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DSL_AUSGABE03_2016_Ansicht

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Über die Kunst<br />

des Zuhörens<br />

In einer Zeit der Selbstdarstellung, der Inszenierung und der Zurschaustellung ist eine<br />

Tugend in den Hintergrund getreten, die eigentlich sehr heilsam ist: Zuhören, jemandem sein<br />

Ohr leihen, horchen, was die/der andere mir zu erzählen hat, Anteil nehmen am Leben des<br />

anderen. Es ist wohl kein Zufall, dass das Gehör der erste Sinn des Menschen ist, der sich<br />

voll ausbildet. Schon im Mutterleib ab dem dritten Monat beginnt die<br />

Entwicklung und noch vor der Geburt ist sie voll abgeschlossen.<br />

Nach beinahe zehn Jahren habe ich Schloss Seggau<br />

verlassen und mich einer neuen Herausforderung<br />

gestellt: Seit 1. September darf ich die neu<br />

eingerichtete Stelle eines Ombudsmannes der<br />

steirischen katholischen Kirche aufbauen und<br />

entwickeln. Eine Aufgabe, die ganz wesentlich<br />

von der „Kunst des Zuhörens“ geprägt ist. Es<br />

geht schließlich darum, zu vermitteln, Lösungen<br />

zu ermöglichen, Prozesse wieder in Gang zu<br />

bringen. Das ist nur gut möglich, wenn das<br />

Problem umfassend verstanden wird. Doch<br />

„richtig“ verstehen kann man nur, wenn man<br />

„richtig“ zuhört. Dann kann auch manches<br />

wahrgenommen werden, das zwischen den Zeilen<br />

gesagt wird oder auf der sogenannten Metaebene<br />

durchklingt.<br />

In der Pädagogik gibt es den Begriff des „aktiven<br />

Zuhörens“. Gemeint ist damit ein Zuhören,<br />

welches über die Anhörung eines Berichts oder<br />

einer Erzählung hinausgeht. Es ist ein Zuhören,<br />

das Interesse zeigt an dem, was die/der andere<br />

erzählt. Dieses Interesse wird spürbar, indem man<br />

nachfragt. Man will Genaueres erfahren, um die<br />

andere/den anderen besser zu verstehen.<br />

Schon oft habe ich in Gesprächen die Erfahrung<br />

gemacht, dass Menschen, wenn ich ihnen<br />

in dieser Haltung zugehört habe, etwas von<br />

sich erzählt haben, von dem sie eigentlich gar<br />

nichts sagen wollten. Doch so gut wie immer<br />

empfanden sie es nicht als unangenehm, so als ob<br />

ihnen Geheimnisse entlockt wurden, sondern sie<br />

empfanden es als Erleichterung. Endlich hatten<br />

sie etwas aussprechen, etwas erzählen können,<br />

das ihnen schon lange auf dem Herzen lag. Das<br />

Problem wurde dadurch zwar nicht gelöst, aber<br />

durch das offene, nicht urteilende Zuhören hatte<br />

sich die Perspektive verändert. Es entstand eine<br />

Distanz zum Problem und eine neue Sicht auf die<br />

Dinge wurde möglich. Dadurch kam es zu neuen<br />

Lösungsansätzen, die vorher nicht sichtbar waren.<br />

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