3236–3242 [Heft 50].<br />

Anschrift für die Verfasser:<br />

Priv.-Doz. Dr. med. Wolfram Henn<br />

Institut für Hum<strong>an</strong>genetik, Universitätskliniken<br />

Bau 68, 66421 Homburg/Saar<br />

E-Mail: wolfram.henn@med-rz.uni-saarl<strong>an</strong>d.de<br />

Heft 37, 14. September 2001<br />

108<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

Heft 33, 17. August 2001<br />

Stammzellforschung<br />

„Ethik des Heilens“<br />

George W. Bush hat es sich nicht leicht<br />

gemacht mit seiner Einstellung zu<br />

menschlichen <strong>Embryonen</strong>. In einer<br />

Fernseherklärung schilderte er letzte<br />

Woche ausführlich seinen Meinungsbildungsprozess.<br />

„Ist ein Embryo im<br />

frühen Stadium bereits menschliches<br />

Leben?“, fragte sich der amerik<strong>an</strong>ische<br />

Präsident. Nach vielen Gesprächen mit<br />

Naturwissenschaftlern, Ärzten und<br />

Theologen kam er zu der Ansicht: „Jeder<br />

Embryo ist einzigartig wie eine<br />

Schneeflocke und besitzt das einzigartige<br />

genetische Potenzial zu einem individuellen<br />

menschlichen Wesen.“ Auch<br />

auf die Frage, ob m<strong>an</strong> <strong>Embryonen</strong> nicht<br />

für „höhere Zwecke“ benutzen dürfe,<br />

wenn sie doch in jedem Fall zerstört<br />

würden, habe er verschiedene Antworten<br />

erhalten. Bush verweist auf die moralischen<br />

Gefahren bei der <strong>Forschung</strong><br />

<strong>an</strong> embryonalen Stammzellen. In diesem<br />

Zusammenh<strong>an</strong>g sprach er sich entschieden<br />

gegen das Klonen von Menschen<br />

aus. Ohne moralisches Dilemma<br />

könne nur <strong>an</strong> Plazentazellen und <strong>an</strong><br />

Hum<strong>an</strong>ismusstreit<br />

adulten Stammzellen geforscht werden,<br />

was deshalb auch mit Bundesmitteln<br />

unterstützt werden soll.<br />

Wegen seiner zahlreichen Bedenken<br />

spricht sich Bush gegen eine <strong>Forschung</strong>sförderung<br />

mit gezüchteten Linien<br />

aus. Die <strong>Forschung</strong> <strong>an</strong> Experimenten<br />

mit bestehenden Linien embryonaler<br />

Stammzellen soll dagegen gefördert<br />

werden, „da die Entscheidung über Leben<br />

und Tod hier bereits vollzogen ist“.<br />

Nach Auskunft führender Wissenschaftler<br />

böten diese 60 Linien sehr<br />

gute Aussichten auf einen Durchbruch<br />

im Bereich der Entwicklung neuer<br />

Heilverfahren. Wie Bundesk<strong>an</strong>zler<br />

Gerhard Schröder ist er also Verfechter<br />

einer „Ethik des Helfens und Heilens.“<br />

Gemessen am Beschluss des diesjährigen<br />

Ärztetages in Ludwigshafen<br />

hätte Bushs (fauler) Kompromiss keinen<br />

Best<strong>an</strong>d. Dort hatten die Delegierten<br />

der Herstellung, dem Import und<br />

der Verwendung embryonaler Stammzellen<br />

(derzeit) eine eindeutige Absage<br />

erteilt. Gisela Klinkhammer<br />

Vom Überschreiten des Rubikon<br />

In der derzeitigen Debatte über medizinethische Fragen wird nicht nur über das<br />

Pro und Kontra von Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik und embryonaler Stammzellforschung,<br />

sondern auch über den Wert und die Würde menschlichen Lebens diskutiert.<br />

Vor etwa einem Jahr ging Prof. Dr.<br />

phil. Dr. h. c. mult. Wolfg<strong>an</strong>g Frühwald<br />

mit einem jungen amerik<strong>an</strong>ischen<br />

Juristen durch Berlin. Dieser habe<br />

ihm einen Kummer <strong>an</strong>vertraut, über<br />

den er offenkundig schon länger nachgedacht<br />

hatte.Er komme nicht über den<br />

Ged<strong>an</strong>ken hinweg, sagte er, dass seine<br />

Generation die letzte sein werde, die<br />

auf natürlichem Weg gezeugt worden<br />

war. Über diese Episode berichtet<br />

Frühwald, Präsident der Alex<strong>an</strong>der von<br />

Humboldt-Stiftung und früherer Präsident<br />

der Deutschen <strong>Forschung</strong>sgemeinschaft<br />

(DFG), in der jüngsten Ausgabe<br />

von „Wirtschaft & Wissenschaft“, der<br />

Zeitschrift des Stifterverb<strong>an</strong>des für die<br />

deutsche Wissenschaft. Er selbst hielt<br />

die Angst des jungen M<strong>an</strong>nes zunächst<br />

für „ein Produkt ausgedehnter Science-<br />

Fiction-Lektüre“. Inzwischen scheint<br />

sie ihm jedoch alles <strong>an</strong>dere als abwegig.<br />

In mehreren Beiträgen äußerte er seine<br />

Befürchtungen, die offenbar von einer<br />

Ansprache des Präsidenten der Max-<br />

Pl<strong>an</strong>ck-Gesellschaft zur Förderung der<br />

Wissenschaften, Prof. Dr. rer. nat. Hubert<br />

Markl, ausgelöst worden waren.<br />

Markl hatte sich bei der Hauptversammlung<br />

seiner Gesellschaft am 22. Juni<br />

gegen den Bundespräsidenten und die<br />

Auffassungen der beiden großen christlichen<br />

Kirchen gew<strong>an</strong>dt und dezidiert deren<br />

Welt<strong>an</strong>schauung widersprochen. Joh<strong>an</strong>nes<br />

Rau hatte sich in seiner Berliner<br />

Rede am 18. Mai für eine Beibehaltung


des <strong>Embryonen</strong>schutzgesetzes ausgesprochen.<br />

„Auch hochr<strong>an</strong>gige Ziele wissenschaftlicher<br />

<strong>Forschung</strong> dürfen nicht<br />

darüber bestimmen, ab w<strong>an</strong>n menschliches<br />

Leben geschützt werden soll“, sagte<br />

Rau. Für Markl dagegen ist eine „befruchtete<br />

Eizelle noch l<strong>an</strong>ge kein<br />

Mensch, jedenfalls nicht als eine naturwissenschaftlich<br />

begründete Tatsache; allenfalls<br />

d<strong>an</strong>n, wenn wir dem Begriff<br />

,Mensch‘ – und zwar durchaus willkürlich<br />

– eine g<strong>an</strong>z <strong>an</strong>dere Bedeutung zuweisen“.<br />

Jeder lebende Mensch gehöre zwar<br />

biologisch zur Art Homo sapiens. „Aber<br />

Menschlichkeit, Menschenwürde, ja<br />

recht eigentlich Menschsein ist mehr als<br />

dies Faktum, es ist eine kulturell-sozial<br />

begründete Attribution, die sich in der<br />

Begriffsbegründung zwar sehr wohl biologischer<br />

Fakten bedienen k<strong>an</strong>n, ja muss,<br />

die sich aber in ihnen nicht erschöpft.“<br />

Zwar müsse der „Umg<strong>an</strong>g mit Menschenembryonen<br />

<strong>an</strong>deren Normen unterworfen<br />

werden als der mit Mäuseembryonen“,<br />

doch der „Akt der Zuschreibung<br />

des vollgültigen Menschseins wird<br />

durchaus verschieden begründet“. Das<br />

sei auch der deutschen Rechtsprechung<br />

und Lebenspraxis alles <strong>an</strong>dere als<br />

fremd, sonst wäre nach Auffassung<br />

Markls die weitgehende rechtsfriedliche<br />

Regelung von Abtreibungen und die allgemein<br />

akzeptierte Verwendung von<br />

einnistungshemmenden Mitteln zur Geburtenkontrolle<br />

gar nicht möglich.<br />

Der Beschluss des britischen Gesetzgebers,<br />

<strong>Forschung</strong> <strong>an</strong> und mit menschlichen<br />

<strong>Embryonen</strong> und mit Zellkulturen<br />

aus solchen <strong>Embryonen</strong> bis hin zum therapeutischen<br />

Klonen in den ersten beiden<br />

Lebenswochen unter sorgfältig zu<br />

begründenden und kontrollierten Bedingungen<br />

freizugeben, bedeutet für<br />

Markl keine Verabschiedung Großbrit<strong>an</strong>niens<br />

aus der abendländischen<br />

Wertegemeinschaft. Dass „willkürliche<br />

Entscheidungen – wie jene der Dreimonatsgrenze<br />

in der Abtreibung – unvermeidlich<br />

sind, sollte bei genauerem<br />

Überlegen gerade als Ausdruck<br />

menschlicher Gewissensfreiheit und<br />

moralischer Ver<strong>an</strong>twortlichkeit gesehen<br />

werden“. In diesem Zusammenh<strong>an</strong>g bekennt<br />

sich Markl zur „Freiheit eines<br />

Nichtchristenmenschen“. Wenn es um<br />

bioethische Entscheidungen gehe, die<br />

vor allem Beginn und Ende des Lebens<br />

beträfen, müsse der Gewissens- und<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

H<strong>an</strong>dlungsfreiheit des einzelnen Menschen<br />

in einer freien Gesellschaft ein<br />

hoher R<strong>an</strong>g eingeräumt werden. „Damit<br />

ist nicht nur die Freiheit von Eltern,<br />

insbesondere von Müttern gemeint,<br />

sich, wenn Präimpl<strong>an</strong>tations- oder Pränataldiagnostik<br />

schwere Entwicklungsstörungen<br />

einer Leibesfrucht erwarten<br />

lässt, nach ärztlicher Beratung für oder<br />

gegen deren Austragen zu entscheiden.“<br />

Markl fühlt sich von „sozialethischen<br />

Argumenten“ der Art geschreckt, es<br />

könnte die Stimmung in der Bevölkerung<br />

für oder gegen Behinderte beeinflussen,<br />

wenn es Müttern frei überlassen<br />

werde, solche schweren Entscheidungen<br />

zu treffen. Dabei werde nämlich<br />

verk<strong>an</strong>nt, dass die meisten Behinderungen<br />

nicht <strong>an</strong>geboren seien. Selbst<br />

von den <strong>an</strong>geborenen Fällen könnten<br />

auch künftig viele keineswegs viel<br />

früher erk<strong>an</strong>nt werden. „An Behinderten<br />

wird es der Gesellschaft also bestimmt<br />

nicht m<strong>an</strong>geln.“<br />

Am Ende des Lebens treffe er ebenfalls<br />

seine Entscheidung als „freier<br />

selbst entscheidungsberechtigter Staatsbürger“.<br />

Ausdrücklich begrüßt Markl<br />

deshalb die niederländische Euth<strong>an</strong>asiegesetzgebung.<br />

Das holländische Parlament<br />

habe „den hohen Wert der Freiheit<br />

des Menschen, über sich selbst zu<br />

entscheiden, trotz aller Anfeindungen,<br />

mutig <strong>an</strong>erk<strong>an</strong>nt“.<br />

Innere Zerreißprobe<br />

Der Präsident der Max-Pl<strong>an</strong>ck-Gesellschaft<br />

stimmte auch den Empfehlungen<br />

der DFG zur <strong>Forschung</strong> <strong>an</strong> embryonalen<br />

Stammzellen vom <strong>3.</strong> Mai „aus voller<br />

Überzeugung zu“. In Anspielung auf die<br />

Rede Raus, der vor einem Überschreiten<br />

des Rubikon gewarnt hatte, sagte<br />

Markl: „Der Rubikon ist kein Fluss, jenseits<br />

dessen das Böse lauert; denn das<br />

Böse ist, wenn schon, d<strong>an</strong>n längst immer<br />

mitten in uns. Der Rubikon ist vielmehr<br />

ein Fluss, dem der Mensch ständig selber<br />

ein neues Flussbett bahnen muss,<br />

weil er das Vertraute vom Unentschlossenen<br />

trennt, und den wir deshalb nur<br />

wohlbedacht und mit Ver<strong>an</strong>twortung für<br />

unser H<strong>an</strong>deln überschreiten sollten.“<br />

Frühwald fühlte sich durch die Ausführungen<br />

Markls zu einer Erwiderung<br />

herausgefordert. Nach seiner Auffas-<br />

sung, die er in einem Interview mit der<br />

Zeitschrift „<strong>Forschung</strong> & Lehre“ darlegte,<br />

geht es bei der Diskussion über<br />

die <strong>Forschung</strong> <strong>an</strong> embryonalen Stammzellen<br />

„schon längst um viel mehr“. Es<br />

gehe nämlich um die Ausein<strong>an</strong>dersetzung<br />

zwischen einem „christlichen, zumindest<br />

k<strong>an</strong>ti<strong>an</strong>ischen Menschenbild<br />

auf der einen Seite und einem szientistischen,<br />

sozialdarwinistischen Menschenbild<br />

auf der <strong>an</strong>deren Seite“. Der ausgebrochene<br />

„Kulturkampf“ (oder „Hum<strong>an</strong>ismusstreit“,<br />

wie die Ausein<strong>an</strong>dersetzung<br />

inzwischen bezeichnet wird)<br />

werde so rasch nicht enden.<br />

Frühwald schlägt sich in diesem<br />

Streit unmissverständlich auf die Seite<br />

des „keineswegs forschungsfeindlichen<br />

Bundespräsidenten“. Dabei betont er,<br />

dass er die DFG mit ihrer Entscheidung<br />

nicht kritisiert, weil die <strong>Forschung</strong>sgemeinschaft<br />

vor einer inneren Zerreißprobe<br />

stehe. In Ländern, in denen<br />

zum Beispiel der Embryo in den ersten<br />

14 Tagen seiner Entwicklung keine<br />

menschliche Würde zugesprochen<br />

bekäme, sei auch „nicht die pure Barbarei<br />

ausgebrochen“. Im Unterschied<br />

zum therapeutischen Nihilismus des 19.<br />

Jahrhunderts, in dem das Experiment<br />

um des Experimentes willen gepflegt<br />

wurde, sei heute die medizinische<br />

Grundlagenforschung, auch und gerade<br />

im Bereich der Stammzellenforschung,<br />

auf therapeutische Ziele ausgerichtet.<br />

Allerdings sei die experimentelle<br />

Wissenschaft heute dabei, durch jeweils<br />

neu geschaffene Fakten die Grenzen<br />

immer weiter in ihrem Sinne hinauszuschieben<br />

und damit den Verdacht zu<br />

erwecken, die <strong>Forschung</strong>sfreiheit als<br />

einen absoluten Wert auch der Menschenwürde<br />

überzuordnen.<br />

Wiederholt werde als Argument für<br />

die <strong>Forschung</strong> <strong>an</strong> embryonalen Stammzellen<br />

die Internationalität der <strong>Forschung</strong><br />

ins Feld geführt. Doch dies ist<br />

nach Auffassung Frühwalds ein ausschließlich<br />

wirtschaftliches Argument:<br />

„Es geht um den Vorsprung im Wettbewerb,<br />

um Verwertungsinteressen.“<br />

Doch bei Fragen um Menschenwürde<br />

und Lebensdefinitionen könnten wirtschaftliche<br />

Interessen nicht die primär<br />

bestimmenden Interessen sein.<br />

Die Behauptung, weil die Gesellschaft<br />

die In-vitro-Fertilisation billige<br />

und damit „überzählige“ <strong>Embryonen</strong><br />

109


in Kauf nehme, dürfe jetzt auch <strong>an</strong> ihnen<br />

geforscht werden, bezeichnet<br />

Frühwald als „baren Utilitarismus“.<br />

An ihnen zu forschen bedeute, sie zu<br />

einem ihnen fremden Zweck zu instrumentalisieren.<br />

Das aber sei ein Verstoß<br />

gegen die menschliche Würde.<br />

Dr. theol. Wolfg<strong>an</strong>g Huber, ev<strong>an</strong>gelischer<br />

Bischof von Berlin-Br<strong>an</strong>denburg<br />

und Mitglied des Nationalen Ethikrats,<br />

teilt die Befürchtungen Frühwalds. „Wir<br />

stehen unausweichlich vor der Frage, <strong>an</strong><br />

welchen Grundsätzen wir uns orientieren<br />

wollen“, schrieb er Anf<strong>an</strong>g August<br />

in der Fr<strong>an</strong>kfurter Allgemeinen Zeitung.<br />

Seine Auffassung dazu ist: „Der<br />

Grundsatz der un<strong>an</strong>tastbaren Menschenwürde<br />

verpflichtet dazu, menschliches<br />

Leben insgesamt nicht zu instrumentalisieren;<br />

den Menschen auch in<br />

den frühesten Entwicklungsstufen des<br />

vorgeburtlichen Lebens niemals nur als<br />

Mittel zu fremden Zwecken einzusetzen.“<br />

Der Hinweis darauf, dass ein Embryo<br />

im Mutterleib vor der Nidation<br />

relativ schutzlos sei, sei keine Rechtfertigung<br />

dafür, dass der Forscher mit dem<br />

Embryo in der Petrischale machen dürfe,<br />

was ihm gefällt.<br />

Der Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik könne<br />

aus ethischen Gründen nicht zugestimmt<br />

werden, „weil sie gegen die Tendenz<br />

zu einer aktiven Vorselektion<br />

menschlichen Lebens nicht abzugrenzen<br />

ist“. Im Gegensatz zu Markl ist Huber<br />

der Ansicht, dass durch dieses<br />

Verfahren behindertem Leben nur ein<br />

geminderter Lebensschutz zuerk<strong>an</strong>nt<br />

werde. In der Frage der <strong>Forschung</strong> mit<br />

embryonalen Stammzellen bezieht der<br />

Theologe ebenfalls eine eindeutige Position:<br />

„Es k<strong>an</strong>n nicht nur um eine Abwägung<br />

der Menschenwürde gegen <strong>an</strong>dere<br />

Güter gehen.“ Wer heute der embryonalen<br />

Stammzellforschung zustimme,<br />

werde sich morgen dem therapeutischen<br />

Klonen nicht verweigern können.<br />

Und wer therapeutisches Klonen betreibe,<br />

habe den Weg zum reproduktiven<br />

Klonen bereits beschritten. Denen,<br />

die einen nächsten Schritt befürchten,<br />

werde beruhigend gesagt, einen solchen<br />

Schritt habe niem<strong>an</strong>d im Sinn. „Wird<br />

auch nicht im Nachhinein gesagt werden,<br />

,leider‘ habe m<strong>an</strong> zu einem früheren<br />

Zeitpunkt den ,Rubikon‘ überschritten,<br />

nun sei kein Halten mehr?“<br />

fragt Huber. Gisela Klinkhammer<br />

110<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

Heft 39, 28. September 2001<br />

Embryonale Stammzellforschung<br />

Unterschiedliche<br />

Wertvorstellungen<br />

Mit der internationalen Regelung der <strong>Forschung</strong><br />

<strong>an</strong> embryonalen Stammzellen beschäftigte<br />

sich unter <strong>an</strong>derem ein Symposium in H<strong>an</strong>nover.<br />

Möglichkeiten und Grenzen der<br />

Stammzellforschung – das war<br />

das Thema eines Hearings, das<br />

von der Stiftung Niedersachsen in<br />

Zusammenarbeit mit dem niedersächsischen<br />

L<strong>an</strong>dtag am 31. August und<br />

1. September ver<strong>an</strong>staltet wurde.Auf die<br />

Grenzen verwiesen und ethische Bedenken<br />

vorgebracht wurden vor allem bei<br />

der embryonalen Stammzellforschung.<br />

Zahlreiche Experten stellten aber dennoch<br />

deren Möglichkeiten heraus. Für<br />

unverzichtbar hält sie auch Privatdozent<br />

Dr. med. Oliver Brüstle (dazu DÄ, Heft<br />

24/2001). „Die <strong>Forschung</strong> <strong>an</strong> adulten<br />

wie auch <strong>an</strong> embryonalen Stammzellen<br />

ergänzt sich, es sind Felder, die sich befruchten<br />

und die zu Synergien führen“,<br />

so Brüstle.<br />

Brüstle und sein Institutsleiter Prof.<br />

Dr. med. Otmar Wiestler hatten bei<br />

der Deutschen <strong>Forschung</strong>sgemeinschaft<br />

(DFG) einen Projekt<strong>an</strong>trag gestellt, um<br />

<strong>an</strong> embryonalen Stammzellen forschen<br />

zu können, die sie aus dem Ausl<strong>an</strong>d importieren<br />

wollen. Die DFG hat ihre<br />

Entscheidung vorerst vertagt. Nach<br />

dem deutschen <strong>Embryonen</strong>schutzgesetz<br />

ist die Herstellung von Linien aus<br />

embryonalen Stammzellen verboten.<br />

Der Import ist jedoch wegen einer Gesetzeslücke<br />

erlaubt. Doch ob wirklich<br />

<strong>an</strong> importierten Zellen geforscht werden<br />

soll, ist umstritten.<br />

Auf europäischer Ebene gibt es in<br />

dieser Frage „unterschiedliche Wertvorstellungen“,<br />

sagte Dr. Octavi Quint<strong>an</strong>a<br />

Trias vom sp<strong>an</strong>ischen Gesundheitsministerium.<br />

Die Menschenrechtskonvention<br />

zu Biomedizin des Europarates<br />

verbiete die Erzeugung menschlicher<br />

<strong>Embryonen</strong> zu <strong>Forschung</strong>szwecken.<br />

In der Konvention werde je-<br />

doch nicht bestimmt, was ein Embryo<br />

sei, schränkte Prof. Dr. jur. Jochen Taupitz,<br />

M<strong>an</strong>nheim, ein. Die Grundrechtscharta<br />

der Europäischen Union verbiete<br />

lediglich das reproduktive, nicht jedoch<br />

das therapeutische Klonen. Und<br />

eine EU-Richtlinie, die therapeutisches<br />

und reproduktives Klonen verbietet,<br />

gebe es bisher nicht, so Quint<strong>an</strong>a Trias.<br />

Wenn ein L<strong>an</strong>d restriktiver sei als <strong>an</strong>dere,<br />

forderte er in Anspielung auf die<br />

Regelung in Deutschl<strong>an</strong>d, solle die Europäische<br />

Union nicht dem St<strong>an</strong>dard<br />

dieses restriktiven L<strong>an</strong>des folgen. Die<br />

Herstellung von <strong>Embryonen</strong> zu <strong>Forschung</strong>szwecken<br />

lehnt er allerdings ab.<br />

„Für <strong>Embryonen</strong>forschung sollte m<strong>an</strong><br />

nur <strong>Embryonen</strong> nehmen, die sowieso<br />

zerstört werden.“ In Europa gibt es<br />

nach seinen Angaben 250 000 bis<br />

300 000 so gen<strong>an</strong>nte überzählige <strong>Embryonen</strong>.<br />

In Sp<strong>an</strong>ien gebe es etwa<br />

37 000 „überzählige“ <strong>Embryonen</strong>, von<br />

denen rund 4 000 für Stammzelllinien<br />

verwendungsfähig seien.<br />

Bisher verfolgt Sp<strong>an</strong>ien ebenso wie<br />

Österreich ein Schutzkonzept, „dessen<br />

einschränkende Bestimmungen lediglich<br />

auf Befruchtungsverfahren ausgerichtet<br />

sind, sodass das darin enthaltene<br />

Klonierungsverbot den Zellkerntr<strong>an</strong>sfer<br />

von der Technik her nicht erfasst“,<br />

erläuterte Taupitz. In einigen Ländern<br />

umfasse das Klonierungsverbot von<br />

vornherein nur die Schaffung eines<br />

„vollständigen Menschen“. Das sei beispielsweise<br />

in Israel der Fall, wo erst die<br />

Geburt des Menschen als der entscheidende<br />

Einschnitt im Hinblick auf den<br />

vollen Menschenwürdeschutz <strong>an</strong>gesehen<br />

werde. In Australien, Dänemark,<br />

Großbrit<strong>an</strong>nien, Finnl<strong>an</strong>d und Schweden<br />

sei eine fremdnützige <strong>Forschung</strong>


von <strong>Embryonen</strong> auf die ersten 14 Tage<br />

der Entwicklung beschränkt. Andere<br />

Länder, wie Norwegen, Fr<strong>an</strong>kreich und<br />

die Schweiz, folgten dem deutschen<br />

Konzept, das die Erzeugung eines Embryos<br />

vom Beginn der Entwicklung <strong>an</strong><br />

verbiete. Während beispielsweise in<br />

Fr<strong>an</strong>kreich „liberalisierende Gesetzentwürfe<br />

auf dem Tisch liegen“, würden<br />

zum Beispiel in K<strong>an</strong>ada, Italien und in<br />

den USA Verschärfungen <strong>an</strong>gestrebt.<br />

Der US-amerik<strong>an</strong>ische Präsident<br />

George W. Bush hatte sich am 9.August<br />

dafür ausgesprochen, <strong>Forschung</strong> <strong>an</strong> vorh<strong>an</strong>denen<br />

Stammzelllinien mit Bundesmitteln<br />

zu unterstützen. Die Schaffung<br />

neuer Zelllinien oder gar das Klonen<br />

sollte jedoch nicht öffentlich<br />

gefördert werden. Diese Entscheidung<br />

wurde von Prof. Dr. Erich H. Loewy,<br />

University of California, Davis, scharf<br />

kritisiert: „Die Bushsche Lösung ist gar<br />

keine Lösung. Sie treibt die <strong>Forschung</strong><br />

in die Arme der Industrie.“ Und eine<br />

Kommerzialisierung von Stammzellen<br />

sei zutiefst unethisch.<br />

Grundsätzlich sprach sich Loewy für<br />

eine „evolutionäre Entwicklungsethik“<br />

aus und befürwortete die <strong>Forschung</strong> <strong>an</strong><br />

embryonalen menschlichen Stammzellen.Seiner<br />

Ansicht nach haben sie keine<br />

volle Schutzwürdigkeit: „Am Leben zu<br />

sein, bedeutet etwas <strong>an</strong>deres, als Leben<br />

zu haben.“ Gisela Klinkhammer<br />

Heft 41, 12. Oktober 2001<br />

Reproduktionsmedizin<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

Heft 40, 5. Oktober 2001<br />

Deutsche Bischofskonferenz<br />

Kein „Zellhaufen“<br />

Die Attentate von New York und Washington<br />

haben wohl nur kurzfristig<br />

das Thema Medizinethik in den Hintergrund<br />

treten lassen“, sagte der Vorsitzende<br />

der Deutschen Bischofskonferenz,<br />

Kardinal Karl Lehm<strong>an</strong>n, zu Beginn<br />

der diesjährigen Herbst-Vollversammlung<br />

der Deutschen Bischofskonferenz<br />

in Fulda. Es werde nicht mehr<br />

l<strong>an</strong>ge dauern, bis Nachrichten über<br />

neue Experimente eintreffen würden.<br />

Die Bischofskonferenz hielt es deshalb<br />

für erforderlich, sich intensiv mit<br />

den Themen Stammzellforschung, Beginn<br />

des menschlichen Lebens und<br />

Schutzwürdigkeit von <strong>Embryonen</strong> zu<br />

beschäftigen. Doch ist ihre Meinung<br />

überhaupt gefragt? Viel entscheidender<br />

scheint da beispielsweise die Empfehlung<br />

des Nationalen Ethikrats, der sich<br />

zurzeit damit beschäftigt, ob embryonale<br />

Stammzelllinien importiert werden<br />

und <strong>an</strong> ihnen geforscht werden darf.<br />

Doch das Gremium, bei dem Repräsent<strong>an</strong>ten<br />

der katholischen Kirche mit Wissenschaftlern,<br />

die einem Embryo in<br />

frühem Stadium keine volle Schutzwürdigkeit<br />

zubilligen, <strong>an</strong> einem Tisch sitzen,<br />

k<strong>an</strong>n sich nicht einigen und stellte<br />

zunächst lediglich fest: „Es gibt mehrere<br />

Meinungen zu diesem Thema.“ Dass<br />

es auch keine spezielle katholische Meinung<br />

gibt, räumte Kardinal Lehm<strong>an</strong>n<br />

ein. Dennoch können und wollen die<br />

Bischöfe richtungweisend sein. „Die<br />

Kirche sieht sich als Anwältin des Lebens<br />

und als Anwältin des Menschen.<br />

Wir haben in dieser öffentlichen Diskussion<br />

nur die ,Macht‘ unserer guten<br />

Argumente“, sagte der Vorsitzende der<br />

Bischofskonferenz.<br />

Und so heißt es in einem „orientierenden<br />

Text“ der katholischen Bischöfe:<br />

Embryologische <strong>Forschung</strong>en über<br />

die Vereinigung von Ei- und Samenzellen<br />

stützen die These, dass der Embryo<br />

kein „Zellhaufen“, sondern von Anf<strong>an</strong>g<br />

<strong>an</strong> Mensch ist und sich als solcher entwickelt.<br />

Versuche, eine abgestufte<br />

Schutzwürdigkeit zu begründen, seien<br />

ebenso zurückzuweisen wie Vorschläge,<br />

das Lebensrecht erst mit der Geburt beginnen<br />

zu lassen.<br />

Eine Außenseitermeinung ist diese<br />

Auffassung sicher nicht. Schließlich<br />

deckt sie sich auch mit dem (bisher<br />

noch) geltenden <strong>Embryonen</strong>schutzgesetz.<br />

Gisela Klinkhammer<br />

Fachgesellschaften für klare Regelungen<br />

Involvierte Ärzte fordern unter <strong>an</strong>derem die Zulassung der Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik,<br />

die Lockerung der restriktiven Embryokultur und die Schaffung einer<br />

zentralen Registrierungs- und Beratungsstelle für die assistierte Reproduktion.<br />

Für eine neue, umfassende rechtliche<br />

Regelung der Fortpfl<strong>an</strong>zungsmedizin<br />

haben sich in Bonn Vertreter verschiedener<br />

involvierter Fachgesellschaften<br />

ausgesprochen. Das erforderliche<br />

Fortpfl<strong>an</strong>zungsmedizingesetz sollte eine<br />

Liberalisierung in maßvollen Grenzen<br />

erlauben und speziell auch die weiten<br />

Bereiche regeln, in denen das <strong>Embryonen</strong>schutzgesetz<br />

Rechtsunsicherheit bie-<br />

tet, heißt es in einem Positionspapier, das<br />

von der Deutschen Gesellschaft für<br />

Gynäkologische Endokrinologie, der<br />

Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie<br />

und Geburtshilfe, der Deutschen Gesellschaft<br />

für Reproduktionsmedizin und<br />

dem Bundesverb<strong>an</strong>d Reproduktionsmedizinischer<br />

Zentren erarbeitet wurde.<br />

Ein zentraler Punkt hierbei sei die<br />

Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik, die nicht<br />

explizit verboten, aber auch nicht zulässig<br />

sei. Prof. Ricardo Felberbaum (Lübeck)<br />

und Dr. Michael Thaele (Saarbrücken)<br />

verdeutlichten das Dilemma<br />

von Ärzten und betroffenen Patienten:<br />

Wenn nach hum<strong>an</strong>genetischer Beratung<br />

klar ist, dass ein hohes Risiko für<br />

ein Kind mit schweren, nicht therapierbaren<br />

Erbkr<strong>an</strong>kheiten besteht, k<strong>an</strong>n<br />

das Paar entweder das Risiko einer<br />

111


Schw<strong>an</strong>gerschaft eingehen und im<br />

Zweifelsfall nach der Pränataldiagnostik<br />

eine Interruptio vornehmen lassen<br />

– oder ins Ausl<strong>an</strong>d reisen zur assistierten<br />

Fortpfl<strong>an</strong>zung und nur gesunde<br />

<strong>Embryonen</strong> tr<strong>an</strong>sferieren lassen.<br />

Eindeutigen Regelungsbedarf sehen<br />

die Fortpfl<strong>an</strong>zungsmediziner darüber<br />

hinaus bei der – für Ärzte und Patienten<br />

– rechtlich nicht ausreichend geklärten<br />

heterologen Insemination. Hier müssten<br />

unbedingt die Spender zentral registriert<br />

werden, um „Vielfachspender“<br />

auszuschließen. Darüber hinaus sind<br />

nach Auffassung der Experten auch eindeutige<br />

rechtliche Bestimmungen für<br />

die Tiefkühllagerung von Ovar- und<br />

Hodengewebe notwendig – ein Vorgehen,<br />

das zunehmend von jungen Krebspatientinnen<br />

und -patienten nachgefragt<br />

wird, die sich einer Therapie mit<br />

möglicherweise irreversibler Schädigung<br />

der Gonaden unterziehen müssen.<br />

Ein wesentliches Anliegen der unterzeichnenden<br />

Fachgesellschaften ist darüber<br />

hinaus die Schaffung einer zentralen,<br />

interdisziplinär besetzten Stelle zur<br />

Registrierung, Beratung und Prüfung<br />

aller Zentren, die Maßnahmen der assistierten<br />

Reproduktion vornehmen.<br />

Zentrale Stelle als Bundesamt<br />

Wie Prof. Fr<strong>an</strong>z Geisthövel (Freiburg)<br />

betonte, könnte diese zentrale Stelle als<br />

Bundesamt eingerichtet werden oder<br />

bei der Bundesärztekammer oder einer<br />

<strong>an</strong>deren unabhängigen Institution <strong>an</strong>gesiedelt<br />

sein. Es sollte sich um eine unabhängige<br />

Einrichtung nach dem Vorbild<br />

der Hum<strong>an</strong> Fertilization <strong>an</strong>d Embryology<br />

Authority in Engl<strong>an</strong>d h<strong>an</strong>deln,<br />

die durch Tr<strong>an</strong>sparenz auch die<br />

Vertrauensbildung in der Gesellschaft<br />

stärkt. Unter der Leitung eines Nicht-<br />

(Fortpfl<strong>an</strong>zungs-)Mediziners, so die Vorstellungen,<br />

könnten Anfragen oder Klagen<br />

von Patienten be<strong>an</strong>twortet, aber<br />

auch neue wissenschaftliche Konzepte<br />

beurteilt und Studien initiiert werden.<br />

Darüber hinaus müsste die Institution<br />

Kontrollen der Zentren – und auch<br />

S<strong>an</strong>ktionen – ver<strong>an</strong>lassen können.<br />

Aus medizinisch-wissenschaftlicher<br />

Sicht notwendig ist nach Ansicht der Experten<br />

eine Lockerung der restriktiven<br />

Maßgaben zur Embryokultur: Im Aus-<br />

112<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

l<strong>an</strong>d können Reproduktionsmediziner<br />

deutlich höhere Erfolge bei IVF und<br />

ICSI erzielen, weil sie mehr <strong>Embryonen</strong><br />

her<strong>an</strong>wachsen lassen bis zum Blastozystenstadium<br />

(Tag fünf) und aus dem<br />

„Pool“ nur die zwei für den aktuell <strong>an</strong>stehenden<br />

Tr<strong>an</strong>sfer verwenden, die aus<br />

morphologischen Kriterien das höchste<br />

Impl<strong>an</strong>tationspotenzial besitzen. Die<br />

Schw<strong>an</strong>gerschaftsraten sind bei diesem<br />

Vorgehen etwa doppelt so hoch wie<br />

hierzul<strong>an</strong>de. Bei der längeren Kultivierung<br />

tritt allerdings eine natürliche Auslese<br />

auf: Nur etwa die Hälfte der <strong>Embryonen</strong><br />

entwickelt sich aufgrund von<br />

Chromosomen<strong>an</strong>omalien oder <strong>an</strong>derer<br />

Defekte bis zum erwünschten Stadium.<br />

Da hierzul<strong>an</strong>de nur drei <strong>Embryonen</strong><br />

her<strong>an</strong>wachsen dürfen, sind den Reproduktionsmedizinern<br />

„die Hände gebunden“<br />

– es bliebe oft nichts zum Auswählen<br />

übrig. Wenn diese „Dreier-Regel“<br />

abgeschafft wird, müsste gleichzeitig<br />

die Möglichkeit eingeräumt werden,<br />

auch <strong>Embryonen</strong> für einen späteren<br />

Tr<strong>an</strong>sfer tiefzufrieren, erläuterte Prof.<br />

Wolfg<strong>an</strong>g Würfel (München). Werden<br />

Heft 43, 26. Oktober 2001<br />

Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

Anf<strong>an</strong>g ohne Ende<br />

Ob sich die <strong>PID</strong> auf einige Indikationen<br />

begrenzen lässt, bleibt umstritten.<br />

Dass sich die Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

(<strong>PID</strong>) nicht auf wenige<br />

Paare beschränken lässt, befürchten<br />

<strong>PID</strong>-Gegner. Dass diesen Paaren<br />

endlich die Möglichkeit gegeben werden<br />

müsse, ein gesundes Kind zu bekommen,<br />

meinen hingegen die Befürworter.<br />

Die Debatte um die <strong>PID</strong> erhält neue<br />

Aktualität, denn die FDP-Fraktion<br />

stellte dieser Tage einen Gesetzentwurf<br />

zur Regelung der Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

vor. Darin fordert sie, das <strong>Embryonen</strong>schutzgesetz<br />

zu ändern und die<br />

<strong>PID</strong> „nach eingehender Beratung und<br />

positivem Votum einer Ethikkommission“<br />

zu gestatten – wenn die Eltern eine<br />

Ver<strong>an</strong>lagung für eine schwerwiegende<br />

Erbkr<strong>an</strong>kheit in sich tragen.<br />

diese d<strong>an</strong>n nicht benötigt, sollte das<br />

Paar sie als Alternative zur Vernichtung<br />

bei einem ernst genommenen <strong>Embryonen</strong>schutz<br />

d<strong>an</strong>n auch zur Adoption freigeben<br />

können. Auch in diesem Punkt<br />

besteht heute Rechtsunsicherheit, da<br />

das ESchG zwar die Eizellspende verbietet<br />

– was in der heutigen Situation<br />

neu zu überdenken sei –, nicht jedoch<br />

die <strong>Embryonen</strong>spende.<br />

Eindeutig traten die Reproduktionsmediziner<br />

Befürchtungen entgegen, wonach<br />

sich in den Tiefkühltruhen schon<br />

heute über 5 000 <strong>Embryonen</strong> befinden<br />

sollen. Felberbaum n<strong>an</strong>nte Daten aus<br />

den IVF-Zentren: Von 1988 bis 2000<br />

sind 406 <strong>Embryonen</strong> von 170 Paaren<br />

tiefgefroren worden, wobei inzwischen<br />

mehr als drei Viertel der Paare (141) bereits<br />

335 <strong>Embryonen</strong> wieder tr<strong>an</strong>sferiert<br />

wurden.Auf Eis liegen demnach derzeit<br />

71 <strong>Embryonen</strong> von 29 Paaren. Bisher<br />

können <strong>Embryonen</strong> nur in Ausnahmefällen<br />

eingefroren werden – etwa wegen<br />

einer Erkr<strong>an</strong>kung oder eines Unfalls<br />

der Frau zum Zeitpunkt des gepl<strong>an</strong>ten<br />

Tr<strong>an</strong>sfers. Dr. Renate Leinmüller<br />

Doch in diesem Punkt sehen die <strong>PID</strong>-<br />

Gegner die größten Probleme. „Die <strong>PID</strong><br />

wird sich nicht begrenzen lassen.Das war<br />

auch bei der Pränataldiagnostik bereits<br />

nicht möglich“, betonte Marion Brüssel,<br />

L<strong>an</strong>desvorsitzende des Berliner Hebammenverb<strong>an</strong>des,<br />

bei der Anhörung des<br />

Bundestagsausschusses für Familie, Senioren,<br />

Frauen und Jugend am 17. Oktober<br />

in Berlin, die parallel zur Vorstellung<br />

des FDP-Gesetzentwurfs stattf<strong>an</strong>d.Sachverständige<br />

– hauptsächlich Frauen – diskutierten<br />

dabei „Pränatal- und Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik“<br />

weniger aus ethischer<br />

oder medizinischer, sondern aus<br />

frauenspezifischer Sicht.<br />

Es sei nicht möglich, einem Paar die<br />

<strong>PID</strong> zu gestatten und einem <strong>an</strong>deren zu


verweigern, betonte Dr. med. Astrid<br />

Bühren, Präsidentin des Deutschen<br />

Ärztinnenbundes. Letztlich werde jede<br />

Form von „Belastung“ für die Familie<br />

als ausreichender Grund für die <strong>PID</strong><br />

akzeptiert werden müssen. „Indikationslisten<br />

werden bald erweitert und<br />

d<strong>an</strong>n g<strong>an</strong>z abgeschafft werden. Die <strong>PID</strong><br />

wird zu einem weit verbreiteten Phänomen<br />

werden, das sich auf die gesamte<br />

Gesellschaft auswirkt“, befürchtet<br />

Bühren. „Ihre Anwendung wird zu einer<br />

Pflicht der Betroffenen gegenüber<br />

der Allgemeinheit werden.“<br />

Frauen wollen<br />

Sicherheit<br />

Dr. med. Barbara Dennis vom Arbeitskreis<br />

Frauengesundheit in Medizin,<br />

Psychotherapie und Gesellschaft e.V.<br />

beobachtet als Gynäkologin einen<br />

„Perfektions<strong>an</strong>spruch“ bei den Schw<strong>an</strong>geren.<br />

Sie würden lieber mehr Untersuchungen<br />

als weniger in Anspruch nehmen.<br />

Der eigenen Wahrnehmung der<br />

Schw<strong>an</strong>gerschaft würden sie dabei fast<br />

nicht mehr trauen, berichtete sie. Diese<br />

sei verstärkt durch die Angst vor einem<br />

behinderten Kind geprägt, bekräftigte<br />

auch Claudia Heinkel vom Diakonischen<br />

Werk der Ev<strong>an</strong>gelischen Kirche.<br />

„Frauen erleben den Einsatz der Technik<br />

zwar ambivalent, aber erst nach<br />

mehreren Untersuchungen mit normalem<br />

Befund können sie die Schw<strong>an</strong>gerschaft<br />

ruhig fortsetzen.“ Für sie steht<br />

fest: „Gibt es erst die <strong>PID</strong>, wird sie auch<br />

<strong>an</strong>gewendet.“<br />

Ein Verbot hält die FDP-Fraktion<br />

für verfassungsrechtlich bedenklich.<br />

Es stehe im Widerspruch zum Recht<br />

der Frau, die Schw<strong>an</strong>gerschaft nach<br />

Pränataldiagnostik und bei Vorliegen<br />

einer medizinischen Indikation abzubrechen.<br />

Um eine rechtliche Grundlage<br />

für die betroffenen Paare und Ärzte zu<br />

schaffen, müsse das <strong>Embryonen</strong>schutzgesetz<br />

geändert werden, fordern<br />

die Liberalen. Bisher ist umstritten, ob<br />

dieses die <strong>PID</strong> zulässt. Ihr Papier<br />

schickte die FDP <strong>an</strong> Bundestagsabgeordnete<br />

<strong>an</strong>derer Fraktionen, die als<br />

Befürworter der <strong>PID</strong> bek<strong>an</strong>nt sind.<br />

Bald will sie einen fraktionsübergreifenden<br />

Gesetzentwurf in den Bundestag<br />

einbringen. ER<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

Heft 47, 2<strong>3.</strong> November 2001<br />

Stammzellen-Import<br />

Signal auf Stopp<br />

Eine so deutliche Entscheidung war<br />

nicht zu erwarten gewesen. 17 der 24<br />

<strong>an</strong>wesenden Mitglieder der Enquete-<br />

Kommission „Recht und Ethik der modernen<br />

Medizin“ des Deutschen Bundestages<br />

sprachen sich gegen einen Import<br />

von menschlichen embryonalen<br />

Stammzellen zu <strong>Forschung</strong>szwecken<br />

aus. Auf ein Mehrheits- und Minderheitsvotum<br />

verzichtete die Kommission.<br />

Da es sich um eine Gewissensfrage<br />

h<strong>an</strong>dele, wolle sie den Bundestagsabgeordneten<br />

nicht raten, wie sie sich bei<br />

der wegen Terminschwierigkeiten auf<br />

J<strong>an</strong>uar verschobenen Debatte entscheiden<br />

sollen, sagte die Vorsitzende<br />

der Kommission, Margot von Renesse<br />

(SPD).<br />

Ein Stopp-Signal ist der abwägende<br />

Bericht der Enquete-Kommission jedoch<br />

allemal. Die 17 Import-Gegner<br />

meinen, dass der Bundestag und die<br />

Bundesregierung alle Möglichkeiten<br />

ausschöpfen sollten, um die Einfuhr<br />

von embryonalen Stammzell-Linien zu<br />

verhindern. Lediglich sieben Kommissionsmitglieder<br />

bezweifeln, dass ein<br />

vollständiges Import-Verbot verfassungs-<br />

und europarechtlich begründet<br />

Heft 48, 30. November 2001<br />

Stammzellen-Import<br />

werden k<strong>an</strong>n. Sie plädieren dafür, den<br />

Import unter engen Voraussetzungen,<br />

beispielsweise unter Kontrolle einer<br />

staatlichen Behörde, zu tolerieren. Einig<br />

ist sich die Kommission, dass das<br />

derzeitige <strong>Embryonen</strong>schutzgesetz<br />

beibehalten werden muss.<br />

Ihre Entscheidung wollen einige<br />

Mitglieder der Enquete-Kommission<br />

auch als Aufforderung <strong>an</strong> die Deutsche<br />

<strong>Forschung</strong>sgemeinschaft (DFG) verst<strong>an</strong>den<br />

wissen, den Abstimmungstermin<br />

über den Antrag von Prof. Dr. med.<br />

Oliver Brüstle nochmals zu verschieben<br />

und die Debatte des Bundestages<br />

abzuwarten. Noch stehe der 7. Dezember<br />

als Termin, <strong>an</strong> dem sich der DFG-<br />

Hauptausschuss entscheiden wolle, erklärte<br />

eine Sprecherin der DFG. Eine<br />

nochmalige Verschiebung sei zwar<br />

denkbar, aber ungewiss.<br />

Definitiv noch Ende November will<br />

der vom Bundesk<strong>an</strong>zler eingesetzte Nationale<br />

Ethikrat seine Entscheidung vorlegen.<br />

Dessen Mitglieder gelten mehrheitlich<br />

als Befürworter des Stammzell-<br />

Imports. Doch auch der Rat will die Entscheidung<br />

der Enquete-Kommission<br />

berücksichtigen. Dr. med. Eva A. Richter<br />

Druck von allen Seiten<br />

Die Deutsche <strong>Forschung</strong>sgemeinschaft wird ihre Entscheidung<br />

vermutlich nochmals vertagen. Doch die Forscher drängen.<br />

Reine Verzögerungstaktik“ nennt<br />

Prof. Dr. med. Oliver Brüstle das<br />

nochmalige Verschieben der Entscheidungen<br />

über den Import von embryonalen<br />

Stammzellen. Mit seiner Einschätzung<br />

mag der Bonner Neuropathologe<br />

und Stammzellforscher<br />

Recht behalten. Denn trotz aller<br />

ethisch-moralischen Einwände scheint<br />

die (gesellschaftlich gebilligte) <strong>Forschung</strong><br />

<strong>an</strong> menschlichen embryonalen<br />

Stammzellen in Deutschl<strong>an</strong>d nur noch<br />

eine Frage der Zeit zu sein.<br />

Brüstle ist optimistisch und dennoch<br />

frustriert. Bereits vor eineinhalb Jahren<br />

hatte er bei der Deutschen <strong>Forschung</strong>sgemeinschaft<br />

(DFG) be<strong>an</strong>tragt, menschliche<br />

embryonale Stammzellen zu importieren.<br />

„Während unsere Diskussion<br />

über den Import festzufahren scheint,<br />

wird im Ausl<strong>an</strong>d emsig <strong>an</strong> embryonalen<br />

Stammzellen geforscht“, kritisierte er<br />

113


ei einer Diskussionsver<strong>an</strong>staltung der<br />

Berliner Medizinischen Gesellschaft am<br />

21. November. In den USA sei inzwischen<br />

eine internationale Stammzell-<br />

B<strong>an</strong>k eingerichtet worden, die den Austausch<br />

der Zelllinien koordiniere. Auch<br />

die Europäische Union stelle mittlerweile<br />

Fördergelder zur Verfügung.<br />

Brüstle drängt auf die Entscheidung<br />

der Deutschen <strong>Forschung</strong>sgemeinschaft.<br />

Er müsse endlich wissen, wor<strong>an</strong> er wäre.<br />

Auf Bitte der Politik hatte die DFG diese<br />

bereits zweimal verschoben, zuletzt auf<br />

den 7. Dezember. Jetzt ist ein weiterer<br />

Aufschub im Gespräch, nämlich auf die<br />

nächste Sitzung des Hauptausschusses<br />

am 31. J<strong>an</strong>uar. Ein Brief des DFG-Präsidenten<br />

Prof. Dr. Ernst-Ludwig Winnacker<br />

ging in diesen Tagen <strong>an</strong> die Mitglieder<br />

des Hauptausschusses, in dem er<br />

empfiehlt, einer nochmaligen Vertagung<br />

zuzustimmen. Doch so l<strong>an</strong>ge will Brüstle<br />

nicht mehr warten. „Meiner Meinung<br />

nach muss die DFG noch in diesem Jahr<br />

klar Stellung beziehen“, sagte Brüstle<br />

gegenüber der Fr<strong>an</strong>kfurter Rundschau.<br />

„Das könnte so aussehen, dass sie meinem<br />

Antrag zustimmt,aber das Anlaufen<br />

der <strong>Forschung</strong>sförderung verschiebt bis<br />

nach der Bundestagsdebatte.“<br />

Eine Alternative wäre die Stammzellforschung<br />

im privaten Sektor, deutet<br />

Brüstle <strong>an</strong>. Dies führe jedoch zu weniger<br />

Kontrolle und Tr<strong>an</strong>sparenz. Dass<br />

das tatsächlich so ist, zeigt das jüngste<br />

Beispiel aus den USA: Ein amerik<strong>an</strong>isches<br />

Biotechnik-Unternehmen hat jetzt<br />

erstmals menschliche <strong>Embryonen</strong> geklont.<br />

Präsident George W. Bush hatte<br />

im Sommer zwar die <strong>Forschung</strong> <strong>an</strong> existierenden<br />

Zelllinien befürwortet, sich<br />

aber gegen das Klonen ausgesprochen.<br />

Eine entsprechende Gesetzesvorlage<br />

wird derzeit vom US-Senat erarbeitet.<br />

Die DFG und ihr Präsident stehen<br />

unter Druck – und das gleich von mehreren<br />

Seiten. Die <strong>Forschung</strong>sgemeinschaft<br />

werde vorgeführt, die wissenschaftliche<br />

Selbstverwaltung geschwächt, meinen<br />

Brüstle und weitere Forscher. Andererseits<br />

k<strong>an</strong>n Winnacker schwerlich die<br />

Bitte von Bundestagspräsident Wolfg<strong>an</strong>g<br />

Thierse sowie mehreren Abgeordneten<br />

des Deutschen Bundestages, die<br />

Entscheidung zu vertagen, ignorieren.<br />

„Wir haben den Schwarzen Peter zugeschoben<br />

bekommen“, sagte er der Wochenzeitung<br />

„Die Zeit“. Der Politik<br />

114<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

stellt Winnacker ein Ultimatum. Die<br />

DFG benötige eine feste Zusage, dass<br />

sich der Bundestag tatsächlich während<br />

der Sitzungswoche Ende J<strong>an</strong>uar entscheide,<br />

betonte der DFG-Präsident.<br />

„Wenn sich <strong>an</strong>bahnt, dass keine Debatte<br />

stattfindet, aus welchen Gründen auch<br />

immer, d<strong>an</strong>n ist das für uns ein g<strong>an</strong>z klares<br />

Signal, zu h<strong>an</strong>deln.“ Winnacker lässt<br />

keinen Zweifel, wie die DFG-Entscheidung<br />

ausfallen wird: „Der Import ist<br />

rechtlich nicht verboten.“<br />

Rückendeckung erhält die DFG von<br />

Bundesforschungsministerin Edelgard<br />

Bulmahn. Sie will den Import embryonaler<br />

Stammzellen unter strengen Auflagen<br />

erlauben. So sollen nur Zelllinien<br />

aus „überzähligen“ <strong>Embryonen</strong> verwendet<br />

werden, deren Herkunft eindeutig<br />

belegbar ist und deren Spender<br />

ihr Einverständnis gegeben haben.<br />

Die DFG hat sich bereits im Mai für<br />

die <strong>Forschung</strong> <strong>an</strong> embryonalen Stammzellen<br />

ausgesprochen. Sie befürwortet<br />

grundsätzlich sowohl den Import als<br />

auch – wenn es nötig sein sollte – die<br />

Herstellung von embryonalen Stammzelllinien.<br />

Vorerst wolle m<strong>an</strong> sich auf<br />

die <strong>Forschung</strong> <strong>an</strong> importierten Zellen<br />

Heft 49, 7. Dezember 2001<br />

Stammzellforschung<br />

Perfektes<br />

Timing<br />

Wenn der Deutsche Bundestag am<br />

30. J<strong>an</strong>uar des nächsten Jahres darüber<br />

entscheidet, ob der Import embryonaler<br />

Stammzellen verboten oder<br />

zugelassen sein soll, d<strong>an</strong>n werden ihm<br />

die diversen Expertenaussagen kaum<br />

aus der Verlegenheit helfen. Er, der Gesetzgeber,<br />

ist am Zuge.<br />

Der Nationale Ethikrat hat sich für<br />

einen Import ausgesprochen, die Enquete-Kommission<br />

„Recht und Ethik<br />

der modernen Medizin“ des Bundestages<br />

hat zwei Modelle gegenein<strong>an</strong>der gestellt.<br />

Modell A läuft auf ein Verbot des<br />

Imports hinaus, Modell B auf eine Tolerierung.<br />

Der Nationale Ethikrat, jenes von<br />

Bundesk<strong>an</strong>zler Schröder eingerichtete<br />

beschränken, erklärt sie. Doch die zweite<br />

Option könnte in naher Zukunft zur<br />

Debatte stehen. Untersuchungen haben<br />

nämlich inzwischen ergeben, dass<br />

von den weltweit 72 verfügbaren Zelllinien<br />

nur 20 den Kriterien <strong>an</strong> eine<br />

pluripotente Stammzelllinie genügen.<br />

Zudem ist nicht zu erwarten, dass die<br />

Forscher l<strong>an</strong>gfristig wissenschaftlich<br />

und kommerziell von <strong>an</strong>deren Staaten<br />

abhängig sein wollen.<br />

Auch das Votum des Nationalen<br />

Ethikrates steht noch aus. Er wollte sich<br />

ursprünglich am 21. November äußern.<br />

Doch die Meinungen der 25 Mitglieder<br />

zu dieser Frage seien konträr, sagte eine<br />

Sprecherin. Die Entscheidung sei<br />

deshalb auf den 29. November vertagt<br />

worden. Vermutlich wird der Rat<br />

mehrheitlich für den Import von<br />

menschlichen embryonalen Stammzellen<br />

votieren. Insider gehen sogar<br />

von einer Zweidrittelmehrheit innerhalb<br />

des von Bundesk<strong>an</strong>zler Gerhard<br />

Schröder eingesetzten Gremiums aus.<br />

Die Enquete-Kommission des Deutschen<br />

Bundestages hatte sich mehrheitlich<br />

gegen den Stammzellen-Import<br />

ausgesprochen. Dr. med. Eva A. Richter<br />

Gremium, hatte mit knapper Mehrheit<br />

am 29. November den Import befürwortet,<br />

unter allerlei Auflagen und mit einer<br />

Befristung bis Ende 200<strong>3.</strong> Das öffentliche<br />

Echo war widersprüchlich, widersprüchlich<br />

auch quer durch die Parteien.<br />

Der Präsident der Bundesärztekammer<br />

sprach sich dafür aus, zunächst <strong>an</strong>dere<br />

<strong>Forschung</strong>srichtungen einzuschlagen<br />

und nur, wenn diese zu keinen befriedigenden<br />

Ergebnissen führten, die <strong>Forschung</strong><br />

<strong>an</strong> importierten embryonalen<br />

Stammzellen in Erwägung zu ziehen.<br />

Wenige Tage bevor der Nationale<br />

Ethikrat sein Votum abgab, am<br />

2<strong>3.</strong> November, hatte die Zentrale Ethikkommission<br />

bei der Bundesärztekammer<br />

gleichfalls votiert. Sie kam ebenfalls<br />

zu der Empfehlung, den Import unter<br />

Kautelen zuzulassen (Wortlaut in<br />

diesem Heft). M<strong>an</strong> darf davon ausgehen,dass<br />

die Stellungnahme der Zentralen<br />

Ethikkommission Schröders Ethikrat<br />

inhaltlich vorlag und die <strong>an</strong>gestrebte<br />

Rolle spielte. Die Kommission hatte zuletzt<br />

mit Hochdruck <strong>an</strong> ihrer Stellung-


nahme gearbeitet und das perfekte Timing<br />

schließlich erreicht.<br />

Die Zentrale Ethikkommission ist<br />

<strong>an</strong>gesiedelt bei der Bundesärztekammer,<br />

in ihrer Arbeit jedoch von dieser<br />

unabhängig. Ihre Stellungnahme k<strong>an</strong>n<br />

nicht als Bundesärztekammervotum<br />

zugunsten des <strong>Embryonen</strong>imports gewertet<br />

werden; sie steht auch nicht im<br />

Einkl<strong>an</strong>g mit der Meinungsbildung des<br />

Deutschen Ärztetages.<br />

In der Ged<strong>an</strong>kenführung stimmen<br />

die Empfehlungen des Nationalen Ethikrates<br />

und der Zentralen Kommission<br />

auffallend überein. Sie gleichen auch<br />

der Stellungnahme der Deutschen <strong>Forschung</strong>sgemeinschaft<br />

vom <strong>3.</strong> Mai dieses<br />

Jahres. Das mag Wissenschaftler-Konsens<br />

sein, dürfte aber auch <strong>an</strong> personellen<br />

Querverbindungen zwischen den<br />

drei Institutionen liegen.<br />

Bevor der Bundestag entscheidet,<br />

sollte er sich damit beschäftigen, wie die<br />

Voten zust<strong>an</strong>de kamen. Er sollte auch<br />

prüfen, aus welchen Quellen die derzeit<br />

gängigen Aussagen zur Rechtslage stammen,<br />

die da die Meinung wiedergeben,<br />

ein Verbot des Imports sei verfassungswidrig<br />

und der Import mit dem Embryo-<br />

Heft 49, 7. Dezember 2001<br />

Die gepl<strong>an</strong>te <strong>Forschung</strong> <strong>an</strong> hum<strong>an</strong>en<br />

embryonalen Stammzellen stellt einen<br />

fundamentalen Bruch mit den<br />

bisher geltenden Wertvorstellungen dar.<br />

Die Konsequenzen sind erheblich. Der<br />

Abschied vom Begriff der Menschenwürde<br />

als Ausdruck der Selbstzwecklichkeit<br />

des Menschen bedeutet, dass die<br />

Menschenwürde in den Grenzbereichen<br />

des Lebens entsprechend den Interessen<br />

<strong>an</strong>derer zur Disposition steht. Im Kern<br />

bedeutet er die Aufgabe der liberalen<br />

Idee der Aufklärung, die in der Achtung<br />

und Bewahrung der Selbstzwecklichkeit<br />

des Menschen die Grundlage der Frei-<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

nenschutzgesetz durchaus vereinbar.<br />

Wenn die Bundestagsabgeordneten<br />

demnächst entscheiden, d<strong>an</strong>n muss ihnen<br />

g<strong>an</strong>z klar sein, dass sie bei einer<br />

Entscheidung zugunsten des Importes<br />

eine Tür öffnen, die nicht mehr zu<br />

schließen sein wird. Zunächst wird es<br />

nur um den Import existierender<br />

Stammzelllinien gehen. Zurzeit geht die<br />

veröffentlichte Meinung noch dahin,<br />

die bereits vorh<strong>an</strong>denen Zelllinien<br />

reichten für die <strong>Forschung</strong> aus. Es gibt<br />

freilich Hinweise, dass Zahl und Qualität<br />

der Stammzellen bei <strong>an</strong>ziehender<br />

<strong>Forschung</strong> nicht ausreichen werden.Also<br />

wird m<strong>an</strong>, wenn das Tor geöffnet ist,<br />

auch hier weitersehen, indem neue Linien<br />

eröffnet werden – und weshalb<br />

d<strong>an</strong>n nicht in Deutschl<strong>an</strong>d?<br />

Zurzeit sprechen sich alle Voten dezidiert<br />

für die Gewinnung embryonaler<br />

Stammzellen aus so gen<strong>an</strong>nten übrig gebliebenen<br />

<strong>Embryonen</strong> aus. Aber lässt<br />

sich nicht die Zahl der „übrig gebliebenen“<br />

mit einem gewissen Belieben variieren,<br />

und wo liegt d<strong>an</strong>n die Grenze zur<br />

direkten Gewinnung von <strong>Embryonen</strong><br />

zu <strong>Forschung</strong>szwecken? Die vorliegenden<br />

Stellungnahmen weisen dies ener-<br />

Stammzellforschung (I)<br />

heit zur Selbstbestimmung und zum moralischen<br />

H<strong>an</strong>deln sieht.<br />

Konzepte des „abgestuften<br />

Lebensschutzes“<br />

Kaum ein Befürworter der <strong>Forschung</strong><br />

<strong>an</strong> hum<strong>an</strong>en embryonalen Stammzellen<br />

wird dieser Bewertung zustimmen. Wie<br />

argumentieren sie also, und was liegt<br />

ihren Argumentationsmustern zugrunde?<br />

Das soll beispielhaft <strong>an</strong> der Argumentation<br />

von Wiestler und Brüstle aufgezeigt<br />

werden (1, 2).<br />

gisch zurück. Würde sich eine solch ablehnende<br />

Haltung auf Dauer und bei <strong>an</strong>haltendem<br />

Druck aus der Wissenschaft<br />

wirklich halten lassen? Die Argumentationslinie<br />

ist schon vorgezeichnet:Wenn<br />

<strong>an</strong> <strong>Embryonen</strong> geforscht werden darf,<br />

weshalb d<strong>an</strong>n nicht generell?<br />

Die offene Frage bleibt, ob das, was<br />

wissenschaftlich möglich ist und <strong>an</strong>derenorts<br />

erlaubt ist, hierzul<strong>an</strong>de auf die<br />

Dauer verhindert werden k<strong>an</strong>n. Globalisierung<br />

beherrscht die Wissenschaft, die<br />

Globalisierung der Ethik folgt ihr auf dem<br />

Fuße.Wer sich dem weltweiten Druck widersetzt,<br />

braucht starke Nerven und<br />

feste Überzeugungen. Haben wir die?<br />

Gerade dieser Tage hat der höchst<br />

<strong>an</strong>gesehene US-amerik<strong>an</strong>ische Philosoph<br />

Richard Rorty seine Wunschvorstellung<br />

in einem Interview (mit dem<br />

„Tagesspiegel“) offenbart: „Persönlich<br />

wünsche ich mir, dass m<strong>an</strong> dekretiert,<br />

dass das menschliche Leben beginnt,<br />

wenn ein Embryo drei Monate alt ist.<br />

Bis dahin könnten Ärzte experimentieren.“<br />

Pragmatiker Rorty wurde am 2.<br />

Dezember in Berlin der nach dem Mystiker<br />

ben<strong>an</strong>nte Meister-Eckhart-Preis<br />

verliehen. Norbert Jachertz<br />

Abschied von der Menschenwürde?<br />

Der Grundkonsens der liberalen Gesellschaft ist durch die <strong>Forschung</strong><br />

<strong>an</strong> embryonalen Stammzellen gefährdet.<br />

S<strong>an</strong>tiago Ewig<br />

Am Ausg<strong>an</strong>gspunkt steht die <strong>Forschung</strong>sperspektive<br />

des Zellersatzes durch<br />

Stammzellen. Embryonale Stammzellen<br />

weisen durch ihre Pluripotenz und nahezu<br />

unbegrenzte Vermehrbarkeit entscheidende<br />

Vorteile gegenüber adulten<br />

Stammzellen auf. Daher erscheint die<br />

<strong>Forschung</strong> <strong>an</strong> hum<strong>an</strong>en embryonalen<br />

Stammzellen zumindest aktuell unverzichtbar.<br />

Wiestler und Brüstle neigen<br />

Konzepten des „abgestuften Lebensschutzes“<br />

zu, die dem Embryo zwar<br />

Würde und Schutzwürdigkeit einräumen,<br />

jedoch die Zubilligung der uneingeschränkten<br />

Menschenwürde von be-<br />

115


stimmten Entwicklungsschritten abhängig<br />

machen.Die Tötung von <strong>Embryonen</strong><br />

k<strong>an</strong>n somit in einer Güterabwägung gerechtfertigt<br />

werden, wenn diese vor Ablauf<br />

einer bestimmten Entwicklung und<br />

aufgrund hochr<strong>an</strong>giger <strong>Forschung</strong>sziele<br />

geschieht.Als hochr<strong>an</strong>giges <strong>Forschung</strong>sziel<br />

wird nicht weniger als die Aussicht<br />

auf Heilung ausgegeben. Das Aufkommen<br />

einer „Ethik des Heilens“ drückt<br />

das Bestreben aus, den Imperativ der<br />

Heilungspflicht <strong>an</strong>gesichts einer gegebenen<br />

Heilungsperspektive als h<strong>an</strong>dlungsleitend<br />

zu rechtfertigen.<br />

Wiestler und Brüstle führen eine<br />

Reihe von Begrenzungen ins Feld, die<br />

diese Güterabwägung gegen die Gefahren<br />

der unbegrenzten <strong>Embryonen</strong>forschung<br />

und ihrer Kommerzialisierung<br />

absichern sollen. Zu diesen gehören die<br />

Beschränkung auf den Import bereits<br />

existierender Zelllinien, die aus dem Tode<br />

geweihten, „überzähligen“ <strong>Embryonen</strong><br />

gewonnen wurden; die klare Definition<br />

des <strong>Forschung</strong>sziels und die Komplementarität<br />

der <strong>Forschung</strong> <strong>an</strong> embryonalen<br />

und adulten Stammzellen,<br />

die nach einer Zwischenphase sogar die<br />

Aufhebung der Notwendigkeit der <strong>Forschung</strong><br />

<strong>an</strong> embryonalen Stammzellen in<br />

Aussicht stellt. Begrenzung soll auch<br />

durch strenge wissenschaftliche Begutachtung,<br />

bioethische Begleitung und öffentliche<br />

Tr<strong>an</strong>sparenz sichergestellt<br />

werden. In ihrer Sicht stellt auch auf politischer<br />

Ebene die staatliche Anerkennung<br />

der <strong>Forschung</strong> <strong>an</strong> hum<strong>an</strong>en embryonalen<br />

Stammzellen eine Begrenzung<br />

dar, weil nur auf diese Weise eine<br />

Kommerzialisierung durch private Unternehmen<br />

verhindert werden könne.<br />

Schließlich betonen Wiestler und<br />

Brüstle, dass sie Tabus berücksichtigen:<br />

das Verbot der <strong>Embryonen</strong>herstellung<br />

zu <strong>Forschung</strong>szwecken, Eingriffe in die<br />

Keimbahn und das reproduktive Klonen.<br />

Die ethische Argumentation von<br />

Wiestler und Brüstle ist jedoch nicht<br />

h<strong>an</strong>dlungs<strong>an</strong>leitend, sondern sekundär<br />

legitimatorischer Natur.<br />

➊ Die Heilungsperspektive, die für<br />

die Güterabwägung ausschlaggebend<br />

ist, erscheint nicht allgemein <strong>an</strong>erkennungsfähig<br />

begründbar. Zum heutigen<br />

Zeitpunkt ist sie Utopie. Die von Wiestler<br />

und Brüstle vorgestellten Remyelinisierungsexperimente<br />

<strong>an</strong> Ratten mit der<br />

Pelizaeus-Merzbacherschen Erkr<strong>an</strong>-<br />

116<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

kung reichen über ihre imm<strong>an</strong>ente Evidenz<br />

kaum hinaus.<br />

➋ Die Begrenzungen der <strong>Forschung</strong><br />

<strong>an</strong> hum<strong>an</strong>en embryonalen Stammzellen<br />

verlaufen exakt am R<strong>an</strong>de dessen, was<br />

den beiden Forschern aktuell <strong>an</strong> <strong>Forschung</strong><br />

notwendig erscheint. Die Perspektive<br />

ist g<strong>an</strong>z auf die eigenen Projekte<br />

beschränkt. Die Grenze, bis zu der<br />

<strong>Embryonen</strong> verbraucht werden dürfen,<br />

bleibt ohne eigene Begründung. Der<br />

Stammzellimport deckt den nötigen Bedarf;<br />

daher braucht aktuell mehr nicht<br />

gefordert zu werden. Doch die Begrenzungen<br />

stellen keine ethisch verbindlichen<br />

Grenzen, sondern letztlich unverbindliche<br />

Absichtserklärungen zweier<br />

Forscher dar. Im Detail bleiben diese<br />

Begrenzungen nicht einmal innerhalb<br />

der eigenen Forschergruppe konsistent.<br />

Während Wiestler eine Herstellung eigener<br />

embryonaler Stammzellreihen<br />

nicht beabsichtigt, hält Brüstle diese in<br />

Zukunft für unabweisbar. Auch hinsichtlich<br />

der Herstellung von <strong>Embryonen</strong><br />

zu <strong>Forschung</strong>szwecken bleiben Unklarheiten.<br />

Brüstle schließt eine solche<br />

kategorisch aus. In seiner Haltung dem<br />

therapeutischen Klonen gegenüber<br />

bleibt er jedoch eigentümlich vage. In<br />

letzter Inst<strong>an</strong>z muss und wird er sie befürworten:Wie<br />

<strong>an</strong>ders sollte die Kernreprogrammierung<br />

entschlüsselt werden?<br />

➌ Über künftige Entwicklungen, die<br />

sowohl in der Konsequenz des eigenen<br />

H<strong>an</strong>delns als auch in der biotechnologischen<br />

<strong>Forschung</strong>slogik liegen, wird nicht<br />

reflektiert. Die Implikationen des eigenen<br />

H<strong>an</strong>delns für das Wertbewusstsein<br />

und die Wertgeltung werden ignoriert.In<br />

einer solchen weiten Perspektive verlieren<br />

Begrenzungsargumente ihr Gewicht.<br />

Es wird vielmehr deutlich, dass<br />

Begrenzungen je nach Entwicklung der<br />

<strong>Forschung</strong>simperative nahezu beliebig<br />

erweitert werden können. Ist die <strong>Forschung</strong><br />

<strong>an</strong> embryonalen Stammzellen<br />

<strong>an</strong>gelaufen, können gegen eine verbrauchende<br />

<strong>Embryonen</strong>forschung in großem<br />

Ausmaß systematisch-ethische Argumente<br />

nicht mehr plausibel gemacht<br />

werden. Eine verbrauchende <strong>Embryonen</strong>forschung<br />

in großem Umf<strong>an</strong>g stellt<br />

d<strong>an</strong>n keinen „Missbrauch“ dar, sondern<br />

eine logische Konsequenz. Diese Begründungsmuster<br />

wiederholen sich bei<br />

der Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik (<strong>PID</strong>).<br />

In dieser sekundär legitimatorischen Ar-<br />

gumentationsweise kommt ein weit verbreiteter<br />

unaufgeklärter Szientismus zum<br />

Ausdruck, der aus sich heraus keine Kriterien<br />

für einen „Fortschritt nach<br />

menschlichem Maß“ (3) hervorbringen<br />

k<strong>an</strong>n, weil er den „Fortschritt“ <strong>an</strong> imm<strong>an</strong>ente<br />

<strong>Forschung</strong>sperspektiven beziehungsweise<br />

-interessen der Wissenschaft<br />

oder der Forscher bindet. Jede Bioethik<br />

ist in dieser Perspektive eine Vermittlungsinst<strong>an</strong>z,<br />

die nachträglich die Gründe<br />

dafür liefern muss, warum Wertvorstellungen<br />

<strong>an</strong> den Fortschritt der Wissenschaft<br />

<strong>an</strong>gepasst werden müssen. Auch<br />

die Politik entscheidet d<strong>an</strong>n nicht autonom,sondern<br />

k<strong>an</strong>alisiert lediglich die Folgen<br />

der Entwicklung der Wissenschaft in<br />

eine strukturell akzeptable Form.<br />

In der Diskussion um die <strong>Forschung</strong><br />

<strong>an</strong> hum<strong>an</strong>en embryonalen Stammzellen<br />

geht es nicht allein um diese selbst, sondern<br />

um die Ausein<strong>an</strong>dersetzung mit einem<br />

Szientismus und Bioutopismus, der<br />

nicht neu ist, sondern sich jetzt lediglich<br />

im Zuge der bevorstehenden Entgrenzungen<br />

der Verfügungsmacht durch die<br />

neuen Biotechnologien in modernem<br />

Gew<strong>an</strong>de zeigt. Eine Kritik dieser Positionen,<br />

gar eine politisch wirksame Mobilisierung<br />

gegen diese, muss die verschiedenen<br />

Dimensionen erkennen, die<br />

durch die neuen Biotechnologien<br />

berührt werden und die daher in diese<br />

Kritik Eing<strong>an</strong>g finden müssen.<br />

Heilung bleibt ein<br />

bedingtes Ziel<br />

Die neuen Biotechnologien umfassen:<br />

Die Neubesinnung auf den Begriff der<br />

Menschenwürde: Konstitutiv für den Begriff<br />

der Menschenwürde ist, dass diese<br />

nicht von Menschen nach bestimmten<br />

Kriterien <strong>an</strong>deren Menschen verliehen<br />

wird, sondern unabhängig aller Kriterien<br />

für alle gilt, die der Gattung Mensch <strong>an</strong>gehören.Nur<br />

indem die Menschenwürde<br />

der Verfügbarkeit durch <strong>an</strong>dere Menschen<br />

entzogen wird, gilt sie uneingeschränkt.<br />

Das bedeutet, dass kein Zweck<br />

die Menschenwürde zugunsten <strong>an</strong>derer<br />

Werte relativieren k<strong>an</strong>n.<br />

Die Bewertung des moralischen Status<br />

des Embryos: Ethische Urteile sind<br />

stets gemischte Urteile. Sie beruhen auf<br />

der ethischen Grundeinstellung, die einen<br />

Sachverhalt zu beurteilen hat. Das


Urteil über den moralischen Status des<br />

Embryos muss somit dem plausibelsten<br />

biologischen Sachverhalt über den Beginn<br />

des Lebens <strong>an</strong>gepasst werden. Hier<br />

gilt: „Menschliches Leben, dem Würde<br />

und Schutzwürdigkeit zusteht, ist d<strong>an</strong>n<br />

gegeben, wenn eine menschliche Zelle<br />

mit ihrem individuellen Chromosomensatz<br />

das Potenzial einer kontinuierlichen<br />

Entwicklung in sich vereint.“ (4).<br />

Entscheidend ist, dass durch die Verschmelzung<br />

von menschlicher Ei- und<br />

Samenzelle eine neue genetische Identität<br />

entst<strong>an</strong>den ist, die die Zugehörigkeit<br />

dieses Lebens zur menschlichen<br />

Gattung festlegt. Somit kommt auch<br />

dem Embryo in vollem Umf<strong>an</strong>g Menschenwürde<br />

zu. Jede <strong>an</strong>dere Position bedeutet<br />

im Kern eine Zerstörung des Begriffs<br />

der Menschenwürde (5, 6).<br />

Die Reflexion auf <strong>Forschung</strong>sziele<br />

der medizinischen Wissenschaft: Soll<br />

der Szientismus überwunden werden,<br />

muss über die Inhalte des Fortschritts<br />

reflektiert werden. Folgende Grundthese<br />

könnte eine Ausg<strong>an</strong>gsbasis sein: Ziel<br />

der medizinischen Wissenschaft ist nicht<br />

die Abschaffung des Todes, sondern die<br />

Auslöschung der Schrecken, die mit der<br />

menschlichen Endlichkeit gegeben sein<br />

können. Heilung bleibt somit ein bedingtes<br />

Ziel. Heilung muss vielmehr mit<br />

Palliation zusammen realisiert werden,<br />

und zwar aus zwei Gründen: Heilung<br />

führt nicht zu weniger Kr<strong>an</strong>kheit, sondern<br />

verschiebt diese in höhere Altersstufen.Die<br />

einseitige Betonung der Heilung<br />

führt zw<strong>an</strong>gsläufig zu aggressiven<br />

Konsequenzen für diejenigen, die nicht<br />

geheilt werden können. Hier eröffnen<br />

sich die bedrückenden Perspektiven der<br />

Eugenik und des Sozialdarwinismus, die<br />

m<strong>an</strong> nur ermessen k<strong>an</strong>n, wenn m<strong>an</strong> sie<br />

nicht simplizistisch mit dem Nationalsozialismus<br />

gleichsetzt und durch seine<br />

Überhöhung zum absolut Bösen für erledigt<br />

hält. Es gibt keine ärztliche Pflicht<br />

zur Heilung um jeden Preis, wohl aber<br />

zum Beist<strong>an</strong>d in jeder Situation.<br />

Die Bedeutung der Menschenwürde<br />

für den Grundkonsens der liberalen Gesellschaft:<br />

Der Grundkonsens der liberalen<br />

Gesellschaft ist auf der Geltung der<br />

Menschenwürde gegründet. Er ist nicht<br />

positiv bestimmt, sondern dient vielmehr<br />

als Platzhalter für seine möglichen positiven<br />

Begründungen. Gerade in dieser negativen<br />

Bestimmung der Unverfügbar-<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

keit verleiht er einer liberalen pluralistischen<br />

Gesellschaft ihre Fundamente. Das<br />

bedeutet nicht, dass die religiösen und<br />

philosophischen Begründungen dieser<br />

Menschenwürde deshalb irrelev<strong>an</strong>t sind.<br />

G<strong>an</strong>z im Gegenteil wächst dieser von<br />

ihren Begründungen die eigentliche Lebenskraft<br />

zu.Dies trifft sicher in besonderem<br />

Ausmaß für den christlichen Glauben<br />

<strong>an</strong> die Gottebenbildlichkeit des Menschen<br />

sowie Kreuz und Auferstehung zu.<br />

Einstieg in die verbrauchende<br />

<strong>Embryonen</strong>forschung<br />

Wenn die Menschenwürde aber nun<br />

teilbar wird, verliert sie ihre einigende<br />

Kraft. Der Ausschluss bestimmter Personen<br />

aufgrund bestimmter Kriterien<br />

führt zu einer Spaltung der Gesellschaft<br />

in diejenigen, die diese Kriterien erfüllen,<br />

und die <strong>an</strong>deren, die dies nicht können.<br />

Es kommt darauf <strong>an</strong> zu erkennen,<br />

dass der Grundkonsens der liberalen<br />

Gesellschaft durch die <strong>Forschung</strong> <strong>an</strong> hum<strong>an</strong>en<br />

embryonalen Stammzellen –<br />

wie auch durch das therapeutische Klonen<br />

und die <strong>PID</strong> – gefährdet ist.<br />

Aktuell zeichnet sich im ethischen Konflikt<br />

um die <strong>Forschung</strong> <strong>an</strong> hum<strong>an</strong>en embryonalen<br />

Stammzellen die Tendenz ab,<br />

diesen durch Begrenzungen des Verbrauchs<br />

<strong>an</strong> <strong>Embryonen</strong> zu neutralisieren.<br />

In den USA entschied Präsident Bush, die<br />

staatliche Förderung der <strong>Forschung</strong> <strong>an</strong> hum<strong>an</strong>en<br />

embryonalen Stammzellen auf bestimmte,schon<br />

vorh<strong>an</strong>dene Stammzelllinien<br />

zu beschränken. In Deutschl<strong>an</strong>d hat<br />

sich der Nationale Ethikrat mehrheitlich<br />

hin zu einer Empfehlung zum Import vorh<strong>an</strong>dener<br />

hum<strong>an</strong>er embryonaler Stammzelllinien<br />

orientiert. Die Argumentation<br />

geht in beiden Fällen dahin,dass es ethisch<br />

schwer zu vertreten wäre, dieses einmal<br />

schon vorh<strong>an</strong>dene <strong>Forschung</strong>spotenzial zu<br />

verwerfen. Dabei ist nicht selten die Neigung<br />

unverkennbar, den Zusammenh<strong>an</strong>g<br />

von hum<strong>an</strong>er embryonaler Stammzellforschung<br />

und <strong>Embryonen</strong>verbrauch zu verschleiern.<br />

Die Befürworter dieser Lösung<br />

erhoffen sich, den Konflikt zwischen den<br />

Anliegen der „Lebensschützer“ einerseits<br />

und der Zeitnot der <strong>Forschung</strong> <strong>an</strong>dererseits<br />

im Sinne eines pragmatischen Moratoriums<br />

zu entschärfen: <strong>Forschung</strong> ja, aber<br />

nur <strong>an</strong> vorh<strong>an</strong>denen Stammzelllinien.<br />

Diese Argumentation ist nur noch politisch<br />

bestimmt.Sie zeigt,wie sehr die <strong>an</strong>gebliche<br />

Naturwüchsigkeit des biotechnologischen<br />

Fortschritts durch politische<br />

Entscheidungen gefördert wird.Aus ethischer<br />

Sicht muss jedoch darauf best<strong>an</strong>den<br />

werden, dass die <strong>Forschung</strong> <strong>an</strong> importierten<br />

hum<strong>an</strong>en embryonalen Stammzellen<br />

eine Teilhabe <strong>an</strong> der Ver<strong>an</strong>twortung für<br />

die Tötung der entsprechenden <strong>Embryonen</strong><br />

zwingend beinhaltet.<br />

Diskussion <strong>an</strong> der Bonner Universität<br />

Nicht nur auf bundespolitischer Ebene ist die<br />

embryonale Stammzellforschung umstritten.<br />

Die Absicht des Bonner Neuropathologen, Prof.<br />

Dr. med. Oliver Brüste, <strong>an</strong> importierten embryonalen<br />

Stammzelllinien zu arbeiten, stößt auch<br />

<strong>an</strong> der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität<br />

in Bonn auf Kritik. Zur Gewinnung derartiger<br />

Stammzellen sei eine Vernichtung menschlicher<br />

<strong>Embryonen</strong> notwendig, die durch künstliche<br />

Befruchtung erzeugt und d<strong>an</strong>n nicht mehr<br />

in die Gebärmutter der Frau übertragen worden<br />

seien, heißt es in einer von mehr als 20 Fakultätsmitgliedern<br />

unterzeichneten Stellungnahme<br />

(abrufbar unter www.aerzteblatt.de).<br />

Damit würden diese zu einem Zweck missbraucht,<br />

der ihrer ursprünglichen Bestimmung,<br />

zur Geburt eines Kindes zu verhelfen,<br />

eindeutig widerspreche: „Die <strong>Forschung</strong> mit<br />

embryonalen Stammzellen, die aus dem Ausl<strong>an</strong>d<br />

importiert wurden, schließt eine ethische<br />

und – sinngemäß – auch eine rechtliche Billigung<br />

dieses verbrauchenden Umg<strong>an</strong>gs mit <strong>Embryonen</strong><br />

ein“. In der von Priv.-Doz. Dr. med.<br />

S<strong>an</strong>tiago Ewig, Priv.-Doz. Dr. med.Axel Glasmacher<br />

und Prof. Dr. theol. Ulrich Eibach verfassten<br />

Stellungnahme wird dies als mit der Menschenwürde<br />

unvereinbar <strong>an</strong>gesehen. „Das sich<br />

aus der Würde des Menschen ergebende Recht<br />

auf Leben darf auch zu ,hochr<strong>an</strong>gigen‘ therapeutischen<br />

Zwecken für <strong>an</strong>dere nicht infrage<br />

gestellt werden.“<br />

Andere Bonner Wissenschaftler unterstützen<br />

das Vorhaben von Brüstle. Der zeigt sich optimistisch,<br />

die „<strong>Forschung</strong> allerspätestens zu Beginn<br />

des neuen Jahres auch in Deutschl<strong>an</strong>d aufnehmen<br />

zu können“. Zuvor müsse neben der lokalen<br />

Ethikkommission der Universität Bonn die<br />

Deutsche <strong>Forschung</strong>sgemeinschaft (DFG) die<br />

einzelnen Projektschritte begutachten und genehmigen.<br />

Zusätzlich werde der Bonner Leiter<br />

des Instituts für Wissenschaft und Ethik, Prof. Dr.<br />

phil. Ludger Honnefelder, die <strong>Forschung</strong>en begleiten.<br />

Brüstle forderte die DFG auf, noch in diesem<br />

Jahr klar zum Import menschlicher Stammzellen<br />

Stellung zu beziehen. Dazu regte er einen<br />

Zweistufenpl<strong>an</strong> <strong>an</strong> (DÄ, Heft 48/2001). Kli<br />

117


Die sich abzeichnenden Entscheidungen<br />

in Deutschl<strong>an</strong>d bedeuten den Einstieg<br />

in die verbrauchende <strong>Embryonen</strong>forschung<br />

einschließlich des therapeutischen<br />

Klonens. Der geistige Widerst<strong>an</strong>d<br />

gegen die <strong>Forschung</strong> <strong>an</strong> hum<strong>an</strong>en embryonalen<br />

Stammzellen entspringt nicht<br />

einer „fundamentalistischen“, gar ausschließlich<br />

konfessionell begründeten<br />

Gegenposition. Vielmehr sind die Gegner<br />

dieser <strong>Forschung</strong> Verteidiger der<br />

Menschenwürde, die die Grundlage des<br />

liberalen Rechtsstaats bildet. Möglicherweise<br />

ist der Einstieg in die verbrau-<br />

Heft 49, 7. Dezember 2001<br />

<strong>Dokumentation</strong><br />

Stellungnahme der Zentralen<br />

Ethikkommission<br />

zur Stammzellforschung<br />

Die Zentrale Ethikkommission bei der Bundesärztekammer<br />

hat die Aufgabe, Stellungnahmen<br />

zu ethischen Fragen abzugeben, die durch den Fortschritt<br />

und die technologische Entwicklung in der<br />

Medizin und ihren Grenzgebieten aufgeworfen werden<br />

und die eine argumentative Antwort erfordern.<br />

Die Kommission hat als unabhängiges Gremium<br />

1995 ihre Arbeit aufgenommen und ist multidisziplinär<br />

zusammengesetzt. Sie besteht aus 16 Mitgliedern;<br />

neben 5 Ärzten der verschiedenen Fachdisziplinen<br />

gehören ihr Naturwissenschaftler, Juristen,<br />

Philosophen,Theologen und Soziologen <strong>an</strong>.<br />

<strong>Embryonen</strong>forschung und Stammzellforschung<br />

werden zurzeit öffentlich und wissenschaftlich<br />

kontrovers diskutiert. Die Zentrale Ethikkommission<br />

sieht es als ihre Aufgabe <strong>an</strong>, zu den damit verbundenen<br />

Fragen Stellung zu nehmen, und legt<br />

nachfolgend in Thesenform die Ergebnisse ihrer Beratungen<br />

vor. Hinsichtlich der Begründung verweist<br />

sie auf eine ausführliche Stellungnahme, die in<br />

Kürze vorgelegt werden wird. Hier wird sich die<br />

Zentrale Ethikkommission auch zur Frage des<br />

somatischen Zellkerntr<strong>an</strong>sfers (so gen<strong>an</strong>ntes therapeutisches<br />

Klonen) differenziert äußern.<br />

1. Die <strong>Forschung</strong> <strong>an</strong> Stammzellen steht ungeachtet<br />

viel versprechender Ergebnisse in weiten Bereichen<br />

noch am Anf<strong>an</strong>g.Viele wichtige Fragen zur Biologie<br />

und zum Potenzial embryonaler, fetaler und<br />

adulter Stammzellen sowie der Stammzellen aus<br />

Nabelschnurblut sind bisher nicht be<strong>an</strong>twortet. Dies<br />

betrifft insbesondere auch eine Abschätzung der<br />

klinischen Möglichkeiten, die durch den Einsatz der<br />

verschiedenen Stammzelltypen verwirklicht werden<br />

könnten.<br />

2. Die Zentrale Ethikkommission weist darauf<br />

hin, dass die entsprechende <strong>Forschung</strong> bisher weithin<br />

reine Grundlagenforschung darstellt. Die bisherige<br />

Charakterisierung von Stammzellen reicht für<br />

den klinischen Einsatz noch keineswegs aus. Auch<br />

wenn überraschende Durchbrüche niemals auszuschließen<br />

sind, warnt die Zentrale Ethikkommission<br />

118<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

chende <strong>Embryonen</strong>forschung auch in<br />

Deutschl<strong>an</strong>d nicht mehr abzuwenden.<br />

Entgegen den Suggestionen ihrer Protagonisten<br />

h<strong>an</strong>delt es sich dabei jedoch<br />

nicht um einen naturwüchsigen und unabänderlichen<br />

„Fortschritt“,sondern um<br />

reversible politische Entscheidungen,<br />

auch wenn im Falle des <strong>Embryonen</strong>verbrauchs<br />

die Opfer nicht mehr rückgängig<br />

gemacht werden können. Auch nach<br />

der Empfehlung des Nationalen Ethikrats<br />

und der noch offenen Entscheidung<br />

der Politik: Der politische Konflikt<br />

um die Menschenwürde hat erst begon-<br />

eindringlich vor übertriebenen und voreiligen Heilungsversprechen<br />

beziehungsweise -erwartungen.<br />

Lediglich die <strong>Forschung</strong> mit speziellen hämatopoetischen<br />

Stammzellen hat bisher zu einer klinischen<br />

Anwendung in der Onkologie geführt.<br />

<strong>3.</strong> Die Zentrale Ethikkommission verweist auf<br />

die gesellschaftliche Bedeutung der Grundlagenforschung<br />

und der patientenbezogenen <strong>Forschung</strong>.Aus<br />

gutem Grund ist die Wissenschaftsfreiheit von der<br />

Verfassung individuell und institutionell gar<strong>an</strong>tiert.<br />

4. Die Zentrale Ethikkommission verweist darauf,<br />

dass das Bemühen um Fortschritte bei der<br />

Heilung und Linderung von Kr<strong>an</strong>kheiten auch im<br />

Hinblick auf zukünftige Generationen ein hohes<br />

ethisches und soziales Gut darstellt. Auch aus<br />

verfassungsrechtlicher Sicht besteht eine entsprechende<br />

Schutzpflicht des Staates für Leben und<br />

Gesundheit der Patienten.<br />

5. Die Zentrale Ethikkommission verweist darauf,<br />

dass die Rechtsordnung auch dem ungeborenen<br />

menschlichen Leben in seinen frühesten Formen<br />

Schutz der Menschenwürde und des Lebens<br />

zuspricht. Daraus resultiert aber offenbar keine<br />

absolute, jedweder Abwägung entzogene Schutzpflicht.<br />

Dies zeigt die Güter- und Interessenabwägung<br />

beim Schw<strong>an</strong>gerschaftsabbruch und beim<br />

Gebrauch von Nidationshemmern. 1<br />

6. Die Zentrale Ethikkommission ist sich bewusst,<br />

dass die Gewinnung und Nutzung von<br />

hum<strong>an</strong>en embryonalen Stammzellen gravierendere<br />

ethische Probleme aufwerfen als die der adulten<br />

und fetalen Stammzellen sowie der Stammzellen<br />

aus Nabelschnurblut.<br />

7. Ethische Güterabwägungen zwischen hochr<strong>an</strong>gigen<br />

Schutzinteressen sind in der medizinischen<br />

<strong>Forschung</strong> und Praxis oft unausweichlich.<br />

Die Zentrale Ethikkommission bejaht einstimmig<br />

auch im Hinblick auf die <strong>Forschung</strong> mit hum<strong>an</strong>en<br />

embryonalen Stammzellen die prinzipielle Zulässigkeit<br />

einer Güterabwägung aus ethischer Sicht.<br />

Im Blick auf Art und Umf<strong>an</strong>g der Güterabwägung<br />

und ihrer Konsequenzen gehen die Auffassungen in<br />

der Zentralen Ethikkommission allerdings ausein<strong>an</strong>der.<br />

8.Aufgrund der vorstehenden Darlegungen und<br />

unter Abwägung auch entgegenstehender Argumente<br />

ist die Zentrale Ethikkommission mehrheitlich<br />

(bei 1 Gegenstimme) der Ansicht, dass mensch-<br />

nen. Er muss in der Subst<strong>an</strong>z eine Ausein<strong>an</strong>dersetzung<br />

über die Grundlagen<br />

unseres Gemeinwesens und um die Inhalte<br />

und Ziele des „Fortschritts“ sein.<br />

❚ Zitierweise dieses Beitrags:<br />

Dt Ärztebl 2001; 98: A 3268–3270 [Heft 49]<br />

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis,<br />

das über den Sonderdruck beim Verfasser<br />

und über das Internet (www.aerzteblatt.de) erhältlich ist.<br />

Anschrift des Verfassers:<br />

Priv.-Doz. Dr. med. S<strong>an</strong>tiago Ewig<br />

Oberarzt der Medizinischen Universitäts-Poliklinik<br />

der Universität Bonn<br />

Wilhelmstraße 35, 53111 Bonn<br />

liche <strong>Embryonen</strong>, die für Zwecke der assistierten<br />

Reproduktion erzeugt wurden, aber nicht impl<strong>an</strong>tiert<br />

werden können, für <strong>Forschung</strong>szwecke verwendet<br />

werden dürfen, die nicht vergleichbar auf<br />

<strong>an</strong>dere Weise (zum Beispiel durch <strong>Forschung</strong> <strong>an</strong><br />

adulten Stammzellen oder <strong>an</strong> tierischen Zellen)<br />

erreicht werden können. Öffentlich und privat fin<strong>an</strong>zierte<br />

<strong>Forschung</strong>svorhaben mit hum<strong>an</strong>en embryonalen<br />

Stammzellen sollten hinsichtlich ihrer Zulässigkeit<br />

von einer unabhängigen, interdisziplinär zusammengesetzten<br />

Kommission beurteilt werden.<br />

9. Die Zentrale Ethikkommission spricht sich unter<br />

den vorstehend gen<strong>an</strong>nten Voraussetzungen<br />

mehrheitlich (bei 4 Gegenstimmen) dafür aus, den<br />

Import von pluripotenten embryonalen Stammzellen<br />

nicht zu behindern. 2<br />

10. Die Zentrale Ethikkommission ist einstimmig<br />

der Ansicht, dass die gezielte Herstellung von<br />

<strong>Embryonen</strong> zu <strong>Forschung</strong>szwecken auf dem Weg<br />

der Befruchtung ethisch nicht vertretbar ist.<br />

11. Die Zentrale Ethikkommission ist einstimmig<br />

der Ansicht, dass das reproduktive Klonen<br />

von Menschen, gleichgültig auf welchem Weg es<br />

erfolgt, nicht vertretbar ist.<br />

12. Die Zentrale Ethikkommission empfiehlt einstimmig<br />

eine intensive begleitende <strong>Forschung</strong> der<br />

ethischen, rechtlichen und sozialen Implikationen<br />

der Stammzellforschung.<br />

Köln, 2<strong>3.</strong> November 2001<br />

1 Aus moraltheologischer Sicht ist diese Regelung allerdings<br />

zu hinterfragen.<br />

2 Anmerkung Prof. Doerfler/Prof. Helmchen: Wir haben gegen<br />

die Zulassung des Imports embryonaler Stammzellen bei<br />

gleichzeitig durch das <strong>Embryonen</strong>schutzgesetz bestehendem<br />

Verbot der Gewinnung dieser Zellen in Deutschl<strong>an</strong>d gestimmt.<br />

Es wäre für uns mehr als fragwürdig und völlig inakzeptabel,<br />

wenn m<strong>an</strong> die in der Bundesrepublik von m<strong>an</strong>chen gesellschaftlichen<br />

Gruppen aus ethischen Gründen abgelehnte Gewinnung<br />

embryonaler Stammzellen Wissenschaftlern in <strong>an</strong>deren<br />

Ländern überließe, sich die Vorteile der <strong>Forschung</strong>sergebnisse,<br />

die mit diesen Zellen vielleicht einmal gewonnen werden<br />

können, in Deutschl<strong>an</strong>d d<strong>an</strong>n aber nutzbar machte. Diese<br />

Mentalität des unverbindlichen „SOWOHL ALS AUCH“ ist unrealistisch<br />

und würde von unseren Kollegen in <strong>an</strong>deren Ländern<br />

mit Misstrauen betrachtet: Some Germ<strong>an</strong>s w<strong>an</strong>t to have<br />

their cake <strong>an</strong>d eat it too.<br />

Die „Zentrale Ethikkommission“ ist zwar bei der Bundesärztekammer<br />

(BÄK) eingerichtet, in ihrer Arbeit aber von der<br />

BÄK unabhängig. Die hier dokumentierte Stellungnahme<br />

gibt somit nicht die BÄK-Auffassung wieder; deren Vorst<strong>an</strong>d<br />

hat sich noch keine Meinung gebildet. DÄ


Heft 49, 7. Dezember 2001<br />

Hartmut Kreß<br />

Die Debatte um die <strong>Forschung</strong> <strong>an</strong><br />

embryonalen Stammzellen ist<br />

durch die Empfehlungen der<br />

Deutschen <strong>Forschung</strong>sgemeinschaft<br />

(DFG) vom <strong>3.</strong> Mai in Bewegung geraten.<br />

Die DFG votierte für eine stärkere<br />

Beteiligung <strong>an</strong> der <strong>Forschung</strong> mit<br />

Stammzelllinien von <strong>Embryonen</strong>, die<br />

bei künstlicher Befruchtung übrig geblieben<br />

sind. Demgegenüber hat zum<br />

Beispiel die Bundesjustizministerin<br />

„absolute Grenzen“ gefordert. Der<br />

diesjährige (104.) Deutsche Ärztetag<br />

hielt diese <strong>Forschung</strong> „derzeit“ nicht für<br />

ratsam.<br />

Es steht außer Frage: Der Umg<strong>an</strong>g<br />

mit <strong>Embryonen</strong> und die Beurteilung<br />

des moralischen Status von <strong>Embryonen</strong><br />

berühren das Menschenbild und<br />

das Verständnis von Menschenwürde<br />

zutiefst. Deshalb hat es seinen guten<br />

Sinn, dass heutzutage zum <strong>Embryonen</strong>schutz<br />

auf einer Basis reflektiert<br />

wird, die kulturgeschichtlich gesehen<br />

äußerst restriktiv ist. Erst seit der Aufklärungsepoche,<br />

vor allem seit dem<br />

Preußischen Allgemeinen L<strong>an</strong>drecht<br />

von 1794, setzte sich die strikte Auffassung<br />

durch, das ungeborene Kind<br />

schon von vornherein, von der Zeugung<br />

<strong>an</strong>, im vollen Sinn als schutzwürdigen<br />

Menschen zu erachten.<br />

Die katholische Kirche hat sich sogar<br />

erst 1869 endgültig von ihrer alten Lehre<br />

getrennt, das vorgeburtliche Leben<br />

werde erst am 80. oder 90. Tag nach der<br />

Empfängnis zu einem Menschen im eigentlichen<br />

Sinn. Diese Lehre gründete<br />

auf der Idee einer stufenweisen Beseelung,<br />

die Aristoteles oder Thomas von<br />

Aquin entwickelt hatten. Das volle<br />

Menschsein des Fetus resultiere aus der<br />

Einstiftung einer Geistseele, die, nach<br />

zwei Vorstufen der Beseelung, schließlich<br />

mehrere Wochen nach der Empfängnis<br />

stattfinde. Deshalb war für<br />

das mittelalterliche Kirchenrecht eine<br />

frühe Abtreibung der Leibesfrucht, vor<br />

der Einstiftung der Geistseele, viel we-<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

Stammzellforschung (II)<br />

Menschenrecht auf Gesundheit<br />

Die Verwendung verwaister <strong>Embryonen</strong> ist ethisch denkbar.<br />

niger problematisch als eine spätere<br />

Abtreibung.<br />

Kein „absoluter“ Lebensschutz<br />

Letztlich verhalfen d<strong>an</strong>n die moderne,<br />

naturwissenschaftlich fundierte Biologie<br />

und Embryologie der restriktiven<br />

Sicht zum Durchbruch, dass der Embryo<br />

von vornherein ein eigenständiger<br />

schutzwürdiger Mensch ist. Biologisch<br />

betrachtet entwickelt sich der<br />

Embryo aus seiner genetischen Anlage<br />

heraus kontinuierlich zu einer vollständigen<br />

Person. Normativ-ethisch<br />

ausgedrückt: Er besitzt von Anf<strong>an</strong>g <strong>an</strong><br />

eine so gen<strong>an</strong>nte starke, nämlich eine<br />

aktive, in ihm selbst als Subjekt ver<strong>an</strong>kerte<br />

Potenzialität zum Personsein.<br />

Ethisch und menschenrechtlich gilt,<br />

dass die Menschenwürde jedem<br />

menschlichen Individuum gleicherweise<br />

und voraussetzungslos zukommt.<br />

Deshalb sind auch dem Embryo bereits<br />

in seinen frühesten Lebensstadien<br />

Schutzwürdigkeit und Lebensrecht zuzusprechen.<br />

Inzwischen mehren sich jedoch Stimmen,<br />

die einen gradualisierten <strong>Embryonen</strong>schutz<br />

vertreten. Ihnen zufolge<br />

nimmt die Schutzwürdigkeit des Embryos<br />

mit steigendem Reifegrad beziehungsweise<br />

mit fortschreitender Individualentwicklung<br />

zu. Solche Überlegungen<br />

wirken fast wie eine Aktualisierung<br />

der alten philosophisch-theologischen<br />

Idee der stufenweisen Beseelung des<br />

Fetus. Ihnen ist entgegenzuhalten, dass<br />

ethischer Begriffsbildung zufolge „Würde“<br />

oder „Schutzwürdigkeit“ einer Abstufung,<br />

Steigerung oder Qu<strong>an</strong>tifizierung<br />

grundsätzlich entzogen sind. Schon<br />

deswegen k<strong>an</strong>n ein Gradualitätskonzept<br />

nicht überzeugen.<br />

Umgekehrt lässt sich aber auch<br />

nicht der Ged<strong>an</strong>ke aufrechterhalten,<br />

der <strong>Embryonen</strong>schutz gelte in „absoluter“<br />

Form. Einen absoluten St<strong>an</strong>dpunkt<br />

zu vertreten, bedeutet, von konkreten<br />

Umständen, Situationen und H<strong>an</strong>dlungskonstellationen<br />

g<strong>an</strong>z abzusehen.<br />

Aus einem solchen Rigorismus heraus<br />

hat der Vatik<strong>an</strong>, der nunmehr die Geistbeseelung<br />

des Embryos sofort bei der<br />

Empfängnis lehrt, jetzt den Rückzug<br />

der deutschen katholischen Kirche aus<br />

der gesetzlichen Schw<strong>an</strong>gerschaftskonfliktberatung<br />

durchgesetzt. Die Deutsche<br />

Bischofskonferenz hat im März<br />

die Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik kategorisch<br />

abgelehnt.<br />

Das Postulat „absoluter Grenzen“<br />

oder eines „absoluten“ <strong>Embryonen</strong>schutzes<br />

ist aber, g<strong>an</strong>z abgesehen von<br />

Evidenz- und Akzept<strong>an</strong>zproblemen in<br />

einer pluralen Gesellschaft, auch ethiktheoretisch<br />

nicht plausibel. In begründeten<br />

Fällen hat die Ethik Ausnahmen<br />

vom Lebensschutz stets zugestehen<br />

müssen. Klassische Beispiele sind die<br />

Notwehr, die Nothilfe oder der Verteidigungskrieg.<br />

Eine Relativierung von<br />

Lebensschutz und Lebenserhaltung<br />

liegt auch bei der passiven Sterbehilfe<br />

vor. Dort ist die Einsicht leitend, dass<br />

unerträglich gewordenes Leiden ein<br />

Ende haben darf und ein Sterben in<br />

Würde möglich sein sollte. Der Lebensschutz<br />

wird ferner relativiert, wenn in<br />

Konfliktfällen der Schw<strong>an</strong>gerschaftsabbruch<br />

toleriert wird oder wenn das<br />

<strong>Embryonen</strong>schutzgesetz darauf verzichtet,<br />

überzählige beziehungsweise<br />

verwaiste <strong>Embryonen</strong> am Leben zu erhalten<br />

(etwa durch Zulassung pränataler<br />

Adoption).<br />

So unterschiedlich diese Beispiele<br />

sind, belegen sie doch, dass in besonders<br />

begründeten Fällen sogar das<br />

menschliche Leben selbst in eine Abwägung<br />

gestellt werden darf. Die Würde<br />

des Menschseins und das Prinzip,<br />

dass der Lebensschutz fundamental ist<br />

und im Zweifel stets vorr<strong>an</strong>gig Geltung<br />

besitzt, werden dadurch nicht beeinträchtigt.<br />

Den Lebensschutz jedoch<br />

„absolut“ setzen zu wollen lässt sich<br />

119


<strong>an</strong>gesichts konkreter Konflikt- und<br />

Entscheidungssituationen nicht durchhalten.<br />

Besondere Abwägungsaspekte<br />

für frühe embryonale Stadien<br />

Für die frühen embryonalen Stadien,<br />

um die es bei der Stammzellforschung<br />

geht, hat die Ethik noch besondere Abwägungsaspekte<br />

zu beachten. So ist zu<br />

fragen, ob – <strong>an</strong>gesichts der fließenden<br />

Übergänge zwischen Toti- und Pluripotenz<br />

und der Reprogrammierbarkeit<br />

spezialisierter Zellen – die Totipotenz<br />

noch ein plausibles, h<strong>an</strong>dhabbares Abgrenzungskriterium<br />

bildet. Zudem ist<br />

der Embryo nach der Nidation noch<br />

viel deutlicher als vorher ein sich selbst<br />

entwickelndes Individuum. Indem sich<br />

seine Körperachse ausbildet, nimmt er<br />

als Individuum „Gestalt“ <strong>an</strong>; Zwillingsbildung<br />

ist nicht mehr möglich. Insofern<br />

stellt sich die Frage, ob g<strong>an</strong>z frühe Embryonalstadien<br />

vor der Nidation exakt<br />

genauso wie der Embryo nach der<br />

Nidation geschützt werden müssen. Für<br />

diese frühembryonale Phase sollte zwar<br />

keine nach unten hin „abgestufte“<br />

Schutzwürdigkeit behauptet werden.<br />

Aber es lässt sich eine etwas größere<br />

Ausnahmemöglichkeit vom grundsätzlich<br />

geltenden Lebensschutz und Lebenserhalt<br />

vertreten.<br />

Deshalb werden für die Stammzellforschung<br />

die Verwendung verwaister,<br />

ohnehin dem Tod ausgelieferter <strong>Embryonen</strong><br />

und theoretisch sogar überg<strong>an</strong>gsweise<br />

eine Reprogrammierung<br />

von Zellkernen, bei der ein Abbruch<br />

der Entwicklung nach wenigen Tagen<br />

erfolgt, ethisch denkbar. Dass darauf<br />

bezogene Abwägungen legitim sind,<br />

begründet sich aus den herausgeho-<br />

120<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

benen Zielen der Stammzellforschung,<br />

nämlich der Therapie von Kr<strong>an</strong>kheiten,<br />

bei denen konventionelle Beh<strong>an</strong>dlungsmethoden<br />

<strong>an</strong> Grenzen stoßen. In<br />

bestimmten Fällen scheint der alleinige<br />

Rückgriff auf adulte Stammzellen heutigem<br />

Ermessen zufolge unzureichend<br />

zu bleiben.<br />

Das Votum, das die DFG zugunsten<br />

der <strong>Forschung</strong> <strong>an</strong> embryonalen Stammzellen<br />

abgab, legte vor allem auf die <strong>Forschung</strong>sfreiheit<br />

Wert. Diese bildet in der<br />

Tat einen Kern neuzeitlicher Verfassungsprinzipien<br />

und ist auch in der EU-<br />

Grundrechtscharta tragend. Für die Abwägung,<br />

die die <strong>Forschung</strong> <strong>an</strong> embryonalen<br />

Stammzellen betrifft, dürfte letztlich<br />

jedoch dem Menschenrecht auf Gesundheit<br />

eine noch höhere Aussagekraft<br />

zukommen. Denn der <strong>Embryonen</strong>schutz<br />

einerseits und die Gesundheitsförderung<br />

<strong>an</strong>dererseits stehen als vitale,<br />

das Leben betreffende Güter in innerem<br />

Bezug zuein<strong>an</strong>der. Das Menschenrecht<br />

auf Gesundheit, nämlich das<br />

Recht des Einzelnen auf „das erreichbare<br />

Höchstmaß <strong>an</strong> Gesundheit“, haben<br />

Internationale Konventionen kodifiziert<br />

(Internationaler Pakt für wirtschaftliche,<br />

soziale und kulturelle Rechte<br />

von 1966 oder die UN-Kinderrechtskonvention<br />

von 1989). Die EU-Grundrechtscharta<br />

fordert ein „hohes Gesundheitsschutzniveau“<br />

für die „Durchführung<br />

aller Politiken und Maßnahmen“.<br />

Das Recht auf Gesundheit zählt<br />

zu jenen Menschenrechten, die staatlicherseits<br />

nach Maßgabe der jeweiligen<br />

technischen, ökonomischen und sozialkulturellen<br />

Bedingungen zu fördern<br />

sind. Auch auf der Basis einer Ethik<br />

der Zukunftsver<strong>an</strong>twortung, mithin im<br />

Blick auf schwere Kr<strong>an</strong>kheitsbilder<br />

künftig lebender Patienten, ist das Menschenrecht<br />

auf Gesundheit bedeutsam.<br />

Normierende Kriterien und<br />

perm<strong>an</strong>ente Überprüfung<br />

Es ist argumentativ unvertraut und neuartig,<br />

den Schutz von <strong>Embryonen</strong>, also<br />

ein Schutzrecht einerseits, und das<br />

Recht auf Gesundheit als menschenrechtlichen<br />

Anspruch <strong>an</strong>dererseits in einen<br />

Ausgleich zu bringen. Voraussetzung<br />

für eine – therapeutischen Zielen<br />

dienende – embryonale Stammzellforschung<br />

müssten normierende Kriterien,<br />

perm<strong>an</strong>ente Überprüfung und die Möglichkeit<br />

der Korrektur einmal betretener<br />

<strong>Forschung</strong>spfade sein. Die Gefahr,<br />

dass durch diese <strong>Forschung</strong> die Ethik<br />

des <strong>Embryonen</strong>schutzes oder gar die<br />

kulturelle Geltung der Menschenwürde<br />

generell ausgehöhlt würde, könnte so<br />

abgewehrt werden.<br />

❚ Zitierweise dieses Beitrags:<br />

Dt Ärztebl 2001; 98: A 3272–3274 [Heft 49]<br />

Literatur<br />

1. Demel S:Abtreibung zwischen Straffreiheit und Exkommunikation.<br />

Stuttgart, Berlin, Köln: Kohlhammer, 1995.<br />

2. Knoepffler N: Menschliche <strong>Embryonen</strong> und medizinethische<br />

Konfliktfälle. In: Knoepffler N, H<strong>an</strong>iel A<br />

(Hrsg.): Menschenwürde und medizinethische Konfliktfälle.<br />

Stuttgart, Leipzig: Hirzel, 2000; 55–66.<br />

<strong>3.</strong> Kreß H: Menschenwürde vor der Geburt. Grundsatzfragen<br />

und gegenwärtige Entscheidungsprobleme<br />

(Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik; Nutzung von Stammzellen).<br />

In: Kreß H/Kaatsch H-J (Hrsg.): Menschenwürde,<br />

Medizin und Bioethik. Münster: LIT, 2000; 11–37.<br />

4. Kreß H: Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik, der Status von<br />

<strong>Embryonen</strong> und embryonale Stammzellen. In: Zeitschrift<br />

für Ev<strong>an</strong>gelische Ethik 2001; 46: 230–235.<br />

Anschrift des Verfassers:<br />

Prof. Dr. theol. Hartmut Kreß<br />

Universität Bonn, Ev<strong>an</strong>gelisch-Theologische Fakultät<br />

Abteilung Sozialethik<br />

Am Hof 1, 53113 Bonn<br />

E-Mail: hkress@uni-bonn.de


<strong>3.</strong>, <strong>erweiterte</strong> Auflage<br />

der <strong>Dokumentation</strong><br />

<strong>PID</strong>, <strong>PND</strong>, <strong>Forschung</strong><br />

<strong>an</strong> <strong>Embryonen</strong><br />

Aufsätze<br />

Berichte<br />

Diskussionsbeiträge<br />

Kommentare<br />

im Deutschen Ärzteblatt<br />

Beiträge aus 2002<br />

www.aerzteblatt.de/dossiers/embryonenforschung


Seite122.qxd 25.02.2004 10:44 Seite 122<br />

V O R W O R T<br />

Als das Deutsche Ärzteblatt im Jahr 2002 seine<br />

<strong>erweiterte</strong> <strong>Dokumentation</strong> zu embryonaler<br />

Stammzellforschung, pränataler Diagnostik<br />

(<strong>PND</strong>) und Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

(<strong>PID</strong>) vorlegte, war die Diskussion über diese<br />

Themen in vollem G<strong>an</strong>ge. Ein Ende ist nach wie<br />

vor nicht in Sicht. Ausgelöst wurde der öffentliche<br />

Diskurs durch den vom Vorst<strong>an</strong>d der Bundesärztekammer<br />

vorgelegten „Diskussionsentwurf<br />

zu einer Richtlinie zur Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik“<br />

im März 2000.<br />

Von Anf<strong>an</strong>g <strong>an</strong> hat sich das Deutsche Ärzteblatt<br />

<strong>an</strong> der Debatte beteiligt und die unterschiedlichsten<br />

Stimmen zu Wort kommen lassen. In einem<br />

Sonderdruck aus dem Jahr 2001 wurden diese<br />

Beiträge, beginnend mit dem Diskussionsentwurf,<br />

zusammengefasst. Unmerklich verlagerte<br />

sich der Schwerpunkt d<strong>an</strong>n von der Diskussion<br />

über die Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik zur <strong>Forschung</strong><br />

<strong>an</strong> und mit <strong>Embryonen</strong> und zur Gewin-<br />

nung von Stammzellen. Die<br />

Meinungsbildung in der Ärzteschaft<br />

spiegelt sich in der<br />

Berichterstattung und Kommentierung<br />

des Deutschen<br />

Ärzteblattes wider,wie die ein<br />

Jahr später publizierte Materialsammlung beweist.Auch<br />

dieser Sonderdruck war – ebenso wie<br />

die erste Auflage – schnell vergriffen.<br />

Inzwischen sind im Deutschen Ärzteblatt zahlreiche<br />

weitere Beiträge zu der Thematik erschienen.<br />

Darin wird deutlich, dass nach wie vor großer<br />

Diskussionsbedarf besteht. So berichtete das DÄ<br />

beispielsweise über die Beschlusslage zur internationalen<br />

Klonkonvention. Bisher gibt es noch keine<br />

Einigung.Im November 2003 gingen die Vertreter<br />

der UN-Mitgliedstaaten ergebnislos ausein<strong>an</strong>der,<br />

sie verschoben die Verh<strong>an</strong>dlungen um weitere<br />

zwei Jahre. Es geht immer noch um die Frage, ob<br />

nur das reproduktive Klonen oder auch das therapeutische<br />

Klonen weltweit geächtet werden<br />

soll. Inzwischen ist es einem Team der südkore<strong>an</strong>ischen<br />

Nationaluniversität Seoul gelungen,<br />

menschliche <strong>Embryonen</strong> zu klonen. Als „Durchbruch<br />

in der Medizin“ haben die Forscher ihr Ex-<br />

Ein Ende der Diskussion<br />

über Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

und <strong>Embryonen</strong>forschung<br />

ist nicht in Sicht.<br />

122<br />

Dossier zur <strong>Embryonen</strong>forschung<br />

<strong>PID</strong>, <strong>PND</strong>, <strong>Forschung</strong> <strong>an</strong><br />

<strong>Embryonen</strong><br />

Das Deutsche Ärzteblatt gibt eine <strong>erweiterte</strong> <strong>Dokumentation</strong><br />

heraus, die im Internet abgerufen werden k<strong>an</strong>n.<br />

periment bezeichnet. Auf seiner Basis wollen sie<br />

Ersatzgewebe „therapeutisch klonen“, um Kr<strong>an</strong>ke<br />

zu heilen. Für Kritiker ist dieser Menschenversuch<br />

Anlass, noch vehementer ein internationales Klonverbot<br />

zu fordern. Doch die Haltung Deutschl<strong>an</strong>ds<br />

ist uneinheitlich. Während sich der Bundestag für<br />

ein absolutes Klonverbot ausgesprochen hatte,<br />

unterstützte die Regierung dies nicht. Während<br />

Bundesforschungsministerin Edelgard Bulmahn<br />

betonte, dass das therapeutische Klonen in<br />

Deutschl<strong>an</strong>d verboten sei und<br />

es auch bleibe, sprach sich<br />

Bundesjustizministerin Brigitte<br />

Zypries vor kurzem für<br />

eine Lockerung des <strong>Embryonen</strong>schutzgesetzes<br />

aus. Dies<br />

stieß auf teilweise scharfe Kritik<br />

aus der Ärzteschaft, bei Kirchen, aber auch Politikern.Ausführlich<br />

berichtet wurde im Deutschen<br />

Ärzteblatt auch über die Pläne der EU-Kommission,<br />

die <strong>Forschung</strong> <strong>an</strong> embryonalen Stammzellen<br />

mit Milliardensummen fin<strong>an</strong>ziell zu fördern.<br />

Im Bereich der pränatalen Diagnostik besteht<br />

ebenfalls weiterhin Klärungsbedarf. So werden<br />

zunehmend Forderungen erhoben, die Abtreibungsregelung<br />

zu ändern, da durch den Wegfall<br />

der embryopathischen Indikation Spätabtreibungen<br />

bis zur Geburt möglich geworden sind.<br />

Die Beiträge der DÄ-Redakteurinnen und<br />

-Redakteure zu diesen Themen sowie Aufsätze<br />

und Kommentare von Ärzten, Wissenschaftlern<br />

und Theologen mit teilweise konträren Ansichten<br />

sind in dieser <strong>erweiterte</strong>n <strong>Dokumentation</strong> veröffentlicht.<br />

Sie ist inzwischen so umf<strong>an</strong>greich geworden,<br />

dass eine Publikation als Sonderdruck<br />

den Rahmen sprengen würde, sodass sich die Redaktion<br />

entschlossen hat, sie online zu veröffentlichen.<br />

Zusätzlich können unter <strong>an</strong>derem<br />

auch der Diskussionsentwurf zu einer Richtlinie<br />

zur Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik, wichtige Gesetze,<br />

wie das <strong>Embryonen</strong>schutzgesetz und das<br />

Stammzellgesetz, Positionspapiere und Stellungnahmen<br />

sowie die Entschließungen der Deutschen<br />

Ärztetage zu dieser Thematik abgerufen<br />

werden. Gisela Klinkhammer<br />

Die Meinungsbildung in der<br />

Ärzteschaft spiegelt sich in<br />

der Berichterstattung und<br />

Kommentierung des Deutschen<br />

Ärzteblattes wider.


Als der Vorst<strong>an</strong>d der Bundesärztekammer<br />

den „Diskussionsentwurf zu einer<br />

Richtlinie zur Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik“<br />

vorlegte, rief er zugleich zu einem<br />

öffentlichen Diskurs auf. Der läuft seit<br />

nunmehr rund eineinhalb Jahren und<br />

hat einen kaum noch fassbaren Niederschlag<br />

in der Presse gefunden. Inzwischen<br />

bringen auch Funk und Fernsehen<br />

fast täglich Diskussionen nicht mehr<br />

nur zur Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

(<strong>PID</strong>), sondern auch zur <strong>Embryonen</strong>forschung.<br />

Das Deutsche Ärzteblatt hat sich<br />

von Anf<strong>an</strong>g <strong>an</strong> <strong>an</strong> dem Diskurs beteiligt<br />

und die unterschiedlichsten Stimmen<br />

zu Wort kommen lassen. In diesem<br />

Sonderdruck sind diese Beiträge, beginnend<br />

mit dem Diskussionsentwurf,<br />

zusammengefasst. Die Redaktion hat<br />

sich sehr um Vollständigkeit bemüht,<br />

gleichwohl k<strong>an</strong>n nicht ausgeschlossen<br />

werden, dass vielleicht ein Leserbrief<br />

oder eine kleinere Notiz fehlen. Die<br />

Diskussion ist im Übrigen keineswegs<br />

abgeschlossen. Weitere Beiträge für<br />

spätere Hefte des Deutschen Ärzteblattes<br />

sind in Satz – Stoff genug für eine<br />

allfällige <strong>erweiterte</strong> Auflage des Sonderdrucks.<br />

Der <strong>Dokumentation</strong> der im Deutschen<br />

Ärzteblatt erschienenen Beiträge<br />

sind vor<strong>an</strong>gestellt ein Interview mit dem<br />

Präsidenten der Bundesärztekammer<br />

und des Deutschen Ärztetages, geführt<br />

im Vorfeld des in diesen Tagen beginnenden<br />

104. Deutschen Ärztetages, sowie<br />

der Bericht über die einschlägige<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

Vorwort zur 1. Auflage<br />

Beiträge zum Diskurs<br />

Diskussion beim vor<strong>an</strong>geg<strong>an</strong>genen 10<strong>3.</strong><br />

Deutschen Ärztetag.<br />

Im Grunde genommen müsste eine<br />

vollständige <strong>Dokumentation</strong> über die<br />

Auffassungen der Ärzteschaft in der mit<br />

Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik zusammenhängenden<br />

Thematik weitaus früher beginnen,<br />

zumindest mit dem 88. Deutschen<br />

Ärztetag, der 1985 in Lübeck-Travemünde<br />

seine Haltung zur In-vitro-Fertilisation<br />

(IVF) formulierte. Bereits damals<br />

wurden die daraus entstehenden<br />

Probleme der <strong>Embryonen</strong>forschung klar<br />

erk<strong>an</strong>nt, der Umg<strong>an</strong>g mit den so gen<strong>an</strong>nten<br />

überzähligen <strong>Embryonen</strong> diskutiert.<br />

Der Ärztetag sprach sich schließlich<br />

mit großer Mehrheit zugunsten von IVF<br />

aus. Zur <strong>Embryonen</strong>forschung stellte er<br />

fest: „Experimente mit <strong>Embryonen</strong> sind<br />

grundsätzlich abzulehnen, soweit sie<br />

nicht der Verbesserung der Methode<br />

oder dem Wohle des Kindes dienen.“<br />

Diese Formulierung war ein wenig strenger<br />

als die Vorst<strong>an</strong>dsvorlage, entsprach<br />

aber noch einer zugleich vorgelegten<br />

Richtlinie des Wissenschaftlichen Beirates<br />

der Bundesärztekammer zur IVF (veröffentlicht<br />

in Heft 22/1985), die der Ärztetag<br />

pauschal „begrüßte“. In einer weiteren<br />

Richtlinie äußerte sich der Wissenschaftliche<br />

Beirat später, ohne Zutun des<br />

Ärztetages, zur <strong>Forschung</strong> <strong>an</strong> frühen<br />

menschlichen <strong>Embryonen</strong> (veröffentlicht<br />

in Heft 50/1985). D<strong>an</strong>ach dürfen<br />

menschliche <strong>Embryonen</strong> „grundsätzlich“<br />

nicht mit dem Ziel der Verwendung<br />

zu <strong>Forschung</strong>szwecken erzeugt werden.<br />

Mit der Formel „grundsätzlich“ wurden<br />

Impressum <strong>Dokumentation</strong> „<strong>PID</strong>, <strong>PND</strong>, <strong>Forschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Embryonen</strong>“<br />

Chefredakteur: Norbert Jachertz, Köln<br />

(ver<strong>an</strong>twortlich für den Gesamtinhalt im Sinne der<br />

gesetzlichen Bestimmungen)<br />

Chefs vom Dienst: Gisela Klinkhammer, Herbert Moll<br />

Redaktion: Norbert Jachertz, Gisela Klinkhammer, Michael Schmedt (Internet)<br />

Technische Redaktion: Jörg Kremers, Michael Peters<br />

Schlussredaktion: Helmut Werner<br />

Verlag: Deutscher Ärzte-Verlag GmbH, Köln<br />

erhebliche Sp<strong>an</strong>nungen innerhalb des<br />

Beirates zu dieser Frage überdeckt. Die<br />

Richtlinien sprechen sich hingegen eindeutig<br />

für Untersuchungen, die der<br />

Verbesserung der Lebensbedingungen<br />

des jeweiligen Embryos und gleichzeitig<br />

dem wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn<br />

dienen,aus,sofern Nutzen und Risiken<br />

mitein<strong>an</strong>der sorgfältig abgewogen<br />

werden.<br />

Der 91. Deutsche Ärztetag beschloss<br />

1988 in Fr<strong>an</strong>kfurt eine Änderung der<br />

(Muster-)Berufsordnung. Die Delegierten<br />

entschieden sich für einen Mittelweg:<br />

Die Erzeugung von <strong>Embryonen</strong> für<br />

<strong>Forschung</strong>szwecke wurde untersagt und<br />

dem ein weiterer Satz hinzugefügt:<br />

„Grundsätzlich verboten ist auch die<br />

<strong>Forschung</strong> <strong>an</strong> menschlichen <strong>Embryonen</strong>.“<br />

Bei Einhaltung strikter Kriterien<br />

wurden allerdings <strong>Forschung</strong>en für<br />

zulässig gehalten,sofern sie der Deklaration<br />

von Helsinki entsprechen.<br />

Machen wir einen Sprung zum 100.<br />

Deutschen Ärztetag 1997 in Eisenach.<br />

Die damals neu strukturierte, bis heute<br />

geltende (Muster-)Berufsordnung verbietet<br />

gleichfalls die Erzeugung von menschlichen<br />

<strong>Embryonen</strong> zu <strong>Forschung</strong>szwecken.Verboten<br />

sind ferner diagnostische<br />

Maßnahmen <strong>an</strong> <strong>Embryonen</strong>, „es sei<br />

denn, es h<strong>an</strong>delt sich um Maßnahmen<br />

zum Ausschluss schwerwiegender geschlechtsgebundener<br />

Erkr<strong>an</strong>kungen im<br />

Sinne § 3 <strong>Embryonen</strong>schutzgesetz“.<br />

Und das gehört der Vollständigkeit<br />

halber dazu: Seit 1991 gilt das <strong>Embryonen</strong>schutzgesetz<br />

mit seinen strengen<br />

Regeln – strengeren als sie 1985 von der<br />

ärztlichen Selbstverwaltung und ihren<br />

wissenschaftlichen Beratern formuliert<br />

worden waren. Norbert Jachertz<br />

123


124<br />

I N H A L T<br />

<strong>Dokumentation</strong> in chronologischer Reihenfolge<br />

Vorwort zur <strong>3.</strong> Auflage:<br />

<strong>PID</strong>, <strong>PND</strong>, <strong>Forschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Embryonen</strong>. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122<br />

Vorwort zur 1. Auflage:<br />

Beiträge zum Diskurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123<br />

Beiträge aus dem Jahr 2002<br />

<strong>Forschung</strong> und Ethik: Die Weichen sind gestellt . . . . . . . . . . . . . . . . . 125<br />

Dr. med. Eva A. Richter, Gisela Klinkhammer<br />

Stammzellen:<br />

„Rohstoff“ für die regenerative Medizin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126<br />

Prof. Dr. med. Anthony D. Ho<br />

Stammzellforschung:<br />

Erfolg versprechende Therapie<strong>an</strong>sätze. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128<br />

Dr. med. Eva A. Richter<br />

Stammzellforschung: Durch- oder Dammbruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130<br />

Norbert Jachertz<br />

<strong>Embryonen</strong>forschung und <strong>PID</strong>:<br />

„Ethik des Heilens“ versus „Ethik der Menschenwürde“ . . . . . 130<br />

Prof. Dr. med. Dr. phil. Heinz Schott<br />

Stammzellforschung: Das Argument des Sokrates . . . . . . . . . . . . . 134<br />

Dr. med. Dr. theol. Alfred Sonnenfeld<br />

Stammzellenimport: Unter Auflagen zugelassen . . . . . . . . . . . . . . . 136<br />

Dr. med. Eva A. Richter<br />

Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik:<br />

„Verfassungsrechtlich unzulässig“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137<br />

Dr. med. Eva A. Richter<br />

Deutsche (Gesundheits-)Politik: Ein klares Jein . . . . . . . . . . . . . . . . . 138<br />

Thomas Gerst<br />

<strong>Embryonen</strong>forschung: Machtproben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139<br />

Norbert Jachertz<br />

Symposium in der Kaiserin-Friedrich-Stiftung:<br />

Solidarität mit den „fortpfl<strong>an</strong>zungswilligen Schichten“ . . . . . 140<br />

Dr. med. Eva A. Richter<br />

Stammzellgesetz: Tauziehen um Definitionen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141<br />

Dr. med. Eva A. Richter<br />

Kirchen: Absage <strong>an</strong> <strong>PID</strong> . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142<br />

Gisela Klinkhammer<br />

Stammzellgesetz: Klarheit oder Kompromiss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143<br />

Dr. med. Eva A. Richter<br />

Entscheidung zum Stammzellgesetz:<br />

Die Tür steht einen Spalt offen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143<br />

Dr. med. Eva A. Richter<br />

Grenzfragen zwischen Wissenschaft und Ethik:<br />

Die Bedrohung der Gattung „Mensch“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145<br />

Prof. Dr. phil. Wolfg<strong>an</strong>g Frühwald<br />

Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik:<br />

„Die Argumente sind auf dem Tisch“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150<br />

Stammzellforschung: Freie Bahn in Europa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150<br />

Dr. med. Eva A. Richter<br />

Arzt-Patient-Beziehung aus christlicher Sicht:<br />

Nächstenliebe und Mitmenschlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152<br />

Prof. Dr. med. Dr. phil. Eckhard Nagel<br />

Eugenik und Euth<strong>an</strong>asie:<br />

Aktuelle Verg<strong>an</strong>genheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154<br />

Norbert Jachertz<br />

Stammzellgesetz: Umsetzung geregelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156<br />

Ethik: Dürftige Aussagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156<br />

Gisela Klinkhammer<br />

Stammzellforschung:<br />

Pharmaunternehmen: Eigene Richtlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157<br />

Gisela Klinkhammer<br />

Pränataldiagnostik:<br />

Ver<strong>an</strong>twortliche ärztliche Tätigkeit im Grenzbereich . . . . . . . . . . 158<br />

Prof. Dr. med. Fr<strong>an</strong>z Kainer<br />

Diskussion: Pränataldiagnostik:<br />

Ver<strong>an</strong>twortliche ärztliche Tätigkeit im Grenzbereich . . . . . . . . . . 163<br />

Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik:<br />

Bildung einer ärztlichen Identität. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164<br />

Dr. med. Götz Fabry, Ruth Marquard<br />

Stammzellen: <strong>Forschung</strong> im Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167<br />

Dr. med. Georg Döhmen, Prof. Dr. med. H<strong>an</strong>s Edgar Reis<br />

„1000Fragen“-Projekt: Diskussion zur Bioethik . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170<br />

<strong>Dokumentation</strong>: Stellungnahme zur <strong>PID</strong> . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170<br />

EKD-Erklärung „Was ist der Mensch?“:<br />

Das Wesen in der Petrischale ernst nehmen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170<br />

Dorthe Kieckbusch<br />

Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik als Option:<br />

Differenzierte Meinung der Behinderten-Vertreter . . . . . . . . . . . . 171<br />

Sabine Rieser


Heft 1–2, 7. J<strong>an</strong>uar 2002<br />

<strong>Forschung</strong> und Ethik<br />

Noch im J<strong>an</strong>uar wird die Entscheidung<br />

in einer in Deutschl<strong>an</strong>d seit<br />

Monaten heftig umstrittenen Frage<br />

erwartet: Embryonale Stammzellforschung<br />

– ja oder nein? Eine Antwort<br />

darauf soll der Deutsche Bundestag<br />

nach einer erneuten Debatte am 30. J<strong>an</strong>uar<br />

geben. Die Deutsche <strong>Forschung</strong>sgemeinschaft<br />

(DFG) will am 31. J<strong>an</strong>uar<br />

über die öffentliche Förderung des Projekts<br />

von Prof. Dr. med. Oliver Brüstle,<br />

der embryonale Stammzelllinien importieren<br />

will, entscheiden.<br />

Die Entscheidung ist bereits mehrfach<br />

verschoben worden, zuletzt am<br />

7. Dezember 2001, um dem Bundestag<br />

nochmals Gelegenheit zur Diskussion<br />

zu geben. Die Enquete-Kommission<br />

„Recht und Ethik der modernen Medizin“,<br />

die sich im November mehrheitlich<br />

gegen die <strong>Forschung</strong> <strong>an</strong> embryonalen<br />

Stammzellen und gegen den Import von<br />

Zelllinien w<strong>an</strong>dte, macht es den Abgeordneten<br />

nicht leicht. Da es sich um eine<br />

Gewissensfrage h<strong>an</strong>dele, gab sie keine<br />

Empfehlung für die Abstimmung. Eine<br />

Minderheit plädierte dafür, den Import<br />

unter strengen Voraussetzungen zu tolerieren.<br />

Dies ist auch die Ansicht der<br />

knappen Mehrheit des Nationalen Ethikrats.<br />

Das von Bundesk<strong>an</strong>zler Gerhard<br />

Schröder im Frühjahr 2001 eingesetzte<br />

Gremium befürwortete am 29. November<br />

den Import von embryonalen<br />

Stammzellen unter strengen Auflagen<br />

und mit einer Befristung auf drei Jahre.<br />

Bundesforschungsministerin Edelgard<br />

Bulmahn will die <strong>Forschung</strong> <strong>an</strong><br />

„überzähligen“ <strong>Embryonen</strong> ebenso erlauben<br />

wie die Zentrale Ethikkommission,<br />

die zwar bei der Bundesärztekammer<br />

(BÄK) <strong>an</strong>gesiedelt, jedoch von ihr<br />

unabhängig ist. Der Präsident der<br />

BÄK, Prof. Dr. med. Jörg-Dietrich<br />

Hoppe, mahnt indes zur Besonnenheit.<br />

M<strong>an</strong> solle zunächst die Möglichkeiten<br />

der <strong>Forschung</strong> <strong>an</strong> adulten Stammzellen<br />

ausschöpfen, fordert er.<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

Die Weichen sind gestellt<br />

Embryonale Stammzellforschung und <strong>PID</strong> sind umstrittene<br />

Themen, für die in diesem Jahr Entscheidungen <strong>an</strong>stehen.<br />

Ablehnend steht Bundesjustizministerin<br />

Däubler-Gmelin der <strong>Forschung</strong><br />

<strong>an</strong> embryonalen Stammzellen gegenüber.<br />

Sie ist der Ansicht, dass <strong>Embryonen</strong><br />

als frühe Formen des menschlichen<br />

Lebens nicht „vernutzt“ werden dürften.<br />

<strong>Forschung</strong>sfreiheit gehöre zwar zu<br />

den Grundrechten, sagte sie Ende Dezember<br />

in Berlin, doch Anwendungsforschung<br />

am Menschen sei selbstverständlich<br />

nicht frei. „Egal, wie das Votum<br />

des Bundestages am 30. J<strong>an</strong>uar ausfällt“,<br />

sagte Däubler-Gmelin, <strong>an</strong> den<br />

DFG-Präsidenten Prof. Dr. Ernst-Ludwig<br />

Winnacker gew<strong>an</strong>dt, „erwarte ich,<br />

dass dies auf die DFG-Entscheidung<br />

Einfluss hat!“ Deren Meinung steht jedoch<br />

bereits seit Mai verg<strong>an</strong>genen Jahres<br />

grundsätzlich fest: M<strong>an</strong> könne in<br />

Deutschl<strong>an</strong>d nicht auf die <strong>Forschung</strong> <strong>an</strong><br />

embryonalen Stammzellen verzichten.<br />

Auch die Max-Pl<strong>an</strong>ck-Gesellschaft sieht<br />

das so.<br />

Die Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik (<strong>PID</strong>)<br />

ist längst kein Tabuthema mehr.Die Zahl<br />

ihrer Befürworter jedenfalls scheint zuzunehmen.<br />

Zurzeit ist diese Methode<br />

vorgeburtlicher Diagnostik nach dem<br />

<strong>Embryonen</strong>schutzgesetz verboten.Aber<br />

auch das ist umstritten. Der Wissenschaftliche<br />

Beirat der BÄK, der mit<br />

seinem „Diskussionsentwurf zu einer<br />

Richtlinie zur Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik“<br />

(DÄ, Heft 9/2000) die Debatte<br />

über diese Methode ausgelöst hatte,<br />

hält die <strong>PID</strong> für mit dem <strong>Embryonen</strong>schutzgesetz<br />

vereinbar. In einer jetzt<br />

vorgelegten „Ergänzenden Stellungnahme“<br />

hält er nach Überprüfung der Einwände<br />

<strong>an</strong> seiner Position fest, „wonach<br />

die <strong>PID</strong> im Einzelfall bei Verdacht auf<br />

die Entstehung einer schwerwiegenden<br />

genetischen Erkr<strong>an</strong>kung in engen<br />

Grenzen und Einhaltung strikter Verfahrensregeln<br />

aus medizinischen, ethischen<br />

und rechtlichen Gesichtspunkten<br />

vertretbar ist“. Der Wissenschaftliche<br />

Beirat drängt allerdings auf eine<br />

Klärung der Zulässigkeit der <strong>PID</strong> durch<br />

den Gesetzgeber. Die Bundesärztekammer<br />

hat dieser Stellungnahme noch nicht<br />

zugestimmt, deren Vorst<strong>an</strong>d will sich<br />

am 17. J<strong>an</strong>uar eine Meinung dazu bilden.<br />

Die Mehrheit der Delegierten des<br />

104. Deutschen Ärztetages in Ludwigshafen<br />

hatte ebenfalls <strong>an</strong> den Gesetzgeber<br />

appelliert, rechtliche Klarheit<br />

über die Zulässigkeit der <strong>PID</strong> herzustellen.<br />

Für den Fall einer Zulassung müsse<br />

der Gesetzgeber weitere Kriterien für<br />

eine maximale Eingrenzbarkeit dieser<br />

Methode mitgestalten, heißt es in einem<br />

Beschluss. Auch in der Politik besteht<br />

keine Einigkeit in der Frage, ob die <strong>PID</strong><br />

zugelassen werden sollte. Nur die Freien<br />

Demokraten haben sich festgelegt: Sie<br />

sprechen sich eindeutig für die <strong>PID</strong> aus<br />

und haben einen entsprechenden Gesetzentwurf<br />

vorgelegt, der in erster Lesung<br />

am 14.Dezember im Bundestag beraten<br />

wurde. Dieser Entwurf stieß auf<br />

scharfe Kritik bei zahlreichen Abgeordneten<br />

unterschiedlicher Fraktionen.<br />

„Die Zulassung der <strong>PID</strong> k<strong>an</strong>n stigmatisierende<br />

und diskriminierende Tendenzen<br />

in der Gesellschaft gegenüber Menschen<br />

mit Behinderungen und chronisch<br />

Kr<strong>an</strong>ken verstärken“, sagte die Behindertenbeauftragte<br />

der SPD-Bundestagsfraktion,<br />

Helga Kühn-Mengel. Für<br />

Maria Böhmer (CDU/CSU) bedeutet<br />

<strong>PID</strong>,„dass menschliches Leben selektiert<br />

und getötet wird“.<br />

Dr. med. Eva A. Richter/Gisela Klinkhammer<br />

125


Heft 1–2, 7. J<strong>an</strong>uar 2002<br />

Stammzellen<br />

Die Stammzellforschung weckt derzeit<br />

Hoffnung auf eine nahezu<br />

unbegrenzte Anwendung von<br />

Stammzellen in der regenerativen Medizin.<br />

Ergebnisse aus Tierversuchen mit<br />

embryonalen und adulten Stammzellen<br />

lassen vermuten,dass in einer nicht allzu<br />

fernen Zukunft für die Tr<strong>an</strong>spl<strong>an</strong>tation<br />

geeignete Spenderzellen in Zellkulturverfahren<br />

hergestellt werden können.<br />

Einen starken Aufschwung nahm die<br />

Stammzellforschung Ende 1998, als<br />

Wissenschaftler Verfahren zur Kultur<br />

hum<strong>an</strong>er Stammzellen aus in vitro<br />

befruchteten menschlichen <strong>Embryonen</strong><br />

entwickelten. Die Arbeitsgruppe um<br />

James Thomson, University of Wisconsin,<br />

Madison (USA), isolierte aus einem<br />

sieben Tage alten Embryo Stammzellen<br />

und gew<strong>an</strong>n daraus mehrere<br />

Zelllinien. Diese Methode eröffnete<br />

völlig neue Perspektiven für Gewebezucht<br />

und Org<strong>an</strong>ersatz. Das Wissenschaftsmagazin<br />

„Science“ deklarierte<br />

1999 zum Jahr der Stammzellforschung<br />

(„Breakthrough 1999“).<br />

Ethische und rechtliche Fragen<br />

Embryonale Stammzellen scheinen<br />

grundsätzlich zur Züchtung von Gewebe<br />

oder Org<strong>an</strong>en geeignet zu sein. Es ist<br />

durchaus denkbar, dass künftig fehlerhafte<br />

Org<strong>an</strong>funktionen durch Tr<strong>an</strong>spl<strong>an</strong>tation<br />

von gezüchteten Stammzellen<br />

behoben und somit einige erbliche<br />

und erworbene Erkr<strong>an</strong>kungen geheilt<br />

werden können. Allerdings wirft die<br />

Gewinnung von Stammzellen aus „geopferten“<br />

<strong>Embryonen</strong> viele ethische,<br />

moralische und rechtliche Fragen auf.<br />

Dies ist bei adulten Stammzellen weniger<br />

der Fall. Die aus dem erwachse-<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

„Rohstoff“ für die<br />

regenerative Medizin<br />

Stammzellen gelten als Hoffnungsträger in der<br />

regenerativen Medizin. Doch sowohl embryonale als auch<br />

adulte Stammzellen weisen Vor- und Nachteile auf.<br />

126<br />

nen Org<strong>an</strong>ismus gewonnenen Stammzellen<br />

scheinen ebenfalls ein <strong>an</strong>nähernd<br />

unbegrenztes Differenzierungspotenzial<br />

zu besitzen. Im Labor lassen sich aus<br />

ihnen unter speziellen Bedingungen<br />

Muskel-, Knorpel-, Leber- oder Nervenzellen<br />

züchten. Bisher war ihre Umw<strong>an</strong>dlungsfähigkeit<br />

oder Plastizität unbek<strong>an</strong>nt.<br />

Sie könnte aber genutzt werden,<br />

um spezifische Zellen oder Gewebsverbände<br />

für die Tr<strong>an</strong>spl<strong>an</strong>tation<br />

herzustellen.<br />

Stammzellen können auf verschiedenen<br />

Wegen gewonnen werden:<br />

Adulte Stammzellen lassen sich aus<br />

fetalen Geweben, Nabelschnurblut<br />

oder aus<br />

Geweben eines Erwachsenen<br />

(zum Beispiel<br />

aus dem Knochenmark)<br />

isolieren.<br />

Embryonale Stammzellen<br />

(ES) werden aus<br />

bis zu sieben Tagen<br />

alten <strong>Embryonen</strong> gewonnen.<br />

Mehrere Arbeitsgruppen<br />

haben inzwischen<br />

Zelllinien<br />

etabliert, wobei jede<br />

eine fast unerschöpfliche<br />

Quelle für <strong>Forschung</strong>s-<br />

und Beh<strong>an</strong>dlungszwecke<br />

darstellen<br />

könnte. Auch aus den<br />

Urkeimzellen während<br />

Grafik<br />

der fetalen Entwicklung können „embryonale<br />

germ“-(EG-) Zellen abgeleitet<br />

werden. Menschliche EG-Zellen<br />

besitzen ähnliche Potenziale wie ES-<br />

Zellen. Ob die aus menschlichen EG-<br />

Zellen abgeleiteten Spenderzellen nach<br />

Tr<strong>an</strong>spl<strong>an</strong>tation zur Geweberegeneration<br />

eingesetzt werden können, ist zurzeit<br />

offen.<br />

Die Entwicklungspotenziale der embryonalen<br />

Stammzellen (ES-Zellen,<br />

EG-Zellen) und der adulten Stammzellen<br />

unterscheiden sich deutlich. Generell<br />

nimmt das entwicklungsbiologische<br />

Potenzial mit dem ontogenetischen Alter<br />

ab. Die ES-Zellen und EG-Zellen<br />

eignen sich deshalb wahrscheinlich<br />

besonders für Zellersatzstrategien bei<br />

Geweben, die sich nur sehr eingeschränkt<br />

regenerieren (speziell für das<br />

Nervensystem). So konnten aus ES-<br />

Zellen der Maus abgeleitete Zellen in<br />

einem Rattenmodell bei einer Myelinm<strong>an</strong>gel-Kr<strong>an</strong>kheit<br />

den Myelinm<strong>an</strong>gel<br />

wieder aufheben. Da die multiple<br />

Sklerose ebenfalls eine Myelinm<strong>an</strong>gel-<br />

Kr<strong>an</strong>kheit ist, sind <strong>an</strong>aloge Therapie<strong>an</strong>sätze<br />

vorstellbar. Aus ES-Zellen der<br />

Maus können auch Nervenzelltypen<br />

hergestellt werden, die bei Morbus<br />

Parkinson defekt sind. Vorstellbar<br />

ist ferner die Tr<strong>an</strong>spl<strong>an</strong>tation von ES-<br />

Zellen abgeleiteten Herzmuskelzellen<br />

zur Beh<strong>an</strong>dlung von Herzinsuffizienz<br />

und Herzinfarkt. Ein ebenso viel versprechender<br />

Weg ist die In-vitro-Differenzierung<br />

insulinbildender Zellen zur Beh<strong>an</strong>dlung<br />

des Diabetes mellitus.<br />

Korrelation zwischen Selbsterneuerungspotenzial und ontogenetischem<br />

Alter bei einem und demselben Phänotyp von Blutstammzellen.<br />

Das Potenzial ist am höchsten bei Zellen aus fetaler<br />

Leber, gefolgt von denen aus Nagelschnurblut, und am niedrigsten<br />

aus erwachsenem Knochenmark. Quelle: Anthony D. Ho et al.<br />

In jüngster Zeit hat sich herausgestellt,<br />

dass adulte Stammzellen nicht<br />

nur Zellen des entsprechenden Org<strong>an</strong>s<br />

hervorbringen können, sondern auch<br />

Zellen <strong>an</strong>derer Gewebe oder Org<strong>an</strong>e.<br />

Aus dem Knochenmark wurden zum<br />

Beispiel nicht nur neue Blutzellen abgeleitet,<br />

sondern auch Zellen verschiedener<br />

Körpergewebe, wie Knochen,


Knorpel, Sehnen, Muskeln, Leber. Sogar<br />

Nervenzellen bildeten sich. Neurale<br />

Stammzellen, isoliert aus einer erwachsenen<br />

Maus, können nach Impl<strong>an</strong>tation<br />

in frühe Embryonalstadien einer Empfängermaus<br />

in zahlreichen Geweben<br />

und Org<strong>an</strong>en identifiziert werden. Ein<br />

breites Differenzierungsspektrum ließ<br />

sich auch für Stammzellen aus dem<br />

Skelettmuskel nachweisen. Eine Tr<strong>an</strong>spl<strong>an</strong>tation<br />

von Knochenmarkzellen behob<br />

bei Mäusen einen <strong>an</strong>sonsten wahrscheinlich<br />

tödlich verlaufenden Leberschaden.<br />

Im April 2001 hat eine amerik<strong>an</strong>ische<br />

Arbeitsgruppe über die Regeneration<br />

von Cardiomyozyten nach<br />

Herzinfarkt berichtet. Sie umspritzte<br />

das infarzierte Gebiet mit Blutstammzellen<br />

aus einem Spendertier. Bei<br />

Mäuseherzen mit künstlich erzeugtem<br />

Infarkt erreichte eine weitere Arbeitsgruppe<br />

durch Tr<strong>an</strong>spl<strong>an</strong>tation von<br />

Blutstammzellen eine Gefäßneubildung<br />

und Regeneration der Cardiomyozyten.<br />

Auch autologe Blutstammzellen werden<br />

zur Gefäßneubildung nach einer induzierten<br />

Ischämie des Skelettmuskels<br />

verwendet. Allerdings gel<strong>an</strong>gen den<br />

Forschern die meisten Versuche bisher<br />

nur im Tiermodell.<br />

Klinische Relev<strong>an</strong>z fraglich<br />

Im Gegensatz zu den adulten Stammzellen<br />

sind die embryonalen Stammzellen<br />

aus Zelllinien eine fast unerschöpfliche<br />

Quelle. Die Konzentration pluripotenter<br />

Stammzellen im erwachsenen<br />

Org<strong>an</strong>ismus ist dagegen gering. Aber<br />

nur diese reifen in Gewebe mit sehr<br />

niedrigen Teilungsraten, wie Neuronen,<br />

Cardiomyozyten oder Inselzellen, aus.<br />

Bei den Tiermodellen wurden Tr<strong>an</strong>spl<strong>an</strong>tate<br />

aus <strong>an</strong>gereicherten Zellen eines<br />

Spendertiers verwendet. Das Tier<br />

musste geopfert werden. Ob adulte<br />

Stammzellen klinische Relev<strong>an</strong>z erreichen,<br />

ist daher fragwürdig.<br />

Die Verwendung von embryonalen<br />

Stammzellen birgt jedoch ethische Probleme<br />

und auch einige Gefahren. Im<br />

Tierversuch induzierte die Tr<strong>an</strong>spl<strong>an</strong>tation<br />

von unreifen embryonalen Zellen<br />

Teratome oder Teratokarzinome. Der<br />

Einsatz spezieller Kulturbedingungen<br />

k<strong>an</strong>n diese Gefahr allerdings zumindest<br />

im Tierversuch beseitigen. Eine Tr<strong>an</strong>s-<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

pl<strong>an</strong>tation von aus ES-Zellen abgeleiteten<br />

Spenderzellen führt in einem erwachsenen<br />

Org<strong>an</strong>ismus möglicherweise<br />

zu Abstoßungsreaktionen. Daher<br />

müssen die ES-Zellen zuerst auf einen<br />

geordneten Differenzierungsweg gelenkt<br />

werden (Priming). Ob sich aus<br />

menschlichen ES-Zellen Spenderzellen<br />

gewinnen lassen, wird derzeit intensiv<br />

untersucht. Nur durch <strong>Forschung</strong>sarbeiten<br />

<strong>an</strong> menschlichen ES-Zellen lassen<br />

sich solche Informationen ableiten.<br />

Nabelschnurblut, das in der Regel<br />

nach der Geburt entsorgt wird, enthält<br />

eine begrenzte Anzahl von Blutstammzellen<br />

und pluripotenten Stammzellen.<br />

Durch Tr<strong>an</strong>spl<strong>an</strong>tation dieser Zellen<br />

lässt sich ein intaktes Blut- und Immunsystem<br />

wiederherstellen. Nabelschnurblut<br />

enthält jedoch keine ausreichende<br />

Zahl von Stammzellen, um auch größere<br />

Kinder und Erwachsene zu beh<strong>an</strong>deln.<br />

Deshalb versuchen Wissenschaftler seit<br />

Jahren, unter kontrollierten Bedingungen<br />

Stammzellen zu kultivieren und zu<br />

vermehren. Die pluripotenten Stammzellen<br />

brauchen aber offensichtlich spezielle<br />

Kulturbedingungen. Bisher ist ihre<br />

Vermehrung aus Knochenmark des Erwachsenen<br />

oder aus Nabelschnurblut<br />

noch nicht überzeugend gelungen.<br />

Alternative: fetale Stammzellen<br />

Fetale Gewebe kommen prinzipiell auch<br />

als Quelle pluripotenter Stammzellen infrage.Fetale<br />

Knochenmarks- und Leberzellen<br />

besitzen ein relativ hohes Proliferations-<br />

und Selbsterneuerungspotenzial.<br />

Ob das Plastizitätspotenzial mit den<br />

Selbsterneuerungs- und Proliferationspotenzialen<br />

korreliert, wird intensiv untersucht.<br />

Eventuell stellen diese Stammzellen<br />

eine Alternative für die regenerative<br />

Medizin dar (Grafik).<br />

Die fetalen Stammzellen können jedoch<br />

nur während eines sehr engen Entwicklungsfensters<br />

aus abortiertem Gewebe<br />

von Feten gewonnen werden.Da in<br />

der Regel nur aus medizinischen Gründen<br />

ein Abort eingeleitet wird, wahrscheinlich<br />

aufgrund einer Fehlbildung<br />

oder einer Embryopathie, ist solches Material<br />

möglicherweise mit zellulären<br />

Schäden assoziiert und nur bedingt für<br />

die Gewinnung therapeutisch einsetzbarer<br />

Spenderzellen geeignet.<br />

Durch In-vitro-M<strong>an</strong>ipulationen können<br />

aus dem „Rohstoff“ Stammzelle<br />

vermutlich eines Tages Knorpel-, Leber-<br />

oder Nervenzellen gezüchtet werden.<br />

Diese könnten sich zur Tr<strong>an</strong>spl<strong>an</strong>tation<br />

bei Patienten mit Gelenkserkr<strong>an</strong>kungen,<br />

Leberversagen, Alzheimer-Demenz,<br />

Morbus Parkinson, Schlag<strong>an</strong>fall<br />

oder Querschnittslähmungen eignen.<br />

Wegen ihrer enormen Selbsterneuerungsfähigkeit<br />

und des entwicklungsbiologischen<br />

Potenzials können embryonale<br />

Stammzellen wahrscheinlich<br />

für Zellersatzstrategien bei Geweben<br />

eingesetzt werden, die nur ein sehr eingeschränktes<br />

Regenerationsvermögen<br />

aufweisen. Adulte Stammzellen können<br />

auch neue Differenzierungswege „erlernen“,<br />

sind jedoch schwer im Org<strong>an</strong>ismus<br />

zu finden. Hinzu kommt, dass<br />

die Selbsterneuerungsfähigkeit solcher<br />

Stammzellen relativ gering ist. Es ist daher<br />

fragwürdig, ob diese theoretisch interess<strong>an</strong>te<br />

Alternative für den klinischen<br />

Einsatz bedeutsam sein wird.<br />

Beim derzeitigen St<strong>an</strong>d ist es daher besser,<br />

sich alle Wege offen zu halten, <strong>an</strong>statt<br />

sich auf eine feste Strategie der<br />

Stammzellforschung zu beschränken.<br />

Anschrift des Verfassers:<br />

Prof. Dr. med. Anthony D. Ho<br />

Universität Heidelberg<br />

Medizinische Klinik und Poliklinik V<br />

Hospitalstraße 3, 69115 Heidelberg<br />

127


Heft 3, 18. J<strong>an</strong>uar 2002<br />

Stammzellforschung<br />

Embryonale Stammzellen sind gerade<br />

schwer in Mode“, sagte der Vorsitzende<br />

des Nationalen Ethikrates,<br />

Prof. Dr. jur. Spiros Simitis, Anf<strong>an</strong>g J<strong>an</strong>uar<br />

in einem Interview mit dem „Spiegel“.<br />

<strong>Forschung</strong> dürfe sich jedoch nicht<br />

nach irgendwelchen Modetrends richten.<br />

Auch ökonomische Faktoren dürften<br />

bei der Entscheidung keine Rolle<br />

spielen. „Wenn die Länder und der<br />

Bund massiv in die <strong>Forschung</strong> mit adulten<br />

Stammzellen investierten, würden<br />

wir <strong>an</strong>dere Ergebnisse haben“, erklärte<br />

der Jurist. Das Dilemma der deutschen<br />

Stammzelldebatte sei es, dass sie zu einem<br />

Zeitpunkt begonnen habe, <strong>an</strong> dem<br />

die Vorentscheidungen bereits weitgehend<br />

getroffen waren, meint Simitis.Alternative<br />

Wege seien jetzt nur noch<br />

schwer zu beschreiten.<br />

Riss durch alle Parteien<br />

Tatsächlich dreht sich die politische Diskussion<br />

nahezu ausschließlich um die<br />

<strong>Forschung</strong> <strong>an</strong> embryonalen Stammzellen<br />

(ES-Zellen) und kaum um die <strong>an</strong> adulten<br />

Stammzellen (AS-Zellen). In einem<br />

fraktionsübergreifenden Gruppen<strong>an</strong>trag<br />

fordern die Gegner der <strong>Forschung</strong> <strong>an</strong> ES-<br />

Zellen aus SPD, Bündnis 90/Die Grünen,<br />

PDS und CSU die Bundesregierung<br />

nochmals auf, den Import von menschlichen<br />

Stammzelllinien zu verhindern. Zudem<br />

liegt ein Antrag von Importgegnern<br />

in der CDU vor. Als Antwort auf diese<br />

Anträge haben dagegen Befürworter des<br />

Stammzelllinien-Imports, darunter Margot<br />

von Renesse (SPD), Vorsitzende der<br />

Enquete-Kommission „Recht und Ethik<br />

der modernen Medizin“, ebenfalls eine<br />

128<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

Erfolg versprechende<br />

Therapie<strong>an</strong>sätze<br />

Die Entscheidung zur Stammzellforschung steht bevor. In der<br />

gesellschaftlichen Diskussion ist derzeit die <strong>Forschung</strong> <strong>an</strong><br />

adulten Stammzellen in den Hintergrund getreten, obwohl<br />

auch diese ein erhebliches Therapiepotenzial besitzen.<br />

Initiative verfasst. Darin plädieren sie für<br />

den Import, aber unter noch strengeren<br />

Vorschriften, als sie vom Nationalen<br />

Ethikrat empfohlen werden.<br />

Der Ethikrat befürwortet einen Import<br />

von ES-Zelllinien nur, wenn die verwendeten<br />

<strong>Embryonen</strong> unabhängig von<br />

<strong>Forschung</strong>svorhaben durch künstliche<br />

Befruchtung erzeugt wurden und nicht<br />

mehr tr<strong>an</strong>sferiert werden. Das Paar, aus<br />

dessen Keimzellen der Embryo erzeugt<br />

wurde, muss zustimmen. Die <strong>Forschung</strong>svorhaben<br />

müssen eine medizinische<br />

Perspektive haben und interdisziplinär<br />

begutachtet werden. Die knappe<br />

Mehrheit des Rates hatte am 29. November<br />

2001 für den Import unter diesen<br />

Auflagen und mit einer Befristung auf<br />

drei Jahre plädiert. Kurz vor Weihnachten<br />

hat der Rat seine schriftliche Stellungnahme<br />

zum Import menschlicher ES-<br />

Zellen vorgelegt. Darin erläutert er seine<br />

Argumente sowohl für als auch gegen die<br />

Gewinnung von ES-Zellen. Ein großer<br />

Teil des Memor<strong>an</strong>dums beschäftigt sich<br />

mit den Argumenten für oder gegen deren<br />

Import. Dabei gel<strong>an</strong>gt der Nationale<br />

Ethikrat zu vier möglichen Schlussfolgerungen.<br />

Option A hält den Import<br />

und die Gewinnung von embryonalen<br />

Stammzellen aus überzähligen <strong>Embryonen</strong><br />

für zulässig (auch im Inl<strong>an</strong>d). Nach<br />

Option B dürfen die ES-Zellen zwar importiert,<br />

jedoch nicht erzeugt werden. 15<br />

Mitglieder sprachen sich für diese Option<br />

aus, darunter neun Mitglieder, die zugleich<br />

Option A befürworteten. Option<br />

C wendet sich vorläufig gegen den Import.<br />

Bis 2004 sollen noch offene Fragen<br />

geklärt werden, insbesondere soll die<br />

<strong>Forschung</strong> <strong>an</strong> adulten Stammzellen gezielt<br />

gefördert werden. Option D lehnt<br />

den Import grundsätzlich als ethisch unzulässig<br />

ab. Die Gewinnung von embryonalen<br />

Stammzellen wird als Tötung<br />

menschlichen Lebens <strong>an</strong>gesehen. Zehn<br />

Mitglieder sprachen sich für das Moratorium<br />

aus (Option C), darunter vier Mitglieder,<br />

die gleichzeitig für Option D<br />

stimmten. Einig ist sich der Ethikrat darin,<br />

dass die <strong>Forschung</strong> <strong>an</strong> embryonalen<br />

Stammzellen Fragen der Menschenwürde,<br />

des Lebensschutzes und der Wissenschaftsfreiheit<br />

aufwirft, die es gegenein<strong>an</strong>der<br />

abzuwägen gilt. Der Suche nach<br />

neuen Therapiemöglichkeiten misst er<br />

ein hohes Gewicht bei. Umstritten bleibt<br />

jedoch, welche Wege der <strong>Forschung</strong> mit<br />

hum<strong>an</strong>en Stammzellen notwendig und<br />

ethisch vertretbar sind.<br />

Bundesjustizministerin Prof. Dr. jur.<br />

Herta Däubler-Gmelin sähe es gern,<br />

wenn stärker auf adulte Stammzellen gesetzt<br />

würde. Dies sagte sie im Dezember<br />

bei einer Podiumsdiskussion der Wochenzeitung<br />

„Die Zeit“ in Berlin. Der<br />

Präsident der Deutschen <strong>Forschung</strong>sgemeinschaft<br />

(DFG), Prof. Dr. rer. nat.<br />

Ernst-Ludwig Winnacker, und Prof. Dr.<br />

med. Otmar D.Wiestler, Direktor des Institutes<br />

für Neuropathologie der Universität<br />

Bonn, verteidigten die <strong>Forschung</strong> <strong>an</strong><br />

ES-Zellen. Diese würden viele Vorteile<br />

gegenüber den adulten Stammzellen bieten,<br />

beispielsweise die nahezu unbegrenzte<br />

Vermehrbarkeit. „M<strong>an</strong> darf die<br />

Zweige der Stammzellforschung nicht<br />

gegenein<strong>an</strong>der in die Waagschale legen“,<br />

betonte Wiestler. Der Verzicht auf ES-<br />

Zellen sei kurzsichtig, die <strong>Forschung</strong> <strong>an</strong><br />

adulten Stammzellen allein führe nicht<br />

zum Ziel. Winnacker berief sich auf die<br />

<strong>Forschung</strong>sfreiheit: „Jetzt hat m<strong>an</strong> schon<br />

ein schlechtes Gewissen, wenn m<strong>an</strong> nur<br />

darüber redet.“ Grundlegende <strong>Forschung</strong>serfolge<br />

habe es immer nur in<br />

Grenzbereichen gegeben. Die Justizministerin<br />

konterte: <strong>Forschung</strong>sfreiheit<br />

gehöre zwar zu den Grundrechten, Anwendungsforschung<br />

am Menschen sei jedoch<br />

nicht frei. „Egal, wie die Bundestags-Entscheidung<br />

ausfällt, sie wird<br />

großen Einfluss auf die DFG haben“, betonte<br />

Däubler-Gmelin.<br />

Den möglichen Einsatz adulter neuronaler<br />

Stammzellen als Zellersatz untersucht<br />

unter <strong>an</strong>derem der Neurobiologe<br />

Dr. rer. nat. Ludwig Aigner in einem<br />

Forscherteam * der Universität Regensburg.<br />

Er berichtete darüber bei ei-


nem Symposium der Berliner Medizinischen<br />

Gesellschaft Ende November in<br />

Berlin. Seine Arbeitsgruppe versucht,<br />

ausgehend von Resektaten aus der<br />

Epilepsiechirurgie, adulte neuronale<br />

Stammzellen zu kultivieren, zu differenzieren<br />

und in den Org<strong>an</strong>ismus zu retr<strong>an</strong>spl<strong>an</strong>tieren.<br />

Dazu sollen zunächst<br />

geeignete Zellkulturmethoden zur Vermehrung<br />

und Reifung der adulten<br />

Stammzellen entwickelt werden.<br />

Der <strong>Forschung</strong>s<strong>an</strong>satz beruht auf der<br />

Erkenntnis, dass Stammzellen nicht nur<br />

während der embryonalen und fetalen<br />

Entwicklung, sondern auch im adulten<br />

Gehirn existieren und sich zu neuen<br />

Nervenzellen entwickeln können (Neurogenese).<br />

Bis vor wenigen Jahren<br />

glaubte m<strong>an</strong> noch, dass sich die Gehirnzellen<br />

nach der Geburt nur noch reduzieren,<br />

nicht aber regenerieren und vermehren<br />

können. Inzwischen ist jedoch<br />

die Neurogenese im adulten Gehirn<br />

nachgewiesen, vor allem im Bulbus olfactorius,<br />

im Gyrus dentatus des Hippocampus<br />

und im Neocortex.<br />

* Dr. rer. nat. H<strong>an</strong>s-Georg Kuhn, Dr. med. Norbert Weidner<br />

und Dr. med. Jürgen Winkler<br />

Nachgefragt<br />

DÄ: Herr Aigner, wird die Tr<strong>an</strong>spl<strong>an</strong>tation<br />

von adulten neuralen Stammzellen<br />

die Therapie der Zukunft bei neurologischen<br />

Erkr<strong>an</strong>kungen sein?<br />

Aigner: Neurale Stammzellen des<br />

adulten Nervensystems werden sicherlich<br />

nicht das Allheilmittel sämtlicher<br />

neurologischer Erkr<strong>an</strong>kungen sein. Ihr<br />

Einsatz wird sich primär auf neurodegenerative<br />

Erkr<strong>an</strong>kungen, wie den<br />

Morbus Parkinson oder entzündliche<br />

Erkr<strong>an</strong>kungen, wie die multiple Sklerose,<br />

beschränken. Die derzeitigen Therapien<br />

versuchen lediglich den Zellverlust<br />

zu vermindern oder den Verlust von<br />

Neurotr<strong>an</strong>smitterstoffen zu kompensieren.<br />

Stammzelltherapien hingegen zielen<br />

auf einen zellulären Ersatz ab.<br />

DÄ: Die adulten neuronalen Stammzellen bieten<br />

einige Vorteile: Sie sind ohne ethische Bedenken<br />

verfügbar und werden nach autologer Tr<strong>an</strong>spl<strong>an</strong>tation<br />

nicht vom Org<strong>an</strong>ismus abgestoßen. Ist es da<br />

überhaupt nötig, menschliche embryonale Stammzellen<br />

zur Züchtung von Zellersatz einzusetzen?<br />

Aigner: Bei dem derzeitigen Wissensst<strong>an</strong>d sollen<br />

und müssen beide Zelltypen gleichwertig und intensiv<br />

zunächst im Tierexperiment auf ihr therapeutisches<br />

Potenzial und auf ihr Risiko getestet werden.<br />

Erst d<strong>an</strong>n k<strong>an</strong>n einer Zellpopulation der Vorzug für<br />

die klinische Anwendung gegeben werden. Die adul-<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

Auf dem Gebiet der adulten Stammzellforschung<br />

beschäftigen sich Ärzte<br />

und Wissenschaftler mit zwei grundsätzlichen<br />

Bereichen: der Stimulation<br />

der adulten Neurogenese in vivo und<br />

der Regulation in vitro. Die „In-vivo-<br />

Stammzellforscher“ versuchen, die Neurogenese<br />

durch Wachstumsfaktoren,<br />

Unterdrückung von Apoptose-Signalen<br />

und äußere Reize „vor Ort“ zu stimulieren<br />

und auf diese Weise Reparaturvorgänge<br />

zu induzieren und Zellverluste<br />

direkt im Gehirn zu kompensieren<br />

(DÄ, Heft 33/2001).<br />

„In-vitro-Stammzellforscher“ wie<br />

Aigner nutzen ebenfalls die Multipotenz<br />

der adulten neuronalen Stammzellen.<br />

Sie entnehmen diese jedoch und versuchen,<br />

deren Proliferation und Differenzierung<br />

durch Medienzusätze zu beeinflussen.<br />

Aigners Vision ist es, körpereigene<br />

Zellen zu vermehren und in vitro<br />

zu neuen Nerven- beziehungsweise<br />

Gliazellen (Astrozyten sowie Oligodendrozyten)<br />

reifen zu lassen und diese dem<br />

Spender autolog zu tr<strong>an</strong>spl<strong>an</strong>tieren. Somit<br />

würde die Gefahr der Tr<strong>an</strong>spl<strong>an</strong>tatabstoßung<br />

geb<strong>an</strong>nt, die bei der Tr<strong>an</strong>s-<br />

te Stammzellforschung profitiert<br />

auf jeden Fall von den<br />

Kenntnissen, die <strong>an</strong> embryonalen<br />

Zellen gewonnen worden<br />

sind, da die Regulationsmech<strong>an</strong>ismen,<br />

die die Proliferation<br />

und Differenzierung kontrollieren,<br />

vergleichbar sind.<br />

DÄ: Welches sind die größten<br />

Hindernisse bis zum klinischen<br />

Einsatz von adulten<br />

Stammzellen?<br />

Aigner: Derzeit ist der Einsatz<br />

primär durch die noch unzureichendenZellkulturbedingungen<br />

limitiert. Im Gegensatz<br />

zu ES-Zellen vermehren sich<br />

adulte Stammzellen nur ungenügend.<br />

Wir müssen noch Wege finden, die Zellproliferation<br />

zu steigern, um aus einer möglichst<br />

kleinen Biopsie in relativ kurzer Zeit möglichst viele<br />

neurale Stammzellen zu züchten.<br />

Dr. rer. nat. Ludwig Aigner,<br />

Nachwuchsgruppenleiter<br />

der Universität Regensburg,<br />

VW-Stiftung Foto: privat<br />

DÄ: In welchem Zeitraum könnten die Therapiestrategien<br />

umgesetzt werden?<br />

Aigner: Mit einer auf adulte neurale Stammzellen<br />

basierenden Zellersatztherapie k<strong>an</strong>n sicherlich<br />

nicht in den nächsten fünf Jahren gerechnet<br />

werden. Ein Zeitraum von zehn Jahren ist eher realistisch.<br />

pl<strong>an</strong>tation von embryonalen Stammzellen<br />

besteht.Neurale Stammzellen lassen<br />

sich bereits aus verschiedenen Gehirnregionen<br />

von Nagern und Menschen<br />

isolieren. „Durch geeignete Wachstumsfaktoren,<br />

wie den epidermalen<br />

Wachstumsfaktor (EGF) und den basischen<br />

Fibroblasten-Wachstumsfaktor<br />

(FGF-2) können die Zellen in Neurosphären<br />

(dreidimensionale Zellaggregate<br />

von neuralen Vorläuferzellen) <strong>an</strong>gereichert<br />

und vermehrt werden“, erklärt<br />

Aigner. Nach klonaler Exp<strong>an</strong>sion der<br />

Zellen entzog der Neurobiologe den<br />

Neurosphären die Wachstumsfaktoren<br />

und gab <strong>an</strong>dere Signalmoleküle hinzu<br />

(Retinolsäure sowie neurotrophe Faktoren).<br />

Daraufhin beobachtete er die<br />

Reifung der Stammzellen zu Nervenoder<br />

Gliazellen. Besonders erfolgversprechend<br />

sei der Einsatz der autologen<br />

Tr<strong>an</strong>spl<strong>an</strong>tation bei der Therapie des<br />

Morbus Parkinson, da dieser durch einen<br />

räumlich und funktionell relativ<br />

eng umschriebenen Nervenzellverlust<br />

charakterisiert ist. Bei Morbus Alzheimer<br />

hingegen sei eher eine endogene<br />

Stimulation der neuralen Stammzellen<br />

aussichtsreich. Bei Traumata, wie<br />

der Querschnittslähmung, ist ebenfalls<br />

die Tr<strong>an</strong>spl<strong>an</strong>tation von neuralen<br />

Stammzellen erfolgversprechend. Die<br />

dadurch ersetzten Gliazellen könnten<br />

ein neues Gerüst zur Wiedereinsprossung<br />

unterbrochener Nervenbahnen<br />

bilden. „Bei der Tr<strong>an</strong>spl<strong>an</strong>tation gehen<br />

wir davon aus, dass die In-vivo-Umgebung<br />

des Tr<strong>an</strong>spl<strong>an</strong>tats zusätzlich einen<br />

determinierenden Einfluss auf die<br />

Differenzierung ausübt“, erläuterte<br />

Aigner. Seinem Kollegen Weidner gel<strong>an</strong>g<br />

es bereits, aus dem erwachsenen<br />

ZNS gewonnene neurale Stammzellen<br />

in verletztes Rückenmark zu tr<strong>an</strong>spl<strong>an</strong>tieren,<br />

die sich in Gliazellen umw<strong>an</strong>delten.<br />

Am 30. J<strong>an</strong>uar werden die Abgeordneten<br />

des Deutschen Bundestages abschließend<br />

und allein nach ihrem Gewissen<br />

über die Zukunft der Stammzellforschung<br />

in Deutschl<strong>an</strong>d diskutieren.<br />

Die Abstimmung gehört damit zu den<br />

wenigen,bei denen es keinen Fraktionszw<strong>an</strong>g<br />

gibt. Einen Tag später will die<br />

DFG entscheiden, ob der Import von<br />

embryonalen Stammzelllinien aus dem<br />

Ausl<strong>an</strong>d mit öffentlichen Geldern gefördert<br />

werden soll. Dr. med. Eva A. Richter<br />

129


Heft 4, 25. J<strong>an</strong>uar 2002<br />

Stammzellforschung<br />

Nur wenige haben in ihrem Beruf<br />

unmittelbar mit menschlichen <strong>Embryonen</strong><br />

zu tun. Ontogenetisch gesehen<br />

bedeuten diese jedoch für alle<br />

gleichsam den dunklen Urgrund der individuellen<br />

Existenz,das „absolut Unbewusste“,<br />

wie der rom<strong>an</strong>tische Geburtshelfer,<br />

Naturforscher und Maler Carl<br />

Gustav Carus (1789 bis 1869) formulierte<br />

(2). Wir alle sind in unserem Leben<br />

selbst einmal <strong>Embryonen</strong> gewesen.Insofern<br />

h<strong>an</strong>delt die Thematik auch von uns<br />

selbst – und nicht nur von Zygoten, Zellhaufen,<br />

Blastozyten.<br />

130<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

Durch- oder Dammbruch<br />

Nächste Woche, am 30. J<strong>an</strong>uar, will der<br />

Deutsche Bundestag darüber entscheiden,<br />

ob embryonale Stammzellen<br />

nach Deutschl<strong>an</strong>d importiert werden<br />

dürfen. Er will damit eine Frage klären,<br />

die das deutsche <strong>Embryonen</strong>schutzgesetz<br />

offen gelassen hat – ob bewusst<br />

oder unbewusst, darüber streiten die<br />

Gelehrten. Die Deutsche <strong>Forschung</strong>sgemeinschaft<br />

steht bereits am Drücker,<br />

um grünes Licht für <strong>Forschung</strong>en <strong>an</strong><br />

embryonalen Stammzellen zu geben.<br />

Im Vorfeld der Bundestagsentscheidung<br />

hat es gegensätzliche gutachterliche<br />

Stellungnahmen gegeben. Die<br />

Enquete-Kommission des Bundestages<br />

plädierte für ein Verbot des Imports,<br />

ließ aber vorsorglich Alternativen erkennen.<br />

Der Nationale Ethikrat des<br />

Bundesk<strong>an</strong>zlers sprach sich für den<br />

Import aus, und die Zentrale Ethikkommission<br />

bei der Bundesärztekam-<br />

Heft 4, 25. J<strong>an</strong>uar 2002<br />

mer kam fast zeitgleich zum gleichen<br />

Ergebnis.<br />

Eine Äußerung der Bundesärztekammer<br />

selbst steht aus, wenn m<strong>an</strong> von<br />

einer zurückhaltenden Entschließung<br />

des Deutschen Ärztetages aus dem verg<strong>an</strong>genen<br />

Jahr einmal absieht. Der Vorst<strong>an</strong>d<br />

der Bundesärztekammer hatte<br />

sich noch am 17. J<strong>an</strong>uar von Wissenschaftlern<br />

über den St<strong>an</strong>d der Erkenntnisse<br />

informieren lassen, eine eigene<br />

Entscheidung jedoch hint<strong>an</strong>gestellt.<br />

In den Bundestagsfraktionen und innerhalb<br />

der Bundesregierung sind die<br />

Auffassungen nach wie vor geteilt. Es<br />

bleibt also sp<strong>an</strong>nend, mit welcher<br />

Mehrheit der Bundestag abstimmen<br />

wird. Die Hoffnung der Befürworter<br />

der embryonalen Stammzellforschung<br />

geht dahin, dass die Abgeordneten<br />

durch die l<strong>an</strong>gwierige öffentliche Diskussion<br />

weich gekocht sind, wenn sie<br />

<strong>Embryonen</strong>forschung und <strong>PID</strong><br />

Die experimentelle <strong>Forschung</strong> in der<br />

naturwissenschaftlich-biologischen Medizin<br />

folgt einer logischen Strategie. Im<br />

ersten Schritt werden bestimmte diagnostische<br />

oder therapeutische Methoden<br />

durch Tierversuche (Tiermodell) etabliert.<br />

Im zweiten Schritt folgt die Übertragung<br />

tierexperimentell gewonnener<br />

Fähigkeiten und Erkenntnisse auf den<br />

Menschen.Einem solchen Hum<strong>an</strong>experiment<br />

können im gesetzlich vorgegebenen<br />

Rahmen gesunde Versuchspersonen oder<br />

Kr<strong>an</strong>ke (Heilversuch) unterzogen werden.<br />

Bei positiven <strong>Forschung</strong>sergebnis-<br />

nicht ohnehin der Freiheit der <strong>Forschung</strong>,<br />

dem Wissenschaftsst<strong>an</strong>dort<br />

Deutschl<strong>an</strong>d und den Hoffnungen auf<br />

Heilung den Vorzug vor ethischen<br />

Überzeugungen geben.<br />

Eine positive Entscheidung des Bundestages<br />

würde von den einschlägigen<br />

Forschern gewiss als Durchbruch gewertet.<br />

Die Gegner befürchten eher einen<br />

Dammbruch. Ob Durchbruch oder<br />

Dammbruch, eine Zustimmung des<br />

Bundestages zum Import embryonaler<br />

Stammzellen wäre nur ein erster<br />

Schritt. Denn es würde nicht beim Import<br />

bleiben, sondern in der Logik der<br />

Entscheidung läge es, embryonale<br />

Stammzellen auch in Deutschl<strong>an</strong>d zu<br />

erzeugen und schließlich, <strong>Forschung</strong><br />

siegt, auch weitergehende <strong>Forschung</strong>en,<br />

so sie nur mit genügenden Heilsversprechungen<br />

verbunden sind, in die Wege<br />

zu leiten.<br />

Wenn der Bundestag das nicht will,<br />

d<strong>an</strong>n müsste er ein klares Wort sprechen<br />

und sich auf die Linie<br />

des <strong>Embryonen</strong>schutzgesetzes begeben.<br />

Norbert Jachertz<br />

„Ethik des Heilens“<br />

versus „Ethik der Menschenwürde“<br />

Eine kritische Betrachtung jenseits von Pro und Kontra<br />

Heinz Schott<br />

sen ist d<strong>an</strong>n die klinisch-praktische Medizin<br />

um eine neue Methode oder ein neues<br />

Heilmittel bereichert,die in einem dritten<br />

Schritt in die klinische Praxis eingeführt<br />

werden.<br />

Die Bonner Neurowissenschaftler Otmar<br />

Wiestler und Oliver Brüstle wollten<br />

gerade den üblichen konsequenten<br />

Schritt vom Tier- zum Hum<strong>an</strong>experiment<br />

machen:nämlich von der nachweisbaren<br />

Rekonstruktion defekter Rattenhirne<br />

mit Stammzellen aus Mäuseembryonen<br />

zur eventuellen möglichen Rekonstruktion<br />

defekter menschlicher Ge-


hirne mit Stammzellen aus menschlichen<br />

<strong>Embryonen</strong>. Was für die Forscher einen<br />

wissenschaftlich innovativen und therapeutisch<br />

viel versprechenden Schritt bedeutet,wird<br />

jedoch in der breiten Öffentlichkeit<br />

von vielen als Sk<strong>an</strong>dal empfunden,<br />

was zu schwerem Geschütz in den<br />

Feuilletons, heftigen Debatten in den<br />

Medien, programmatischen M<strong>an</strong>ifesten<br />

und Reden und vor allem zu einer Hochkonjunktur<br />

der professionellen Bioethik<br />

geführt hat. Diese hat sich zu einer Art<br />

„bioethics industry“ entwickelt. Nicht<br />

nur staatliche Großforschungsprojekte,<br />

sondern gerade auch die Privatunternehmen<br />

pl<strong>an</strong>en inzwischen von vornherein<br />

einen prozentualen Anteil der Investitionen<br />

für eine „begleitende“ Ethik ein.<br />

So ist der renommierte Moraltheologe<br />

Ronald M. Green Leiter der Ethikkommission<br />

der US-amerik<strong>an</strong>ischen Firma<br />

Adv<strong>an</strong>ced Cell Technology (ACT), die<br />

durch ihre jüngste Klonierung eines<br />

menschlichen Embryos weltweit Aufsehen<br />

erregt hat. Green vertritt eine liberale<br />

Eugenik: „Was wollen die Leute mit<br />

ihrem privaten Geld machen? Das soll<br />

ihnen überlassen bleiben.“ Die Mitglieder<br />

seien, wie er sagt, von der Firma ACT<br />

unabhängig und arbeiteten quasi „ehrenamtlich“.<br />

Jedes Mitglied des Ethikrates<br />

habe aber von vornherein gewusst, was<br />

die Firma vorgehabt habe, nämlich das<br />

therapeutische Klonen. Insofern sei es<br />

um eine ethische „Begleitung“ geg<strong>an</strong>gen:<br />

„Ich habe niem<strong>an</strong>den in den Beirat<br />

berufen, der die Nutzung von <strong>Embryonen</strong><br />

oder die gesamte <strong>Forschung</strong>srichtung<br />

grundsätzlich ablehnt. Das würde<br />

keinen Sinn machen.“(8)<br />

Patt-Situation<br />

Die menschlichen <strong>Embryonen</strong> sind<br />

nicht nur wegen der Stammzellforschung<br />

in den Mittelpunkt der gegenwärtigen<br />

Kontroverse gerückt, sondern<br />

auch wegen der Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

(<strong>PID</strong>). In beiden Fällen geht es<br />

letztlich um die Frage, ob menschliche<br />

<strong>Embryonen</strong> unter bestimmten Voraussetzungen<br />

getötet werden dürfen: Im ersteren<br />

Fall werden zur Gewinnung von<br />

Stammzellen <strong>Embryonen</strong> „verbraucht“,<br />

im letzteren Fall defiziente <strong>Embryonen</strong><br />

nach genetischer Testung „verworfen“.<br />

Die Debatte hat inzwischen eine typi-<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

sche Pro-und-Kontra-Struktur <strong>an</strong>genommen.<br />

❃ Pro-Argumentation: Die Befürworter<br />

sagen, es gehe bei der <strong>Forschung</strong> mit<br />

menschlichen embryonalen Stammzellen<br />

um hochr<strong>an</strong>gige Ziele.Wer diese <strong>Forschung</strong><br />

unterbinden wolle, mache sich<br />

schuldig. Er verhindere ungeahnte<br />

Ch<strong>an</strong>cen des medizinischen Fortschrittes<br />

und verstoße gegen den „therapeutischen<br />

Imperativ“ beziehungsweise die<br />

„Ethik des Heilens“ (3). So haben für<br />

den Rechtsphilosophen Reinhard Merkel<br />

die mit der <strong>Embryonen</strong>forschung<br />

„verfolgten Ziele der Hilfe für schwerkr<strong>an</strong>ke<br />

Menschen . . . ein so erhebliches<br />

Gewicht, dass sie die Verweigerung der<br />

Solidarität gegenüber frühesten <strong>Embryonen</strong>...rechtfertigen<br />

können“ (13).<br />

Demgegenüber tritt der Vorwurf, die<br />

Freiheit der Wissenschaft werde durch<br />

generelle Restriktionen der verbrauchenden<br />

<strong>Embryonen</strong>forschung verletzt,<br />

zunehmend in den Hintergrund.<br />

❃ Kontra-Argumentation: Die Gegner<br />

der <strong>Forschung</strong> <strong>an</strong> menschlichen <strong>Embryonen</strong><br />

stützen sich auf eine „Ethik der<br />

Menschenwürde“: Wer menschliche<br />

<strong>Embryonen</strong> – direkt oder indirekt – tötet,<br />

verstoße gegen die Menschenwürde,<br />

die dem menschlichen Embryo mit der<br />

Verschmelzung von Ei- und Samenzelle<br />

zukomme. Dies bedeute einen Dammbruch,<br />

das Überschreiten des Rubikon.<br />

Der Begriff „Menschenwürde“ wird von<br />

drei dogmatischen Säulen gestützt: der<br />

Gottebenbildlichkeit im Sinne der Bibel<br />

(Gen. 1, 27), K<strong>an</strong>ts Rede vom Person-<br />

Sein des Menschen als „Zweck <strong>an</strong> sich<br />

selbst“ (12) sowie dem einleitenden Satz<br />

des Grundgesetzes („Die Würde des<br />

Menschen ist un<strong>an</strong>tastbar.“).<br />

„Ethik des Heilens“ versus „Ethik der<br />

Menschwürde“: Im Schachspiel nennt<br />

m<strong>an</strong> eine solche Situation „Patt“. Zug<br />

um Zug wird das Ja der einen Seite durch<br />

das Nein der <strong>an</strong>deren gekontert, <strong>an</strong>nulliert<br />

und vice versa.<br />

Angst und Schuld: die Macht<br />

von Metaphern<br />

Woher kommt die starke Emotionalität<br />

in dieser Kontroverse? Achten wir hier<br />

zunächst auf ihre Metaphorik. Die Gegner<br />

der verbrauchenden <strong>Embryonen</strong>forschung<br />

und der <strong>PID</strong> orientieren sich <strong>an</strong><br />

der zentralen Metapher des Dammbruchs.<br />

Diese setzt Assoziationen zum<br />

Terminus „Tabubruch“ frei und impliziert<br />

das Schreckensbild einer Überschwemmung<br />

mit der Gefahr des Ertrinkens.<br />

Ähnliches meint auch die Rede<br />

vom Überschreiten des Rubikon, der<br />

schiefen Ebene (slippery slope), einer<br />

„Bahn ohne Halt“ (Joh<strong>an</strong>nes Rau).<br />

Dementsprechend prognostiziert der<br />

Bonner Zellbiologe Volker Herzog eine<br />

„Kaskade zur Klonierung des Menschen“:<br />

von der Freigabe vorh<strong>an</strong>dener<br />

menschlicher embryonaler Stammzell-<br />

Linien, über die Verwendung überschüssiger<br />

<strong>Embryonen</strong>, Schaffung von <strong>Embryonen</strong><br />

zu <strong>Forschung</strong>szwecken bis hin<br />

zum therapeutischen und schließlich reproduktiven<br />

Klonen (10).<br />

Die Vorstellung eines unaufhaltsamen<br />

Eroberungszugs (Stichwort: Rubikon)<br />

oder die eines automatischen Abrutschens<br />

in finstere Abgründe (Stichwort:<br />

schiefe Ebene) erzeugen Angst:<br />

Angst vor einer entfesselten Menschenzüchtung<br />

mit dem Verlust traditioneller<br />

Ideale unseres kulturellen Selbstverständnisses,<br />

die im Begriff der Menschenwürde<br />

ver<strong>an</strong>kert sind. Abgesehen<br />

davon, dass wohl auch m<strong>an</strong>ch ein Befürworter<br />

der verbrauchenden <strong>Embryonen</strong>forschung<br />

beziehungsweise der <strong>PID</strong><br />

insgeheim Angst oder Unbehagen <strong>an</strong>gesichts<br />

der neuen Zugriffsmöglichkeiten<br />

verspüren dürfte, kommt in der „Ethik<br />

des Heilens“ noch eine <strong>an</strong>dere Angst<br />

zum Vorschein: nämlich schwer kr<strong>an</strong>ke<br />

Menschen ohne mögliche Hilfe ihrem<br />

Schicksal zu überlassen, „erbarmungslos“<br />

oder „unbarmherzig“ <strong>an</strong> ihrer Not<br />

vorbeizugehen.<br />

Die Schuld des Menschen <strong>an</strong> seiner<br />

Kr<strong>an</strong>kheit, die Kr<strong>an</strong>kheit als Folge der<br />

Sünde ist auch in unserer gegenwärtigen<br />

Medizin ein wirksamer, verborgener Topos,<br />

denken wir nur <strong>an</strong> alltägliche Bemerkungen<br />

über die kr<strong>an</strong>k machenden<br />

Folgen des übermäßigen Fettverzehrs<br />

oder des Zigarettenrauchens. Doch nirgends<br />

war und ist die Schuldfrage so bris<strong>an</strong>t<br />

wie bei der Eugenik. Dies lässt sich<br />

historisch <strong>an</strong> der Propagierung der<br />

Zw<strong>an</strong>gssterilisation illustrieren: Das<br />

Missachten der erbbiologischen Naturgesetze,<br />

etwa durch die Weitergabe<br />

kr<strong>an</strong>khafter Erb<strong>an</strong>lagen <strong>an</strong> die Nachkommen,<br />

wurde in NS-Propag<strong>an</strong>dafilmen<br />

vor Millionenpublikum wortwört-<br />

131


lich als Schuld der Eltern, als Sünde wider<br />

die Natur gebr<strong>an</strong>dmarkt. Dies lässt<br />

sich aber auch aktuell belegen: In Fr<strong>an</strong>kreich<br />

haben Gerichte entschieden, dass<br />

Kinder mit pränatal absehbaren (mehr<br />

oder weniger schweren) Behinderungen<br />

ein Recht auf Nichtexistenz haben, ihr<br />

Geborenwerden also unter Umständen<br />

schuldhaft (durch fehlerhafte Pränataldiagnostik)<br />

zust<strong>an</strong>de kommt.<br />

Es gibt auch Metaphern der Angst,<br />

die den politökonomischen Bereich betreffen:<br />

etwa die Metapher vom Verpassen<br />

des Zuges, vom Zuspätkommen, von<br />

der Vertreibung von Wissenschaftlern<br />

und <strong>Forschung</strong>skapital ins Ausl<strong>an</strong>d. Hier<br />

meldet sich die Angst zu Wort, im neoliberalen<br />

Überlebenskampf zu kurz zu<br />

kommen und der Konkurrenz zu unterliegen,<br />

vom Ausl<strong>an</strong>d abhängig zu werden,<br />

den St<strong>an</strong>dort Deutschl<strong>an</strong>d zu ruinieren<br />

et cetera.<br />

Im Schatten von Darwinismus<br />

und Biologismus<br />

Nach dem Philosophen Robert Spaem<strong>an</strong>n<br />

setzt der Ged<strong>an</strong>ke des Menschenrechts<br />

voraus, „dass jeder Mensch als<br />

geborenes Mitglied der Menschheit<br />

kraft eigenen Rechts den <strong>an</strong>deren gegenübertritt,<br />

und dies wiederum bedeutet,<br />

dass die biologische Zugehörigkeit<br />

zur Spezies homo sapiens allein es sein<br />

darf, die jene Minimalwürde begründet,<br />

welche wir Menschenwürde nennen“<br />

(16). Die „Instruktion“ des Vatik<strong>an</strong>s<br />

„Donum Vitae“ von 1987 formulierte<br />

unmissverständlich: „Die in vitro erzeugten<br />

menschlichen <strong>Embryonen</strong> sind<br />

als menschliche Geschöpfe und rechtsfähige<br />

Wesen zu betrachten: Ihre Würde<br />

und ihr Recht auf Leben sind vom<br />

ersten Augenblick des Lebens <strong>an</strong> zu<br />

achten.“ (4)<br />

Die „Ethik des Heilens“, auf die sich<br />

die biomedizinische <strong>Forschung</strong> beruft,<br />

relativiert diesen Status menschlicher<br />

<strong>Embryonen</strong>. Sie versucht,Vorstufen zur<br />

Menschwerdung zu definieren, etwa einen<br />

„Prä-Embryo“ (17), dem noch keine<br />

un<strong>an</strong>tastbare Menschenwürde zuzubilligen<br />

sei – zum Beispiel sol<strong>an</strong>ge noch<br />

keine Einnistung erfolgt oder sol<strong>an</strong>ge<br />

noch die Zwillingsbildung möglich sei.<br />

Wolfg<strong>an</strong>g Frühwald, Präsident der<br />

Alex<strong>an</strong>der von Humboldt-Stiftung, hat<br />

132<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

<strong>an</strong>gesichts der gegensätzlichen St<strong>an</strong>dpunkte<br />

einen „Kulturkampf“ – „christlich,<br />

zumindest k<strong>an</strong>ti<strong>an</strong>isches Menschenbild“<br />

einerseits versus „szientistisch-sozialdarwinistischesMenschenbild“<br />

<strong>an</strong>derseits – diagnostiziert (6, 7).<br />

Ohne Zweifel begegnen wir heute – im<br />

Verbund mit dem wirtschaftlichen Neoliberalismus<br />

– einem wieder belebten<br />

(sozial)darwinistischen Denken, das <strong>an</strong>gesichts<br />

gentechnologischer Möglichkeiten<br />

die evolutionäre Leiter vom Affen<br />

zum Menschen nach oben für ausziehbar<br />

hält. Die Vision von der gentechnologischen<br />

Verbesserung des Menschen (enh<strong>an</strong>cement)<br />

spukt in vielen Köpfen. So<br />

erklärte der Nobelpreisträger James D.<br />

Watson, „dass menschliches und <strong>an</strong>deres<br />

Leben nicht von Gott geschaffen wurde,<br />

sondern durch einen evolutionären Prozess<br />

entsteht, den Darwinschen Prinzipien<br />

der natürlichen Auslese folgt“ (18).<br />

Atmen wir heute wirklich noch oder<br />

wieder den Geist des darwinistischen<br />

Zeitalters (der ja seinerzeit unter <strong>an</strong>derem<br />

auch Nationalismus und Imperialismus<br />

beflügelte)?<br />

Natur und Geist: der<br />

vergessene Kontext<br />

Im gesamten Diskurs über den Status<br />

menschlicher <strong>Embryonen</strong> fehlt eine<br />

Ausein<strong>an</strong>dersetzung mit dem Begriff der<br />

Natur und dem des Geistes. So vermisse<br />

ich als Medizinhistoriker vor allem die<br />

klassischen Fragen der Naturphilosophie<br />

– beispielsweise: Was bedeutet irdisches<br />

Leben im Kosmos? Wie verhalten<br />

sich org<strong>an</strong>ische und <strong>an</strong>org<strong>an</strong>ische Natur<br />

zuein<strong>an</strong>der? Wie ist das Verhältnis von<br />

Mensch und Welt (Mikrokosmos und<br />

Makrokosmos) beschaffen? Wie begegnen<br />

sich tierische und geistige Natur im<br />

Menschen?<br />

Ist schon der Begriff der Natur für die<br />

Biomedizin ein blinder Fleck, so gilt dies<br />

umso mehr für den Begriff des Geistes.<br />

Der Bonner Philosoph Wolfram Hogrebe<br />

hat dies polemisch auf die Formel gebracht:<br />

„Im Stile einer Renaiss<strong>an</strong>ce des<br />

19. Jahrhunderts propagiert m<strong>an</strong> heute,<br />

nur um dem Geist ausweichen zu können,<br />

Life Sciences, Lebenswissenschaften.<br />

Sie sollen die Geisteswissenschaften<br />

unnötig machen. . . . Was braucht m<strong>an</strong><br />

Geist, wenn m<strong>an</strong> die Gene hat, mit de-<br />

nen Geld zu machen ist? . . .Wenn wir jem<strong>an</strong>den<br />

fragen: ‚Wer bist du?‘, d<strong>an</strong>n fragen<br />

wir nicht nach seinen Genen, sondern<br />

nach seiner geschichtlichen Identität,<br />

über die er zugleich immer auch<br />

hinaus ist.“ (11) Der Begriff des Geistes<br />

ist für den Diskurs der Biomedizin offensichtlich<br />

bedeutungslos.<br />

Die Leitbegriffe der Ethikdebatte,<br />

wie Menschenwürde, Lebensrecht, Heilen,<br />

Güterabwägung et cetera, können<br />

keine konstruktive gesellschaftskritische<br />

Kraft entfalten, da weder die historischen<br />

Quellen noch der globale Kontext<br />

ins Auge gefasst werden. Ein K<strong>an</strong>t-Zitat<br />

zur Würde der Person und der Verweis<br />

auf Artikel 1 des Grundgesetzes oder die<br />

Rede vom „therapeutischen Imperativ“<br />

und dem „Kinderwunsch“ als Postulat<br />

der Autonomie bedeuten noch keine kritische<br />

Analyse unserer geistigen Situation,<br />

unseres Aufenthaltsortes in der Natur-<br />

und Menschheitsgeschichte. Erst<br />

wenn wir uns mit diesem Kontext der<br />

modernen Biomedizin ausein<strong>an</strong>der setzen,<br />

können wir in historischer Perspektive<br />

durch „Erinnern, Wiederholen und<br />

Durcharbeiten“ (Freud) eine Gemeinschaft<br />

verändernde Orientierung für die<br />

Zukunft gewinnen. Können, dürfen wir<br />

uns schon jene Freiheit herausnehmen,<br />

welche die liberale Eugenik gegenwärtig<br />

bereits einfordert? Oder müsste sie nicht<br />

erst durch disziplinierte Bildungsarbeit<br />

<strong>an</strong> uns selbst errungen werden?<br />

Sexualität – Eros – Liebe<br />

1978 wurde das erste Kind nach In-vitro-<br />

Fertilisation in Engl<strong>an</strong>d geboren. Vor<br />

dem „Retortenbaby“ Louise Brown<br />

wurden alle Babys der Welt durch Invivo-Fertilisation<br />

gezeugt. Diese Zeugung<br />

geschieht bek<strong>an</strong>ntlich im Sp<strong>an</strong>nungsfeld<br />

von Sexualität und Liebe – und<br />

in schlimmen Fällen im Sp<strong>an</strong>nungsfeld<br />

von Sexualität und Gewalt. <strong>Embryonen</strong><br />

werden heute – unabhängig von ihrer<br />

ethisch-rechtlichen Bewertung – als isolierte<br />

biologische Monaden dargestellt<br />

und imaginiert, abgelöst von ihren org<strong>an</strong>ischen<br />

Ursprungsorten im Körper der<br />

Frau und des M<strong>an</strong>nes, abgelöst vom Zeugungsakt,<br />

der sich in einen Herstellungsakt<br />

verw<strong>an</strong>delt hat. Solche biotechnischen<br />

Eingriffe würden die „intuitive<br />

Unterscheidung zwischen Gewachse-


nem und Gemachtem“ verwirren, beklagte<br />

kürzlich Jürgen Habermas (9).<br />

Die Begriffe Sexualität, Eros, Liebe<br />

haben im bioethischen Diskurs keine<br />

nennenswerte Bedeutung,sieht m<strong>an</strong> einmal<br />

von der Position der katholischen<br />

Kirche ab, welche – gemäß der Enzyklika<br />

„Hum<strong>an</strong>ae vitae“ von Paul VI. – die<br />

„biologische Integrität des Geschlechtsaktes“,<br />

gewissermaßen also die „Würde<br />

des Sex“ (4), verteidigt. Dafür stoßen wir<br />

auf den Begriff des Kinderwunsches, der<br />

die Prozeduren der Reproduktionsmedizin<br />

unter dem Vorzeichen der Autonomie<br />

der Patienten beziehungsweise Klienten<br />

legitimiert. Doch inwiefern ist Sterilität<br />

überhaupt als Kr<strong>an</strong>kheit zu definieren?<br />

Und inwiefern ist der Kinderwunsch<br />

und seine reproduktionsmedizinische<br />

Realisierung tatsächlich als<br />

Rechts<strong>an</strong>spruch „autonomer“ Personen<br />

auf ihre gesundheitliche Integrität zu begreifen?<br />

Der Traum vom<br />

Menschenmachen<br />

Wahrscheinlich ist in unserer <strong>an</strong>geblich<br />

säkularen, pluralen, liberalen Gesellschaft<br />

der Druck, Kinder zu bekommen,<br />

keineswegs geringer als etwa in traditionellen<br />

Kulturen oder Entwicklungsländern<br />

mit Großfamilien beziehungsweise<br />

unkontrolliertem Kinderreichtum. Dieser<br />

Druck tritt bei uns im Gegensatz zu<br />

früheren Zeiten und <strong>an</strong>deren Kulturkreisen<br />

nur zeitverschoben auf: Relativ<br />

junge Frauen sollen bis zum Erreichen<br />

einer bestimmten Stufe ihrer Berufsund<br />

Lebenskarriere keine Kinder bekommen,<br />

d<strong>an</strong>n aber umso gesicherter.<br />

Der Druck,zunächst keine Kinder zu bekommen,verkehrt<br />

sich in den Druck,um<br />

jeden Preis noch Kinder zu bekommen.<br />

Was bedeutet da eigentlich der Kinderwunsch<br />

als Rechts<strong>an</strong>spruch auf reproduktionsmedizinische<br />

Beh<strong>an</strong>dlung?<br />

Hybris bezeichnete ursprünglich den<br />

Hochmut, die Selbstüberhebung des<br />

Menschen gegenüber den Göttern und<br />

ist im Diskurs der „life sciences“ durchaus<br />

virulent. So meinte James D. Watson:<br />

In der Verg<strong>an</strong>genheit „konnten nur<br />

die Götter die Zukunft vorhersagen<br />

und unserem künftigen Schicksal eine<br />

gute oder schlechte Wendung geben.<br />

Heute liegt dies zum Teil in unseren ei-<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

genen Händen.“ (17) Namhafte Fachleute<br />

wie Peter Propping (15) oder die<br />

Nobelpreisträgerin Christi<strong>an</strong>e Nüsslein-Volhard<br />

(14) sind gegenüber solchen<br />

Allmachtsf<strong>an</strong>tasien skeptisch und<br />

mahnen zur Bescheidenheit. Doch die<br />

Hoffnung, einen Qu<strong>an</strong>tensprung der<br />

wissenschaftlichen Medizin vollziehen<br />

zu können, ist wohl für alle Beteiligten<br />

ein starkes Motiv.<br />

Ein kurzer Einblick in Kultur- und<br />

Wissenschaftsgeschichte zeigt, dass es<br />

offenbar einem uralten Menschheitstraum<br />

entspricht, die Rolle des Schöpfergottes<br />

zu übernehmen und selbst einen<br />

Menschen zu schaffen. In Mythen,<br />

Sagen und in der Literatur begegnen uns<br />

Golems, Homunculi und Roboter, von<br />

der jüdischen Kabbala bis hin zu rom<strong>an</strong>tischen<br />

Schauerrom<strong>an</strong>en. Merkwürdigerweise<br />

liegt auf den überlieferten Visionen,<br />

künstlich einen Menschen zu<br />

schaffen, kein Segen. Zumeist werden<br />

nämlich durch gotteslästerliche, teuflische<br />

Akte Zerrbilder des Menschen geschaffen,<br />

die <strong>an</strong>gst- und ekelerregend<br />

sind und der Menschheit sehr gefährlich<br />

werden können, wie zum Beispiel Mary<br />

Shellys Fr<strong>an</strong>kenstein-Rom<strong>an</strong> zeigt. Verena<br />

Wetzstein, die diesen mythischen<br />

Stoffen des Menschenmachens nachgeg<strong>an</strong>gen<br />

ist, kommt zum Schluss: „Diese<br />

zumindest im Unterbewusstsein der Öffentlichkeit<br />

noch präsenten Mythen sind<br />

in der heutigen öffentlichen Diskussion<br />

über Stammzellenforschung mitzubedenken,<br />

will m<strong>an</strong> die Hitze der Debatte<br />

verstehen. . . . Die Klonierung von Menschen<br />

erscheint als die Verwirklichung<br />

des Homunculus. Wer sollte da nicht <strong>an</strong><br />

die zügellosen Geschöpfe und die Bestrafung<br />

des blasphemischen Schöpfertums<br />

denken, die uns Mythen und Sagen<br />

jahrtausendel<strong>an</strong>g erzählt haben?“ (19)<br />

Hybris versus Selbstreflexion<br />

In unserem Selbstverständnis gehen wir<br />

davon aus, in einer so gen<strong>an</strong>nten säkularen<br />

und pluralistischen Gesellschaft zu<br />

leben, die zu religiöser Neutralität und<br />

den universalen Menschenrechten verpflichtet<br />

ist. Inwiefern k<strong>an</strong>n m<strong>an</strong> d<strong>an</strong>n<br />

überhaupt noch im herkömmlichen Sinn<br />

von Hybris sprechen, wenn die Vorstellung<br />

von Gott oder den Göttern unverbindliche<br />

Privatmeinung ist, wenn die<br />

Freiheit eines „Nichtchristenmenschen“<br />

(Markl) gleichermaßen gilt? Zumindest<br />

eine Hybris besteht darin, die Geschichte<br />

der Menschheit mit ihren Mythen und<br />

Sagen, die Geschichte der Wissenschaft<br />

mit ihren Aufbrüchen und Irrwegen, die<br />

Geschichte der eigenen Person mit ihren<br />

Träumen und Intuitionen zu ignorieren,<br />

das heißt, ihnen keine wissenschaftliche<br />

Bedeutung für das eigene Wissenschaft-<br />

Treiben zuzubilligen.<br />

Diese Hybris besteht aus einer historischen<br />

Selbstvergessenheit: nämlich der<br />

Idealisierung des Selbst-machen-Könnens,<br />

der Vorstellung einer eigenen Verfügungsgewalt<br />

über die Zukunft,gepaart<br />

mit der Abwehr des Ged<strong>an</strong>kens einer<br />

unaufhebbaren Nicht-Autonomie des<br />

Menschen, seiner Abhängigkeit, Hilflosigkeit<br />

und Verletzbarkeit auf dieser<br />

selbst wiederum vergänglichen Erde,nur<br />

einer von „unendlich vielen Erden“, wie<br />

Giord<strong>an</strong>o Bruno vor mehr als 400 Jahren<br />

spekulierte (1).<br />

Was jenseits von Pro und Kontra, jenseits<br />

von K<strong>an</strong>t- und Darwin-Zitaten, jenseits<br />

von tagespolitischen Aufgeregtheiten<br />

von allen gefordert wird, ist das Infragestellen<br />

von gewohnten Gewissheiten,<br />

das Heraushören leiser Zwischentöne<br />

aus dem menschheitsgeschichtlichen<br />

und tr<strong>an</strong>skulturellen „Hintergrundrauschen“,<br />

die kritische und vor allem wissenschaftskritische<br />

Ausein<strong>an</strong>dersetzung<br />

mit den vorherrschenden Menschenund<br />

Weltbildern. Vor Hybris schützt nur<br />

kritische Selbstreflexion, die – salopp gesprochen<br />

– „Dekonstruktion“ und Demut<br />

zusammenbringt.<br />

Stark gekürzte und überarbeitete Fassung eines Vortrags zum<br />

Schwerpunkt „Bioethik“ beim Dies Academicus des Studium<br />

Universale der Universität Bonn am 5. Dezember 2001<br />

❚ Zitierweise dieses Beitrags:<br />

Dtsch Arztebl 2002; 99: A 172–175 [Heft 4]<br />

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis,<br />

das über den Sonderdruck beim Verfasser<br />

und über das Internet (www.aerzteblatt.de) erhältlich ist.<br />

Anschrift des Verfassers:<br />

Prof. Dr. med. Dr. phil. Heinz Schott<br />

Medizinhistorisches Institut der Universität Bonn<br />

Sigmund-Freud-Straße 25<br />

53105 Bonn<br />

133


Heft 5, 1. Februar 2002<br />

Das Denken des modernen Menschen<br />

ist geprägt von den Abläufen<br />

der Technik.In der Rationalität der<br />

Technik ist das Verhältnis von Mittel und<br />

Ziel für alle klar. Gut ist ein technisches<br />

Mittel, wenn es effizient ist. Gut ist eine<br />

Druckmaschine, wenn sie schnell und<br />

kostengünstig Papier bedruckt, und besser<br />

ist ihr Nachfolgemodell, wenn es diese<br />

Effizienz zu erhöhen vermag. Kein<br />

technisches Mittel hat einen Wert in sich,<br />

sondern es definiert sich allein über seine<br />

funktionale Brauchbarkeit.<br />

Die Allgegenwart technischer und<br />

wirtschaftlicher Rationalität der Gegenwart<br />

stellt eine Herausforderung für<br />

das philosophische Nachdenken über<br />

menschliches H<strong>an</strong>deln dar, das Ethik<br />

gen<strong>an</strong>nt wird. Auch menschliches H<strong>an</strong>deln<br />

kennt Ziele ebenso wie Mittel zum<br />

Ziel. Die Frage drängt sich auf: Ist es<br />

nicht auch in der Ethik so, dass mit der<br />

Festlegung eines Zieles die Auswahl der<br />

Mittel nur noch eine Frage der Zweckmäßigkeit<br />

darstellt? Wenn ein Ziel gut<br />

ist – k<strong>an</strong>n es d<strong>an</strong>n überhaupt noch ein<br />

<strong>an</strong>deres Kriterium für das Gutsein der<br />

Mittel geben als die Effizienz?<br />

Das umfassende Gut-Sein<br />

Um die Bedeutung der Thematik zu begreifen,<br />

empfiehlt es sich, einen Blick auf<br />

den berühmtesten Justizmord der Geschichte<br />

zu werfen, der im Jahr 399 v. Chr.<br />

stattf<strong>an</strong>d. Sein prominentes Opfer: der<br />

griechische Philosoph Sokrates. Der tragische<br />

Urteilsspruch gegen ihn beruhte<br />

auf vielerlei Gründen, zu denen das allgemeine<br />

Klima welt<strong>an</strong>schaulicher Unsicherheit<br />

und eine gewisse Unbeholfenheit<br />

der attischen Gesetze gehörten. Orientierungslos<br />

war Athen nach der Niederlage<br />

im Peloponnesischen Krieg vor<br />

134<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

Stammzellforschung<br />

Das Argument des Sokrates<br />

oder: Die Frage nach dem therapeutischen Gebrauch menschlicher embryonaler Stammzellen<br />

* Dr. med. Dr. theol. Alfred Sonnenfeld ist Lehrbeauftragter<br />

für Bioethik und Mitglied der Ethikkommission <strong>an</strong> der<br />

Charité, Humboldt-Universität, zu Berlin.<br />

Alfred Sonnenfeld*<br />

allem dadurch geworden, dass seine öffentliche<br />

Moral zu einer gesellschaftlichen<br />

Konvention degeneriert war. Einen<br />

sichtbaren Beleg dafür bot die überragende<br />

Stelle der Sophisten, die Rhetorik und<br />

M<strong>an</strong>ipulation <strong>an</strong> die Stelle objektiver<br />

Wahrheit gesetzt hatten.Durch sein kompromissloses,ja<br />

herausforderndes Verhalten<br />

gegen deren These von der bloßen<br />

Konventionalität der Moral galt Sokrates<br />

als unerhörter Provokateur. Sokrates<br />

wagte es, die scheinbar gesellschaftlich<br />

allgemein akzeptierte und gut legitimierte<br />

Polis-Sittlichkeit der Athener freimütig<br />

im Namen allgemeingültiger Wahrheiten<br />

und Werte infrage zu stellen.Dies brachte<br />

ihm den Tod ein.<br />

Früh hat m<strong>an</strong> erk<strong>an</strong>nt,<br />

dass der Tod des<br />

Sokrates mehr ist als<br />

einer der vielen bedauerlichen<br />

Justizirrtümer<br />

der Geschichte. Er ist<br />

ein bis heute gültiges<br />

Paradigma für eine<br />

Grundentscheidung in der Beurteilung<br />

sittlichen H<strong>an</strong>delns.Platon hat dies in seinem<br />

Dialog „Kriton“ zum Ausdruck zu<br />

bringen versucht. Dieser Dialog zwischen<br />

dem gleichnamigen Freund des Sokrates<br />

und dem Meister spielt in dessen<br />

Gefängniszelle, morgens vor Sonnenaufg<strong>an</strong>g,<br />

zwei Tage vor der Hinrichtung. Im<br />

letzten möglichen Augenblick sucht Kriton<br />

seinen Freund auf, um ihn zur Flucht<br />

ins Ausl<strong>an</strong>d zu überreden; alles Notwendige<br />

dafür hat er schon in die Wege geleitet.<br />

Doch Sokrates lehnt ab.<br />

In den unterschiedlichen Argumentationen<br />

des Kriton und des Sokrates <strong>an</strong>gesichts<br />

des Problems „Fliehen oder<br />

bleiben?“ begegnen uns zwei grundsätzliche,<br />

konträre Sichtweisen für die Beurteilung<br />

menschlichen Verhaltens. Kriton<br />

argumentiert g<strong>an</strong>z vom übergeordneten<br />

(guten) Zweck her, der die Flucht als<br />

Kein übergeordneter<br />

guter Zweck k<strong>an</strong>n<br />

zur Legitimation eines<br />

Verhaltens dienen,<br />

das in sich betrachtet<br />

schlecht und ungerecht ist.<br />

Mittel zu solchem Zweck rechtfertigen<br />

soll. M<strong>an</strong> würde heute sagen: Kriton argumentiert<br />

„teleologisch“ oder „ver<strong>an</strong>twortungsethisch“.<br />

Auf einen <strong>an</strong>deren<br />

St<strong>an</strong>dpunkt stellt sich Sokrates. Für ihn<br />

zählt nur die Frage, ob die H<strong>an</strong>dlung<br />

selbst, die zur Debatte steht, also die<br />

Flucht, als solche gerecht ist. Für ihn gilt<br />

das unumstößliche Axiom: M<strong>an</strong> darf auf<br />

keine Weise Unrecht tun. Kein übergeordneter<br />

guter Zweck k<strong>an</strong>n zur Legitimation<br />

eines Verhaltens dienen, das in<br />

sich betrachtet schlecht und ungerecht<br />

ist. Denn, so gibt der Philosoph seinem<br />

Freund Kriton zu bedenken: „M<strong>an</strong> soll<br />

nicht einfach dem Leben den größten<br />

Wert beimessen, sondern dem Recht-<br />

Leben“ 1 . Darum entscheidet sich Sokra-<br />

tes dafür, den Gesetzen<br />

nicht zu entfliehen<br />

und lieber den<br />

Tod zu erleiden, als<br />

ein Unrecht zu tun.<br />

Sokrates ist zutiefst<br />

davon überzeugt, dass<br />

es in einer Entscheidungssituation<br />

für den<br />

H<strong>an</strong>delnden allemal besser ist, „Unrecht<br />

zu leiden, als Unrecht zu tun“. Nicht ein<br />

Pragmatismus, der alles in Kauf nimmt,<br />

um seine Ziele und Interessen durchzusetzen,<br />

ist das höchste Gut für den Menschen,<br />

sondern das umfassendere Gut-<br />

Sein der Seele. Die moralische Integrität<br />

einer menschlichen H<strong>an</strong>dlung wird also<br />

durch das Erleiden eines Unrechts nicht<br />

beeinträchtigt, wohl aber durch jedes<br />

Unrechttun – auch wenn es scheinbar nur<br />

den Bereich der Mittel betrifft. Das Unrechttun<br />

ist nicht nur deshalb schlecht,<br />

wenn der H<strong>an</strong>delnde sich dadurch <strong>an</strong> einer<br />

<strong>an</strong>deren Person vergeht, sondern es<br />

ist abzulehnen, weil der H<strong>an</strong>delnde sich<br />

selbst, sofern er ein zur Sittlichkeit befähigtes<br />

Wesen ist, damit schädigt. Diese<br />

Sittlichkeit orientiert sich <strong>an</strong> H<strong>an</strong>dlungs-<br />

1 Platon, Kriton, 47 d–48 b (Stuttgart 1998), S. 46.


normen, die absolut und allgemein gelten,<br />

ohne dass übergeordnete Zwecke<br />

diese Geltung relativieren könnten. Darum<br />

gibt es konkrete H<strong>an</strong>dlungsforderungen<br />

und -verbote, die sich jeglicher Abwägung<br />

entziehen.<br />

Solche Verbotsnormen zeigen Grenzen<br />

menschlichen H<strong>an</strong>delns <strong>an</strong>, die nicht<br />

überschritten werden dürfen. Ebenfalls<br />

wie für Sokrates sind für Aristoteles 2 absolute<br />

H<strong>an</strong>dlungsverbote menschliche<br />

H<strong>an</strong>dlungen, die immer gelten. Weil sie<br />

objektiv schlecht sind, das heißt: sie sind<br />

unter allen Umständen sittlich verdorben,<br />

deshalb sollen sie immer und für jeden<br />

Fall unterlassen werden. Das gilt<br />

auch d<strong>an</strong>n, wenn solche H<strong>an</strong>dlungen<br />

durch hinzukommende, gut gemeinte<br />

Absichten beeinflusst werden. Die moralische<br />

Identität der absoluten H<strong>an</strong>dlungsverbote<br />

k<strong>an</strong>n durch keine dazukommende<br />

Absicht oder Folgenabschätzung<br />

neu beschrieben oder neu definiert<br />

werden. Sie bleibt resistent gegenüber<br />

allen hinzukommenden, gut gemeinten<br />

Überlegungen.<br />

Tugend der Gerechtigkeit<br />

Absolute H<strong>an</strong>dlungsverbote beziehen<br />

sich auf bestimmte H<strong>an</strong>dlungsweisen,<br />

die einen konkreten ethischen Kontext<br />

ausdrücken, die, wenn sie dennoch beg<strong>an</strong>gen<br />

werden, einen schweren Verstoß<br />

gegen eine oder mehrere Tugenden implizieren<br />

3 . Ein absolutes H<strong>an</strong>dlungsverbot<br />

wählen bedeutet, sich gegen eine bestimmte<br />

Tugend zu entscheiden. So wird<br />

etwa durch die gezielte Tötung eines<br />

Embryos zu <strong>Forschung</strong>szwecken die Tugend<br />

der Gerechtigkeit empfindlich getroffen.<br />

Mit der Entfernung der inneren<br />

Zellmasse des Embryos im Blastozystenstadium<br />

wählt der Arzt den Tod eines<br />

Menschen.Dieser H<strong>an</strong>dlungsvollzug<br />

fällt immer unter die Intention des Tötens<br />

und prägt den Willen des Arztes. Er<br />

ist in sich betrachtet ein Akt der Unge-<br />

2 Aristoteles, Nikomachische Ethik, II, 61107 a 9–18.<br />

3 Vgl.: Rhonheimer M: Die Perspektiven der Moral. Philosophische<br />

Grundlagen der Tugendethik (Berlin 2001),<br />

S. 303–321.<br />

4 Vgl.: Sonnenfeld A: Selbstverwirklichung oder Selbstvernichtung.<br />

Gewissen und ethisches H<strong>an</strong>deln im ärztlichen<br />

Beruf, in: Dtsch Arztebl, 1990; 87: A 1507–1515<br />

[Heft 19].<br />

5 Vgl.: Röm, 3,8, in abgew<strong>an</strong>delter Form: „M<strong>an</strong> darf nie<br />

etwas Schlechtes tun, um ein Gut zu erwirken.“<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

rechtigkeit, weil er die Entscheidung für<br />

den Tod eines unschuldigen Menschen<br />

impliziert.<br />

Die Tugend der Gerechtigkeit bedeutet<br />

ja vor allem, dass ich den <strong>an</strong>deren als<br />

mir Ebenbürtigen <strong>an</strong>erkenne. Die goldene<br />

Regel aber verbietet mir, dass ich dem<br />

Nächsten seine Existenz aberkenne:<br />

„Was du nicht willst, das m<strong>an</strong> dir tut, das<br />

füg auch keinem <strong>an</strong>deren zu.“ Dieses Lebensrecht<br />

jeder Person ist die Grenze aller<br />

Güterabwägungen. Die Folgen einer<br />

solchen H<strong>an</strong>dlung führen <strong>an</strong> erster Stelle<br />

zu einer Verformung im Willen des H<strong>an</strong>delnden<br />

selbst. Sollte sich diese H<strong>an</strong>dlung<br />

wiederholen, bliebe eine dauernde<br />

Verformung des Gewissens nicht aus 4 .<br />

Um diese Gefahr zu vermeiden, sollte<br />

eine bioethische Debatte stattfinden, die<br />

nicht fragt, wie sich die Menschen faktisch<br />

verhalten, sondern wie sie sich verhalten<br />

sollen. Medizinische Ethik zielt<br />

nicht darauf ab, ob eine H<strong>an</strong>dlungsweise<br />

für richtig gehalten wird, sondern ob sie<br />

richtig ist, das heißt also, ob sie tatsächlich<br />

der menschlichen Würde dient. Das<br />

Argument des Sokrates bleibt aktuell. In<br />

der bioethischen Debatte geht es im Wesentlichen<br />

um dasselbe Problem wie damals:<br />

Es geht um die Frage nach der Absolutheit<br />

und Allgemeingültigkeit von<br />

H<strong>an</strong>dlungsnormen <strong>an</strong>gesichts von übergeordneten<br />

Zielsetzungen, die diese<br />

Normen scheinbar relativieren. Und<br />

g<strong>an</strong>z konkret geht es um die Frage, ob<br />

der Grundsatz, „dass m<strong>an</strong> niemals die<br />

Tötung eines Unschuldigen als Mittel zu<br />

einem <strong>an</strong>deren Zweck <strong>an</strong>streben oder<br />

wählen darf“ 5 , zu diesen un<strong>an</strong>tastbaren<br />

ethischen Grundsätzen zählt.<br />

Das Ziel medizinischer Ethik zu formulieren<br />

scheint einfach zu sein: Es h<strong>an</strong>delt<br />

sich, so lautet ein überzeugender<br />

Vorschlag, um eine „Ethik des Heilens“.<br />

Die Formel klingt überzeugend. Niem<strong>an</strong>d<br />

wird bezweifeln, dass etwa im<br />

Blick auf einen Parkinson-Kr<strong>an</strong>ken die<br />

Heilung genau dieses Leidens für den<br />

Arzt eine ethisch gute Tat ist. Nun aber<br />

muss auch über die konkrete Umsetzung<br />

des ethischen Leitsatzes nachgedacht<br />

werden. Damit steht m<strong>an</strong> vor dem entscheidenden<br />

Schritt in der aktuellen<br />

Stammzelldiskussion.<br />

Beim Umg<strong>an</strong>g mit <strong>Embryonen</strong> hat<br />

m<strong>an</strong> es mit einer H<strong>an</strong>dlung zu tun, die in<br />

sich selbst beurteilt werden muss, weil sie<br />

ein Objekt betrifft, das stets in sich, in sei-<br />

nem Eigenwert, und niemals bloß als Mittel<br />

fremder Zwecke zu betrachten ist.<br />

Denn mit der Vereinigung der beiden Vorkerne<br />

von Ei- und Samenzelle ist die genetische<br />

Identität des neu entst<strong>an</strong>denen<br />

menschlichen Lebens fixiert.Damit ist seine<br />

Zugehörigkeit zur menschlichen Spezies<br />

festgelegt. Seine Sonderstellung liegt<br />

im einzigartigen Chromosomensatz begründet,der<br />

das inhärierende Potenzial einer<br />

kontinuierlichen Entwicklung in sich<br />

vereint. Somit kommt dem Embryo in<br />

vollem Umf<strong>an</strong>g Menschenwürde zu. Jede<br />

<strong>an</strong>dere Position würde eine Instrumentalisierung<br />

der Menschenwürde bedeuten.<br />

Die Würde des Menschen<br />

Erst in der g<strong>an</strong>zheitlichen, Ziel und Mittel<br />

in ihrem untrennbaren Zusammenh<strong>an</strong>g<br />

berücksichtigenden Betrachtung<br />

wird medizinische Ethik ihrem Anspruch<br />

gerecht, „Ethik des Heilens“ zu<br />

sein. Denn auch der Heilungswille darf<br />

den Arzt nicht dazu ver<strong>an</strong>lassen, die<br />

ethische Betrachtung einer H<strong>an</strong>dlung<br />

am Maßstab einer aspekthaften, am Paradigma<br />

der Technik ausgerichteten<br />

Zweckrationalität vorzunehmen. In der<br />

Technik k<strong>an</strong>n das Mittel zur reinen<br />

Funktion erklärt werden, ohne dass m<strong>an</strong><br />

den Gesamtprozess falsch einschätzt.<br />

Menschliches H<strong>an</strong>deln dagegen ist<br />

nur d<strong>an</strong>n gut, wenn das gute Ziel auch<br />

durch solche Mittel verwirklicht wird, die<br />

in sich der Würde des Menschen, den<br />

m<strong>an</strong> beh<strong>an</strong>delt, nicht widersprechen. Beh<strong>an</strong>delt<br />

wird aber nicht nur der Patient,<br />

sondern auch der ungeborene Mensch,<br />

dessen Körpermaterial m<strong>an</strong> benutzen<br />

will. Therapeutisches H<strong>an</strong>deln ist wie jedes<br />

H<strong>an</strong>deln nur d<strong>an</strong>n „gut“ im umfassenden<br />

Sinne, wenn darin der Mensch in<br />

jedem Stadium seiner Existenz davor geschützt<br />

wird, zum bloßen Mittel erklärt<br />

und damit als Person negiert zu werden.<br />

Nur wenn der Arzt in diesem größeren<br />

Sinne „gut“ h<strong>an</strong>deln will,tut er etwas,das<br />

ihn selbst erfüllen k<strong>an</strong>n.<br />

❚ Zitierweise dieses Beitrags:<br />

Dtsch Arztebl 2002; 99: A 271–272 [Heft 5].<br />

Anschrift des Verfassers:<br />

Dr. med. Dr. theol. Alfred Sonnenfeld<br />

Universitätsklinikum Charité<br />

Ethik-Kommission des Virchow-Klinikums. Lehrgebäude<br />

Augustenburger Platz 1, 13353 Berlin<br />

135


Heft 6, 8. Februar 2002<br />

Stammzellenimport<br />

Der Bundestag hat entschieden:<br />

Der Import bereits existierender<br />

embryonaler Stammzelllinien nach<br />

Deutschl<strong>an</strong>d wird unter Auflagen erlaubt,<br />

die Tötung weiterer <strong>Embryonen</strong><br />

soll jedoch durch eine Stichtagsregelung<br />

verhindert werden. Gegen 18.30 Uhr am<br />

30. J<strong>an</strong>uar verkündete Bundestagsvizepräsident<br />

Dr. h.c. Rudolf Seiters das Ergebnis.<br />

340 von 618 Abgeordneten hatten<br />

sich nach einer viereinhalbstündigen<br />

Debatte in einem zweiten Wahlg<strong>an</strong>g für<br />

den fraktionsübergreifenden Kompromiss<strong>an</strong>trag<br />

von Dr. Maria Böhmer<br />

(CDU),Margot von Renesse (SPD) und<br />

Andrea Fischer (Bündnis 90/Die Grünen)<br />

entschieden. „Der gewundene<br />

Weg führt nicht selten zum Ausweg“,<br />

hatte Renesse zuvor in der sehr sachlich<br />

geführten Debatte gesagt.<br />

Ein Ausweg aus dieser schwierigen<br />

Gewissensfrage war der „Nein-aber-<br />

Antrag“ wohl für alle diejenigen, die<br />

sich nicht zwischen den Werten Lebensschutz<br />

und <strong>Forschung</strong>sfreiheit entscheiden<br />

mochten. Seine Argumentation<br />

setzt auf Konsens, weniger auf Klarheit.<br />

So bekräftigt er einerseits die<br />

Zielsetzung des <strong>Embryonen</strong>schutzgesetzes:<br />

„<strong>Embryonen</strong> dürfen nur zum<br />

Zweck der Fortpfl<strong>an</strong>zung erzeugt werden.<br />

Eine Tötung von <strong>Embryonen</strong> zu<br />

<strong>Forschung</strong>szwecken muss verboten<br />

bleiben.“ Andererseits ist eine Zeile<br />

später zu lesen, dass menschliche embryonale<br />

Stammzellen keine <strong>Embryonen</strong><br />

seien, weil sie sich nicht zu einem<br />

vollständigen menschlichen Org<strong>an</strong>ismus<br />

entwickeln könnten. „Ein unmittelbarer<br />

Grundrechtsschutz k<strong>an</strong>n für sie<br />

nicht in Anspruch genommen werden“,<br />

heißt es in dem Antrag. Dieser sei kein<br />

Kompromiss, sondern das Ergebnis einer<br />

Verständigung zwischen Befürwortern<br />

und Gegnern der <strong>Forschung</strong> <strong>an</strong><br />

embryonalen Stammzellen, erklärte<br />

136<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

Unter Auflagen zugelassen<br />

Nach dem Beschluss des Bundestages dürfen bestehende<br />

embryonale Stammzelllinien importiert, jedoch keine<br />

weiteren <strong>Embryonen</strong> zu <strong>Forschung</strong>szwecken getötet werden.<br />

Renesse den Abgeordneten, die <strong>an</strong> diesem<br />

Tag ohne Fraktionszw<strong>an</strong>g entscheiden<br />

konnten.<br />

Für den Mittelweg warb neben Dr.<br />

Angela Merkel (CDU) auch Bundesk<strong>an</strong>zler<br />

Gerhard Schröder. Damit werde<br />

weder eine neue Rechtslage geschaffen,<br />

noch gehe Deutschl<strong>an</strong>d einen Sonderweg,<br />

sagte Schröder, der ausdrücklich<br />

nicht als K<strong>an</strong>zler, sondern als SPD-<br />

Abgeordneter sprach. Bei der Debatte<br />

ergriff kein Minister das Wort; weder<br />

<strong>Forschung</strong>sministerin Edelgard Bulmahn<br />

(SPD), die seit Monaten für eine<br />

Liberalisierung der <strong>Forschung</strong> plädiert,<br />

noch Justizministerin Prof. Dr. Herta<br />

Däubler-Gmelin, die aus verfassungsrechtlicher<br />

Sicht die <strong>Forschung</strong> <strong>an</strong> embryonalen<br />

Stammzellen ablehnt.<br />

Die <strong>an</strong>deren beiden Anträge hatten<br />

sich für eine eindeutige Ja- beziehungsweise<br />

Nein-Regelung ausgesprochen.<br />

Beide klaren Positionen erhielten jedoch<br />

keine absolute Mehrheit. Der Antrag<br />

der Importgegner,den Dr.Wolfg<strong>an</strong>g<br />

Wodarg (SPD), Dr. Herm<strong>an</strong>n Kues<br />

(CDU) und Monika Knoche (Bündnis<br />

90/Die Grünen) gestellt hatten, erhielt<br />

im ersten Abstimmungsg<strong>an</strong>g 262 Stimmen,<br />

im zweiten 265. Er sprach sich sowohl<br />

gegen eine Tötung von <strong>Embryonen</strong><br />

zu <strong>Forschung</strong>szwecken aus als auch<br />

gegen einen Import von Zelllinien.<br />

„Wenn wir die Tötung von <strong>Embryonen</strong><br />

im Ausl<strong>an</strong>d billigen, wird sie auch später<br />

im Inl<strong>an</strong>d gebilligt“,argumentierte Kues.<br />

Klar sei schon jetzt, dass die Forscher<br />

mehr als nur den Import wollten. Auch<br />

Knoche forderte die Abgeordneten auf,<br />

sich „ehrlich zwischen Ja oder Nein zu<br />

entscheiden“. Mit der Erlaubnis des Imports<br />

würde erstmals eine Statusdefinition<br />

des Embryos vorgenommen.<br />

Für den Antrag der Befürworter der<br />

embryonalen Stammzellforschung, den<br />

hauptsächlich die FDP unter Ulrike<br />

Flach sowie Peter Hintze (CDU) und<br />

Dr. Wolfg<strong>an</strong>g Schäuble (CDU) stellten,<br />

stimmten im ersten Wahlg<strong>an</strong>g 106 Abgeordnete.<br />

Sie schlossen sich im zweiten<br />

Abstimmungsg<strong>an</strong>g dem Kompromiss<strong>an</strong>trag<br />

<strong>an</strong>. Auch Flach hatte zuvor für<br />

eine eindeutige Entscheidung geworben;<br />

der Kompromiss<strong>an</strong>trag mogele<br />

sich um diese herum. Ihr Antrag<br />

plädierte sowohl für den Import als<br />

auch für die Änderung des <strong>Embryonen</strong>schutzgesetzes<br />

und die Herstellung<br />

von embryonalen Stammzelllinien in<br />

Deutschl<strong>an</strong>d – falls dies erforderlich sei.<br />

Darauf müssen die Forscher in<br />

Deutschl<strong>an</strong>d nun verzichten. Dennoch<br />

begrüßte die Deutsche <strong>Forschung</strong>sgemeinschaft<br />

(DFG) den Beschluss des<br />

Bundestages als „erkennbares Abwägen<br />

zwischen den Bel<strong>an</strong>gen der <strong>Forschung</strong>sfreiheit<br />

und den ethischen Bedenken“.<br />

Der DFG-Hauptausschuss genehmigte<br />

am 31. J<strong>an</strong>uar den Antrag des Bonner<br />

Neurowissenschaftlers Prof. Dr. med.<br />

Oliver Brüstle. Er will hum<strong>an</strong>e embryonale<br />

Stammzelllinien aus Israel nach<br />

Deutschl<strong>an</strong>d importieren. Die DFG-<br />

Fördermittel in Höhe von 102 000 A erhält<br />

er für sein Projekt jedoch erst, wenn<br />

das erforderliche Gesetz zur Regelung<br />

des Imports in Kraft ist und die darin gen<strong>an</strong>nten<br />

Voraussetzungen erfüllt sind.<br />

Brüstle sagte in Bonn, er hoffe, noch vor<br />

der Sommerpause mit den Arbeiten beginnen<br />

zu können.<br />

Dem Bundesforschungsministerium<br />

zufolge wird bereits mit Hochdruck <strong>an</strong><br />

dem Gesetzentwurf gearbeitet. Er soll in<br />

der zweiten Februarhälfte in das Parlament<br />

eingebracht und bis Juni verabschiedet<br />

werden.Das neue Gesetz soll die<br />

Bedingungen für einen Import regeln. So<br />

soll eine von einer Ethikkommission beratene<br />

Kontrollbehörde geschaffen werden,<br />

die wahrscheinlich im Bereich des<br />

Bundesgesundheitsministeriums <strong>an</strong>gesiedelt<br />

sein wird. Sie soll alle Kriterien<br />

überwachen und sicherstellen, dass die<br />

<strong>Embryonen</strong> nicht zu <strong>Forschung</strong>szwecken<br />

erzeugt wurden, die Eltern zugestimmt,<br />

jedoch keine fin<strong>an</strong>zielle Entlohnung erhalten<br />

haben. Der vom Parlament <strong>an</strong>genommene<br />

Antrag sieht ferner vor, dass<br />

nach einem bestimmten Datum hergestellte<br />

Stammzelllinien nicht nach<br />

Deutschl<strong>an</strong>d importiert werden dürfen.<br />

Dabei wird der 30. J<strong>an</strong>uar 2002 als der<br />

späteste Termin gen<strong>an</strong>nt. Die Antragstel-


Nachgefragt<br />

DÄ: Der Deutsche Bundestag<br />

hat entschieden, den Import<br />

von bestehenden hum<strong>an</strong>en<br />

embryonalen Stammzelllinien<br />

zu erlauben, die Herstellung<br />

neuer Zelllinien in<br />

Deutschl<strong>an</strong>d jedoch zu verhindern.<br />

Sind Sie mit diesem<br />

Kompromiss zufrieden?<br />

Winnacker: Wir können<br />

mit diesem Kompromiss leben<br />

und gehen davon aus, dass<br />

unter den weltweit existierenden<br />

72 Stammzelllinien<br />

hinreichend viele sind, die<br />

sich als für die <strong>Forschung</strong> geeignet<br />

erweisen. Ein Problem<br />

auf längere Sicht könnte allerdings<br />

die Frage der Kosten für<br />

die einzelnen Linien werden.<br />

DÄ: Halten Sie die Herstellung<br />

von neuen hum<strong>an</strong>en embryonalen<br />

Stammzelllinien für<br />

erforderlich, um eine erfolgreiche<br />

<strong>Forschung</strong> auf diesem<br />

Gebiet zu gewährleisten?<br />

Winnacker: Der Deutsche<br />

Bundestag hat entschieden,<br />

dass Stammzellenimport<br />

nur von bereits existierenden<br />

Stammzelllinien möglich sein<br />

soll – dar<strong>an</strong> werden wir uns<br />

halten.<br />

DÄ: Vor wenigen Tagen<br />

wurde bek<strong>an</strong>nt, dass es der<br />

Stammzellforscherin Catherine<br />

Verfaillie gelungen ist,<br />

adulte multipotente Stamm-<br />

Heft 5, 1. Februar 2002<br />

Prof. Dr. Ernst-Ludwig Winnacker,<br />

Präsident der Deutschen<strong>Forschung</strong>sgemeinschaft<br />

Foto: dpa<br />

zellen beim Menschen zu gewinnen,<br />

die ähnliche Eigenschaften<br />

wie embryonale<br />

Stammzellen besitzen. Wäre<br />

eine ethisch unbedenkliche<br />

<strong>Forschung</strong> <strong>an</strong> diesen Zellen<br />

nicht die bessere?<br />

Winnacker: Die Deutsche<br />

<strong>Forschung</strong>sgemeinschaft hat<br />

in den letzten Jahren insgesamt<br />

43 Millionen Euro in die<br />

Förderung der adulten Stammzellforschung<br />

investiert. Selbstverständlich<br />

geben wir dieser<br />

<strong>Forschung</strong> den Vorr<strong>an</strong>g – daraus<br />

haben wir nie ein Hehl gemacht.<br />

Schon in unserer Stellungnahme<br />

vom Mai 2001<br />

haben wir ausgeführt, dass<br />

wir davon ausgehen, dass nur<br />

für eine gewisse Zeit vergleichende<br />

<strong>Forschung</strong> mit em-<br />

Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

„Verfassungsrechtlich<br />

unzulässig“<br />

Experten und Mitglieder der Bundestagsausschüsse<br />

diskutieren kontrovers.<br />

Mit einem klaren Nein be<strong>an</strong>twortete<br />

jetzt ein prominenter Verfassungsrechtler<br />

die umstrittene<br />

Frage, ob die Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

(<strong>PID</strong>) zugelassen werden sollte.<br />

Prof. Dr. Ernst Benda, Präsident des<br />

bryonalen Stammzelllinien erforderlich<br />

ist, um d<strong>an</strong>n längerfristig<br />

auf den Königsweg<br />

der adulten Stammzellen zu<br />

setzen.<br />

DÄ: Bis zum Mai verg<strong>an</strong>genen<br />

Jahres hatten Sie ausschließlich<br />

für eine <strong>Forschung</strong><br />

<strong>an</strong> adulten Stammzellen plädiert.<br />

Wie kam es zu Ihrer<br />

Meinungsänderung?<br />

Winnacker: Es war kein<br />

plötzlicher Meinungsumschwung,<br />

auch wenn es vielleicht<br />

so gewirkt hat. Vielmehr<br />

hat sich die Wissenschaft<br />

auf diesem Gebiet so<br />

ras<strong>an</strong>t fortentwickelt, dass<br />

wir dies nicht mehr übersehen<br />

konnten und auch nicht<br />

mehr ver<strong>an</strong>tworten konnten,<br />

deutsche Wissenschaftler<br />

von der Teilnahme <strong>an</strong> diesem<br />

Förderungszweig auszuschließen.<br />

DÄ: Haben Sie die Diskussion<br />

um die Stammzellforschung<br />

in den letzten Monaten<br />

als fair gegenüber der <strong>Forschung</strong><br />

empfunden?<br />

Winnacker: Die Diskussion<br />

war hart und zielte m<strong>an</strong>chmal<br />

auch unter die Gürtellinie<br />

– insgesamt aber bin ich froh<br />

um diese bundesweite Debatte,<br />

da sie dazu beigetragen<br />

hat, die Positionen zu klären<br />

und letztlich auch zu dem Ergebnis<br />

vom 30. J<strong>an</strong>uar geführt<br />

hat.<br />

Bundesverfassungsgerichts von 1971<br />

bis 1983 und ehemaliger CDU-Innenminister<br />

(1968 bis 1969), hält die <strong>PID</strong><br />

aus verfassungsrechtlicher Sicht für unzulässig.<br />

Sie bedeute, dass nach einer Invitro-Fertilisation<br />

alle <strong>Embryonen</strong>, die<br />

ler wollen dadurch verhindern, dass zum<br />

Zwecke des Imports weitere <strong>Embryonen</strong><br />

getötet werden. Doch um diese Stichtagsregelung<br />

gibt es bereits Streit. Die <strong>Forschung</strong>sbefürworter<br />

in der FDP und der<br />

Union fordern inzwischen, den Termin<br />

nach hinten zu verschieben. Fischer und<br />

Böhmer schlagen stattdessen den 9. August<br />

2001 vor. Dieser Stichtag gilt in den<br />

USA. Einen Tag vor der Entscheidung<br />

hatte Fischer auf dem Kongress der Ev<strong>an</strong>gelischen<br />

Kirche in Deutschl<strong>an</strong>d (EKD)<br />

in Berlin erklärt, dass der von ihr unterstützte<br />

Kompromiss<strong>an</strong>trag nicht zur Ausweitung<br />

der <strong>Forschung</strong> <strong>an</strong> embryonalen<br />

Stammzelllinien führe. Deren Verwendung<br />

sei eng begrenzt. „Wir werden das<br />

Fenster nur einen Spalt öffnen, um es d<strong>an</strong>ach<br />

wieder zu schließen“,bekräftigte die<br />

Grünen-Politikerin.<br />

Enttäuscht haben die Kirchen auf<br />

den Bundestagsbeschluss reagiert.<br />

„Durch diese Entscheidung sind Lebensrecht<br />

und uneingeschränkter Lebensschutz<br />

des Menschen vom Zeitpunkt<br />

der Befruchtung <strong>an</strong> nicht mehr<br />

gewährleistet“, kritisierten die Spitzen<br />

der katholischen und ev<strong>an</strong>gelischen<br />

Kirche in einer gemeinsamen Erklärung.<br />

Bereits im Vorfeld hatten die<br />

Bischofskonferenz und die EKD <strong>Forschung</strong>smethoden,<br />

die eine „Vernichtung<br />

embryonaler Menschen“ beinhalten,<br />

als inakzeptabel bezeichnet. Sie<br />

plädieren für eine <strong>Forschung</strong> <strong>an</strong> adulten<br />

Stammzellen. Dr. med. Eva A. Richter<br />

Anlass zu Bedenken geben, im Wege einer<br />

negativen Auswahl verworfen und<br />

vernichtet würden, erklärte er bei der<br />

Anhörung des Rechts- und Gesundheitsausschusses<br />

des Deutschen Bundestages<br />

zum Gesetzentwurf der FDP-<br />

Fraktion am 2<strong>3.</strong> J<strong>an</strong>uar in Berlin. Dieser<br />

sieht vor, die <strong>PID</strong> rechtlich abzusichern,<br />

wenn sich Paare aufgrund der Ver<strong>an</strong>lagung<br />

zu einer schwerwiegenden Erbkr<strong>an</strong>kheit<br />

nach gründlicher Beratung<br />

durch ihren Arzt und einem positiven<br />

Votum einer Ethikkommission zu einem<br />

solchen Schritt entscheiden.<br />

Der Präsident der Bundesärztekammer,<br />

Prof. Dr. med. Jörg-Dietrich Hoppe,<br />

hält den FDP-Antrag und die Zulassung<br />

der <strong>PID</strong> ebenfalls für ethisch und rechtlich<br />

bedenklich.Diese Meinung habe sich<br />

137


mehrheitlich auch bei den Abgeordneten<br />

und Sachverständigen abgezeichnet, sagte<br />

er im Anschluss <strong>an</strong> die Anhörung. „Es<br />

müsste einen erheblichen Gesinnungsw<strong>an</strong>del<br />

geben, wenn das <strong>Embryonen</strong>schutzgesetz<br />

geändert und die <strong>PID</strong> zugelassen<br />

werden sollten.“ Der Status des<br />

Embryos und seine Schutzwürdigkeit<br />

müssten jedoch noch grundlegend und<br />

präzise geklärt werden.<br />

Für Benda liegt die rechtliche Situation<br />

auf der H<strong>an</strong>d: „Die Frage, von welchem<br />

Zeitpunkt <strong>an</strong> menschliches Leben<br />

unter dem Schutz der Menschenwürde<br />

steht, ist verfassungsrechtlich dahin zu<br />

be<strong>an</strong>tworten, dass dies vom Zeitpunkt<br />

der Befruchtung – in vivo oder in vitro –<br />

der Fall ist“, sagte er. Nach der Entscheidung<br />

des Ersten Senats von 1975 komme<br />

jedem menschlichen Leben Menschenwürde<br />

zu. Dabei sei es unwesentlich, ob<br />

sich der Träger dieser bewusst sei<br />

(BVerfGE 39, 1). „Abstufungen der<br />

Menschenwürde gibt es nicht“, erklärte<br />

Benda. „Die <strong>PID</strong> verbietet sich daher.“<br />

Dieser Ansicht ist auch Prof. Dr.<br />

Wolfram Höfling, Staatsrechtler <strong>an</strong> der<br />

Universität Köln. Ein explizites Verbot<br />

der <strong>PID</strong> könnte verfassungsrechtlich<br />

Heft 7, 15. Februar 2002<br />

Eine Sternstunde des deutschen Parlamentarismus<br />

sei die Debatte um die<br />

<strong>Embryonen</strong>forschung im Bundestag<br />

gewesen – so das Urteil zahlloser Kommentatoren.<br />

Ohne Polemik und Fraktionszw<strong>an</strong>g,<br />

sachlich und ernst seien die<br />

Abgeordneten ihrem Auftrag nachgekommen.<br />

Eines wird dabei übersehen: Wieder<br />

hat die Politik nicht den Mut aufgebracht,<br />

zu einer klaren Entscheidung zu<br />

kommen, wieder einmal hat sie ein entschiedenes<br />

„Jein“ zust<strong>an</strong>de gebracht.<br />

Die Meinungsverschiedenheiten über<br />

den genauen Wortlaut des nun fälligen<br />

Gesetzes zeigen einmal mehr, dass Politik<br />

hierzul<strong>an</strong>de nicht mehr die Kunst<br />

des Machbaren bedeutet, sondern vielmehr<br />

die Kunst, jedes größere Problem<br />

ungelöst vor sich herzuschieben.<br />

Die Nicht-Entscheidung des Bundestages<br />

zur <strong>Embryonen</strong>forschung ist<br />

138<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

gerechtfertigt werden, meinte er; eine<br />

Klarstellung durch den Gesetzgeber<br />

müsste aber dennoch erfolgen. Als Argumente<br />

gegen die <strong>PID</strong> führte er das<br />

<strong>Embryonen</strong>schutzgesetz <strong>an</strong>. Darin werde<br />

nach §2 Abs.1 bestraft, wer einen<br />

extrakorporal erzeugten Embryo zu einem<br />

nicht seiner Erhaltung dienenden<br />

Zweck verwendet. Als Embryo gelte<br />

nach §8 Abs.12 auch jede einem Embryo<br />

entnommene totipotente Zelle.<br />

„Untersucht m<strong>an</strong> die Stellungnahmen<br />

der Vertreter, die die <strong>PID</strong> und die Verwerfung<br />

eines geschädigten Embryos für<br />

strafbar halten, fragt m<strong>an</strong> vergeblich<br />

nach einer haltbaren juristischen Begründung“,<br />

meint hingegen Prof. Dr.<br />

Monika Frommel, Direktorin des Instituts<br />

für S<strong>an</strong>ktionsrecht und Kriminologie<br />

der Universität Kiel. „De lege lata ist die<br />

<strong>PID</strong> unter engen Voraussetzungen in<br />

Deutschl<strong>an</strong>d erlaubt.“ Als Rechtfertigungsgründe<br />

nennt Frommel die spezielle<br />

medizinische Situation sowie einen allgemeinen<br />

Notst<strong>an</strong>d. Dieser könne entstehen,<br />

da eine risikoreiche Impl<strong>an</strong>tation<br />

die körperliche und seelische Gesundheit<br />

der Patientin schädige. Der Arzt<br />

dürfe deshalb nach § 34 StGB eine Gü-<br />

Deutsche (Gesundheits-)Politik<br />

Ein klares Jein<br />

nur ein Beispiel für die lähmende Unentschlossenheit<br />

der Politik. Wohin<br />

m<strong>an</strong> blickt in der Gesundheitspolitik –<br />

überall herrscht Stillst<strong>an</strong>d. Wem k<strong>an</strong>n<br />

m<strong>an</strong> noch plausibel vermitteln, dass es<br />

über eine schier endlose Zeit hinweg<br />

nicht möglich ist, die Medizinerausbildung<br />

zu reformieren? Wer –<br />

außer einer H<strong>an</strong>d voll Experten – ist<br />

noch in der Lage, innerhalb eines Kr<strong>an</strong>kenversicherungssystems,<br />

das dringend<br />

reformbedürftig ist, aber seit Jahrzehnten<br />

Opfer einer detailversessenen Regelungswut<br />

ist, den Überblick zu bewahren?<br />

Wie immer m<strong>an</strong> zur Rezertifizierung<br />

der ärztlichen Approbation<br />

stehen mag – fast unerträglich ist die<br />

Vorstellung, dass dieses Thema in den<br />

nächsten zehn Jahren l<strong>an</strong>dauf, l<strong>an</strong>dab<br />

in diversen Ländergremien beh<strong>an</strong>delt<br />

wird, ohne dass eine klare Entscheidung<br />

fällt. Das föderale System, für<br />

terabwägung treffen und die Gesundheit<br />

der Frau als das höhere Rechtsgut zulasten<br />

des <strong>Embryonen</strong>schutzes retten.<br />

Für ethisch vertretbar hält Dr.Viktoria<br />

Stein-Hobohm vom Justizministerium<br />

Rheinl<strong>an</strong>d-Pfalz die <strong>PID</strong>, wenn diese<br />

auf Hochrisikopaare begrenzt wird.<br />

Zu diesem Ergebnis kommt auch der<br />

Wissenschaftliche Beirat der Bundesärztekammer.<br />

Er appelliert deshalb <strong>an</strong><br />

den Gesetzgeber, die Rechtslage zu<br />

klären. „Sollte die <strong>PID</strong> erlaubt werden,<br />

ist die Indikation in jedem Einzelfall zu<br />

prüfen“, ergänzte Hoppe. Eine Festlegung<br />

auf bestimmte Diagnosen verbiete<br />

sich, um eine regelhafte Anwendung der<br />

<strong>PID</strong> in solchen Fällen zu vermeiden. Es<br />

soll lediglich der Zust<strong>an</strong>d einer Erkr<strong>an</strong>kung<br />

beschrieben werden. Gegen die<br />

Auflistung der Erkr<strong>an</strong>kungen mit einer<br />

„Generalklausel“ wendet sich Benda.<br />

Dies widerspräche der vom Bundesverfassungsgericht<br />

entwickelten Wesentlichkeitstheorie.<br />

D<strong>an</strong>ach müssen wesentliche<br />

Entscheidungen vom Gesetzgeber<br />

selbst getroffen werden und dürfen nicht<br />

<strong>an</strong> <strong>an</strong>dere Entscheidungsgegner (<strong>an</strong> die<br />

Eltern, den Arzt und die Ethikkommission)<br />

delegiert werden. Dr. med. Eva A. Richter<br />

dessen Etablierung es einmal gute<br />

Gründe gab, dient inzwischen dazu, jeden<br />

Reform<strong>an</strong>satz, der den Abstimmungsprozess<br />

auf Bundesebene überst<strong>an</strong>den<br />

hat, aus politischem Kalkül<br />

oder Koalitionsräson zunichte zu machen.<br />

(Gesundheits-)Politiker müssen entscheiden,<br />

und sie müssen die Ver<strong>an</strong>twortung<br />

dafür übernehmen. Politik<br />

k<strong>an</strong>n nicht heißen, es jedem recht machen<br />

zu wollen und jedem größeren<br />

Problem eleg<strong>an</strong>t aus dem Weg zu gehen.Aber<br />

noch herrscht die Devise „im<br />

Großen kleckern, im Kleinen klotzen“<br />

vor. Und so freuen wir uns auf die Gesetzesinitiative<br />

der Bundesregierung,<br />

mit der Jugendlichen unter 16 Jahren<br />

mithilfe einer Chipkarte die Benutzung<br />

von Zigarettenautomaten verwehrt<br />

werden soll. In welcher Welt leben die<br />

Politiker? Thomas Gerst


Heft 7, 15. Feburar 2002<br />

Kaum hatte der Bundestag am 30.<br />

J<strong>an</strong>uar über den Import embryonaler<br />

Stammzellen abgestimmt,<br />

setzten auch schon Überlegungen ein,<br />

wie der gefundene Kompromiss zugunsten<br />

der <strong>Forschung</strong> ausgeweitet werden<br />

könnte.<br />

Angelpunkt ist die Stichtagsregelung.<br />

Der Bundestag hatte beschlossen,<br />

embryonale Stammzellen nicht zu importieren,<br />

abgesehen von Stammzelllinien,<br />

die zu einem Stichtag bereits existierten.<br />

Unter den Abgeordneten kursierte<br />

die Überlegung, als Stichtag den<br />

30. J<strong>an</strong>uar, zu nehmen, <strong>an</strong>dere plädierten<br />

für den 7. August 2001, einen in den<br />

USA <strong>an</strong>gesetzten Stichtag. Im August<br />

verg<strong>an</strong>genen Jahres sollen 72 Stammzelllinien<br />

existiert haben. Deren Zahl<br />

hat sich inzwischen wohl erhöht. Die<br />

deutschen Forscher, die den <strong>Embryonen</strong>import<br />

befördern wollen, plädieren<br />

für einen weit hinaus geschobenen<br />

Stichtag. M<strong>an</strong> sucht nach möglichst „frischem<br />

Material“. Ein früher Stichtag<br />

schränkt zudem die Menge des Angebots<br />

ein. Der Import nach Deutschl<strong>an</strong>d<br />

könnte somit teuer werden. Dabei geht<br />

es nicht allein um Geld. Die Anbieter<br />

von Zelllinien könnten von deutschen<br />

Forschern auch verl<strong>an</strong>gen, am <strong>Forschung</strong>sdesign<br />

und <strong>an</strong> den Ergebnissen<br />

beteiligt zu werden. Solche Befürchtungen<br />

st<strong>an</strong>den schon im Raum, als Professor<br />

Dr. Oliver Brüstle sich nach Israel<br />

orientierte, nachdem er zuvor Kontakte<br />

in die USA gepflegt hatte.<br />

Solche Argumente werden bei der<br />

Formulierung des Gesetzentwurfes und<br />

bei den Beratungen in den Bundestagsausschüssen<br />

ihre Rolle spielen. Der Gesetzentwurf<br />

wird im Bundesforschungsministerium<br />

erarbeitet. Im Bundestag<br />

wird der <strong>Forschung</strong>sausschuss federführend<br />

sein. Beide gelten als Befür-<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

<strong>Embryonen</strong>forschung<br />

Machtproben<br />

Forscher rütteln am Kompromiss des Bundestages.<br />

Die Meinungsbildung in der Ärzteschaft ist offen;<br />

zwischen Bundesärztekammer und deren Wissenschaftlichem<br />

Beirat bahnt sich eine Machtprobe <strong>an</strong>.<br />

worter „liberaler“ Lösungen. Eine<br />

Machtprobe zwischen jenen, die <strong>Embryonen</strong>import<br />

strikt begrenzen wollen<br />

und jenen, die den Forschern entgegenkommen<br />

wollen, ist zu erwarten.<br />

Eine Machtprobe im Kleinen bahnt<br />

sich unterdessen innerhalb der Ärzteschaft<br />

<strong>an</strong>. Die Bundesärztekammer hat<br />

sich in Sachen <strong>Embryonen</strong>forschung<br />

noch nicht definitiv entschieden. Es gibt<br />

allerdings einen Beschluss des 104.<br />

Deutschen Ärztetages aus 2001, der den<br />

Import embryonaler Stammzellen als<br />

ethisch nicht akzeptabel kennzeichnet<br />

und der die Wissenschaft dazu auffordert,<br />

mit Versprechungen zurückhaltend zu<br />

sein. Der Vorst<strong>an</strong>d der Bundesärztekammer<br />

wollte, so der letzte St<strong>an</strong>d der<br />

Überlegungen, die Abstimmung im<br />

Bundestag abwarten. Das Thema dürfte<br />

den kommenden Ärztetag, Ende<br />

Mai diesen Jahres, erneut beschäftigen.<br />

Im Vorfeld der Bundestagsentscheidung<br />

hatte der Präsident der Bundesärztekammer,<br />

Prof. Dr. Jörg-Dietrich<br />

Hoppe, in einem Pressegespräch Position<br />

gegen verbrauchende <strong>Embryonen</strong>forschung<br />

bezogen und vor Heilsversprechungen<br />

gewarnt. Gegen Hoppe<br />

machte der Vorsitzende des Wissenschaftlichen<br />

Beirats der Bundesärztekammer,<br />

Prof. Dr. Karl-Friedrich Sewing,<br />

Front. In einem (inzwischen auch<br />

öffentlich verbreiteten) Brief <strong>an</strong> Hoppe<br />

bekundete Sewing, er fühle sich verpflichtet,<br />

sich „schützend vor die zahlreichen<br />

Ärzte zu stellen, die als Wissenschaftler<br />

in Kliniken und <strong>Forschung</strong>slaboratorien<br />

mit Erfolg für die praktizierenden<br />

Ärzte die Instrumentarien erarbeiten,<br />

mit denen diese ihre Patienten<br />

zunehmend erfolgreicher beh<strong>an</strong>deln<br />

können.“ Sewing verl<strong>an</strong>gte von Hoppe<br />

zu verdeutlichen, dass seine, Hoppes,<br />

Verlautbarungen, „nicht die einhellige<br />

Meinung der Ärzteschaft darstellen<br />

und nicht dem Rat der dafür zuständigen<br />

Gremien entspringen“.<br />

Sewing ließ zudem auf eigene Faust<br />

(zusammen mit der Zentralen Ethikkommission<br />

bei der Bundesärztekammer)<br />

eine Presseerklärung ab, in der er<br />

namens des Wissenschaftlichen Beirats<br />

die Bundestagsentscheidung als richtig,<br />

ethisch ausgewogen und mutig bezeichnete.<br />

Es gibt freilich bisher keine förmliche<br />

Beschlussfassung des Wissenschaftlichen<br />

Beirats, auf die sich Sewing berufen<br />

könnte, geschweige denn eine Vorlage<br />

des Beirats <strong>an</strong> den Vorst<strong>an</strong>d der Bundesärztekammer.<br />

Der aber wäre das zuständige<br />

Gremium, um die Auffassung<br />

der Ärzteschaft zu vertreten.<br />

Die Bundesärztekammer wird nach<br />

dem Eindruck von Beobachtern klarstellen<br />

müssen, inwieweit sie selbst die<br />

Positionen der Ärzteschaft zu embryonaler<br />

Stammzellforschung darlegt oder<br />

ob sie bereit ist, ihrem Beratungsgremium,<br />

dem Wissenschaftlichen Beirat, das<br />

Feld zu überlassen. Die Klärung erscheint<br />

umso vordringlicher, als die<br />

nächste Machtprobe sich bereits abzeichnet:<br />

Noch in diesem Monat will<br />

der Bundestag das heiße Thema Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

<strong>an</strong>gehen. Der<br />

Wissenschaftliche Beirat der Bundesärztekammer<br />

hat sich auch dazu bereits<br />

positioniert. Norbert Jachertz<br />

139


Heft 9, 1. März 2002<br />

Desinteresse <strong>an</strong> der menschlichen<br />

Fortpfl<strong>an</strong>zung warf Prof. Dr. med.<br />

Jürgen Hammerstein, Geschäftsführer<br />

der Kaiserin-Friedrich-Stiftung,<br />

Berlin, am 2<strong>3.</strong> Februar der Politik vor:<br />

„In Deutschl<strong>an</strong>d herrscht eine fortpfl<strong>an</strong>zungsbehindernde<br />

Gesetzgebung“, sagte<br />

der ehemalige Reproduktionsmediziner<br />

des Klinikums Steglitz der Freien<br />

Universität Berlin, zum Abschluss des<br />

26. Symposiums für Juristen und Ärzte,<br />

das die Kaiserin-Friedrich-Stiftung in<br />

diesem Jahr zum Thema Reproduktionsmedizin<br />

org<strong>an</strong>isierte. Die Befürworter<br />

„liberaler“ Lösungen waren dabei<br />

weitgehend unter sich.<br />

Hammerstein erklärte, die Solidarität<br />

der Entscheidungsträger mit den<br />

fortpfl<strong>an</strong>zungswilligen Schichten des<br />

Volkes drohe verloren zu gehen. Das<br />

Grundgesetz zum Schutz von Ehe und<br />

Familie würde zunehmend ausgehöhlt.<br />

Der Gynäkologe verwies auf liberalere<br />

Gesetze zur Reproduktionsmedizin in<br />

<strong>an</strong>deren europäischen Ländern. So sei<br />

in Großbrit<strong>an</strong>nien, Schweden, Dänemark,<br />

den Niederl<strong>an</strong>den, Finnl<strong>an</strong>d, Belgien,<br />

Fr<strong>an</strong>kreich, Sp<strong>an</strong>ien, Italien und<br />

Griechenl<strong>an</strong>d die Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

(<strong>PID</strong>) erlaubt und werde dort<br />

erfolgreich praktiziert. Von einem<br />

Dammbruch könne in diesen christlichen<br />

Ländern nicht die Rede sein, betonte<br />

Prof. Dr. med. Herm<strong>an</strong>n Hepp,<br />

Direktor der Klinik und Poliklinik für<br />

Frauenheilkunde und Geburtshilfe des<br />

Klinikums Großhadern, München.<br />

Hepp ist Mitglied im Wissenschaftlichen<br />

Beirat der Bundesärztekammer<br />

und war dort federführend mit der Erstellung<br />

des Diskussionsentwurfs zur<br />

<strong>PID</strong> befasst. Dieser befürwortet die<br />

<strong>PID</strong> in Grenzen (DÄ, Heft 9/2000).<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

Symposium in der Kaiserin-Friedrich-Stiftung<br />

Solidarität mit den<br />

„fortpfl<strong>an</strong>zungswilligen<br />

Schichten“<br />

Reproduktionsmediziner fordern die Zulassung<br />

der Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik.<br />

140<br />

Als zulässig erklärt die <strong>PID</strong> auch der<br />

Artikel 18 der Bioethikkonvention des<br />

Europarates vom April 1997, die aber<br />

zugleich restriktivere, nationale Regelungen<br />

befürwortet. Das deutsche<br />

<strong>Embryonen</strong>schutzgesetz, das seit dem<br />

1. J<strong>an</strong>uar 1991 in Kraft ist, steht der <strong>PID</strong><br />

nach Ansicht der meisten Experten entgegen.<br />

D<strong>an</strong>ach dürfen <strong>Embryonen</strong> nur<br />

zum Zwecke der Fortpfl<strong>an</strong>zung erzeugt<br />

werden.Alle <strong>Embryonen</strong> (zwei bis drei)<br />

müssen der künftigen Mutter eingepfl<strong>an</strong>zt<br />

werden. Eine Auswahl ist nur im<br />

Vorkernstadium gestattet.<br />

Erfolgsraten optimieren<br />

„Durch diese restriktiven Regelungen<br />

sind die Schw<strong>an</strong>gerschaftsraten für kinderlose<br />

Paare nach In-vitro-Fertilisation<br />

(IVF) deutlich eingeschränkt“, bedauert<br />

Prof. Dr. med. H<strong>an</strong>s V<strong>an</strong> der Ven, Direktor<br />

der Abteilung für Gynäkologie, Endokrinologie<br />

und Reproduktionsmedizin<br />

am Universitätsklinikum Bonn. Diese<br />

lägen derzeit in Deutschl<strong>an</strong>d je nach<br />

Alter der Frau zwischen 15 und 25 Prozent.<br />

Dies sei zwar beachtlich, verglichen<br />

mit der natürlichen Befruchtung, bei der<br />

die Erfolgsrate auch nur etwa 28 Prozent<br />

betrage; die Baby-take-home-Raten<br />

nach IVF im Ausl<strong>an</strong>d würden jedoch bei<br />

etwa 50 Prozent liegen. Grund dafür sei<br />

die Möglichkeit, ein oder zwei <strong>Embryonen</strong><br />

mit optimalen Eigenschaften auszuwählen.Ein<br />

weiterer Vorteil sei dabei die<br />

Reduktion der Mehrlingsschw<strong>an</strong>gerschaften<br />

nach IVF.<br />

„Untersuchungen haben gezeigt, dass<br />

die <strong>PID</strong> zu einer zweifachen Impl<strong>an</strong>tationsrate<br />

und zu einer 2,5fachen Abnahme<br />

von Spont<strong>an</strong>aborten führt“, bekräf-<br />

tigte Prof. Dr. med. Gerhard Wolff, Direktor<br />

des Instituts für Hum<strong>an</strong>genetik<br />

und Anthropologie der Universität Freiburg.<br />

Das Einpfl<strong>an</strong>zen von <strong>Embryonen</strong><br />

mit Chromosomenstörungen, die die<br />

Hauptursache für Fehlgeburten darstellen,<br />

könne deutlich minimiert werden,<br />

wenn die <strong>Embryonen</strong> vorher untersucht<br />

und gegebenenfalls verworfen werden.<br />

Angesichts der Gesetzeslage in<br />

Deutschl<strong>an</strong>d gelte es, die technischen<br />

Möglichkeiten im Vorkernstadium zu<br />

optimieren, meint V<strong>an</strong> der Ven. Dies wäre<br />

durch eine verbesserte Beurteilung<br />

der Vorkerne, den optimalen Zeitpunkt<br />

des <strong>Embryonen</strong>tr<strong>an</strong>sfers sowie die Polkörperbiopsie<br />

möglich.<br />

Prof. Dr. med. Heribert Kentenich,<br />

Chefarzt der Gynäkologischen Abteilung<br />

der DRK-Frauenklinik Westend,<br />

Berlin, geht weiter: Er forderte auf dem<br />

Symposion eine Änderung des <strong>Embryonen</strong>schutzgesetzes,<br />

das die eingeschränkte<br />

Selektion von <strong>Embryonen</strong><br />

und den Blastozystentr<strong>an</strong>sfer erlauben<br />

sollte. Die <strong>PID</strong> müsse gestattet werden,<br />

da die betroffenen Frauen <strong>an</strong>sonsten zu<br />

einer Schw<strong>an</strong>gerschaft auf Probe gezwungen<br />

wären oder vom Arzt ins Ausl<strong>an</strong>d<br />

geschickt werden müssten. Ferner<br />

plädiert Kentenich dafür, die heterologe<br />

Insemination, die Eizellspende, die<br />

Beh<strong>an</strong>dlung lesbischer Paare und die<br />

<strong>Forschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Embryonen</strong> zu gestatten.<br />

Eine internationale Regelung sei<br />

dringend erforderlich, meint Prof. Dr.<br />

jur. Eberhard Eichenhofer. „Nationale<br />

Zwischenschritte sind zwar unvermeidbar“,<br />

sagte der Inhaber des Lehrstuhls<br />

Sozialrecht und Bürgerliches Recht der<br />

Universität Jena, „aber liberalere Regelungen<br />

haben gegenüber konservativen<br />

den Vorr<strong>an</strong>g.“ Die Gründe für den<br />

„deutschen Sonderweg“ sieht er in den<br />

Erfahrungen aus der Zeit des Nationalsozialismus.<br />

Doch: „Wir können einen<br />

rechtlichen Sonderweg nur einfordern,<br />

wenn wir die Güterabwägung mit <strong>an</strong>deren<br />

Argumenten treffen als die übrigen<br />

europäischen Länder – aber dies tun<br />

wir nicht“, sagte der Jurist. Es sei <strong>an</strong> der<br />

Zeit, von der „Germ<strong>an</strong> disease“ Abschied<br />

zu nehmen und sich in den europäischen<br />

Kontext einzuordnen.<br />

Dies sei jedoch mit dem ärztlichen Berufsrecht<br />

kaum zu vereinbaren, argumentiert<br />

Prof.Dr.jur.Dr.h.c.Adolf Laufs<br />

vom Institut für Deutsches,Europäisches


und Internationales Medizinrecht, Gesundheitsrecht<br />

und Bioethik der Universitäten<br />

Heidelberg und M<strong>an</strong>nheim – er<br />

war der einzige Jurist, der einen kritischen<br />

Vortrag zum Thema <strong>PID</strong> hielt. Der<br />

Arzt müsse ungeborenes Leben erhalten;<br />

der Heilauftrag sei bei der <strong>PID</strong> zweifelhaft,<br />

sagte Laufs. Ihre Zulassung und<br />

die Änderung des <strong>Embryonen</strong>schutzgesetzes<br />

stehe zudem dem Verfassungsrecht<br />

entgegen.Völlig <strong>an</strong>derer Ansicht ist<br />

sein M<strong>an</strong>nheimer Kollege Prof. Dr. iur.<br />

Jochen Taupitz, Mitglied im Nationalen<br />

Ethikrat und in der Zentralen Ethikkommission<br />

bei der Bundesärztekammer.<br />

Für ihn ist der erste Artikel des Grundgesetzes<br />

(„Die Menschenwürde ist un<strong>an</strong>tastbar“)<br />

kein „Totschlagargument“. Die<br />

Menschenwürde sei nicht statisch konzipiert;Änderungen<br />

könnten sich ergeben.<br />

Zudem habe das Verfassungsrecht dem<br />

Embryo niemals Grundrechte zugesprochen,<br />

sondern nur den Schutz durch die<br />

Gesellschaft. Dieser käme jedoch auch<br />

dem menschlichen Leichnam, der Natur<br />

und den Tieren zu. Auch Margot von<br />

Renesse,Vorsitzende der Enquete-Kommission<br />

„Recht und Ethik der modernen<br />

Medizin“ des Bundestages, hält einen liberaleren<br />

Umg<strong>an</strong>g mit dem Artikel 1 des<br />

Grundgesetzes für <strong>an</strong>gemessen. Sie sieht<br />

die Diskussion um die <strong>PID</strong> als eine Suche<br />

nach der Grenze des Strafrechts <strong>an</strong>.Menschen<br />

in Notsituationen müssten unter<br />

Umständen straffrei bleiben können –<br />

ähnlich wie bei der Abtreibungsregelung.<br />

Beh<strong>an</strong>dlungsch<strong>an</strong>cen und die Erweiterung<br />

des Wissens sollten nicht beschränkt<br />

werden.<br />

Dass die Beschränkungen innerhalb<br />

der Reproduktionsmedizin die menschliche<br />

Fortpfl<strong>an</strong>zung stark beeinträchtigen,<br />

bezweifelt Prof. Dr. habil. Elmar<br />

Brähler von der Klinik für Psychotherapie<br />

und Psychosomatik der Universität<br />

Leipzig. „Nach empirischen Untersuchungen<br />

sind zwar 30 Prozent aller<br />

Frauen zeitweilig ungewollt kinderlos,<br />

von einer dauerhaft ungewollten Kinderlosigkeit<br />

sind jedoch lediglich ein bis<br />

drei Prozent aller Frauen betroffen.“<br />

Die Ergebnisse seiner Repräsentativerhebung<br />

von 1999 zeigen auch, dass die<br />

Hälfte aller Schw<strong>an</strong>gerschaften ungepl<strong>an</strong>t<br />

zust<strong>an</strong>de kommen. Brählers Fazit:<br />

„M<strong>an</strong> sollte <strong>an</strong> spont<strong>an</strong>er Zeugung festhalten,<br />

da sonst die Geburtenzahl noch<br />

weiter zurückgeht.“ Dr. med. Eva A. Richter<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

Heft 12, 22. März 2002<br />

Stammzellgesetz<br />

Tauziehen um Definitionen<br />

Der Entwurf des Stammzellgesetzes weicht vom Beschluss<br />

des Deutschen Bundestages vom 30. J<strong>an</strong>uar ab –<br />

zugunsten der <strong>Forschung</strong>. Er wird jetzt überarbeitet.<br />

Der Entwurf zum gepl<strong>an</strong>ten<br />

Stammzellgesetz hält nicht, was<br />

der Beschluss des Deutschen<br />

Bundestages vom 30. J<strong>an</strong>uar versprach:<br />

„Keine verbrauchende <strong>Embryonen</strong>forschung“.<br />

Einige Regelungen im jetzigen<br />

Entwurf, den 115 Abgeordnete von<br />

SPD, CDU/CSU und Bündnis 90/Die<br />

Grünen erstellten, weichen die Auflagen<br />

wieder auf, die das Parlament <strong>an</strong><br />

einen Import von hum<strong>an</strong>en menschlichen<br />

Stammzelllinien knüpfte.<br />

Bei der mehr als sechsstündigen Anhörung<br />

des Ausschusses für Bildung,<br />

<strong>Forschung</strong> und Technikfolgenabschätzung<br />

im Bundestag am 11. März wies vor<br />

allem die Enquetekommission „Recht<br />

und Ethik der modernen Medizin“ wiederholt<br />

auf die eigentliche Intention des<br />

Gesetzes hin – nämlich die <strong>Forschung</strong> <strong>an</strong><br />

embryonalen Stammzelllinien sowie deren<br />

Import nur in Ausnahmefällen zuzulassen.<br />

An dem Gesetzentwurf kritisierten<br />

die Sachverständigen hauptsächlich,<br />

dass nunmehr embryonale Stammzellen<br />

statt embryonaler Stammzelllinien eingeführt<br />

werden sollen. Ferner bemängelten<br />

sie, dass nicht die Eltern der<br />

Stammzellgewinnung zustimmen müssen,<br />

sondern lediglich „nach dem Recht<br />

des Herkunftsl<strong>an</strong>des dazu berechtigte<br />

natürliche Personen“.Auch dass sich die<br />

neu zu schaffende zentrale Ethikkommission<br />

der Zulassungsbehörde vorr<strong>an</strong>gig<br />

aus Naturwissenschaftlern zusammensetzen<br />

soll, lehnen die Sachverständigen<br />

ab.<br />

Damit treten Probleme zutage, die<br />

mit der Gratw<strong>an</strong>derung des Bundestages,<br />

der sich weder für ein klares Ja noch<br />

für ein klares Nein entscheiden konnte,<br />

schon programmiert waren. Der Gesetzestext<br />

soll nun bis zum 26.April überarbeitet<br />

werden. Die zweite und dritte Lesung<br />

im Bundestag ist für den 26. April<br />

vorgesehen.<br />

Tatsächlich kommt der Formulierung<br />

des Stammzellgesetzes große Bedeutung<br />

zu. Erst mit ihm werden die Weichen<br />

gestellt, wie die <strong>Forschung</strong> <strong>an</strong> embryonalen<br />

Stammzellen in Deutschl<strong>an</strong>d<br />

geh<strong>an</strong>dhabt werden soll. Federführend<br />

für die Erarbeitung des Stammzellgesetzes<br />

ist das <strong>Forschung</strong>sministerium.<br />

Von ihm werden der Gesundheits-, der<br />

Rechts- und der Familienausschuss sowie<br />

die Enquetekommission „Recht<br />

und Ethik der modernen Medizin“ zur<br />

Beratung her<strong>an</strong>gezogen.<br />

„Der Import hum<strong>an</strong>er embryonaler<br />

Stammzellen wird auf bestehende Stammzelllinien,<br />

die zu einem bestimmten Stichtag<br />

etabliert wurden, beschränkt“, heißt es<br />

in dem von den Bundestagsabgeordneten<br />

beschlossenen Antrag.Jetzt ist jedoch nur<br />

noch von Stammzellen die Rede. Die Begriffe<br />

„Stammzelllinien“ und „Stammzellen“<br />

würden in der amerik<strong>an</strong>ischen Literatur<br />

synonym gebraucht, verteidigte<br />

Prof.Dr.Bärbel Friedrich,Institut für Biologie<br />

der Humboldt-Universität Berlin<br />

und Präsidiumsmitglied der Deutschen<br />

<strong>Forschung</strong>sgemeinschaft, die jetzige Formulierung.<br />

Prof. Dr. Peter Gruss, Max-<br />

Pl<strong>an</strong>ck-Institut für Biophysikalische Chemie,<br />

Göttingen, und designierter Präsident<br />

der Max-Pl<strong>an</strong>ck-Gesellschaft, gab zu<br />

bedenken, dass die Mehrzahl der in den<br />

USA registrierten Stammzelllinien uncharaktisiert<br />

sei und damit der biologischen<br />

Definition von „Linien“ nicht entspreche.<br />

Die Formulierung „Stammzellen“<br />

müsse unbedingt ins Gesetz, wolle<br />

m<strong>an</strong> die <strong>Forschung</strong> nicht behindern.<br />

Gegner der <strong>Forschung</strong> <strong>an</strong> menschlichen<br />

<strong>Embryonen</strong> sehen hinter der geänderten<br />

Formulierung jedoch die Gefahr<br />

der Ausweitung und des Missbrauchs.<br />

Das „Herstellungsdatum“ sei nicht<br />

mehr nachweisbar, wenn Stammzellen<br />

importiert werden könnten, aus denen<br />

erst später Stammzelllinien gezüchtet<br />

141


würden, befürchtet Dr. Ingrid Schneider,<br />

Institut für Politikwissenschaft der<br />

Universität Hamburg. Zudem sollte<br />

nach ihrer Ansicht im Gesetz ver<strong>an</strong>kert<br />

werden, dass nur kryokonservierte <strong>Embryonen</strong><br />

zur Herstellung von Stammzelllinien<br />

verwendet werden dürfen.<br />

Ansonsten sei nicht gewährleistet, dass<br />

diese tatsächlich „überzählig“ seien.<br />

Feilschen um den Stichtag<br />

Ein Streitpunkt war bei der Anhörung<br />

erneut die Stichtagsregelung – obwohl<br />

sich die Abgeordneten bereits Ende Februar<br />

auf den 1. J<strong>an</strong>uar 2002 als Stichtag<br />

geeinigt hatten. Damit waren sie der<br />

Vorgabe des Bundestagsbeschlusses<br />

nachgekommen, nur den Import von<br />

Stammzelllinien zu erlauben, die vor einem<br />

bestimmten Stichtag hergestellt<br />

wurden. Die <strong>Forschung</strong>spolitiker um Peter<br />

Hintze, Katharina Reiche (beide<br />

CDU) und Ulrike Flach (FDP) fordern<br />

jedoch eine liberalere Genehmigungspraxis<br />

und einen flexiblen Stichtag. Dabei<br />

soll jeweils zwischen dem Antrag der<br />

Forscher auf Import und der Herstellung<br />

der Stammzellen ein bestimmter Zeitpunkt<br />

liegen,beispielsweise sechs Monate,<br />

wie Flach meint. Behielte m<strong>an</strong> die<br />

vorgesehene Stichtagsregelung bei, wür-<br />

Heft 16, 19. April 2002<br />

Die Vertreter der beiden großen christlichen<br />

Kirchen in Deutschl<strong>an</strong>d sind<br />

sich einig: In einer Stellungnahme <strong>an</strong>lässlich<br />

der „Woche für das Leben“ betonen<br />

Präses M<strong>an</strong>fred Kock und Kardinal<br />

Karl Lehm<strong>an</strong>n, dass für die Kirchen „die<br />

Erkenntnis maßgeblich ist, dass menschliches<br />

Leben mit der Befruchtung von<br />

Ei- und Samenzelle beginnt. Der<br />

Mensch entwickelt sich von diesem Zeitpunkt<br />

<strong>an</strong> nicht mehr zum Menschen,<br />

sondern als Mensch.“<br />

Folglich lehnen sie auch die „Vernutzung<br />

menschlicher <strong>Embryonen</strong>, wie sie<br />

bei der embryonalen Stammzellforschung<br />

geschieht, aus christlicher Sicht<br />

entschieden ab, selbst wenn sie zugunsten<br />

der Heilung <strong>an</strong>derer Menschen <strong>an</strong>gestrebt<br />

wird.“ Denn die Gewinnung<br />

142<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

de dies bedeuten, dass sich die Forscher<br />

auf wenige Stammzelllinien beschränken<br />

müssten.<br />

Die Naturwissenschaftler unterstützen<br />

diesen Vorschlag. Für die Grundlagenforschung<br />

reichten die Stammzelllinien,<br />

die den deutschen Forschern<br />

durch die bisherige Stichtagsregelung<br />

zur Verfügung stünden, zwar aus, die<br />

Entwicklung von Therapien wäre jedoch<br />

nicht möglich, erklärte Friedrich.<br />

Als Gründe führte die Biologin einerseits<br />

die geringe Anzahl der Stammzelllinien<br />

<strong>an</strong>, <strong>an</strong>dererseits aber deren Kontaminierung<br />

mit tierischen Zellen und<br />

Viren. In der Tat basieren die meisten<br />

der etwa 80 weltweit existierenden und<br />

in den USA registrierten Stammzelllinien<br />

auf Mausnährzellen und können<br />

„verseucht“ und somit für die Anwendung<br />

am Menschen ungeeignet sein.<br />

Prof. Dr. Dr. h. c. Rüdiger Wolfrum,<br />

Max-Pl<strong>an</strong>ck-Institut für ausländisches<br />

Recht und Völkerrecht, Heidelberg, hat<br />

rechtliche Bedenken bezüglich der Stichtagsregelung.<br />

Der § 5 des neuen Stammzellgesetzes<br />

spreche nicht nur von<br />

Grundlagenforschung,sondern nenne als<br />

Ziel auch die Entwicklung diagnostischer,<br />

präventiver und therapeutischer<br />

Verfahren zur Anwendung beim Menschen.<br />

Dies müsse bei der Stichtagsregelung<br />

bedacht werden, wenn das Gesetz<br />

Kirchen<br />

Absage <strong>an</strong> <strong>PID</strong><br />

menschlicher embryonaler Stammzellen<br />

ist, wie die Kirchen betonen, nur<br />

durch die Vernichtung von <strong>Embryonen</strong><br />

möglich. Die Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

(<strong>PID</strong>) stößt ebenfalls auf scharfe<br />

Kritik. Im Gegensatz zur Pränataldiagnostik<br />

diene die Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

keinerlei therapeutischen<br />

Zwecken, sondern sei allein auf die Selektion<br />

von menschlichem Leben ausgerichtet.<br />

Einen Anspruch auf ein Kind,<br />

gar auf ein gesundes Kind, gebe es nicht.<br />

Die Kirchen wollen es jedoch nicht bei<br />

dieser Stellungnahme belassen, sie wollen<br />

auch auf die Politik einwirken.Sie bedauern<br />

den Beschluss des Bundestages<br />

zum Import embryonaler Stammzelllinien<br />

und hoffen, dass die strikte Begrenzung<br />

des Imports embryonaler Stamm-<br />

einige Jahre gültig sein solle. Ein weiteres<br />

Problem sei die rechtliche Verfügbarkeit<br />

der Stammzelllinien.Denn auf die amerik<strong>an</strong>ischen<br />

Zelllinien sind meist Patente<br />

<strong>an</strong>gemeldet. Jede <strong>Forschung</strong> bedarf der<br />

Genehmigung der Verwertungsfirmen.<br />

Die Firma Gerold besitze sogar die Lizenz<br />

auf die Herstellung der Stammzelllinien,<br />

argumentiert Schneider. „Alle Forscher<br />

müssen somit dieses Patent beachten.<br />

Nicht der Stichtag schreibt das Monopol<br />

der Stammzell<strong>an</strong>bieter vor, sondern<br />

das internationale Patentrecht.“<br />

Die Vertreter der ev<strong>an</strong>gelischen und<br />

katholischen Kirche sind enttäuscht<br />

über die Ausgestaltung des Gesetzes.<br />

Besonders beklagen sie die „ungleichmäßige“<br />

Zusammensetzung der zentralen<br />

Ethikkommission der Zulassungsbehörde,<br />

die die Erfüllung der Auflagen<br />

überprüfen und entscheiden soll, ob die<br />

<strong>Forschung</strong>sprojekte ethisch vertretbar<br />

sind. Die Kommission soll sich aus fünf<br />

Naturwissenschaftlern und Medizinern,<br />

aber nur aus vier Ethikern und Theologen<br />

zusammensetzen. Juristen warnten<br />

vor zu einschneidenden Regelungen im<br />

Gesetz. Es laufe dadurch Gefahr, verfassungswidrig<br />

zu sein. Die Hürden, die<br />

es setze, müssten bewältigbar bleiben.<br />

Die „Haltbarkeitsdauer“ des Gesetzes<br />

ist ihrer Meinung nach sowieso bereits<br />

eng begrenzt. Dr. med. Eva A. Richter<br />

zellen im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens<br />

nicht aufgeweicht werde. Der<br />

Beschluss des Bundestages müsse so umgesetzt<br />

werden, „dass das grundsätzliche<br />

Nein zum Import und der Koppelung der<br />

ausnahmsweisen Zulassung <strong>an</strong> enge Voraussetzungen<br />

auch deutlich wird“, so<br />

Kock.In Bezug auf die <strong>PID</strong> begrüßen die<br />

Kirchen das „Votum der Enquete-Kommission<br />

und hoffen, dass der Bundestag<br />

diesem Votum folgen wird“.<br />

Ob die Kirchen tatsächlich Einfluss auf<br />

politische Entscheidungen nehmen werden,<br />

bleibt abzuwarten. Die ökumenische<br />

„Woche für das Leben“, auf der sie gemeinsam<br />

ihre St<strong>an</strong>dpunkte vertreten, ist<br />

jedenfalls ein Beitrag zur Debatte über<br />

medizinethische Themen, der nicht überhört<br />

werden sollte. Gisela Klinkhammer


Heft 17, 26. April 2002<br />

Dem Stammzellgesetz, das den Import<br />

menschlicher embryonaler<br />

Stammzellen nach Deutschl<strong>an</strong>d regeln<br />

soll, scheint das Schicksal so m<strong>an</strong>cher<br />

Kompromisse zu drohen. Es wird von<br />

mehreren Seiten gleichzeitig <strong>an</strong>gegriffen<br />

und könnte bei der zweiten Lesung<br />

des Gesetzentwurfs <strong>an</strong> diesem Freitag<br />

im Bundestag zerrissen werden.<br />

Die Vorsitzende des <strong>Forschung</strong>sausschusses,<br />

Ulrike Flach (FDP), will die<br />

Stichtagsregelung aufweichen und für jedes<br />

<strong>Forschung</strong>sprojekt einen eigenen<br />

Stichtag durchsetzen.Die Grünen-Abgeordnete<br />

Monika Knoche will sich dagegen<br />

gemeinsam mit Wolfg<strong>an</strong>g Wodarg<br />

(SPD) und Hubert Hüppe (CDU) für ein<br />

eindeutiges Importverbot einsetzen. Damit<br />

wäre die Ausg<strong>an</strong>gssituation der Bun-<br />

Selig sind die, die Frieden stiften“, zitierte<br />

Margot von Renesse aus der<br />

Bergpredigt und meinte damit diejenigen,<br />

die zwei Stunden später nochmals<br />

für den Kompromiss zum Import von<br />

menschlichen embryonalen Stammzellen<br />

stimmen würden. Dies taten am<br />

Abend des 25.April zwei Drittel der 563<br />

<strong>an</strong>wesenden Bundestagsabgeordneten.<br />

Sie verabschiedeten in zweiter und dritter<br />

Lesung den Gesetzentwurf von Dr.<br />

Maria Böhmer (CDU), Wolf-Michael<br />

Catenhusen (SPD), Andrea Fischer<br />

(Bündnis 90/Die Grünen) und Margot<br />

von Renesse (SPD), der den Beschluss<br />

des Bundestages vom 30. J<strong>an</strong>uar in geltendes<br />

Recht umsetzen soll. Erlaubt ist<br />

nun der Import von embryonalen<br />

Stammzellen, die vor dem 1. J<strong>an</strong>uar 2002<br />

im Ausl<strong>an</strong>d hergestellt wurden, sofern<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

Stammzellgesetz<br />

Heft 18, <strong>3.</strong> Mai 2002<br />

Entscheidung zum Stammzellgesetz<br />

Klarheit oder Kompromiss<br />

destagsdebatte zum Stammzellimport<br />

vom 30. J<strong>an</strong>uar wieder hergestellt: „Ja“<br />

kontra „Nein“ kontra „Konsens“.<br />

Bei den mitberatenden Ausschüssen<br />

bestehen bis jetzt große Differenzen über<br />

die Ausgestaltung des Gesetzes.Während<br />

der federführende Bundestagsausschuss<br />

für Bildung, <strong>Forschung</strong> und Technikfolgenabschätzung<br />

einem geänderten Entwurf<br />

des Stammzellgesetzes mit großer<br />

Mehrheit zustimmte, lehnte der Rechtsausschuss<br />

diesen grundsätzlich ab.<br />

Sachverständige hatten bei einer Anhörung<br />

im März (DÄ, Heft 22/2002) bereits<br />

den Gesetzentwurf von Dr. Maria<br />

Böhmer (CDU), Wolf-Michael Catenhusen<br />

(SPD) und Andrea Fischer<br />

(Bündnis 90/Die Grünen) kritisiert.<br />

Diese versuchen jetzt wieder einen<br />

Die Tür steht einen Spalt offen<br />

Die Mehrheit des Bundestages plädierte dafür, den Import von<br />

menschlichen embryonalen Stammzellen unter Auflagen zu erlauben.<br />

das Gesetz im Mai (wie allgemein erwartet<br />

wird) den Bundesrat passiert.<br />

Die Diskussion in der verg<strong>an</strong>genen<br />

Woche war die etwas kleinere Neuauflage<br />

der Bundestagsdebatte vom 30. J<strong>an</strong>uar.<br />

Allein ihrem Gewissen verpflichtet,<br />

stimmten die Abgeordneten wieder<br />

namentlich und ohne Fraktionszw<strong>an</strong>g<br />

über drei Vari<strong>an</strong>ten ab: über ein „Nein“<br />

oder ein „Ja“ zur Stammzellforschung<br />

sowie über die Kompromisslösung. Für<br />

diese plädierten 360 Abgeordnete; für<br />

das „Nein“ 190. Der forschungsfreundliche<br />

Antrag der FDP, in dem Ulrike<br />

Flach einen flexiblen Stichtag forderte,<br />

fiel bereits vorher ohne namentliche<br />

Abstimmung durch. Die Neuauflage<br />

der Debatte zeigt,dass der im J<strong>an</strong>uar erzielte<br />

Kompromiss nur eine Notlösung<br />

war. Ein Konsens, der offensichtlich vie-<br />

Spagat und haben den Entwurf geändert.<br />

D<strong>an</strong>ach sollen Stammzellen statt<br />

Stammzelllinien importiert werden.<br />

Der Begriff wird allerdings konkretisiert.Als<br />

Stichtag für die Erzeugung der<br />

Stammzellen soll weiterhin der 1. J<strong>an</strong>uar<br />

2002 gelten. Die Gewinnung soll sich<br />

nach den Rechtsvorschriften des Herkunftsl<strong>an</strong>des<br />

richten, aber auch den<br />

Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung<br />

folgen.<br />

Die Abstimmung im Bundestag wird<br />

vermutlich namentlich und ohne Fraktionszw<strong>an</strong>g<br />

erfolgen (über den aktuellen<br />

St<strong>an</strong>d informiert der tägliche Nachrichtendienst<br />

des DÄ im Internet unter<br />

www.aerzteblatt.de).Vielleicht setzt m<strong>an</strong><br />

ja diesmal auf Klarheit statt auf einen verwaschenen<br />

Konsens. Dr. med. Eva A. Richter<br />

len Bauchschmerzen bereitete. Der Gesetzentwurf<br />

konnte keine Brücken zwischen<br />

Importgegnern und Befürwortern<br />

bauen. Im Gegenteil: Er verschärfte<br />

die Situation.<br />

„Ein bioethischer Eiert<strong>an</strong>z – der Bundestag<br />

wird hinters Licht geführt“, kritisierte<br />

Wolfg<strong>an</strong>g Wodarg (SPD) den Entwurf.<br />

Dieser hielte nicht, was der Beschluss<br />

vom J<strong>an</strong>uar versprochen hätte,<br />

nämlich lediglich eine Genehmigung<br />

des Importes von Stammzellen aus etablierten<br />

embryonalen Stammzelllinien.<br />

„Stattdessen erlaubt das Gesetz den<br />

Import von kultivierten und kryokonservierten<br />

Stammzellen, die d<strong>an</strong>n in<br />

Deutschl<strong>an</strong>d vermehrt werden können“,<br />

sagte Wodarg. Der SPD-Abgeordnete<br />

plädierte deshalb dafür, nur den Import<br />

von Stammzellen aus etablierten Zellli-<br />

143


Das Gesetz im Überblick<br />

Das vom Bundestag verabschiedete Stammzellgesetz<br />

verbietet grundsätzlich die Gewinnung<br />

von menschlichen embryonalen Stammzellen<br />

(ESZ) in Deutschl<strong>an</strong>d. Ein Import der Zellen und<br />

die <strong>Forschung</strong> dar<strong>an</strong> ist nur unter folgenden Bedingungen<br />

erlaubt:<br />

❃ Es dürfen nur ESZ eingeführt werden, die am<br />

1. J<strong>an</strong>uar 2002 bereits vorh<strong>an</strong>den waren und die<br />

in Übereinstimmung mit der Rechtslage im Herkunftsl<strong>an</strong>d<br />

gewonnen wurden.<br />

❃ Es müssen hochr<strong>an</strong>gige <strong>Forschung</strong>sziele verfolgt<br />

werden, die mit <strong>an</strong>deren Zellen nicht zu erreichen<br />

sind.<br />

❃ Die ESZ müssen aus „überzähligen <strong>Embryonen</strong>“<br />

stammen, die definitiv nicht mehr zur Erzeugung<br />

einer Schw<strong>an</strong>gerschaft verwendet werden.<br />

❃ Den Spendern darf kein Entgelt gezahlt werden.<br />

❃ Jeder Import und jede Verwendung von ESZ bedarf<br />

der Genehmigung der zuständigen Behörde<br />

(Robert Koch-Institut oder Paul-Ehrlich-Institut).<br />

❃ Eine zentrale Ethikkommission, der neun Sachverständige<br />

aus Biologie, Medizin, Ethik und<br />

Theologie <strong>an</strong>gehören, muss die Projekte begutachten.<br />

❃ Zuwiderh<strong>an</strong>dlungen werden mit Gefängnisoder<br />

Geldstrafen geahndet.<br />

❃ Anstiftung oder Beihilfe zu einer nach deutschem<br />

Recht strafbaren Verwendung von ESZ im<br />

Ausl<strong>an</strong>d werden gleichfalls bestraft.<br />

nien zu gestatten, die „stabilisiert, vermehrbar<br />

und hinreichend charakterisiert<br />

sind“. Sein Antrag wurde abgelehnt.<br />

„Die ethische W<strong>an</strong>derdüne hat sich<br />

bereits in Bewegung gesetzt“, kommentierte<br />

Hubert Hüppe (CDU). Gemeinsam<br />

mit Monika Knoche (Bündnis<br />

90/Die Grünen) forderten Hüppe und<br />

Wodarg ein generelles Importverbot.<br />

Dagegen sprächen keinerlei rechtliche<br />

Gründe, verteidigten sie ihren Antrag.<br />

„Der Mittelweg ist kein Ausweg“, sagte<br />

Knoche. Nicht grundsätzliche philosophische<br />

und ethische Argumentationen<br />

seien jetzt wichtig, sondern der harte<br />

Gesetzestext. „Darin darf keine Doppelmoral<br />

stecken.“ Das für den Gesetzentwurf<br />

ver<strong>an</strong>twortliche Quartett Böhmer,<br />

Fischer, Catenhusen und von Renesse<br />

verteidigte diesen. „Für die deutsche<br />

<strong>Forschung</strong> hat kein Embryo das<br />

Leben zu lassen.Wir haben den Auftrag<br />

des Parlaments loyal erfüllt“, sagte die<br />

Juristin Margot von Renesse.<br />

Bereits bei einer Anhörung des federführenden<br />

Ausschusses für Bildung, <strong>Forschung</strong><br />

und Technikfolgenabschätzung<br />

im Bundestag am 11.März war Kritik am<br />

144<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

Entwurf laut geworden. Bemängelt hatten<br />

Sachverständige,dass lediglich „nach<br />

dem Recht des Herkunftsl<strong>an</strong>des dazu<br />

berechtigte natürliche Personen“ der<br />

Stammzellgewinnung zustimmen müssen;<br />

sich die zentrale Ethikkommission<br />

hauptsächlich aus Naturwissenschaftlern<br />

zusammensetzen soll und deutsche<br />

Forscher im Ausl<strong>an</strong>d straffrei mit jenen<br />

menschlichen embryonalen Stammzellen<br />

forschen können, die nicht nach<br />

deutschen Bedingungen gewonnen wurden.<br />

„Darauf haben wir reagiert“, sagte<br />

von Renesse. Der Zustimmungspassus<br />

wurde gestrichen. Für die Gewinnung<br />

von Stammzellen dürfen jetzt nur <strong>Embryonen</strong><br />

verwendet worden sein, die<br />

zum Zwecke einer Schw<strong>an</strong>gerschaft extrakorporal<br />

erzeugt, aber endgültig<br />

nicht mehr dafür verwendet werden.<br />

Gendefekte dürfen nicht festgestellt<br />

worden sein. Der Begriff „embryonale<br />

Stammzelle“ wird zudem genau<br />

definiert. Einen Tag vor der abschließenden<br />

Beratung legten Böhmer, Fischer<br />

und von Renesse einen weiteren Änderungs<strong>an</strong>trag<br />

vor (Catenhusen klinkte<br />

sich aus). Dieser beharrt auf den Vorschriften<br />

des Strafgesetzbuches. Das<br />

Parlament nahm den Antrag <strong>an</strong>. Damit<br />

bleibt ein deutscher Forscher strafbar,<br />

wenn er im Ausl<strong>an</strong>d Forscher <strong>an</strong>stiftet<br />

oder Beihilfe leistet, embryonale<br />

Stammzellen zu gewinnen oder in <strong>an</strong>derer<br />

Weise zu verwenden, als es das deutsche<br />

Gesetz vorschreibt.<br />

Besonders schwer tat sich nach eigenen<br />

Angaben Andrea Fischer mit der<br />

Arbeit am Gesetzentwurf. „Ich habe<br />

mich immer wieder gefragt, ob ich meine<br />

eigene Position verrate“, sagte sie.<br />

„Denn bei Leben und Tod k<strong>an</strong>n es keinen<br />

Kompromiss geben. Unser Entwurf<br />

ist jedoch keiner.“ Das <strong>Embryonen</strong>schutzgesetz<br />

werde auf Dauer festgeschrieben.<br />

„Wir beziehen uns nur auf die<br />

unabänderliche Verg<strong>an</strong>genheit.“ Diese<br />

Ausnahme müsse m<strong>an</strong> machen, um sich<br />

den Widersprüchen zu stellen, erklärte<br />

Fischer. Viele Menschen würden große<br />

Hoffnung in die Stammzellforschung<br />

setzen. „Die <strong>Forschung</strong> hat uns Brücken<br />

gebaut, wir sollten das jetzt auch tun.“<br />

Die Deutsche <strong>Forschung</strong>sgemeinschaft<br />

(DFG) hatte die Bundestagsdebatte<br />

im J<strong>an</strong>uar abgewartet, bevor sie ihrerseits<br />

entschied, <strong>Forschung</strong>sprojekte<br />

<strong>an</strong> menschlichen embryonalen Stamm-<br />

zellen zu fördern. Der DFG-Präsident,<br />

Prof. Dr. med. Ernst-Ludwig Winnacker,<br />

zeigte sich jetzt erleichtert über die Verabschiedung<br />

des Stammzellgesetzes. Zufrieden<br />

ist er mit dem Stichtag allerdings<br />

nicht. „Wir können mit dieser Regelung<br />

leben“, äußerte sich Winnacker vorsichtig.<br />

Kritik übte er <strong>an</strong> der ins Gesetz aufgenommenen<br />

Strafbewehrung. Diese<br />

müsse überdacht werden, falls deutsche<br />

Wissenschaftler im internationalen Kontext<br />

h<strong>an</strong>dlungsunfähig würden.<br />

„Kleinstes Übel“ oder „Besser den<br />

Spatz in der H<strong>an</strong>d“ – die Beweggründe<br />

der Abgeordneten, die für den Gesetzentwurf<br />

stimmten, waren unterschiedlich.<br />

Wie l<strong>an</strong>ge das verabschiedete<br />

Stammzellgesetz Best<strong>an</strong>d haben wird,<br />

ist fraglich. „Ich sehe das gelassen“, sagt<br />

Ulrike Flach (FDP), die mit ihrem Antrag<br />

auf einen flexiblen Stichtag scheiterte.<br />

„Wenn sich <strong>Forschung</strong>serfolge<br />

zeigen, wird das Gesetz sowieso geändert.“<br />

Dr. med. Eva A. Richter


Wolfg<strong>an</strong>g Frühwald<br />

Erinnerungen sind keine Geschichtsquellen,<br />

auch wenn sich die so gen<strong>an</strong>nte<br />

oral history auf das Gedächtnis<br />

und die Aussagen von Zeitgenossen<br />

stützt. Das Problem der Quellenkritik<br />

aber, das Basisproblem historisch<br />

arbeitender Disziplinen, stellt sich<br />

bei dieser Art von Geschichtsschreibung<br />

besonders dringlich und kompliziert.<br />

Die individuelle Erinnerung, von<br />

der Horst Bienek meinte, sie laufe im<br />

Bewusstsein wie ein falsch belichteter<br />

Film ab, bei dem nur ab und zu ein Bild<br />

scharf gestellt ist, überliefert <strong>an</strong>dere Ereignisse<br />

als das kollektive oder gar das<br />

kulturelle Gedächtnis.<br />

Nach spätestens 80 Jahren verblasst<br />

die Erinnerung, mischen sich Gelesenes<br />

und Erlebtes ununterscheidbar. Nach<br />

40 Jahren schon bedarf die Erinnerung<br />

der Mitlebenden der kulturellen Stütze,<br />

der schriftlichen Aufzeichnung, des<br />

Denkmals, des Museums oder gar des<br />

Gedenktages, des Sonntags in der<br />

gleichförmigen Reihe aller Tage. So haben<br />

Jahreszahlen (und damit Jubiläen)<br />

eine eigene Magie, der m<strong>an</strong> sich nur<br />

schwer zu entziehen vermag.<br />

Für mich war das Jahr 1952 ein wegweisendes<br />

Jahr in meinem Leben, weil<br />

ich damals, mit 17 Jahren, erstmals meiner<br />

Frau begegnet bin. Das mag für einen<br />

umgrenzten Kreis von Menschen<br />

durchaus bedeutsam geworden sein, für<br />

unsere Kinder, vielleicht auch für unsere<br />

Enkelkinder. Für die Gesellschaft, in<br />

der wir leben, ist dies ein nebensächliches<br />

Datum. Für Staat und Gesellschaft,<br />

ja für den europäischen Kontinent<br />

und den europäischen Kulturkreis,<br />

war es sicher bedeutsamer, dass in diesem<br />

Jahr 1952 die Hilfslieferungen des<br />

Marshall-Pl<strong>an</strong>es endeten, dass Europa<br />

beg<strong>an</strong>n, wieder auf eigenen Füßen zu<br />

stehen, dass die Pläne zu einer europäi-<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

Heft 19, 10. Mai 2002<br />

Grenzfragen zwischen Wissenschaft und Ethik<br />

Die Bedrohung der<br />

Gattung „Mensch“<br />

Dem „Imperativ des Fortschritts“ in Naturwissenschaft und<br />

Technik begegnet der Imperativ der moralischen Vernunft.<br />

schen Agrar-Union zwar stagnierten,<br />

das Gesetz über die Mont<strong>an</strong>-Union<br />

aber vom Deutschen Bundestag verabschiedet<br />

wurde. Die Verfassungsklage<br />

der damaligen parlamentarischen Opposition<br />

gegen die EVG wurde abgewiesen.<br />

Auch wenn die Europäische<br />

Verteidigungsgemeinschaft d<strong>an</strong>n am<br />

Widerst<strong>an</strong>d des fr<strong>an</strong>zösischen Parlaments<br />

scheiterte – Europa machte sich<br />

doch auf den schweren und l<strong>an</strong>gsamen<br />

Weg seiner Einigung.<br />

1952 war das Jahr, in dem Christi<strong>an</strong><br />

Dior die „fließende Linie“ mit der<br />

„w<strong>an</strong>dernden Taille“ in einer eleg<strong>an</strong>ten<br />

und dem Auge (zumindest dem Männer-Auge)<br />

schmeichelnden Damenmode<br />

kreierte. Wichtiger für die allgemeine<br />

Geschichte aber war wohl das Faktum,<br />

dass sich damals eine das Aussehen<br />

von Frauen und Männern gleichermaßen<br />

verändernde, amerik<strong>an</strong>ische<br />

Mode in Europa fast seuchenartig ausbreitete:<br />

die aus blauem Baumwollstoff<br />

gefertigten Hosen, mit aufgenieteten<br />

Taschen, nach der Genueser Herkunft<br />

des Stoffes gen<strong>an</strong>nt Blue Je<strong>an</strong>s. Ihre rasche<br />

Ausbreitung verweist nicht nur auf<br />

eine Mode, sondern auf eine Zeitstimmung,<br />

auf die verbreitete Mentalität<br />

junger Menschen, die (ähnlich wie das<br />

Werther-Fieber im 18. Jahrhundert) aus<br />

dem Gefühl der Einsamkeit und der<br />

Verlorenheit, aber auch aus Zukunftshoffnung,<br />

stiller Rebellion, aus Sehnsucht<br />

nach Jugendsolidarität und<br />

Selbstironie gespeist wurde. Das Kult-<br />

Dieser Aufsatz ist die leicht gekürzte und bearbeitete Fassung<br />

eines Vortrages, den Prof. Dr. phil. Wolfg<strong>an</strong>g Frühwald<br />

<strong>an</strong>lässlich des Festaktes zum 50-jährigen Bestehen<br />

des Wissenschaftlichen Beirates der Bundesärztekammer<br />

am 8. März in Berlin gehalten hat (dazu DÄ, Heft 11/<br />

2002). Frühwald ist der Präsident der Alex<strong>an</strong>der von<br />

Humboldt-Stiftung und war von 1992 bis 1997 Präsident<br />

der Deutschen <strong>Forschung</strong>sgemeinschaft.<br />

buch der Je<strong>an</strong>s-Literatur, Jerome David<br />

Salingers Rom<strong>an</strong> „The Catcher in the<br />

Rye“ (Der Fänger im Roggen), erschien<br />

in den USA 1951, in deutscher<br />

Übersetzung zuerst 1954.<br />

Damals, mitten im Kalten Krieg,<br />

gehörte ein existenziell, aber auch ein<br />

sozial gedachtes Christentum zur Basis<br />

der <strong>an</strong>tibolschewistischen Stimmung<br />

des Westens. Fr<strong>an</strong>çois Mauriac, der<br />

Dichter verzweifelter Einsamkeit des<br />

Menschen, seiner Verfallenheit <strong>an</strong> das<br />

Böse und seiner Erlösung aus Gnade,<br />

erhielt in diesem Jahr den Nobelpreis<br />

für Literatur; Rom<strong>an</strong>o Guardini, der in<br />

München eine spezielle Spielart der<br />

Existenzphilosophie lehrende Religionsphilosoph,<br />

wurde mit dem Friedenspreis<br />

des Deutschen Buchh<strong>an</strong>dels ausgezeichnet.<br />

Albert Schweitzer war der<br />

Friedens-Nobelpreisträger dieses Jahres.<br />

Das Preisgeld hat er in sein Urwald-<br />

Hospital in Lambarene investiert.<br />

Thomas M<strong>an</strong>n ist 1952 aus den unter<br />

der Kommunistenjagd McCarthys sich<br />

verdüsternden USA nach Europa<br />

zurückgekehrt. Er hat zu Beginn des<br />

Folgejahres die Erzählung „Die Betrogene“<br />

geschrieben, in der eine deutsche<br />

Baronin im Klimakterium unter der<br />

Berührung durch die Liebe zu einem<br />

jungen Amerik<strong>an</strong>er wieder fruchtbar zu<br />

werden meint. Rosalie von Tümmler,<br />

die im Zeitpunkt der erzählten H<strong>an</strong>dlung<br />

der Novelle etwa so alt ist wie das<br />

Jahrhundert im Jahr der Publikation<br />

dieses Textes (also 53 Jahre alt), muss<br />

schließlich erkennen, dass ihre Blutungen<br />

Symptome eines Unterleibs-Karzinoms<br />

sind.Thomas M<strong>an</strong>n hat seiner Rosalie<br />

von Tümmler nicht zufällig die Züge<br />

der deutschen Schriftstellerin Gertrud<br />

von Le Fort (1876–1971) gegeben,<br />

das alternde Europa, das sich der Liebe<br />

zu dem jugendfrischen Amerika hin-<br />

145


gibt, meint diese Erzählung, trägt in sich<br />

die Kr<strong>an</strong>kheit zum Tode.<br />

M<strong>an</strong> hat später diese hier flüchtig<br />

skizzierte Zeitstimmung aus Verzweiflung<br />

und Nostalgie, aus noch kaum artikulierter<br />

Sehnsucht nach Überwindung<br />

der „Welt der alten Männer“ und<br />

Selbstironie als „restaurativ“ bezeichnet<br />

und dabei übersehen, wie sich im<br />

Untergrund die Zukunft vorbereitete,<br />

wie sich ein starker demokratischer<br />

Kern bildete, der auch die Krisen der<br />

60er- und der 70er-Jahre zu überstehen<br />

vermochte. Dabei gab es genügend Signale,<br />

die auf die Zukunft verwiesen,<br />

doch haben wir als Zeitgenossen diese<br />

Signale nur unzureichend gedeutet.<br />

1952, als in Ost und West die ersten<br />

Wasserstoffbomben explodierten, als<br />

sich die Welt in zwei Machtblöcken<br />

verhärtete, gab es bereits Anzeichen<br />

jener Mobilität, die das Blocksystem<br />

der Welt gleichsam von innen her<br />

zerstört hat. Im Jahr 1952 nämlich purzelten<br />

die Geschwindigkeitsrekorde<br />

nicht nur in der Schiffspassage über den<br />

Atl<strong>an</strong>tik, sondern vor allem bei den<br />

L<strong>an</strong>gstreckenflügen. In neun Stunden<br />

und 50 Minuten flog erstmals ein<br />

amerik<strong>an</strong>ischer Düsenbomber non stop<br />

über den Pazifik von Alaska nach Jap<strong>an</strong>.<br />

Die Gravitationsfelder der Welt<br />

beg<strong>an</strong>nen sich unmerklich aus dem<br />

Westen der Welt in den Osten zu verschieben.<br />

Der stärkste Motor der Veränderung<br />

aber war (und ist) die Wissenschaft,<br />

deren technische Anwendungen jetzt<br />

von basalen Ver-<br />

änderungensprachen. Mit dem Jahr<br />

1952 beg<strong>an</strong>n das<br />

halbe Jahrhundert<br />

jener nachmodernenErfahrungsexplosion,<br />

welche die<br />

Welt von Grund<br />

auf verändert hat, bis wir in unseren Tagen<br />

– um mit Jürgen Habermas zu sprechen<br />

– nicht mehr neue Antworten auf<br />

alte Fragen suchen, sondern vor Fragen<br />

einer <strong>an</strong>deren Art stehen.<br />

Im Jahr 1952 wurde der Nobelpreis<br />

für Medizin <strong>an</strong> Selm<strong>an</strong> Abraham Waksm<strong>an</strong><br />

für die Mitentdeckung des Streptomycins<br />

vergeben, und im gleichen Jahr<br />

wurden Bakterien gezüchtet, die gegen<br />

dieses Antibiotikum 250 000-mal wi-<br />

146<br />

Mit dem Jahr 1952 beg<strong>an</strong>n<br />

das halbe Jahrhundert jener<br />

nachmodernen Erfahrungsexplosion,<br />

welche die Welt<br />

von Grund auf verändert hat.<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

derst<strong>an</strong>dsfähiger sind als die Ausg<strong>an</strong>gsform.<br />

Im Folgejahr schon (1953) haben<br />

Crick und Watson in der Zeitschrift<br />

„Nature“ jene klassische Beschreibung<br />

der DNA-Doppelhelix publiziert, die<br />

das biologische Zeitalter einleitete und<br />

die Mikrobiologie als Leitwissenschaft<br />

<strong>an</strong> die Stelle der Atomphysik setzte.<br />

Dass sich die Bundesärztekammer<br />

im Jahr 1952 einen Wissenschaftlichen<br />

Beirat geschaffen hat, war somit eine<br />

weitreichende und eine vorausschauende<br />

Entscheidung.<br />

Von nun <strong>an</strong> nämlich<br />

wurde der Zusammenh<strong>an</strong>g<br />

von<br />

Biologie oder besser<br />

von Biochemie<br />

und Medizin so eng, dass der Abst<strong>an</strong>d<br />

zwischen Grundlagenforschung und<br />

Entwicklung rasch zu schrumpfen beg<strong>an</strong>n,<br />

wissenschaftliche Entdeckungen<br />

und Entwicklungen das soziale Leben<br />

revolutionierten und die Entwicklungen<br />

bereits der Grundlagenforschung in<br />

wirtschaftliche und ethisch relev<strong>an</strong>te<br />

Bereiche eindr<strong>an</strong>gen. Die Aufgabe der<br />

Ärztekammern, für einen wissenschaftlich<br />

und ethisch hoch stehenden Ärztest<strong>an</strong>d<br />

Sorge zu tragen, war ohne fachkundige<br />

Beratung in beiden Bereichen<br />

nicht mehr zu erfüllen.<br />

Dass sich Ethik, insbesondere ärztliches<br />

Ethos, und Wissenschaft widersprechen<br />

können und solche Widersprüche<br />

in neuerer Zeit auch unter demokratischen<br />

Verhältnissen häufiger<br />

werden, liegt vermutlich <strong>an</strong> der besonderen<br />

Art, in der<br />

sich Naturwissenschaft<br />

und Technik<br />

weiterentwickeln.<br />

Der Begriff des<br />

„Fortschritts“, der<br />

seit wenigstens 1795<br />

im heutigen Wortgebrauchüberliefert<br />

ist, als „Vermehrung der Einsichten,<br />

der Erfahrung, des Muts, der Fertigkeit<br />

im Guten oder auch im Bösen“,<br />

gehört zu den Naturwissenschaften und<br />

zur Technik in einem g<strong>an</strong>z <strong>an</strong>deren<br />

Maße als zu Kunst, Literatur und Geisteswissenschaften.<br />

Naturwissenschaft und Technik sind<br />

geradezu durch ihren Fortschritt definiert,<br />

„Die Kernphysik überwindet die<br />

Alchimie; durch die Molekularbiologie<br />

Naturwissenschaft und<br />

Technik sind geradezu durch<br />

ihren Fortschritt definiert.<br />

wird die Physiologie der Körpersäfte<br />

überholt. Dasselbe gilt für die Anwendungen:E-Mail<br />

stellt eine Verbesserung<br />

gegenüber dem Semaphor dar, ein<br />

Überschallflugzeug überflügelt eine<br />

Galeone, das Chloroform ver<strong>an</strong>schaulicht<br />

das Heraustreten des Menschen<br />

aus unvorstellbaren Schmerzen. Keine<br />

Winde der Mode werden Naturwissenschaft<br />

oder Technologie in die Verg<strong>an</strong>genheit<br />

zurückwehen“ (G. Steiner).<br />

Durch die Beschleunigung des Erfahrungsw<strong>an</strong>dels,wel-<br />

che das grundlegende<br />

Kennzeichen<br />

der Moderne und<br />

der Nachmoderne<br />

ist, sind wir alle in<br />

der Lage, solche Fortschritte am eigenen<br />

Leibe zu prüfen: Wer in seiner<br />

Kindheit die Gefahren der Poliomyelitis<br />

gesehen hat, weiß, welch kluge Entscheidung<br />

es war,die wenigen zur Verfügung<br />

stehenden Mittel in den 50er-Jahren<br />

des letzten Jahrhunderts nicht in die<br />

Perfektionierung der Eisernen Lungen,<br />

sondern in die virologische Grundlagenforschung<br />

und damit in die Entwicklung<br />

eines Impfstoffes zu investieren.<br />

Der Fortschritt in den Naturwissenschaften<br />

aber hat es <strong>an</strong> sich, dass er von<br />

Einzelnen kaum zu beeinflussen ist,<br />

dass er sich prozesshaft, gleichsam aus<br />

sich selbst heraus fortschreibt, dass damit<br />

auch alle Grenzen, welche die <strong>Forschung</strong><br />

sich selbst setzt und sich selbst<br />

setzen will, nicht haltbar sind. Die Summe<br />

der naturwissenschaftlichen Fortschritte,<br />

sagt George Steiner, übersteige<br />

„exponentiell ihre einzelnen Teile, und<br />

seien sie auch noch so sehr von persönlichem<br />

Genie inspiriert“. In einem gewissen<br />

und starken Sinne sei der naturwissenschaftlich-technische<br />

Fortschritt<br />

demnach „träge und oze<strong>an</strong>isch“, ließen<br />

sich „naturwissenschaftliche Theorien<br />

und Entdeckungen [nur]. . . als <strong>an</strong>onym<br />

denken. Die große Flut kommt herein“.<br />

Der g<strong>an</strong>ze Unterschied aber zu der „<strong>an</strong>deren“<br />

Kultur, der g<strong>an</strong>ze Unterschied<br />

zwischen „science“ und „literature“, ist<br />

d<strong>an</strong>n in Steiners Frage enthalten, die da<br />

lautet: „Was stellt im Gegensatz hierzu<br />

einen Fortschritt gegenüber Homer<br />

oder Sophokles, gegenüber Platon oder<br />

D<strong>an</strong>te dar?“ So fügt er <strong>an</strong> diese – absurde<br />

– Frage die lapidare Antwort <strong>an</strong>:<br />

„Ernsthafte Werke werden weder über-


holt noch verdrängt; große Kunst wird<br />

nicht <strong>an</strong>tiquarischem Status über<strong>an</strong>twortet;<br />

[die Kathedrale von] Chartres<br />

altert nicht.“ Dies bedeutet, dass „in<br />

den bildenden Künsten, in der Literatur<br />

und der Musik . . . Dauer nicht Zeit“ ist,<br />

dass auch die ethischen Fragen der<br />

Menschheit nicht altern, weil es tatsächlich<br />

so etwas gibt wie „den“ Menschen<br />

und seine Verfasstheit in der Welt.<br />

Das ist keine neue Erkenntnis, aber<br />

eine immer wieder vergessene Einsicht,<br />

die schon Goethe unter dem Eindruck<br />

der auf naturwissenschaftlicher Grundlage<br />

entstehenden Technik seiner Zeit<br />

so formuliert hat: „Neue Erfindungen<br />

können und werden geschehen, allein<br />

es k<strong>an</strong>n nichts Neues ausgedacht werden,<br />

was auf den sittlichen Menschen<br />

Bezug hat.“ Der Hum<strong>an</strong>itäts-Diskurs<br />

ist von <strong>an</strong>derer Art als der moderne<br />

Wissenschafts-Diskurs. Dort, wo sich<br />

beide Diskurse nicht durchdringen und<br />

widerständig aufein<strong>an</strong>der beziehen,<br />

gerät die Welt aus dem Gleichgewicht.<br />

So steht die Geschichte der Einsamkeit<br />

(und die ethische<br />

Entscheidung<br />

gehört zu ihr) gegen<br />

die Geschichte<br />

des Fortschritts, die<br />

Geschichte zeitloser<br />

Dauer gegen die der Geschwindigkeit<br />

wirtschaftlicher und wissenschaftlicher<br />

Entwicklungen, die Geschichte der<br />

prozesshaft und „oze<strong>an</strong>isch“ sich ausbreitenden<br />

naturwissenschaftlichen<br />

Einsicht in die Welt gegen die dem Zufall,<br />

der Gewalt und dem Irrtum ausgesetzte<br />

Geschichte des Individuums und<br />

– da die Geschichte der Naturwissenschaft<br />

zugleich eine Geschichte des<br />

Rückzugs der Sprache ist – die Geschichte<br />

der sprachlichen Erklärung gegen<br />

die der Formel und die erst kurze<br />

Geschichte der Visualisierung hochkomplexer<br />

Zustände. Auf diesem völlig<br />

unübersichtlichen Gelände ist der Wissenschaftliche<br />

Beirat (nicht nur der<br />

Bundesärztekammer) positioniert, auf<br />

einem Feld, auf dem sich unterschiedliche<br />

Denkkulturen mit jeweils starken<br />

Eigentraditionen begegnen und herrisch<br />

ihr Recht fordern.<br />

Dem „Imperativ des Fortschritts“ in<br />

Naturwissenschaft und Technik begegnet<br />

der Imperativ der moralischen Vernunft.<br />

Dieser Imperativ aber fordert,<br />

Der Hum<strong>an</strong>itäts-Diskurs ist<br />

von <strong>an</strong>derer Art als der moderne<br />

Wissenschafts-Diskurs.<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

Grenzen und Dämme dort zu ziehen,<br />

wo der Erkenntnisstrom längst über die<br />

Ufer getreten ist, damit ein Stück bewohnbares<br />

L<strong>an</strong>d für die Menschen verbleibt.<br />

Pragmatismus, in den viele vor<br />

der komplexen Problemlage heute zu<br />

flüchten versuchen, hilft in einer solchen<br />

Situation nur dem, der sich bereits<br />

mit Haut und Haaren dem „magischen<br />

Turnus der Investitionen und Auslöschungen“<br />

(D. Grünbein) verschrieben<br />

hat. Ein solcher Turnus zerstört unser<br />

Gedächtnis ebenso wie die Grundlagen<br />

unseres Zusammenlebens.<br />

Kein historischer Vergleich hat derzeit<br />

so Konjunktur wie der des „Rubikon“.<br />

Seit der Streit um die <strong>Forschung</strong><br />

<strong>an</strong> embryonalen Stammzellen des Menschen<br />

in Europa und den USA begonnen<br />

hat, ist der kleine Fluss, der südlich<br />

von Ravenna in die Adria mündet, zu einer<br />

Leitmetapher in der Frage nach der<br />

ethischen Grenzziehung in Biologie und<br />

Medizin geworden. Es sei noch viel<br />

Raum diesseits des Rubikon, hat der<br />

Bundespräsident am 18. Mai 2001 in<br />

seiner berühmt ge-<br />

wordenen Berliner<br />

Rede über einen<br />

Fortschritt nach<br />

menschlichem Maß<br />

gesagt und damit<br />

heftigen Widerspruch geerntet. Das<br />

Grenzbild nämlich bezieht sich auf die<br />

<strong>Forschung</strong> <strong>an</strong> embryonalen Stammzellen<br />

des Menschen,für deren Gewinnung<br />

menschliche <strong>Embryonen</strong> in vitro hergestellt<br />

und innerhalb der ersten 14 Entwicklungstage<br />

getötet werden müssen.<br />

Es bezieht sich auf die weitgehend unbe<strong>an</strong>twortete<br />

Frage, weshalb die ethisch<br />

unproblematische <strong>Forschung</strong> <strong>an</strong> adulten<br />

Stammzellen nicht priorisiert wird, weshalb<br />

nicht wenigstens die Tierversuchsreihen<br />

abgeschlossen werden, ehe auf<br />

„menschliches Material“ übergegriffen<br />

wird? Es bezieht sich schließlich darauf,<br />

dass die Debatte in Deutschl<strong>an</strong>d nur eine<br />

Vari<strong>an</strong>te im weltweiten <strong>Embryonen</strong>streit<br />

ist, die hier einer gegebenen Gesetzeslage<br />

gerecht zu werden versucht,<br />

aber keine grundsätzlich <strong>an</strong>dere Debatte<br />

als die internationale Diskussion ist.<br />

Die Maximalforderungen der <strong>Forschung</strong><br />

in Deutschl<strong>an</strong>d stimmen mit den Forderungen<br />

der <strong>Forschung</strong> überein, die weltweit<br />

auf verbrauchende <strong>Embryonen</strong>forschung<br />

zielen.<br />

Joh<strong>an</strong>nes Rau, Hubert Markl, die<br />

Deutsche <strong>Forschung</strong>sgemeinschaft, Jürgen<br />

Habermas,Konrad Beyreuther und<br />

viele <strong>an</strong>dere bemühen den Rubikon,<br />

um eine endlich erreichte Grenze des<br />

Wissens und die Gefahr oder die Ch<strong>an</strong>ce<br />

der Grenzüberschreitung <strong>an</strong>schaulich<br />

zu machen. Der Rubikon ist jener<br />

Grenzfluss zwischen der Provinz Gallia<br />

Cisalpina und dem römischen Stamml<strong>an</strong>d,<br />

den Caesar im Jahr 49 v. Chr. mit<br />

seinen Legionen in Richtung auf Rom<br />

überschritten und damit die Lex Cornelia<br />

Majestatis gebrochen hat, die es einem<br />

Feldherrn untersagte, seine Armee<br />

aus der von ihm befehligten Provinz<br />

herauszuführen. Caesar hat mit dieser<br />

Entscheidung einen drei Jahre dauernden<br />

Bürgerkrieg eröffnet. Der Rubikon<br />

ist im Streit um <strong>Embryonen</strong>verbrauch<br />

und Stammzellenimport, um Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

(<strong>PID</strong>) und Keimbahnintervention,<br />

um therapeutisches<br />

und reproduktives Klonieren, um das<br />

Designer-Baby, den künstlichen Uterus<br />

und letztlich jenes body net, in welcher<br />

der Mensch „in einer Molekülkette, die<br />

theoretisch ununterbrochen sein könnte,<br />

zu einer Episode seiner oder ihrer<br />

früheren Inkarnationen werden könnte“<br />

(G. Steiner), zum Bild der Grenze<br />

geworden, welche die Gesellschaft der<br />

Wissenschaft zu setzen versucht.<br />

Schließlich vergeht kein Tag, <strong>an</strong> dem<br />

nicht neue Sensationsmeldungen aus<br />

Pränatal- und Perinatalmedizin durch<br />

die Weltmedien geistern, <strong>an</strong> denen der<br />

„Imperativ des Fortschritts“ nicht nachdrücklich<br />

und durchaus staunenswert<br />

bewusst gemacht wird.<br />

Es scheint, als stehe nach den schon<br />

von Sigmund Freud konstatierten<br />

Kränkungen des Menschen, die nach<br />

dem Befund von Jürgen Habermas allesamt<br />

„Dezentrierungen“ gewesen sind,<br />

nun eine dritte Kränkung bevor. Sie<br />

wird jedem von uns auf den Leib rücken<br />

und nicht nur das kollektive Bewusstsein<br />

beeinflussen. Nach der kopernik<strong>an</strong>ischen<br />

Wende, welche die Erde aus<br />

dem Mittelpunkt des Kosmos genommen<br />

hat, war die Darwinsche Kränkung,<br />

die den Menschen – Krone der<br />

Schöpfung! – <strong>an</strong> die Kette seiner natürlichen<br />

Abstammung gelegt hat, die<br />

zweite Dezentrierungs-Erfahrung der<br />

Menschheit. Jetzt aber hat es den Anschein,<br />

als könne der Mensch eine nicht<br />

147


nur vorgestellte,sondern seine leibhafte<br />

Mitte verlieren, seinen nur ihm zugehörigen<br />

Leib, der gezeugt, nicht erzeugt<br />

ist, den er frei verschenken und<br />

sogar zerstören k<strong>an</strong>n, der aber (noch)<br />

nicht zu m<strong>an</strong>ipulieren und nach dem<br />

Willen <strong>an</strong>derer irreversibel zu programmieren<br />

und zu verändern ist. Es hat den<br />

Anschein, als könne schon in absehbarer<br />

Zukunft der Mensch nicht mehr<br />

„Leib sein“, sondern nur noch „Körper<br />

haben“ (H. Plessner). Dies nämlich wäre<br />

die notwendige Konsequenz einer<br />

nicht nur im Einzelfall, sondern seriell<br />

durchgeführten Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik.<br />

Die Konjunktur der Körpermoden,<br />

der Körper-Erforschung, der<br />

Leichen-Plastinierung, der ästhetischen<br />

Präsentation plastinierter Körper in<br />

<strong>an</strong>atomischen Ausstellungen, der Paradigma-Bildung<br />

um Körper und Körperlichkeit<br />

in historischen und philologischen<br />

Wissenschafts-Disziplinen, aber<br />

auch der Körperverachtung in terroristischen<br />

Attacken und neuen Waffen,<br />

verweist in ihrer Massierung vermutlich<br />

doch eher auf eine Verlusterfahrung als<br />

auf die triumphale Entdeckung neuer<br />

Körperlichkeit.<br />

„Leibhaftig“ heißt die (2002 erschienene)<br />

Erzählung von Christa Wolf, in<br />

der eine schwer<br />

kr<strong>an</strong>ke Frau die<br />

Entfremdung von<br />

ihrem eigenen Körper<br />

zu überwinden<br />

sucht, versucht, wieder<br />

Leib zu sein,<br />

statt nur noch einen<br />

Körper zu haben, der nach dem<br />

Zusammenbruch des Immunsystems<br />

sich selbst aufzufressen beginnt: „Das<br />

Martyrium und der Unterg<strong>an</strong>g der<br />

Leiber“, heißt es in diesem Text in<br />

schlagzeilenartiger Erinnerung <strong>an</strong> das<br />

blutige 20.Jahrhundert,„mein Leib mitten<br />

unter ihnen.“<br />

Im kollektiven Bewusstsein entsteht<br />

heute allmählich die Vorstellung, dass<br />

der Mensch seine leibhafte Mitte verlieren<br />

könnte, dass sich die letzte ihm verbliebene<br />

biologische Gewissheit auflösen<br />

könnte in die Beliebigkeit austauschbarer,<br />

zu züchtender Einzelorg<strong>an</strong>e.<br />

Im gleichen Maße, in dem „immer<br />

rudimentärere Lebensformen [entdeckt<br />

oder im Modell entworfen werden],<br />

die der Schwelle zum Anorg<strong>an</strong>i-<br />

148<br />

So gewinnt die Medizin eine<br />

Position, die ihr die Rolle des<br />

Vermittlers in einem Wertekonflikt<br />

zuschreibt, wie er<br />

zugespitzter kaum denkbar ist.<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

schen immer näher stehen“, im gleichen<br />

Maße, in dem in den Tiefen des Weltinnenraums<br />

und des Kosmos das geschichtliche<br />

Bild des Menschen in die<br />

Kälte der Äonen entschwindet, verblasst<br />

auch die Vorstellung von der<br />

Würde, der Unverwechselbarkeit, der<br />

Nichtaustauschbarkeit der einen und<br />

einzelnen, in ihrer Einzelheit kostbaren,<br />

unwiederholbar konkreten Person.<br />

Das nicht-personale Zeitalter, in das<br />

wir, nüchtern gesehen, vor etwa 50<br />

Jahren eingetreten sind, ist ein naturwissenschaftlich-technisch<br />

dominiertes<br />

Zeitalter, in diesem Zeitalter verändert<br />

sich nicht nur das Verhältnis des Menschen<br />

zur Natur (auch des eigenen Leibes),<br />

verliert dieses Verhältnis nicht nur<br />

die Anschaulichkeit, in dieser Ära wird<br />

die Realisierung einer bisher nur in den<br />

Mythen und Sagen der Menschheit existierenden<br />

Vorstellung wahrscheinlich,<br />

dass in nicht allzu ferner Zeit „genetisches<br />

Material, das zur Selbstreproduktion<br />

fähig ist, im Laboratorium geschaffen<br />

werden wird. Der adamische Akt<br />

und die Erschaffung des Golems sind<br />

rational denkbar“. (G. Steiner)<br />

So gewinnt die Medizin, die es trotz,<br />

vermutlich sogar wegen ihrer naturwissenschaftlichen<br />

Grundlegung mit der<br />

verblassenden leib-<br />

haften Mitte des<br />

Menschen, mit dem<br />

konkreten, g<strong>an</strong>zen<br />

und komplexen Menschen<br />

zu tun hat,<br />

auf dem Konfliktfeld<br />

von naturwissenschaftlicher<br />

und sozialer Bestimmung<br />

des Menschen eine Position, die<br />

ihr die Rolle des Vermittlers in einem<br />

Wertekonflikt zuschreibt, wie er zugespitzter<br />

kaum denkbar ist. Denn um<br />

einen Wertekonflikt geht es bei der<br />

<strong>Embryonen</strong>debatte in den Wissenschaftsländern<br />

der Welt, nicht so sehr<br />

um eine naturwissenschaftlich mit dem<br />

Sachverst<strong>an</strong>d der Molekularbiologie<br />

zu entscheidende Frage. Es geht um die<br />

Frage, was schützenswertes menschliches<br />

Leben ist, welche Erbgutm<strong>an</strong>ipulationen<br />

wir uns erlauben dürfen,<br />

welche Mittel der therapeutische Zweck<br />

fordert.<br />

Der Wissenschaftliche Beirat der<br />

Bundesärztekammer wird in Zukunft<br />

immer stärker von solchen Grenzfragen<br />

zwischen Wissenschaft und Ethik gefordert<br />

sein,weil dies die Fragen sind,in denen<br />

Gesellschaft und Politik nun vermehrt<br />

Beratung brauchen, in denen der<br />

einseitig (naturwissenschaftlich oder sozial)<br />

gepolte Sachverst<strong>an</strong>d nicht ausreicht,<br />

um urteilsfähig zu sein. Ein solides<br />

naturwissenschaftliches Fundament<br />

des Wissens, die Fähigkeit zur sozialen<br />

Einbettung der zu entscheidenden Fragen<br />

in die Gemeinschaft von Werten<br />

und Kulturen und der Mut zur öffentlichen<br />

Aussprache der gefundenen Entscheidung<br />

sind die drei Säulen, auf denen<br />

die Stellungnahmen des Wissenschaftlichen<br />

Beirates beruhen. Es lohnt<br />

sich deshalb, die Rede des Bundespräsidenten<br />

von Mai 2001 nachzulesen,in der<br />

Fortschritt und Maß mitein<strong>an</strong>der korreliert<br />

sind, eben jene beiden Begriffe, die<br />

den gen<strong>an</strong>nten Entscheidungen zugrunde<br />

liegen. „Auch wenn wir über die neuen<br />

Möglichkeiten der Lebenswissenschaften<br />

sprechen“, sagte Joh<strong>an</strong>nes<br />

Rau, „geht es nicht in erster Linie um<br />

wissenschaftliche oder um technische<br />

Fragen. Zuerst und zuletzt geht es um<br />

Wertentscheidungen. Wir müssen wissen,<br />

welches Bild vom Menschen wir haben<br />

und wie wir leben wollen.“<br />

Wie weit heute schon die naturwissenschaftliche<br />

Beurteilung von möglichen<br />

medizinischen Methoden in das<br />

soziale Leben eingreift, ist vermutlich<br />

am Beispiel der Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

am einleuchtendsten zu beschreiben.<br />

Es steht dort nämlich inzwischen<br />

nicht mehr Zulassung oder Verbot<br />

eines diagnostischen Verfahrens zur<br />

Debatte, sondern die Begriffe von Gesundheit<br />

und Kr<strong>an</strong>kheit in einem relativen<br />

oder normativen Verständnis überhaupt.<br />

Eine der großen Überraschungen<br />

des Hum<strong>an</strong>genomprojekts, sagt<br />

Konrad Beyreuther, sei das Faktum,<br />

dass sich „die Entstehung des Hum<strong>an</strong>genoms<br />

auf ein unglaubliches Gemisch<br />

von Bruchstücken unterschiedlichster<br />

Herkunft zurückführen“ lasse. „Im Genom<br />

finden sich zahlreiche Kopien ehemaliger<br />

Viren.Virusinfektionen, die unsere<br />

Vorfahren erlitten, haben sich als<br />

‚Immigr<strong>an</strong>ten‘ im Genom niedergelassen.“<br />

Das bedeutet doch nichts <strong>an</strong>deres,<br />

als dass wir durch Kr<strong>an</strong>kheit gesund<br />

sind, dass Gesundheit und Kr<strong>an</strong>kheit<br />

nicht normativ, sondern nur entwicklungsgeschichtlich<br />

zu bestimmen sind,


weil die Genkombinationen scheinbare<br />

Kr<strong>an</strong>kheitsdispositionen in Vorteile<br />

für die Genträger verw<strong>an</strong>deln können?<br />

„Warum konnten sich kr<strong>an</strong>kheitsdisponierende<br />

Vari<strong>an</strong>ten bestimmter<br />

Gene durchsetzen?“ fragt Konrad Beyreuther.<br />

„Was ist ihr Vorteil?“ Und er<br />

<strong>an</strong>twortet: „Bei der Sichelzell<strong>an</strong>ämie,<br />

die bei 40 Prozent der Nordafrik<strong>an</strong>er<br />

vorkommt, kennt m<strong>an</strong> den Grund. Die<br />

Ver<strong>an</strong>lagung schützt vor Malaria. Sie<br />

hat aber den Nachteil, dass bei schwerer<br />

körperlicher Arbeit die sichelförmige<br />

Veränderung der roten Blutzellen zu<br />

Verstopfung der Blutgefäße führt und<br />

damit tödlich sein k<strong>an</strong>n.“ Eine Menschenzüchtung<br />

also, die abstrakt und rationalistisch<br />

seriell nach Design und<br />

Programm fragt und die unvorstellbare,<br />

überkomplexe Fülle des Lebens vernachlässigt,<br />

wird Monstren, nicht Menschen,<br />

jedenfalls nicht Menschen nach<br />

dem heute noch gültigen und <strong>an</strong>schaulichen<br />

Bild dieser Spezies, herstellen. Der<br />

Eingriff in die Erb<strong>an</strong>lagen des Menschen<br />

unterliegt gesellschaftlichen und<br />

naturwissenschaftlichen Wertentscheidungen.<br />

„Was heute als nutzlose oder<br />

schädliche Genvari<strong>an</strong>te erscheinen<br />

mag, k<strong>an</strong>n sich morgen als Schlüssel<br />

zum Fortbest<strong>an</strong>d der Spezies Mensch<br />

erweisen. Klar scheint jedenfalls zu<br />

sein, was genetisch sinnvoll ist, k<strong>an</strong>n<br />

sich binnen kurzem verändern, und das<br />

Abnorme k<strong>an</strong>n sich über Nacht zur<br />

Norm entwickeln. Die Normalität des<br />

genetisch Abnormen macht offensichtlich<br />

Sinn. <strong>PID</strong> ohne strengste Indikationen<br />

und Keimbahnm<strong>an</strong>ipulationen<br />

beim Klonen von Menschen wären gefährliche<br />

Eingriffe in dieses Reservoir.“<br />

(K. Beyreuther)<br />

In die gesellschaftliche und wissenschaftliche<br />

Debatte um die Konkurrenz<br />

verblassender, sich spaltender und vielleicht<br />

sogar auflösender Menschenbilder<br />

hat Jürgen Habermas mit der Frage<br />

nach der Gattungsethik des Menschen<br />

ein Argument eingeführt, das in der kasuistischen<br />

deutschen Diskussion um<br />

Gesetzeslücken und Stammzellenimport<br />

unterzugehen droht. Habermas<br />

meint, dass der heutige Umg<strong>an</strong>g mit<br />

vorpersonalem menschlichen Leben<br />

Fragen eines Kalibers aufwerfe, die normale<br />

Differenzen der Denkkulturen<br />

oder auch der Kulturkreise weit überschreiten.<br />

„Sie berühren nicht diese<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

oder jene Differenz in der Vielfalt kultureller<br />

Lebensformen, sondern intuitive<br />

Selbstbeschreibungen, unter denen<br />

wir uns als Menschen identifizieren und<br />

von <strong>an</strong>deren Lebewesen unterscheiden<br />

– also das Selbstverständnis von uns als<br />

Gattungswesen.“ Die emotionalen Reaktionen<br />

auf die verbrauchende <strong>Embryonen</strong>forschung,<br />

auf die „Zeugung<br />

von <strong>Embryonen</strong> unter Vorbehalt“ und<br />

die „Vernutzung“ von menschlichen<br />

<strong>Embryonen</strong>, die ja bis zum Vorwurf „archaisch-k<strong>an</strong>nibalistischer<br />

Praktiken“<br />

reichen, drückten den „Abscheu vor<br />

etwas Obszönem“<br />

aus. Er sei zu vergleichen<br />

dem „Ekel<br />

beim Anblick der<br />

chimärischen Verletzung<br />

der Artgrenzen,<br />

die wir<br />

naiverweise für unverrückbargehalten<br />

hatten“. Das „ethische Neul<strong>an</strong>d“,<br />

das wir beträten, bestehe „in der Verunsicherung<br />

der Gattungsidentität“.Wenn<br />

dieser Befund richtig ist, und ich habe<br />

keinen Grund, dar<strong>an</strong> zu zweifeln, d<strong>an</strong>n<br />

müssen wir vermutlich lernen einzusehen,<br />

dass es zu dem von uns (von uns<br />

Menschen) erzeugten und entwickelten,<br />

umstrittenen und geglaubten Bild<br />

des Menschen, das seit den ersten M<strong>an</strong>ifestationen<br />

menschlichen Bewusstseins<br />

in der leibhaften Identität des Gattungswesens<br />

Mensch wurzelt, eine Alternative<br />

zu geben scheint: die Auflösung<br />

dieser leibhaften Identität durch<br />

die genetische Vor- und Umprogrammierung<br />

gezüchteter Menschen. Ein<br />

von seinen Eltern oder seinen Erzeugern<br />

irreversibel und programmgemäß<br />

geschaffener Mensch wird ein <strong>an</strong>deres<br />

Verhältnis zu seiner und seiner Mitlebenden<br />

Existenz haben als ein aus der<br />

Zufallsentscheidung der Natur entst<strong>an</strong>dener<br />

Mensch. „Die Vergegenwärtigung<br />

der vorverg<strong>an</strong>genen Programmierung<br />

eigener Erb<strong>an</strong>lagen mutet uns gewissermaßen<br />

existenziell zu, das Leibsein<br />

dem Körperhaben nach- und unterzuordnen.“<br />

Das sind weitreichende Fragen und<br />

sie stellen sich jetzt. Auch wenn die<br />

Apologeten der umst<strong>an</strong>dslosen <strong>Forschung</strong><br />

<strong>an</strong> embryonalen Stammzellen<br />

des Menschen nur g<strong>an</strong>z kleine Brötchen<br />

zu backen meinen, hat ihre „Ethik des<br />

Der genetische Zufall des<br />

bunten Menschengewimmels<br />

ist etwas grundsätzlich<br />

<strong>an</strong>deres als die technisierte<br />

Pl<strong>an</strong>ung eines optimierten,<br />

eines gezüchteten Menschen.<br />

Heilens“ gegenüber diesen Grundfragen<br />

des Menschseins etwas rührend<br />

Naives <strong>an</strong> sich. Zeugung und Erzeugung<br />

von menschlichem Leben sind unterschiedliche<br />

Ursprungsweisen. Der<br />

genetische Zufall des bunten Menschengewimmels<br />

ist etwas grundsätzlich<br />

<strong>an</strong>deres als die technisierte Pl<strong>an</strong>ung<br />

eines optimierten, eines gezüchteten<br />

Menschen.<br />

Menschenzucht liegt sicher (noch)<br />

nicht in der aktuellen Absicht der seriösen<br />

<strong>Forschung</strong> <strong>an</strong> menschlichen Embryonalzellen<br />

und gehört derzeit noch<br />

zum Propag<strong>an</strong>da-<br />

Arsenal der „Spinner“,<br />

aber, und das<br />

wird allzu oft übersehen,<br />

sie liegt in<br />

der Entwicklungstendenz<br />

dieser <strong>Forschung</strong>.„<strong>Embryonen</strong>zucht<br />

und <strong>PID</strong>“,<br />

konstatiert Habermas, „erregen die<br />

Gemüter vor allem deshalb, weil sie<br />

eine Gefahr exemplifizieren, die sich<br />

mit der Perspektive der ‚Menschenzüchtung‘<br />

verbindet. Zusammen mit<br />

der Kontingenz der Verschmelzung<br />

von jeweils zwei Chromosomensätzen<br />

verliert der Generationenzusammenh<strong>an</strong>g<br />

die Naturwüchsigkeit, die bisher<br />

zum trivialen Hintergrund unseres<br />

gattungsethischen Selbstverständnisses<br />

gehörte.“<br />

Es könnte also sein, dass durch die<br />

Fortschritte der Genetik und ihrer Anwendungsform,<br />

der Gentechnologie,<br />

die überlieferte Weise der vom Menschen<br />

ausgeübten Herrschaft über die<br />

Natur verändert wird. „Mit den hum<strong>an</strong>genetischen<br />

Eingriffen schlägt Naturbeherrschung<br />

in einen Akt der Selbstbemächtigung<br />

um, der unser gattungsethisches<br />

Selbstverständnis verändert –<br />

und notwendige Bedingungen für autonome<br />

Lebensführung und ein universalistisches<br />

Verständnis von Moral<br />

berühren könnte.“ Wer von den ihm<br />

Vor<strong>an</strong>gehenden (seinen Eltern, seinen<br />

Erzeugern, seinen Ei- und Samenspendern)<br />

nicht durch natürliche Zufallsentscheidung,<br />

sondern durch technische<br />

Intervention irreversibel genetisch programmiert<br />

ist, verliert nichts weniger als<br />

die Freiheit gegenüber dem vorherbestimmenden,<br />

auch gegenüber dem erzieherischen<br />

Willen der Eltern. Zwar ist<br />

149


dies eine Frage, die stärker das Bewusstsein<br />

als den Org<strong>an</strong>ismus betrifft, doch<br />

ist es die Kernfrage nach dem Selbstverständnis<br />

des Menschen. „. . . warum sollen<br />

wir moralisch sein wollen“, heißt es<br />

bei Habermas, „wenn die Biotechnik<br />

stillschweigend unsere Identität als<br />

Gattungswesen unterläuft?“ Anders<br />

gefragt: Warum sollten wir moralisch<br />

sein wollen, wenn wir durch Programm<br />

und Design vorbestimmt, optimiert<br />

und in eine Entwicklungsbahn gezwungen<br />

sind, der wir nicht entkommen<br />

können?<br />

Mit der durch Programm und Design<br />

zerstörten Freiheit der Entscheidung<br />

könnte der „Impuls des moralischen<br />

Wollens“ aus der Welt entschwinden.<br />

„Aber das Leben im moralischen Vakuum<br />

[so nochmals Habermas], in einer<br />

Lebensform, die nicht einmal mehr moralischen<br />

Zynismus kennen würde, wäre<br />

nicht lebenswert. Dieses Urteil<br />

drückt einfach den ‚Impuls‘ aus, ein<br />

menschenwürdiges Dasein der Kälte einer<br />

Lebensform vorzuziehen, die von<br />

moralischen Rücksichten unberührt<br />

ist.“ Dem ist kaum noch etwas hinzuzufügen.<br />

Die Perspektive, unter der wir<br />

diskutieren, ist die aktuelle Bedrohung<br />

nicht mehr nur des Individuums oder<br />

der Gesellschaft, sondern die Bedrohung<br />

der Gattung „Mensch“. Wir streiten<br />

nicht um neue oder veraltete wissenschaftliche<br />

Methoden, nicht um Gesetzeslücken<br />

und Gesetzesnovellierung,<br />

nicht einmal um <strong>Forschung</strong>sfreiheit<br />

und Menschenwürde, wir streiten<br />

um die bisher naturwüchsige, scheinbar<br />

alternativenlose leibhafte Basis unserer<br />

Urteile und Entscheidungen, um den<br />

Begriff des Menschen und seines Leibes,<br />

um den Begriff menschlicher Freiheit<br />

und die physischen Möglichkeiten<br />

hum<strong>an</strong>en, ethischen Wollens. Einen solchen<br />

Streit hat es in der Geschichte der<br />

Menschheit noch nicht gegeben. Hier<br />

stellen sich tatsächlich „Fragen <strong>an</strong>derer<br />

Art“, und darum lohnt sich der Streit.<br />

Die Stimme des Wissenschaftlichen<br />

Beirates der Bundesärztekammer hat<br />

in diesem Streit Gewicht.<br />

❚ Zitierweise dieses Beitrags:<br />

Dtsch Ärztebl 2002; 99: A 1281–1286 [Heft 19]<br />

Anschrift des Verfassers:<br />

Prof. Dr. phil. Wolfg<strong>an</strong>g Frühwald<br />

Römerstädter Straße 4 k, 86199 Augsburg<br />

150<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

Heft 19, 10. Mai 2002<br />

Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

„Die Argumente<br />

sind auf dem Tisch“<br />

Experten diskutierten über <strong>PID</strong>.<br />

Jetzt müsse die Politik nur noch endgültig<br />

die Entscheidung treffen und<br />

die Bundesärztekammer die Rahmenbedingungen<br />

für die Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

(<strong>PID</strong>) festzurren, sagte<br />

Prof. Dr. med. Klaus Diedrich, Direktor<br />

der Universitätsfrauenklinik Lübeck,<br />

zum Schluss einer Diskussionsver<strong>an</strong>staltung<br />

der Wochenzeitung „Die Zeit“<br />

am 29.April in Berlin.<br />

So einfach wie diese Äußerung<br />

klingt, so überzeugt müssten eigentlich<br />

am Ende der Ver<strong>an</strong>staltung die Laien<br />

unter den Zuhörern vom Nutzen der<br />

<strong>PID</strong> gewesen sein. Diesen hatten zuvor<br />

drei der vier (ausschließlich männlichen!)<br />

Gäste eingehend erläutert.<br />

Lediglich Dr. Wolfg<strong>an</strong>g Schäuble,<br />

Mitglied des CDU-Bundesvorst<strong>an</strong>des,<br />

steuerte der Meinung von Diedrich,<br />

Heft 21, 24. Mai 2002<br />

Der vor knapp einem Monat im<br />

Bundestag geschlossene Kompromiss<br />

zur <strong>Forschung</strong> <strong>an</strong> menschlichen<br />

embryonalen Stammzellen könnte<br />

bereits in naher Zukunft <strong>an</strong> seine Grenzen<br />

stoßen – <strong>an</strong> europäische Grenzen.<br />

Denn von 2003 <strong>an</strong> wird in Europa die<br />

<strong>Forschung</strong> <strong>an</strong> menschlichen embryonalen<br />

Stammzellen ohne strenge Auflagen<br />

mit EU-Mitteln gefördert werden. Dies<br />

sieht das sechste Rahmenforschungsprogramm<br />

der EU vor, das das Europaparlament<br />

in Straßburg am 15. Mai in<br />

Prof. Dr. med. Claus R. Bartram, Leiter<br />

des Instituts für Hum<strong>an</strong>genetik der<br />

Universität Heidelberg, und Dr. h. c.<br />

Dr. habil. Richard Schröder, Theologische<br />

Fakultät der Humboldt-Universität<br />

zu Berlin, entgegen. Er ist besorgt,<br />

dass sich die Menschheit künftig generell<br />

<strong>an</strong>maßen könnte, Kinder nach<br />

Wunsch zu schaffen. Die Pränataldiagnostik<br />

(<strong>PND</strong>), bei der behinderte Kinder<br />

in der Folge abgetrieben werden,<br />

habe sich bereits ausgeweitet.<br />

Eine solche Entwicklung werde es<br />

bei der <strong>PID</strong> nicht geben, beschwichtigte<br />

Schröder, denn diese sei nur auf wenige<br />

Indikationen und damit auf etwa 100<br />

Paare pro Jahr begrenzt. „Es ist ein Irrtum,<br />

dass die <strong>PID</strong> ein Beschaffenheitstest<br />

ist“, betonte auch Diedrich. Allein<br />

technisch könnte immer nur auf eine<br />

bestimmte Kr<strong>an</strong>kheit getestet werden.<br />

Frauen würden nur in Notsituationen<br />

die Strapazen einer In-vitro-Fertilisation<br />

bei der <strong>PID</strong> auf sich nehmen, ergänzte<br />

Bartram. Dies täte keine Frau, die<br />

normal oder mit <strong>PND</strong> gebären könne.<br />

Bei der <strong>PID</strong> gehe es nicht um das Recht<br />

auf ein gesundes Kind, sondern um das<br />

Recht auf Beh<strong>an</strong>dlung. ER<br />

Stammzellforschung<br />

Freie Bahn in Europa<br />

Die Stammzellforschung wird in Europa voraussichtlich ohne<br />

strenge Auflagen mit EU-Mitteln gefördert werden.<br />

Konflikte mit der deutschen Gesetzgebung sind programmiert.<br />

zweiter und abschließender Lesung verabschiedet<br />

hat.<br />

17,5 Milliarden Euro sollen bis 2006<br />

für die <strong>Forschung</strong>sförderung von der<br />

EU bereitgestellt werden, davon etwa<br />

zwei Milliarden für die Biotechnologie.<br />

Damit können auch Forscher gefördert<br />

werden, die jetzt oder künftig aus<br />

„überzähligen“ menschlichen <strong>Embryonen</strong><br />

weitere Stammzelllinien gewinnen.<br />

So will es auch die Mehrzahl der europäischen<br />

Länder. Im Ausschuss der<br />

Ständigen Vertreter der Länder plä-


dierten neben Deutschl<strong>an</strong>d lediglich<br />

Österreich und Italien dafür, die Förderung<br />

auf Projekte <strong>an</strong> bestehenden<br />

Stammzelllinien zu beschränken.<br />

Doch nach monatel<strong>an</strong>gem Streit zu<br />

den ethischen Fragen verzichtete das<br />

EU-Parlament auf seine ursprüngliche<br />

Forderung nach strengen ethischen<br />

Grenzen und beugte sich damit dem<br />

Ministerrat, der diese abgelehnt hatte.<br />

Schriftlich fixiert wurden somit nur allgemeine<br />

ethische Erwägungen. So soll<br />

die Bioethik-Konvention des Europarates<br />

eingehalten werden. Die Europäische<br />

Kommission gab allerdings zu Protokoll,<br />

dass sie die Genehmigungspraxis<br />

restriktiver gestalten wolle.Die konkreten<br />

Auswirkungen dieser Ankündigung<br />

sind jedoch fraglich, denn diese Zusage<br />

ist rechtlich nicht bindend. „2005 wird<br />

eine neue Kommission eingesetzt. Diese<br />

muss sich d<strong>an</strong>n nicht <strong>an</strong> die Vorgabe<br />

halten“, erläutert Gentechnik-Experte<br />

Dr. med. Peter Liese (CDU), Mitglied<br />

des Europäischen Parlaments. Voraussichtlich<br />

wird sich die Kommission<br />

(zunächst) <strong>an</strong> den Regelungen orientieren,<br />

die das Europäische Parlament<br />

bei der ersten Lesung am 14. Dezember<br />

2001 vorgeschlagen hatte. D<strong>an</strong>ach sollen<br />

weder die Herstellung von <strong>Embryonen</strong><br />

zu <strong>Forschung</strong>szwecken noch <strong>Forschung</strong>saktivitäten,<br />

die auf das repro-<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

duktive Klonen von Menschen zielen<br />

oder das menschliche Erbmaterial verändern,<br />

mit EU-Mitteln gefördert werden.<br />

Auch das therapeutische Klonen<br />

soll nicht fin<strong>an</strong>ziert werden.<br />

Im Juni wird der Rat der EU-<strong>Forschung</strong>sminister<br />

das spezifische Programm<br />

des 6. <strong>Forschung</strong>srahmenprogramms<br />

erarbeiten – ohne Mitspracherecht<br />

des Parlaments. D<strong>an</strong>n wird es darauf<br />

<strong>an</strong>kommen, dass Deutschl<strong>an</strong>d auf<br />

einer Präzisierung der Regelungen besteht.<br />

Bisher hat Bundesforschungsministerin<br />

Edelgard Bulmahn (SPD) dies<br />

auch konsequent get<strong>an</strong>, doch die Erklärung<br />

der Ministerin wurde lediglich<br />

zur Kenntnis genommen. „Wir vertreten<br />

auch weiterhin strikt und ohne<br />

Kompromisse die Position des Deutschen<br />

Bundestages“, sagt jetzt ihre<br />

Sprecherin. Eine „Rückfallposition“<br />

der Ministerin gäbe es nicht. Das Papier<br />

aus dem <strong>Forschung</strong>sministerium, das eine<br />

solche erwägt und das vor einigen<br />

Wochen <strong>an</strong> die Öffentlichkeit gedrungen<br />

war, sei lediglich der Entwurf eines<br />

Fachreferenten und weder mit der Ministerin<br />

abgestimmt noch deren Strategie.<br />

Über diese schweigt m<strong>an</strong> jedoch im<br />

Bundesforschungsministerium.<br />

Beschließt der Ministerrat endgültig,<br />

die Stammzellforschung ab 2003 ohne<br />

Beschränkungen zu fördern, sind Kon-<br />

Enquete-Kommission: Klares Nein zur <strong>PID</strong><br />

Eine deutliche Mehrheit der Enquete-Kommission des Bundestages „Recht und<br />

Ethik der modernen Medizin“ plädierte dafür, das bestehende Verbot der Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

(<strong>PID</strong>) beizubehalten. Lediglich eine Minderheit von drei<br />

Kommissionsmitgliedern, darunter die Vorsitzende der Kommission, Margot von<br />

Renesse (SPD), hält eine Zulassung zumindest in Einzelfällen für vertretbar. Der<br />

Bundestag wird voraussichtlich am 14. Juni über das Thema debattieren. Mit einer<br />

Entscheidung ist jedoch nicht mehr in dieser Legislaturperiode zu rechnen. Ihre<br />

Empfehlung zur <strong>PID</strong> legte die Enquete-Kommission in ihrem Abschlussbericht vor,<br />

den sie am 14. Mai in Berlin <strong>an</strong> Bundestagspräsident Wolfg<strong>an</strong>g Thierse (SPD) übergab.<br />

Darin empfiehlt die Kommission unter <strong>an</strong>derem, gentechnische Untersuchungen<br />

am Menschen in einem umfassenden Gentechnikgesetz zu regeln.<br />

Mit dem Bericht endet die Arbeit der Enquete-Kommission. Der Deutsche Bundestag<br />

hatte sie mit Zustimmung aller Fraktionen am 24. März 2000 mit dem Auftrag<br />

eingesetzt, Empfehlungen für die ethische Bewertung von medizinischen Zukunftsfragen<br />

zu erarbeiten. Die Kommission hat in diesem Zeitraum zwei Teilberichte<br />

vorgelegt.Der erste beschäftigte sich mit dem Schutz des geistigen Eigentums<br />

in der Biotechnologie und der Umsetzung der Biopatent-Richtlinie der Europäischen<br />

Union in deutsches Recht. Der zweite Zwischenbericht widmete sich der<br />

Stammzellforschung.<br />

Der Kommission gehörten dreizehn parlamentarische Mitglieder sowie dreizehn<br />

Sachverständige <strong>an</strong>. Sie plädierten bei der Übergabe des Abschlussberichtes<br />

dafür, dass auch der nächste Bundestag wieder eine Enquete-Kommission zur<br />

Bioethik einsetzen solle. ER<br />

flikte mit dem neuen deutschen Stammzellgesetz,<br />

das der Bundestag soeben<br />

verabschiedet hat, programmiert. D<strong>an</strong>ach<br />

darf in Deutschl<strong>an</strong>d nur <strong>an</strong> embryonalen<br />

Stammzellen geforscht werden,die<br />

vor dem 1. J<strong>an</strong>uar 2002 im Ausl<strong>an</strong>d hergestellt<br />

wurden. Zudem dürfen deutsche<br />

Forscher auch im Ausl<strong>an</strong>d nur <strong>an</strong> embryonalen<br />

Stammzellen forschen,die der<br />

deutschen Stichtagsregelung entsprechen.<br />

Doch: „Ob deutsche Forscher im<br />

Ausl<strong>an</strong>d <strong>an</strong> <strong>Forschung</strong>sarbeiten <strong>an</strong> frisch<br />

hergestellten Stammzellen beteiligt sind,<br />

wird niem<strong>an</strong>d genau kontrollieren können“,<br />

vermutet Dr. med. Wolfg<strong>an</strong>g Wodarg<br />

(SPD), Mitglied der Enquete-<br />

Kommission „Recht und Ethik der modernen<br />

Medizin“ des Bundestages.<br />

Probleme bei der Kooperation<br />

Auch der Bonner Stammzellforscher<br />

Prof. Dr. med. Oliver Brüstle beklagt<br />

eine mögliche Kollision der deutschen<br />

Gesetzgebung mit dem 6. <strong>Forschung</strong>srahmenprogramm<br />

der Europäischen<br />

Union. „Das Stammzellgesetz behindert<br />

die Zusammenarbeit mit europäischen<br />

Labors, die gerade im Begriff<br />

sind, neue Stammzelllinien zu<br />

etablieren“, befürchtet er. Hervorragende<br />

Forscher würden nicht nach<br />

Deutschl<strong>an</strong>d kommen. Da die meisten<br />

der bisl<strong>an</strong>g gut charakterisierten Zelllinien<br />

aus Israel, Australien oder den<br />

USA stammten, erklärt Brüstle, würden<br />

deutsche Forscher quasi gezwungen,<br />

auf diesem Gebiet mit außereuropäischen<br />

Partnern zusammenzuarbeiten.<br />

Dr. med. Eva A. Richter<br />

151


Auf ein christlich geprägtes Menschenbild<br />

geht die Gründung von<br />

Kr<strong>an</strong>kenhäusern, Betreuungsstationen,die<br />

Versorgung akut in Not Geratener,<br />

die Unterbrechung kriegerischer<br />

H<strong>an</strong>dlungen zur Versorgung Verletzter<br />

und letztlich auch die tiefere Begründung<br />

für die Solidarität mit Kr<strong>an</strong>ken innerhalb<br />

einer Gesellschaft zurück. Das<br />

so gen<strong>an</strong>nte ärztliche Ethos bezieht sich<br />

auch heute noch gern auf seine hippokratische<br />

Tradition, die eine gewisse<br />

Rechtssicherheit im Vertragsverhältnis<br />

zwischen Arzt und Patient vermittelte<br />

und den medizinischen H<strong>an</strong>dlungsauftrag<br />

mit der Pflicht verb<strong>an</strong>d, primär um<br />

das Wohl des Kr<strong>an</strong>ken bemüht zu sein<br />

und in jedem Fall für das Leben einzustehen.<br />

Der Ged<strong>an</strong>ke der Hinwendung<br />

zum leidenden Menschen jedoch, der<br />

den Kr<strong>an</strong>ken nicht als Vertragspartner,<br />

den es sachgemäß und höflich zu beh<strong>an</strong>deln<br />

gilt, sondern als Mitmenschen begreift,<br />

geht auf die christliche Tradition<br />

zurück.<br />

Die Kernfrage nach der menschlichen<br />

Existenz lässt sich trotz aller wissenschaftlicher<br />

Fortschritte und aller intellektueller<br />

Fähigkeit nicht erkenntnistheoretisch<br />

erklären, stattdessen betrachtet<br />

m<strong>an</strong> einen Ausschnitt.So dienen<br />

neue biologische Erkenntnisse als Mosaiksteine<br />

beim Ausfüllen der biochemischen<br />

und physiologischen L<strong>an</strong>dkarte<br />

der Existenz. Sir John Eccles, Nobelpreisträger<br />

für Medizin und der wohl bek<strong>an</strong>nteste<br />

Neurophysiologe des zurückliegenden<br />

Jahrhunderts, ist es zu verd<strong>an</strong>ken,<br />

dass die Strukturen von Rückenmark,<br />

spinaler Ebene, Hirnstamm,<br />

Kleinhirn, Mittelhirn und Großhirnrinde<br />

heute ein funktionelles Bild ergeben,<br />

das viele Kr<strong>an</strong>kheiten im neurologischen<br />

Bereich besser erklären hilft. Eindrucksvoll<br />

ist sein Fazit nach fast 50-<br />

152<br />

Heft 25, 21. Juni 2002<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

Arzt-Patient-Beziehung aus christlicher Sicht<br />

Nächstenliebe und Mitmenschlichkeit<br />

Das christliche Menschenbild ist geprägt von der Vorstellung, Kr<strong>an</strong>ksein<br />

und Kr<strong>an</strong>kheit seien Teil eines Lebensvorg<strong>an</strong>ges. Das Heilen ist d<strong>an</strong>ach ein Akt,<br />

der dem Leben hilft, und nicht die Reparatur eines „Maschinendefektes“.<br />

Eckhard Nagel<br />

jähriger wissenschaftlicher Tätigkeit, in<br />

dem er feststellt, dass bei allen Erkenntnissen<br />

aus Experiment und Beobachtung,<br />

die Individualität des Einzelnen,<br />

der Kontext zwischen Geist und Psyche<br />

oder ein Hinweis für den Sitz der Seele<br />

im Körper nicht zu finden war. Auch 25<br />

Jahre nach Eccles gibt es solche Hinweise<br />

nicht. Ebenso muss im Hinblick auf<br />

den Anf<strong>an</strong>g und das Ende des menschlichen<br />

Lebens konstatiert werden, dass<br />

die Biologie nur einen Teilaspekt erklärt.<br />

Mit dieser Feststellung ist keineswegs<br />

verneint, dass bestimmte Zeitpunkte in<br />

der Existenz des Menschen medizinisch<br />

definierbar sind. So ist ohne Frage die<br />

Bestimmung des Todeszeitpunktes aus<br />

naturwissenschaftlicher, erfahrungspsychologischer<br />

und letztlich gesellschaft-<br />

lich konventioneller<br />

Begründung heraus<br />

möglich und heute<br />

auch mit dem eingetretenen<br />

Hirn- und<br />

Herztod festgelegt.<br />

Für die Frage nach dem Beginn des<br />

menschlichen Lebens ließe sich in Analogie<br />

die Verschmelzung von Ei und Samenzelle<br />

als Zeitpunkt benennen. Beide<br />

Zeitpunkte akzeptieren, dass sowohl<br />

vorher als auch nachher bestimmte biologische<br />

und darüber hinausgehende,<br />

nicht definierbare Prozesse stattfinden,<br />

die zum Anf<strong>an</strong>g oder Ende des menschlichen<br />

Lebens gehören. Die Akzept<strong>an</strong>z<br />

von spezifischen Zeitpunkten für das<br />

Ende oder den Anf<strong>an</strong>g des Lebens bedeutet<br />

in sich nicht eine Biologiesierung<br />

oder Materialisierung der menschlichen<br />

Existenz.<br />

Dennoch führt die zeitliche Fixierung<br />

des Lebensbeginns und des Lebensendes<br />

Die L<strong>an</strong>gfassung des Aufsatzes im Internet:<br />

www.aerzteblatt.de, Rubrik: DÄ plus/Zusatzinfo<br />

Das Leben entwickelt sich<br />

einem Ziel entgegen; alles<br />

ist dieser Prozesshaftigkeit<br />

unterworfen.<br />

zu wichtigen Schlussfolgerungen für den<br />

Umg<strong>an</strong>g mit dem Individuum. Besondere<br />

Beachtung ist der fraglichen Einheit<br />

oder Getrenntheit der geistigen beziehungsweise<br />

körperlichen Existenz entgegenzubringen.<br />

Wird beim Ausfall aller<br />

Hirnfunktionen von einem Ausein<strong>an</strong>derbrechen<br />

der körperlichen Koordination<br />

und geistigen Integration gesprochen<br />

und somit vom Ende des materiellen Lebens,<br />

bedeutet dies nicht, dass darin eine<br />

strenge Trennungslinie zwischen Körper<br />

und Geist zum Ausdruck kommt. Der<br />

Mensch ist aus christlicher Sicht ein von<br />

Gott geschaffener, eine geistlich leibliche,<br />

gewollte Daseinsform und verkörpert<br />

diese Einheit aus Geist und Materie.<br />

Gott steht der geistigen Dimension des<br />

Menschen in keiner Weise näher als der<br />

leiblichen.Der Schöpfungsglaube,<br />

davon<br />

überzeugt, dass alles,<br />

was Gott geschaffen<br />

hat, positiv bestimmt<br />

ist, konstituiert den<br />

Menschen als ein Individuum, das seinen<br />

Sinn in sich selbst trägt.<br />

In diesem Sinne ist festzuhalten, dass<br />

das Leben eine l<strong>an</strong>gsame Geburt zum<br />

Leben darstellt. Das Leben entwickelt<br />

sich einem Ziel entgegen; alles ist dieser<br />

Prozesshaftigkeit unterworfen. Dass der<br />

Körper dabei ungeheure Potenziale des<br />

Ausgleichs und der Regeneration aufweist,<br />

gehört zum Wunder des Lebens:<br />

Aus der Vereinigung von Ei- und Samenzelle<br />

entsteht ein spezifisches Genom, in<br />

seiner Individualität einzigartig, zumindest<br />

in seiner endgültigen Ausprägung.<br />

Dieses Entwicklungspotenzial verlässt<br />

den Menschen in vielerlei Hinsicht nicht<br />

mehr und ist häufig die Grundlage therapeutischen<br />

H<strong>an</strong>delns, zum Beispiel im<br />

Hinblick auf die Regenerationsfähigkeit<br />

nach chirurgischen Eingriffen.


Während die Gesundheit heute Voraussetzung<br />

für das Bestehen in einer<br />

durch Konkurrenz gekennzeichneten<br />

sozialen Situation ist,k<strong>an</strong>n das Verständnis<br />

dessen, was als Kr<strong>an</strong>ksein <strong>an</strong>gesehen<br />

wird, sehr unterschiedlich ausfallen: In<br />

der kulturellen Vorstellung bedeutet<br />

Kr<strong>an</strong>kheit eine Störung übergreifender<br />

Art. Mit übergreifender Art ist gemeint,<br />

dass nicht nur die körperlichen Aspekte<br />

dazugehören, sondern, dass auch zum<br />

Beispiel seelische<br />

Momente eine wichtige<br />

Rolle spielen.<br />

Dass auch ökologische<br />

und soziale Faktorenkr<strong>an</strong>kheitsauslösend<br />

sein können,<br />

gehört schon zu den<br />

Erkenntnissen Rudolf<br />

Virchows. Der<br />

H<strong>an</strong>nover<strong>an</strong>er Internist und Philosoph<br />

Fritz Hartm<strong>an</strong>n unterscheidet zwischen<br />

dem homo patiens und homo compatiens.<br />

Als gesund charakterisiert er einen<br />

Menschen, der mit oder ohne nachweisbare<br />

Mängel seiner Leiblichkeit allein<br />

oder mithilfe <strong>an</strong>derer dazu fähig ist, seine<br />

persönlichen Anlagen und Lebensentwürfe<br />

so zu verwirklichen, dass er am<br />

Ende sagen k<strong>an</strong>n: Dies war mein Leben,<br />

meine Kr<strong>an</strong>kheit, mein Sterben. Der homo<br />

compatiens – das Gegenüber in Pflege<br />

und Medizin – hat die Aufgabe, als<br />

Mitfühlender und Geduldiger dem Erleidenden<br />

und Erduldenden Hilfestellung<br />

zu geben.<br />

So ist denn auch der erste Satz des<br />

Genfer Ärztegelöbnisses in Fortschreibung<br />

des hippokratischen Credos formuliert<br />

als: „Die Gesundheit des Patienten<br />

wird meine erste Sorge sein.“ Christus<br />

als Heilender, als derjenige, der sich<br />

den Entrechteten, den Hilflosen, den<br />

Kr<strong>an</strong>ken, Schwachen und Alten vordringlich<br />

zugew<strong>an</strong>dt hat, hat dieses Prinzip<br />

neu begründet, hat aus dem Wohlwollenprinzip<br />

die Hinwendung zum leidenden<br />

Menschen geformt und damit<br />

ärztliches H<strong>an</strong>deln unveränderlich geprägt.<br />

Das begründende ethische Prinzip<br />

ist das der Nächstenliebe, so wie es sich<br />

in der Bergpredigt in der Formulierung<br />

findet: Alles nun, was Ihr wollt, dass<br />

Euch die Leute tun sollen, das tut ihnen<br />

auch! (Matthäus 7, 12). In der kritischen<br />

Philosophie K<strong>an</strong>ts wird hieraus der kategorische<br />

Imperativ auch in der Formulie-<br />

Der homo compatiens – das<br />

Gegenüber in Pflege und<br />

Medizin – hat die Aufgabe,<br />

als Mitfühlender und<br />

Geduldiger dem Erleidenden<br />

und Erduldenden<br />

Hilfestellung zu geben.<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

rung dahingehend, dass m<strong>an</strong> nach derjenigen<br />

Maxime h<strong>an</strong>deln solle, von der<br />

m<strong>an</strong> wolle, dass sie ein allgemeines Gesetz<br />

werde. K<strong>an</strong>t spricht von einer praktischen<br />

Notwendigkeit, die sich aus der<br />

Forderung der Vernunft ableitet. Sie ist<br />

Ausdruck der „Autonomie der praktischen<br />

Vernunft“ und zeigt die Freiheit<br />

des Einzelnen.<br />

Nächstenliebe und Mitmenschlichkeit<br />

werden zu konstituierenden Ele-<br />

menten der menschlichen<br />

Existenz, zur<br />

Richtschnur medizinethischenVerhaltens<br />

und formen damit<br />

das Menschenbild<br />

in der Arzt-Patient-Beziehung.<br />

Die<br />

Medizin wird als<br />

Mittel, dem Nächsten<br />

zu dienen,gesehen.Ärztliche Therapiefreiheit<br />

im wohlverst<strong>an</strong>denen Sinne<br />

findet hier ihren Ursprung. Das Leben<br />

wird verst<strong>an</strong>den als ein Geschenk, nicht<br />

im Sinne eines einmaligen Aktes, sondern<br />

als ein sich immer wiederholender<br />

Prozess – wissend, dass naturgemäß der<br />

äußere Mensch verfällt, während, wie<br />

Paulus es beschreibt, der innere sich von<br />

Tag zu Tag erneuert: „Denn was sichtbar<br />

ist, dass ist vergänglich, das Unsichtbare<br />

ist ewig“ (2. Korinther 4,18).<br />

Die Entwicklungen moderner Naturwissenschaften<br />

haben die Praxis des medizinischen<br />

H<strong>an</strong>delns bei Diagnose und<br />

Therapie grundsätzlich verändert. Die<br />

Frage aber stellt sich,ob sich dadurch der<br />

ärztliche Beh<strong>an</strong>dlungsauftrag<br />

oder<br />

gar das Bild des Patienten<br />

und des Arztes<br />

gew<strong>an</strong>delt haben.<br />

Die Diskussion um<br />

gentechnologische<br />

Entwicklungen, die Stammzellforschung<br />

oder die Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

stellen den vorläufigen Höhepunkt dieser<br />

Anfrage dar:Gibt es einen Wertew<strong>an</strong>del<br />

in den Rollen von Arzt und Patient?<br />

Die so gen<strong>an</strong>nte Mech<strong>an</strong>isierung der<br />

ärztlichen Theorie und Praxis hat nicht<br />

mit Gentechnik und Stammzellforschung<br />

begonnen, aber sie steht in einem<br />

Zusammenh<strong>an</strong>g mit dem engsten Forschritt<br />

medizinischer Wissenschaft und<br />

Technik: Was den Fortschritt getragen<br />

hat, hat auch die Gefährdung gebracht.<br />

Ohne eine moralische<br />

Identität, ohne die<br />

Befolgung des kategorischen<br />

Imperatives wäre<br />

H<strong>an</strong>dlung gleich Mech<strong>an</strong>ik.<br />

Die Vorstellung, die Descartes nicht unwesentlich<br />

beeinflusst hat, nämlich, dass<br />

der Mensch als eine hoch differenzierte<br />

Apparatur zu verstehen sei, war und ist<br />

für das wissenschaftlich-medizinische<br />

Denken eine große Versuchung.<br />

An den Grundprinzipien des Lebens<br />

verändert sich dadurch aber nichts. Die<br />

heute divergent diskutierten Darstellungen<br />

menschlichen Selbstverständnisses<br />

gehen auf eine <strong>an</strong>dere Veränderung<br />

zurück: Fr<strong>an</strong>cis Bacon und David Hume<br />

waren es, die eine zunehmend <strong>an</strong>thropozentrische<br />

Sichtweise des Denkens mit<br />

dem Empirismus einführten. Sie haben<br />

damit das bürgerliche Selbstverständnis<br />

und besonders auch das Selbstverständnis<br />

der <strong>an</strong>gelsächsischen Wissenschaft<br />

nachhaltig geprägt. Die <strong>an</strong>thropozentrische<br />

Welt<strong>an</strong>schauung war die ideologische<br />

Selbstrechtfertigung des die Welt<br />

erobernden, die Natur ausbeutenden<br />

und sich selbst in eine Gott ähnliche Position<br />

befördernden europäischen M<strong>an</strong>nes<br />

des 19. und 20. Jahrhundert.<br />

Dies gilt auch sicher für das kontinental<br />

europäische Denken und hat auch in<br />

den kirchlichen Überlegungen der damaligen<br />

Zeit bisweilen Rückhalt gefunden.Aber<br />

die Diskrep<strong>an</strong>z zu der Welt<strong>an</strong>schauung,<br />

die den Menschen nicht im<br />

Mittelpunkt, sondern als Teil eines<br />

G<strong>an</strong>zen sieht, hat sich nachhaltig verfestigt.<br />

D<strong>an</strong>ach hat jeder Mensch und auch<br />

jedes Lebewesen in der Natur sein Lebensrecht<br />

g<strong>an</strong>z unabhängig von seiner<br />

Tüchtigkeit, seiner Gesundheit und<br />

Konkurrenzfähigkeit. Das christliche<br />

Menschenbild ist geprägt<br />

durch die Vorstellung,<br />

Kr<strong>an</strong>ksein<br />

und Kr<strong>an</strong>kheit seien<br />

Teil eines Lebensvorg<strong>an</strong>ges<br />

und das Heilen<br />

ein Akt, der dem<br />

Leben hilft, nicht die Reparatur eines<br />

Maschinendefektes.<br />

Es gehört wohl zu den tiefen ev<strong>an</strong>gelischen<br />

Einsichten, dass Gott selbst <strong>an</strong><br />

der Geschöpflichkeit des Menschen leidet<br />

und dass sich seine Schöpferkraft in<br />

der Unerschöpflichkeit seiner Leidensfähigkeit<br />

zeigt. So paradox dies m<strong>an</strong>chmal<br />

für Andersgläubige sein mag: Gottes<br />

Leidenskraft ist Zeichen seiner Stärke.<br />

Damit wird er wahrhaftig zum<br />

Ebenbild unserer Patientinnen und Patienten.<br />

Gott ist Schöpfer und Erlöser<br />

153


zugleich. Er ist frei und befähigt den<br />

Menschen zur Freiheit, er verpflichtet<br />

ihn dazu. Freiheit bedeutet nicht Autonomie,<br />

so wie K<strong>an</strong>t es in seiner kritischen<br />

Philosophie verst<strong>an</strong>den hat.Aber<br />

auch der autonome Mensch findet zu<br />

den göttlichen Geboten in der unbedingten<br />

Geltung der sittlichen Gesetze.<br />

Ohne eine moralische Identität, ohne<br />

die Befolgung des kategorischen Imperatives<br />

wäre H<strong>an</strong>dlung gleich Mech<strong>an</strong>ik.<br />

Die Freiheit und die Würde des<br />

Menschen setzen Grenzen für H<strong>an</strong>deln<br />

und Forschen. Diese Grenzen sind maßgeblich,<br />

weil sie den Menschen schützen<br />

und ihm gleichzeitig vollen Respekt<br />

entgegenbringen.<br />

Das Neue Testament hat zu einer<br />

Überwindung der Opferrituale geführt.<br />

Es wird d<strong>an</strong>ach eine Form menschlicher<br />

Lebensbewältigung ermöglicht, die darauf<br />

verzichtet, Lebensgewinn und<br />

Angstreduktion durch Ausgrenzung<br />

und Ausnutzung <strong>an</strong>derer zu erl<strong>an</strong>gen.<br />

Trotz schlimmer Grausamkeit der (Kirchen-)Geschichte<br />

ist dieses Grundverständnis<br />

doch wach geblieben. Frühformen<br />

des menschlichen Lebens zu nutzen,<br />

um potenzielle Heilungsch<strong>an</strong>cen<br />

zukünftiger Patienten zu verbessern, erscheint<br />

in diesem Kontext als ein Rückfall<br />

in ein Verständnis, das Opfer für die<br />

Bewältigung der Ängste für nötig erachtet.<br />

Dass dazu unter Umständen weder<br />

Eltern noch Vormünder, geschweige<br />

denn wissenschaftlich Interessierte<br />

berechtigt sind, hat der Göttinger Philosoph<br />

Günter Patzig formuliert: Es besteht<br />

die Pflicht, Interessen der Schutzbefohlenen<br />

wahrzunehmen, und es besteht<br />

ein Verbot, das <strong>an</strong>vertraute Leben<br />

aufzuopfern oder unter Gemeinschaftsinteressen<br />

aufzugeben. Deshalb sei es<br />

legitim, unter Umständen wissenschaftlichen<br />

Fortschritt einzuschränken, zumindest<br />

jedoch eine Verl<strong>an</strong>gsamung des<br />

Fortschritts in Kauf zu nehmen.<br />

❚ Zitierweise dieses Beitrags:<br />

Dtsch Arztebl 2002; 99: A 1730–1732 [Heft 25]<br />

Anschrift des Verfassers:<br />

Prof. Dr. med. Dr. phil. Eckhard Nagel<br />

Direktor des Instituts für Medzinm<strong>an</strong>agement<br />

und Gesundheitswissenschaften<br />

Universität Bayreuth, 95440 Bayreuth<br />

E-Mail: eckhard.nagel@uni-bayreuth.de<br />

Leiter des Tr<strong>an</strong>spl<strong>an</strong>tationszentrums<br />

Klinikum Augsburg, 86156 Augsburg<br />

E-Mail: eckhard.nagel@klinikum-augsburg.de<br />

154<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

Heft 28-29, 15. Juli 2002<br />

Eugenik und Euth<strong>an</strong>asie<br />

Aktuelle Verg<strong>an</strong>genheit<br />

Ein Projekt der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin beschäftigt<br />

sich mit der Rolle von Arzt und Medizin im Nationalsozialismus.<br />

Der l<strong>an</strong>ge Atem der Eugenik, der<br />

positiven („Verbesserung der<br />

Rasse“) wie der negativen („Vernichtung<br />

lebensunwerten Lebens“)<br />

weht auch in das 21. Jahrhundert hinein.<br />

Mit der Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

kommt der Wunsch nach dem designten<br />

Kind auf. Die höchstrichterliche Rechtsprechung<br />

in Deutschl<strong>an</strong>d hat das<br />

„Kind als Schaden“ <strong>an</strong>erk<strong>an</strong>nt. In den<br />

Niederl<strong>an</strong>den und in Belgien wurde die<br />

Tötung auf Verl<strong>an</strong>gen freigegeben.<br />

Von der Theorie bis zur Untat<br />

Zu solchen Parallelen kam der Berliner<br />

Medizinhistoriker Prof. Dr. phil. Dr.<br />

med. Rolf Winau. Er sprach auf einer<br />

Ver<strong>an</strong>staltung der Kassenärztlichen<br />

Vereinigung (KV) Berlin am 26. Juni.<br />

Sein Thema: Der l<strong>an</strong>ge Atem der Eugenik<br />

– von der Eugenik der Weimarer<br />

Zeit bis zur Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik.<br />

Er zog die große Linie von Darwin<br />

und seinem deutschen Gefolgsm<strong>an</strong>n<br />

Ernst Haeckel bis hin zur Umsetzung<br />

der Theorien: den Untaten der Nationalsozialisten.<br />

Dar<strong>an</strong> waren nicht nur<br />

NS-Ideologen und -funktionäre, sondern<br />

auch eine <strong>an</strong>sehnliche Anzahl von<br />

Ärzten und Wissenschaftlern beteiligt.<br />

Schon Haeckel hat den Ged<strong>an</strong>ken einer<br />

Züchtung hin zu einem höheren<br />

Kulturvolk vorgebracht. Er verteidigte<br />

die Tötung von neugeborenen verkrüppelten<br />

Kindern. Diese dürfe „vernünftigerweise<br />

nicht unter den Begriff des<br />

Mordens fallen, wie es noch in unseren<br />

modernen Gesetzbüchern geschieht.<br />

Vielmehr müssen wir dieselbe als<br />

zweckmäßige, sowohl für die Beteiligten<br />

als auch für die Gesellschaft nützliche<br />

Maßregel billigen.“ Nützlichkeitserwägungen<br />

haben auch die Nationalsozialisten<br />

getrieben, nicht allein die<br />

bloße Ideologie. So hat Reichsärztefüh-<br />

rer Wagner 1935 auf dem Parteitag der<br />

NSDAP in Nürnberg die ungeheuere<br />

Belastung des Staatshaushaltes durch<br />

Geisteskr<strong>an</strong>ke und Minderwertige beklagt.<br />

Winau berichtete, dass die Kostenfrage<br />

sogar Eing<strong>an</strong>g in die Schulbücher<br />

f<strong>an</strong>d, wo in den Rechenaufgaben<br />

eine neue Rubrik Erb- und Rassenkunde<br />

erschien.<br />

Der Weg von der Erwägung zur Tat<br />

war d<strong>an</strong>ach nur noch kurz. Er führte direkt<br />

zur Euth<strong>an</strong>asie.Die Euth<strong>an</strong>asiediskussion<br />

hatte allerdings bereits vor der<br />

NS-Zeit eingesetzt und den Boden bereitet.<br />

In dem berühmt-berüchtigten<br />

Buch „Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten<br />

Lebens“ des Juristen<br />

Karl Binding und des Psychiaters Alfred<br />

Hoche aus dem Jahre 1920 wurde<br />

festgestellt, es gebe menschliches Leben,<br />

das weder für den Einzelnen noch<br />

für die Gesellschaft von Wert sei.<br />

Winau erinnerte in seinem Vortrag<br />

<strong>an</strong> die zwei groß <strong>an</strong>gelegten, mit deutscher<br />

bürokratischer Gründlichkeit<br />

durchgeführten Tötungsaktionen: Die<br />

Kindereuth<strong>an</strong>asie in den so gen<strong>an</strong>nten<br />

Kinderfachabteilungen sowie die Aktion<br />

T4. In beiden Fällen ging die Erfassung<br />

der betroffenen Patientengruppen<br />

dem Morden voraus. Der Reichsausschuss<br />

zur wissenschaftlichen Erfassung<br />

erb- und <strong>an</strong>lagebedingter schwerer<br />

Leiden ließ ab 1939 Kinder ausfindig<br />

machen, die <strong>an</strong> Idiotie, Mongolismus,<br />

Hydrozephalus und <strong>an</strong>deren Missbildungen<br />

litten. Ähnlich die Vorbereitung<br />

zu T4: Von den Anstalten waren<br />

ab 1939 alle Patienten zu melden, die<br />

<strong>an</strong> Schizophrenie, Epilepsie, Paralyse,<br />

Schwachsinn, Enzephalitis oder Huntingtonscher<br />

Chorea litten und nicht<br />

oder nur mit mech<strong>an</strong>ischen Arbeiten<br />

beschäftigt werden konnten. Auch Kriminelle<br />

und Patienten, die sich schon<br />

länger als fünf Jahre in der Anstalt bef<strong>an</strong>den,<br />

sollten gemeldet werden.


Schematische Begutachtung<br />

Der Schein von Wissenschaftlichkeit<br />

wurde gewahrt, die Diagnose, sprich, die<br />

Entscheidung über Leben und Tod,stellten<br />

Ärzte. In den „Kinderfachabteilungen“<br />

wurden mindestens 5 000 Kinder<br />

umgebracht.Bei T4 wurden 70 000 Menschen<br />

ermordet.Als die Aktion 1941 eingestellt<br />

werden musste – nachdem sich<br />

die Kirchen, aber auch einzelne Ärzte<br />

dagegen w<strong>an</strong>dten und in der Bevölkerung<br />

Unruhe entst<strong>an</strong>d –, lagen noch<br />

30 000 begutachtete Meldebögen vor,<br />

die bei einer Wiederaufnahme der Aktion<br />

hätten verw<strong>an</strong>dt werden können. Die<br />

Begutachtungen durch Ärzte verliefen<br />

schematisch. Mit Plus oder Minus wurde<br />

das Urteil gesprochen.<br />

Auch nach der Beendigung von T4<br />

wurden die Tötungsaktionen fortgesetzt.<br />

Es gab Sonderaktionen ab 1942<br />

mit mindestens 20 000 Opfern und<br />

schließlich die wilde Euth<strong>an</strong>asie mit<br />

mehr als 25 000 Ermordeten. Winau<br />

machte darauf aufmerksam, dass der<br />

Begriff wilde Euth<strong>an</strong>asie irreführend<br />

ist. Tatsächlich hätten neuere Untersuchungen<br />

gezeigt, dass es sich auch hier<br />

um eine zentral gesteuerte Form des<br />

Patientenmords geh<strong>an</strong>delt habe.<br />

Parallel zur negativen Eugenik in<br />

Gestalt der Ermordung von „Ballastexistenzen“<br />

lief die positive Eugenik,<br />

also die Förderung erwünschter Rassenmerkmale<br />

und die Unterdrückung<br />

unerwünschter. Menschen mit unerwünschten<br />

Eigenschaften wurden sterilisiert.<br />

Zw<strong>an</strong>gssterilisationen, auch diese<br />

formal korrekt gesetzlich geregelt,<br />

wurden bei mehr als 350 000 Menschen<br />

vorgenommen. Als Indikation – auch<br />

die wurde von Ärzten gestellt – wurde<br />

in mehr als der Hälfte aller Fälle erblicher<br />

Schwachsinn <strong>an</strong>gegeben.<br />

Mit dem Ende des NS-Staates endet<br />

zwar auch das Morden. Beteiligte Wissenschaftler<br />

konnten aber zum Teil l<strong>an</strong>ge<br />

unbehelligt weiterarbeiten. Das Gesetz<br />

zur Verhütung erbkr<strong>an</strong>ken Nachwuchses,<br />

auf dessen Basis sterilisiert<br />

wurde, wurde nicht als Nazigesetz <strong>an</strong>gesehen.<br />

Die Opfer erhielten erst 1980 aus<br />

einem Fonds pauschale Entschädigungen.<br />

Schon in den 50er-Jahren wurde ein<br />

neues Sterilisationsgesetz gefordert, teilte<br />

Winau mit, und noch 1961 bef<strong>an</strong>d der<br />

Berliner Genetiker H<strong>an</strong>s Nachtsheim:<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

„Ein Eugenik-Gesetz ohne jeden<br />

Zw<strong>an</strong>g ist erbhygienisch ebenso unwirksam<br />

wie ein Impfgesetz ohne Zw<strong>an</strong>g.“<br />

Eugenisches Ged<strong>an</strong>kengut wurde<br />

noch 1962 auf dem bek<strong>an</strong>nten Ciba-<br />

Symposion „M<strong>an</strong> <strong>an</strong>d his future“ gepflegt.<br />

Der Biologe Juli<strong>an</strong> Huxley forderte<br />

dazu auf, wieder den „uralten<br />

Kurs einer positiven Verbesserung“ einzuschlagen.<br />

Das Symposion versammelte<br />

27 international bek<strong>an</strong>nte Wissenschaftler,<br />

auch ein Zeichen dafür,<br />

dass Eugenik in der (westlichen) Welt<br />

weit verbreitet war. Das aber ist ein<br />

Thema für sich.<br />

Das Berliner Projekt<br />

Winaus Vortrag war Teil einer Vortragsreihe<br />

der KV Berlin, die sich im Weiteren<br />

insbesondere mit der Rolle der<br />

KVen im Nationalsozialismus, einschließlich<br />

der Ausschaltung jüdischer Ärzte in<br />

Berlin beschäftigen wird. Der Rolle der<br />

Heft 44, 1. November 2002<br />

Verg<strong>an</strong>genheit<br />

Zu dem Beitrag „Eugenik und Euth<strong>an</strong>asie:<br />

Aktuelle Verg<strong>an</strong>genheit“ von Norbert Jachertz<br />

in Heft 28–29/2002:<br />

Starker Tobak<br />

Haeckel und Darwin, verdienstvolle<br />

Forscher, als geistige Wegbereiter der<br />

Euth<strong>an</strong>asie des Nationalsozialismus?<br />

Tötung auf Verl<strong>an</strong>gen, Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

als bedauerlicher Atem<br />

der Eugenik, der ins 21. Jahrhundert<br />

weht? Starker Tobak, der von dem<br />

Vortragenden präsentiert wird. Schnell<br />

wird der innere Zusammenh<strong>an</strong>g und<br />

der rote Faden deutlich, dem der Hass<br />

des Vortragenden gilt, und der diese<br />

Punkte verbindet, es ist die Frage:Wie<br />

lässt sich menschliches Leid verhindern<br />

und ein möglichst selbstbestimmtes<br />

und würdiges Leben führen? Keine<br />

<strong>an</strong>dere Frage liegt dem Arztberuf zugrunde.<br />

Gerade die Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

k<strong>an</strong>n wie keine <strong>an</strong>dere<br />

Methode zukünftiges Leid erkennen<br />

und bietet dadurch die Möglichkeit, es<br />

zu verhindern. Durch die Kontamination<br />

KV gilt zudem ein <strong>Forschung</strong>sprojekt,<br />

<strong>an</strong>gestoßen durch Berliner jüdische<br />

Ärzte und Psychologen, mit dem die<br />

Historikerin Dr. phil. Rebecca Schwoch<br />

beauftragt ist. Die KV Berlin war in<br />

der NS-Zeit eine Untergliederung der<br />

Kassenärztlichen Vereinigung Deutschl<strong>an</strong>ds<br />

und diese wiederum Teil der<br />

Reichsärztekammer. Das <strong>Forschung</strong>sprojekt<br />

könnte Aufschluss geben, inwieweit<br />

eine Untergliederung selbstständig<br />

h<strong>an</strong>deln konnte, oder ob sie gemäß<br />

dem Führerprinzip strikt <strong>an</strong> Anweisungen<br />

von oben gebunden war. Der Berliner<br />

KV-Vorsitzende, Dr. med. M<strong>an</strong>fred<br />

Richter-Reichhelm, befragt, weshalb<br />

sich die KV diesem Thema zuwendet,<br />

<strong>an</strong>twortete kurz und bündig: „Es wurde<br />

einfach Zeit.“ Die Berliner Ärztekammer<br />

habe bereits 1983 damit begonnen,<br />

damals habe es harsche Attacken seitens<br />

der KV gegeben. Norbert Jachertz<br />

mit dem Faschismus sollen Haeckel<br />

und Darwin in den Schmutz gezogen<br />

und eine bitter notwendige Diskussion<br />

abgewürgt werden. Der Faschismus war<br />

ein originärer Gegner eines solchen<br />

Programms, das eine Minimierung des<br />

irdischen Jammertals für die Mehrheit<br />

vorsah. Und wenn schon nach geistigen<br />

Wegbereitern gesucht wird, sind sie in<br />

den Reihen derer zu finden, die auch<br />

heute gegen die Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

vorgehen.An erster Stelle ist<br />

die katholische Kirche zu nennen,<br />

deren Judenhass von Hitler übernommen<br />

wurde und wahrscheinlich ihn <strong>an</strong><br />

vergossenem Blut immer noch übertrifft.<br />

Das Hitler-Konkordat, das den<br />

Kirchen den Religionsunterricht <strong>an</strong><br />

den Schulen und die staatliche Einziehung<br />

der Kirchensteuer gar<strong>an</strong>tiert,<br />

heute immerhin 15 Milliarden DM<br />

jährlich, wurde von der Bundesrepublik<br />

nahtlos übernommen, ist heute noch<br />

gültig und war der Lohn für die weltweit<br />

erste staatliche Anerkennung des<br />

Faschismus durch den Vatik<strong>an</strong>.<br />

Dr. Karl Albert Mutter,<br />

Am Waldpark 29, 63071 Offenbach<br />

155


Heft 30, 26. Juli 2002<br />

Stammzellgesetz<br />

Umsetzung geregelt<br />

Robert Koch-Institut soll<br />

<strong>Forschung</strong>s<strong>an</strong>träge genehmigen.<br />

Die Rechtsverordnung zur Umsetzung des<br />

Stammzellgesetzes ist am 24. Juli in Kraft getreten.<br />

D<strong>an</strong>ach ist künftig das Robert Koch-Institut für<br />

die Genehmigung der <strong>Forschung</strong> <strong>an</strong> menschlichen<br />

embryonalen Stammzellen zuständig. Außerdem<br />

trat am 22. Juli die Zentrale Ethik-Kommission aus<br />

Medizinern, Biologen, Theologen und Ethikern zu<br />

ihrer konstituierenden Sitzung zusammen. Sie<br />

wählte Prof. Dr. phil. Ludwig Siep zum Vorsitzenden.<br />

Stellvertreter sind Prof. Dr. med. Marion B. Kiechle<br />

und Prof. Dr. rer. nat. Henning M. Beier.<br />

Heft 36, 6. September 2002<br />

M<strong>an</strong> muss schon suchen in den Wahlprogrammen,<br />

um Stellungnahmen der Parteien zu<br />

medizinethischen Fragen zu finden. Die Aussagen<br />

sind durchweg eher dürftig. Dabei k<strong>an</strong>n es durchaus<br />

sein, dass in der nächsten Legislaturperiode<br />

schneller entschieden werden muss, als es der<br />

d<strong>an</strong>n amtierenden Regierung lieb ist. So geht das<br />

<strong>Embryonen</strong>schutzgesetz nicht auf einen möglichen<br />

Import von embryonalen Stammzellen ein. Deshalb<br />

best<strong>an</strong>d H<strong>an</strong>dlungsbedarf, als im Jahr 2000 der<br />

Bonner Neuropathologe Prof. Dr. med. Oliver Brüstle<br />

einen Antrag <strong>an</strong> die Deutsche <strong>Forschung</strong>sgemeinschaft<br />

zur <strong>Forschung</strong> <strong>an</strong> importierten embryonalen<br />

Stammzellen einreichte. Die<br />

Deutsche <strong>Forschung</strong>sgemeinschaft<br />

wollte das Votum des Bundestages<br />

abwarten. Dieser entschied für einen<br />

Import bereits existierender embryonaler<br />

Stammzelllinien unter bestimmten<br />

Auflagen, die Tötung weiterer<br />

<strong>Embryonen</strong> sollte durch eine<br />

Stichtagsregelung verboten werden.<br />

Wie l<strong>an</strong>ge das Ende April verabschiedete<br />

Stammzellgesetz Best<strong>an</strong>d haben wird,<br />

ist fraglich. Die Union will „<strong>an</strong> den strengen<br />

Grundsätzen des deutschen <strong>Embryonen</strong>schutzgesetzes<br />

festhalten“. In diesem Zusammenh<strong>an</strong>g<br />

lehnt sie in ihrem Regierungsprogramm auch eine<br />

„Legalisierung der aktiven Sterbehilfe“ ab. „Wir<br />

unterstützen nachdrücklich den Einsatz für ein Le-<br />

ben in Würde, wie etwa in der Hospizbewegung.“<br />

Die Union würde in ihrer Einstellung zu ethischen<br />

Fragen am ehesten bei den Grünen<br />

Gleichgesinnte finden. Diese lehnen verbrauchende<br />

<strong>Embryonen</strong>forschung ab: „Wir wollen die realistischen<br />

Ch<strong>an</strong>cen für die Heilung von Menschen<br />

nutzen und fördern. Aber wir lehnen die Zielsetzung<br />

ab, mithilfe der Gentechnik den ,perfekten<br />

Menschen’ zu erschaffen. Unser Maßstab ist die Individualität<br />

jedes Menschen, nicht seine Angepasstheit<br />

<strong>an</strong> vermeintliche Normen der körperlichen<br />

,Gesundheit’, ,Fitness’ oder ,Schönheit’.“<br />

156<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

„Mit dem Gesetz haben wir klare Regelungen<br />

für die Wissenschaftler in Deutschl<strong>an</strong>d geschaffen“,<br />

erklärten Bundesforschungsministerin Edelgard<br />

Bulmahn und Bundesgesundheitsministerin Ulla<br />

Schmidt. Einerseits erweitere es den Schutzbereich<br />

des <strong>Embryonen</strong>schutzgesetzes, indem es<br />

die bisher ohne Einschränkungen erlaubte Einfuhr<br />

und Verwendung menschlicher embryonaler<br />

Stammzellen grundsätzlich verbiete. Andererseits<br />

ermögliche es der <strong>Forschung</strong> den Anschluss <strong>an</strong><br />

den internationalen St<strong>an</strong>dard. Nach dem Gesetz<br />

dürfen nur menschliche embryonale Stammzellen<br />

eingeführt werden, die vor dem 1. J<strong>an</strong>uar 2002<br />

gewonnen wurden. <strong>Forschung</strong>sprojekte müssen<br />

von der Zentralen Ethik-Kommission geprüft und<br />

behördlich genehmigt werden. Ab Ende 2003<br />

soll die Regierung dem Bundestag alle zwei Jahre<br />

über die Ergebnisse der Stammzellforschung berichten.<br />

Die PDS hält zwar „eine politische Rahmensetzung“<br />

für notwendig, geht aber über einige<br />

allgemeine Statements nicht hinaus: „Das Interesse<br />

der <strong>Forschung</strong> <strong>an</strong> embryonalen Stammzellen<br />

und der Zugriff auf die weibliche Reproduktionsfähigkeit<br />

dürfen nicht über das Selbstbestimmungsrecht<br />

von Frauen und die Menschenwürde<br />

gestellt werden“, heißt es im PDS-Regierungsprogramm.<br />

Auch die SPD hält sich eher bedeckt; sie lässt allerdings<br />

eine gewisse Offenheit gegenüber<br />

gentechnischen Möglichkeiten erkennen – offenbar<br />

getreu nach Gerhard Schröders geforderter<br />

„Ethik des Heilens“: „Die Gesund-<br />

heits- und Genomforschung liefert<br />

Ethik neue Erkenntnisse über die Ursachen<br />

von Erkr<strong>an</strong>kungen und deren<br />

Entstehung. Damit lassen sich die<br />

Dürftige Lebensqualität der Menschen, ihre<br />

Lebenserwartung und die Heilung<br />

Aussagen von Kr<strong>an</strong>kheiten verbessern. Wir<br />

werden deshalb die Gesundheitsund<br />

Genomforschung stärken, damit<br />

neue Präventions- und Therapieverfahren entwickelt<br />

werden können.“ Dezidierter forschungsfreundlich<br />

nehmen die Freien Demokraten Stellung.<br />

Sie bezeichnen das Stammzellgesetz als „Minimalkonsens“.<br />

Die FDP habe ihm zugestimmt, sei<br />

sich aber bewusst, dass es nachgebessert werden<br />

müsse. „Durch die restriktive Stichtagsregelung<br />

werden kaum Zelllinien zur Verfügung stehen, die<br />

qualitativ für therapeutische <strong>Forschung</strong> geeignet<br />

sind.“ Immerhin soll aber auch nach dem Willen<br />

der Freien Demokraten das Klonen von Menschen<br />

verboten und international geächtet bleiben.<br />

Einige Parteiprogramme nehmen auch explizit<br />

Stellung zur Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik (<strong>PID</strong>). Die<br />

Grünen lehnen die <strong>PID</strong> „als eine Methode zur Selektion<br />

behinderten Lebens bei künstlicher Befruchtung<br />

ab“. Im Gegensatz dazu tritt die FDP dafür ein, sie in<br />

engen rechtlichen Grenzen auch in Deutschl<strong>an</strong>d zu<br />

ermöglichen. Gisela Klinkhammer


Heft 39, 27. September 2002<br />

Stammzellforschung<br />

Novartis ist ein Konzern mit weltweit<br />

rund 3 000 <strong>an</strong>gestellten Wissenschaftlern,<br />

die in Ländern<br />

mit unterschiedlichsten – oder fehlenden<br />

– Gesetzgebungen zur embryonalen<br />

Stammzellforschung tätig sind. Das<br />

Unternehmen sah deshalb die Notwendigkeit,<br />

Richtlinien zu erarbeiten, die<br />

nicht vorh<strong>an</strong>dene staatliche Regelungen<br />

ersetzen können und gegen bestehende<br />

Gesetze nicht verstoßen.<br />

Um die Entscheidungsfindung tr<strong>an</strong>sparent<br />

zu machen, lud der Konzern Ende<br />

August Theologen, Politiker und<br />

Journalisten zu einer Diskussionsver<strong>an</strong>staltung<br />

nach Neuchâtel (Schweiz) ein.<br />

In der Schweiz wird derzeit vom Bundesrat<br />

ein Gesetzentwurf zur <strong>Forschung</strong><br />

<strong>an</strong> überzähligen <strong>Embryonen</strong> und embryonalen<br />

Stammzellen vorbereitet.<br />

D<strong>an</strong>ach soll therapeutisches Klonen<br />

verboten werden. Die <strong>Forschung</strong> <strong>an</strong><br />

überzähligen <strong>Embryonen</strong> ist jedoch erlaubt,<br />

und <strong>an</strong>ders als in Deutschl<strong>an</strong>d<br />

gibt es keine Stichtagsregelung. Prof.<br />

Paul L. Herrling, <strong>Forschung</strong>sleiter der<br />

Novartis Pharma AG, begrüßte diesen<br />

Entwurf. Seiner Ansicht nach ist die<br />

Stammzellforschung ein „viel versprechendes<br />

Gebiet mit Therapiemöglichkeiten<br />

für viele zurzeit unlösbare medizinische<br />

Fragestellungen“. Doch weil<br />

<strong>Forschung</strong> der Gesetzgebung in den<br />

meisten Fällen vorauseile, „mussten wir<br />

uns selber Schr<strong>an</strong>ken auferlegen“.<br />

Den Richtlinien zufolge sollen hum<strong>an</strong>e<br />

embryonale Stammzellen nur<br />

aus überzähligen In-vitro-Fertilisations-<br />

<strong>Embryonen</strong> oder von primordialen<br />

Keimzellen aus abortierten Föten verwendet<br />

werden. Das therapeutische<br />

Klonen ist nach diesen Richtlinien un-<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

Pharmaunternehmen:<br />

Eigene Richtlinien<br />

Theologen, Politiker und Journalisten diskutierten<br />

unter <strong>an</strong>derem mit Vertretern des Pharmaunternehmens<br />

Novartis darüber, ob <strong>Forschung</strong> mit <strong>Embryonen</strong><br />

eine Verletzung der Menschenwürde darstellt.<br />

zulässig. „Die Verwendung überzähliger<br />

<strong>Embryonen</strong> setzt das Einverständnis<br />

der Eltern oder der Mutter voraus“, sagte<br />

Herrling. Die <strong>Forschung</strong> <strong>an</strong> Zellen<br />

aus abortierten Föten sei nur d<strong>an</strong>n<br />

zulässig, wenn der Schw<strong>an</strong>gerschaftsabbruch<br />

aus Gründen vorgenommen wurde,<br />

die in keinerlei Zusammenh<strong>an</strong>g mit<br />

dem <strong>Forschung</strong>svorhaben stehen. Jeder<br />

H<strong>an</strong>del mit <strong>Embryonen</strong> sei unzulässig.<br />

Alle <strong>Forschung</strong>sprojekte mit hum<strong>an</strong>en<br />

Stammzellen müssten von der <strong>Forschung</strong>sleitung<br />

unter Einbeziehung des<br />

Votums vom Novartis-Ethikrat bewilligt<br />

werden.<br />

Dass diese Richtlinien ebenso wie<br />

der Schweizer Gesetzentwurf nicht<br />

unwidersprochen bleiben, wurde auf<br />

der Diskussionsver<strong>an</strong>staltung deutlich.<br />

Schließlich scheiden sich nach wie vor<br />

die Geister <strong>an</strong> der Frage, ob <strong>Forschung</strong><br />

<strong>an</strong> embryonalen Stammzellen nicht<br />

grundsätzlich eine Verletzung der Menschenwürde<br />

darstellt. Mit dieser Frage<br />

beschäftigte sich auch der Vorsitzende<br />

des Ethikrates von Novartis, der Züricher<br />

Theologe und Philosoph Prof. Dr.<br />

H<strong>an</strong>s-Peter Schreiber. Seiner Auffassung<br />

nach ist zwar die Menschenwürde<br />

un<strong>an</strong>tastbar, nicht aber der Lebensschutz.<br />

Der Schweizer Gesetzentwurf<br />

basiere auf dem „in unserer Gesellschaft<br />

moralisch ver<strong>an</strong>kerten differenzierten<br />

Schutzmodell, demzufolge<br />

frühe Entwicklungsformen menschlichen<br />

Lebens weder einen rechtspersonalen<br />

Status noch einen absoluten<br />

Rechts<strong>an</strong>spruch auf Leben haben“.<br />

Einen völlig <strong>an</strong>deren St<strong>an</strong>dpunkt<br />

vertritt dagegen der katholische Baseler<br />

Bischof Dr. Kurt Koch. Christliche<br />

Ethik gehe davon aus, dass vom Zeit-<br />

punkt der Befruchtung <strong>an</strong> menschliches<br />

Leben gegeben sei, das sich fort<strong>an</strong> kontinuierlich<br />

weiterentwickele. Dieser<br />

Ausg<strong>an</strong>gspunkt der ethischen Reflexion<br />

entspreche auch dem derzeitigen<br />

Wissensst<strong>an</strong>d der modernen Entwicklungsbiologie.<br />

Koch: „Auf diese Erkenntnisse<br />

k<strong>an</strong>n sich die heute weit verbreitete<br />

These einer nicht von Anf<strong>an</strong>g<br />

<strong>an</strong> gegebenen, sondern erst graduell<br />

einsetzenden Schutzwürdigkeit des embryonalen<br />

Lebens nicht abstützen.“<br />

Diese Ansicht wird auch von Schweizer<br />

Politikern geteilt. „Bei der embryonalen<br />

Stammzellforschung geht es um reine<br />

Zweckentfremdung“, sagte Nationalrätin<br />

Ursula Wyss. Selbst eine <strong>Forschung</strong><br />

<strong>an</strong> überzähligen <strong>Embryonen</strong> bedeutet<br />

für Koch einen Verstoß gegen<br />

die Menschenwürde: „Ethisch ist es, sie<br />

sterben zu lassen und nicht für <strong>Forschung</strong>szwecke<br />

zu instrumentalisieren.“<br />

Und schließlich fragte er: „Darf<br />

m<strong>an</strong> <strong>an</strong>gesichts des großen Elends<br />

und der erschreckenden Ungerechtigkeit<br />

in der Welt so viel Geld in die<br />

Stammzellen- und <strong>Embryonen</strong>forschung<br />

stecken, die nur sehr unsichere<br />

Erfolgsaussichten hat und von der,<br />

wenn sie Erfolg hat, nur Menschen in<br />

den reichsten Industrienationen profitieren<br />

werden?“ Gisela Klinkhammer<br />

157


Aufgrund der Diskussion über die<br />

Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik wird<br />

auch die Pränataldiagnostik wieder<br />

öffentlich diskutiert. Pränataldiagnostik<br />

wird teilweise als Weg zur ethisch bedenklichen<br />

Menschenselektion <strong>an</strong>gesehen.<br />

Das ärztliche H<strong>an</strong>deln gerät dabei<br />

neben ethischen Gesichtspunkten zunehmend<br />

auch von rechtlicher Seite in eine<br />

unlösbare Konfliktsituation. Einerseits<br />

droht eine Verurteilung des pränataldiagnostisch<br />

tätigen Arztes, wenn ein<br />

ungeborenes Kind nicht optimal beh<strong>an</strong>delt<br />

wird, <strong>an</strong>dererseits sind rechtliche<br />

Konsequenzen zu erwarten, wenn aufgrund<br />

von Fehlbildungen eines Kindes<br />

die Schw<strong>an</strong>gerschaft nicht rechtzeitig abgebrochen<br />

wird. Der Pränatal- und Geburtsmediziner<br />

ist zurzeit der einzige<br />

Vertreter unter den Ärzten, der mit juristischen<br />

Folgen zu rechnen hat, wenn eine<br />

Tötung des ihm <strong>an</strong>vertrauten Patienten<br />

im vorgelegten Zeitraum nicht<br />

durchgeführt wurde. Ver<strong>an</strong>twortungsbe-<br />

158<br />

Heft 39, 27. September 2002<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

Pränataldiagnostik:<br />

Ver<strong>an</strong>twortliche ärztliche Tätigkeit<br />

im Grenzbereich<br />

Fr<strong>an</strong>z Kainer<br />

Zusammenfassung<br />

Die diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten<br />

der pränatalen Diagnostik haben<br />

sich in den letzten 20 Jahren rasch weiterentwickelt.<br />

Durch die Verbesserung der Ultraschallgeräte<br />

und der Eingriffstechniken k<strong>an</strong>n<br />

nun eine Vielzahl von Erkr<strong>an</strong>kungen erk<strong>an</strong>nt<br />

und beh<strong>an</strong>delt werden. Die invasiven Eingriffe<br />

(Chorionbiopsie, Amniozentese, Nabelschnurpunktion,<br />

Fetoskopie, intrauterine Shunteinlage)<br />

werden – sonographisch gesteuert – mit<br />

geringen fetalen und maternalen Risiken<br />

durchgeführt. Die intrauterine Entnahme von<br />

Nabelschnurblut ist in ausgewählten Fällen eine<br />

unverzichtbare Methode geworden. Es<br />

wird dadurch eine zuverlässige und rasche<br />

Diagnostik (Hämoglobinbestimmung, pH-<br />

Wert, Chromosomen<strong>an</strong>alyse, Stoffwechselerkr<strong>an</strong>kungen)<br />

ermöglicht. Eine intrauterine<br />

Tr<strong>an</strong>sfusion k<strong>an</strong>n bereits ab 15 Schw<strong>an</strong>gerschaftswochen<br />

durchgeführt werden. Die fetoskopisch<br />

kontrollierte Laserkoagulation von<br />

Gefäß<strong>an</strong>astomosen ist zu einem klinisch erprobten<br />

Eingriff beim fetofetalen Tr<strong>an</strong>sfusionssyndrom<br />

geworden. In Zukunft ist durch<br />

die Weiterentwicklung von minimalinvasiven<br />

Eingriffen der Einsatz bei weiteren Erkr<strong>an</strong>kungen<br />

zu erwarten. Die pränatale Diagnose ist eine<br />

wichtige Voraussetzung für eine optimale<br />

Beh<strong>an</strong>dlung von fetalen Erkr<strong>an</strong>kungen und<br />

Fehlbildungen.<br />

Schlüsselwörter: pränatale Diagnostik, <strong>an</strong>geborene<br />

Fehlbildungen, intrauterine Therapie<br />

Summary<br />

Prenatal Diagnosis: Medical Activity<br />

at the Limits<br />

Over the past two decades prenatal diagnosis<br />

<strong>an</strong>d therapy has evolved rapidly. New imaging<br />

<strong>an</strong>d sampling techniques c<strong>an</strong> be offered for<br />

a number of disorders with low risks for the<br />

fetus <strong>an</strong>d the pregn<strong>an</strong>t women. The invasive<br />

wusste pränatale Diagnostik bedeutet,<br />

Schw<strong>an</strong>gere auch in extremen Notsituationen<br />

zu betreuen und sich nicht auf<br />

„ethisch unbedenkliche“ Erkr<strong>an</strong>kungen<br />

zu berufen. Die positiven Aspekte der<br />

Pränataldiagnostik werden vielfach<br />

durch eine Gleichstellung der Pränataldiagnostik<br />

mit Menschenselektion überdeckt.<br />

Pränataldiagnostik wird mit „find<br />

<strong>an</strong>d destroy“ gleichgesetzt. Eine offene<br />

Diskussion der Vor- und Nachteile der<br />

Pränataldiagnostik ist erforderlich. Es<br />

stellt sich beispielsweise die Frage, ob es<br />

ethisch überhaupt vertretbar ist, ein Ungeborenes<br />

absterben zu lassen, nur weil<br />

m<strong>an</strong> die Pränataldiagnostik ablehnt.Andererseits<br />

kommt m<strong>an</strong> durch Pränataldiagnostik<br />

zw<strong>an</strong>gsläufig in die Situation,<br />

dass Fehlbildungen erk<strong>an</strong>nt werden, bei<br />

denen die Eltern den Wunsch nach einer<br />

I. Frauenklinik (Kommissarischer Direktor: Prof. Dr. med.<br />

Günther Kinderm<strong>an</strong>n), Klinikum Innenstadt der Ludwig-<br />

Maximili<strong>an</strong>s-Universität, München<br />

techniques (chorionic villous sampling, amniocentesis,<br />

fetal blood sampling, fetoscopy,<br />

shunts) are performed under the guid<strong>an</strong>ce of<br />

sonography. Fetal blood sampling is <strong>an</strong> import<strong>an</strong>t<br />

addition to the techniques of prenatal<br />

diagnosis in selected cases. The benefit of<br />

this procedure is the rapidity with which<br />

results (hemoglobin, blood pH, chromosomal<br />

or metabolic disorders) c<strong>an</strong> be obtained.<br />

Intrauterine tr<strong>an</strong>sfusion c<strong>an</strong> be performed as<br />

early as in 15 weeks <strong>an</strong>d c<strong>an</strong> be repeated if<br />

necessary. Fetoscopy <strong>an</strong>d endoscopic laser<br />

coagulation of vascular placental <strong>an</strong>astomoses<br />

is a well established technique in severe twin<br />

to twin tr<strong>an</strong>sfusion syndrome in the second<br />

trimester. Minimal invasive surgical techniques<br />

may improve the outcome in selected<br />

cases. Prenatal diagnosis is <strong>an</strong> import<strong>an</strong>t prerequisite<br />

for the appropriate m<strong>an</strong>agement of<br />

compromised fetuses.<br />

Key words: prenatal diagnosis, congenital malformation,<br />

intrauterine therapy<br />

Beendigung der Schw<strong>an</strong>gerschaft haben.<br />

Eine klare Abgrenzung von „normaler<br />

Schw<strong>an</strong>gerenvorsorge“ und „pränataler<br />

Diagnostik“ im Sinne von Fehlbildungssuche<br />

ist durch die große Überschneidung<br />

von Schw<strong>an</strong>gerenvorsorge, Ultraschalldiagnostik<br />

und pränataler Diagnostik<br />

nicht möglich und auch nicht sinnvoll.<br />

Pränataldiagnostik ist daher nicht<br />

mehr abgekoppelt von einer sorgfältigen<br />

Schw<strong>an</strong>gerenbetreuung machbar.<br />

Pränataldiagnostik<br />

Die Pränataldiagnostik ist die Diagnose<br />

von fetalen Erkr<strong>an</strong>kungen und Fehlbildungen<br />

vor der Geburt. Jede Schw<strong>an</strong>gerenvorsorgeuntersuchung<br />

ist daher eine<br />

pränataldiagnostische Maßnahme. Der<br />

wissenschaftliche Beirat der Bundesärztekammer<br />

definiert Pränataldiagnostik<br />

als eine Diagnostik die dazu dient, die<br />

Schw<strong>an</strong>gere von der Angst vor einem


kr<strong>an</strong>ken oder behinderten Kind zu befreien<br />

sowie Entwicklungsstörungen des<br />

Ungeborenen so frühzeitig zu erkennen,<br />

dass eine intrauterine Therapie oder eine<br />

adäquate Geburtspl<strong>an</strong>ung unter Einbeziehung<br />

entsprechender Spezialisten für<br />

die unmittelbare postnatale Versorgung<br />

des Ungeborenen erfolgen k<strong>an</strong>n (10).<br />

Unter invasiver Pränataldiagnostik versteht<br />

m<strong>an</strong> eine ultraschallkontrollierte<br />

Punktion von Plazenta (Chorionbiopsie,<br />

Plazentozentese), Fruchthöhle (Amniozentese),<br />

Nabelschnurgefäßen (Nabelschnurpunktion)<br />

oder die direkte Punktion<br />

des Feten (Drainge, Shunteinlage)<br />

mit Nadeln oder optischen Instrumenten<br />

(Fetoskopie). Die nichtinvasive Pränataldiagnostik<br />

umfasst die Diagnose von<br />

fetalen Erkr<strong>an</strong>kungen mittels Ultraschall<br />

oder mütterlicher Blutuntersuchungen.<br />

Die invasive pränatale Therapie<br />

ist ein ultraschallkontrollierter Eingriff<br />

durch Punktion der Nabelschnur<br />

(Tr<strong>an</strong>sfusion von Erythrozyten- oder<br />

Thrombozytenkonzentraten). Zukünftig<br />

wird dazu auch die intrauterine Stammzelltr<strong>an</strong>spl<strong>an</strong>tation<br />

zählen (derzeit nur<br />

Einzelfallberichte).<br />

Ultraschall in der<br />

Frühschw<strong>an</strong>gerschaft<br />

Durch die technische Verbesserung der<br />

Ultraschallgeräte hat die Sonographie in<br />

den letzten 20 Jahren einen zentralen<br />

Stellenwert in der Schw<strong>an</strong>gerenvorsorge<br />

erhalten (Textkasten 1). Ein Schwerpunkt<br />

besteht in der Möglichkeit die Lo-<br />

Textkasten 1<br />

Methoden der Pränataldiagnostik<br />

Klinische Schw<strong>an</strong>gerenvorsorge<br />

❃ Ultraschall<br />

– Ausschluss der Extrauteringravidität<br />

– Gestationszeitbestimmung<br />

– Diagnose von Mehrlingsschw<strong>an</strong>gerschaften<br />

– Biometrie, Plazentalokalisation<br />

– Zervixbeurteilung<br />

– Dopplersonographie<br />

– Fehlbildungsdiagnostik<br />

❃ Kardiotokographie<br />

❃ Invasive Diagnostik<br />

– Chorionbiopsie<br />

– Amniozentese<br />

– Nabelschnurpunktion<br />

– Fetoskopie<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

kalisation (Ausschluss der Extrauteringravidität)<br />

der Schw<strong>an</strong>gerschaft bereits<br />

zu einem sehr frühen Zeitpunkt zu erfassen<br />

und das Alter der Schw<strong>an</strong>gerschaft<br />

sehr exakt festlegen zu können. Eine<br />

rupturierte Eileiterschw<strong>an</strong>gerschaft mit<br />

starkem mütterlichen Blutverlust ist dadurch<br />

extrem selten geworden. Durch<br />

die rechtzeitige Operation k<strong>an</strong>n in den<br />

meisten Fällen auch die Entfernung des<br />

Eileiters unterbleiben. Durch die genaue<br />

Bestimmung der Schw<strong>an</strong>gerschaftsdauer<br />

können unnötige Geburtseinleitungen<br />

aufgrund von unklarer Gestationszeit<br />

vermieden werden. Schwere Fehlbildungen<br />

können gerade in der Frühschw<strong>an</strong>gerschaft<br />

durch die übersichtliche Darstellung<br />

des Feten gut erk<strong>an</strong>nt werden.<br />

Eine Anenzephalie oder eine verbreiterte<br />

Nackentr<strong>an</strong>sparenz (Nackenödem)<br />

k<strong>an</strong>n im Rahmen der Messung der Scheitelsteißlänge<br />

diagnostiziert werden. Der<br />

Befund darf der Schw<strong>an</strong>geren aber nicht<br />

verschwiegen werden. Es k<strong>an</strong>n sich zum<br />

Beispiel um eine Herzfehlbildung h<strong>an</strong>deln,die<br />

unmittelbar postnatal beh<strong>an</strong>delt<br />

werden muss. Andererseits k<strong>an</strong>n dies<br />

auch ein Hinweis für eine Trisomie 21<br />

sein. Die Diagnose von Mehrlingsschw<strong>an</strong>gerschaften<br />

und die Beurteilung<br />

der Chorionizität ist in der Frühschw<strong>an</strong>gerschaft<br />

einfacher als später. Bei monoamniotenZwillingsschw<strong>an</strong>gerschaften<br />

ist das Risiko für einen intrauterinen<br />

Fruchttod deutlich erhöht. Eine engmaschige<br />

Kontrolle mit terminierter Schnittentbindung<br />

k<strong>an</strong>n die Risiken wesentlich<br />

reduzieren. Bei diamniot monochorialen<br />

Zwillingsschw<strong>an</strong>gerschaften k<strong>an</strong>n frühzeitig<br />

ein mögliches fetofetales Tr<strong>an</strong>sfusionssyndrom<br />

erk<strong>an</strong>nt und beh<strong>an</strong>delt werden.<br />

Die geringsten Risiken bestehen bei<br />

diamnioter dichorialer Zwillingsschw<strong>an</strong>gerschaft.<br />

Ultraschall-<br />

„Fehlbildungsscreening“<br />

Aufgrund der Mutterschaftsrichtlinien<br />

ist mit 10, 20 und 30 Schw<strong>an</strong>gerschaftswochen<br />

eine Ultraschalluntersuchung<br />

vorgesehen.Neben der Biometrie dienen<br />

die Untersuchungen auch der Entdeckung<br />

von fetalen Entwicklungs<strong>an</strong>omalien.<br />

Da der Großteil der fetalen<br />

Fehlbildungen nicht aufgrund von Risikofaktoren,<br />

sondern im Rahmen der<br />

Routinesonographie entdeckt wird, ist<br />

eine generelle Untersuchung aller<br />

Schw<strong>an</strong>geren auch sinnvoll (7).Wird eine<br />

Fehlbildung diagnostiziert, d<strong>an</strong>n ist das<br />

weitere Vorgehen neben der Schwere der<br />

Erkr<strong>an</strong>kung hauptsächlich von den Vorstellungen<br />

der Schw<strong>an</strong>geren bestimmt.<br />

Prinzipiell können die Fehlbildungen<br />

in drei große Gruppen eingeteilt werden.<br />

Gruppe I (letale Fehlbildungen): zum<br />

Beispiel: letale Chromosomenstörungen,<br />

letaler Herzfehler, letale Skelettdysplasie.<br />

Gruppe II (schwerwiegend mit L<strong>an</strong>gzeith<strong>an</strong>dicap):<br />

zum Beispiel: intrakr<strong>an</strong>ielle<br />

Störungen, Spina bifida aperta,<br />

Skelettdysplasie, nichtletale Chromosomenstörung.<br />

Gruppe III (leichte Fehlbildung): zum<br />

Beispiel: Extremitäten<strong>an</strong>omalien, Omphalozele,<br />

Gastroschisis, Lippen-Kiefer-<br />

Gaumenspalte.<br />

Nach Stiller (8) entscheiden sich in der<br />

Gruppe I mit letalen Fehlbildungen über<br />

zwei Drittel für eine Beendigung der<br />

Schw<strong>an</strong>gerschaft. In Gruppe II erfolgte<br />

ein Abbruch in 50 Prozent der Fälle und<br />

in Gruppe III wurde die Schw<strong>an</strong>gerschaft<br />

in über 90 Prozent der Fälle ausgetragen.<br />

Das heißt, es wird nicht automatisch<br />

eine Schw<strong>an</strong>gerschaft nach Diagnose<br />

von schweren Fehlbildungen beendet.<br />

Die Untersuchung sämtlicher fetaler Org<strong>an</strong>e<br />

k<strong>an</strong>n für die Prognose bei einer<br />

Vielzahl von Erkr<strong>an</strong>kungen wichtig sein.<br />

Die pränatale Diagnose hat nicht nur<br />

Einfluss auf die Betreuung während der<br />

Schw<strong>an</strong>gerschaft, sondern auf das perinatale<br />

M<strong>an</strong>agement. Allein die Wahl des<br />

optimalen Geburtsortes mit adäquater<br />

postnataler Betreuung des Neugeborenen<br />

k<strong>an</strong>n entscheidend für die weitere<br />

Prognose sein. So ist bei einem Aneurysma<br />

der Vena Galeni eine optimale postnatale<br />

Betreuung die Grundvoraussetzung<br />

für eine erfolgreiche Operation.<br />

Ebenso erfordern ausgeprägte Gesichtsund<br />

Halstumoren eine gute Koordination<br />

eines perinatalen Teams, was nur nach<br />

pränataler Diagnostik möglich ist. Pleuraergüsse<br />

können bereits intrauterine<br />

Therapiemaßnahmen erforderlich machen.<br />

Bei Zwerchfellhernien k<strong>an</strong>n eine<br />

zu späte postnatale Intubation eine eventuell<br />

erfolgreiche Operation verhindern.<br />

Fehlbildungen wie Darmstenosen, Ösophagusatresien<br />

und Nierenfehlbildungen<br />

erfordern eine unmittelbare postnatale<br />

159


Versorgung, bevor erste Komplikationen<br />

eine Therapie erforderlich machen.Auch<br />

der Geburtsmodus (Sektio bei großen<br />

Tumoren, Spina bifida aperta, Siamesische<br />

Zwillinge) k<strong>an</strong>n durch Fehlbildungen<br />

beeinflusst werden. Um im individuellen<br />

Fall das optimale Vorgehen zu gewährleisten,<br />

ist ein interdisziplinäres<br />

Team von Neonatologen, Genetikern,<br />

Kinderchirurgen sowie von psychosozial<br />

geschulten Mitarbeitern erforderlich.<br />

Neben der Diagnostik von Fehlbildungen<br />

ist die Sonographie für die fetale<br />

Überwachung der Spätschw<strong>an</strong>gerschaft<br />

bedeutsam. Die Bestimmung des<br />

optimalen Entbindungszeitpunktes von<br />

Feten mit Wachstumsstörungen gelingt<br />

durch die Biometrie und Dopplersonographie<br />

der fetomaternalen Gefäße in<br />

einem hohen Maße. Bei Feten mit ausreichender<br />

intrauteriner Versorgung<br />

können unnötige Geburtseinleitungen<br />

vermieden und der spont<strong>an</strong>e Wehenbeginn<br />

k<strong>an</strong>n abgewartet werden.<br />

Invasive Diagnostik und<br />

Therapie<br />

In über 90 Prozent der Fälle wird eine<br />

Amniozentese zur fetalen Karyotypisierung<br />

durchgeführt. In der gleichen<br />

Probe wird das Alpha-Feto-Protein<br />

zum Ausschluss von Spaltbildungen der<br />

Wirbelsäule (eventuell mit Acetylcholinesterase)<br />

und des Abdomens mitbestimmt.<br />

Die Untersuchung wird ab 14<br />

Schw<strong>an</strong>gerschaftswochen durchgeführt.<br />

Nach Zellkultur k<strong>an</strong>n aus den Amnionzellen<br />

auch eine DNA-Analyse<br />

und die Bestimmung von Enzymaktivitäten<br />

bei Stoffwechselerkr<strong>an</strong>kungen<br />

erfolgen. Mit der FISH-Diagnostik ist<br />

eine Bestimmung der häufigsten Chromosomen<strong>an</strong>omalien<br />

(Trisomie 21, Trisomie<br />

13,Trisomie 18) innerhalb von 24<br />

Stunden möglich.Vor allem für die Diagnose<br />

einer fetalen Infektion bei Toxoplasmose<br />

und Zytomegalie ist die Amniozentese<br />

unerlässlich. Bei Rhesusinkompatibilität<br />

k<strong>an</strong>n die Bestimmung<br />

des Bilirubins aus dem Fruchtwasser einen<br />

Anhalt für die Schwere der Erkr<strong>an</strong>kung<br />

darstellen. Eine zuverlässigere<br />

Diagnostik der fetalen Anämie ist allerdings<br />

durch die Nabelschnurpunktion<br />

gegeben. Bei Verdacht auf eine diabetogene<br />

Fetopathie ermöglicht die Bestim-<br />

160<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

mung des Fruchtwasserinsulins eine Beurteilung<br />

des fetalen Insulinstoffwechsels.<br />

In der Abklärung eines Amnioninfektionssyndromes<br />

k<strong>an</strong>n die Bestimmung<br />

von Interleukinen (IL-6) aus dem<br />

Fruchtwasser eine wichtige Zusatzinformation<br />

in der klinischen Entscheidung<br />

darstellen. Das Risiko des Eingriffs<br />

besteht vor allem im vorzeitigen<br />

Blasensprung (1 Prozent). Die Prognose<br />

für den weiteren Schw<strong>an</strong>gerschaftsverlauf<br />

ist gut, da der Fruchtwasserabg<strong>an</strong>g<br />

meist nicht persistiert (1).Von den<br />

meisten Zentren wird eine Abortrate<br />

von 0,5 bis 1 Prozent <strong>an</strong>gegeben. Eine<br />

therapeutische Punktion der Fruchthöhle<br />

k<strong>an</strong>n bei Poly- und Oligohydramnion<br />

eingesetzt werden. Die häufigste<br />

Indikation ist eine Polyhydramnie mit<br />

subjektiven Beschwerden der Schw<strong>an</strong>geren.<br />

Durch das Abpunktieren kommt<br />

es zu einer deutlichen Verbesserung der<br />

subjektiven Beschwerden und es ist<br />

dadurch bei früher Gestationszeit eine<br />

Verlängerung der Schw<strong>an</strong>gerschaft<br />

möglich. Im Rahmen eines fetofetalen<br />

Tr<strong>an</strong>sfusionssyndromes ist die Entlastungspunktion<br />

eine Alternative zur fetoskopischen<br />

Laserkoagulation.<br />

Eine Fruchtwasserauffüllung verbessert<br />

die sonographische Beurteilbarkeit<br />

des Feten. Zusätzlich k<strong>an</strong>n so ein Blasensprung<br />

durch gleichzeitige Instillation<br />

von Indigokarmin gesichert werden.<br />

Bei Anhydramnie k<strong>an</strong>n intrapartal<br />

eine beeinträchtigte Nabelschnurdurchblutung<br />

verbessert werden und es<br />

können Dezellerationen der fetalen<br />

Herzfrequenz vermieden werden. Die<br />

Gabe von Medikamenten in das Fruchtwasser<br />

(zum Beispiel Thyroxin zur Förderung<br />

der Lungenreife) spielt bisl<strong>an</strong>g<br />

keine Rolle.<br />

Chorion - und Plazentabiopsie<br />

Die Chorionbiopsie und Plazentabiopsie<br />

spielen für eine rasche Karyotypisierung<br />

eine wichtige Rolle. Die Untersuchung<br />

k<strong>an</strong>n ab 11 Schw<strong>an</strong>gerschaftswochen<br />

durchgeführt werden. Es k<strong>an</strong>n innerhalb<br />

von 1 bis 2 Tagen ein zuverlässiger<br />

Chromosomenbefund erhoben werden.<br />

Zusätzlich ist die Diagnose von<br />

zahlreichen Gendefekten und <strong>an</strong>geborenen<br />

Stoffwechselerkr<strong>an</strong>kungen möglich.<br />

Auch die Bestimmung des fetalen<br />

Rhesusfaktors sowie die Diagnose ei-<br />

ner fetalen Rötelinfektion ist aus Chorionzotten<br />

möglich. Die Punktion unter<br />

Ultraschallsicht erfolgt meist tr<strong>an</strong>sabdominal.<br />

Der Eingriff ist im Vergleich<br />

zur Nabelschnurpunktion technisch einfacher<br />

und mit einem geringeren fetalen<br />

Risiko verbunden. Die Abortrate<br />

beträgt bei erfahrenen Untersuchern<br />

circa 1 Prozent. Das Abortrisiko unterscheidet<br />

sich nicht signifik<strong>an</strong>t von dem<br />

der Amniozentese.<br />

Nabelschnurpunktion<br />

Die Möglichkeit bereits ab der 18.<br />

Schw<strong>an</strong>gerschaftswoche relativ gefahrlos<br />

eine fetale Blutuntersuchung durchzuführen,<br />

hat vor allem bei fetalen Anämien<br />

die Prognose entscheidend verbessert.<br />

Die Beh<strong>an</strong>dlung einer schweren<br />

fetalen Anämie (Hämoglobin < 10g<br />

Prozent) durch eine intrauterine Tr<strong>an</strong>sfusion<br />

ist ein Routineeingriff mit geringem<br />

Risiko geworden. Neben der Bestimmung<br />

des fetalen Hämoglobins<br />

wird aus der Nabelschnur auch die Abklärung<br />

für fetale Infektionen durchgeführt<br />

(Parvovirus B19, Zytomegalie,Toxoplasmose).<br />

Die primäre Abklärung<br />

von Infektionen (Toxoplasmose, Zytomegalie)<br />

erfolgt jedoch durch die sensitivere<br />

Methode des Erregernachweises<br />

mit der Polymerasekettenreaktion<br />

(PCR) aus dem Fruchtwasser. In Fällen<br />

mit therapierefraktärer fetaler Tachykardie<br />

k<strong>an</strong>n eine direkte medikamentöse<br />

Therapie des Feten über die Nabelschnur<br />

versucht werden. Dabei werden<br />

2 bis 5 mg/kg (geschätztes fetales Gewicht)<br />

Amiodaron (Coradex) über 10<br />

min in die Nabelvene verabreicht (2).<br />

Bei Alloimmunerkr<strong>an</strong>kungen k<strong>an</strong>n<br />

durch eine wiederholte Tr<strong>an</strong>sfusion von<br />

Thrombozytenkonzentraten die Rate<br />

von schweren Komplikationen (intrauterine<br />

Hirnblutungen) verringert werden.<br />

Die primäre Bestimmung des<br />

Karyogrammes (drei bis sechs Tage)<br />

k<strong>an</strong>n auch aus dem Nabelschnurblut erfolgen,<br />

hier ist aber aufgrund des geringeren<br />

Risikos der Plazentozentese der<br />

Vorzug zu geben.<br />

Das Risiko für einen intrauterinen<br />

Fruchttod ist in erster Linie von der<br />

Grunderkr<strong>an</strong>kung des Feten abhängig.<br />

Die fetale Verlustrate aufgrund des Eingriffes<br />

wird in Übersichtsarbeiten mit circa<br />

1 Prozent <strong>an</strong>gegeben.Blutungen in die


Fruchthöhle bei Punktion der freien Nabelschnur<br />

sistieren meist nach 10 bis 20<br />

Sekunden.Vorübergehende Bradykardien<br />

werden vor allem bei Punktion der<br />

Nabelarterie und bei wiederholten Punktionsversuchen<br />

beobachtet (6).<br />

Fetoskopie<br />

Die Fetoskopie ist für die Abklärung von<br />

Fehlbildungen kaum bedeutsam. Bei einigen<br />

Erkr<strong>an</strong>kungen ist die fetoskopisch<br />

gesteuerte Therapie jedoch ein erfolgreiches<br />

Verfahren. Der Eingriff wird in Sedierung<br />

und Analgesie der Schw<strong>an</strong>geren<br />

durchgeführt.Nach Inzision der Haut<br />

mit einem Skalpell wird ein Troikar mit<br />

Schaft bei einem Außendurchmesser von<br />

3,8 mm unter Ultraschallsicht in die<br />

Fruchthöhle eingebracht. Die fetoskopisch<br />

kontrollierte Laserkoagulation von<br />

plazentaren Gefäß<strong>an</strong>astomosen beim fetofetalen<br />

Tr<strong>an</strong>sfusionssyndrom hat einen<br />

klinischen Stellenwert erreicht (4). Bei<br />

diesem Kr<strong>an</strong>kheitsbild mit praktisch infauster<br />

Prognose gel<strong>an</strong>g es eine Überlebensrate<br />

von bis zu 70 Prozent zu erreichen.<br />

Beim Akardius, einer meist letalen<br />

Störung bei Zwillingsschw<strong>an</strong>gerschaften,<br />

k<strong>an</strong>n durch eine Laserkoagulation der<br />

Nabelschnurgefäße beim Akardius der<br />

zweite Zwilling gerettet werden (5). Das<br />

Risiko des Eingriffes für einen Blasensprung<br />

wird mit 4 bis 8 Prozent <strong>an</strong>gegeben.<br />

Mütterliche Verletzungen von Gefäßen,<br />

Blase und Darmschlingen sind extrem<br />

selten,stellen aber durch den relativ<br />

großen Außendurchmesser der Punktionsnadel<br />

im Gegensatz zur Amniozentese<br />

ein größeres Risiko dar. Bei fetaler<br />

Zwerchfellhernie mit schlechter Prognose<br />

(Leber im Thorax,kleine kontralaterale<br />

Lunge) k<strong>an</strong>n mit einer temporären<br />

Trachealokklusion die Prognose für die<br />

Feten verbessert werden (9).Der Eingriff<br />

wird allerdings derzeit nur in wenigen<br />

Zentren durchgeführt.<br />

Pränatale Punktion bei<br />

pathologischer Raumforderung<br />

Einige fetale Anomalien (Textkasten 2)<br />

führen bereits intrauterin zu einer schweren<br />

Beeinträchtigung des Feten. Hier ist<br />

eine intrauterine Therapie indiziert. Die<br />

offene Fetalchirurgie hat aufgrund der<br />

hohen Risiken noch keinen Eing<strong>an</strong>g in<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

Textkasten 2<br />

Fetale Anomalien mit möglicher<br />

intrauteriner Therapie<br />

Fehlbildung Therapieoptionen<br />

Hydrothorax Shunt<br />

Harnwegsobstruktion Shunt<br />

Zwerchfellhernie Trachealokklusion<br />

Lungenadenomatose Tumorresektion<br />

Steißbeinteratom Laserkoagulation<br />

Spina bifida Fetoskopische Deckung<br />

Tr<strong>an</strong>sfusionssyndrom Laserkoagulation<br />

die klinische Routine gefunden, sondern<br />

wird zunehmend von der minimal invasiven<br />

Chirurgie abgelöst. Bei Oligohydramnie<br />

mit beidseitiger Obstruktion<br />

der ableitenden Harnwege und ausreichender<br />

Nierenfunktion ist die Einlage<br />

eines vesikoamnionalen Shunts indiziert.<br />

Der Katheter wird in Lokal<strong>an</strong>ästhesie<br />

nach Inzision der Haut mit einem Skalpell<br />

in die Fruchthöhle eingeführt. Nach<br />

Punktion des fetalen Hohlraumes (Blase,<br />

Hydrothorax, Zysten) wird der Shunt<br />

durch die Nadel eingeführt und am Erfolgsorg<strong>an</strong><br />

platziert.Trotz der Häufigkeit<br />

von obstruktiven Uropathien (1 : 200 Lebendgeburten)<br />

besteht die Indikation<br />

zur Intervention jedoch extrem selten,da<br />

die Prognose vielfach durch Begleitfehlbildungen<br />

beeinträchtigt wird. Eine<br />

weitere mögliche Indikation besteht bei<br />

ausgeprägtem Hydrothorax. Die dadurch<br />

bedingte Kompression der Lungen<br />

k<strong>an</strong>n durch die Einlage eines thorakoamnialen<br />

Shunts verhindert werden.<br />

Besteht ein Hydrops fetalis aufgrund einer<br />

makrozystischen Lungenmalformation<br />

(kongenital zystische-adenomatoide<br />

Lungenmalformation), d<strong>an</strong>n k<strong>an</strong>n<br />

die Prognose bei dieser normalerweise<br />

infausten Erkr<strong>an</strong>kung durch eine Shunteinlage<br />

entscheidend verbessert werden<br />

(3). Eine intrauterine Drainage bei<br />

fetaler Erweiterung der Hirnventrikel<br />

hat sich hingegen nicht bewährt (1). Bei<br />

Makrozephalie mit infauster Prognose<br />

k<strong>an</strong>n die Abpunktion des Hydrozephalus<br />

sinnvoll sein, wenn dadurch eine vaginale<br />

Entbindung ermöglicht wird.<br />

Über eine pränatale Stammzelltherapie<br />

existieren derzeit nur Einzelfallberichte<br />

und diese viel versprechende Methode<br />

hat derzeit noch keinen klinischen<br />

Stellenwert.<br />

Fehlbildungen in der<br />

Spätschw<strong>an</strong>gerschaft<br />

Bei einer Diagnose von Fehlbildungen<br />

in der zweiten Schw<strong>an</strong>gerschaftshälfte<br />

besteht die Konsequenz meist in der<br />

Vorbereitung einer optimalen Therapie<br />

nach der Geburt. Bei Fehlbildungen mit<br />

infauster Prognose für den Feten gilt es<br />

den für die betroffene Schw<strong>an</strong>gere optimalen<br />

Weg für die Bewältigung dieser<br />

psychisch extrem schwierigen Situation<br />

zu finden. Durch den Wegfall der embryopathischen<br />

Indikation alter Fassung<br />

ist die Zäsur von 22 Schw<strong>an</strong>gerschaftswochen<br />

post conceptionem für<br />

Schw<strong>an</strong>gerschaftsabbrüche nach Pränataldiagnostik<br />

scheinbar hinfällig geworden.<br />

Hier ist jedoch eine Klarstellung<br />

durch den wissenschaftlichen Beirat<br />

der Bundesärztekammer in der Erklärung<br />

zum Schw<strong>an</strong>gerschaftsabbruch<br />

nach Pränataldiagnostik (20. November<br />

1998) und in den Richtlinien zur pränatalen<br />

Diagnostik von Kr<strong>an</strong>kheiten und<br />

Kr<strong>an</strong>kheitsdispositionen (11. Dezember<br />

1998) erfolgt. Der Zeitpunkt, zu<br />

dem die extrauterine Lebensfähigkeit<br />

des Ungeborenen gegeben ist, soll weiterhin,<br />

abgesehen von seltenen Ausnahmefällen,<br />

als zeitliche Begrenzung für<br />

einen Schw<strong>an</strong>gerschaftsabbruch nach<br />

pränataldiagnostisch erhobenem auffälligen<br />

Befund <strong>an</strong>gesehen werden. In<br />

besonderen Ausnahmefällen schwerster<br />

unbeh<strong>an</strong>delbarer Kr<strong>an</strong>kheiten oder<br />

Entwicklungsstörungen des Ungeborenen,<br />

bei denen postnatal in der Regel<br />

keine lebenserhaltenden Maßnahmen<br />

ergriffen würden, k<strong>an</strong>n nach Diagnosesicherung<br />

und interdisziplinärer Konsensfindung<br />

von dieser zeitlichen Begrenzung<br />

abgewichen werden.<br />

Ist einmal im Rahmen der Indikationsstellung<br />

gemeinsam mit der<br />

Schw<strong>an</strong>geren die Entscheidung gefallen,<br />

dass das Ungeborene getötet werden<br />

soll, liegt die sich dar<strong>an</strong> <strong>an</strong>schließende<br />

Wahl der Abbruchmethode in der Ver<strong>an</strong>twortung<br />

des Arztes. Eine der möglichen<br />

Methoden ist der Fetozid durch Injektion<br />

von Kaliumchlorid oder Unterbindung<br />

der Blutversorgung über die Nabelschnur.<br />

Auf diese Weise ist das Ungeborene<br />

tot, bevor die Geburt eingeleitet<br />

wird. Ein Fetozid, bei dem die beschriebene<br />

Methode nur gewählt wurde, um<br />

den „Erfolg“ eines späten Abbruchs bei<br />

161


gegebener extrauteriner Lebensfähigkeit<br />

des Ungeborenen zu ermöglichen,<br />

wird als nicht akzeptabel <strong>an</strong>gesehen.Vertretbar<br />

ist die Methode aber möglicherweise,<br />

wenn sie bei ohnehin indiziertem<br />

Abbruch für das Ungeborene je nach<br />

dessen Entwicklungsst<strong>an</strong>d das geringste<br />

verfahrensbedingte Leiden mit sich<br />

bringt. Ein Fetozid bei lebensfähigen<br />

Fehlbildungen wird daher weiterhin als<br />

nicht akzeptabel <strong>an</strong>gesehen.<br />

Die Bundesärztekammer hat, entstehend<br />

aus der 5. medizinisch-ethischen<br />

Klausur- und Arbeitstagung vom Oktober<br />

1997 in Schloß Schwarzenfeld unter<br />

dem Titel „Pränatale Medizin im Sp<strong>an</strong>nungsfeld<br />

von Ethik und Recht“, in Zusammenarbeit<br />

mit den betroffenen Fachgesellschaften<br />

und Arbeitsgruppen eine<br />

Erklärung mit dem Ziel verfasst, in der<br />

Öffentlichkeit die Diskussion über die<br />

aufgezeigten Konflikte und Probleme<br />

<strong>an</strong>zuregen und eine Änderung im gesellschaftlichen<br />

Bewusstsein zu bewirken. In<br />

dieser Erklärung wird der mit Einwilligung<br />

der Schw<strong>an</strong>geren von einem<br />

Arzt vorgenommene Schw<strong>an</strong>gerschaftsabbruch<br />

d<strong>an</strong>n nicht als rechtswidrig <strong>an</strong>gesehen,<br />

wenn der Abbruch der Schw<strong>an</strong>gerschaft<br />

unter Berücksichtigung der gegenwärtigen<br />

und zukünftigen Lebensverhältnisse<br />

der Schw<strong>an</strong>geren nach ärztlicher<br />

Erkenntnis <strong>an</strong>gezeigt ist. Der<br />

Schw<strong>an</strong>gerschaftsabbruch ist nur möglich,<br />

um eine Gefahr für das Leben oder<br />

die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung<br />

des körperlichen oder<br />

seelischen Gesundheitszust<strong>an</strong>des der<br />

Schw<strong>an</strong>geren abzuwenden, und wenn<br />

diese Gefahr nicht auf eine <strong>an</strong>dere für<br />

sie zumutbare Weise abgewendet werden<br />

k<strong>an</strong>n.<br />

Die juristischen Vorgaben und die<br />

Stellungnahmen der Bundesärztekammer<br />

sind aufgrund von zu allgemein gehaltenen<br />

Aussagen zurzeit für die<br />

Schw<strong>an</strong>gere und die Ärzte keine ausreichende<br />

Hilfestellung bei der Problematik<br />

der Spätabtreibung. Es wird der<br />

Schw<strong>an</strong>geren aufgrund des Gesetzestextes<br />

eine Abtötung des Feten bis zum Wehenbeginn<br />

in Aussicht gestellt, es bleibt<br />

aber unklar in welchen Fällen dies möglich<br />

ist. Eine schwerwiegende Beeinträchtigung<br />

des seelischen Gesundheitszust<strong>an</strong>des<br />

ist durchaus auch bei leichten<br />

Fehlbildungen wie zum Beispiel der Trisomie<br />

21 möglich. Ist aufgrund des Ge-<br />

162<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

sundheitszust<strong>an</strong>des der Schw<strong>an</strong>geren eine<br />

Spätabtreibung ver<strong>an</strong>twortbar, d<strong>an</strong>n<br />

beginnt meist eine für die Schw<strong>an</strong>gere<br />

unzumutbare Suche nach einem Zentrum,<br />

das den Eingriff eventuell vornimmt.<br />

Schw<strong>an</strong>gere bleiben in einer extrem<br />

schwierigen psychischen Ausnahmesituation<br />

aufgrund unzureichender<br />

gesetzlicher Vorgaben auf sich alleine gestellt.Eine<br />

Lösung,die alle ethischen und<br />

medizinischen Aspekte für Mutter und<br />

Kind abdeckt, ist nicht möglich, eine Verbesserung<br />

der derzeitigen Situation ist<br />

aber unerlässlich.<br />

Die pränatale Diagnostik ist bei einer<br />

Vielzahl von Erkr<strong>an</strong>kungen die Grundvoraussetzung<br />

um überhaupt eine Therapie<br />

durchführen zu können. Dies ist klar<br />

im Interesse von Mutter und Kind. Die<br />

Schw<strong>an</strong>gere ist jedoch vor der ersten Ultraschalluntersuchung<br />

darüber aufzuklären,<br />

dass auch Fehlbildungen erfasst<br />

werden können, bei denen es keine Therapiemöglichkeit<br />

gibt. Die Schw<strong>an</strong>gere<br />

entscheidet aufgrund der Aufklärung<br />

welche diagnostischen Möglichkeiten sie<br />

in Anspruch nehmen will.<br />

Eine ver<strong>an</strong>twortungsvolle Betreuung<br />

von Schw<strong>an</strong>geren ist ohne Pränataldiagnostik<br />

nicht möglich. Da es durch die<br />

Diagnose von Fehlbildungen zu schweren<br />

Konfliktsituationen kommen k<strong>an</strong>n,<br />

ist die Beratung vor der Untersuchung<br />

und vor allem die umfassende Betreuung<br />

nach der Diagnose die Grundvoraussetzung<br />

für eine kompetente Pränataldiagnostik.<br />

Die Beratung vor einer Ultraschalluntersuchung<br />

wird daher in Zukunft einen<br />

wesentlich höheren Stellenwert erhalten<br />

müssen, um der Schw<strong>an</strong>geren die<br />

Entscheidung für oder gegen eine Ultraschall-<br />

oder invasive Diagnostik zu erleichtern.<br />

Die schwerwiegenden ethischen<br />

Probleme im Zusammenh<strong>an</strong>g mit<br />

der Pränataldiagnostik werden nicht dadurch<br />

gelöst werden, indem m<strong>an</strong> die<br />

Pränataldiagnostik als „Selektionsmethode“<br />

<strong>an</strong>pr<strong>an</strong>gert, da dadurch auch<br />

Kinder zu Schaden kommen, die ohne<br />

Pränataldiagnostik nicht beh<strong>an</strong>delt werden<br />

können.Die umfassende Betreuung<br />

von Schw<strong>an</strong>geren im Zusammenh<strong>an</strong>g<br />

mit Pränataldiagnostik muss jedoch verbessert<br />

werden. Neben dem durchwegs<br />

hohen Niveau der medizinischen Betreuung<br />

ist eine kompetente psychosoziale<br />

Begleitung vor und nach der Dia-<br />

gnostik von fetalen Fehlbildungen noch<br />

unzureichend. Es gilt ein Netzwerk aufzubauen,<br />

welches Schw<strong>an</strong>geren bei der<br />

Diagnose von fetalen Fehlbildungen in<br />

dieser extrem schwierigen Situation eine<br />

optimale individuelle Lösung ermöglicht.<br />

M<strong>an</strong>uskript eingereicht: 15. 4. 2002, <strong>an</strong>genommen:<br />

10. 5. 2002<br />

❚ Zitierweise dieses Beitrags:<br />

Dtsch Arztebl 2002; 99: A 2545–2552 [Heft 39]<br />

Literatur<br />

1. Crombleholme TM: Invasive fetal therapy: Current<br />

status <strong>an</strong>d future directions. Sem Perinatol 1994; 18:<br />

385–397.<br />

2. Gembruch U, M<strong>an</strong>z M, Bald R: Repeated intravascular<br />

treatment with amidarone in a fetus with refractory<br />

supraventricular tacycardia <strong>an</strong>d hydrops fetalis. Am<br />

Heart J 1989; 118: 1335–1338.<br />

<strong>3.</strong> Harrison MR,Adzick NS:The fetus as a patient. Surgical<br />

considerations.Ann Surg 1991; 213: 279–291.<br />

4. Hecher K, Plath H, Bregenzer T, H<strong>an</strong>sm<strong>an</strong>n M, Hackeloer<br />

BJ: Endoscopic laser surgery versus serial amniocenteses<br />

in the treatment of severe twin-twin tr<strong>an</strong>sfusion<br />

syndrome.Am J Obstet Gynecol 1999; 180: 717–724.<br />

5. Hecher K, Hackeloer BJ,Ville Y: Umbilical cord coagulation<br />

by operative microendoscopy at 16 weeks' gestation<br />

in <strong>an</strong> acardiac twin. Ultrasound Obstet Gynecol 1997;<br />

10: 130–132.<br />

6. Ludomirsky A: Intrauterine fetal blood sampling – a<br />

multicenter registry: evaluation of 7 462 procedures.<br />

Am J Obstet Gynecol 1993; 168: 318.<br />

7. Neilson JP: Ultrasound for fetal assessment in early<br />

pregn<strong>an</strong>cy.The Cochr<strong>an</strong> library 2000 Issue 2: 1–9.<br />

8. Stiller R, Huch R, Huch A, Zimmerm<strong>an</strong>n R: Qualität der<br />

pränatalen sonographischen Diagnostik – Vergleich sonographisch<br />

erfasster Fehlbildungen mit dem tatsächlichen<br />

fetalen Outcome in der Schweiz. Ultraschall in<br />

Med 2001; 22: 225–230.<br />

9.V<strong>an</strong>derWall KJ, Bruch SW, Meuli M: Fetal endoskopic<br />

(Fetendo) tracheal clip. J Pediatr Surg 1996; 31:<br />

1101–1104.<br />

10.Wissenschaftlicher Beirat der Bundesärztekammer: Erklärung<br />

zum Schw<strong>an</strong>gerschaftsabbruch nach Pränataldiagnostik.<br />

Dtsch Arztebl 1998; 95: A-3013–3016<br />

[Heft 47].<br />

Anschrift des Verfassers:<br />

Prof. Dr. med. Fr<strong>an</strong>z Kainer<br />

I. Frauenklinik<br />

Klinikum Innenstadt<br />

Ludwig-Maximili<strong>an</strong>s-Universität<br />

Maistraße 11, 80337 München<br />

E-Mail: fkainer@fk-i.med.uni-muenchen.de<br />

Weitere Informationen im Internet<br />

www.degum.de<br />

www.fetalmedicine.com<br />

http//www.eurofoetus.org/PROTOCOL.HTM


Heft 8, 21. Februar 2003<br />

DISKUSSION<br />

zu dem Beitrag<br />

Pränataldiagnostik:<br />

Ver<strong>an</strong>twortliche<br />

ärztliche Tätigkeit im<br />

Grenzbereich<br />

von<br />

Prof. Dr. med. Fr<strong>an</strong>z Kainer<br />

in Heft 39/2002<br />

Psychosoziale Begleitung<br />

verbessern<br />

Der Artikel beleuchtete am Schluss<br />

den Punkt der psychosozialen Betreuung<br />

von Schw<strong>an</strong>geren vor und nach<br />

der Diagnostik von Fehlbildungen.<br />

Leider berichteten mir Schw<strong>an</strong>gere<br />

aus meinem Umfeld, die das 35. Lebensjahr<br />

überschritten hatten, dass in<br />

diesem Punkt die Beratung durch die<br />

beh<strong>an</strong>delnden Ärzte als unzureichend<br />

empfunden wurde. Sie fühlten sich<br />

nach Aufklärungsgesprächen über eine<br />

Amniozentese, deren Nutzen ich<br />

d<strong>an</strong>k des Artikels besser verst<strong>an</strong>den<br />

habe, verunsichert, unter Druck gesetzt<br />

und unverst<strong>an</strong>den, weil sie begriffen<br />

hatten, dass diese Untersuchung<br />

klären sollte, ob eine Fehlbildung<br />

vorliege, die zu einer Abtreibung<br />

berechtigen würde. Dies k<strong>an</strong>n nicht<br />

Sinn von Schw<strong>an</strong>gerschaftsvorsorge<br />

sein.<br />

Mein Verdacht ist, dass die Angst<br />

vor juristischen Konsequenzen hinter<br />

diesen fehlgelaufenen Aufklärungsgesprächen<br />

steckt. Deshalb meine Bitte<br />

<strong>an</strong> die Frauenärzte, welche Schw<strong>an</strong>gerschaftsvorsorge<br />

praktizieren: Verbessert<br />

die nach Auffassung des Autors<br />

unzureichende psychosoziale Begleitung<br />

von Schw<strong>an</strong>geren vor und<br />

nach einer Fehlbildungsdiagnostik.<br />

Meiner Ansicht nach lässt sich dadurch<br />

auch die Gleichsetzung von pränataler<br />

Diagnostik mit Menschenselektion<br />

abwenden.<br />

Dr. med. Eva Meisters<br />

Api<strong>an</strong>straße 14<br />

84152 Mengkofen<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

Keine Abtreibung nach<br />

Pränataldiagnostik<br />

Die informativen Darlegungen lassen<br />

nachdenken, welchen Wert oder Unwert<br />

diese Diagnostik hat. Entscheidend<br />

ist die Frage: Erfolgt diese Diagnostik<br />

im Interesse des Kindes oder<br />

im Interesse der Eltern? Im ersten Fall<br />

ist diese Diagnostik zu begrüßen, da<br />

sie, im Fall einer Erkr<strong>an</strong>kung des Kindes,<br />

eine intrauterine oder unmittelbar<br />

postnatale Therapie ermöglicht. Im<br />

zweiten Fall ist zu fragen, ob die Eltern<br />

sich lediglich orientieren wollen, welche<br />

Maßnahmen bei Geburt eines behinderten<br />

Kindes für das Kind getroffen<br />

werden können, oder ob die Eltern<br />

von vornherein die Annahme eines<br />

behinderten Kindes verweigern und<br />

das Kind durch Abtreibung töten lassen.<br />

Im letzteren Fall ist eine Pränataldiagnostik<br />

abzulehnen. Das Gebot:<br />

Du sollst nicht töten, hat absolute Gültigkeit.<br />

Dr. med. Herwig Stingl<br />

Schulstraße 24<br />

92690 Pressath<br />

Hauptsache gesund?<br />

Die seltene Gelegenheit einer Therapie<br />

pränatal entdeckter Erkr<strong>an</strong>kungen<br />

in Ehren, Kehrseite der Medaille<br />

bleiben unzählige (und unselige) diagnostische<br />

Bemühungen mit dem Ziel,<br />

Kinder mit Trisomie 21 aufzuspüren<br />

und abzutreiben. Im Gemenge aus<br />

Heilsversprechen und Eradikationsbereitschaft<br />

entsteht leicht ein Klima<br />

von Intoler<strong>an</strong>z und Diskriminierung<br />

(„so ein Kind muss doch heute nicht<br />

mehr sein“). Frauen, eigentlich in der<br />

Hoffnung, werden, dem gesellschaftlichen<br />

Erwartungsdruck folgend, genötigt,<br />

perfekte Kinder zu gebären<br />

(„Hauptsache gesund“). Besonders<br />

ärgerlich, weil irrig, ist die gebetsmühlenhaft<br />

wiederholte Behauptung,<br />

die Erziehung eines Kindes mit Behinderung<br />

mache kr<strong>an</strong>k. Der Wunsch<br />

nach Abtreibung enthält genau genommen<br />

den versteckten Notruf:<br />

„Hilf mir, mein Kind <strong>an</strong>zunehmen!“<br />

Diese Hilfeleistung wird bisl<strong>an</strong>g leider<br />

meist unterlassen. Wärmstens empfohlen<br />

sei <strong>an</strong> dieser Stelle das Deut-<br />

sche Down-Syndrom InfoCenter, Hammerhöhe<br />

3, 91207 Lauf <strong>an</strong> der Pegnitz.<br />

Hier bekommt m<strong>an</strong> kompetente<br />

Beratung von Experten, die selbst Eltern<br />

eines Kindes mit Down-Syndrom<br />

sind.<br />

Dres. med. Isabel und Christoph Starz<br />

Valentin-Becker-Straße 2<br />

97769 Bad Brückenau<br />

Schlusswort<br />

Ein zahlenmäßiges Aufrechnen von<br />

pränatal beh<strong>an</strong>delbaren Erkr<strong>an</strong>kungen<br />

gegen Fälle mit Beendigung der<br />

Schw<strong>an</strong>gerschaft bei Trisomie 21 ist<br />

nicht zielführend. Das würde bedeuten,<br />

dass ein „Aufspüren“ und „Beseitigen“<br />

von Feten mit Trisomie 21<br />

nicht zu hinterfragen wäre, wenn die<br />

Anzahl der beh<strong>an</strong>delbaren Erkr<strong>an</strong>kungen<br />

zahlenmäßig höher wäre. Es<br />

steht außer Frage, dass mehr get<strong>an</strong><br />

werden muss, damit es bei Kindern<br />

mit Trisomie 21 nicht automatisch zu<br />

einer Beendigung der Schw<strong>an</strong>gerschaft<br />

kommt. Es steht aber auch<br />

außer Frage, das täglich unzählige ungeborene<br />

Kinder (bei intrauteriner<br />

Wachstumsstörung, vorzeitigem Blasensprung,<br />

Übertragung, Mehrlingsschw<strong>an</strong>gerschaften)<br />

auch ohne Fehlbildungen<br />

von der pränatalen Ultraschalluntersuchung<br />

durch das Festlegen<br />

des optimalen Geburtszeitpunktes<br />

profitieren. Frauen können durch<br />

die pränatale Diagnostik nicht genötigt<br />

werden, perfekte Kinder zu gebären,<br />

da dazu die pränatale Diagnostik<br />

glücklicherweise gar nicht in<br />

der Lage ist. Pränataldiagnostik k<strong>an</strong>n<br />

nicht in „gute“ oder „schlechte“ Diagnostik<br />

eingeteilt werden. Eine zuverlässige<br />

Diagnose ist die entscheidende<br />

Grundvoraussetzung für eine individuell<br />

optimale Beh<strong>an</strong>dlung.<br />

Prof. Dr. med. Fr<strong>an</strong>z Kainer<br />

I. Frauenklinik<br />

Klinikum der Innenstadt der<br />

Ludwig-Maximili<strong>an</strong>s-Universität<br />

Maistraße 11<br />

80337 München<br />

163


Heft 41, 11. Oktober 2002<br />

Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

Bildung einer<br />

ärztlichen Identität<br />

Die Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

(<strong>PID</strong>) ist ein kontrovers diskutiertes<br />

Thema, das exemplarisch für<br />

die Konflikte in der modernen Medizin<br />

steht (2, 4, 9). Einmal mehr scheint hier<br />

eine Kluft zu bestehen zwischen technischer<br />

Machbarkeit einerseits und Unsicherheiten<br />

bei der ethischen Bewertung<br />

<strong>an</strong>dererseits (10, 12). Die <strong>PID</strong> – in<br />

Deutschl<strong>an</strong>d verboten – ist ein komplexer<br />

und l<strong>an</strong>g dauernder Prozess, <strong>an</strong> dem<br />

verschiedene Berufsgruppen beteiligt<br />

sind. Schon im Vorfeld des Verfahrens,<br />

aber auch während der gesamten Prozedur,<br />

die sich über Monate bis Jahre<br />

erstrecken k<strong>an</strong>n, kommt der psychosozialen<br />

Beratung und Begleitung des betroffenen<br />

Paares ein großer Stellenwert<br />

zu (5, 6). Darüber hinaus würde auch<br />

die Arbeit mit behinderten Menschen<br />

durch eine Legalisierung der <strong>PID</strong> unter<br />

<strong>an</strong>deren Vorzeichen und gesellschaftlichen<br />

Rahmenbedingungen vonstatten<br />

gehen als ohne diese Option (13).<br />

Bei Studien<strong>an</strong>fängern und Studierenden<br />

höherer Semester sollte ermittelt<br />

werden, wie künftige Ärzte einerseits<br />

und Studierende der Sozialarbeit<br />

und Sozialpädagogik <strong>an</strong> konfessionellen<br />

Fachhochschulen <strong>an</strong>dererseits das<br />

Verfahren und die damit verbundenen<br />

moralischen Probleme bewerten.<br />

Im Wintersemester 2001/2002 wurden<br />

in Freiburg 321 Studierende befragt, 213<br />

Studien<strong>an</strong>fänger, 108 höherer Semester.<br />

Es wurde ein Fragebogen benutzt, der<br />

neben soziodemographischen Daten 25<br />

Fragen zu drei Themenbereichen umfasste:<br />

1) Fragen zur allgemeinen moralischen<br />

Einschätzung der <strong>PID</strong> und den damit<br />

verbundenen Problemen. 2) Fragen<br />

zur Bewertung von reproduktionsmedi-<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

Ein Vergleich von Medizinstudenten mit Studierenden sozialdienstlicher<br />

Studiengänge <strong>an</strong> zwei kirchlichen Fachhochschulen<br />

Götz Fabry, Ruth Marquard<br />

164<br />

zinischen Optionen, die Alternativen zur<br />

<strong>PID</strong> sein können.3) Fragen,die die praktische<br />

Anwendung der <strong>PID</strong> betreffen,<br />

wie etwa die Bewertung von Indikationen,<br />

die künftig den Einsatz der <strong>PID</strong><br />

rechtfertigen könnten.<br />

Das Durchschnittsalter der Befragten<br />

beträgt 23,3 Jahre, das Geschlechterverhältnis<br />

zeigt mit 70 : 30 einen<br />

deutlichen Frauenüberh<strong>an</strong>g, was darauf<br />

zurückzuführen ist, dass <strong>an</strong> den kirchlichen<br />

Fachhochulen überwiegend Frauen<br />

studieren. Die Auswertung zeigte jedoch<br />

keine geschlechtspezifischen Unterschiede<br />

bei den Antworten. Die<br />

überwiegende Mehrheit der Befragten<br />

(in keiner Gruppe unter 87 Prozent)<br />

gibt <strong>an</strong>, mit dem Thema <strong>PID</strong> schon<br />

in unterschiedlicher Weise (Medien,<br />

Studium) in Berührung gekommen zu<br />

sein.<br />

Die Frage, ob es in ihrem Bek<strong>an</strong>ntenkreis<br />

Menschen mit körperlicher oder<br />

geistiger Behinderung gibt, wird ebenfalls<br />

von der Mehrheit bejaht, allerdings<br />

von den Medizinstudenten tendenziell<br />

etwas weniger häufig (47 beziehungsweise<br />

63 Prozent) als von den Studierenden<br />

<strong>an</strong> den kirchlichen Fachhochschulen<br />

(67 bis 78 Prozent).<br />

Der Status des Embryos<br />

Ein Kernpunkt der Ausein<strong>an</strong>dersetzung<br />

um die <strong>PID</strong> ist der Status des Embryos<br />

vor allem im Hinblick auf die Frage,<br />

ob ihm ein absolutes Lebensrecht<br />

zukommt (3, 8). Die Befragten bejahen<br />

dies mit deutlicher Mehrheit. Obwohl<br />

die Zustimmung in der Gruppe der<br />

Fünftsemester <strong>an</strong> der katholischen<br />

Fachhochschule (KFH) mit 90 Prozent<br />

deutlich über der der Medizinstudenten<br />

aus dem siebten Semester (63 Prozent)<br />

liegt, ergibt das Antwortverhalten ein<br />

recht homogenes Bild. Denn auch in<br />

dieser Gruppe, bei der die Zustimmung<br />

noch am geringsten ausfällt, bejahen<br />

fast zwei Drittel ein absolutes Lebensrecht<br />

des Embryos. Mehr als 80 Prozent<br />

der fortgeschrittenen Medizinstudenten<br />

stimmen auch der Aussage zu, dass<br />

jedes menschliche Lebewesen das gleiche<br />

Recht auf Leben hat; bei den Studierenden<br />

im fünften Semester <strong>an</strong> den<br />

kirchlichen Fachhochschulen liegt die<br />

Zustimmung bei <strong>an</strong>nähernd hundert<br />

Prozent. Auf die Frage, wie die<br />

Studienteilnehmer einen Embryo im<br />

Vier- bis Achtzellstadium beschreiben<br />

würden, findet sich keine eindeutige<br />

Übereinstimmung. Am ehesten findet<br />

die Umschreibung „Gebilde, das zum<br />

Mensch wird“ Zustimmung (in allen<br />

Gruppen etwa 60 Prozent). Medizinstudenten<br />

des siebten Semesters votieren<br />

häufiger als ihre Studienkollegen für<br />

die Umschreibung „Ansammlung von<br />

Zellen“ (22 Prozent) und bezeichnen<br />

den Embryo zu 15 Prozent als „noch<br />

nicht so schützenswert wie ein schon<br />

fertiges Lebewesen“. Deutliche Unterschiede<br />

wurden jedoch nicht festgestellt.<br />

Indikationen zur <strong>PID</strong><br />

Fragen nach möglichen Indikationen<br />

der <strong>PID</strong> zeigen auffällige Unterschiede<br />

zwischen den Medizinstudenten und<br />

den Studierenden der kirchlichen Fachhochschulen,<br />

die zu Beginn des Studiums<br />

meist nur als Trend erkennbar sind,<br />

mit zunehmender Semesterzahl aber<br />

eindeutig werden. Auf die Frage etwa,<br />

ob eine <strong>PID</strong> zum Ausschluss einer Trisomie<br />

21 beziehungsweise einer schweren<br />

geistigen Behinderung auch d<strong>an</strong>n<br />

vorgenommen werden sollte, wenn gar<br />

kein Hinweis auf ein erhöhtes Risiko<br />

vorliegt, <strong>an</strong>tworten die Studien<strong>an</strong>fänger<br />

aller drei Untersuchungsgruppen<br />

übereinstimmend zurückhaltend<br />

(25 bis 33 Prozent).<br />

Während sich diese Skepsis bei den<br />

Studierenden <strong>an</strong> den kirchlichen Fachhochschulen<br />

im weiteren Verlauf noch<br />

verstärkt (16 beziehungsweise 20 Pro-


zent), befürworten mehr als 60 Prozent<br />

der Medizinstudenten des siebten Semesters<br />

den Einsatz der <strong>PID</strong> für solche<br />

Fälle. Ähnlich fällt die Bewertung für<br />

die Chorea Huntington aus, die für die<br />

nichtmedizinischen Untersuchungsgruppen<br />

als „Erkr<strong>an</strong>kung, die erst mit<br />

40 Jahren auftritt“ umschrieben wurde.<br />

In diesem Fall ist die Zustimmung der<br />

Medizinstudenten im siebten Semester<br />

mit 49 Prozent doppelt so hoch wie die<br />

der Studien<strong>an</strong>fänger. Die Studierenden<br />

der kirchlichen Fachhochschulen dagegen<br />

sind signifik<strong>an</strong>t zurückhaltender, in<br />

keiner Gruppe steigt die Zustimmung<br />

über fünf Prozent.<br />

Dem gleichen Trend folgt das Antwortverhalten,<br />

wenn d<strong>an</strong>ach gefragt<br />

wird, welche Konsequenzen aus einem<br />

positiven Testergebnis (also einem festgestellten<br />

genetischen Defekt) gezogen<br />

werden sollen. Knapp 38 Prozent der<br />

Studien<strong>an</strong>fänger im Fach Hum<strong>an</strong>medizin<br />

würden Trisomie 21 beziehungsweise<br />

eine zu erwartende schwere geistige<br />

Behinderung als Grund akzeptieren,<br />

den Embryo nicht für eine Schw<strong>an</strong>gerschaft<br />

zu verwenden, die Erstsemester<br />

der kirchlichen Fachhochschulen liegen<br />

mit 31 beziehungsweise 26 Prozent Zustimmung<br />

in etwa gleich.<br />

Deutliche Unterschiede zeigen dagegen<br />

die Antworten der höheren Semester:<br />

Die Akzept<strong>an</strong>z unter den Medizinern<br />

ist auf fast zwei Drittel gestiegen,<br />

wohingegen sie <strong>an</strong> der ev<strong>an</strong>gelischen<br />

Fachhochschule (EFH) auf 27 Prozent,<br />

<strong>an</strong> der katholischen sogar auf zehn<br />

Prozent gesunken ist. Auch <strong>an</strong>dere<br />

mögliche Indikationen, wie zum Beispiel<br />

schwere körperliche Missbildungen,<br />

werden sehr unterschiedlich<br />

bewertet.<br />

Diesen Differenzen liegen offensichtlich<br />

prinzipiell verschiedene Einstellungen<br />

zugrunde, die sich mit zunehmender<br />

Studiendauer stärker ausprägen.<br />

Dies lässt sich deutlich <strong>an</strong> der Bewertung<br />

der Aussage „ich hätte gar<br />

nicht erst testen lassen“ ablesen.<br />

Während die Studien<strong>an</strong>fänger aller drei<br />

Gruppen in ihrer Zustimmung dabei<br />

noch relativ dicht beiein<strong>an</strong>der liegen<br />

(43 bis 58 Prozent), unterscheiden sich<br />

die höheren Semester deutlich: Die Zustimmung<br />

bei den Medizinern geht auf<br />

31 Prozent zurück, wohingegen sie <strong>an</strong><br />

den kirchlichen Hochschulen auf 70<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

Prozent (ev<strong>an</strong>gelische Fachhochschule)<br />

beziehungsweise 77 Prozent (katholische<br />

Fachhochschule) steigt. Ein Drittel<br />

der Studierenden des fünften Semesters<br />

der KFH würde, wenn sie selbst betroffen<br />

wären, eine Schw<strong>an</strong>gerschaft<br />

auch mit einem wahrscheinlich kr<strong>an</strong>ken<br />

Embryo entstehen lassen.<br />

Bewertung der <strong>PID</strong> insgesamt<br />

Die Frage, ob die <strong>PID</strong> auch weiterhin in<br />

Deutschl<strong>an</strong>d verboten bleiben sollte,<br />

be<strong>an</strong>tworten die Studien<strong>an</strong>fänger aller<br />

drei Hochschulen weitgehend übereinstimmend:<br />

36 Prozent der Mediziner<br />

und jeweils etwa die Hälfte der beiden<br />

<strong>an</strong>deren Gruppen der ersten Semester<br />

befürworten dies. G<strong>an</strong>z <strong>an</strong>ders dagegen<br />

sehen erneut die Antworten der höheren<br />

Semester aus: Die Zustimmung der<br />

Mediziner ist auf zwölf Prozent gesunken,<br />

<strong>an</strong> den kirchlichen Hochschulen ist<br />

sie dagegen auf 62 Prozent (EFH) beziehungsweise<br />

sogar auf 80 Prozent<br />

(KFH) gestiegen. Die höheren Semester<br />

der Medizinstudenten und der Studierenden<br />

<strong>an</strong> der katholischen Fachhochschule<br />

unterscheiden sich damit<br />

erheblich von ihren Kommilitonen im<br />

ersten Semester. Außerdem heben<br />

sich die medizinischen Siebtsemester<br />

signifik<strong>an</strong>t gegen die hohen Semester<br />

der beiden kirchlichen Fachhochschulen<br />

ab.<br />

Analog bewertet wird die Aussage,<br />

die <strong>PID</strong> stelle einen begrüßenswerten<br />

Fortschritt der Medizin dar und werde<br />

Leiden verringern. Während die Studien<strong>an</strong>fänger<br />

aller drei Gruppen skeptisch<br />

sind, zeigen sich erneut deutliche<br />

Unterschiede unter den höheren Semestern.Von<br />

den Medizinern würden jetzt<br />

54 Prozent dieser Aussage zustimmen,<br />

wohingegen die Zustimmung <strong>an</strong> den<br />

kirchlichen Fachhochschulen auf unter<br />

zehn Prozent gesunken ist. Auch hier<br />

sind die Unterschiede sowohl innerhalb<br />

der einzelnen Hochschulgruppen als<br />

auch zwischen den Medizinstudenten<br />

und den Studenten der kirchlichen<br />

Fachhochschulen bemerkenswert.<br />

An den Antworten auf die Frage<br />

„was wäre für Sie ein ethisch vertretbarer<br />

Einsatzbereich der <strong>PID</strong>?“ zeigt<br />

sich, dass die Medizinstudenten ihre<br />

Bewertung <strong>an</strong> Indikationen orientie-<br />

ren, wohingegen die Studierenden der<br />

kirchlichen Fachhochschulen die Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

grundsätzlich<br />

ablehnen, und dass diese Einstellung offensichtlich<br />

durch die Studiendauer beeinflusst<br />

wird. Am deutlichsten zeigt<br />

dies der Vergleich zwischen Medizinstudenten<br />

und Studierenden der katholischen<br />

Fachhochschule. Während die<br />

Studien<strong>an</strong>fänger der Medizin und der<br />

KFH den Einsatz der <strong>PID</strong> zur Diagnostik<br />

von schwersten geistigen und körperlichen<br />

Behinderungen mehrheitlich<br />

befürworten, sieht die Bewertung der<br />

höheren Semester beider Fachrichtungen<br />

g<strong>an</strong>z <strong>an</strong>ders aus: Die Zustimmung<br />

unter den Medizinern ist von 65 auf 83<br />

Prozent gestiegen, unter den Studierenden<br />

<strong>an</strong> der katholischen Fachhochschule<br />

dagegen von 54 auf 33 Prozent gesunken.<br />

Umgekehrt wird die Aussage bewertet:<br />

„Überhaupt kein Einsatz wäre<br />

für mich ethisch vertretbar.“ Hier halbiert<br />

sich die Zustimmung der Mediziner<br />

von 36 (erstes Semester) auf 17 Prozent<br />

(siebtes Semester), wohingegen sie<br />

<strong>an</strong> der katholischen Fachhochschule<br />

von 49 (erstes Semester) auf 67 Prozent<br />

(fünftes Semester) <strong>an</strong>steigt.<br />

Der Einsatz der <strong>PID</strong> zur Geschlechtsdiagnostik<br />

ohne Kr<strong>an</strong>kheitsbezug<br />

oder zur Auswahl körperlicher<br />

Merkmale wird von allen Befragten<br />

deutlich abgelehnt. Was den Personenkreis<br />

der möglichen Nutzer der <strong>PID</strong> betrifft,<br />

so votieren die Medizinstudenten<br />

des siebten Semesters zu 60 Prozent für<br />

Paare, die ein erhöhtes Risiko für eine<br />

schwere Erbkr<strong>an</strong>kheit tragen. Die Studenten<br />

höherer Semester der katholischen<br />

Fachhochschule nennen dagegen<br />

zu 60 Prozent die Alternative „generell<br />

für niem<strong>an</strong>den“, wohingegen die Studierenden<br />

<strong>an</strong> der ev<strong>an</strong>gelischen Hochschule<br />

in ihrer Bewertung ungefähr dazwischen<br />

liegen.<br />

Konsequenzen für das eigene<br />

Verhalten<br />

Das bisher gezeigte Antwortmuster blieb<br />

auch d<strong>an</strong>n bestehen, wenn die Studierenden<br />

gefragt wurden, wie sie sich selbst<br />

verhalten würden, wenn sie mit einem<br />

25-prozentigen genetischen Risiko belastet<br />

wären. Als Antwortmöglichkeiten<br />

sollten der Verzicht auf ein Kind, die Ad-<br />

165


option, eine künstliche Befruchtung mit<br />

<strong>PID</strong>, eine Schw<strong>an</strong>gerschaft mit Pränataldiagnostik<br />

und eventueller Abtreibung<br />

(in der Literatur auch als „Schw<strong>an</strong>gerschaft<br />

auf Probe“ bezeichnet [14]), die<br />

Samen- beziehungsweise Eizellspende<br />

und schließlich eine natürliche Zeugung<br />

ohne jegliche Intervention („es darauf<br />

<strong>an</strong>kommen lassen“) gegenein<strong>an</strong>der abgewogen<br />

werden. Die Studien<strong>an</strong>fänger<br />

<strong>an</strong> den kirchlichen Fachhochschulen<br />

äußern hier klare Präferenzen für die<br />

Adoption und die natürliche Zeugung<br />

ohne Intervention, die von jeweils etwa<br />

40 Prozent gen<strong>an</strong>nt werden. Bei allen <strong>an</strong>deren<br />

Alternativen liegt die Zustimmung<br />

jeweils im Bereich von nur zehn Prozent.<br />

Anders werten dagegen die Studien<strong>an</strong>fänger<br />

in Medizin. Zwar stimmen<br />

der Adoption 42 Prozent zu, doch d<strong>an</strong>n<br />

folgen die In-vitro-Fertilisation mit<br />

<strong>PID</strong> (29 Prozent) beziehungsweise die<br />

Schw<strong>an</strong>gerschaft mit Pränataldiagnostik<br />

und eventuellem Abbruch (26 Prozent)<br />

vor der Schw<strong>an</strong>gerschaft ohne Intervention,<br />

die von knapp einem Viertel<br />

der Befragten gen<strong>an</strong>nt wird. Während<br />

diese Unterschiede jedoch lediglich<br />

Trends wiedergeben, unterscheiden<br />

sich die Antworten der Studierenden<br />

aus den höheren Semestern wieder<br />

deutlicher: Jetzt ist die Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

die von den Medizinern<br />

mit fast 40 Prozent am häufigsten gen<strong>an</strong>nte<br />

Alternative, deren Akzept<strong>an</strong>z<br />

<strong>an</strong> den kirchlichen Fachhochschulen<br />

mit 5,4 (ev<strong>an</strong>gelisch) beziehungsweise<br />

null Prozent (katholisch) erheblich<br />

niedriger ist. Eine <strong>an</strong>aloge Bewertung<br />

ergibt sich für die so gen<strong>an</strong>nte Schw<strong>an</strong>gerschaft<br />

auf Probe.<br />

Zusammenfassung<br />

und Diskussion<br />

Weitgehende Einigkeit besteht bei allen<br />

Befragten über allgemeine moralische<br />

Aussagen. In Fragen der praktischen<br />

Umsetzung und Indikationen treten<br />

jedoch deutliche Unterschiede zutage:<br />

Die Studierenden der kirchlichen<br />

Fachhochschule stehen der <strong>PID</strong> im Vergleich<br />

zu den Medizinstudenten kritischer<br />

gegenüber. Am deutlichsten lehnen<br />

die Studierenden des fünften Semesters<br />

der katholischen Fachhochschule<br />

die <strong>PID</strong> ab, wohingegen die<br />

166<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

Medizinstudenten des siebten Semesters<br />

die Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik am<br />

stärksten befürworten. Diese Zustimmung<br />

orientiert sich allerdings <strong>an</strong> Indikationen;<br />

eine <strong>PID</strong> zur Diagnose des<br />

Geschlechts ohne Kr<strong>an</strong>kheitsbezug oder<br />

sogar um körperliche Merkmale zu bestimmen,<br />

lehnen auch die Medizinstudenten<br />

ab.<br />

Die Ergebnisse der Studie lassen den<br />

Schluss zu, dass die Sozialisation durch<br />

das jeweilige Studium offensichtlich einen<br />

deutlichen Einfluss auf die moralische<br />

Bewertung der <strong>PID</strong> hat. Interess<strong>an</strong>t<br />

ist, dass die Mediziner in ihrem<br />

Antwortverhalten weitgehend dem<br />

Richtlinien-Entwurf der Bundesärztekammer<br />

zur <strong>PID</strong> folgen (1). Es wurde<br />

zwar nicht ermittelt, inwieweit die Befragten<br />

diesen Entwurf k<strong>an</strong>nten, es lässt<br />

sich aber vermuten, dass dieser, wenn<br />

überhaupt, d<strong>an</strong>n nur oberflächlich bek<strong>an</strong>nt<br />

ist. Offensichtlich bildet sich aber<br />

während des Medizinstudiums eine<br />

ärztliche Identität, die bei aller Kontroverse<br />

im Detail doch gemeinsam<br />

geteilte Bewertungsmuster erkennen<br />

lässt. Dies gilt <strong>an</strong>alog auch für die<br />

Vergleichsgruppen <strong>an</strong> den kirchlichen<br />

Fachhochschulen, deren kritischere<br />

Haltung gegenüber der <strong>PID</strong> in höheren<br />

Semestern deutlicher ausgeprägt ist<br />

und sich inhaltlich <strong>an</strong> die offizielle<br />

Haltung der beiden großen Kirchen<br />

<strong>an</strong>nähert (7, 11).<br />

Die am Prozess der Entscheidungsfindung<br />

beteiligten Berufsgruppen<br />

bringen ihre eigenen, offensichtlich<br />

durch die berufliche Sozialisation geprägten<br />

Werthaltungen ein, die – wenn<br />

sie unhinterfragt und unverst<strong>an</strong>den<br />

bleiben – ein erhebliches Konfliktpotenzial<br />

in sich bergen. Insofern scheint<br />

im Hinblick auf die ärztliche Ausbildung<br />

eine bewusste Ausein<strong>an</strong>dersetzung<br />

mit den sozialisationsbedingten<br />

Einflüssen sowie der Identifikation mit<br />

der eigenen Berufsgruppe und deren<br />

St<strong>an</strong>dards ein unverzichtbares Element<br />

zu sein. Besonders erhellend<br />

könnten vor dem Hintergrund der Studie<br />

Lehrver<strong>an</strong>staltungen sein, <strong>an</strong> denen<br />

Lernende aus <strong>an</strong>deren Berufsgruppen,<br />

zum Beispiel den sozialdienstlichen<br />

Studiengängen oder von<br />

Kr<strong>an</strong>kenpflegeschulen, beteiligt sind.<br />

So könnte frühzeitig ein Prozess in<br />

G<strong>an</strong>g kommen, in dem die eigenen<br />

Normen und Werte als relativ begriffen<br />

werden, woraus die Notwendigkeit<br />

des lebensl<strong>an</strong>gen Lernens im Sinne der<br />

Erweiterung moralischer Kompetenz<br />

erwächst.<br />

❚ Zitierweise dieses Beitrags:<br />

Dtsch Arztebl 2002; 99: A 2690–2693 [Heft 41]<br />

Literatur:<br />

1. Bundesärztekammer: Diskussionsentwurf zu einer<br />

Richtlinie zur Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik. Dtsch Arzteblatt<br />

2000; 97: A 525–528 [Heft 9].<br />

2. Geraedts J, H<strong>an</strong>dyside A, Harper J et al.: ESHRE<br />

preimpl<strong>an</strong>tation genetic diagnosis (PGD) consortium:<br />

data collection II (May 2000). Hum Reprod 2000;<br />

15: 2673–268<strong>3.</strong><br />

<strong>3.</strong> Habermas J: Auf dem Weg zu einer liberalen<br />

Eugenik? Der Streit um das ethische Selbstverständnis<br />

der Gattung. In: Habermas J: Die Zukunft<br />

der menschlichen Natur. Fr<strong>an</strong>kfurt/Main: Suhrkamp<br />

2001; 34–125.<br />

4. H<strong>an</strong>dyside AH, Kontogi<strong>an</strong>ni EH, Hardy K, Winsten<br />

RM: Pregn<strong>an</strong>cies from biopsied hum<strong>an</strong> preimpl<strong>an</strong>tation<br />

embryos sexed by y-specific DNA amplification.<br />

Nature 1990; 344: 768–770.<br />

5. Hildt E: Über die Möglichkeit freier Entscheidungsfindung<br />

im Umfeld vorgeburtlicher Diagnostik. In:<br />

Düwell M, Mieth D: Ethik in der Hum<strong>an</strong>genetik. Tübingen:<br />

Fr<strong>an</strong>cke 1998; 202–204.<br />

6. Kollek R: Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik – Embryoselektion,<br />

weibliche Autonomie und Recht. Tübingen:<br />

Fr<strong>an</strong>cke 2000.<br />

7. Körtner V:Theologie und Biomedizin. EPD-<strong>Dokumentation</strong><br />

2001; 26/01.<br />

8. Kreß H: Diskussion: Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik, der<br />

Status von <strong>Embryonen</strong> und embryonale Stammzellen.<br />

ZEE 2001; 45: 230–235.<br />

9. Küpker W, Diedrich K: Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik im<br />

Sp<strong>an</strong>nungsfeld von Recht und Ethik. Gynäkologe<br />

1998; 31: 369–372.<br />

10. Ludwig M, Diedrich K: Die Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik.<br />

Gynäkologe 1998; 31: 353–359.<br />

11. Meisner J: Mensch von Anf<strong>an</strong>g <strong>an</strong>. Dtsch Arzteblatt<br />

2000; 97: A 888–890.<br />

12. Mieth D: Die Diktatur der Gene – Biotechnik zwischen<br />

Machbarkeit und Menschenwürde. Freiburg:<br />

Herder 2001.<br />

1<strong>3.</strong> Radtke: Wehret den Fortschritten – subjektive Ansichten<br />

eines zum „Liegenlassen“ Bestimmten. In:<br />

Kleinert S (Hrsg.): Der medizinische Blick auf Behinderung.<br />

Würzburg: Königshausen & Neum<strong>an</strong>n,<br />

1997: 61–64.<br />

14. Rothm<strong>an</strong>n BK: The tentative pregn<strong>an</strong>cy. New York:<br />

Penguin 1986.<br />

Anschrift für die Verfasser:<br />

Dr. med. Götz Fabry<br />

Abteilung für Medizinische Psychologie<br />

Stef<strong>an</strong>-Meier-Straße 17<br />

79104 Freiburg<br />

E-Mail: fabry@uni-freiburg.de


Heft 41, 11. Oktober 2002<br />

Medizinreport<br />

Dem Amerik<strong>an</strong>er James Thomson<br />

gelingt erstmals im November<br />

1998, menschliche Embryonalzellen<br />

im Labor zu kultivieren. Mit einem<br />

Mal scheinen Visionen zum Greifen nahe:<br />

neue Neuronen für Parkinson-Patienten,<br />

Nervenzellersatz für Opfer eines<br />

Schlag<strong>an</strong>falles und des Hirnabbaus,<br />

Herzmuskelgewebe nach Infarkt und<br />

bei Herzinsuffizienz,Leberzellersatz bei<br />

Leberversagen, Hautzellen für Br<strong>an</strong>dverletzte<br />

und vieles mehr. Inzwischen<br />

betreiben weltweit mehr als 350 Unternehmen<br />

die Stammzellforschung<br />

und -<strong>an</strong>wendung (davon 80 börsennotiert).<br />

Definition, Arten, Ziel<br />

der Anwendung<br />

Stammzellen<br />

Stammzellen sind unreife Zellen, deren<br />

Entwicklung noch nicht festgelegt ist<br />

und die sich in die unterschiedlichsten<br />

Zelltypen differenzieren können (prospektive<br />

Potenz). Sie können sich sowohl<br />

beliebig vermehren und dabei ihre<br />

Multipotenz behalten als auch unter<br />

dem Einfluss verschiedener Faktoren<br />

(zum Beispiel Wachstumsfaktoren,<br />

genetische Faktoren, Nährstoffe) des<br />

Umgebungsmilieus zu Org<strong>an</strong>zellen und<br />

Geweben differenzieren.<br />

Je nach den Entwicklungsperspektiven<br />

werden totipotente und pluripotente<br />

Stammzellen unterschieden. Totipotente<br />

Stammzellen (gleich omnipotent)<br />

können zu einem vollständigen Lebewesen<br />

her<strong>an</strong>reifen. Dies gilt für Zellen<br />

eines menschlichen Embryos bis zum<br />

Achtzellstadium.<br />

Pluripotente (multipotente) Stammzellen<br />

sind solche, aus denen sich die<br />

verschiedensten Gewebe des menschlichen<br />

Körpers entwickeln können.<br />

Ein komplettes Individuum k<strong>an</strong>n aus<br />

diesen Zellen jedoch nicht mehr entstehen.<br />

Zu ihnen gehören die embryona-<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

<strong>Forschung</strong> im Überblick<br />

Mehr als 350 Unternehmen konzentrieren sich auf<br />

diesen medizinischen Bereich.<br />

len Stammzellen und als nichtembryonale<br />

Stammzellen die Nabelschnurstammzellen,<br />

sowie die adulten – erwachsenen<br />

– Stammzellen.<br />

Embryonale Stammzellen<br />

Embryonale Stammzellen (ES-Zellen)<br />

werden dem Embryo aus der inneren<br />

Zellmasse der Blastozyste entnommen.<br />

In diesem Stadium sind sie nicht mehr<br />

totipotent. Dies bedeutet, dass aus ihnen<br />

kein eigenständiges Lebewesen<br />

mehr entstehen k<strong>an</strong>n (3). Sie können jedoch<br />

noch zu mehr als 200 verschiedenen<br />

Gewebetypen her<strong>an</strong>wachsen. Embryonale<br />

Stammzellen werden auf drei<br />

Arten gewonnen:<br />

❃ Aus überzähligen <strong>Embryonen</strong>:<br />

In seltenen Fällen werden bei künstlichen<br />

Befruchtungen nicht alle <strong>Embryonen</strong><br />

in den Uterus der Frau tr<strong>an</strong>sferiert.<br />

Sie lagern kryokonserviert in den Labors.<br />

In Deutschl<strong>an</strong>d sind im Unterschied<br />

zu <strong>an</strong>deren Staaten solche Fälle<br />

selten, weil hier laut <strong>Embryonen</strong>schutzgesetz<br />

keine <strong>Embryonen</strong>, sondern lediglich<br />

Vorkernstadien (Pronukleusstadien)<br />

kryokonserviert werden dürfen.<br />

Nur in seltenen Fällen, in denen eine<br />

Frau die Fruchtbarkeitsbeh<strong>an</strong>dlung<br />

überraschend abbrechen muss, sind aus<br />

den Vorkernstadien bereits <strong>Embryonen</strong><br />

entst<strong>an</strong>den, die nicht übertragen werden.In<br />

Deutschl<strong>an</strong>d wird die Anzahl dieser<br />

so gen<strong>an</strong>nten verwaisten <strong>Embryonen</strong><br />

auf etwa 150 bis 200 geschätzt.<br />

❃ Aus abortierten Feten:<br />

Primordiale Keimzellen werden nach<br />

legal induziertem oder spont<strong>an</strong>em<br />

Abort aus fünf bis neun Wochen alten<br />

Feten isoliert und unter Kulturbedingungen<br />

zu Stammzellen weiterentwickelt.<br />

Aus hierdurch generierten pluripotenten<br />

Stammzelllinien konnten<br />

neuronale und auch myokardiale Zellarten<br />

entwickelt werden (28).<br />

❃ Therapeutisches Klonen:<br />

Dabei wird eine Eizelle entkernt und<br />

mit dem Erbmaterial einer Körperzelle<br />

versehen. Es entsteht eine Zelle, die<br />

sich wie ein normaler Embryo bis zum<br />

Blastozystenstadium weiterentwickelt.<br />

Dieses Verfahren hat für den Spender<br />

der Körperzelle den Vorteil, dass die<br />

entstehenden Stammzellen genetisch<br />

seinen Körperzellen ähnlich sind.<br />

In Deutschl<strong>an</strong>d ist die Gewinnung<br />

von embryonalen Stammzellen nach den<br />

drei gen<strong>an</strong>nten Verfahren nicht erlaubt,<br />

sondern lediglich der Import von vorh<strong>an</strong>denen,<br />

in Laboratorien verschiedener<br />

Länder gezüchteten Stammzelllinien<br />

seit J<strong>an</strong>uar 2002 gesetzlich möglich.<br />

Nicht alle bisherigen Stammzelllinien<br />

gelten jedoch als stabil genug für entsprechende<br />

<strong>Forschung</strong>en. Mit Altern der<br />

Zelllinien durch Verkürzung der Telomere<br />

ist möglicherweise zu rechnen. Invivo-Untersuchungen<br />

zeigen, dass die<br />

Lebensdauer embryonaler Stammzellen<br />

offenbar verkürzt ist.Außerdem ist nach<br />

Tr<strong>an</strong>sfusion embryonaler Stammzellen<br />

über das Auftreten von Teratokarzinomen<br />

berichtet worden.<br />

Nichtembryonale Stammzellen<br />

Die Nabelschnurstammzelle ist eine<br />

pluripotente Stammzelle. Der Vorteil<br />

gegenüber der adulten Stammzelle in<br />

späteren Lebensjahren besteht darin,<br />

dass das Nabelschnurblut noch weitgehend<br />

durch Keime und mögliche maligne<br />

tr<strong>an</strong>sformierte Zellen unbelastet<br />

zu sein scheint. Der Nachteil ist die relativ<br />

geringe Zahl, die bei der Anwendung<br />

im Erwachsenenalter eine vorherige<br />

Vermehrung der Zellen (Exp<strong>an</strong>sion) erforderlich<br />

macht, sowie die noch bestehende<br />

Problematik des Alterns der Zellen<br />

während der Exp<strong>an</strong>sion. Bezüglich<br />

der Exp<strong>an</strong>sion von Stammzellen<br />

scheint in diesem Jahr ein Fortschritt<br />

gelungen zu sein, mit der Entwicklung<br />

eines Prototyps zur membr<strong>an</strong>separierten<br />

Kokultivierung von Stammzellen im<br />

<strong>Forschung</strong>szentrum Jülich. Nach Untersuchung<br />

noch offener Fragen k<strong>an</strong>n<br />

gegebenenfalls mit einem klinischen<br />

Einsatz des Systems in zwei Jahren gerechnet<br />

werden (20). Die Frage der<br />

Gewebezüchtung aus Nabelschnurstammzellen<br />

mit unterschiedlichster Ziel-<br />

167


ichtung bietet außerordentliche Möglichkeiten.<br />

Adulte Stammzellen: Als adulte<br />

Stammzellen werden die Zellen bezeichnet,<br />

die in einem Org<strong>an</strong> für die Regeneration<br />

dieses Org<strong>an</strong>s zur Verfügung<br />

stehen und vom Org<strong>an</strong>ismus für<br />

diese Aufgabe vorgehalten werden.<br />

Diese Zellen wurden bisher als monopotent<br />

<strong>an</strong>gesehen, nur für die eine Aufgabe<br />

vorbereitet, ihr Org<strong>an</strong> regenerationsfähig<br />

zu halten.<br />

In den letzten zwei Jahren sind zahlreiche<br />

Ergebnisse berichtet worden, die<br />

jedoch auch für die adulten Stammzellen<br />

eine Multipotenz nachweisen. Nachdem<br />

tierexperimentell 2001 nachgewiesen<br />

werden konnte, dass Knochenmarkstammzellen<br />

nekrotische Muskelzellen<br />

nach Herzinfarkt ersetzen und Funktion<br />

sowie Überleben der Versuchstiere verbessern<br />

können (12, 21, 22, 27) wurde im<br />

Juli 2001 bereits von Strauer et al. (29)<br />

über sechs Knochenmarkstammzell-<br />

Tr<strong>an</strong>sfusionen bei Patienten mit Zust<strong>an</strong>d<br />

nach Infarkt berichtet.<br />

Mittlerweile hat die gleiche Arbeitsgruppe<br />

bereits 23 Patienten beh<strong>an</strong>delt,<br />

bei denen eigene Knochenmarkzellen<br />

über den Herzkatheter in die zerstörte<br />

Herzmuskelregion eingeleitet wurden<br />

und damit die Herzmuskelfunktion erhalten<br />

werden konnte. Revaskularisation<br />

und funktionelle Wiederherstellung<br />

von Infarktmyokard werden auch von<br />

Kocher et al. beschrieben (12, 13).<br />

Die Aufsehen erregenden Berichte<br />

folgten in den letzten Monaten. In der<br />

J<strong>an</strong>uarausgabe 2002 des „New Engl<strong>an</strong>d<br />

Journal of Medicine“ (26) wurde über<br />

acht männliche Patienten nach Herztr<strong>an</strong>spl<strong>an</strong>tation<br />

mit einem weiblichen<br />

Spenderherzen berichtet, bei denen<br />

aufgrund unterschiedlicher Todesursachen<br />

zwischen vier bis 552 Tage nach<br />

der Herztr<strong>an</strong>spl<strong>an</strong>tation eine Autopsie<br />

erfolgt war. Dabei zeigten sich auch<br />

hier Y-Chromosomen-positive Herzmuskelzellen<br />

in den weiblichen Spenderherzen.<br />

Dies k<strong>an</strong>n nur durch mit<br />

dem Blut in die Org<strong>an</strong>e her<strong>an</strong>gebrachten<br />

Stammzellen erklärt werden. Diese<br />

Ergebnisse führten zu einem „Editorial“<br />

(6) in der gleichen Ausgabe des<br />

New Engl<strong>an</strong>d of Medicine mit den Statements:<br />

„Methoden, Knochenmarkstammzellen<br />

systemisch <strong>an</strong>zuwenden,<br />

werden bereits in der klinischen Praxis<br />

168<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

erprobt.Therapieziele, die bisher in das<br />

Reich der Träume gehörten, sind jetzt<br />

realistische Ziele, die schon bald verwirklicht<br />

werden.“<br />

Wie bris<strong>an</strong>t die Thematik ist, zeigt,<br />

dass zwei Monate später in der Ausgabe<br />

vom 17. März 2002 des New Engl<strong>an</strong>d<br />

Journal über das Generieren von Hepatozyten<br />

und epithelialen Zellen<br />

durch periphere Blutstammzellen berichtet<br />

wird (14). Dies führte zu einem<br />

Editorial in der gleichen Ausgabe unter<br />

dem Thema „C<strong>an</strong> hum<strong>an</strong> hematopoietic<br />

stem cells become skin, Gut, or<br />

Liver Cells?“ (1). Experimentelle Ergebnisse<br />

zur Regeneration von Leberzellen<br />

aus Knochenmarkstammzellen<br />

liegen weiterhin vor (2, 9, 17, 23, 30).<br />

Auch das Generieren von Muskelzellen<br />

(8, 11, 18), Nierenzellen (10, 24),<br />

Alveolarepithel der Lungen (15) und<br />

Purkinje-Neuronen (25) aus Knochenmarkstammzellen<br />

ist mitgeteilt. Erfolgreiche<br />

Therapieversuche bei Morbus<br />

Parkinson durch Injektionen dopaminproduzierenderNervenstammzellen<br />

wurde aus der Gruppe A. Björklund<br />

(5) berichtet. Dabei wurden aus fetalem<br />

menschlichen Zwischenhirn gewonnene<br />

Stammzellen, die aus abortierten<br />

Feten zubereitet wurden, stereotaktisch<br />

injiziert. Die Erwartung ist berechtigt,<br />

dass auch hier die adulte Stammzelle<br />

des potenziellen Empfängers Möglichkeiten<br />

eröffnet.<br />

Weiterhin liegen Berichte über das<br />

Generieren von Knorpel- und Knochenzellen<br />

aus Blutstammzellen und<br />

darüber vor, dass in Fettzellgemischen,<br />

die bei kosmetischen Absaugverfahren<br />

von Bauchdeckenfett gewonnen wurden,<br />

Stammzellen generiert werden<br />

konnten, die Knochen-, Knorpel- und<br />

Muskelgewebe differenzierten.<br />

Die Untersuchung der Arbeitsgruppe<br />

von Catherine Verfaillie (31) beweist<br />

in exakter Versuchs<strong>an</strong>ordnung, dass aus<br />

isolierten Knochenmarkstammzellen<br />

Gewebe aller drei Grundgewebeschichten<br />

(Endo-, Meso- und Ektoderm) des<br />

Körpers gezüchtet werden können, und<br />

erhärtet so den Beweis der Multipotenz<br />

der adulten Stammzelle. Die adulte<br />

Stammzelle ist somit offensichtlich multipotent<br />

(16, 19). Dabei ist die Gesamtheit<br />

ihrer Möglichkeiten zur Differenzierung<br />

noch nicht <strong>an</strong>nähernd komplett<br />

erforscht.<br />

Möglichkeiten der Therapie<br />

❃ Org<strong>an</strong>ersatz und Knochenmarkersatz:<br />

Die Ersatztherapie mit Stammzellen<br />

findet in der Hämato-Onkologie seit<br />

Jahrzehnten statt. Bevor es möglich<br />

war, die Stammzellen aus dem peripheren<br />

Blut zu isolieren, wurde das Knochenmark<br />

durch multiple Punktionen<br />

eines Spenders in Narkose gewonnen.<br />

Seit der Stammzellgewinnung aus der<br />

Nabelschnur und dem peripheren Blut<br />

ist die Knochenmarktr<strong>an</strong>spl<strong>an</strong>tation<br />

prozentual deutlich rückläufig.<br />

❃ Org<strong>an</strong>ersatztherapie durch Stammzelltherapie:<br />

Die neuesten Daten zeigen, dass<br />

offensichtlich die hämatopoetische<br />

Stammzelle in der Lage ist, sich unter<br />

dem Einfluss von Org<strong>an</strong>gewebe oder<br />

bisher unbek<strong>an</strong>nter Faktoren in Herzmuskelzellen,<br />

Leberzellen, Epithelialzellen<br />

und neuronalen Zellen zu differenzieren.<br />

Ob dies dazu führt, dass<br />

Stammzellsuspensionen einem erkr<strong>an</strong>kten<br />

Org<strong>an</strong> direkt injiziert werden<br />

und dort immer sesshaft und in die org<strong>an</strong>spezifischen<br />

Zellen umgew<strong>an</strong>delt<br />

werden (homing), oder ob sie gegebenenfalls<br />

vorprogrammiert werden müssen,<br />

ist zurzeit noch offen.<br />

Noch im Versuchsstadium befindet<br />

sich der Einsatz von Nabelschnurstammzellen<br />

zur Senkung der Rate <strong>an</strong><br />

Hirnschädigung, insbesondere bei extrem<br />

früh geborenen Kindern (4).<br />

❃ Org<strong>an</strong>ersatz durch Tissue-Engineering:<br />

Eine weitere Möglichkeit bietet<br />

die Stammzelle in Form von Züchtung<br />

reimpl<strong>an</strong>tierbarer Körperzellen. Dazu<br />

gehören (bereits intensiv beforscht)<br />

die Generation von Hautzellen, zur<br />

Deckung von Hautdefekten, zum Beispiel<br />

nach Verbrennungen, aber auch<br />

für die Zukunft das Generieren von<br />

<strong>an</strong>deren Zellsystemen, beispielsweise<br />

Knorpelzellen für die Beh<strong>an</strong>dlung der<br />

Arthrose, und viele <strong>an</strong>dere Einsatzgebiete.<br />

Die bisher diskutierten Möglichkeiten<br />

des Org<strong>an</strong>ersatzes benutzen<br />

Stammzellen vom gleichen Spender. Sie<br />

sind also autolog. Die im Folgenden bei


der Tumortherapie zu besprechenden<br />

Stammzellen stammen von fremden<br />

Spendern, sie sind also allogen.<br />

❃ Tumortherapie mit Stammzellen:<br />

In der Tumortherapie wird ausgenutzt,<br />

dass allogen infundierte Fremdspender-Stammzellen<br />

als unerwünschte<br />

Wirkung zwar die Körperzellen des<br />

Empfängers (Spender gegen Wirt<br />

gleich Graft-versus-host-Reaktion) <strong>an</strong>greifen,<br />

aber auch als erwünschte Wirkung<br />

die Tumorzellen des Empfängers<br />

vernichten (Graft-versus-Tumor gleich<br />

Spende gegen Tumoreffekt). Es ist zu<br />

erwarten, dass mittels allogener Tr<strong>an</strong>spl<strong>an</strong>tation<br />

auch bei gewissen soliden<br />

Tumoren die Beseitigung einer minimalen<br />

residualen Erkr<strong>an</strong>kung möglich<br />

werden k<strong>an</strong>n.<br />

❃ Gewinnung von Nabelschnur- und<br />

adulten Stammzellen:<br />

Nabelschnurblutentnahme: Das Nabelschnurblut<br />

k<strong>an</strong>n nach der Geburt<br />

ohne jegliche Beeinträchtigung des<br />

Neugeborenen und der Mutter gesammelt<br />

und konserviert werden. Nach<br />

Abnabelung des Neugeborenen k<strong>an</strong>n<br />

die Nabelschnur unter sterilen Bedingungen<br />

punktiert und das in der Nabelschnur<br />

und Plazenta enthaltene Blut gesammelt<br />

werden. Es ist wichtig, dass das<br />

entnommene Nabelschnurblut innerhalb<br />

von 24 Stunden präpariert und in<br />

flüssigem Stickstoff kryokonserviert<br />

wird, entweder zur späteren allogenen<br />

Anwendung (ungerichtete Spende)<br />

oder zur familiär allogenen/autologen<br />

Anwendung (gerichtete Spende). Die<br />

Fähigkeit der Stammzellen, sich zu vermehren,<br />

nimmt ab, je länger das Blut<br />

unpräpariert bleibt.<br />

Die meisten der mit Stammzellen beh<strong>an</strong>delbaren<br />

Erkr<strong>an</strong>kungen erfordern<br />

zw<strong>an</strong>gsläufig eine Tr<strong>an</strong>spl<strong>an</strong>tation von<br />

körpereigenem Gewebe, das zum Zeitpunkt<br />

der Erkr<strong>an</strong>kung oft nicht zur Verfügung<br />

steht. Die individuelle Einlagerung<br />

von Nabelschnurblut umgeht dieses<br />

Problem durch lebensl<strong>an</strong>ge Konservierung<br />

von körpereigenen Stammzellen<br />

nach der Geburt. Diese Stammzel-<br />

Eine L<strong>an</strong>gversion des Textes sowie Literatur<strong>an</strong>gaben finden<br />

Sie auf den Internetseiten des Deutschen Ärzteblattes<br />

unter www.aerzteblatt.de/plus4102<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

len können dem Spender jederzeit auf<br />

Abruf zur Verfügung stehen (biologische<br />

Lebensversicherung).<br />

Das Problem der m<strong>an</strong>chmal zu geringen<br />

Zahl <strong>an</strong> Stammzellen im Nabelschnurblut,welche<br />

d<strong>an</strong>n für die Therapie<br />

zahlenmäßig nicht ausreichen, scheint<br />

durch die seit kurzem mögliche In-vitro-<br />

Exp<strong>an</strong>sion (Vermehrung im Labor)<br />

gelöst zu werden (7, 20). In den meisten<br />

Fällen stellt sich außerhalb der Onkologie<br />

die Frage autolog oder allogen nicht,<br />

sondern die Art der Anwendung ist, wie<br />

zum Beispiel das kommende Tissue-<br />

Engineering, zw<strong>an</strong>gsläufig in autologer<br />

Anwendung körpereigener Stammzellen<br />

günstiger. Die Einlagerung der<br />

Stammzellen k<strong>an</strong>n lebensrettend sein,<br />

umso mehr, als sie auch Beh<strong>an</strong>dlungsch<strong>an</strong>cen<br />

für Erkr<strong>an</strong>kungen darstellt,<br />

die üblicherweise erst in der zweiten<br />

Lebenshälfte auftreten.<br />

Gewinnung von hämatopoetischen<br />

Stammzellen bei<br />

Erwachsenen<br />

Grundsätzlich könnte <strong>an</strong> die Anwendung<br />

von Stammzellen aller Org<strong>an</strong>e<br />

für die oben erwähnten Therapiemöglichkeiten<br />

menschlicher Erkr<strong>an</strong>kungen<br />

gedacht werden. Für die praktische<br />

Anwendung bietet sich jedoch die offenbar<br />

multipotente hämatopoetische<br />

Stammzelle (die CD-34-Zelle) deshalb<br />

<strong>an</strong>, weil sie vergleichsweise einfach zu<br />

gewinnen beziehungsweise in ausreichender<br />

Zahl <strong>an</strong>zureichern ist.<br />

Die hämatopoetische Stammzelle ist<br />

durch das Oberflächen<strong>an</strong>tigen CD-34<br />

charakterisiert und mittels monoklonaler<br />

Antikörper qu<strong>an</strong>titativ zu bestimmen.<br />

Mittels Stimulationsfaktoren<br />

(zum Beispiel GCSF) bei Normalpersonen<br />

oder in der Regenerationsphase<br />

nach Zytostatikatherapie (bei gleichzeitiger<br />

Anwendung von Stimulationsfaktoren)<br />

können die CD-34-Zellen im<br />

peripheren Blut auf das Hundert- bis<br />

Tausendfache gesteigert werden. In<br />

dieser Phase gelingt es d<strong>an</strong>n leicht,<br />

durch Differenzialzentrifugation aus<br />

dem peripheren Blut den CD-34-<br />

Stammzell<strong>an</strong>teil auf die für eine Tr<strong>an</strong>spl<strong>an</strong>tation<br />

benötigte Zellzahl von über<br />

2 Mio./kg Körpergewicht <strong>an</strong>zureichern.<br />

D<strong>an</strong>ach können sie eingefroren und am<br />

Tag der Reinfusion aufgetaut und infundiert<br />

werden. Sie können aber auch<br />

unmittelbar nach Gewinnung in konzentrierter<br />

Zahl, zum Beispiel nach Infarkt<br />

und Zuständen nach Zellunterg<strong>an</strong>g,<br />

in <strong>an</strong>deren Org<strong>an</strong>en reinfundiert<br />

werden. Im Rahmen eines Tissue-Engineerings<br />

können sie in Zellkulturen<br />

zu <strong>an</strong>deren Org<strong>an</strong>zellen weiterentwickelt<br />

werden.<br />

Zusammenfassung<br />

Die dargestellten Untersuchungen in der<br />

Stammzellforschung mit Nabelschnurstammzellen<br />

und adulten Stammzellen<br />

weisen auf eine Multipotenz dieser<br />

Stammzellen hin. Die autolog <strong>an</strong>wendbare<br />

adulte Stammzelle und die Nabelschnurstammzelle<br />

wären als Zellersatz<br />

vieler Org<strong>an</strong>e körpereigen und damit<br />

ohne Gefahr von Abstoßungsreaktionen<br />

und von geringer Gefahr einer Tumorentstehung.<br />

Die neuesten Daten lassen<br />

deshalb die Annahme zu, dass in naher<br />

Zukunft die adulte Stammzelle und<br />

die Nabelschnurstammzelle den Zellersatz<br />

aller ausfallenden Org<strong>an</strong>e gewährleisten<br />

k<strong>an</strong>n. Damit würde die Arbeit<br />

mit embryonalen Stammzellen, welche<br />

ethisch bedenklich ist, in vielen experimentellen<br />

und therapeutischen Anwendungsmöglichkeiten<br />

ersetzt werden. Für<br />

die therapeutische Anwendung wäre<br />

d<strong>an</strong>n denkbar, dass<br />

a) das kostbare Nabelschnurblut nicht<br />

verworfen, sondern für verschiedenste<br />

Anwendungsbereiche kryokonserviert<br />

wird und<br />

b) die Erwachsenenstammzellen,wie<br />

jetzt schon in der Hämato-Onkologie,<br />

in großer Zahl für die einzelnen Anwendungsgebiete<br />

gewonnen oder aber<br />

bereits in einem Alter, in dem Vorinfektionen<br />

und Zellalterung mit Verlust<br />

von Entwicklungspotenz seltener sind,<br />

eingefroren (kryokonserviert) werden,<br />

zum Beispiel im Alter von 18 Jahren.<br />

Anschriften der Verfasser:<br />

Dr. med. Georg Döhmen<br />

IVF-Zentrum Mönchengladbach<br />

Von-Groote-Straße 175, 41066 Mönchengladbach<br />

E-Mail: info@kindwunsch.de<br />

Prof. Dr. med. H<strong>an</strong>s Edgar Reis<br />

Chefarzt der Medizinischen Klinik I<br />

Kliniken Maria Hilf GmbH, St. Fr<strong>an</strong>ziskus<br />

Viersener Straße 450, 41063 Mönchengladbach<br />

169


Heft 43, 25. Oktober 2002<br />

„1000Fragen“-Projekt<br />

Diskussion zur Bioethik<br />

Eine breite Öffentlichkeit soll sich mit Entwicklungen<br />

der modernen Medizin beschäftigen.<br />

Tausend Fragen statt vorschneller Antworten“ – mit diesem Ziel hat<br />

die Aktion Mensch am 10. Oktober das „1000Fragen“-Projekt gestartet.<br />

Denn bevor verbindliche Antworten gegeben würden, müssten<br />

erst die richtigen Fragen gestellt werden. Gesucht und gesammelt<br />

werden Fragen, die sich auch vor dem Hintergrund persönlicher<br />

Erfahrungen mit den Ch<strong>an</strong>cen und Risiken von Biotechnologie<br />

und den Entwicklungen in der modernen Medizin ausein<strong>an</strong>der setzen.<br />

Unter www.1000fragen. de findet m<strong>an</strong> umfassende Informationen<br />

und die Möglichkeit, seine eigene Frage zu stellen. Ab März<br />

kommenden Jahres werden die gesammelten Fragen auf Plakaten, in<br />

Anzeigen und Kino-Spots veröffentlicht und <strong>an</strong> die Ver<strong>an</strong>twortlichen<br />

in Politik, Wissenschaft und Wirtschaft übergeben. Infrage und<br />

zur Diskussion gestellt werden Themen wie Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik,<br />

Gentests, Klonen, die <strong>Forschung</strong> <strong>an</strong> Nichteinwilligungfähigen<br />

sowie Sterbehilfe.<br />

Heft 46, 15. November 2002<br />

Sollte es Gottes Wille sein, dass<br />

70 Prozent der Zellen nicht geboren<br />

werden?“ fragte der Berliner Theologieprofessor<br />

Richard Schröder provozierend<br />

die 120 Delegierten, die<br />

auf der Synode der Ev<strong>an</strong>gelischen Kirche<br />

in Deutschl<strong>an</strong>d (EKD) im Ostseebad<br />

Timmendorfer Str<strong>an</strong>d das diesjährige<br />

Schwerpunktthema „Was ist der<br />

Mensch?“ beh<strong>an</strong>delten. „Und werden<br />

wir irgendw<strong>an</strong>n kaum nachweisbare<br />

Zellen beerdigen?“ Solche absurden<br />

Fragen möchte er sich auch in Zukunft<br />

nicht stellen. Schröder sprach sich vor<br />

dem höchsten „gesetzgebenden“ Gremium<br />

der EKD, das 26,6 Millionen ev<strong>an</strong>gelische<br />

Christen in Deutschl<strong>an</strong>d vertritt,<br />

für einen gestuften <strong>Embryonen</strong>schutz<br />

aus. Zwar gehe jeder Mensch aus einer<br />

170<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

Heft 45, 8. November 2002<br />

<strong>Dokumentation</strong><br />

EKD-Erklärung „Was ist der Mensch?“<br />

Das Wesen in der<br />

Petrischale ernst nehmen<br />

Die Synode der Ev<strong>an</strong>gelischen Kirche Deutschl<strong>an</strong>ds<br />

legt eine Erklärung vor. Umstritten bleibt nach wie vor<br />

die Frage des <strong>Embryonen</strong>schutzes.<br />

Stellungnahme zur <strong>PID</strong><br />

Ergänzende Äußerung des Wissenschaftlichen Beirats<br />

im Internet<br />

Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesärztekammer (BÄK) hält <strong>an</strong> seiner Position<br />

fest, „wonach die Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik (<strong>PID</strong>) im Einzelfall bei Verdacht auf die<br />

Entstehung einer schwerwiegenden genetischen Erkr<strong>an</strong>kung in engen Grenzen und<br />

unter Einhaltung strikter Verfahrensregeln aus medizinischen, ethischen und rechtlichen<br />

Gesichtspunkten vertretbar ist“. Die kontroverse Diskussion habe gezeigt, dass<br />

eine rechtliche Klärung der Zulässigkeit der <strong>PID</strong> durch den Gesetzgeber notwendig sei,<br />

heißt es weiter in einer „Ergänzenden Stellungnahme des Wissenschaftlichen Beirats<br />

zum Diskussionsentwurf zu einer Richtlinie zur Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik“. Der 105.<br />

Deutsche Ärztetag 2002 in Rostock hatte allerdings eine Entschließung verabschiedet,<br />

die auf ein gesetzliches Verbot der <strong>PID</strong> zielt (siehe DÄ, Heft 24/2002). Der Vorst<strong>an</strong>d<br />

der BÄK hat sich bisher keine abschließende Meinung zur <strong>PID</strong> gebildet. Er sprach sich<br />

auf seiner Sitzung am 18. Oktober jedoch dafür aus, im Interesse der allseitigen<br />

Diskussion die „Ergänzende Stellungnahme“ in die umfassende <strong>Dokumentation</strong><br />

des Deutschen Ärzteblattes „<strong>PID</strong>, <strong>PND</strong>, <strong>Forschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Embryonen</strong>“ zu integrieren, die<br />

im Internet abrufbar ist unter www. aerzteblatt.de/pid.<br />

befruchteten Eizelle hervor,fügte er hinzu,<br />

aber nicht aus jeder befruchteten Eizelle<br />

werde ein Mensch.Dagegen warnte<br />

Wolfg<strong>an</strong>g Huber, Bischof in Berlin-<br />

Br<strong>an</strong>denburg und Mitglied im Nationalen<br />

Ethikrat, in der Diskussion über den<br />

vorbereiteten Entwurf davor, aus dem<br />

Abgehen natürlich gezeugter Zellen auf<br />

bioethische Grundsätze zu schließen,<br />

und forderte, „gerade die Beziehung zu<br />

dem Wesen, das wir in der Petrischale<br />

herstellen, sehr ernst zu nehmen“.<br />

Ethischer Fundamentaldissens, der<br />

die Grundlagen des gesellschaftlichen<br />

Zusammenlebens berührt, oder Ausdruck<br />

des Pluralismus, wie er innerhalb<br />

der Kirche akzeptiert werden k<strong>an</strong>n?<br />

Die Protest<strong>an</strong>ten sind sich in der Beurteilung<br />

des schwelenden Konfliktes<br />

selbst nicht einig. Im Eing<strong>an</strong>gsreferat<br />

hatte sich Wilfried Härle,Theologieprofessor<br />

in Heidelberg und als Experte <strong>an</strong><br />

der „Kundgebung“ gen<strong>an</strong>nten Stellungnahme<br />

beteiligt, eindeutig für den<br />

Schutz des beginnenden Lebens von<br />

der Befruchtung <strong>an</strong> ausgesprochen und<br />

damit die Diskussion <strong>an</strong>gestoßen. „In<br />

diesem Prozess der Entwicklung als<br />

Mensch gibt es keine Zäsur, <strong>an</strong> der aus<br />

einem bloßen Zellhaufen erst ein<br />

Mensch würde“, betonte Härle.<br />

Aber auf bioethische Fragen wollten<br />

die Synodalen ihr Schwerpunktthema<br />

nicht reduzieren.Anregen ließen sich die<br />

Kirchenparlamentarier für ihre Diskussion<br />

von der Meinungsforscherin Renate<br />

Köcher. Die Leiterin des Instituts für<br />

Demoskopie Allensbach brachte eine<br />

nüchterne Analyse heutiger Einstellungen,<br />

Wünsche und Ängste. Der Mensch<br />

denke in individuellen Kosten-Nutzen-<br />

Kategorien, nicht so sehr in ethischen<br />

Dimensionen, konstatierte sie. Eine tiefer<br />

gehende Ausein<strong>an</strong>dersetzung mit<br />

ethischen oder religiösen Themen fände<br />

nicht statt, und wenn, d<strong>an</strong>n nur in eng<br />

begrenzten Zirkeln. Vielmehr meinten<br />

die Bürger, dass der medizinische Fortschritt<br />

in den nächsten Jahren bahnbrechende<br />

Erfolge zeitigen werde. „Wenn<br />

ein gravierender Nutzen zu erwarten ist,<br />

zum Beispiel Erfolge bei der Bekämp-


fung schwerer Kr<strong>an</strong>kheiten, d<strong>an</strong>n wiegt<br />

das für die meisten schwerer als <strong>an</strong>dere<br />

Bedenken“, sagte die Meinungsforscherin.<br />

So plädierten laut Köcher knapp<br />

zwei Drittel dafür, die <strong>Forschung</strong> zu forcieren,<br />

bei der Eingriffe in die Erb<strong>an</strong>lagen<br />

zur Bekämpfung von Erbkr<strong>an</strong>kheiten<br />

vorgenommen werden.<br />

In der d<strong>an</strong>n folgenden Debatte zeigte<br />

sich, wie schwer fassbar das Thema ist.<br />

Letztlich verabschiedeten die Synodalen<br />

mit großer Mehrheit ein Papier, das philosophisch<br />

und theologisch fundiert besonders<br />

auf den Schutz der Menschenwürde<br />

abhebt. Ob in der <strong>Forschung</strong>, im<br />

Zusammenleben, bei der Pflege, bei Behinderten<br />

oder im Wirtschaftsleben, die<br />

EKD sieht derzeit in vielen Lebensbereichen<br />

die Würde des Menschen gefährdet.<br />

Zwar bejaht die Erklärung ausdrücklich<br />

medizinische <strong>Forschung</strong>, die<br />

der Minderung oder Vermeidung von<br />

unnötigem Leiden, der Suche nach<br />

neuen Heilungsmöglichkeiten und der<br />

Verbesserung der menschlichen Lebensqualität<br />

dienen könnten, lehnt<br />

aber alle Methoden der <strong>Forschung</strong><br />

oder Therapie ab, „durch die Menschen<br />

bloß als Mittel für die Heilungsch<strong>an</strong>cen<br />

<strong>an</strong>derer gebraucht werden“. Verändernde<br />

Eingriffe in das Erbgut des<br />

Menschen dürfe es nicht geben.<br />

Menschen mit Behinderung müssten<br />

auch in Zukunft einen <strong>an</strong>erk<strong>an</strong>nten Platz<br />

in der Gesellschaft haben, fordern die<br />

Synodalen. Anlass zu großer Besorgnis<br />

gibt ihnen, dass eine aufgrund von vorgeburtlicher<br />

Diagnostik festgestellte Behinderung<br />

inzwischen fast selbstverständlich<br />

zum Grund für einen Schw<strong>an</strong>gerschaftsabbruch<br />

werde. Die Erklärung spricht<br />

sich dezidiert gegen Schritte in Richtung<br />

auf eugenische Selektion – etwa aufgrund<br />

einer Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik – aus.<br />

Ein klares Nein zu niederländischen<br />

Verhältnissen bringt das Papier in Sachen<br />

Sterbehilfe. Hospizbewegung und<br />

Palliativmedizin sollten unterstützt und<br />

gefördert werden. „Dazu gehört auch<br />

die ärztliche Weisheit, die erkennt,<br />

w<strong>an</strong>n es geboten ist, im Einvernehmen<br />

mit Patienten und Angehörigen auf<br />

medizinisch noch mögliche Maßnahmen<br />

zur Lebensverlängerung zu verzichten“,<br />

so die Erklärung. Die strittige<br />

Frage, w<strong>an</strong>n das Menschsein und damit<br />

die Schutzwürdigkeit beginnt, lässt der<br />

Text offen. Dorthe Kieckbusch<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

Heft 51–52, 2<strong>3.</strong> Dezember 2002<br />

Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik als Option<br />

Differenzierte Meinung<br />

der Behinderten-Vertreter<br />

Der Nationale Ethikrat fragte nach gesellschaftlichen Folgen.<br />

Mukoviszidose-Patienten stellt m<strong>an</strong><br />

sich <strong>an</strong>ders vor als Steph<strong>an</strong><br />

Kruip. Der 37-jährige Diplom-<br />

Physiker, Vater dreier Kinder, sitzt im<br />

lichten Saal des „dbb forum berlin“, wo<br />

am 1<strong>3.</strong> Dezember der Nationale Ethikrat<br />

tagt. Dort erläutert Kruip, Vorst<strong>an</strong>dsmitglied<br />

von Mukoviscidose e.V.,<br />

mit <strong>an</strong>deren Vertretern von Behindertenorg<strong>an</strong>isationen<br />

seine Position zum<br />

Thema „Genetische Diagnostik vor<br />

und während der Schw<strong>an</strong>gerschaft“.<br />

Mukoviszidose werde häufig als Paradebeispiel<br />

für eine Kr<strong>an</strong>kheit <strong>an</strong>geführt,<br />

die m<strong>an</strong> mithilfe der Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

(<strong>PID</strong>) verhindern könne,<br />

sagt Kruip. Er sei in seinem Selbstwertgefühl<br />

nicht gekränkt, weil es eine<br />

solche Methode gebe und m<strong>an</strong>che Paare<br />

sich ihre Anwendung wünschten. Er<br />

sorge sich jedoch, dass die medizinische<br />

Versorgung für chronisch Kr<strong>an</strong>ke mit<br />

genetischen Defekten schlechter werde,<br />

wenn m<strong>an</strong> die <strong>PID</strong> in Deutschl<strong>an</strong>d<br />

erlaube. Denn d<strong>an</strong>n ließe sich leichter<br />

sagen: „Das muss doch heute nicht<br />

mehr sein.“<br />

Kruip weist gleichzeitig darauf hin,<br />

dass dies in mehrerer Hinsicht eine unzulässige<br />

Schlussfolgerung sei. Jährlich<br />

würden rund 200 Kinder in Deutschl<strong>an</strong>d<br />

geboren, die <strong>an</strong> Mukoviszidose leiden,<br />

ohne dass die Eltern eine Ahnung<br />

von dieser Ver<strong>an</strong>lagung gehabt hätten.<br />

Wer eine <strong>PID</strong> erwäge, habe in der Regel<br />

bereits ein Mukoviszidose-Kind. Trotz<br />

der Belastungen empfänden die Eltern<br />

ihr Leben und das ihres Kindes als lebenswert.<br />

Falls m<strong>an</strong> Mukoviszidose als<br />

zulässige Indikation für eine <strong>PID</strong> auf eine<br />

entsprechende Liste setzen würde,<br />

würde dies „einen Sturm der Entrüstung<br />

auslösen“, betont Kruip. Seine<br />

Org<strong>an</strong>isation lehnt das Verfahren<br />

gleichwohl nicht völlig ab. Im Verein gebe<br />

es Paare mit Kinderwunsch, die die<br />

<strong>PID</strong> einer „Schw<strong>an</strong>gerschaft auf Probe“<br />

vorziehen würden: „Diese wollen<br />

wir ernst nehmen.“<br />

Ernst ist die Atmosphäre während<br />

der mehrstündigen Anhörung des<br />

Ethikrates. Neben Kruip schildern sieben<br />

weitere Sachverständige <strong>an</strong>schaulich,<br />

wie unterschiedlich Behinderte<br />

diagnostische Möglichkeiten wahrnehmen<br />

und bewerten, die ihr Leben mit<br />

großer Wahrscheinlichkeit verhindert<br />

hätten, und wie Familien und Berater<br />

damit umgehen. „Das muss doch<br />

nicht sein“, sei nicht nur die Meinung<br />

von Lieschen Müller, gibt die Ärztin<br />

Je<strong>an</strong>ne Nicklas-Faust zu bedenken. Sie<br />

engagiert sich in der Bundesvereinigung<br />

Lebenshilfe für Menschen mit<br />

geistiger Behinderung e.V.<br />

Dammbruch schon durch <strong>PND</strong><br />

Nicklas-Faust weist darauf hin, dass bereits<br />

die Pränataldiagnostik (<strong>PND</strong>) den<br />

Umg<strong>an</strong>g mit Behinderung verändert habe.<br />

Menschen mit einem Down-Syndrom<br />

zum Beispiel nähmen sehr wohl<br />

wahr, dass bei Ungeborenen vor allem<br />

nach dieser Behinderung gesucht werde.<br />

Ähnlich sieht es Günter Graum<strong>an</strong>n<br />

von der <strong>PID</strong>-Betroffenen-Initiative:<br />

„Die <strong>PND</strong> ist jetzt schon ein flexibles<br />

Selektionsinstrument.“ Insofern sei <strong>PID</strong><br />

„kein so großer Neuerungsschritt“. Das<br />

ist umstritten. Zwar herrscht bei den<br />

Sachverständigen Einigkeit, dass wohl<br />

zunächst nur wenig Paare ein so belastendes<br />

Verfahren auf sich nehmen würden.<br />

„Der normative Druck auf Frauen<br />

wird steigen“,glaubt aber Nicklas-Faust.<br />

Sie vermutet, dass Staat und Gesellschaft<br />

sich immer weniger solidarisch<br />

mit Eltern behinderter Kinder verhalten<br />

würden, deren Existenz zu verhindern<br />

gewesen wäre. Sabine Rieser<br />

171


<strong>3.</strong>, <strong>erweiterte</strong> Auflage<br />

der <strong>Dokumentation</strong><br />

<strong>PID</strong>, <strong>PND</strong>, <strong>Forschung</strong><br />

<strong>an</strong> <strong>Embryonen</strong><br />

Aufsätze<br />

Berichte<br />

Diskussionsbeiträge<br />

Kommentare<br />

im Deutschen Ärzteblatt<br />

Beiträge aus 2003<br />

www.aerzteblatt.de/dossiers/embryonenforschung


V O R W O R T<br />

Als das Deutsche Ärzteblatt im Jahr 2002 seine<br />

<strong>erweiterte</strong> <strong>Dokumentation</strong> zu embryonaler<br />

Stammzellforschung, pränataler Diagnostik<br />

(<strong>PND</strong>) und Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

(<strong>PID</strong>) vorlegte, war die Diskussion über diese<br />

Themen in vollem G<strong>an</strong>ge. Ein Ende ist nach wie<br />

vor nicht in Sicht. Ausgelöst wurde der öffentliche<br />

Diskurs durch den vom Vorst<strong>an</strong>d der Bundesärztekammer<br />

vorgelegten „Diskussionsentwurf<br />

zu einer Richtlinie zur Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik“<br />

im März 2000.<br />

Von Anf<strong>an</strong>g <strong>an</strong> hat sich das Deutsche Ärzteblatt<br />

<strong>an</strong> der Debatte beteiligt und die unterschiedlichsten<br />

Stimmen zu Wort kommen lassen. In einem<br />

Sonderdruck aus dem Jahr 2001 wurden diese<br />

Beiträge, beginnend mit dem Diskussionsentwurf,<br />

zusammengefasst. Unmerklich verlagerte<br />

sich der Schwerpunkt d<strong>an</strong>n von der Diskussion<br />

über die Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik zur <strong>Forschung</strong><br />

<strong>an</strong> und mit <strong>Embryonen</strong> und zur Gewin-<br />

nung von Stammzellen. Die<br />

Meinungsbildung in der Ärzteschaft<br />

spiegelt sich in der<br />

Berichterstattung und Kommentierung<br />

des Deutschen<br />

Ärzteblattes wider,wie die ein<br />

Jahr später publizierte Materialsammlung beweist.Auch<br />

dieser Sonderdruck war – ebenso wie<br />

die erste Auflage – schnell vergriffen.<br />

Inzwischen sind im Deutschen Ärzteblatt zahlreiche<br />

weitere Beiträge zu der Thematik erschienen.<br />

Darin wird deutlich, dass nach wie vor großer<br />

Diskussionsbedarf besteht. So berichtete das DÄ<br />

beispielsweise über die Beschlusslage zur internationalen<br />

Klonkonvention. Bisher gibt es noch keine<br />

Einigung.Im November 2003 gingen die Vertreter<br />

der UN-Mitgliedstaaten ergebnislos ausein<strong>an</strong>der,<br />

sie verschoben die Verh<strong>an</strong>dlungen um weitere<br />

zwei Jahre. Es geht immer noch um die Frage, ob<br />

nur das reproduktive Klonen oder auch das therapeutische<br />

Klonen weltweit geächtet werden<br />

soll. Inzwischen ist es einem Team der südkore<strong>an</strong>ischen<br />

Nationaluniversität Seoul gelungen,<br />

menschliche <strong>Embryonen</strong> zu klonen. Als „Durchbruch<br />

in der Medizin“ haben die Forscher ihr Ex-<br />

Ein Ende der Diskussion<br />

über Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

und <strong>Embryonen</strong>forschung<br />

ist nicht in Sicht.<br />

174<br />

Dossier zur <strong>Embryonen</strong>forschung<br />

<strong>PID</strong>, <strong>PND</strong>, <strong>Forschung</strong> <strong>an</strong><br />

<strong>Embryonen</strong><br />

Das Deutsche Ärzteblatt gibt eine <strong>erweiterte</strong> <strong>Dokumentation</strong><br />

heraus, die im Internet abgerufen werden k<strong>an</strong>n.<br />

periment bezeichnet. Auf seiner Basis wollen sie<br />

Ersatzgewebe „therapeutisch klonen“, um Kr<strong>an</strong>ke<br />

zu heilen. Für Kritiker ist dieser Menschenversuch<br />

Anlass, noch vehementer ein internationales Klonverbot<br />

zu fordern. Doch die Haltung Deutschl<strong>an</strong>ds<br />

ist uneinheitlich. Während sich der Bundestag für<br />

ein absolutes Klonverbot ausgesprochen hatte,<br />

unterstützte die Regierung dies nicht. Während<br />

Bundesforschungsministerin Edelgard Bulmahn<br />

betonte, dass das therapeutische Klonen in<br />

Deutschl<strong>an</strong>d verboten sei und<br />

es auch bleibe, sprach sich<br />

Bundesjustizministerin Brigitte<br />

Zypries vor kurzem für<br />

eine Lockerung des <strong>Embryonen</strong>schutzgesetzes<br />

aus. Dies<br />

stieß auf teilweise scharfe Kritik<br />

aus der Ärzteschaft, bei Kirchen, aber auch Politikern.Ausführlich<br />

berichtet wurde im Deutschen<br />

Ärzteblatt auch über die Pläne der EU-Kommission,<br />

die <strong>Forschung</strong> <strong>an</strong> embryonalen Stammzellen<br />

mit Milliardensummen fin<strong>an</strong>ziell zu fördern.<br />

Im Bereich der pränatalen Diagnostik besteht<br />

ebenfalls weiterhin Klärungsbedarf. So werden<br />

zunehmend Forderungen erhoben, die Abtreibungsregelung<br />

zu ändern, da durch den Wegfall<br />

der embryopathischen Indikation Spätabtreibungen<br />

bis zur Geburt möglich geworden sind.<br />

Die Beiträge der DÄ-Redakteurinnen und<br />

-Redakteure zu diesen Themen sowie Aufsätze<br />

und Kommentare von Ärzten, Wissenschaftlern<br />

und Theologen mit teilweise konträren Ansichten<br />

sind in dieser <strong>erweiterte</strong>n <strong>Dokumentation</strong> veröffentlicht.<br />

Sie ist inzwischen so umf<strong>an</strong>greich geworden,<br />

dass eine Publikation als Sonderdruck<br />

den Rahmen sprengen würde, sodass sich die Redaktion<br />

entschlossen hat, sie online zu veröffentlichen.<br />

Zusätzlich können unter <strong>an</strong>derem<br />

auch der Diskussionsentwurf zu einer Richtlinie<br />

zur Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik, wichtige Gesetze,<br />

wie das <strong>Embryonen</strong>schutzgesetz und das<br />

Stammzellgesetz, Positionspapiere und Stellungnahmen<br />

sowie die Entschließungen der Deutschen<br />

Ärztetage zu dieser Thematik abgerufen<br />

werden. Gisela Klinkhammer<br />

Die Meinungsbildung in der<br />

Ärzteschaft spiegelt sich in<br />

der Berichterstattung und<br />

Kommentierung des Deutschen<br />

Ärzteblattes wider.


Als der Vorst<strong>an</strong>d der Bundesärztekammer<br />

den „Diskussionsentwurf zu einer<br />

Richtlinie zur Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik“<br />

vorlegte, rief er zugleich zu einem<br />

öffentlichen Diskurs auf. Der läuft seit<br />

nunmehr rund eineinhalb Jahren und<br />

hat einen kaum noch fassbaren Niederschlag<br />

in der Presse gefunden. Inzwischen<br />

bringen auch Funk und Fernsehen<br />

fast täglich Diskussionen nicht mehr<br />

nur zur Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

(<strong>PID</strong>), sondern auch zur <strong>Embryonen</strong>forschung.<br />

Das Deutsche Ärzteblatt hat sich<br />

von Anf<strong>an</strong>g <strong>an</strong> <strong>an</strong> dem Diskurs beteiligt<br />

und die unterschiedlichsten Stimmen<br />

zu Wort kommen lassen. In diesem<br />

Sonderdruck sind diese Beiträge, beginnend<br />

mit dem Diskussionsentwurf,<br />

zusammengefasst. Die Redaktion hat<br />

sich sehr um Vollständigkeit bemüht,<br />

gleichwohl k<strong>an</strong>n nicht ausgeschlossen<br />

werden, dass vielleicht ein Leserbrief<br />

oder eine kleinere Notiz fehlen. Die<br />

Diskussion ist im Übrigen keineswegs<br />

abgeschlossen. Weitere Beiträge für<br />

spätere Hefte des Deutschen Ärzteblattes<br />

sind in Satz – Stoff genug für eine<br />

allfällige <strong>erweiterte</strong> Auflage des Sonderdrucks.<br />

Der <strong>Dokumentation</strong> der im Deutschen<br />

Ärzteblatt erschienenen Beiträge<br />

sind vor<strong>an</strong>gestellt ein Interview mit dem<br />

Präsidenten der Bundesärztekammer<br />

und des Deutschen Ärztetages, geführt<br />

im Vorfeld des in diesen Tagen beginnenden<br />

104. Deutschen Ärztetages, sowie<br />

der Bericht über die einschlägige<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

Vorwort zur 1. Auflage<br />

Beiträge zum Diskurs<br />

Diskussion beim vor<strong>an</strong>geg<strong>an</strong>genen 10<strong>3.</strong><br />

Deutschen Ärztetag.<br />

Im Grunde genommen müsste eine<br />

vollständige <strong>Dokumentation</strong> über die<br />

Auffassungen der Ärzteschaft in der mit<br />

Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik zusammenhängenden<br />

Thematik weitaus früher beginnen,<br />

zumindest mit dem 88. Deutschen<br />

Ärztetag, der 1985 in Lübeck-Travemünde<br />

seine Haltung zur In-vitro-Fertilisation<br />

(IVF) formulierte. Bereits damals<br />

wurden die daraus entstehenden<br />

Probleme der <strong>Embryonen</strong>forschung klar<br />

erk<strong>an</strong>nt, der Umg<strong>an</strong>g mit den so gen<strong>an</strong>nten<br />

überzähligen <strong>Embryonen</strong> diskutiert.<br />

Der Ärztetag sprach sich schließlich<br />

mit großer Mehrheit zugunsten von IVF<br />

aus. Zur <strong>Embryonen</strong>forschung stellte er<br />

fest: „Experimente mit <strong>Embryonen</strong> sind<br />

grundsätzlich abzulehnen, soweit sie<br />

nicht der Verbesserung der Methode<br />

oder dem Wohle des Kindes dienen.“<br />

Diese Formulierung war ein wenig strenger<br />

als die Vorst<strong>an</strong>dsvorlage, entsprach<br />

aber noch einer zugleich vorgelegten<br />

Richtlinie des Wissenschaftlichen Beirates<br />

der Bundesärztekammer zur IVF (veröffentlicht<br />

in Heft 22/1985), die der Ärztetag<br />

pauschal „begrüßte“. In einer weiteren<br />

Richtlinie äußerte sich der Wissenschaftliche<br />

Beirat später, ohne Zutun des<br />

Ärztetages, zur <strong>Forschung</strong> <strong>an</strong> frühen<br />

menschlichen <strong>Embryonen</strong> (veröffentlicht<br />

in Heft 50/1985). D<strong>an</strong>ach dürfen<br />

menschliche <strong>Embryonen</strong> „grundsätzlich“<br />

nicht mit dem Ziel der Verwendung<br />

zu <strong>Forschung</strong>szwecken erzeugt werden.<br />

Mit der Formel „grundsätzlich“ wurden<br />

Impressum <strong>Dokumentation</strong> „<strong>PID</strong>, <strong>PND</strong>, <strong>Forschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Embryonen</strong>“<br />

Chefredakteur: Norbert Jachertz, Köln<br />

(ver<strong>an</strong>twortlich für den Gesamtinhalt im Sinne der<br />

gesetzlichen Bestimmungen)<br />

Chefs vom Dienst: Gisela Klinkhammer, Herbert Moll<br />

Redaktion: Norbert Jachertz, Gisela Klinkhammer, Michael Schmedt (Internet)<br />

Technische Redaktion: Jörg Kremers, Michael Peters<br />

Schlussredaktion: Helmut Werner<br />

Verlag: Deutscher Ärzte-Verlag GmbH, Köln<br />

erhebliche Sp<strong>an</strong>nungen innerhalb des<br />

Beirates zu dieser Frage überdeckt. Die<br />

Richtlinien sprechen sich hingegen eindeutig<br />

für Untersuchungen, die der<br />

Verbesserung der Lebensbedingungen<br />

des jeweiligen Embryos und gleichzeitig<br />

dem wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn<br />

dienen,aus,sofern Nutzen und Risiken<br />

mitein<strong>an</strong>der sorgfältig abgewogen<br />

werden.<br />

Der 91. Deutsche Ärztetag beschloss<br />

1988 in Fr<strong>an</strong>kfurt eine Änderung der<br />

(Muster-)Berufsordnung. Die Delegierten<br />

entschieden sich für einen Mittelweg:<br />

Die Erzeugung von <strong>Embryonen</strong> für<br />

<strong>Forschung</strong>szwecke wurde untersagt und<br />

dem ein weiterer Satz hinzugefügt:<br />

„Grundsätzlich verboten ist auch die<br />

<strong>Forschung</strong> <strong>an</strong> menschlichen <strong>Embryonen</strong>.“<br />

Bei Einhaltung strikter Kriterien<br />

wurden allerdings <strong>Forschung</strong>en für<br />

zulässig gehalten,sofern sie der Deklaration<br />

von Helsinki entsprechen.<br />

Machen wir einen Sprung zum 100.<br />

Deutschen Ärztetag 1997 in Eisenach.<br />

Die damals neu strukturierte, bis heute<br />

geltende (Muster-)Berufsordnung verbietet<br />

gleichfalls die Erzeugung von menschlichen<br />

<strong>Embryonen</strong> zu <strong>Forschung</strong>szwecken.Verboten<br />

sind ferner diagnostische<br />

Maßnahmen <strong>an</strong> <strong>Embryonen</strong>, „es sei<br />

denn, es h<strong>an</strong>delt sich um Maßnahmen<br />

zum Ausschluss schwerwiegender geschlechtsgebundener<br />

Erkr<strong>an</strong>kungen im<br />

Sinne § 3 <strong>Embryonen</strong>schutzgesetz“.<br />

Und das gehört der Vollständigkeit<br />

halber dazu: Seit 1991 gilt das <strong>Embryonen</strong>schutzgesetz<br />

mit seinen strengen<br />

Regeln – strengeren als sie 1985 von der<br />

ärztlichen Selbstverwaltung und ihren<br />

wissenschaftlichen Beratern formuliert<br />

worden waren. Norbert Jachertz<br />

175


176<br />

I N H A L T<br />

<strong>Dokumentation</strong> in chronologischer Reihenfolge<br />

Vorwort zur <strong>3.</strong> Auflage:<br />

<strong>PID</strong>, <strong>PND</strong>, <strong>Forschung</strong> <strong>an</strong> <strong>Embryonen</strong>. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174<br />

Vorwort zur 1. Auflage:<br />

Beiträge zum Diskurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175<br />

Beiträge aus dem Jahr 2003<br />

Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik:<br />

Konflikte programmiert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177<br />

Samir Rabbata<br />

Nationaler Ethikrat zur <strong>PID</strong>: Pragmatismus. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177<br />

Samir Rabbata<br />

Ethikkommissionen: Verwirrende Vielfalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180<br />

Gisela Klinkhammer<br />

Menschenwürde: „Dasein um seiner selbst willen“ . . . . . . . . . . . . 181<br />

Prof. (em.) Dr. iur. Dr. phil. Ernst-Wolfg<strong>an</strong>g Böckenförde<br />

Europäisches Parlament:<br />

Strenge St<strong>an</strong>dards für die Gewebespende. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185<br />

Klaus Koch<br />

1. Ökumenischer Kirchentag:<br />

„Den Sterbenden ein Segen sein“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186<br />

Dr. med. D<strong>an</strong>iel Rühmkorf<br />

Pränatale Diagnostik:<br />

Engere Grenzen für Spätabtreibungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188<br />

Gisela Klinkhammer<br />

Stammzellforschung:<br />

„Verletzung der Menschenwürde“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190<br />

Gisela Klinkhammer<br />

Rechtsgutachten: <strong>Forschung</strong> mit Stammzellen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191<br />

Stammzellforschung: Nicht mit EU-Geldern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191<br />

<strong>Embryonen</strong>schutz: Anstößig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191<br />

Gisela Klinkhammer<br />

Nationales Genomforschungsnetz:<br />

Als „einzigartig“ evaluiert. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192<br />

Dr. med. Eva A. Richter-Kuhlm<strong>an</strong>n<br />

Der Umg<strong>an</strong>g mit vorgeburtlichem Leben:<br />

Regeln und Ausnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193<br />

Gisela Klinkhammer<br />

EU-<strong>Forschung</strong>spolitik: Ethische Nagelprobe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195<br />

Dr. med. Eva A. Richter-Kuhlm<strong>an</strong>n


Heft 1-2, 6. J<strong>an</strong>uar 2003<br />

Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

Knapp ein Jahr nach der heftig geführten<br />

Debatte über die Einfuhr<br />

embryonaler Stammzellen und der<br />

Entscheidung des Gesetzgebers, einen<br />

solchen Import unter Auflagen zu erlauben,<br />

zeichnet sich ein weiteres bioethisches<br />

Konfliktfeld ab. Noch in dieser Legislaturperiode<br />

dürfte der Bundestag<br />

über die Zulässigkeit von Gentests <strong>an</strong><br />

<strong>Embryonen</strong>, der Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

(<strong>PID</strong>), entscheiden.<br />

Wie bei der Stammzellfrage scheint<br />

auch im Streit um die <strong>PID</strong> eine Diskussion<br />

quer durch alle gesellschaftlichen<br />

Gruppen programmiert. Längst rüsten<br />

sich Politiker, Ethik-Experten und Ärzte<br />

für die Ausein<strong>an</strong>dersetzung um das<br />

hochbris<strong>an</strong>te Thema. So laufen im Bundestag<br />

die Pl<strong>an</strong>ungen für die Neuauflage<br />

einer entsprechenden Enquete-<br />

Kommission auf Hochtouren. Schon<br />

Ende J<strong>an</strong>uar will sich der Nationale<br />

Ethikrat zu Wort melden. Beobachter<br />

glauben,dass sich das Gremium für eine<br />

begrenzte Zulassung der umstrittenen<br />

Diagnostik aussprechen wird.<br />

Eindeutig positioniert hat sich dagegen<br />

der 105. Deutsche Ärztetag im Mai<br />

verg<strong>an</strong>genen Jahres in Rostock. Er kam<br />

zu dem Ergebnis, dass die <strong>PID</strong> ethisch<br />

nicht vertretbar und medizinisch höchst<br />

fragwürdig sei.Vor Journalisten in Berlin<br />

bekräftigte jetzt der Präsident der Bundesärztekammer,<br />

Prof. Dr. med. Jörg-<br />

Dietrich Hoppe, die restriktive Haltung<br />

der Ärzteschaft:„Wir plädieren nach wie<br />

vor für ein Verbot der <strong>PID</strong>.“<br />

Nach Einschätzung Hoppes ist das<br />

Missbrauchspotenzial der <strong>PID</strong> zu groß.<br />

Eine Begrenzung auf wenige Fälle erscheine<br />

kaum möglich und könne nicht<br />

gar<strong>an</strong>tiert werden. Erfahrungen aus dem<br />

Ausl<strong>an</strong>d zeigten, dass der Kreis derjenigen,<br />

die <strong>PID</strong> in Anspruch nehmen dürfen,<br />

beständig ausgeweitet werde. Der<br />

Ärztepräsident befürchtet außerdem,<br />

dass die bewusste Tötung genetisch belasteter<br />

<strong>Embryonen</strong> und damit auch poten-<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

Konflikte programmiert<br />

Die Ärzteschaft spricht sich gegen Gen-Checks <strong>an</strong> <strong>Embryonen</strong><br />

aus. Im Bundestag sind die Mehrheitsverhältnisse indes unklar.<br />

ziell behinderten Lebens zu einer verminderten<br />

Akzept<strong>an</strong>z von Behinderten<br />

in der Gesellschaft führen könnte.<br />

Schließlich bestehe der Zweck des embryonalen<br />

Gen-Checks darin, aus einer<br />

bestimmten Anzahl befruchteter Eizellen<br />

einen vermeintlich gesunden Embryo<br />

auszuwählen und <strong>an</strong>dere weniger gut<br />

ausgestattete abzutöten. Hoppe: „Damit<br />

wird menschliches Leben zur Disposition<br />

gestellt, weil es bestimmte, jedoch individuelle<br />

Kriterien nicht erfüllt.“<br />

Ob der Bundestag der vom Ärztetag<br />

formulierten <strong>PID</strong>-kritischen Haltung<br />

folgt, ist fraglich. Seit der Entscheidung<br />

für den begrenzten Import von embryonalen<br />

Stammzellen habe sich der Trend<br />

zu einer „pragmatischen“ Haltung gegenüber<br />

medizin-ethischen Fragen unter<br />

den Parlamentariern verfestigt, berichten<br />

Insider. Dass die mithilfe der<br />

<strong>PID</strong> aussortierten <strong>Embryonen</strong> zumindest<br />

theoretisch auch als „Rohstoff“ für<br />

die Stammzellforschung bereitstünden,<br />

könnte zudem die <strong>PID</strong>-Entscheidung<br />

von Befürworten der Stammzellforschung<br />

erleichtern. Bezeichnend findet<br />

Hubert Hüppe,Ethik-Experte der CDU-<br />

Bundestagsfraktion, dass ausgerechnet<br />

Heft 5, 31. J<strong>an</strong>uar 2003<br />

Nationaler Ethikrat zur <strong>PID</strong><br />

Pragmatismus<br />

Mit einem entschiedenen „Sowohlals-auch“<br />

äußerte sich der Nationale<br />

Ethikrat am Donnerstag verg<strong>an</strong>gener<br />

Woche zu dem umstrittenen Gencheck<br />

<strong>an</strong> <strong>Embryonen</strong>,der Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

(<strong>PID</strong>). Wie bei der Stammzellfrage<br />

konnten sich die Ethik-Experten<br />

auch bei der <strong>PID</strong> auf keine gemeinsame<br />

Stellungnahme einigen und gaben zwei<br />

gegensätzliche Empfehlungen ab.<br />

<strong>Forschung</strong>sministerin Edelgard Bulmahn<br />

der Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

offen gegenüberstehe. Die <strong>PID</strong> öffne die<br />

Tür zur Stammzellforschung. Dies könne<br />

m<strong>an</strong> nicht mehr von der H<strong>an</strong>d weisen.<br />

Von der CDU-Fraktion erwartet Hüppe<br />

eine klare Haltung. Jeder Parlamentarier<br />

müsse sich darüber bewusst sein, für was<br />

das „C“ im Namen seiner Partei stehe,<br />

sagte Hüppe.<br />

Ob die Arbeit der letzten Enquete-<br />

Kommission „Recht und Ethik der modernen<br />

Medizin“, die sich mehrheitlich<br />

gegen die <strong>PID</strong> ausgesprochen hatte,auch<br />

in dieser Legislaturperiode weitergeführt<br />

wird, war l<strong>an</strong>ge unklar. Jetzt gaben Abgeordnete<br />

von CDU und SPD auf Nachfrage<br />

bek<strong>an</strong>nt, dass eine neue Ethik-Enquete<br />

noch im J<strong>an</strong>uar be<strong>an</strong>tragt werden<br />

soll. Der SPD-Gesundheitsexperte Dr.<br />

med. Wolfg<strong>an</strong>g Wodarg geht davon aus,<br />

dass m<strong>an</strong> einige Themen der letzten Enquete<br />

ein weiteres Mal diskutieren müsse.<br />

Neben der Fortpfl<strong>an</strong>zungsmedizin<br />

gehörten auch die Stammzellforschung,<br />

die Lebendspende sowie die N<strong>an</strong>otechnologie<br />

auf die Agenda der Enquete.<br />

Wodarg wies darauf hin, dass eine<br />

neue Bundestagskommission als parlamentarisches<br />

Gegengewicht zu dem<br />

von Bundesk<strong>an</strong>zler Gerhard Schröder<br />

eingesetzten Nationalen Ethikrat von<br />

großer Wichtigkeit sei. Der SPD-Politiker<br />

sieht aber keine Konkurrenzsituation<br />

zwischen Ethikrat und Parlament.<br />

Vielmehr ließen sich Synergieeffekte<br />

nutzen, wenn beide Institutionen bei<br />

der Vielzahl der zu beh<strong>an</strong>delnden Themen<br />

zusammenwirkten. Samir Rabbata<br />

Eine deutliche Mehrheit von 15<br />

Ratsmitgliedern sprach sich für die<br />

Zulassung des embryonalen Genchecks<br />

aus. Sieben stimmten dagegen.<br />

Die Befürworter weisen in ihrem<br />

Votum darauf hin, dass die <strong>PID</strong> zwar<br />

ermöglicht, jedoch auf wenige Ausnahmefälle<br />

begrenzt werden müsse.<br />

Demnach dürfe die Methode nur<br />

Paaren offen stehen, die ein hohes<br />

177


Risiko tragen, ein Kind mit einer<br />

schweren und nicht therapierbaren<br />

genetisch bedingten Erkr<strong>an</strong>kung zu<br />

bekommen.<br />

Dagegen wies Ethikratsmitglied<br />

H<strong>an</strong>s-Jochen Vogel bei der Erläuterung<br />

des Minderheitsvotums darauf<br />

hin, dass die „Verwerfung von<br />

<strong>Embryonen</strong>“ mit der im Grundgesetz<br />

festgeschriebenen Un<strong>an</strong>tastbarkeit der<br />

Menschenwürde nicht vereinbar sei.<br />

Das <strong>PID</strong>-freundliche Mehrheitsvotum<br />

des Ethikrates kommt nicht unerwartet.<br />

Bereits in der Debatte um den<br />

Heft 6, 7. Februar 2003<br />

Ethikkommissionen<br />

Verwirrende Vielfalt<br />

Kaum jem<strong>an</strong>d hat noch wirklich den<br />

Durchblick, wenn von der Entscheidung<br />

einer Ethikkommission<br />

die Rede ist. Zahlreiche Ethikräte,<br />

-kommissionen und -beiräte entscheiden<br />

und beraten auf lokaler und nationaler<br />

Ebene. Auf lokaler Ebene gibt es<br />

in Deutschl<strong>an</strong>d die auf Initiative von<br />

medizinischen Fakultäten, Ärztekammern<br />

und Kliniken eingerichteten<br />

Ethikkommissionen. Vorbilder für diese<br />

Gremien waren die Institutional Review<br />

Boards in den USA, deren Gründung<br />

auf die Deklaration von Helsinki<br />

des Weltärztebundes aus dem Jahr 1965<br />

zurückging (Textkasten). Neben diesen<br />

Ethikkommissionen haben sich <strong>an</strong> vielen<br />

Kliniken Ethikkomitees oder -konsile<br />

gebildet, die nicht forschungsbezogene,<br />

sondern therapiebezogene Entscheidungen<br />

treffen. Von politischer<br />

Bris<strong>an</strong>z sind die lokalen Ethikkommissionen<br />

ebenso wie die <strong>an</strong> Kliniken eingerichteten<br />

Ethikkonsile in der Regel<br />

nicht. Aufsehen erregt haben dagegen<br />

in letzter Zeit Gremien, die auf nationaler<br />

Ebene einberufen wurden und<br />

die zum Teil mitein<strong>an</strong>der konkurrieren.<br />

Deutlich wurde dies beispielsweise bei<br />

178<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

Import embryonaler Stammzellen wurde<br />

deutlich, dass die Gewichte in dem<br />

von K<strong>an</strong>zler Gerhard Schröder einberufenen<br />

Beratungsorg<strong>an</strong> ungleich verteilt<br />

sind. Im Zweifel setzt sich ein eher<br />

„pragmatischer“ Ansatz durch. Die von<br />

Vogel geforderte Hinwendung zu einer<br />

„präventiven Ver<strong>an</strong>twortungsethik“<br />

scheint in dem Schröder-Gremium<br />

nicht mehrheitsfähig.<br />

Die medienwirksam in der Berlin-<br />

Br<strong>an</strong>denburgischen Akademie der<br />

Wissenschaften präsentierte Ratsempfehlung<br />

wird ohne Zweifel die bevor-<br />

Es gibt Ethikkommissionen und Ethikräte mit unterschiedlichen<br />

Zielsetzungen. Vor allem die Gremien auf nationaler<br />

Ebene tragen auch zur politischen Meinungsbildung bei.<br />

der Debatte um die embryonale<br />

Stammzellforschung und die Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

(<strong>PID</strong>).<br />

Zur Erinnerung: Für einen strengen<br />

<strong>Embryonen</strong>schutz trat die damalige<br />

Bundesgesundheitsministerin Andrea<br />

Fischer (Bündnis 90/Die Grünen) ein.<br />

Mit einem viel beachteten Kongress im<br />

Jahr 2000 in Berlin versuchte sie, die<br />

Debatte <strong>an</strong>zustoßen. Vor Ärzten, Vertretern<br />

von Behindertenverbänden und<br />

Kirchen, Juristen und Wissenschaftlern<br />

kündigte sie ein Fortpfl<strong>an</strong>zungsmedizingesetz<br />

<strong>an</strong>, das das damals zehn Jahre<br />

alte <strong>Embryonen</strong>schutzgesetz ablösen<br />

sollte. Fischer wollte mit diesem Gesetz<br />

die <strong>PID</strong> und das therapeutische Klonen<br />

unmissverständlich verbieten.<br />

Sie erhoffte sich entsprechende Beratung<br />

durch den Ethikbeirat beim Bundesministerium<br />

für Gesundheit, der im<br />

Jahr 1996 von ihrem Amtsvorgänger<br />

Horst Seehofer (CSU) eingerichtet<br />

worden war. Nach Fischers Rücktritt<br />

und dem Wechsel <strong>an</strong> der Ministeriumsspitze<br />

wurde der Beirat d<strong>an</strong>n bald kaltgestellt.<br />

Auch aus dem gepl<strong>an</strong>ten Gesetz<br />

wurde nichts. Die neue Bundesgesundheitsministerin<br />

Ulla Schmidt ver-<br />

stehende gesellschaftliche und politische<br />

<strong>PID</strong>-Debatte beeinflussen. Dennoch:<br />

Entscheidungen werden (trotz<br />

der in der Politik üblich gewordenen<br />

Beraterrunden) noch immer im Bundestag<br />

getroffen. Dort wird sich zeigen,<br />

ob die Abgeordneten eher der Empfehlung<br />

des Nationalen Ethikrates<br />

folgen oder sich dem Votum der parlamentarischen<br />

Enquete-Kommission<br />

„Recht und Ethik der modernen Medizin“<br />

<strong>an</strong>schließen. Diese hatte sich<br />

gegen eine Zulassung der <strong>PID</strong> ausgesprochen.<br />

Samir Rabbata<br />

folgte nämlich eine <strong>an</strong>dere Linie in<br />

medizinethischen Fragen. Sie gilt als eine<br />

vorsichtige Befürworterin der neuen<br />

gentechnischen Methoden. Die veränderte<br />

Richtung im Gesundheitsministerium<br />

hatte schließlich auch personelle<br />

Konsequenzen. Die für Gentechnik<br />

zuständige Abteilungsleiterin Ulrike<br />

Riedel, eine scharfe Gegnerin der Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

(DÄ, Heft 10/<br />

2000), musste gehen.<br />

Dennoch vertrat auch die Bundesregierung<br />

durchaus keine geschlossene<br />

Linie in der Gendebatte. So sprach sich<br />

Bundesk<strong>an</strong>zler Gerhard Schröder<br />

dafür aus, „moralische Scheuklappen“<br />

abzulegen. Bundesbildungsministerin<br />

Edelgard Bulmahn befürwortete ebenfalls<br />

die <strong>Forschung</strong> <strong>an</strong> überzähligen<br />

<strong>Embryonen</strong>, wohingegen die damalige<br />

Bundesjustizministerin Herta Däubler-<br />

Gmelin sie entschieden ablehnte. Im<br />

Parlament hatten sich partei- und<br />

fraktionsübergreifende Alli<strong>an</strong>zen gebildet,<br />

die drei Anträge zur embryonalen<br />

Stammzellforschung einbrachten. Diese<br />

reichten von einem kategorischen<br />

Verbot über die schließlich beschlossene<br />

Stichtagsregelung bis zu einer weitreichenden<br />

Freigabe der Stammzellforschung.<br />

Die verschiedenen Ethikkommissionen<br />

vermittelten ebenfalls kein einheitliches<br />

Bild: Am 15. Mai 2000 nahm unter<br />

<strong>an</strong>derem auf Initiative von Behindertenverbänden<br />

und der beiden<br />

großen christlichen Kirchen in<br />

Deutschl<strong>an</strong>d die Enquete-Kommission<br />

des Deutschen Bundestages „Recht und<br />

Ethik der modernen Medizin“ ihre Arbeit<br />

auf.Der Einsetzungs<strong>an</strong>trag,auf den


sich SPD, CDU/CSU, Grüne und Freie<br />

Demokraten nach l<strong>an</strong>gen Diskussionen<br />

einigen konnten, stellte einen „erheblichen<br />

gesellschaftlichen und parlamentarischen<br />

Diskussionsbedarf zu Fragen<br />

der Entwicklung und Anwendung der<br />

Biotechnologie und der modernen Medizin“<br />

fest. Als Aufgaben der Enquete-<br />

Kommission wurden die „Vertiefung<br />

des öffentlichen Diskurses“ ebenso wie<br />

die „Vorbereitung politischer Entscheidungen“<br />

und „Empfehlungen für die<br />

ethische Bewertung, für Möglichkeiten<br />

des gesellschaftlichen Umg<strong>an</strong>gs sowie<br />

für gesetzgeberisches und administratives<br />

H<strong>an</strong>deln in Bezug auf medizinische<br />

Zukunftsfragen“ gen<strong>an</strong>nt. In der Enquete<br />

arbeiteten jeweils 13 Abgeordnete<br />

und Sachverständige zusammen.<br />

In ihrem im Jahr 2002 vorgelegten Abschlussbericht<br />

lehnte die Enquete-Kommission<br />

mit großer Mehrheit die Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

ab. Nur drei Mitglieder,<br />

die Vorsitzende Margot von<br />

Renesse (SPD), der FDP-Politiker Edzard<br />

Schmidt-Jortzig und der ev<strong>an</strong>gelische<br />

Theologe Klaus T<strong>an</strong>ner, hatten sich<br />

für eine begrenzte Zulassung der <strong>PID</strong><br />

ausgesprochen. Die Mehrheit der Kommission<br />

forderte in ihrem Abschlussbericht<br />

der Kommission den Bundestag auf,<br />

das Verbot der <strong>PID</strong> in einem neuen Gesetz<br />

zu bekräftigen und zu präzisieren.Im<br />

Vordergrund stehe der Schutz des Embryos<br />

und eine Ablehnung jeglicher Selektion.<br />

Es gebe keinen Anspruch auf ein<br />

gesundes Kind, weshalb der Staat bewährte<br />

Schutzprinzipien für den Embryo<br />

nicht abschaffen dürfe. Zudem sei eine<br />

Beschränkung der Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

auf bestimmte Kr<strong>an</strong>kheiten<br />

kaum möglich. Die Enquete-Kommission<br />

war außerdem zu dem Ergebnis gekommen,<br />

dass eine embryonenverbrauchende<br />

Gewinnung von Stammzellen<br />

nicht ver<strong>an</strong>twortbar sei. Mehrheitlich<br />

sprach sie sich gegen einen Import solcher<br />

Zellen aus.Eine Minderheit plädierte<br />

dafür, den Import unter bestimmten<br />

Voraussetzungen zu tolerieren.<br />

Bundesk<strong>an</strong>zler Schröder gefielen die<br />

Stellungnahmen der Enquete-Kommission<br />

offenbar nicht. Denn er setzte im<br />

Jahr 2001 über einen Kabinettsbeschluss<br />

einen Nationalen Ethikrat ein,<br />

der bei der Berlin-Br<strong>an</strong>denburgischen<br />

Akademie der Wissenschaften <strong>an</strong>gesiedelt<br />

ist. Insgesamt gehören dem Natio-<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

Textkasten<br />

Ethikkommissionen<br />

in Deutschl<strong>an</strong>d<br />

Nachdem die Deutsche <strong>Forschung</strong>sgemeinschaft<br />

1970 die Zuwendung von <strong>Forschung</strong>smitteln von<br />

der Beurteilung durch eine Ethikkommission abhängig<br />

gemacht hatte und die ersten privaten Ethikkommissionen<br />

in Kliniken und im Bereich der pharmazeutischen<br />

Industrie gegründet worden waren,<br />

rief der Medizinische Fakultätentag 1977 zur Einrichtung<br />

von Ethikkommissionen <strong>an</strong> den Fakultäten<br />

auf. Zwei Jahre später empfahl der Vorst<strong>an</strong>d der<br />

Bundesärztekammer den L<strong>an</strong>desärztekammern die<br />

Gründung eigener Ethhikkommissionen. In den folgenden<br />

Jahren wurden bundesweit unabhängige<br />

Ethikkommissionen bei den L<strong>an</strong>desärztekammern<br />

und Medizinischen Fakultäten eingerichtet. Die öffentlich-rechtlichen<br />

Ethikkommissionen mit ihren<br />

ehrenamtlich tätigen Sachverständigen sind interprofessionell<br />

zusammengesetzte Inst<strong>an</strong>zen der Prüfung<br />

und Selbstkontrolle bei medizinischer <strong>Forschung</strong><br />

am Menschen. Sie h<strong>an</strong>deln im Interesse und<br />

zum Schutz der Prob<strong>an</strong>den und Patienten und sollen<br />

sie vor rechtlich und ethisch bedenklichen <strong>Forschung</strong>svorhaben<br />

bewahren. D<strong>an</strong>eben bezwecken<br />

sie auch den Schutz der <strong>Forschung</strong>sinstitution und<br />

des forschenden Arztes vor fehlerhaftem Verhalten<br />

und Regress<strong>an</strong>sprüchen. Wissenschaftliche Arbeiten<br />

werden in der Regel nur d<strong>an</strong>n fin<strong>an</strong>ziert und in<br />

wissenschaftlichen Zeitschriften publiziert, wenn<br />

nalen Ethikrat 25 Persönlichkeiten aus<br />

Wissenschaft, Politik und Gesellschaft<br />

<strong>an</strong>. Die Ärzteschaft als gesellschaftliche<br />

Gruppe ist im Nationalen Ethikrat<br />

nicht vertreten – es wurden allerdings<br />

einige medizinische Experten ben<strong>an</strong>nt.<br />

Aufgabe der Ratsmitglieder sei es, so<br />

die Bundesregierung in einer Antwort<br />

auf eine kleine Anfrage der CDU/CSU-<br />

Fraktion: „Der Deutsche Ethtikrat soll<br />

den wissenschaftlichen und gesellschaftlichen<br />

Diskurs zu Fragen der Lebenswissenschaften<br />

vernetzen und Bürgerinnen<br />

und Bürger zum Dialog einladen.“<br />

Der Bundesk<strong>an</strong>zler bezeichnete<br />

den Ethikrat als Gremium, das im nationalen<br />

wie internationalen Maßstab<br />

wichtige Beiträge leisten werde.<br />

Kritik <strong>an</strong> personeller Besetzung<br />

Mitglieder der Enquete-Kommission<br />

kritisierten die Gründung des neuen<br />

Gremiums. Deren damaliger stellvertretender<br />

Vorsitzender Hubert Hüppe<br />

(CDU) befürchtete, dass „des K<strong>an</strong>zlers<br />

ein Votum der Ethikkommission vorliegt. Ethikkommissionen<br />

<strong>an</strong> den medizinischen Fakultäten beurteilen<br />

vorwiegend Projekte der Grundlagenforschung<br />

am Menschen, die nahezu ausschließlich <strong>an</strong> Hochschulen<br />

vorgenommen werden. Dagegen beschäftigen<br />

sich die Ethikkommissionen der Ärztekammern<br />

mit Projekten außeruniversitärer <strong>Forschung</strong>, vorwiegend<br />

Arzneimittelstudien, bei denen gemäß<br />

§ 40 Arzneimittelgesetz das Votum einer Ethikkommission<br />

vorgeschrieben ist. Nach der (Muster-)Berufsordnung<br />

der deutschen Ärzte und den hochschulrechtlichen<br />

Bestimmungen der medizinischen<br />

Fachbereiche sind Ärzte verpflichtet, sich bei klinischer<br />

<strong>Forschung</strong> am Menschen oder bei epidemiologischen<br />

<strong>Forschung</strong>en mit personenbezogenen Daten<br />

von einer von der bei der Ärztekammer oder bei<br />

der medizinischen Fakultät gebildeten Ethikkommission<br />

beraten zu lassen. Die Beratungspflicht<br />

f<strong>an</strong>d auch Eing<strong>an</strong>g in bundesgesetzliche Regelungen.<br />

Das Arzneimittelgesetz enthält seit 1995 die<br />

Bestimmung, dass vor der klinischen Prüfung eines<br />

Medikaments die zustimmende Bewertung einer<br />

nach L<strong>an</strong>desrecht gebildeten Ethikkommission eingeholt<br />

werden muss. Zur Harmonisierung der Verfahren,<br />

Kriterien und St<strong>an</strong>dards der einzelnen Ethikkommissionen<br />

wurde der Arbeitskreis Medizinischer<br />

Ethik-Kommissionen in der Bundesrepublik<br />

Deutschl<strong>an</strong>d gegründet. Die dort beschlossenen<br />

einheitlichen Verfahrensgrundsätze sind von den<br />

einzelnen Kommissionen weitgehend übernommen<br />

worden. Kli<br />

neuer Ethikrat nun offenbar in Konkurrenz<br />

zu der seit einem Jahr arbeitenden<br />

Enquete-Kommission treten soll, deren<br />

Richtung ihm nicht in sein bioethisches<br />

Konzept passt. Es ist geradezu bizarr,<br />

wenn der Satzungsentwurf dem Parlament<br />

das Recht einräumt, mit Bitten<br />

um Stellungnahmen beim Ethikrat vorstellig<br />

zu werden. Denn das Parlament<br />

hat bereits mit seiner Enquete-Kommission<br />

sein Beratungsgremium, in dem<br />

externe Sachverständige mitarbeiten.“<br />

Auf Kritik stieß auch die personelle<br />

Besetzung des Ethikrats, unter <strong>an</strong>derem<br />

mit Prof. Dr. rer. nat. Ernst-Ludwig<br />

Winnacker, dem Präsidenten der Deutschen<br />

<strong>Forschung</strong>sgemeinschaft (DFG).<br />

Die DFG hatte eine Stellungnahme<br />

verabschiedet, die eine Abkehr von der<br />

bisherigen strikten Ablehnung der <strong>Embryonen</strong>forschung<br />

bedeutet.Winnackers<br />

Berufung gab deshalb Hüppe Anlass zu<br />

Befürchtungen: „Bundesforschungsministerin<br />

Edelgard Bulmahn will zur <strong>Forschung</strong><br />

<strong>an</strong> menschlichen Stammzellen<br />

das Votum des Ethikrats – ausgerechnet<br />

eines Gremiums, dem der DFG-Präsi-<br />

179


dent <strong>an</strong>gehört. Soll wirklich der DFG-<br />

Präsident darüber entscheiden, ob die<br />

Position der Deutschen <strong>Forschung</strong>sgemeinschaft<br />

in ethischer Hinsicht einw<strong>an</strong>dfrei<br />

ist?“<br />

Und tatsächlich befürwortete erwartungsgemäß<br />

die Mehrheit des Nationalen<br />

Ethikrats eine zeitlich befristete und<br />

mit Auflagen versehene Genehmigung<br />

des Imports, einige Mitglieder erachteten<br />

darüber hinaus eine Gewinnung von<br />

Stammzellen aus überzähligen <strong>Embryonen</strong><br />

in Deutschl<strong>an</strong>d für ethisch vertretbar.<br />

Eine deutliche Minderheit des Gremiums<br />

sprach sich für ein Moratorium<br />

und nur eine kleine Minderheit für ein<br />

generelles Verbot der Stammzellforschung<br />

aus. In einer im J<strong>an</strong>uar vorgelegten<br />

Stellungnahme sprach sich erwartungsgemäß<br />

eine deutliche Mehrheit<br />

von 15 Ratsmitgliedern für die Zulassung<br />

der <strong>PID</strong> in bestimmten Ausnahmefällen<br />

aus. Ein Minderheitsvotum wies<br />

darauf hin, dass die „Verwerfung von<br />

<strong>Embryonen</strong>“ mit dem Grundgesetz<br />

nicht vereinbar sei.<br />

Die Tätigkeit der Enquete-Kommission<br />

endete mit Ablauf der Legislaturperiode.<br />

Eine Neueinsetzung forderte<br />

unter <strong>an</strong>derem die stellvertretende<br />

Vorsitzende der CDU/ CSU-Fraktion,<br />

Maria Böhmer. In vielen Bereichen der<br />

Bio- und Gentechnologie,aber auch der<br />

Medizin gebe es noch offene Fragen,die<br />

durch den Gesetzgeber geregelt werden<br />

müssten, sagte sie. „Der Ort der Beratung<br />

und Entscheidung von Fragen derart<br />

zentraler Bedeutung für das Menschenbild<br />

und die Wahrung der Schöpfung<br />

muss der Bundestag sein.“ Der<br />

SPD-Gesundheitsexperte Dr. med.<br />

Wolfg<strong>an</strong>g Wodarg geht davon aus, dass<br />

m<strong>an</strong> einige Themen der letzten Enquete<br />

noch weiter diskutieren müsse. Dazu<br />

gehört nach wie vor die Fortpfl<strong>an</strong>zungsmedizin.<br />

Wodarg wies darauf hin, dass<br />

eine neue Bundestagskommission ein<br />

Gegengewicht zum Nationalen Ethikrat<br />

bilden könnte. Nach Informationen<br />

des Ev<strong>an</strong>gelischen Pressedienstes wird<br />

der Bundestag in Kürze die Neueinsetzung<br />

beschließen.<br />

Doch nicht nur auf politischer, sondern<br />

auch auf ärztlicher Ebene wurde<br />

über die Fragen embryonale Stammzellforschung<br />

und <strong>PID</strong> intensiv diskutiert.<br />

Die bei der Bundesärztekammer<br />

<strong>an</strong>gesiedelte Zentrale Ethikkommissi-<br />

180<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

on befürwortete fast zeitgleich mit dem<br />

Nationalen Ethikrat mehrheitlich den<br />

Import von embryonalen Stammzellen.<br />

Die gezielte Herstellung von <strong>Embryonen</strong><br />

zu <strong>Forschung</strong>szwecken auf dem<br />

Weg der Befruchtung sei ethisch nicht<br />

vertretbar (DÄ, Heft 49/2001). Die<br />

Gründung der unabhängigen und<br />

multidisziplinär zusammengesetzten<br />

„Zentralen Kommission zur Wahrung<br />

ethischer Grundsätze in der Medizin<br />

und ihren Grenzgebieten“ (Zentrale<br />

Ethikkommission/ZEKO) war zur Beratung<br />

ethischer Grundsatzfragen vom<br />

Vorst<strong>an</strong>d der Bundesärztekammer im<br />

Jahr 1994 beschlossen worden.<br />

Zu den wesentlichen Aufgaben der<br />

Zentralen Ethikkommission gehört besonders<br />

die Beurteilung von grundsätzlichen<br />

ethischen Fragen, die durch den<br />

Fortschritt und die technologische Entwicklung<br />

in der Medizin und ihren<br />

Grenzgebieten aufgeworfen werden.<br />

Das gilt auch für ethische Fragen, die<br />

für die Pflichten bei der ärztlichen Berufsausübung<br />

von grundsätzlicher Bedeutung<br />

sind. Schließlich k<strong>an</strong>n die ZE-<br />

KO auch auf Wunsch der Ethikkommission<br />

einer L<strong>an</strong>desärztekammer oder einer<br />

medizinischen Fakultät tätig werden<br />

und ergänzende Beurteilungen zu<br />

ethischen Grundsatzfragen erarbeiten.<br />

Dazu gehören zum Beispiel <strong>Forschung</strong>svorhaben<br />

<strong>an</strong> Nichteinwilligungsfähigen.<br />

Die 16 Mitglieder der<br />

Zentralen Ethikkommission repräsentieren<br />

die wissenschaftlichen Fachgebiete<br />

Medizin, Naturwissenschaften,<br />

Philosophie, Sozialwissenschaften, Theologie<br />

und Rechtswissenschaften. Der<br />

Präsident der Bundesärztekammer,<br />

Prof. Dr. med. Jörg-Dietrich Hoppe,<br />

hält es dagegen für nicht vertretbar, den<br />

<strong>Embryonen</strong>schutz zu lockern. Er forderte<br />

stattdessen dazu auf, zunächst einmal<br />

die <strong>Forschung</strong>smöglichkeiten <strong>an</strong><br />

adulten Stammzellen auszuschöpfen.<br />

Der Deutsche Ärztetag fasste 2001 einen<br />

Beschluss, in dem er der Herstellung,<br />

dem Import und der Verwendung<br />

von embryonalen Stammzellen<br />

eine klare Absage erteilte (DÄ, Heft<br />

22/2001).<br />

Die Frage der Stammzellforschung<br />

führte zu Differenzen zwischen dem<br />

Vorst<strong>an</strong>d der Bundesärztekammer und<br />

deren Wissenschaftlichem Beirat (WB).<br />

Der damalige Vorsitzende des Wissen-<br />

schaftlichen Beirats, Prof. Dr. med. Karl-<br />

Friedrich Sewing, hatte in einer Presseerklärung<br />

die Bundestagsentscheidung<br />

zum Import von embryonalen<br />

Stammzellen als richtig, ethisch ausgewogen<br />

und mutig bezeichnet. Es gab allerdings<br />

keine förmliche Beschlussfassung<br />

des WB, auf die sich Sewing berufen<br />

konnte, und auch keine Vorlage<br />

des Beirats <strong>an</strong> den Vorst<strong>an</strong>d der<br />

Bundesärztekammer (DÄ, Heft<br />

7/2002). Dies hatte schließlich Konsequenzen.<br />

Der Vorst<strong>an</strong>d der Bundesärztekammer<br />

entzog Sewing das Vertrauen.<br />

Dieser ist inzwischen zurückgetreten<br />

und hat seine Mitgliedschaft im<br />

Wissenschaftlichen Beirat niedergelegt.<br />

Vor einem Jahr entschied der Gesetzgeber,<br />

einen Import embryonaler<br />

Stammzellen unter bestimmten Auflagen<br />

zu erlauben. Über die Zulassung<br />

der Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik wird<br />

der Bundestag voraussichtlich in dieser<br />

Legislaturperiode entscheiden. Hoppe<br />

bekräftigte die restriktive Haltung der<br />

Ärzteschaft: „Wir plädieren nach wie<br />

vor für ein Verbot der <strong>PID</strong>.“ Die Argumente<br />

entsprechen denen des Abschlussberichts<br />

der Enquete-Kommission.<br />

Das Missbrauchspotenzial der<br />

Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik sei zu groß,<br />

und eine Begrenzung auf wenige Fälle<br />

könne nicht gar<strong>an</strong>tiert werden. Doch ob<br />

der Bundestag dieser Auffassung folgen<br />

wird, ist fraglich. Gisela Klinkhammer


Heft 19, 9. Mai 2003<br />

Menschenwürde<br />

Die Fortschritte, die Biomedizin<br />

und Biotechnologie innerhalb einer<br />

Generation gemacht haben,<br />

nehmen sich atemberaubend aus. Einige<br />

Beispiele: Befruchtung und frühe<br />

Keimentwicklung beim Menschen können<br />

heute extrakorporal stattfinden,<br />

gentechnologische Eingriffe können <strong>an</strong><br />

den Zellkernen eines Embryos vorgenommen<br />

werden. Es ist nicht mehr Utopie,<br />

sondern reale Möglichkeit, im Blick<br />

auf die Nachkommenschaft Selektion<br />

zu betreiben, die auf erwünschte Merkmale<br />

abstellt.Auch die Keimbahntherapie<br />

und das so gen<strong>an</strong>nte therapeutische<br />

Klonen sind nicht mehr ausgeschlossen.<br />

Diese nahezu unbegrenzten Möglichkeiten,<br />

die sich mit den Erkenntnissen<br />

der Biomedizin, der Bio- und Gentechnologie<br />

eröffnen, verdeutlichen die<br />

Frage nach Haltepunkten und Orientierungen<br />

im Hinblick auf die Art und<br />

Weise und die Grenzen, wie Menschen<br />

mitein<strong>an</strong>der umgehen und das Zusammenleben<br />

gestalten wollen. Dies gilt<br />

umso mehr, als sich die neuen Möglichkeiten<br />

keineswegs nur mit ökonomischen<br />

Verwertungsinteressen, sondern<br />

ebenso mit großen Erwartungen für<br />

den medizinischen Fortschritt verbinden.<br />

Wo lassen sich solche Haltepunkte<br />

und Orientierungen finden?<br />

Das Grundgesetz proklamiert das<br />

Grundrecht auf Leben und die Un<strong>an</strong>tastbarkeit<br />

der Menschenwürde. Dass<br />

diese Gar<strong>an</strong>tien als rechtlich verbindliche<br />

Gar<strong>an</strong>tien vorh<strong>an</strong>den sind, ist kein<br />

Zufall. Es waren die Erfahrungen aus<br />

der NS-Zeit, die dazu führten, dass gerade<br />

die Unverletzlichkeit und das Achtungsgebot<br />

der Menschenwürde sowie<br />

das Grundrecht auf Leben in das<br />

Grundgesetz aufgenommen wurden.<br />

Die Anerkennung und Achtung der<br />

Würde des Menschen wurde bewusst<br />

<strong>an</strong> den Anf<strong>an</strong>g des Grundgesetzes gestellt.<br />

Sie sollte das (normative) Fundament<br />

der neu zu errichtenden staatli-<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

„Dasein um seiner selbst willen“<br />

Die Anerkennung der Würde des Menschen, wie sie das Grundgesetz<br />

ausspricht, ist auch auf die ersten Anfänge des Lebens zu erstrecken.<br />

chen Ordnung verdeutlichen, damit<br />

sich das, was während der NS-Herrschaft<br />

<strong>an</strong> Erniedrigung der Menschen,<br />

<strong>an</strong> Verletzung ihres Rechts, ihrer Freiheit,<br />

ihrer Würde geschehen war, nicht<br />

mehr wiederholen könne. Und m<strong>an</strong> ließ<br />

es nicht dabei, die Un<strong>an</strong>tastbarkeit der<br />

Würde des Menschen nur zu proklamieren,<br />

vielmehr fügte m<strong>an</strong> dieser Proklamation<br />

den Satz <strong>an</strong>: „Sie zu achten<br />

und zu schützen ist Aufgabe aller staatlichen<br />

Gewalt.“ Damit wurden die Anerkennung<br />

und Achtung der Menschenwürde<br />

als verbindliches normatives<br />

Prinzip für alles staatliche H<strong>an</strong>deln und<br />

auch für das Zusammenleben in der<br />

Gesellschaft festgelegt. Das bedeutet,<br />

dass die Anerkennung und Achtung jedes<br />

Menschen als Subjekt, als Träger<br />

grundlegender Rechte und der Freiheit<br />

zu ver<strong>an</strong>twortlichem H<strong>an</strong>deln, vorgegeben<br />

ist und nicht zur Disposition steht.<br />

Somit steht ein Halte- und Orientierungspunkt<br />

bereit, der nicht nur ein<br />

ethisch-moralisches Angebot ist,das m<strong>an</strong><br />

<strong>an</strong>nehmen k<strong>an</strong>n, vielmehr als Teil der<br />

Verfassung ein verbindliches normatives<br />

Prinzip darstellt. Es fragt sich, wie weit<br />

dieser Halte- und Orientierungspunkt im<br />

Hinblick auf die gegenwärtige Debatte<br />

um Biomedizin und Biotechnologie einschließlich<br />

der Gentechnologie trägt.<br />

Der rechtliche Status<br />

des Embryos<br />

➊ Entscheidend ist zunächst die Frage,<br />

ob diese Gar<strong>an</strong>tie und die darin beschlossene<br />

Anerkennung und Achtung<br />

als selbstständiges Subjekt nur geborene<br />

Menschen oder auch den Embryo<br />

umfasst. Das betrifft den rechtlichen<br />

Status des Embryos. Ist auch er und,<br />

wenn ja, von w<strong>an</strong>n ab Träger der Menschenwürde,<br />

deren Achtungs<strong>an</strong>spruch<br />

und des aus der Menschenwürde<br />

fließenden Rechts auf Leben? Diese<br />

Frage ist aus dem Wortlaut des Artikels<br />

1 des Grundgesetzes nicht unmittelbar<br />

zu be<strong>an</strong>tworten. Es ist eine Frage der<br />

Interpretation dieses Textes in Richtung<br />

auf seine Tragweite, und diese Interpretation<br />

ist in der gegenwärtigen<br />

Diskussion durchaus umstritten.<br />

Vorwiegend, wenngleich nicht allein<br />

von Naturwissenschaftlern wird der<br />

Einw<strong>an</strong>d erhoben, wieso ein Acht- oder<br />

Sechzehnzeller bereits Träger von Menschenwürde<br />

sein könne. Solche Zuschreibungen<br />

seien <strong>an</strong>gesichts des biologischen<br />

Befundes doch unrealistisch,<br />

nahezu absurd. Deshalb wird von nicht<br />

wenigen ein späterer Zeitpunkt ins Auge<br />

gefasst und zu begründen versucht:<br />

etwa die Nidation, die Ausbildung des<br />

Gehirns, die Geburt, die aktuelle Vernunftfähigkeit.<br />

K<strong>an</strong>n m<strong>an</strong> auf diese<br />

Weise vorgehen?<br />

a) Wichtig ist zunächst die Methode,<br />

die dieser Argumentation zugrunde gelegt<br />

wird. Es werden aus bestimmten<br />

naturwissenschaftlichen Befunden normative<br />

Qualitäten und Folgerungen<br />

abgeleitet. Mit welchem Recht? Von<br />

feststellbaren naturwissenschaftlichen<br />

Gegebenheiten (Sein) auf normative<br />

Qualitäten und Postulate (Sollen) zu<br />

schließen gilt in der Regel als „naturalistischer<br />

Fehlschluss“, und eine solche<br />

Argumentation wird in <strong>an</strong>deren Zusammenhängen<br />

heftig kritisiert.<br />

Maßstäbe für das Verhalten der<br />

Menschen zuein<strong>an</strong>der, Gebote und Verbote<br />

für ihr H<strong>an</strong>deln lassen sich nicht<br />

als Resultate naturwissenschaftlicher<br />

Erkenntnis herleiten und begründen,<br />

sie überschreiten die Fragestellung und<br />

den Horizont solcher Erkenntnis. Sie zu<br />

formulieren und zu begründen ist eine<br />

Aufgabe von Philosophie, Ethik und –<br />

nicht zuletzt – des Rechts. Zwar sind<br />

auch naturwissenschaftliche Zusammenhänge<br />

zu berücksichtigen, sie sind<br />

im Hinblick auf bestimmte normative<br />

Gebote notwendige Anknüpfungs-<br />

181


punkte. Aber sie sind nicht Quelle oder<br />

Geltungsgrund solcher Gebote. Diese<br />

ergeben sich erst und allein aus eigenständiger<br />

philosophischer, ethischer<br />

und rechtlicher Argumentation, ihrer<br />

Tragfähigkeit und Überzeugungskraft.<br />

Es hilft auch nicht weiter, Positionen<br />

zum ontologischen und moralischen<br />

Status des Embryos und deren Begründung<br />

jeweils mit naturwissenschaftlichen<br />

Befunden in Relation zu setzen<br />

und d<strong>an</strong>n zu fragen, wieweit diese Positionen<br />

auch naturwissenschaftlich tragfähig<br />

sind.Das vermeidet zwar die naturalistischen<br />

Fehlschlüsse. Aber es bedeutet<br />

<strong>an</strong>derseits, dass die philosophisch/ethisch/rechtlicheArgumentation<br />

zum Status des Embryos letztlich mit<br />

der naturwissenschaftlichen auf die<br />

gleiche Ebene gestellt wird, obwohl die<br />

Erkenntnismöglichkeiten g<strong>an</strong>z unterschiedliche<br />

sind.<br />

b) Ebenso droht der Diskussion eher<br />

eine Gefahr als ein Nutzen durch die<br />

Her<strong>an</strong>ziehung des Personbegriffs. Der<br />

Personbegriff hat zwar eine ehrwürdige<br />

philosophische Tradition; in ihr sollte er<br />

die Eigenart des Menschen als individuelle<br />

Subst<strong>an</strong>z der rationalen Natur zum<br />

Ausdruck bringen, die ebenso der Natur-<br />

und Sinnenwelt wie der intelligiblen<br />

Welt zugehört. Die heutige Verwendung<br />

des Personbegriffs hat sich davon jedoch<br />

gelöst. Sie hat jetzt die Funktion,<br />

eine Differenzierung zwischen menschlichem<br />

und personalem Leben einzuführen<br />

und Personalität, Person-Sein als<br />

einen engeren Begriff gegenüber dem<br />

Menschsein zu fassen. Nicht jedes<br />

menschliche Leben, sondern erst ein<br />

durch bestimmte Eigenschaften und<br />

Qualitäten gekennzeichnetes soll ein<br />

personales Leben sein und sein Träger<br />

mithin eine Person.Wor<strong>an</strong> aber die Personalität<br />

gebunden sein soll, wird unterschiedlich<br />

bestimmt.Teils wird sie <strong>an</strong> die<br />

Wechselbeziehung mit dem mütterlichen<br />

Org<strong>an</strong>ismus nach der Nidation,<br />

teils <strong>an</strong> die Lebensfähigkeit außerhalb<br />

des Mutterleibs, teils weitergehend <strong>an</strong><br />

Ich-Bewusstsein oder die Fähigkeit zum<br />

selbstbestimmten H<strong>an</strong>deln geknüpft.<br />

Indem d<strong>an</strong>n die Würde des Menschen in<br />

einer – so definierten – Personalität begründet<br />

gesehen wird, folgt, dass nicht<br />

jedem menschlichen Lebewesen, sondern<br />

erst personalem menschlichen Leben<br />

Menschenwürde zukommt. Der<br />

182<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

Personbegriff dient so der Eingrenzung<br />

des Schutzbereichs des Achtungsgebots<br />

der Menschenwürde.<br />

Die Würde des Menschen<br />

von Anf<strong>an</strong>g <strong>an</strong><br />

➋ Solche Differenzierungsversuche<br />

können jedoch nicht entscheidend sein.<br />

Wenn es um die Reichweite der Menschenwürde<br />

und ihres Schutzes geht,<br />

wie die Verfassung ihn vorgibt, muss der<br />

Ausg<strong>an</strong>gspunkt das sein, was Art. 1 Abs.<br />

1 des Grundgesetzes sagt: „Die Würde<br />

des Menschen ist un<strong>an</strong>tastbar. Sie zu<br />

achten und zu schützen ist Verpflichtung<br />

aller staatlichen Gewalt.“ Dort<br />

wird nicht von der Würde der Person<br />

gesprochen, die zu achten und zu schützen<br />

sei, sondern von der Würde des<br />

Menschen. Sie kommt dem Menschen<br />

unabhängig von bestimmten Eigenschaften,<br />

Merkmalen oder aktuellen<br />

Fähigkeiten zu; allein auf das Menschsein<br />

kommt es <strong>an</strong>. Die zuerk<strong>an</strong>nte Würde<br />

gilt sowohl für jeden einzelnen Menschen<br />

als auch für den Menschen allgemein,<br />

die Formulierung „Würde des<br />

Menschen“ deckt beides ab, auch den<br />

Bezug auf die Menschen als Gattung.<br />

Worin diese Würde mit dem ihr zugeordneten<br />

Achtungsgebot inhaltlich besteht,<br />

mag streitig sein, soweit es um<br />

Konkretisierungen und Differenzierungen<br />

geht.Aber was den Kerngehalt dieses<br />

Satzes betrifft, worin seine normative<br />

Essenz liegt,ist weniger streitig,als es<br />

erscheinen mag. Ungeachtet verschiedener<br />

Ansätze, den Inhalt der Menschenwürde<br />

zu bestimmen, zeigte sich<br />

schon im Parlamentarischen Rat und<br />

auch später ein gemeinsam <strong>an</strong>erk<strong>an</strong>nter<br />

Kernbest<strong>an</strong>d. Er lässt sich mit der von<br />

K<strong>an</strong>t entlehnten Formel „Zweck <strong>an</strong> sich<br />

selbst“ oder der vom Bundesverfassungsgericht<br />

gegebenen Interpretation:<br />

„Dasein um seiner selbst willen“ umschreiben.<br />

Darin sind die Stellung und<br />

Anerkennung als eigenes Subjekt, die<br />

Freiheit zur eigenen Entfaltung, der<br />

Ausschluss von Instrumentalisierung<br />

nach Art einer Sache, über die einfach<br />

verfügt werden k<strong>an</strong>n, eingeschlossen.<br />

Dass Würde in diesem Sinn jedem<br />

einzelnen Menschen zukommt, ist in<br />

der Tat unbestritten. Die dar<strong>an</strong> notwendig<br />

<strong>an</strong>schließende und kontrovers dis-<br />

kutierte Frage ist, wieweit sich diese<br />

Anerkennung menschlicher Würde in<br />

den Lebensprozess jedes Menschen<br />

hinein erstrecken muss, damit sie auch<br />

wahr bleibt. Genügt es, wenn die Anerkennung<br />

und Achtung der Würde erst<br />

<strong>an</strong> einer bestimmten Stelle im Lebensprozess<br />

des Menschen einsetzt, dieser<br />

Lebensprozess davor aber verfügbar<br />

bleibt, oder muss diese Anerkennung<br />

und Achtung vom Ursprung <strong>an</strong>, dem ersten<br />

Beginn dieses menschlichen Lebens,<br />

bestehen? Nur das Letztere k<strong>an</strong>n der<br />

Fall sein, wenn das Dasein um seiner<br />

selbst willen oder der Zweck <strong>an</strong> sich<br />

selbst wahr bleiben und nicht eine inhaltsleere<br />

Deklamation werden soll.<br />

Wenn die Achtung der Würde für jeden<br />

Menschen als solchen gilt, muss sie<br />

ihm von Anf<strong>an</strong>g <strong>an</strong> zuerk<strong>an</strong>nt werden,<br />

nicht erst nach einem Intervall, das er –<br />

gegen Verzweckung und Beliebigkeit<br />

nicht abgeschirmt – erst einmal glücklich<br />

überst<strong>an</strong>den haben muss. Der Beginn<br />

eigenen Lebens des sich ausbildenden<br />

und entwickelnden Menschen liegt<br />

nun aber in der Befruchtung, nicht erst<br />

später. Durch sie bildet sich ein gegenüber<br />

Samenzelle und Eizelle, die auch<br />

Formen menschlichen Lebens sind,<br />

neues und eigenständiges menschliches<br />

Lebewesen. Es ist durch die Zusammenfügung<br />

eines so und nicht <strong>an</strong>ders<br />

bestimmten Chromosomensatzes unverwechselbar<br />

individuell gekennzeichnet.<br />

Dies ist – naturwissenschaftlich unbestritten<br />

– das biologische Fundament<br />

des einzelnen Menschen. Die spätere<br />

geistige und psychische Entwicklung ist<br />

darin schon mit <strong>an</strong>gelegt. Nachdem der<br />

individuelle Chromosomensatz fixiert<br />

ist, gibt es keinen Einschnitt in die Qualität<br />

dessen, was sich entwickelt. Das<br />

genetische Programm der Entwicklung<br />

ist fertig vorh<strong>an</strong>den, bedarf keiner Vervollständigung<br />

mehr, es entfaltet sich<br />

im Zuge des Lebensprozesses von innen<br />

her, nach Maßgabe eigener Org<strong>an</strong>isation.<br />

Dies alles k<strong>an</strong>n zwar nicht ohne<br />

Hilfe von außen geschehen wie die Zuführung<br />

von Nahrung, den Kontakt und<br />

Austausch mit dem mütterlichen Org<strong>an</strong>ismus.<br />

Aber dies sind nicht mehr als<br />

notwendige Bedingungen für die Möglichkeit<br />

der eigenen Entwicklung aus<br />

sich heraus und nicht etwa diese selbst;<br />

sie bestehen nicht nur vor, sondern zum<br />

Teil auch nach der Geburt l<strong>an</strong>ge Zeit


fort. Dass die Natur auf den so sich vollziehenden<br />

Lebensprozess einwirken,<br />

ihn auch abrupt beenden k<strong>an</strong>n, ist eine<br />

Tatsache, sie hebt aber seinen Beginn<br />

mit der Befruchtung nicht auf.<br />

Ob dem menschlichen Embryo der<br />

Schutz der Menschenwürde und damit<br />

auch das Recht auf Leben zukommt, ist<br />

also nicht von einer Art ontologischem<br />

Fundamentalismus abhängig, auch<br />

nicht davon, ob schon ein Acht- oder<br />

Sechzehnzeller empirisch als Person<br />

qualifiziert werden k<strong>an</strong>n. Entscheidend<br />

ist vielmehr, dass die Anerkennung der<br />

Würde des Menschen, wie das Grundgesetz<br />

sie ausspricht, nach ihrem normativen<br />

Gehalt auch auf die ersten Anfänge<br />

des Lebens eines jeden Menschen<br />

zu erstrecken ist.<br />

Das Lebensrecht eines<br />

Embryos<br />

➌ Was folgt nun aus dieser Reichweite<br />

des normativen Prinzips der Menschenwürde<br />

für die Probleme, die in der aktuellen<br />

bioethischen Debatte <strong>an</strong>stehen?<br />

a) Es ist offensichtlich, dass die<br />

(künstliche) Herstellung von <strong>Embryonen</strong><br />

zu <strong>Forschung</strong>szwecken, um durch<br />

deren Verbrauch (das heißt Tötung)<br />

Stammzellen zu gewinnen, <strong>an</strong> denen geforscht<br />

werden k<strong>an</strong>n, eine gravierende<br />

Verletzung des Menschenwürdeschutzes<br />

darstellt. Hier wird der Embryo instrumentalisiert:<br />

Er wird nur hergestellt,<br />

um ihn <strong>an</strong>schließend für die Gewinnung<br />

von Stammzellen zu verbrauchen,<br />

kein Jota von einem Dasein um<br />

seiner selbst willen ist noch wahrnehmbar.<br />

Solche verbrauchende <strong>Embryonen</strong>forschung<br />

muss, sol<strong>an</strong>ge die Menschenwürdegar<strong>an</strong>tie<br />

des Grundgesetzes<br />

gilt, verboten bleiben, auch wenn <strong>an</strong>dere<br />

Staaten das <strong>an</strong>ders sehen.<br />

Eine <strong>an</strong>dere Frage ist, wie es sich mit<br />

der Herstellung von Stammzellen verhält,<br />

wenn die <strong>Embryonen</strong> nicht zu diesem<br />

Zweck hergestellt wurden, vielmehr<br />

aus <strong>an</strong>deren Gründen, zum Beispiel<br />

dem Versuch einer Herbeiführung<br />

einer Schw<strong>an</strong>gerschaft (In-vitro-Fertilisation),<br />

entst<strong>an</strong>den sind, für diesen<br />

Zweck aber nicht mehr verwendet werden<br />

(können). Das sind die so gen<strong>an</strong>nten<br />

überzähligen <strong>Embryonen</strong>.Auch hier<br />

setzt die Gewinnung der Stammzellen<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

den Verbrauch,das heißt die Tötung von<br />

<strong>Embryonen</strong>, voraus. Darf das sein?<br />

Da diese <strong>Embryonen</strong> um eine<br />

Schw<strong>an</strong>gerschaft herbeizuführen geschaffen<br />

wurden, ist hier nicht primär<br />

die Achtung der Menschenwürde entscheidend,<br />

sondern das von der Menschenwürde<br />

getragene Lebensrecht des<br />

Embryos, das dem Schutz seiner biologisch-physischen<br />

Existenz dient. Nun<br />

ist das Lebensrecht des Menschen, das<br />

in der Menschenwürde seinen Grund<br />

hat, nicht absolut und un<strong>an</strong>tastbar<br />

wie die Achtung der Menschenwürde<br />

selbst. In dieses Recht k<strong>an</strong>n unter bestimmten<br />

Umständen eingegriffen werden,<br />

wie Art. 2 Abs. 2 des Grundgesetzes<br />

festlegt. Entsprechendes gilt auch<br />

für das Lebensrecht eines Embryos.<br />

Solche Eingriffe setzen aber, um gerechtfertigt<br />

zu sein, außergewöhnliche<br />

Konfliktlagen voraus (beispielsweise<br />

Notwehr). Da es bei solchen Eingriffen<br />

nicht nur um gewisse Einschränkungen,<br />

sondern zumeist um Leben und<br />

Tod geht, können sie überdies nur in<br />

Betracht kommen, wenn es überhaupt<br />

keine <strong>an</strong>deren Mittel zur Lösung des<br />

Konflikts gibt.<br />

Es spricht nichts dafür, dass im Blick<br />

auf das Interesse <strong>an</strong> der Stammzellforschung<br />

diese strengen Voraussetzungen<br />

gegenwärtig erfüllt sind. Das Interesse<br />

der Forscher ist legitim, auch vom<br />

Grundrecht der <strong>Forschung</strong>sfreiheit gestützt.<br />

Aber wie es nicht die Tötung eines<br />

Menschen rechtfertigen k<strong>an</strong>n, k<strong>an</strong>n<br />

es auch nicht den Verbrauch beziehungsweise<br />

die Tötung eines Embryos,<br />

der ein Mensch in nuce ist, legitimieren.<br />

Ebenso wenig k<strong>an</strong>n das Recht auf Gesundheit<br />

dazu dienen. Es geht ja bei<br />

dem <strong>Forschung</strong>sinteresse gar nicht um<br />

das gegenwärtige Leben oder die aktuelle<br />

Gesundheit einzelner oder mehrerer<br />

Menschen, sondern um durchaus<br />

ungesicherte Erwartungen, dass sich<br />

aus der Stammzellforschung vielleicht<br />

einmal Heilmittel für bisl<strong>an</strong>g nicht heilbare<br />

Kr<strong>an</strong>kheiten gewinnen lassen. Es<br />

ist ungewiss und unter Wissenschaftlern<br />

umstritten, ob die erwarteten Ergebnisse<br />

auch mit der <strong>Forschung</strong> <strong>an</strong> adulten<br />

oder Stammzellen aus Nabelschnurblut<br />

erzielt werden können. Die Gewinnung<br />

von Stammzellen durch Tötung von<br />

(überzähligen) <strong>Embryonen</strong> ist deshalb<br />

nicht zu rechtfertigen.<br />

b) Das so gewonnene Ergebnis gibt<br />

auch eine Grundlage für die Beurteilung<br />

des viel diskutierten Stammzellenimports.<br />

Es geht dabei um den Import<br />

von Stammzellen, die <strong>an</strong>dernorts – nach<br />

dortigem Recht (vielleicht) legal – mit<br />

der Tötung von <strong>Embryonen</strong>, dazu hergestellten<br />

oder überzähligen, gewonnen<br />

worden sind. Bei der Gewinnung dieser<br />

Stammzellen h<strong>an</strong>delt es sich um eine in<br />

Deutschl<strong>an</strong>d verbotene Tat; ihr Import<br />

umgeht das bestehende, ethisch und<br />

rechtlich aus der Achtung der Menschenwürde<br />

und dem Tötungsverbot<br />

begründete Verbot und hebelt es aus.<br />

Dar<strong>an</strong> können auch aufrichtig gemeinte<br />

strikte Einschränkungen nichts ändern.<br />

Der Hehler ist nicht besser als der Stehler.<br />

Auch dürfen die Auswirkungen dieses<br />

Einbruchs nicht übersehen werden:<br />

Wenn <strong>an</strong>derswo durch <strong>Embryonen</strong>verbrauch<br />

gewonnene Stammzellen hier<br />

verwendbar sind, warum können diese<br />

Stammzellen nicht auch bei uns hergestellt<br />

werden? Das ist kostengünstiger,<br />

effektiver und vermeidet Unglaubwürdigkeit.<br />

Solche Konsequenz ist unabweisbar,<br />

der Import wird nach seiner eigenen<br />

Logik der erste Schritt auch zur<br />

Herstellung vor Ort. Der Ausweg, den<br />

der Deutsche Bundestag beschritten<br />

hat, ist nicht frei von Widerspruch.<br />

c) Kaum weniger aktuell und bris<strong>an</strong>t<br />

ist die Frage nach der Zulässigkeit der<br />

Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik (<strong>PID</strong>). Sie<br />

ist durch das <strong>Embryonen</strong>schutzgesetz<br />

derzeit verboten. <strong>PID</strong> ist eine diagnostische<br />

Maßnahme, „bei der einem in vitro<br />

gezeugten Embryo nach den ersten<br />

Zellteilungen eine oder mehrere Zellen<br />

entnommen werden, um diese auf genetische<br />

Defekte oder Anlagen hin zu untersuchen“.<br />

Sie wird derzeit dazu eingesetzt,<br />

diejenigen <strong>Embryonen</strong>, bei denen<br />

sich eine genetisch bedingte schwere<br />

Kr<strong>an</strong>kheit oder die Anlage dazu nachweisen<br />

lässt, zu selektieren und nicht<br />

mehr auf die Frau zu übertragen. Das<br />

Ziel der <strong>PID</strong> ist also eine Aussonderung<br />

von defekten <strong>Embryonen</strong>.<br />

Es k<strong>an</strong>n wenig Zweifel dar<strong>an</strong> geben,<br />

dass die <strong>PID</strong> ein Selektionsinstrument<br />

ist und ihre Anwendung gegen die Achtung<br />

der Menschenwürde beim Embryo<br />

verstößt. Die <strong>PID</strong> wird nicht in G<strong>an</strong>g<br />

gesetzt, um den Wunsch nach einem<br />

Kind zu erfüllen. Dazu genügt die Invitro-Fertilisation.<br />

Sie wird vielmehr in<br />

183


G<strong>an</strong>g gesetzt, um den Wunsch nach einem<br />

genetisch gesunden Kind zu erfüllen.<br />

Der in vitro hergestellte Embryo<br />

wird nicht als solcher, als „Zweck <strong>an</strong><br />

sich selbst“ <strong>an</strong>erk<strong>an</strong>nt und gewollt, sondern<br />

abhängig von bestimmten Eigenschaften<br />

und Merkmalen, die er hat<br />

oder nicht hat. Nur unter dieser Voraussetzung<br />

wird ihm die Ch<strong>an</strong>ce zum Weiterleben<br />

eingeräumt. Deutlicher k<strong>an</strong>n<br />

nicht zum Ausdruck kommen, dass er<br />

keinen Anteil <strong>an</strong> menschlicher Würde<br />

hat,sondern nur einen <strong>an</strong> bestimmte Eigenschaften<br />

gebundenen Wert.<br />

Steht aber einem Verbot der <strong>PID</strong><br />

nicht die Menschenwürde und das<br />

Selbstbestimmungsrecht der Eltern und<br />

insbesondere der Frau entgegen? Das<br />

ist nicht der Fall. Denn weder werden<br />

die Eltern oder die Frau durch ein Verbot<br />

der <strong>PID</strong> zum Objekt gemacht und<br />

instrumentalisiert noch in ihrem Recht<br />

auf Selbstbestimmung verletzt. Ihre<br />

Entscheidung, ob und w<strong>an</strong>n sie einen<br />

Kindeswunsch und wie sie ihn erfüllen<br />

wollen, ist frei und selbstbestimmt. Sie<br />

werden nur dar<strong>an</strong> festhalten, wenn sie<br />

ein Kind wollen, es als solches zu wollen<br />

und nicht nur als ein Kind mit bestimmten<br />

Eigenschaften. Der Verzicht auf<br />

<strong>PID</strong> ist auch zumutbar. Wenn Menschen<br />

es als unzumutbar empfinden,<br />

dass sie erbkr<strong>an</strong>ke oder behinderte<br />

Kinder bekommen, steht es ihnen frei,<br />

auf Elternschaft zu verzichten.<br />

M<strong>an</strong> darf nicht übersehen, welches<br />

breite Tor geöffnet wird, wenn die <strong>PID</strong>,<br />

wie schon in einigen Ländern geschehen,<br />

zugelassen wird. Die möglichen<br />

Anwendungsgebiete sind vielfältig.<br />

Heft 23, 6. Juni 2003<br />

Menschenwürde<br />

Zu dem Beitrag „Dasein um seiner selbst willen“<br />

von Prof. Dr. jur. Dr. phil. Ernst-Wolfg<strong>an</strong>g Böckenförde<br />

in Heft 19/2003:<br />

Analogie: milit<strong>an</strong>te Tierschützer<br />

Eine wesentliche Aussage von Böckenförde<br />

ist, dass die Gewinnung von<br />

Stammzellen durch Tötung von (überzähligen)<br />

<strong>Embryonen</strong> nicht zu rechtfertigen<br />

sei, auch d<strong>an</strong>n nicht, wenn aus der<br />

Stammzellforschung vielleicht einmal<br />

Heilmittel für bisl<strong>an</strong>g nicht heilbare<br />

184<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

Zwar wird die <strong>PID</strong> derzeit von ihren<br />

Befürwortern nur für Fälle bestimmter<br />

schwerer Erbkr<strong>an</strong>kheiten gefordert, sofern<br />

ein hohes genetisches Risiko vorliegt.<br />

Schon dies bedeutet jedoch eine<br />

schwere Diskriminierung der entsprechend<br />

behinderten oder mit einer Erbkr<strong>an</strong>kheit<br />

belasteten Menschen. Sie<br />

sind diejenigen, die eigentlich nicht da<br />

sein sollten, deren Leben als nicht lebenswert<br />

erscheint und die eine Frau,<br />

die ver<strong>an</strong>twortlich h<strong>an</strong>delt, nicht gebären<br />

sollte. Diese Diskriminierung<br />

verstärkt sich noch, wenn die betreffenden<br />

Kr<strong>an</strong>kheiten in einem Katalog ben<strong>an</strong>nt<br />

werden.Warum soll d<strong>an</strong>n ein solcher<br />

Katalog nicht erweitert werden?<br />

Warum sollte <strong>PID</strong> nur zur Abwehr<br />

schwerer genetisch bedingter Kr<strong>an</strong>kheiten<br />

und nicht auch für eine positive<br />

Eugenik <strong>an</strong>gew<strong>an</strong>dt werden?<br />

d) Für die Beurteilung des so gen<strong>an</strong>nten<br />

therapeutischen Klonens ist<br />

zwischen der therapeutischen Verwendung<br />

embryonaler Stammzellen und<br />

adulter Zellkerne zu unterscheiden.<br />

Die Verwendung embryonaler Stammzellen<br />

und adulter Zellkerne unterscheidet<br />

sich im Blick auf das Prinzip<br />

Menschenwürde und das Tötungsverbot<br />

nicht von der verbrauchenden <strong>Embryonen</strong>forschung.<br />

Eigens dazu hergestellte<br />

oder <strong>an</strong>derweitig entst<strong>an</strong>dene<br />

<strong>Embryonen</strong> werden als Mittel für <strong>an</strong>dere<br />

externe Zwecke verbraucht und dabei<br />

getötet. Die Achtung der Menschenwürde<br />

und das Tötungsverbot stehen<br />

dem eindeutig entgegen.<br />

Bei der Verwendung adulter Zellkerne<br />

stellt der Ge- und Verbrauch dieser<br />

Kr<strong>an</strong>kheiten resultieren würden, was<br />

aber durchaus ungewiss ist. Das betrifft<br />

natürlich auch den Import von Stammzellen.Aus<br />

abstrakt ethischer Sicht können<br />

wahrscheinlich die meisten einer<br />

solchen Formulierung zustimmen. Ein<br />

Problem entsteht d<strong>an</strong>n, wenn die abstrakte<br />

Ethik ihres Mythos entkleidet<br />

wird. Sollte es doch eines Tages – wider<br />

Erwarten – möglich sein, auf dieser Basis<br />

entwickelte wirksame Medikamente<br />

<strong>an</strong>zubieten, was d<strong>an</strong>n? Da durch die<br />

Exegese des Grundgesetzes verhindert<br />

Zellen keine Tötungsh<strong>an</strong>dlung dar. Die<br />

adulten Zellen, die einem lebenden, in<br />

der Regel erwachsenen Menschen entnommen<br />

werden, sind keine <strong>Embryonen</strong>,<br />

nicht eigene menschliche Lebewesen,<br />

sondern nur Zellen. Sie können als<br />

solche zu Heilungszwecken verbraucht<br />

werden. Das Eigenartige und Herausfordernde<br />

ist die Art der Verwendung.<br />

Der Zellkern wird in eine vorher entkernte<br />

Eizelle eingepfl<strong>an</strong>zt und auf diese<br />

Weise ein neues Lebewesen ohne<br />

Verschmelzung von Samen- und Eizelle<br />

künstlich hergestellt, was bei voller Entwicklung,<br />

würde sie nicht abgebrochen,<br />

mit dem Menschen, dem die Zelle entnommen<br />

wurde, genetisch identisch wäre.<br />

Das ist mit der Achtung der Menschenwürde<br />

nach meiner Auffassung<br />

schwerlich vereinbar.<br />

❚ Zitierweise dieses Beitrags:<br />

Dtsch Arztebl 2003; 100: A 1246–1249 [Heft 19]<br />

Anschrift des Verfassers:<br />

Prof. (em.) Dr. iur. Dr. phil.<br />

Ernst-Wolfg<strong>an</strong>g Böckenförde<br />

Albert-Ludwigs-Universität Freiburg<br />

Türkheimstraße 1, 79280 Au/Breisgau<br />

wurde, diese Medikamente in Deutschl<strong>an</strong>d<br />

zu entwickeln, wird es <strong>an</strong>dere europäische<br />

und/oder US-amerik<strong>an</strong>ische<br />

Anbieter geben.Verschließen wir uns<br />

d<strong>an</strong>n dem pharmakologischen Fortschritt<br />

– was nur konsequent wäre?<br />

Oder sind wir Pharisäer und importieren<br />

die innovativen Medikamente, die<br />

<strong>an</strong>dere gegen unseren Willen, aber für<br />

uns entwickelt haben?<br />

Eine <strong>an</strong>aloge Situation haben uns vor<br />

Jahren schon die milit<strong>an</strong>ten Tierschützer<br />

beschert. Nachdem erhebliche Teile


der tierexperimentellen Pharmakologie<br />

ins Ausl<strong>an</strong>d vertrieben wurden,<br />

haben sich dieselben Leute ohne Bedenken<br />

der Arzneimittel bedient, die<br />

daraufhin im Ausl<strong>an</strong>d entwickelt wurden.<br />

Entscheidend war, dass deutsche<br />

Hunde, Katzen, Ratten, Mäuse usw.<br />

geschont wurden. Der Gießener<br />

Pharmakologe Ernst Haberm<strong>an</strong>n<br />

hatte diese autistisch-undisziplinierte<br />

Rechtfertigungsethik unter Bezug auf<br />

das viktori<strong>an</strong>ische Engl<strong>an</strong>d als „viktori<strong>an</strong>ische<br />

Moral“ bezeichnet.Wenn<br />

ich Böckenförde nicht völlig falsch<br />

verstehe, besteht die Gefahr, dass<br />

deutsche <strong>Embryonen</strong> zwar per<br />

Grundgesetz geschützt werden, <strong>Embryonen</strong><br />

aus <strong>an</strong>deren Gegenden (Bulgarien,<br />

Rumänien,Thail<strong>an</strong>d usw.)<br />

aber zu <strong>Forschung</strong>szwecken vielleicht<br />

legal zur Verfügung stehen. Das ist<br />

nicht fair.<br />

Prof. Dr. Fr<strong>an</strong>k P. Meyer, Magdeburger Straße<br />

29, 39167 Groß Rodensleben<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

Heft 23, 6. Juni 2003<br />

Europäisches Parlament<br />

Strenge St<strong>an</strong>dards für die<br />

Gewebespende<br />

Das EU-Parlament ist formal der Ansicht, dass die Mitgliedsstaaten<br />

selbst über Regeln der <strong>Forschung</strong> mit <strong>Embryonen</strong> und<br />

embryonalen Stammzellen entscheiden sollen.<br />

Die Entscheidung fiel haarscharf.<br />

Mit Stimmengleichheit hat das Europäische<br />

Parlament im April einen<br />

Antrag abgelehnt, der m<strong>an</strong>chem<br />

Wissenschaftler in Europa schwer im<br />

Magen gelegen hätte – wenn er denn<br />

Realität geworden wäre. Ziel der Initiative<br />

war es, in den EU-Mitgliedsstaaten<br />

das Forschen mit so gen<strong>an</strong>nten überzähligen<br />

<strong>Embryonen</strong>, die zum Zweck<br />

der künstlichen Befruchtung hergestellt<br />

wurden, zu verbieten. 232 Abgeordnete<br />

des Straßburger Parlaments stimmten<br />

für das Verbot, 232 dagegen – und Stimmengleichheit<br />

bedeutet Ablehnung: Damit<br />

ist das EU-Parlament formal der Ansicht,<br />

dass die Mitgliedsstaaten selbst<br />

über ein Verbot oder über Regeln der<br />

<strong>Forschung</strong> mit <strong>Embryonen</strong> und embryonalen<br />

Stammzellen entscheiden sollen.<br />

Richtlinie ist auf dem Weg<br />

durch die Inst<strong>an</strong>zen<br />

Die denkbar knappe Ablehnung des<br />

<strong>Forschung</strong>sverbots <strong>an</strong> <strong>Embryonen</strong> ist<br />

ein Indiz dafür, dass zentrale Entscheidungen<br />

auch für die deutsche Stammzellforschung<br />

längst in Straßburg und<br />

Brüssel fallen. Welchen Einfluss die<br />

EU-Institutionen haben wird in den<br />

nächsten Monaten gerade <strong>an</strong> einer EUweiten<br />

Richtlinie für die Tr<strong>an</strong>spl<strong>an</strong>tation<br />

von Zellen und Gewebe deutlich<br />

werden, in deren Rahmen auch über<br />

den Klon-Antrag abgestimmt wurde.<br />

Auf den ersten Blick scheint sich die<br />

Richtlinie vor allem Haut-, Augenhornhaut-,<br />

Knochen- und Herzklappen-Spenden<br />

zu beschränken, die heute in Europa<br />

bereits Alltag sind. Doch die EU-Parlamentarier<br />

wollen dafür sorgen, dass die<br />

Richtlinie auch Fragen der Stammzellforschung<br />

eindeutig regelt. „Ich rechne<br />

mit harten Diskussionen“, sagt der Europaabgeordnete<br />

Dr. Peter Liese (CDU).<br />

Diese Richtlinie, die die Spende,Verarbeitung<br />

und Verwendung einer Reihe<br />

von Geweben regeln soll, ist derzeit auf<br />

dem Weg durch die Inst<strong>an</strong>zen. Einen ersten<br />

Entwurf hatte im Juni letzten Jahres<br />

die Brüsseler Kommission vorgelegt.<br />

Doch bei der Regelung hat das Europa-Parlament<br />

ein Mitspracherecht.<br />

„Und das wollen wir nutzen“, sagt Liese,<br />

der als so gen<strong>an</strong>nter Berichterstatter<br />

die Federführung bei der Formulierung<br />

des Berichts des Parlaments hatte.<br />

Die Idee der Kommission, diese<br />

Spenden EU-einheitlich zu regeln, gehe<br />

grundsätzlich in die richtige Richtung,<br />

bescheinigten die Parlamentarier der<br />

Kommission im April - und beschlossen<br />

d<strong>an</strong>n in erster Lesung knapp 80 Änderungen,<br />

die deutlich strengere St<strong>an</strong>dards<br />

für Qualität und Sicherheit von<br />

Zellen und Geweben fordern. So hat<br />

das Parlament den Vorschlag der Kommission<br />

in einer Reihe von Punkten wesentlich<br />

verschärft:<br />

❃ Spender sollen ausdrücklich<br />

schriftlich oder in vom Gesetzgeber genau<br />

zu definierenden Ausnahmefällen<br />

mündlich vor Zeugen einwilligen. Die<br />

Einwilligung muss – bis zur Verwendung<br />

des Gewebes beziehungsweise der<br />

Zellen – jederzeit zurückgezogen werden<br />

können, ohne dass dem Spender<br />

dadurch Nachteile entstehen.<br />

❃ Die Entnahme von Zellen und Geweben<br />

von verstorbenen Personen ist<br />

nach dem Willen des Parlaments nicht<br />

möglich, wenn diese zu Lebzeiten ausdrücklich<br />

widersprochen haben. Wenn<br />

jem<strong>an</strong>d keine Erklärung abgegeben hat,<br />

185


können Zellen und Gewebe nur entnommen<br />

werden, wenn die Angehörigen<br />

ausdrücklich zugestimmt haben.<br />

❃ Zellen und Gewebe dürfen nicht<br />

von Personen entnommen werden, die<br />

keine rechtskräftige Einwilligung geben<br />

können.<br />

Die EU-Abgeordneten nutzten aber<br />

auch die Gelegenheit, klare Grenzen<br />

bei der Verwendung embryonaler<br />

Stammzellen und zur Frage des Klonens<br />

von menschlichen <strong>Embryonen</strong> zu<br />

ziehen. Klonen will die Mehrheit der<br />

Parlamentarier EU-weit verbieten; ausdrücklich<br />

wird zudem ausgeschlossen,<br />

dass „geklonte menschliche Embryos<br />

und menschliche/tierische Hybridembryos<br />

und von ihnen abgeleitete Gewebe<br />

und Zellen als Quellen für Tr<strong>an</strong>spl<strong>an</strong>tationsmaterial“<br />

genutzt werden.<br />

Heftiger Widerst<strong>an</strong>d wird<br />

aus Großbrit<strong>an</strong>nien erwartet<br />

Die Frage ist, inwieweit das Parlament<br />

seine Vorstellungen durchsetzen k<strong>an</strong>n.<br />

Die endgültige Richtlinie muss Liese<br />

jetzt mit den Gesundheitsministern der<br />

15 EU-Mitgliedsländer aush<strong>an</strong>deln. Der<br />

heftigste Widerst<strong>an</strong>d gegen den Parlamentsentwurf<br />

wird dabei wohl aus Großbrit<strong>an</strong>nien<br />

kommen. Dort ist das so gen<strong>an</strong>nte<br />

therapeutische Klonen menschlicher<br />

<strong>Embryonen</strong> erlaubt, diese <strong>Embryonen</strong><br />

dürfen allerdings nicht in die Gebärmutter<br />

einer Frau impl<strong>an</strong>tiert werden.<br />

Streit wird es auch um die Frage geben,<br />

ob die Richtlinie auch für Gewebespenden<br />

gelten soll, die ausschließlich<br />

für Laborforschung verwendet werden<br />

sollen. Während die EU-Kommission<br />

solche Spenden ausdrücklich von der<br />

Richtlinie ausnehmen wollte, hat das<br />

Parlament die <strong>Forschung</strong> ausdrücklich<br />

eingeschlossen. „Wir wollen hohe St<strong>an</strong>dards<br />

für den Schutz der Spender festschreiben“,<br />

sagt Liese: Und da sei es<br />

unerheblich, für welchen Zweck ein<br />

Spender Zellen oder Gewebe spende,<br />

schließlich sei beispielsweise die Gesundheitsbelastung<br />

durch die Entnahme<br />

dieselbe. Allerdings sollten in der<br />

<strong>Forschung</strong> d<strong>an</strong>n weniger strenge Regeln<br />

für die Aufbereitung und Lagerung<br />

von Zellen und Geweben gelten, die<br />

nicht auf <strong>an</strong>dere Menschen übertragen<br />

werden. Klaus Koch<br />

186<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

Heft 24, 1<strong>3.</strong> Juni 2003<br />

1. Ökumenischer Kirchentag<br />

„Den Sterbenden ein<br />

Segen sein“<br />

Interkultureller Umg<strong>an</strong>g mit Leiden und Tod<br />

Was interessiert mich der Tod?“<br />

fragte der Philosoph Epikur.<br />

„Wo der Tod ist, da bin ich<br />

nicht, und wo ich bin, da ist der Tod<br />

nicht!“ Eine genial einfache Lösung.<br />

Aber diese Auffassung hat nur so l<strong>an</strong>ge<br />

Best<strong>an</strong>d, wie m<strong>an</strong> sich als Gesunder von<br />

gesunden Menschen umgeben sieht.<br />

Während des 1. Ökumenischen Kirchentages<br />

in Berlin trafen sich in der<br />

Kreuzberger Emmaus-Kirche Men-<br />

Ökumenischer Kirchentag in Berlin<br />

Auf dem 1. Ökumenischen Kirchentag in Berlin diskutierten<br />

Wissenschaftler und Kirchentagsgäste die<br />

Familienpolitik und die Reproduktionsmedizin. Der<br />

Tübinger Sozialethiker Prof. Dr. Dietmar Mieth sieht<br />

in der Kinderlosigkeit ein soziales Problem. Dabei<br />

stünde der Kinderlosigkeit jeder dritten Frau ein Kinderwunsch<br />

bei 80 Prozent aller Frauen gegenüber.<br />

Die heutigen Anforderungen von Flexibilität und<br />

Mobilität der Arbeitnehmer laufen dem Familienwunsch<br />

zuwider. Die durch fehlende Unterstützung<br />

hervorgerufene Kinderlosigkeit könne auch die Reproduktionsmedizin<br />

nicht beheben. Bevor m<strong>an</strong> zu<br />

technischen Lösungen greife, sollten die sozialen Ursachen<br />

des Geburtenrückg<strong>an</strong>gs untersucht werden.<br />

Der Präsident der Bundesärztekammer, Prof. Dr.<br />

med. Jörg-Dietrich Hoppe, erläuterte den Kirchentagsteilnehmern,<br />

dass Schw<strong>an</strong>gerschaften mit zunehmendem<br />

Alter risikoreicher würden.Aus medizinischen<br />

Erwägungen sei es darum sinnvoll, so Hoppe,<br />

eine frühe Familiengründung zu fördern. Der<br />

Kölner Gesundheitsökonom Prof. Dr. med. Dr. Karl<br />

W. Lauterbach unterstrich die Bedeutung der Familienpolitik<br />

auf die sozialen Sicherungssysteme. Eine<br />

kinderlose Gesellschaft drohe zu vergreisen und<br />

könne das soziale Sicherungssystem sprengen. Erste<br />

Vorzeichen seien bereits deutlich geworden.<br />

Einhellig lehnten die Wissenschaftler die Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

ab. Diese diene alleine der<br />

schen, die <strong>an</strong>dere Erfahrungen als der<br />

Philosoph gesammelt haben.Angehörige,<br />

Kr<strong>an</strong>kenhausseelsorger, Pflegekräfte<br />

und Ärzte tauschten hier unter dem<br />

Motto „den Sterbenden ein Segen sein“<br />

ihre Erfahrungen und Positionen aus.<br />

In die Emmaus-Kirche kamen Kirchentagsbesucher,<br />

die <strong>an</strong>dere Menschen leidend<br />

und sterbend erlebt haben. Der<br />

Tod ist ein zentrales Thema aller Religionen.<br />

Und bei aller Vielfalt will jede<br />

Kinderwunsch oder Kind nach Wunsch?<br />

Ethiker, Ärzte und Juristen fordern bessere Möglichkeiten, um<br />

Kindererziehung, Ausbildung und Beruf mitein<strong>an</strong>der zu vereinbaren.<br />

Einhellige Ablehnung der Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik.<br />

Selektion von <strong>Embryonen</strong> und müsse daher auch<br />

weiter verboten bleiben. Aber auch bei der Pränataldiagnostik<br />

(<strong>PND</strong>) müsse m<strong>an</strong> sich fragen, welche<br />

Konsequenz diese Untersuchung für das betroffene<br />

Paar und für das gesellschaftliche Ansehen<br />

von Menschen mit einer <strong>an</strong>geborenen Behinderung<br />

haben werde. Die Lehrstuhlinhaberin für<br />

Öffentliches Recht und Rechtsvergleichung, Prof.<br />

Dr. Ute Sacksofsky, aus Fr<strong>an</strong>kfurt/Main, plädierte<br />

wie auch ihre Diskussionspartner auf dem Podium<br />

dafür, die Pränataldiagnostik auf den Prüfst<strong>an</strong>d<br />

zu stellen. Hoppe w<strong>an</strong>dte ein, dass die <strong>PND</strong> dazu<br />

dienen könne, beispielsweise Herzfehler zu erkennen<br />

und noch während der Schw<strong>an</strong>gerschaft im<br />

Mutterleib zu operieren. Insofern hätte der Fetus<br />

einen direkten Nutzen von dieser Untersuchung.<br />

Aber bisher arbeiteten nach Hoppes Auffassung<br />

die Mediziner in einer „völlig inkonsistenten<br />

Rechtslage“.<br />

Die Kirchentagsver<strong>an</strong>staltung war ein deutliches<br />

Zeichen dafür, dass ein erheblicher Diskussionsbedarf<br />

besteht. Das Vorst<strong>an</strong>dsmitglied der<br />

Bundesärztekammer Rudolf Henke und Dr. Julika<br />

Mayer, Wissenschaftlerin am Institut für Medizinm<strong>an</strong>agement<br />

und Gesundheitswissenschaften der<br />

Universität Bayreuth, hatten als „Anwälte des<br />

Publikums“ über 80 Fragen <strong>an</strong> die Wissenschaftler<br />

zu bündeln. DR


Glaubensrichtung auf ihre Weise „den<br />

Sterbenden ein Segen sein“. Gemeindepastor<br />

und Initiator Jörg Machel hatte<br />

den Tod in den Mittelpunkt gerückt, um<br />

Suizid, Sterbehilfe, Sterben in Würde<br />

und Trauerarbeit zu thematisieren. „Mit<br />

<strong>an</strong>deren Augen“ wurden hebräische Bibel,<br />

Neues Testament und Buddhas<br />

Lehren interpretiert. In Film-Workshops,<br />

Meditationen, Lesungen, Musikver<strong>an</strong>staltungen,<br />

Vorträgen und Podiumsdiskussionen<br />

näherte sich das Publikum<br />

dem schweren Thema.<br />

Der Leiter der Palliativstation im<br />

Gemeinschaftskr<strong>an</strong>kenhaus Havelhöhe<br />

in Berlin, Priv.-Doz. Dr. med. H.<br />

Christoph Müller-Busch, zeigte die<br />

Kehrseite der erfolgreichen Medizin.<br />

„Die Fortschritte der modernen Medizin<br />

erlauben es, Sterbeprozesse qualvoll<br />

in die Länge zu ziehen . . . Menschenwürdiges<br />

Sterben bedeutet aber,<br />

für einen erträglichen Sterbeprozess<br />

Sorge zu tragen.“ Aus den Erfahrungen<br />

der staatlichen Euth<strong>an</strong>asie im<br />

Dritten Reich heraus tue die Ärzteschaft<br />

gut dar<strong>an</strong>, die aktive Sterbehilfe<br />

abzulehnen. Müller-Busch warnte die<br />

Befürworter der aktiven Sterbehilfe<br />

Heft 24, 1<strong>3.</strong> Juni 2003<br />

Interview<br />

DÄ: Herr Präsident, die Medizin<br />

schafft Möglichkeiten zur Diagnose<br />

und Therapie, die auch hier auf dem<br />

1. Ökumenischen Kirchentag in der<br />

Diskussion um die Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

(<strong>PID</strong>) diskutiert werden.<br />

Diese Möglichkeiten verursachen d<strong>an</strong>n<br />

gesellschaftliche Probleme. Wer trägt<br />

dafür die Ver<strong>an</strong>twortung?<br />

Hoppe: Diese Möglichkeiten sind<br />

ja die Antworten auf Probleme, die aus<br />

der Bevölkerung <strong>an</strong> die Medizin her<strong>an</strong>getragen<br />

werden. Die Medizin findet<br />

d<strong>an</strong>n Lösungen, die natürlich ihrerseits<br />

wieder Probleme produzieren. Das ist<br />

ein Hin und Her seit vielen, vielen Jahren,<br />

in der letzten Zeit immer intensiver.<br />

Wir tragen alle gemeinsam die<br />

Ver<strong>an</strong>twortung.<br />

DÄ: Ist es also notwendig, dass ein<br />

Diskurs stattfindet zwischen den Fachleuten,<br />

also den Politikern und den Medizinern,<br />

um sich darüber zu einigen,<br />

was überhaupt geleistet werden soll?<br />

Hoppe: Ja, aber natürlich sollte die<br />

Gesellschaft mit einbezogen werden,<br />

weil sich dort ja die Meinung bildet,<br />

was m<strong>an</strong> will und was m<strong>an</strong> nicht will.<br />

Interview mit<br />

dem Präsidenten<br />

der<br />

Bundesärztekammer,<br />

Prof.<br />

Dr. Jörg-Dietrich<br />

Hoppe,<br />

ÖkumenischerKirchentag,<br />

29. Mai,<br />

in Berlin<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

davor, dass schnell aus dem geforderten<br />

Recht eine Pflicht werden könne.<br />

Andererseits, so beklagte Müller-<br />

Busch, sei „Übertherapie,Aktionismus<br />

oder nur symbolhaftes H<strong>an</strong>deln“ ein<br />

weit verbreitetes Phänomen unter<br />

Ärzten. Viel zu oft werde aus falschem<br />

Augenmaß heraus gegen den Willen<br />

des Patienten agiert. Im Zweifelsfall<br />

werde alles Machbare get<strong>an</strong>. Eine Patientenverfügung<br />

könne <strong>an</strong> dieser Stelle<br />

beiden Seiten helfen, dem Willen des<br />

Patienten nachzukommen.<br />

„Wir brauchen ein besseres Verständnis<br />

für die Bedürfnisse der<br />

Schwerstleidenden und Sterbenden.<br />

Jeder Arzt sollte in der Lage sein, seinen<br />

Patienten bis zu seinem Ableben<br />

würdig und kompetent zu begleiten“,<br />

forderte die Ex-Bundesjustizministerin<br />

Herta Däubler-Gmelin. In ihrer<br />

Funktion als Schirmherrin der Bundesarbeitsgemeinschaft<br />

Hospiz sprach<br />

sie sich dafür aus, aktive Sterbehilfe<br />

weiterhin zu untersagen. Parallel dazu<br />

müssten aber die Hospizbewegung und<br />

die Palliativmedizin stärkere Unterstützung<br />

finden. Das erneute Votum<br />

des Ärztetages für den Ausbau der Pal-<br />

Das ist keine rein politische Entscheidung,<br />

zum Beispiel ob wir <strong>PID</strong> zulassen<br />

in Deutschl<strong>an</strong>d, ja oder nein, das ist eine<br />

gesellschaftliche Entscheidung, die<br />

alle zusammen treffen müssen.<br />

DÄ: Ich komme noch einmal zurück<br />

auf die Stimmungen. Es besteht ein Dilemma<br />

des individuellen Wünschens<br />

und des gesellschaftlichen Konsenses.<br />

Dieses Dilemma ist Teil der ärztlichen<br />

Beratungstätigkeit. Wie f<strong>an</strong>gen Ärzte<br />

das auf?<br />

Hoppe: Wir Ärzte versuchen, die Patientinnen<br />

und Patienten optimal aufzuklären.Alle<br />

Zusammenhänge müssen<br />

wir bezeichnen und beschreiben. D<strong>an</strong>n<br />

suchen wir mit dem Betroffenen part-<br />

Foto: Bernhard Eifrig<br />

nerschaftlich nach einer für das jeweilige<br />

Individuum geeigneten Lösung.<br />

DÄ: Dabei ist oftmals schwierig, dass<br />

das, was gesellschaftlich als nützlich<br />

oder als gut <strong>an</strong>gesehen wird, vom Individuum<br />

nicht akzeptiert wird. Schafft<br />

das nicht Frustrationen für den Arzt?<br />

Hoppe: Das k<strong>an</strong>n passieren, auch<br />

umgekehrt k<strong>an</strong>n es so sein, dass Ärzte<br />

gerne etwas <strong>an</strong>wenden würden, was<br />

nicht erlaubt ist. Und deshalb können<br />

sie m<strong>an</strong>chen Menschen nicht so helfen,<br />

wie sie das gerne tun würden.<br />

Aber damit muss m<strong>an</strong> sich eben abfinden,<br />

wir sind ja nicht alleine auf der<br />

Welt. Wir leben in einer großen Gemeinschaft<br />

in Deutschl<strong>an</strong>d von nahezu<br />

80 Millionen Menschen, und da hat<br />

m<strong>an</strong> sich d<strong>an</strong>n auch nach der Mehrheitsmeinung<br />

zu richten.<br />

DÄ: Eine Frage noch zur Fin<strong>an</strong>zierbarkeit<br />

unseres Gesundheitssystems.<br />

Im Moment ist ja in der Diskussion,<br />

dass m<strong>an</strong> unter <strong>an</strong>derem die Reproduktionstechniken<br />

über Steuer fin<strong>an</strong>zieren<br />

möchte. Sie hatten auf dieser<br />

Ver<strong>an</strong>staltung auch <strong>an</strong>gesprochen,<br />

liativmedizin und gegen die aktive<br />

Sterbehilfe stärke der Hospizbewegung<br />

den Rücken.Viele Menschen, die<br />

sich für Sterbehilfe aussprächen, wollten<br />

in Wirklichkeit eine Sterbebegleitung,<br />

mit der ihnen unerträgliches<br />

Leiden vor dem Tod erspart bliebe.<br />

Der ärztliche Heilberuf diene dem Leben.<br />

Ein Arzt h<strong>an</strong>dele nach dem hippokratischen<br />

Grundsatz: Non nocere<br />

(nicht schaden). Deshalb dürfe dieser<br />

Berufsst<strong>an</strong>d der Helfenden und Heilenden<br />

nicht den Freibrief zur Tötung<br />

erhalten.<br />

Fehl- oder Todgeburten und der<br />

plötzliche Kindstod sind unerträgliche<br />

Schicksalsschläge für die betroffenen<br />

Eltern. Frauen und Paare fühlen sich<br />

mit ihrer Trauer und ihren Schuldgefühlen<br />

oft allein gelassen.Auf dem Kirchentag<br />

wurde klar, dass viele Todgeburten<br />

unter unwürdigen Bedingungen<br />

das Licht der Welt erblicken und<br />

beerdigt werden. Das von den Eltern<br />

noch nicht realisierte Unglück begegnet<br />

professionellem Umg<strong>an</strong>g mit Toten.<br />

Eine Zusammenarbeit von Hebamme,<br />

Arzt und Kr<strong>an</strong>kenhausseelsorge<br />

k<strong>an</strong>n die persönlichen Leiden lin-<br />

dass es in der Familienpolitik um eine<br />

Querschnittsaufgabe verschiedener<br />

gesellschaftlicher Bereiche geht. Halten<br />

Sie es für richtig, dass die Familienleistungen<br />

zum guten Teil aus dem Leistungskatalog<br />

der Kassen gestrichen<br />

werden und steuerfin<strong>an</strong>ziert werden?<br />

Hoppe: Ja, ich halte das für richtig,<br />

denn es h<strong>an</strong>delt sich hierbei um eine<br />

Angelegenheit, die die gesamte Gesellschaft<br />

betrifft. Wenn sich unsere<br />

Bevölkerung fortpfl<strong>an</strong>zen soll, d<strong>an</strong>n ist<br />

das eine Angelegenheit, die nichts mit<br />

Kr<strong>an</strong>kheit, sondern mit Familien- oder<br />

Fortpfl<strong>an</strong>zungspolitik zu tun hat. Aber<br />

es ist sicher nicht gut und richtig, wenn<br />

m<strong>an</strong> aus den Löhnen der Beitragszahler<br />

diese Dinge bezahlen lässt. Ich<br />

bin der Meinung, dass für diese gesamtgesellschaftlichen<br />

Aufgaben die<br />

Steuer die richtige Quelle ist, um das<br />

zu fin<strong>an</strong>zieren. Ich möchte aber nicht,<br />

dass die Menschen mit diesen Problemen<br />

alleine gelassen werden, also<br />

dass das privatisiert wird, sondern es<br />

soll schon die Allgemeinheit dafür aufkommen,<br />

wenn wir Wert darauf legen,<br />

dass das Volk sozusagen bestehen<br />

bleibt, indem es sich fortpfl<strong>an</strong>zt. ✮<br />

187


dern. Allerdings beklagte die Hebamme<br />

Jutta Bartholomé von der Initiative<br />

Regenbogen – glücklose Schw<strong>an</strong>gerschaft<br />

e.V., dass immer noch in vielen<br />

Häusern die Chefärzte alleine entschieden,<br />

wie mit Totgeburten umgeg<strong>an</strong>gen<br />

werden solle.<br />

Überfüllt war die Emmaus-Kirche<br />

beim Auftritt des Paderborner Theologen<br />

Eugen Drewerm<strong>an</strong>n. In seiner Interpretation<br />

des Grimmschen Märchens<br />

„Gevatter Tod“ nahm sich Drewerm<strong>an</strong>n<br />

der Rolle des Arztes <strong>an</strong>, dessen Pate Gevatter<br />

Tod war. Sein Streben nach<br />

Reichtum, Schönheit und Macht lässt<br />

ihn seine Absprache mit dem Tod vergessen.<br />

Als er ein zweites Mal Gevatter<br />

Tod austrickst, macht dieser mit dem<br />

Arzt kurzen Prozess. Für Drewerm<strong>an</strong>n<br />

dokumentiert sich darin die Eitelkeit<br />

des Arztes. Er sei mächtig, weil er die<br />

Konstellation des Todes begreift, aber<br />

Heft 28-29, 14. Juli 2003<br />

Pränatale Diagnostik<br />

Engere Grenzen für<br />

Spätabtreibungen<br />

188<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

die Macht der Verzögerung des Todes<br />

bedeute gleichzeitig eine Begrenzung<br />

und Kränkung seiner Heilkunst.<br />

Wolfg<strong>an</strong>g Amadeus Mozart hat im<br />

Requiem musikalisch den Tod thematisiert.<br />

G<strong>an</strong>z im Sinne des interkulturellen<br />

Ansatzes wurde das Requiem<br />

– fl<strong>an</strong>kiert von jüdischen, <strong>an</strong>atolischen<br />

und buddhistischen Gesängen – in der<br />

Emmaus-Kirche aufgeführt. Beeindruckend<br />

<strong>an</strong> der Themenarbeit war die<br />

Ernsthaftigkeit, mit der die Kirchentagsbesucher<br />

eigene Erlebnisse berichteten,<br />

ein<strong>an</strong>der zuhörten und nach<br />

gemeinsamen Lösungen suchten. So<br />

konnten die Teilnehmer vor allem<br />

irdische Lebenshilfe während des<br />

Kirchentages in der Emmaus-<br />

Gemeinde erfahren. Gemeindepastor<br />

Jörg Machel zollte dem Publikum<br />

Respekt und erklärte es zu „Fachleuten<br />

des Leids“. Dr. med. D<strong>an</strong>iel Rühmkorf<br />

Die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe<br />

hält eine Reform des § 218 für dringend erforderlich.<br />

Die Neuregelung des Schw<strong>an</strong>gerschaftsabbruchs<br />

im Jahr 1995 sollte<br />

unter <strong>an</strong>derem auch verhindern,<br />

dass Kinder aufgrund einer Behinderung<br />

oder Kr<strong>an</strong>kheit abgetrieben werden.<br />

Deshalb wurde die so gen<strong>an</strong>nte embryopathische<br />

Indikation abgeschafft. Doch<br />

die gut gemeinte Absicht hat ihr Ziel verfehlt.<br />

Zwar fiel die embryopathische Indikation<br />

weg, die medizinische Indikation<br />

wurde jedoch insofern erweitert, als<br />

die Schw<strong>an</strong>gere ohne zeitliche Befristung<br />

und ohne Beratung abtreiben<br />

k<strong>an</strong>n, wenn sie eine schwere psychische<br />

Beeinträchtigung wegen der zu erwartenden<br />

Behinderung des Kindes geltend<br />

machen k<strong>an</strong>n.Die Deutsche Gesellschaft<br />

für Gynäkologie und Geburtshilfe<br />

(DGGG) will diese Schwäche der Abtreibungsregelung<br />

beheben und forderte<br />

deshalb auf einer Tagung in Berlin am 24.<br />

Juni eine begrenzte Reform des § 218.<br />

Zweifel <strong>an</strong> Statistiken<br />

Die Zahl der Spätabtreibungen erscheint<br />

zunächst eher gering. Im Jahr<br />

2002 wurden nach Angaben des Statistischen<br />

Bundesamtes 130 387 Abbrüche<br />

erfasst. 188 Schw<strong>an</strong>gerschaftsabbrüche<br />

wurden nach der 2<strong>3.</strong> Schw<strong>an</strong>gerschaftswoche<br />

gemeldet. „Diese Statistiken begegnen<br />

aber erheblichen Zweifeln“,<br />

heißt es in einem von den Gynäkologen<br />

vorgelegten Positionspapier. „Berichte<br />

Das Positionspapier der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie<br />

und Geburtshilfe k<strong>an</strong>n abgerufen werden unter<br />

www.aerzteblatt.de/plus2803<br />

aus der Praxis zeigen, dass in mehreren<br />

Kliniken Spätabbrüche erfolgen, die<br />

d<strong>an</strong>n teilweise als Totgeburten und nicht<br />

als Abbrüche registriert werden.“<br />

Die Bundesärztekammer (BÄK) hatte<br />

bereits im Jahr 1998 (DÄ, Heft<br />

47/1998) auf diesen Missst<strong>an</strong>d reagiert<br />

und begrüßte jetzt diese Initiative. „Das<br />

Papier stellt quasi eine Weiterentwicklung<br />

der ,Erklärung zum Schw<strong>an</strong>gerschaftsabbruch<br />

nach Pränataldiagnostik‘<br />

dar“, sagte die Vizepräsidentin der Bundesärztekammer,<br />

Dr. med. Ursula Auerswald.<br />

In ihrem Positionspapier fordert<br />

die DGGG, den Zeitpunkt der Lebensfähigkeit<br />

eines Ungeborenen nach etwa<br />

20 bis 22 Wochen nach Empfängnis als<br />

Grenze für einen Schw<strong>an</strong>gerschaftsabbruch<br />

<strong>an</strong>zunehmen. Ausnahmen sollten<br />

nur im Fall „schwerster unbeh<strong>an</strong>delbarer<br />

Kr<strong>an</strong>kheiten und Entwicklungsstörungen<br />

des Ungeborenen <strong>an</strong>erk<strong>an</strong>nt werden“.<br />

Darüber müsse aber eine interdisziplinäre<br />

Kommission aus Frauenärzten,<br />

Kinderärzten, Hum<strong>an</strong>genetikern und<br />

Psychiatern beziehungsweise Psychotherapeuten<br />

beraten und entscheiden.<br />

Wenn ein Abbruch aufgrund der medizinischen<br />

Indikation in Erwägung gezogen<br />

werde, sollte zusätzlich zu dem<br />

ärztlichen Gespräch eine unabhängige<br />

psychosoziale Beratung <strong>an</strong>geboten<br />

werden. Auf deren Bedeutung wies<br />

Prof. Dr. med. Heribert Kentenich, Berlin,<br />

eindringlich hin. „Viele Schw<strong>an</strong>gere<br />

reagieren bei Befunden, die auf schwerwiegende<br />

Störungen des Ungeborenen<br />

hindeuten, in dem Sinne, dass sie akut<br />

und sofort den Abbruch wünschen, um<br />

diese Schw<strong>an</strong>gerschaft ,ungeschehen‘<br />

zu machen. Ärztliche und zusätzliche<br />

psychosoziale Beratung sind aber <strong>an</strong><br />

diesem Punkt gefordert, um hektische<br />

Entscheidungen zu vermeiden.“ Die<br />

Gynäkologen halten eine Bedenkzeit<br />

von drei Tagen für sinnvoll.<br />

Der Präsident der Deutschen Gesellschaft<br />

für Gynäkologie und Geburtshilfe,<br />

Prof. Dr. med. Klaus Diedrich, und<br />

Dr. Auerswald sprechen sich für die<br />

Wiedereinführung der embryopathischen<br />

Indikation aus. „Das Subsumieren<br />

der embryopathischen Indikation in<br />

die medizinische Indikation hat fehlgebildeten<br />

Feten nicht mehr Lebensschutz<br />

gebracht“, resümiert Auerswald.<br />

Durch die Einführung der embryopathischen<br />

Indikation könnte zum Bei-


spiel eine statistische Erfassung der<br />

Schw<strong>an</strong>gerschaftsabbrüche wegen fetaler<br />

Erkr<strong>an</strong>kungen und Entwicklungsstörungen<br />

ermöglicht werden.<br />

Die Frauenärzte plädieren außerdem<br />

für eine Verbesserung der pränatalen<br />

Diagnostik. Diese Forderung wurde<br />

durch die Ausführungen des niederländischen<br />

Gynäkologen Prof. Dr. Juriy W.<br />

Wladimiroff, Erasmus Universität Rotterdam,<br />

gestützt. „In den Niederl<strong>an</strong>den<br />

entsteht die Problematik der späten<br />

Schw<strong>an</strong>gerschaftsabbrüche in erster Linie<br />

dadurch, dass es immer noch kein<br />

verbindliches Ultraschallscreening für<br />

alle Schw<strong>an</strong>geren gibt. So fallen rund 60<br />

Prozent der schwerwiegenden Fehlbil-<br />

Heft 40, <strong>3.</strong> Oktober 2003<br />

Abtreibung<br />

Zu dem Beitrag „Pränatale Diagnostik: Engere<br />

Grenzen für Spätabtreibungen“ von Gisela<br />

Klinkhammer in Heft 28–29/2003:<br />

Hilfreiche Vorschläge<br />

. . . Die existierende Regelung ist auch<br />

aus der Sicht psychiatrischer Begutachtung<br />

unbefriedigend. Viele schwerwiegende<br />

fetale Fehlbildungen können<br />

erst nach der 12. Schw<strong>an</strong>gerschaftswoche<br />

erk<strong>an</strong>nt werden. Häufig führt eine<br />

derartige Diagnose bei der werdenden<br />

Mutter zum dringenden Wunsch, die<br />

Schw<strong>an</strong>gerschaft zu beenden. Bei körperlicher<br />

Gesundheit der Frau wird<br />

d<strong>an</strong>n nicht selten die Feststellung einer<br />

Gefahr für ihren seelischen Gesundheitszust<strong>an</strong>d<br />

als letztes Argument für<br />

einen straffreien Schw<strong>an</strong>gerschaftsabbruch<br />

betrachtet. Die d<strong>an</strong>n vielfach um<br />

Begutachtung gebetenen Psychiater<br />

sehen sich zumeist einem erheblichen<br />

äußeren Druck ausgesetzt, diese Feststellung<br />

zu treffen.<br />

Die Anforderung <strong>an</strong> die Qualität der<br />

Begutachtung hält das Gesetz zwar<br />

eher niedrig, da die Stellungnahme „eines<br />

Arztes“ (nicht Facharztes) auch<br />

zu Fragen der psychischen Gesundheit<br />

ausreicht. Doch werden von Gynäkologen<br />

gerne Psychiater um Begutachtung<br />

gebeten, die d<strong>an</strong>n Teil einer konflikthaften<br />

Dramaturgie werden: Die<br />

Schw<strong>an</strong>gere muss, will sie ihren in akuter<br />

emotionaler Stresssituation formu-<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

dungen erst jenseits der 24. Schw<strong>an</strong>gerschaftswoche<br />

auf, wenn die vom Gesetz<br />

her vorgeschriebene Zeit für einen legalen<br />

Abbruch verstrichen ist.“<br />

Grobe Fahrlässigkeit<br />

Die den Ärzten drohende Haftung für<br />

den Unterhalt eines vorgeschädigt geborenen<br />

Kindes könnte dazu führen,<br />

im Zweifelsfall einen Schw<strong>an</strong>gerschaftsabbruch<br />

zu empfehlen. Die<br />

DGGG fordert deshalb dazu auf zu<br />

prüfen, „inwieweit die Haftung des<br />

Arztes für Kindesunterhalt wegen<br />

Nichterkennens einer Behinderung des<br />

lierten Willen durchsetzen, den Arzt<br />

von der Gefahr schwerwiegender Beeinträchtigung<br />

ihres seelischen Gesundheitszust<strong>an</strong>des<br />

überzeugen. Dieser<br />

Zw<strong>an</strong>g erzeugt eine eigentümliche<br />

Steigerung der ohnehin bestehenden<br />

psychischen Notlage, und sie wird vom<br />

Gesetz gewissermaßen verl<strong>an</strong>gt, um<br />

exkulpieren zu können. Die Begutachtung<br />

ist in dieser Situation keine neutrale<br />

Beurteilung des Gesundheitszust<strong>an</strong>des<br />

der Schw<strong>an</strong>geren, sondern<br />

gleichzeitig eine H<strong>an</strong>dlung erhoffter<br />

(Ab-)Hilfe oder ihrer Versagung.<br />

Hält der begutachtende Arzt die kritische<br />

Situation einer Schw<strong>an</strong>geren nach<br />

Mitteilung der wahrscheinlichen Schädigung<br />

des Fetus für belastend, nicht<br />

automatisch aber für eine schwerwiegende<br />

Beeinträchtigung der psychischen<br />

Gesundheit, gerät er in ein Dilemma:<br />

Kommt er der Schw<strong>an</strong>geren<br />

entgegen, ohne sein Urteil hinreichend<br />

auf die Feststellung psychopathologischer<br />

Befunde stützen zu können, bedroht<br />

ihn § 218b Abs. 1 StGB mit Freiheitsstrafe<br />

bis zu zwei Jahren wegen<br />

unrichtiger Feststellung. Verneint er<br />

hingegen die Gefahr einer schwerwiegenden<br />

(psychischen) Gesundheitsschädigung<br />

der Frau bei Fortbestehen<br />

der Schw<strong>an</strong>gerschaft, erzeugt er ein<br />

hohes Maß <strong>an</strong> Enttäuschung durch<br />

sein Hilfe-Versagen und hat diese Enttäuschung,<br />

Wut und gegebenenfalls<br />

Verzweiflung der (ohnehin hochgradig<br />

belasteten) Schw<strong>an</strong>geren – meist auch<br />

erwarteten Kindes auf die Fälle grober<br />

Fahrlässigkeit zu beschränken ist“.<br />

Die Gynäkologen erhoffen sich von<br />

ihren Vorschlägen nicht zuletzt „eine<br />

neue, <strong>an</strong>dere Sicht behinderten Lebens<br />

und seiner Qualität“. Ob die Politik allerdings<br />

das Paket des § 218 erneut aufschnüren<br />

wird, bezweifelte der ehemalige<br />

Bundesjustizminister Prof. Dr. jur.<br />

Edzard Schmidt-Jortzig. Die CDU/<br />

CSU-Bundestagsfraktion legte indes am<br />

1. Juli einen Gesetzes<strong>an</strong>trag vor, in dem<br />

sich viele Forderungen der Gynäkologen<br />

wiederfinden,wie die Einführung einer<br />

psychosozialen Beratung „nach einer<br />

pränatalen Diagnostik mit pathologischem<br />

Befund“. Gisela Klinkhammer<br />

ihres Partners – zu ertragen und mit zu<br />

ver<strong>an</strong>tworten, auch wenn ihr die Möglichkeit<br />

bleibt, einen weiteren Arzt zu<br />

konsultieren.<br />

Obgleich sie gesetzlich <strong>an</strong>nulliert worden<br />

sind, spielen nach unserer Erfahrung<br />

faktisch doch embryopathische<br />

Aspekte in der Begutachtungspraxis<br />

eine erhebliche Rolle. Die Ausführungen<br />

im Positionspapier der DGGG<br />

Schw<strong>an</strong>gerschaftsabbruch nach Pränataldiagnostik,<br />

speziell die Vorschläge<br />

im Absatz „Zum späten Schw<strong>an</strong>gerschaftsabbruch“<br />

(II) tragen diesem Befund<br />

Rechnung; sie scheinen hilfreich<br />

und ausgewogen, insofern erstens die<br />

medizinische (mütterliche) Indikation<br />

erhalten bliebe, aber durch eine embryopathische<br />

ergänzt würde und zweitens<br />

eine fallbezogen interdisziplinäre<br />

Kommission (statt „eines Arztes“) die<br />

entsprechenden Voraussetzungen<br />

straffreier Abtreibung prüfte. Letzteres<br />

hätte neben differenzierter Urteilsfindung<br />

und Ver<strong>an</strong>twortungsteilung auch<br />

eine Entsp<strong>an</strong>nung der in der aktuellen<br />

gesetzlichen Situation grundsätzlich<br />

problematischen Arzt-Patient-Beziehung<br />

zur Folge.<br />

Dr. med. Thomas Reuster, Dr. med. habil. Tom<br />

Bschor,<br />

Psychiatrische Universitätsklinik, Fetscherstraße 74,<br />

01307 Dresden<br />

189


Heft 30, 25. Juli 2003<br />

Stammzellforschung<br />

„Verletzung der<br />

Menschenwürde“<br />

Die EU-Kommission will die <strong>Forschung</strong><br />

<strong>an</strong> embryonalen Stammzellen<br />

unter bestimmten Bedingungen<br />

mit einer Milliardensumme fördern. Das<br />

geht aus einer Vorlage des <strong>Forschung</strong>skommissars<br />

der EU, Philippe Busquin,<br />

hervor, die die Brüsseler Behörde am<br />

9. Juli verabschiedete. D<strong>an</strong>ach soll die<br />

<strong>Forschung</strong> <strong>an</strong> embryonalen Stammzellen<br />

erlaubt sein, wenn diese bereits vor dem<br />

27. Juni 2002 existierten. Zusätzliche Zellen<br />

zu <strong>Forschung</strong>szwecken dürften nicht<br />

erzeugt werden, sagte Busquin.<br />

Außerdem sollten nur <strong>Forschung</strong>sarbeiten<br />

gefördert werden, für die es keine<br />

alternativen Methoden gebe, ergänzte<br />

der EU-Kommissar. Es dürften lediglich<br />

embryonale Stammzellen verwendet<br />

werden, die nicht von Eltern genutzt<br />

werden könnten. Zudem müssten diese<br />

der Verwendung der <strong>Embryonen</strong> zustimmen.<br />

Der Stichtag ist nach Aussage<br />

Busquins das Datum, <strong>an</strong> dem die Europäische<br />

Union das sechste <strong>Forschung</strong>srahmenprogramm<br />

beschlossen hat. Darin<br />

ist für die Biotechnologie bis zum Jahr<br />

2006 ein Etat von mehr als zwei Milliarden<br />

Euro vorgesehen. Bis Jahresende<br />

gilt in der EU ein Moratorium für die<br />

Förderung embryonaler Stammzellforschung.<br />

Der Kommissionsvorlage muss<br />

noch – nach einer Anhörung des Europäischen<br />

Parlaments – der Ministerrat<br />

zustimmen.<br />

In Deutschl<strong>an</strong>d stößt die EU-<strong>Forschung</strong>spl<strong>an</strong>ung<br />

auf scharfe Kritik. „Die<br />

Mittel der Europäischen Union dürfen<br />

nicht für eine <strong>Forschung</strong> ausgegeben werden,<br />

die die Menschenwürde verletzt“,<br />

sagte Dr.med.Otmar Kloiber,stellvertretender<br />

Hauptgeschäftsführer der Bundesärztekammer,<br />

in Berlin. Kloiber hält es<br />

für sk<strong>an</strong>dalös, Mittel des EU-<strong>Forschung</strong>sprogramms<br />

für verbrauchende <strong>Embryonen</strong>forschung<br />

einzusetzen. „Hier werden<br />

190<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

Der EU-Beschluss über das <strong>Forschung</strong>sförderungsprogramm<br />

stößt in Deutschl<strong>an</strong>d auf scharfe Kritik.<br />

die ethischen Bedenken gegen eine <strong>Forschung</strong>,<br />

die menschliches Leben verbraucht,<br />

völlig<br />

ignoriert. Eine derartige Missachtung unserer<br />

Wertvorstellungen und unserer Verfassung<br />

durch die EU-Kommission ist inakzeptabel.<br />

So k<strong>an</strong>n m<strong>an</strong> ein gemeinsames<br />

Europa nicht aufbauen.“ Kloiber<br />

hält die EU-<strong>Forschung</strong>spl<strong>an</strong>ung auch aus<br />

medizinischer Sicht nicht für sinnvoll:<br />

„Betrachtet m<strong>an</strong> die Fakten,so muss m<strong>an</strong><br />

feststellen,dass es bereits heute viele Therapien<br />

mit adulten Stammzellen gibt. Damit<br />

k<strong>an</strong>n m<strong>an</strong> Menschen helfen, dafür<br />

sollten auch <strong>Forschung</strong>smittel ausgegeben<br />

werden.“ Die <strong>Forschung</strong> <strong>an</strong> adulten<br />

Stammzellen sei ethisch unproblematisch<br />

und medizinisch viel sinnvoller. Kloiber<br />

gab zu bedenken, dass in äußerst fragwürdiger<br />

Weise mit den Gefühlen und<br />

Hoffnungen schwer kr<strong>an</strong>ker Menschen<br />

gespielt werde, da mit der embryonalen<br />

Stammzellforschung zu leichtfertig unrealistische<br />

Heilsversprechen verbunden<br />

würden.<br />

Der Staatssekretär im Bundesforschungsministerium,<br />

Wolf Michael Catenhusen,<br />

kündigte <strong>an</strong>, dass die Bundesregierung<br />

nach wie vor eine Lösung auf<br />

der Grundlage der deutschen Regelung<br />

<strong>an</strong>strebe. „Wir hoffen, unsere Partner in<br />

der EU von unserer Auffassung überzeugen<br />

zu können und eine Lösung zu<br />

finden, welche die ethischen Grundüberzeugungen<br />

aller Mitgliedstaaten respektiert.“<br />

Nach Aussage Catenhusens<br />

will die Bundesregierung weiterhin auf<br />

Grundlage des Bundestagsbeschlusses<br />

vom 30. J<strong>an</strong>uar 2002 zu embryonalen<br />

Stammzellen verh<strong>an</strong>deln, wonach die Fin<strong>an</strong>zierung<br />

der <strong>Forschung</strong>sarbeiten aus<br />

Mitteln der EU auf bestehende Stammzelllinien<br />

beschränkt werden soll. „Die<br />

Bundesregierung will alles dafür tun, um<br />

bis Ende des Jahres einen Kompromiss<br />

im EU-Ministerrat zu erreichen“, sagte<br />

Catenhusen. Auch der Europaabgeordnete<br />

Dr. med. Peter Liese (CDU) hält<br />

den Beschluss für nicht hinnehmbar. Die<br />

von der EU-Kommission vorgesehene<br />

Stichtagsregelung bezeichnete Liese als<br />

eine „Täuschung“. Sie sei kein Zugeständnis<br />

<strong>an</strong> die Kritiker der <strong>Forschung</strong><br />

mit embryonalen Stammzellen: „M<strong>an</strong><br />

k<strong>an</strong>n die Position der Europäischen<br />

Kommission damit vergleichen,dass m<strong>an</strong><br />

entscheidet, Menschen, die vor einem<br />

bestimmten Stichtag geboren wurden,<br />

zum Zwecke der Gewinnung von Org<strong>an</strong>en<br />

zu töten, Menschen, die nach diesem<br />

Stichtag geboren wurden, jedoch nicht.“<br />

Die deutsche Regelung sehe dagegen<br />

vor,dass m<strong>an</strong> die Zellen,die aus menschlichen<br />

<strong>Embryonen</strong> gewonnen wurden,<br />

unter bestimmten, sehr strengen Auflagen<br />

benutzen könne,aber nicht <strong>Embryonen</strong><br />

selbst zu <strong>Forschung</strong>szwecken zerstören<br />

dürfe.<br />

Die CDU-Abgeordnete Katharina<br />

Reiche sprach dagegen von einem guten<br />

Tag für die <strong>Forschung</strong> in Europa. Es<br />

müsse akzeptiert werden, dass unterschiedliche<br />

rechtliche, ethisch-moralische<br />

und religiöse Auffassungen zu<br />

Stammzellen und überzähligen <strong>Embryonen</strong><br />

existieren. Gisela Klinkhammer


Heft 38, 19. September 2003<br />

Rechtsgutachten<br />

<strong>Forschung</strong> mit<br />

Stammzellen<br />

Stammzellforschung im Ausl<strong>an</strong>d<br />

prinzipiell erlaubt<br />

<strong>Forschung</strong>sarbeiten mit menschlichen<br />

embryonalen Stammzellen im Ausl<strong>an</strong>d<br />

sind nicht strafbar, „wenn vor Ort<br />

im Ausl<strong>an</strong>d ohne Bezug auf das Inl<strong>an</strong>d<br />

gearbeitet wird“. Das geht aus zwei<br />

Rechtsgutachten hervor, die die Deutsche<br />

<strong>Forschung</strong>sgemeinschaft in Auf-<br />

Heft 45, 7. November 2003<br />

<strong>Embryonen</strong>schutz<br />

Anstößig<br />

Die Rede einer Bundesministerin<br />

allein reicht wohl nicht aus, um<br />

eine allgemeine Trendwende einzuleiten.<br />

Zumindest hat die Ansprache<br />

von Bundesjustizministerin Brigitte<br />

Zypries am 30. Oktober in der Berliner<br />

Humboldt-Universität (sicher in<br />

Übereinstimmung mit Bundesk<strong>an</strong>zler<br />

Gerhard Schröder) zahlreiche zustimmende,<br />

vor allem aber besorgte Reaktionen<br />

hervorgerufen. Zypries will<br />

nämlich dem im Reagenzglas gezeugten<br />

Embryo nicht mehr vom Zeitpunkt<br />

der Verschmelzung von Ei- und<br />

Samenzelle <strong>an</strong> Menschenwürde zusprechen.<br />

Damit wendet sie sich gegen<br />

die bisherigen Beschlüsse des Bundestags<br />

zur Stammzellforschung. Der<br />

Präsident der Bundesärztekammer,<br />

Prof. Dr. med. Jörg-Dietrich Hoppe,<br />

erklärte zu Zypries’ Auffassung:<br />

„Menschlichem Leben den Grundrechtsschutz<br />

auf Menschenwürde abzusprechen,<br />

heißt menschliches Leben<br />

in die willkürliche Verfügbarkeit Dritter<br />

zu stellen.“<br />

Die Ministerin ist zwar der Ansicht,<br />

dass der Embryo auch im Reagenzglas<br />

„kein beliebiger Zellhaufen ist, über<br />

den Eltern, Mediziner und Forscher<br />

nach Gutdünken verfügen könnten“.<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

trag gab. Die Gutachten weisen auf das<br />

in Deutschl<strong>an</strong>d geltende Territorialprinzip<br />

hin. Eine Sonderregelung gilt<br />

für Wissenschaftler, die den Status<br />

eines Amtsträgers innehaben. Sie<br />

machten sich strafbar, wenn sie<br />

„während eines dienstlichen Aufenthaltes“<br />

<strong>an</strong> einem nach deutschem<br />

Recht nicht zulässigen <strong>Forschung</strong>svorhaben<br />

mitwirken. Strafbar sei auch die<br />

Beteiligung <strong>an</strong> <strong>Forschung</strong>sprojekten<br />

im Ausl<strong>an</strong>d, wenn dadurch nicht<br />

genehmigte Vorhaben im Inl<strong>an</strong>d unterstützt<br />

werden oder eine nicht genehmigte<br />

Einfuhr embryonaler Stammzellen<br />

ermöglicht wird. Kli<br />

Sol<strong>an</strong>ge sich der Embryo in vitro befinde,<br />

fehle ihm aber die wesentliche<br />

Voraussetzung dafür, sich „aus sich<br />

heraus zum Menschen“ oder „als“<br />

Mensch zu entwickeln. Die lediglich<br />

abstrakte Möglichkeit, sich in diesem<br />

Sinne weiterzuentwickeln, reicht Zypries<br />

für die Zuerkennung der Menschenwürde<br />

nicht aus. Damit steht sie<br />

jedoch im Widerspruch zum geltenden<br />

<strong>Embryonen</strong>schutzgesetz sowie <strong>an</strong>erk<strong>an</strong>nten<br />

theologischen und naturwissenschaftlichen<br />

Erkenntnissen. Zypries<br />

löst auch verfassungsrechtliche<br />

Bedenken aus. Der frühere Bundesverfassungsrichter<br />

Prof. Dr. iur. Dr.<br />

phil. Ernst-Wolfg<strong>an</strong>g Böckenförde<br />

vertritt jedenfalls die Ansicht, dass die<br />

Anerkennung der Würde des Menschen,<br />

wie das Grundgesetz sie ausspricht,<br />

„nach ihrem normativen Gehalt<br />

auch auf die ersten Anfänge des<br />

Lebens eines jeden Menschen zu erstrecken<br />

ist“ (DÄ, Heft 19/2003).<br />

Zypries selbst relativierte ihren eigenen<br />

Vorstoß zugleich, indem sie sich<br />

für eine restriktive Stammzellpolitik<br />

ausspricht und gegen die Zulassung<br />

der Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik eintritt.<br />

Dies begründet sie nicht mit dem<br />

<strong>Embryonen</strong>schutz, sondern damit,<br />

Heft 44, 31. Oktober 2003<br />

Stammzellforschung<br />

Nicht mit<br />

EU-Geldern<br />

Bundestag lehnt<br />

<strong>Forschung</strong>sförderung ab.<br />

Erneut hat sich der Bundestag gegen<br />

die Förderung verbrauchender <strong>Embryonen</strong>forschung<br />

mit Mitteln der Europäischen<br />

Union (EU) ausgesprochen.<br />

Mit großer Mehrheit nahm er einen<br />

entsprechenden Gruppen<strong>an</strong>trag<br />

von Abgeordneten der SPD, der Grünen<br />

und der CDU/CSU <strong>an</strong>. Bereits im<br />

J<strong>an</strong>uar 2002 hatte sich der Bundestag<br />

gegen eine EU-weite <strong>Forschung</strong>sförderung<br />

ausgesprochen. Sie widerspreche<br />

der deutschen Rechtslage.<br />

Mit dem neuen Antrag wolle m<strong>an</strong> <strong>an</strong>dere<br />

Länder nicht beschränken,erklärte<br />

Rene Röspel, Gentechnikexperte der<br />

SPD, bei der Bundestagsaussprache:<br />

„Wir wollen lediglich, dass mit deutschen<br />

und europäischen Mitteln nicht<br />

gefördert wird, was wir in einer l<strong>an</strong>gen<br />

Debatte in Deutschl<strong>an</strong>d verboten haben.“<br />

Der Bundestag fordert die EU-<br />

Kommission deshalb auf,von ihren Plänen<br />

zur Förderung embryonaler<br />

Stammzellforschung innerhalb des<br />

6. EU-<strong>Forschung</strong>srahmenprogramms<br />

Abst<strong>an</strong>d zu nehmen.<br />

Das im Juli 2002 von Europäischem<br />

Rat und Parlament verabschiedete Programm<br />

sieht eine fin<strong>an</strong>zielle Unterstützung<br />

der verbrauchenden <strong>Embryonen</strong>forschung<br />

vor. Dabei soll der Einsatz<br />

„überzähliger <strong>Embryonen</strong>“ erlaubt<br />

sein, die vor dem 27. Juni 2002 durch<br />

künstliche Befruchtung entst<strong>an</strong>den<br />

sind. Derzeit setzt ein Moratorium die<br />

umstrittene Förderung bis zum Jahresende<br />

aus. Es war auf Drängen von<br />

Deutschl<strong>an</strong>d, Italien, Irl<strong>an</strong>d, Österreich<br />

und Portugal eingerichtet worden.<br />

Österreich will das Moratorium verlängern.<br />

ER<br />

dass Behinderte sich diskriminiert<br />

fühlen könnten, wenn menschliches<br />

Leben als „aussonderungswürdig“ erklärt<br />

werden k<strong>an</strong>n. Gisela Klinkhammer<br />

191


Heft 46, 14. November 2003<br />

Nationales Genomforschungsnetz<br />

Mit dem Erklimmen des höchsten<br />

Gipfels des Himalaya verglich<br />

ein amerik<strong>an</strong>ischer Forscher die<br />

Entschlüsselung des menschlichen Genoms<br />

vor zwei Jahren. Auf dem erwartungsgemäß<br />

l<strong>an</strong>gen und mühsamen<br />

Weg bis zum endgültigen Verständnis<br />

des Genoms gel<strong>an</strong>g es Deutschl<strong>an</strong>d inzwischen,<br />

sich zu profilieren – und dass,<br />

obwohl es 1995 mit dem Deutschen Hum<strong>an</strong>genomprojekt<br />

erst relativ spät in<br />

die internationale Genomforschung<br />

eingestiegen ist. „Mit dem Nationalen<br />

Genomforschungsnetz (NGFN) hat es<br />

Deutschl<strong>an</strong>d geschafft, einen der weltweit<br />

vorderen Plätze zurückzuerobern“,<br />

erklärte Bundesforschungsministerin<br />

Edelgard Bulmahn (SPD) am 31. Oktober<br />

in Berlin. Innerhalb des Netzes<br />

versuchen Forscher verschiedener Fachrichtungen,<br />

die Funktionen einzelner<br />

Gene aufzuklären und dieses Wissen<br />

zügig in Therapien umzusetzen.<br />

Trotz einer „ schwierigen Haushaltslage“<br />

will die Ministerin die Förderung<br />

des Nationalen Genomforschungsnetzes<br />

durch das Bundesforschungsministerium<br />

(BMBF) um weitere drei Jahre<br />

verlängern. 135 Millionen<br />

Euro will Bulmahn<br />

für das kr<strong>an</strong>kheitsorientierte<br />

Programm zur Verfügung<br />

stellen; den Aufbau<br />

des NGFN hatte sie<br />

seit 2001 mit insgesamt<br />

180 Millionen Euro<br />

gefördert. Ausschlaggebend<br />

für den Start der<br />

zweiten Förderphase war<br />

das Votum einer international<br />

besetzten Expertenrunde.<br />

Als „einzigartig“<br />

bewertete sie die<br />

Vernetzung von Grundlagenforschung<br />

und klinisch<br />

orientierter Anwendung.<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

Als „einzigartig“ evaluiert<br />

Das Bundesforschungsministerium räumt der<br />

Genomforschung für weitere drei Jahre Priorität ein.<br />

192<br />

In der Tat ist der interdisziplinäre Ansatz<br />

eine Stärke des Genomforschungsnetzes.<br />

Mediziner, Biologen und Informatiker<br />

aus Kliniken, Universitäten,<br />

Großforschungszentren und Unternehmen<br />

arbeiten <strong>an</strong> mehr als 18 St<strong>an</strong>dorten<br />

und in 300 Teilprojekten innerhalb der<br />

kr<strong>an</strong>kheitsorientierten Genomnetze zusammen<br />

(Schwerpunkte: Nervensystem,<br />

Umwelt, Herz-Kreislauf, Krebs<br />

sowie Infektion und Entzündung).<br />

Als die Wissenschaft vor zwei Jahren<br />

die 3,2 Milliarden Bausteine der 46<br />

menschlichen Chromosomen identifizierte,<br />

konnte der Org<strong>an</strong>ismus „Mensch“<br />

zwar auf der molekularen Ebene verst<strong>an</strong>den<br />

werden. Seine Steuerung durch<br />

die 30 000 bis 40 000 Gene ist jedoch<br />

sehr kompliziert. Erkr<strong>an</strong>kungen resultieren<br />

aus Veränderungen auf mehreren<br />

Genen, aus Umweltfaktoren und<br />

aus individuellen Lebensgewohnheiten.<br />

Ziel des NGFN ist es deshalb, die Funktionen<br />

der einzelnen Gene aufzuklären<br />

und ihr Zusammenspiel zu durchschauen.<br />

Auf Erfolge k<strong>an</strong>n das Nationale Genomforschungsnetz<br />

dabei bereits ver-<br />

<strong>Forschung</strong>sministerium will<br />

Stammzellforschung fördern<br />

Erstmals will Bundesforschungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD) embryonale<br />

Stammzellforschung fin<strong>an</strong>ziell fördern lassen. Ein entsprechendes Projekt<br />

sei kürzlich positiv evaluiert worden, sagte sie <strong>an</strong>lässlich der fortgesetzten<br />

Förderung des Nationalen Genomforschungsnetzes vor Journalisten in<br />

Berlin. Bulmahn, deren offene Haltung gegenüber der embryonalen Stammzellforschung<br />

bek<strong>an</strong>nt ist, begrüßte gleichzeitig die Äußerungen ihrer Amtskollegin<br />

Brigitte Zypries (SPD). Die Bundesjustizministerin hatte zuvor in einer<br />

Rede den <strong>Embryonen</strong>schutz infrage gestellt. Aktuell bestehe jedoch kein<br />

H<strong>an</strong>dlungsbedarf zur Änderung des <strong>Embryonen</strong>schutzgesetzes, sagte Bulmahn.<br />

Würde allerdings die therapeutische Anwendung der embryonalen<br />

Stammzellforschung möglich,müsse eine Entscheidung erneut getroffen werden.<br />

Fünf Forschergruppen arbeiten derzeit in Deutschl<strong>an</strong>d <strong>an</strong> embryonalen<br />

Stammzelllinien; zwei weitere Anträge liegen bereits zur Genehmigung vor.<br />

weisen. Am „Gene Mapping Center“<br />

des Max-Delbrück-Centrums für Molekulare<br />

Medizin in Berlin-Buch konnten<br />

inzwischen mehr als 50 monogene Erkr<strong>an</strong>kungen<br />

kartiert werden. Erst kürzlich<br />

gel<strong>an</strong>g es den Wissenschaftlern<br />

dort, einen Zusammenh<strong>an</strong>g zwischen<br />

einem wichtigen Gen des Phosphatstoffwechsels<br />

und der Arteriosklerose<br />

zu belegen. In Schleswig-Holstein entdeckten<br />

Forscher bereits 2001 das erste<br />

Kr<strong>an</strong>kheitsgen für Morbus Crohn und<br />

damit erstmals ein Kr<strong>an</strong>kheitsgen bei<br />

einer entzündlichen, komplexen Erkr<strong>an</strong>kung.<br />

Sie erk<strong>an</strong>nten, dass eine Mutation<br />

des NOD2-Gens Bakterien in die<br />

Darm-Epithelzellen eindringen lässt,<br />

die eine chronische Entzündung hervorrufen.<br />

Von der Grundlagenforschung<br />

zur klinischen Umsetzung<br />

Ferner sind zwei Projekte zur Erforschung<br />

der Epilepsie bereits so weit<br />

fortgeschritten, dass sie Möglichkeiten<br />

für die Entwicklung neuer Medikamente<br />

aufzeigen. Ein Team des Universitätsklinikums<br />

Bonn f<strong>an</strong>d mehrere<br />

potenzielle Gene, die die Erregbarkeit<br />

der Nervenzellen regulieren und mit<br />

den Mech<strong>an</strong>ismen zusammenhängen,<br />

die im Hippokampus Schläfenlappen-<br />

Epilepsien auslösen. Ein weiteres Beispiel:<br />

Eine Bonner Arbeitsgruppe <strong>an</strong>alysierte<br />

das Erbgut von Familien, in<br />

denen Formen der idiopathischen Epilepsie<br />

gehäuft vorkommen. Ihnen gel<strong>an</strong>g<br />

es, mehrere Mutationen<br />

eines Gens nachzuweisen,<br />

die den Chlorid-Haushalt<br />

der Nervenzellen<br />

stören und<br />

dadurch Anfälle auslösen.<br />

80 Patent<strong>an</strong>meldungen<br />

und 17 Patente sind<br />

bisher aus dem NationalenGenomforschungsnetz<br />

hervorgeg<strong>an</strong>gen.<br />

Die Verbindung zwischen<br />

akademischer<br />

<strong>Forschung</strong> und industrieller<br />

Verwertung schafft<br />

dabei die Fraunhofer<br />

Patentstelle für die<br />

Deutsche <strong>Forschung</strong>,


München. Sie bewertet die <strong>Forschung</strong>sergebnisse<br />

aus dem NGFN nach patentrechtlichen<br />

und wirtschaftlichen Gesichtspunkten.<br />

Aufschwung soll das<br />

NGFN nämlich auch der Biotechnologie-Br<strong>an</strong>che<br />

bringen. „Durch das Nationale<br />

Genomforschungsnetz ist in<br />

kurzer Zeit eine derartige Fülle von<br />

<strong>Forschung</strong>sergebnissen entst<strong>an</strong>den,<br />

dass eine Reihe von Firmengründungen<br />

zu erwarten sind“, prognostizierte Bulmahn.<br />

Der Überg<strong>an</strong>g von der Grundlagenforschung<br />

zur technischen beziehungsweise<br />

zur klinischen Umsetzung<br />

soll deshalb künftig verstärkt gefördert<br />

Heft 47, 21. November 2003<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

werden. „Klasse statt Masse ist dabei<br />

unser Prinzip“, erklärte Dr. Timm Jessen<br />

von der Evotec Biosystems AG, zugleich<br />

Mitglied im Lenkungsgremium<br />

des NGFN.<br />

94 Produktideen von<br />

Wissenschaftlern und Industrie<br />

Die enge Verzahnung von <strong>Forschung</strong><br />

und Industrie innerhalb des NGFN gilt<br />

auch international als ein weiterer Pluspunkt<br />

des Projekts. Berührungsängste<br />

zwischen Forschern und Unternehmen<br />

Der Umg<strong>an</strong>g mit vorgeburtlichem Leben<br />

Regeln und Ausnahmen<br />

Die relev<strong>an</strong>ten Glaubensinhalte der Weltreligionen<br />

wurden auf der Jahrestagung des Nationalen Ethikrates<br />

gegenübergestellt.<br />

M<strong>an</strong> wunderte sich zunächst vielleicht,<br />

warum der Nationale<br />

Ethikrat sich auf seiner diesjährigen<br />

Jahrestagung Ende Oktober in<br />

Berlin ausgerechnet mit dem eher ausgefallenen<br />

Thema „Der Umg<strong>an</strong>g mit<br />

vorgeburtlichem Leben in <strong>an</strong>deren Kulturen“<br />

beschäftigte. Der Vorsitzende<br />

des Gremiums, Prof. Dr. jur. Spiros Simitis,<br />

erläuterte denn auch gleich zu<br />

Beginn, weshalb ausgerechnet die Beschäftigung<br />

mit Weltreligionen Hilfestellung<br />

bei der Suche nach nationalen<br />

Lösungen auf drängende medizinethische<br />

Fragestellungen liefern k<strong>an</strong>n.Er ist<br />

der Auffassung, dass m<strong>an</strong> nur d<strong>an</strong>n eine<br />

gemeinsame Lösung finden könne,<br />

wenn m<strong>an</strong> die unterschiedlichen Auffassungen<br />

kennt. Auch in Deutschl<strong>an</strong>d<br />

müssten die Vorstellungen eingebracht<br />

werden, „die durch Migration in unser<br />

L<strong>an</strong>d gekommen sind“.<br />

Doch dass es in den Weltreligionen<br />

keine einfachen und eindeutigen Antworten<br />

gibt, verdeutlichten bereits die<br />

Vorträge zum Islam. So betonte Prof.<br />

Dr.Sadek Beloucif,Mitglied des fr<strong>an</strong>zösischen<br />

Nationalen Ethikrates, dass im<br />

Islam der heilige Charakter des Lebens<br />

respektiert werden müsse. Der Fötus<br />

gelte als schützenswert vom Beginn seiner<br />

Beseelung <strong>an</strong>, das sei für die meisten<br />

Rechtsgelehrten vom 40. Tag <strong>an</strong>.<br />

Für <strong>an</strong>dere allerdings beginne das Leben<br />

bereits mit der Zeugung. Abtreibungen<br />

eines beseelten Embryos seien<br />

deshalb verboten. Künstliche Befruchtung<br />

sei d<strong>an</strong>n erlaubt, wenn dafür nicht<br />

die Samen- oder Eizellen fremder<br />

Spender verwendet werden. Das therapeutische<br />

Klonen sei im Gegensatz zum<br />

reproduktiven Klonen unter bestimmten<br />

Voraussetzungen erlaubt. Zwar<br />

müsse auch die Würde so gen<strong>an</strong>nter<br />

überzähliger <strong>Embryonen</strong> respektiert<br />

werden. Doch können Beloucif zufolge<br />

überzählige <strong>Embryonen</strong> dennoch für<br />

die <strong>Forschung</strong> akzeptiert werden, da sie<br />

<strong>an</strong>sonsten der Zerstörung <strong>an</strong>heim fallen<br />

würden.<br />

Zwischen Ideologie einerseits und<br />

der Realität <strong>an</strong>dererseits gibt es allerdings<br />

starke Unterschiede, die Dr. Carla<br />

Makhlouf Obermeyer von der Weltgesundheitsorg<strong>an</strong>isation<br />

erläuterte. Viele<br />

islamische Staaten hätten aus der Kolo-<br />

würden nach und nach verschwinden,<br />

berichtet Jessen. Mittlerweile werde<br />

„auf gleicher Augenhöhe“ diskutiert.<br />

Auf die fin<strong>an</strong>zielle Unterstützung der<br />

Industrie ist die Genomforschung unbestritten<br />

<strong>an</strong>gewiesen – trotz der BMBF-<br />

Fördermittel. „Die pharmazeutische Industrie<br />

investiert Millionenbeträge in<br />

die klinische Erprobung“, sagt Dr. Andreas<br />

Barner von Boehringer Ingelheim.<br />

Der zweite Vorsitzende des NGFN-<br />

Lenkungsgremiums verweist dabei<br />

auf 94 Produktideen, die Wissenschaftler<br />

und Industrie derzeit gemeinsam<br />

verfolgen. Dr. med. Eva A. Richter-Kuhlm<strong>an</strong>n<br />

nialzeit restriktive Regelungen des<br />

Schw<strong>an</strong>gerschaftsabbruchs „geerbt“. In<br />

28 islamischen Ländern, in denen die<br />

Sharia gelte, sei Schw<strong>an</strong>gerschaftsabbruch<br />

verboten. Nur in Bahrain, der<br />

Türkei und Tunesien seien die Abtreibungsgesetze<br />

liberaler gestaltet. Doch<br />

auch in den Ländern mit restriktiver<br />

Regelung gebe es „viel Spielraum“. So<br />

sei in Ägypten der Schw<strong>an</strong>gerschaftsabbruch<br />

verboten. Die Polizei greife in der<br />

Regel jedoch nur d<strong>an</strong>n ein, wenn es zu<br />

Todesfällen komme. In B<strong>an</strong>gladesch<br />

werde ein Schw<strong>an</strong>gerschaftsabbruch<br />

einfach als Regulierung der Monatsblutung<br />

bezeichnet. Auch in islamischen<br />

Ländern „schießen die In-vitro-Fertilisationszentren<br />

wie Pilze aus dem Boden“.<br />

Sie dienten der „stillen Rettung<br />

vieler Ehen“, seien jedoch nur einer<br />

wohlhabenden Schicht zugänglich und<br />

würden vorwiegend bei der Unfruchtbarkeit<br />

des M<strong>an</strong>nes in Anspruch genommen.<br />

Im Judentum, so Prof. Dr. Avraham<br />

Steinberg, Jerusalem, beginne das Leben<br />

des Fötus erst mit der Nidation, sodass<br />

zwischen Präembryo und Embryo<br />

unterschieden werden müsse. Menschliche<br />

Würde käme allerdings auch dem<br />

Präembryo zu. Sogar der Samen sei<br />

schützenswert, weshalb Samenspenden<br />

und Masturbation verboten seien. Die<br />

Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik (<strong>PID</strong>) sei<br />

zulässig, da sie lediglich eine Vernichtung<br />

defekter Präembryonen bedeute.<br />

Auch embryonale Stammzellforschung<br />

sei erlaubt. Auf die Frage, warum denn<br />

Masturbation zum Schutz von Samen<br />

unzulässig, dagegen <strong>PID</strong> und embryo-<br />

193


nale Stammzellforschung erlaubt seien,<br />

<strong>an</strong>twortete Steinberg: „Diese Techniken<br />

sind nur deshalb erlaubt, weil die<br />

Vorteile die Nachteile überwiegen.“<br />

Schließlich könnten durch die Stammzellforschung<br />

möglicherweise Menschenleben<br />

gerettet werden. Und die<br />

Gefahr, ein Kind mit schweren Missbildungen<br />

zur Welt zur Welt zu bringen,<br />

habe mehr Gewicht als die noch relativ<br />

geringen Rechte des Präembryos.<br />

Abtreibungen seien, so Steinberg, im<br />

Judentum in der Regel nur in den ersten<br />

40 Schw<strong>an</strong>gerschaftstagen zulässig.<br />

Prof. Shimon Glick, Beer Sheva, berichtete<br />

über die Praxis in Israel. Unter<br />

britischem M<strong>an</strong>dat, also bis 1948, seien<br />

Abtreibungen verboten gewesen; sowohl<br />

die Frau als auch der Arzt hätten<br />

mit strengen Strafen rechnen müssen.<br />

Nach der Entstehung des Staates Israel<br />

sei dieses Gesetz bis auf eine Lockerung<br />

im Jahr 1966 weiter in Kraft geblieben.<br />

1977 sei das Abtreibungsrecht<br />

neu geregelt worden. D<strong>an</strong>ach seien<br />

Schw<strong>an</strong>gerschaftsabbrüche unter bestimmten<br />

Voraussetzungen erlaubt<br />

worden. Unter dieser Gesetzgebung<br />

kam es zu 15 000 bis 20 000 legalen Abtreibungen<br />

jährlich, wobei die größte<br />

Zahl unter die so gen<strong>an</strong>nte soziale Indikation<br />

fiel. Als im Jahr 1979 die Regierung<br />

wechselte, fiel den religiösen<br />

Parteien eine größere Bedeutung zu,<br />

was zur Streichung der sozialen Indikation<br />

geführt habe. Dies habe sich jedoch<br />

als Pyrrhus-Sieg erwiesen. Denn<br />

auch nach dem Wegfall der sozialen Indikation<br />

sei die Zahl der legalen Abtreibungen<br />

nicht gesunken. Die Ursache:<br />

Die sozialen Indikationen seien<br />

einfach als medizinische Indikationen<br />

erklärt worden.<br />

Es gebe kein L<strong>an</strong>d auf der Welt, in<br />

dem so viele Gentests und pränatale<br />

Diagnostik wie in Israel vorgenommen<br />

würden. Drei Prozent aller in Israel geborenen<br />

Kinder seien durch In-vitro-<br />

Fertilisation entst<strong>an</strong>den. Für die <strong>Forschung</strong><br />

<strong>an</strong> embryonalen Stammzellen<br />

wurden im Jahr 2001 Leitlinien eines<br />

Beratenden Bioethischen Komitees der<br />

Israelischen Wissenschaftsakademie<br />

vorbereitet. Diese Leitlinien versuchten<br />

die Bal<strong>an</strong>ce zwischen dem Lebensschutz<br />

des menschlichen Embryos und<br />

dem „enormen lebensrettenden Potenzial<br />

der Stammzellforschung“ zu wah-<br />

194<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

ren. Die Erzeugung von embryonalen<br />

Stammzellen für <strong>Forschung</strong>szwecke ist<br />

daher verboten, die <strong>Forschung</strong> <strong>an</strong><br />

„überzähligen“ <strong>Embryonen</strong> jedoch erlaubt.<br />

Die Präimpl<strong>an</strong>tationsdiagnostik<br />

sei eine in Israel gängige Praxis.<br />

Der große Unterschied der asiatischen<br />

zu den monotheistischen Religionen<br />

besteht vor allem in dem Glauben<br />

<strong>an</strong> Wiedergeburt und Reinkarnation,<br />

wie Dr. Damien Keown berichtete. Und<br />

dieser Glaube präge auch die Einstellung<br />

zum Embryo. Geburt und Tod seien<br />

wie Drehtüren, durch die jedes Individuum<br />

immer und immer wieder hindurchgehe.<br />

Eines der Grundprinzipien<br />

der buddhistischen Ethik sei die Gewaltfreiheit,<br />

und dazu gehöre auch der<br />

Respekt vor dem Leben, der sich nicht<br />

nur auf menschliches Leben, sondern<br />

auch auf Tiere und sogar Pfl<strong>an</strong>zen beziehe.<br />

Der Buddhismus lehre, dass die<br />

verschiedenen Formen von Leben ein<br />

Kontinuum bilden, das heißt, die Lebensform<br />

k<strong>an</strong>n entweder ein Tier, ein<br />

Mensch oder sogar ein Gott sein. In Anbetracht<br />

der Tatsache, dass der Mensch<br />

wiedergeboren werden könne, sei das<br />

Töten von Menschen in jedem Zust<strong>an</strong>d<br />

seines Lebens, geboren oder ungeboren,<br />

moralisch verwerflich.<br />

In den traditionelleren buddhistischen<br />

Ländern wie Thail<strong>an</strong>d und Sri<br />

L<strong>an</strong>ka sei Abtreibung außer in einigen<br />

begründeten Ausnahmen verboten. Illegale<br />

Abtreibungen seien jedoch <strong>an</strong><br />

der Tagesordnung. Jährlich würden in<br />

Thail<strong>an</strong>d circa 300 000 Abtreibungen in<br />

einer der zahlreichen illegalen Abtreibungskliniken<br />

vorgenommen. In Jap<strong>an</strong>,<br />

wo Schw<strong>an</strong>gerschaftsabbrüche legal<br />

sind, würden jährlich mehrere Millionen<br />

Abtreibungen vorgenommen.<br />

Im Hinduismus sei nach den ayurvedischen<br />

Texten der Fötus Mensch von<br />

der Empfängnis <strong>an</strong>, da er ab diesem<br />

Zeitpunkt Seele und Körper habe,<br />

einschließlich des Karmas, das seine Individualität<br />

begründe, erläuterte Prof.<br />

Katherine K.Young, Montreal. Der Fötus<br />

sei durch das ethische Prinzip des<br />

ahimsa, der Gewaltfreiheit, geschützt,<br />

und durch die Pflicht, den Fötus zu<br />

schützen, sei auch das Verbot des<br />

Schw<strong>an</strong>gerschaftsabbruchs begründet.<br />

Abtreibung gelte als aktive Tötung und<br />

als ebenso verwerflich wie Beischlaf<br />

mit der Frau des Gurus, Mord und das<br />

Essen von Rindfleisch. Schw<strong>an</strong>gerschaftsabbruch<br />

werde mit schweren<br />

Strafen belegt, wie zum Beispiel mit<br />

dem Verlust der Kaste, was den Verlust<br />

des rituellen und sozialen Status bedeutet.<br />

Die einzige Ausnahme, bei der<br />

ein Schw<strong>an</strong>gerschaftsabbruch straffrei<br />

ausgehe, sei auch im Hinduismus die<br />

Rettung des Lebens der Mutter.<br />

Dr. Jyotsna Gupta, Leiden, machte<br />

deutlich, dass es in der Realität häufig<br />

<strong>an</strong>ders aussieht. So sei in Indien im Jahr<br />

1971 die Abtreibungsregelung liberalisiert<br />

worden, um das ras<strong>an</strong>te Bevölkerungswachstum<br />

einzudämmen. Durch<br />

die Globalisierung hätten zunehmend<br />

auch die Möglichkeiten der westlichen<br />

Reproduktionsmedizin und pränatalen<br />

Diagnostik Einzug gehalten. Die<br />

Amniozentese sei jedoch keine Form<br />

der pränatalen Diagnostik, sondern eine<br />

Form der Geschlechtsbestimmung<br />

geworden. Töchter seien in der indischen<br />

Gesellschaft unerwünscht, weil<br />

die Familie für sie eine beträchtliche<br />

Mitgift bieten müsse. Zwar sei die Geschlechtsselektion<br />

im Jahr 1994 verboten<br />

worden, sie sei jedoch dennoch gängige<br />

Praxis. Zunehmend würden in Indien<br />

auch Möglichkeiten der extrakorporalen<br />

Fertilisation, wie Ei- und<br />

Samenspenden, aber auch Leihmutterschaft<br />

<strong>an</strong>geboten, was zu einem regelrechten<br />

„Fertilitätstourimus“ geführt<br />

habe. Im verg<strong>an</strong>genen Jahr habe die indische<br />

Regierung von einem Ausschuss<br />

zwei Richtlinienentwürfe erarbeiten<br />

lassen, wonach das therapeutische Klonen<br />

bei bis zu 14 Tagen alten <strong>Embryonen</strong><br />

erlaubt sei, allerdings nur mit Zustimmung<br />

der „Besitzer“ der <strong>Embryonen</strong>.<br />

Im Konfuzi<strong>an</strong>ismus sei es dem Menschen<br />

verboten, Gott zu spielen und in<br />

die Schöpfung einzugreifen, führte Dr.<br />

Julia Tao Lai Po-wah, Hongkong, aus.<br />

Die Natur sei ein moralischer Prozess,<br />

der Leben gibt und zu Leben führt. Die<br />

Mission des Menschen sei es, der Natur<br />

zu helfen. Menschen dürften und müssten<br />

die Natur zwar verändern, es sei jedoch<br />

nicht hinnehmbar, so weit in die<br />

Natur einzugreifen, dass Designerbabys<br />

entstehen. Der Mensch werde<br />

nämlich unvollkommen geboren, und<br />

er habe das Potenzial zur Perfektionierung,<br />

die er selbst erreichen müsse.<br />

M<strong>an</strong> sei verpflichtet zu h<strong>an</strong>deln, dürfe


seine Grenzen aber nicht überschätzen.<br />

Doch trotz dieser religiösen Vorgaben<br />

wird die <strong>Embryonen</strong>forschung<br />

in China konsequent weiter vor<strong>an</strong>getrieben.<br />

Deutlich wurde letztendlich, dass allen<br />

Religionen die Ehrfurcht vor dem<br />

Leben und das Wissen von der Unverfügbarkeit<br />

des Menschen gemeinsam<br />

sei, wie Prof. Dr. theol. Eberhard<br />

Schockenhoff, Freiburg, ausführte. Einigkeit<br />

gibt es jedoch nicht in der<br />

Heft 50, 12. Dezember 2003<br />

EU-<strong>Forschung</strong>spolitik<br />

Ethische Nagelprobe<br />

Eindrucksvoll dokumentierte die<br />

Europäische Union (EU) Anf<strong>an</strong>g<br />

Dezember, wie sich aus Ratlosigkeit<br />

und Uneinigkeit Tatsachen schaffen lassen.<br />

Fakt ist inzwischen: Die Europäische<br />

Kommission wird künftig <strong>Forschung</strong>sprojekte,<br />

für die embryonale<br />

Stammzellen benötigt werden, mit EU-<br />

Geldern innerhalb des 6. <strong>Forschung</strong>srahmenprogramms<br />

fördern. EU-<strong>Forschung</strong>skommissar<br />

Philippe Busquin<br />

kündigte bereits <strong>an</strong>, Anf<strong>an</strong>g kommenden<br />

Jahres entsprechende <strong>Forschung</strong>svorhaben<br />

auszuschreiben. Zuvor waren<br />

am <strong>3.</strong> Dezember die Beratungen der<br />

EU-<strong>Forschung</strong>sminister gescheitert.<br />

Dabei war ein Kompromiss in dieser<br />

umstrittenen Frage greifbar nahe gewesen.<br />

Der entsprechende portugiesische<br />

Vorschlag konnte sich jedoch in Brüssel<br />

letztlich nicht durchsetzen.<br />

Ende des Jahres läuft das derzeit<br />

bestehende Moratorium für die Förderung<br />

der embryonalen Stammzellforschung<br />

aus. Es war verhängt worden,<br />

um den Mitgliedsstaaten die Möglichkeit<br />

zu geben, einen für alle ethisch vertretbaren<br />

Konsens zu finden. Denn die<br />

Nutzung von embryonalen Stammzellen<br />

ist in der EU nach wie vor heftig<br />

umstritten. Während Großbrit<strong>an</strong>nien,<br />

D O K U M E N T A T I O N<br />

grundlegenden Frage, ab w<strong>an</strong>n Leben<br />

eigentlich beginnt. L<strong>an</strong>desbischof Prof.<br />

Dr. theol. Wolfg<strong>an</strong>g Huber, neu gewählter<br />

Ratsvorsitzender der Ev<strong>an</strong>gelischen<br />

Kirche in Deutschl<strong>an</strong>d, wies<br />

abschließend darauf hin, dass die Antworten<br />

der Religionen l<strong>an</strong>ge vor dem<br />

Beginn der Reproduktionsmedizin<br />

gefunden wurden. „Jetzt muss ihre Anwendbarkeit<br />

überprüft werden.“ – Das<br />

Christentum war übrigens nicht Gegenst<strong>an</strong>d<br />

der Tagung. Gisela Klinkhammer<br />

Ergebnislos mussten die EU-<strong>Forschung</strong>sminister ihre Beratungen<br />

zur Förderung der embryonalen Stammzellforschung abbrechen.<br />

Inzwischen läuft jedoch das Moratorium aus.<br />

Belgien, Fr<strong>an</strong>kreich, Schweden, Dänemark,<br />

Finnl<strong>an</strong>d und Griechenl<strong>an</strong>d als<br />

Befürworter gelten, setzen sich<br />

Deutschl<strong>an</strong>d, Italien, Irl<strong>an</strong>d, Portugal<br />

und Österreich für einen strengen <strong>Embryonen</strong>schutz<br />

ein.<br />

Spekuliert wird nun, welche Ch<strong>an</strong>cen<br />

auf Förderung die umstrittenen Projekte<br />

zur Stammzellforschung tatsächlich<br />

haben. In jedem Fall wird die Situation<br />

die europäische <strong>Forschung</strong>spolitik weiter<br />

belasten. „Ich warne die Europäische<br />

Kommission ausdrücklich davor,<br />

embryonale Stammzellforschung ohne<br />

vom <strong>Forschung</strong>sminister-Rat <strong>an</strong>genommene<br />

ethische Richtlinien zu fördern“,<br />

erklärt Dr. med. Peter Liese (CDU),<br />

Mitglied des Europäischen Parlaments.<br />

Die Gentechnikexpertin von Bündnis<br />

90/Die Grünen im Europaparlament,<br />

Hiltrud Breyer, schließt eine Klage vor<br />

dem Bundesverfassungsgericht nicht<br />

aus, falls die EU-Kommission ohne Ministerratsbeschluss<br />

mit einer Förderung<br />

beginnen sollte. Es gehe offensichtlich<br />

nur darum, die verbrauchende <strong>Embryonen</strong>forschung<br />

in der EU salonfähig zu<br />

machen, sagte Breyer. Lediglich neun<br />

von 15 000 <strong>Forschung</strong>s<strong>an</strong>trägen bezögen<br />

sich auf embryonale Stammzellforschung.<br />

Der belgische EU-<strong>Forschung</strong>skommissar<br />

Philippe Busquin lässt indes<br />

keinen Zweifel dar<strong>an</strong>, dass er auch diese<br />

neun Vorhaben prinzipiell fördern will.<br />

Auf Vorbehalte der Kritiker wolle er<br />

jedoch Rücksicht nehmen, sagte er.<br />

Busquins überraschender Meinungswechsel<br />

war es auch, der zum Scheitern<br />

der Sondersitzung am <strong>3.</strong> Dezember führte.<br />

Eigentlich wollte m<strong>an</strong> sich dabei nur<br />

auf einen Stichtag einigen. Der Kompromissvorschlag<br />

von Portugal hatte vorgesehen,<br />

dass nur embryonale Stammzelllinien<br />

für <strong>Forschung</strong>szwecke verwendet<br />

werden dürfen, die vor einem bestimmten<br />

Stichtag erzeugt worden sind. Busquin<br />

hatte dem zugestimmt. Doch kurz<br />

vor der entscheidenden Sondersitzung<br />

im EU-<strong>Forschung</strong>sministerrat stellte er<br />

den zuvor erzielten Kompromiss wieder<br />

infrage. Seine <strong>an</strong>fängliche Zustimmung<br />

sei ein „Missverständnis“ gewesen.<br />

Das Chaos in Sachen Stammzellforschung<br />

ist in der Europäischen Union<br />

nicht neu. Zunächst existierte eine Vorlage<br />

der EU-Kommission. D<strong>an</strong>ach sollte<br />

die <strong>Forschung</strong> <strong>an</strong> embryonalen Stammzellen,<br />

die vor dem 27. Juni 2002 erzeugt<br />

wurden, mit EU-Mitteln gefördert werden.Das<br />

Europäische Parlament ging am<br />

19. November noch über die umstrittenen<br />

Pläne hinaus und setzte sich für eine<br />

umfassende Förderung der <strong>Embryonen</strong>forschung<br />

ohne jeglichen Stichtag ein.<br />

Eine Sperrminorität von Deutschl<strong>an</strong>d,<br />

Italien, Luxemburg, Österreich und Portugal<br />

brachte diese Vorschläge jedoch am<br />

26. November überaschend zu Fall. Die<br />

EU-<strong>Forschung</strong>sminister einigten sich auf<br />

den portugiesischen Kompromiss.<br />

Sein Scheitern wird im Deutschen<br />

Bundestag parteiübergreifend kritisiert.<br />

Nur die FDP steht auf Busquins Seite.<br />

SPD, Bündnis 90/Die Grünen und<br />

Union hatten dagegen den Vorschlag<br />

Portugals begrüßt, da er sehr dem deutschen<br />

Recht ähnelte. Hierzul<strong>an</strong>de dürfen<br />

nämlich nur embryonale Stammzelllinien<br />

für <strong>Forschung</strong>szwecke genutzt<br />

werden, die vor dem 1. J<strong>an</strong>uar 2002<br />

gewonnen wurden.Verstöße werden mit<br />

Gefängnisstrafe geahndet. Werden nun<br />

ab J<strong>an</strong>uar 2004 <strong>Forschung</strong>svorhaben zur<br />

embryonalen Stammzellforschung von<br />

der EU gefördert, wird auch Deutschl<strong>an</strong>d<br />

diese mitfin<strong>an</strong>zieren müssen, obwohl<br />

dies dem deutschen Recht widerspricht.<br />

Dr. med. Eva A. Richter-Kuhlm<strong>an</strong>n<br />

195

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