Namibia: 25 Jahre unabhängig
Die Fachzeitschrift zum Südlichen Afrika. Afrika Süd liefert kritische Hintergrundanalysen, stellt konkrete Projekte vor und lässt Akteure zu Wort kommen. // THEMENSCHWERPUNKT Namibia - 25 Jahre unabhängig: Befreiungsbewegung, Frauenpolitik, Völkermorddebatte, historische Fotos sowie Beiträge zu Literatur, Film und Musik // www.afrika-sued.org
Die Fachzeitschrift zum Südlichen Afrika. Afrika Süd liefert kritische Hintergrundanalysen, stellt konkrete Projekte vor und lässt Akteure zu Wort kommen. // THEMENSCHWERPUNKT Namibia - 25 Jahre unabhängig: Befreiungsbewegung, Frauenpolitik, Völkermorddebatte, historische Fotos sowie Beiträge zu Literatur, Film und Musik // www.afrika-sued.org
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<strong>Namibia</strong>: <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>unabhängig</strong><br />
2|2015 afrika süd 15
In Treue fest<br />
Foto: Guenay Ulutuncok<br />
NAMIBIA IST EIN GEFESTIGTER STAAT – in doppelter Hinsicht. Er ist seit seinen Anfängen relativ stabil mit einer<br />
verfestigten Machtstruktur, formal demokratisch, aber mit autoritären Zügen. Es zeigen sich die Grenzen einer Befreiungsbewegung<br />
an der Macht.<br />
Am 21. März feierte <strong>Namibia</strong> den <strong>25</strong>. <strong>Jahre</strong>stag<br />
der Unabhängigkeit. Seit einem<br />
Vierteljahrhundert sitzt die Swapo als Befreiungsbewegung<br />
an der Macht fest im<br />
Sattel. Im November 1989 erreichte sie in<br />
den Wahlen unter Aufsicht der Vereinten<br />
Nationen eine absolute Mehrheit. 1994 baute<br />
sie diese zu einer Zweidrittelmehrheit aus.<br />
In den Wahlen danach wurden es fast drei<br />
Viertel aller Stimmen. Ende November 2014<br />
kam sie schließlich auf sogar 80 Prozent, und<br />
ihr Präsidentschaftskandidat Hage Geingob<br />
auf fast 87 Prozent (siehe ausführlicher dazu<br />
afrika süd Nr. 1, 2015). Da stellt sich die Frage,<br />
wie viel Demokratie es inmitten solch<br />
erdrückender Mehrheitsverhältnisse eigentlich<br />
noch geben kann. Immerhin schafft<br />
dies eine relative Stabilität, die sich auch<br />
ordnungspolitisch in halbwegs gesicherten<br />
Verhältnissen auswirkt.<br />
Der Übergang von einem ausgehandelten<br />
Machttransfer zu einer völkerrechtlichen<br />
Souveränität verlief im Zuge des Dekolonisierungsprozesses<br />
nach einem über zwei Jahrzehnte<br />
hinweg auch militärisch geführten<br />
Befreiungskampf jedenfalls friedlicher, als<br />
von vielen befürchtet. So führte der kontrollierte<br />
Wandel zu einer gewandelten Kontrolle,<br />
die – so scheint es – die schon erwähnte<br />
gesellschaftliche Stabilität sichert. Aber ist<br />
Ungeniertes Beuteverhalten<br />
Im Zuge der Etablierung ihrer Kontrolle<br />
über den Staat und die öffentliche Verwaltung<br />
entwickelte die namibische Gerontokratie<br />
eine zunehmender kleptokratische<br />
Mentalität und Praxis, die den Dienst am<br />
Gemeinwohl bestenfalls als sekundär betrachtete<br />
und oftmals vernachlässigte. Sie<br />
verscherbelte den Reichtum des Landes<br />
aus Bergbau oder Fischerei, ohne dass die<br />
materiellen Lebensbedingungen der Bevölkerungsmehrheit<br />
entscheidend verbessert<br />
wurden. <strong>Namibia</strong> ist mit über 6.000 US-<br />
Dollar Pro-Kopf-Einkommen im Jahr im statistischen<br />
Durchschnitt ein Land höheren<br />
mittleren Einkommens. Wenn aber die eklatanten<br />
Unterschiede in der Verteilung des<br />
Reichtums berücksichtigt werden, hat die<br />
Regierung in punkto sozialökonomischer<br />
Entwicklung kläglich versagt. Die Swapo-<br />
Führung übernimmt dafür jedoch keine Verantwortung.<br />
Sie macht weiterhin stattdessen<br />
die Auswirkungen der Apartheid für die<br />
weit verbreitete Armut verantwortlich. Eine<br />
allzu bequeme Entschuldigung und Ausrede.<br />
Als ob ein Vierteljahrhundert Regiedies<br />
eine Kontrolle, die wirklich auf dauerhaftem<br />
Fundament gebaut ist? Trotz der stetig<br />
wachsenden Dominanz der Swapo und<br />
ungeachtet des letzten überwältigenden<br />
Wahlerfolgs gibt es auch Warnsignale. Angesichts<br />
deutlich zunehmender Unruhe und<br />
wachsendem Protest an der Basis mehren<br />
sich die Zeichen, dass die Zustimmung und<br />
Zufriedenheit im Volk geringer sein könnte,<br />
als es das Wahlergebnis nahelegt. Denn die<br />
Konsolidierung politischer Macht ließ die ererbten<br />
sozialökonomischen Strukturen der<br />
Siedlergesellschaft weitgehend intakt. Zur<br />
privilegierten weißen Minderheit gesellte<br />
sich eine neue schwarze Elite. Die rekrutierte<br />
sich ganz wesentlich aus den Reihen der<br />
ersten Generation der Befreiungsbewegung<br />
und jüngeren – oftmals verwandtschaftlich<br />
verbandelten – Emporkömmlingen als<br />
Nutznießer von deren Günstlingswirtschaft.<br />
Außen vor blieb bei einem solchen Pakt unter<br />
Eliten die überwältigende Mehrheit der<br />
einst Kolonisierten, die mit Fug und Recht<br />
von der Unabhängigkeit ein deutlich messbar<br />
besseres Leben erwarten durften, das<br />
ihnen jenseits individueller Freiheitsrechte<br />
auch eine materielle Besserstellung bescheren<br />
würde. Stattdessen zeugen Begriffe wie<br />
„fat cats“ und „tenderpreneurs“ von der<br />
nachkolonialen Katerstimmung unter de-<br />
nen, die vom Selbstbestimmungsrecht mehr<br />
erwarteten als nur die Selbstbereicherung<br />
der neuen Herrschenden.<br />
16 afrika süd 2|2015
ungsverantwortung nicht lange genug wäre, um die hehren Worte<br />
an den vergleichsweise mickrigen Taten messen und hinterfragen<br />
zu können.<br />
Ein immer ungenierteres Beuteverhalten, das die Partei mit der<br />
Regierung und die Regierung mit dem Staat als Selbstbedienungsladen<br />
gleichsetzt, schürt zunehmend Missmut unter Teilen der<br />
Bevölkerung. Die soziale Frage wird zur Zeitbombe, wie unlängst<br />
die Bewegung zur Forderung nach städtischem Land drastisch verdeutlicht<br />
hat. Auch in den kommunalen ländlichen Gebieten in den<br />
nördlichen Landesteilen brodelt es angesichts der illegalen Landprivatisierungen<br />
gewaltig. Diese von der politischen Elite ungeniert<br />
betriebenen Formen von Enteignung vollziehen sich einmal mehr<br />
auf Kosten der Ärmsten, die in Dürrezeiten vom Hungertod bedroht<br />
werden – in einem Land höheren mittleren Einkommens.<br />
Dennoch hat mangels ernsthafter Alternativen die Partei bisher<br />
alle potenziellen Herausforderungen – nicht zuletzt dank einer selbst<br />
nur weitgehend auf den Eigennutz bedachten Pseudo-Opposition –<br />
mühelos in die Schranken verweisen können. Dabei ist auch der Nationalstolz<br />
als Projektionsfläche ein wesentlicher Faktor. Immerhin<br />
repräsentiert die Swapo eine auf die Macht bezogene Identifikationsmöglichkeit.<br />
Sie kompensiert koloniale Minderwertigkeitskomplexe<br />
und gilt so weiterhin als Hoffnungsträger. „One <strong>Namibia</strong>, one<br />
nation“ als prominenter Slogan während des Befreiungskampfes<br />
hat auch eine Generation danach seine Wirkung noch nicht verloren.<br />
Legitimation durch Befreiungkskampf<br />
In der neueren Demokratieforschung werden politische Systeme<br />
wie das in <strong>Namibia</strong> auch als auf Wettbewerb beruhender Autoritarismus<br />
bezeichnet. Sie gelten als am ehesten dauerhaft, wenn sie<br />
entlang nicht-materieller Ressourcen organisiert sind – also auf einer<br />
ideologischen oder ethnischen Grundlage basieren. Oder solidarischen<br />
Banden, die in einer geteilten Erfahrung eines militärischen<br />
Kampfes gründen. Besonders Parteien, die in Kriegen, gewaltsamen<br />
antikolonialen Kämpfen, einer Revolution oder bei der Aufstandsbekämpfung<br />
entstanden, haben die besten Aussichten, wirtschaftliche<br />
Krisen, eine Abfolge in der Führung und Herausforderungen durch<br />
eine Opposition ohne schädigende Rückschläge zu überstehen.<br />
Revolutionäre Befreiungskämpfe schaffen tendenziell eine Führungsgeneration,<br />
die auch die nötige Legitimität besitzt, während<br />
Krisenzeiten Disziplin zu erzwingen. Deshalb scheinen neue herrschende<br />
Parteien wie die Swapo beständiger zu sein. Dank der<br />
vielfältigen ideellen und materiellen Ressourcen, die der Swapo<br />
aufgrund dieser Konstellation zur Verfügung stehen, kann sie ihre<br />
Dominanz nahezu ungehindert verfestigen und Wahlen bereits lange<br />
vor dem Wahltag für sich entscheiden, ohne sich offener Repression<br />
oder eines umfassenden Wahlbetrugs bedienen zu müssen. Insofern<br />
repräsentiert die Swapo nachgerade das Paradebeispiel einer<br />
Dominanzpartei, die sich sowohl in demokratischen wie autoritären<br />
Zusammenhängen behaupten kann.<br />
Indem sie sich die mit der Unabhängigkeit und deren Begleitumständen<br />
geschaffenen Möglichkeiten voll zunutze machte, konnte<br />
die Swapo in weiten Teilen der Bevölkerung ihre Vormachtstellung<br />
auch in mentaler und kultureller Hinsicht als populistische Bewegung<br />
festigen. Die Swapo-Farben, die von höchsten Regierungsvertretern<br />
auch bei öffentlichen Anlässen in der Kleidung demonstrativ<br />
zur Schau getragen werden, die hochgereckte Faust als Partei-Logo<br />
auf den Wahlzetteln, politische Lob- und Kampflieder aus Zeiten des<br />
antikolonialen Widerstands und zahlreiche andere Symbole wie Feiertage<br />
zur Erinnerung an Ereignisse im antikolonialen Widerstand<br />
zeugen von der Verinnerlichung der Swapo-Identität und Politik als<br />
nationaler Alltagskultur.<br />
Die Mitte der 1970er <strong>Jahre</strong> erfolgte Anerkennung der Befreiungsbewegung<br />
als einzig authentische und legitime Vertretung des namibischen<br />
Volkes durch einen von der Mehrheit der Mitgliedsstaaten<br />
in der Generalversammlung der Vereinten Nationen gefassten Beschluss<br />
hat auch noch 40 <strong>Jahre</strong> danach tiefe Spuren im Herrschaftsverständnis<br />
hinterlassen.<br />
Grenzen der Befreiung werden deutlicher<br />
Die Privilegien einer neuen Elite haben dennoch zu wachsenden<br />
Frustrationen in Teilen der Klientel geführt. Dies gefährdet den sozialen<br />
Frieden. Doch hat mangels ernsthafter Alternativen die einstige<br />
Befreiungsbewegung und deren Funktionärselite bisher alle<br />
potenziellen Herausforderungen mühelos in die Schranken verwei-<br />
2|2015 afrika süd 17
Der Autor ist Direktor em.<br />
der Dag Hammerskjöld-<br />
Stiftung in Uppsala und<br />
Extraordinary Professor<br />
an der Universität Pretoria<br />
und der Universität<br />
des Freistaates in Bloemfontein.<br />
sen können. Dabei ist auch der Appell an den Nationalstolz<br />
ein wesentlicher Faktor. Immerhin repräsentiert<br />
die Swapo das Land in der Welt und kann jegliche<br />
Form von Kritik als unbotmäßige Einmischung abtun<br />
oder als unpatriotisches Verhalten denunzieren. Sie<br />
präsentiert sich damit der Bevölkerung als eine Projektionsfläche<br />
von nationalem Prestige und eine auf die<br />
Macht bezogene Identifikationsmöglichkeit, die auch<br />
zur Aufwertung ihrer Gefolgsleute führt. Sie schafft<br />
unter ihren Anhängern ein höheres Selbstwertgefühl<br />
und kompensiert koloniale Minderwertigkeitskomplexe.<br />
Die Swapo wird nicht zuletzt auch aufgrund<br />
eines solchen, dem Befreiungskampf geschuldeten<br />
historischen Vorteils weiterhin ihrer Konkurrenz gegenüber<br />
als Hoffnungsträger gesehen, auch wenn<br />
der Unmut über die Enttäuschungen hinsichtlich der<br />
Grenzen der Befreiung wächst.<br />
Die relativ gute Platzierung der Regierungsführung<br />
a lá <strong>Namibia</strong> auf den afrikanischen Ranglisten sollte<br />
jedoch angesichts dieser Konstellation ebenso wenig<br />
wie das Ergebnis der letzten Wahlen darüber hinweg<br />
täuschen, dass sich Demokratie, Menschenrechte und<br />
chronische Armut auf lange Sicht nicht gut vertragen<br />
und ein solches Spannungsverhältnis keine dauerhafte<br />
und tragfähige Entwicklung erlaubt. Vielmehr<br />
werden die Grenzen der Befreiung immer deutlicher.<br />
Dass der am Unabhängigkeitstag nach zehn <strong>Jahre</strong>n<br />
aus dem Amt verabschiedete zweite Präsident Hifikepunye<br />
Pohamba im März den Mo-Ibrahim-Preis für<br />
2014 zuerkannt bekam, spricht nicht für die Qualität<br />
seiner Amtsführung. Vielmehr verdeutlicht dies, wie<br />
rar wirklich sogenannte gute Regierungsführung auf<br />
dem Kontinent ist. Genau besehen war Pohamba nur<br />
ein Sachwalter des Status quo, der überwiegend den<br />
Habenden zugute kam. Dafür belohnt zu werden ist<br />
ein Armutszeugnis für die herrschenden Verhältnisse<br />
auf dem Kontinent. So wird mit einer solchen Preisverleihung<br />
doch nur jemand dafür belohnt, dass er<br />
keinen größeren Schaden angerichtet hat und alles<br />
weitgehend beim (ungerechten) Alten bleibt.<br />
Vor enormen Herausforderungen<br />
Der am 21. März 2015 vereidigte dritte Präsident<br />
der Republik <strong>Namibia</strong> Hage Geingob wird sich daran<br />
messen lassen müssen, es besser als seine Vorgänger<br />
zu machen. Er ließ sich und die Unabhängigkeit auf<br />
Staatskosten in einem opulenten Fest zelebrieren, das<br />
angesichts der geschilderten Armut im Lande nachgerade<br />
unanständig ist. Berichten zufolge dienten zur<br />
dekorativen Ausschmückung des Festbanketts unter<br />
anderem Skulpturen aus Eis, während unter der Hitze<br />
des Spätsommers nicht nur die ländliche Bevölkerung<br />
unter dem allzu spärlichen Regen und einer drohenden<br />
neuen Dürre leidet.<br />
Geingob, der in diesem Jahr 74 <strong>Jahre</strong> alt wird, ist<br />
nicht nur aller Wahrscheinlichkeit nach der letzte der<br />
Mohikaner, was die erste Generation der im Exil erprobten<br />
Swapo-Führungsriege im höchsten Staatsamt<br />
betrifft. Er ist auch mit einer Aufgabe konfrontiert, die<br />
sein bisher bewiesenes politisches und strategisches<br />
Geschick noch mehr testet. Nicht immer hat er – wie<br />
die Feier zu seiner Amtsübernahme, aber auch frühere<br />
Eskapaden zeigen – das nötige Fingerspitzengefühl<br />
dokumentiert, das ein Staatsoberhaupt inmitten der<br />
krassen sozialen Ungleichheitsverhältnisse haben<br />
sollte, um auch unter den Marginalisierten und vom<br />
gesellschaftlichen Reichtum Ausgeschlossenen Respekt<br />
zu verdienen. Er ist dem dolce vita nicht abgeneigt<br />
und keinesfalls ein Asket. Muss er ja auch nicht<br />
sein, um die Geschicke des Landes verantwortlich zu<br />
lenken. Jedoch darf sein beeindruckendes Wahlergebnis<br />
nicht darüber hinweg täuschen, dass er enorme<br />
Herausforderungen zu bewältigen hat, was die Erwartungen<br />
an eine bessere Zukunft betrifft. Dass er<br />
dabei vermutlich parteiintern nicht alle mit Einfluss<br />
auf seiner Seite hat, macht es nicht einfacher für ihn.<br />
Er hat eine Regierung präsentiert, die mit insgesamt<br />
57 Ministern und deren Stellvertretern (mehr als die<br />
Hälfte der 96 gewählten und acht von ihm zusätzlich<br />
ernannten Mitglieder des Parlaments) daran zu messen<br />
sein wird, ob sie ihr deutlich höheres Geld aus<br />
staatlichen Mitteln auch im Dienste des Volkes verdient<br />
und wert ist.<br />
Den Menschen in <strong>Namibia</strong> und jenen, denen diese<br />
am Herzen liegen, bleibt über die Feierlichkeiten zum<br />
<strong>25</strong>. <strong>Jahre</strong>stag der Unabhängigkeit hinaus nur zu hoffen,<br />
dass sich Hage Geingob für seine Amtszeit(en)<br />
zum Ziel setzt, als guter Präsident im Sinne des Gemeinwohls<br />
in die Geschichtsbücher Aufnahme zu finden.<br />
Auf dass die so selbstverständliche aber dennoch<br />
fragwürdige Gleichsetzung der Partei mit der Regierung<br />
und dem Staat nicht weiter dazu missbraucht<br />
wird, dass wenige auf Kosten vieler schmarotzen. –<br />
Ein bisschen hoffen wird man ja wohl dürfen...<br />
>> Henning Melber<br />
18 afrika süd 2|2015
Vom Bohren dicker Bretter<br />
FRAUEN IN NAMIBIA SIND DEN MÄNNERN NACH DER VERFASSUNG GLEICHGESTELLT. Doch zur wirklichen Gleichberechtigung<br />
und Gerechtigkeit ist es ungeachtet aller gesetzlichen Quotenregelungen noch ein langer Weg.<br />
<strong>Namibia</strong>s moderne Verfassung bietet die Grundlage für die gesetzliche<br />
Gleichstellung von Frauen und Männern, und für die Achtung<br />
und den Schutz ihrer Menschenwürde und Menschenrechte.<br />
Frauen aus allen Landesteilen haben sich über Jahrzehnte hinweg<br />
diese Rechte erkämpft, durch ihren vielfältigen Widerstand gegen<br />
koloniale Unterdrückung, Ausbeutung, Enteignung und Gewaltherrschaft.<br />
Das waren Frauen, die sich weigerten, in den ihnen zugewiesenen<br />
ethnisch getrennten Reservaten zu bleiben, und die auf Arbeitssuche<br />
in die Städte kamen. Frauen, die sich dort den Zwangsuntersuchungen<br />
nach Geschlechtskrankheiten widersetzten. Frauen, die<br />
gegen Zwangsumsiedlung aus den Städten in die Townships auf die<br />
Barrikaden gingen. Frauen, die Kämpfer der Befreiungsbewegung<br />
beherbergten und unterstützten, oder selbst im bewaffneten Kampf<br />
an vorderster Front standen. Frauen, die im Exil auf sich alleine gestellt<br />
in fremden Ländern und Sprachen studierten, um ihr Wissen<br />
in den Aufbau der neuen demokratischen Gesellschaft einzubringen,<br />
auch ihr Wissen um die Kämpfe und Errungenschaften der<br />
nationalen und globalen Frauenbewegungen. Frauen, die sich vor<br />
Ort in ihren Kirchengemeinden und „community groups“ für menschenwürdige<br />
Lebensverhältnisse einsetzten. Und Frauen, die auf<br />
politischer Ebene für das Recht des namibischen Volkes auf Selbstbestimmung<br />
wirkten.<br />
Ein hoher Preis für Freiheit und Gleichberechtigung<br />
Viele Frauen haben für ihren Einsatz einen hohen Preis gezahlt:<br />
Sie wurden vergewaltigt, gefoltert, kamen ins Gefängnis und brachten<br />
dort Kinder zur Welt, wurden ermordet und sind bis heute „verschwunden“.<br />
Dies zur Erinnerung an den langen und schweren Weg<br />
zu unserer demokratischen Verfassung, die Frauen als gleichberechtigte<br />
Bürgerinnen des neuen Staates das Recht auf Freiheit, Gerechtigkeit<br />
und Frieden garantiert.<br />
Auf dieser Grundlage wurde in den letzten <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong>n ein beachtlicher<br />
gesetzlicher Rahmen geschaffen. Hier spielte das gemeinsame<br />
politische Handeln vieler Bürgerinnen eine wichtige Rolle, denn einige<br />
der männlichen Freiheitskämpfer, die nun im Parlament saßen,<br />
nahmen statt der Verfassung plötzlich die Bibel und ihre traditionellen<br />
Stammesgesetze zur Hand, um ihre Vorherrschaft in Ehe und<br />
Familie zu verteidigen.<br />
Die neuen Gesetze zur Gleichstellung der Partner in der Ehe, zur<br />
Unterhaltspflicht von Eltern für ihre Kinder, zur Bekämpfung häuslicher<br />
Gewalt und Vergewaltigung, zur Förderung von Frauen im Berufsleben<br />
und in der Politik haben es vielen Frauen ermöglicht, ihr<br />
Recht auf ein selbstbestimmtes Leben umzusetzen und aktiv an der<br />
Entwicklung ihres Landes mitzuwirken.<br />
Dies gilt vor allem für Frauen, die ihre Bildungschancen nutzen<br />
können, sich durch Berufstätigkeit einen guten Lebensstandard sichern<br />
und sich ihrer Bürger- und Frauenrechte bewusst sind. Eine<br />
Minderheit also. Denn Frauen in <strong>Namibia</strong> sind keine homogene<br />
Gruppe.<br />
Eine Studie des United Nations Development Programme über<br />
Entwicklung und Armut in <strong>Namibia</strong> (2007) stellte fest: Deutschsprachige<br />
Namibier genießen den höchsten Lebensstandard – vergleichbar<br />
mit Schweden und Kanada, während am untersten Ende der<br />
Skala die San-Urbevölkerung ein Dasein auf der Stufe von Ruanda<br />
und Eritrea fristet. Und Frauen sind in allen ethnischen Gruppen<br />
<strong>Namibia</strong>s jeweils ärmer als Männer. Auch im Vergleich zwischen<br />
städtischen und ländlichen Bewohnerinnen sind die Lebensbedingungen,<br />
Entscheidungsmöglichkeiten und sogar ihre gesetzlich verankerten<br />
Rechte sehr unterschiedlich. So gibt es zum Beispiel keine<br />
2|2015 afrika süd 19
Gleichstellung in den vielen Ehen, die nach<br />
traditionellem statt Zivilrecht geschlossen<br />
werden. Lesbische Frauen werden politisch<br />
und gesellschaftlich stigmatisiert und ausgegrenzt.<br />
Für viele mit HIV lebende und<br />
behinderte Frauen fehlt die notwendige gesundheitliche<br />
Versorgung und gesellschaftliche<br />
Integration.<br />
Politische Partizipation<br />
Schon bei den ersten freien Kommunalwahlen<br />
im Jahr 1992 waren fast ein Drittel<br />
der gewählten Gemeinderäte Frauen.<br />
Eine gesetzliche Quotenregelung zwang<br />
die männlichen Funktionäre aller Parteien,<br />
nach kompetenten Kandidatinnen für die<br />
Parteilisten zu suchen, und siehe da: Sie<br />
wurden auch gefunden! Es hätten fast 50<br />
Prozent Frauen gewählt werden können,<br />
wenn nach dem Zebrastreifenprinzip Frauen<br />
und Männer alternierend auf den Kandidatenlisten<br />
platziert gewesen wären. In den<br />
darauf folgenden Wahlen wurde dieses Prinzip<br />
stärker befolgt, so stieg der Frauenanteil<br />
sogar auf 46 Prozent. Heute liegt er bei 42<br />
Prozent. Damit steht <strong>Namibia</strong> im internationalen<br />
Vergleich mit an der Spitze. Einige<br />
dieser Frauen haben ihr Führungsvermögen<br />
als Bürgermeisterinnen bewiesen, andere<br />
machten den Schritt in die Nationalversammlung,<br />
wurden Ministerinnen oder Botschafterinnen<br />
im auswärtigen Dienst.<br />
In der Nationalversammlung schwankte<br />
der Frauenanteil bisher zwischen zwanzig<br />
und knapp dreißig Prozent, im internationalen<br />
Vergleich ist er noch immer relativ<br />
hoch. Jedoch beschloss die Mehrheitspartei<br />
Swapo vor den jüngsten Wahlen im November<br />
2014, ihre Kandidatenlisten zukünftig<br />
nach dem 50/50-Zebraprinzip aufzustellen.<br />
Die anderen Parteien zogen nicht mit, aber<br />
dies führte dennoch zu einem Frauenan-<br />
teil im neuen Parlament von über 40 Prozent.<br />
Damit hat sich <strong>Namibia</strong> der „50/50 by<br />
2015“-Zielvorgabe stark genähert, die für alle<br />
Mitgliedsstaaten der Regionalen Entwicklungsgemeinschaft<br />
SADC im „SADC Protocol<br />
on Gender and Development“ vorgeschrieben<br />
ist. Über viele <strong>Jahre</strong> hinweg hatten Frauenorganisationen<br />
in <strong>Namibia</strong> für diese Quotenvorgabe<br />
mobilisiert.<br />
Der Preis dafür ist jedoch sehr hoch. Kurz<br />
vor den Wahlen wurde dank der Zweidrittelmehrheit<br />
der Swapo schnell noch die Verfassung<br />
geändert, um die Anzahl der Parlamentssitze<br />
von 76 auf 104 zu erhöhen. Damit<br />
erhofften sich die männlichen Veteranen<br />
des Befreiungskampfes, eine fünfte Amtsperiode<br />
zu genießen. Vielen gelang es dennoch<br />
nicht, wieder als Kandidaten aufgestellt zu<br />
werden, jüngere männliche Parteigenossen<br />
kamen zum Zug.<br />
Auf der regionalen Ebene wird in den<br />
14 Regionen des Landes in Wahlkreisen<br />
gewählt. Hier gibt es keine 50/50-Bestrebungen<br />
und der Frauenanteil in den vierzehn<br />
Regionalräten beträgt nur 12 Prozent.<br />
Sehr düster sieht es für Frauen in den traditionellen<br />
Gemeinschaften aus, wo fast nur<br />
Männer die zahlreichen „Stammesgruppen“<br />
regieren. Nur bei den Sambyu in der Kavango-Region<br />
üben Frauen traditionell Macht<br />
aus. Landesweit gibt es aber viele „Stammesgesetze“,<br />
die Frauen in ihren gesellschaftlich<br />
zugeschriebenen Rollen als Ehefrau, Tochter,<br />
Schwiegertochter oder Witwe diskriminieren,<br />
trotz der Garantie in der Verfassung,<br />
dass kulturelle und religiöse Ansichten und<br />
Praktiken nicht gegen die Menschenrechte<br />
verstoßen dürfen. Hier besteht ein sehr großer<br />
Reformbedarf, damit die Mehrheit namibischer<br />
Frauen ihre Rechte als mündige<br />
Bürgerinnen wahrnehmen kann.<br />
Bildung und Berufe<br />
In der Grundschule haben Mädchen zahlenmäßig<br />
die Jungs überholt, viele verlassen<br />
aber vorzeitig wegen Frühschwangerschaft<br />
die Sekundarschule und erreichen keinen<br />
Schulabschluss., Das Fächerangebot an<br />
den wenigen Berufsschulen ist auf typisch<br />
männliche Berufsfelder orientiert, auf die<br />
junge Frauen in ihrer Schulzeit nicht vorbereitet<br />
werden – da sitzen fast alle im Wahlfach<br />
Hauswirtschaft.<br />
Das Studienplatzangebot an der Universität<br />
und der Polytechnischen Hochschule<br />
ist auch viel zu gering. Trotzdem erlangen<br />
inzwischen mehr junge Frauen als junge<br />
Männer einen Hochschulabschluss, und<br />
zwar in allen Studienfächern außer Ingenieurswissenschaften<br />
und Informatik. Danach<br />
folgt für viele dennoch die Arbeitslosigkeit,<br />
da der Arbeitsmarkt für Hochschulabsolventen,<br />
wie für alle Jugendlichen, sehr eingeschränkt<br />
geblieben ist.<br />
Frauen mit guten Bildungsabschlüssen<br />
arbeiten inzwischen in fast allen Berufsfeldern,<br />
aber vorwiegend im Bildungs- und<br />
Gesundheitsbereich. Ein Drittel aller angestellten<br />
Frauen verdient sehr wenig als<br />
Ungelernte, die meisten als Haushaltsangestellte.<br />
Über die Hälfte aller Frauen sind<br />
arbeitslos, in ländlichen Gebieten sind es 72<br />
Prozent. Die unbezahlte Arbeit von Frauen<br />
in der Subsistenzwirtschaft und im eigenen<br />
Haushalt wird nicht in den staatlichen Wirtschaftsbilanzen<br />
mitgerechnet.<br />
Gesundheit und Gewalt<br />
Die Müttersterblichkeitsrate hat sich in<br />
den letzten <strong>Jahre</strong>n verdoppelt, die Kindersterblichkeitsrate<br />
steigt wieder an. Jedes<br />
dritte Kind ist unterernährt, die durchschnittliche<br />
Lebenserwartung ging wieder<br />
um zehn <strong>Jahre</strong> zurück. Über 200.000 Kinder<br />
20 afrika süd 2|2015
haben inzwischen einen oder beide Elternteile an Aids<br />
verloren. Mädchen, junge Frauen und Großmütter tragen<br />
schwer an dieser Situation, da von ihnen erwartet<br />
wird, mit sehr geringen Mitteln die Fürsorge für Kranke,<br />
Sterbende und Waisen zu übernehmen, auch wenn<br />
sie selber mit HIV leben.<br />
Auf der einen Seite haben Frauen mehr Zugang<br />
zur Familienplanung und bekommen nun im Durchschnitt<br />
drei Kinder statt sechs. Auch die Prävention<br />
der HIV-Übertragung von Mutter auf Kind bei der<br />
Geburt ist inzwischen weit verbreitet. Auf der anderen<br />
Seite ist es jedoch für sehr viele Frauen noch nicht<br />
möglich, ihr Recht auf sexuelle Selbstbestimmung<br />
durchzusetzen, zum Beispiel in dem sie auf die Benutzung<br />
von Kondomen bestehen. Armut und finanzielle<br />
Abhängigkeit bringt viele dazu, den sexuellen Wünschen<br />
ihrer männlichen Partner zu genügen, trotz des<br />
hohen HIV-Infektionsrisikos. Die nationale HIV-Infektionsrate<br />
lag 2014 bei 8,3 Prozent für junge Frauen und<br />
bei 24,1 Prozent für Frauen über <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong>.<br />
Fünfzehn Prozent der unter zwanzig jährigen<br />
Frauen sind schon Mütter. Die Zahl der Abtreibungen<br />
ist hoch, trotz der gesundheitlichen Gefahren und der<br />
Aussicht, dafür ins Gefängnis zu kommen. Nur wenige<br />
können es sich leisten, nach Südafrika zu reisen, wo<br />
das Gesetz inzwischen liberalisiert wurde. Manche<br />
setzen in ihrer Verzweiflung ihre Babys aus oder töten<br />
sie.<br />
Im Bewusstsein vieler Menschen besteht eine<br />
große Kluft zwischen gewalttätigen Handlungen im<br />
Namen der Kultur und den Vorgaben der nationalen<br />
Gesetze zur Bekämpfung häuslicher Gewalt und Vergewaltigung.<br />
Die Zahl der angezeigten Vergewaltigungen hat<br />
sich in den letzten <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong>n mehr als verdoppelt. Dies<br />
kann darin liegen, dass sich mehr Frauen ihrer Rechte<br />
bewusst sind und Anzeige erstatten. Schlagzeilen<br />
machen in jüngster Zeit brutale Mordfälle an Frauen<br />
durch ihre Expartner. Auch brutale Vergewaltigungen<br />
von Kindern und Babys scheinen kein Ende zu nehmen.<br />
Handlungsbedarf und Handlungsbereitschaft<br />
Die „National Gender Policy 2010 – 2020“ zeigt auf,<br />
in wie vielen gesellschaftlichen Bereichen und auf<br />
wie vielen Ebenen gehandelt werden muss, um allen<br />
Frauen in <strong>Namibia</strong> nicht nur ihre Rechte gesetzlich zu<br />
garantieren, sondern ihnen auch die Wahrnehmung<br />
dieser Rechte zu ermöglichen. Noch sind Frauen, die<br />
nach „Stammesrecht“ heiraten oder von ihrer Familie<br />
zwangsverheiratet werden, nicht in der Ehe gleichgestellt.<br />
Auch ihr Recht auf eigenen Grund und Boden<br />
sowie auf Erbschaft als Witwen ist nach „Stammesgesetzen“<br />
geregelt. Für Frauen in zivilrechtlich geschützten<br />
Ehen gilt ein altes Scheidungsgesetz, das Männer<br />
bevorzugt.<br />
Obwohl über viele <strong>Jahre</strong> eine Frau als Justizministerin<br />
waltete, hat sie diese ausstehenden Reformen<br />
im Familienrecht nicht vorangetrieben. Hier geht es<br />
um tief verankerte patriarchale Privilegien, die ohne<br />
Kampf innerhalb der eigenen politischen Reihen<br />
nicht abzuschaffen sind. Dafür fehlt anscheinend der<br />
Mut. Die Loyalität gegenüber den Parteigenossen hindert<br />
Frauen im Parlament und in der Regierung, sich<br />
im Interesse von Frauen am Rand der Gesellschaft zusammenzuschließen.<br />
Ihre weitere Karriere innerhalb<br />
Partei und Regierung liegt nach wie vor in den Händen<br />
dieser Genossen.<br />
Darüber hinaus fehlt es an politischer Handlungsbereitschaft,<br />
um wirksam gegen Armut, Arbeitslosigkeit,<br />
Bildungs- und Gesundheitsnotstand vorzugehen.<br />
Das würde statt „Black Economic Empowerment“ für<br />
die Wenigen, vor allem für Männer, eine Umstrukturierung<br />
der Gesellschaft bedeuten, durch die der<br />
gesellschaftliche Reichtum gerechter verteilt wird.<br />
Die 40 Prozent Frauen im neuen Parlament bedürfen<br />
weiterhin der Tatkraft von Frauenorganisationen, um<br />
wirkliche und tiefgreifende gesellschaftliche Veränderungen<br />
herbeizuführen.<br />
>> Liz Frank<br />
Alle Fotos: Liz Frank<br />
Die Autorin ist seit <strong>25</strong><br />
<strong>Jahre</strong>n in der namibischen<br />
Frauenbewegung aktiv.<br />
Zur Zeit ist sie Programm-<br />
Managerin für das<br />
Women‘s Leadership Centre,<br />
einer feministischen<br />
NRO, die die Stimmen<br />
junger Frauen aus gesellschaftlich<br />
marginalisierten<br />
Gesellschaftsgruppen<br />
stärkt.<br />
Ihr Beitrag ist eine Aktualisierung<br />
ihres Aufsatzes<br />
in: Perspektiven 2013 –<br />
Wem gehört <strong>Namibia</strong>?<br />
Ein Land im Spannungsfeld<br />
von Staat, Zivilgesellschaft<br />
und ausländischen<br />
Interessen. Informationsausschuss<br />
der Evangelisch-Lutherischen<br />
Kirche<br />
in <strong>Namibia</strong> (DELK)<br />
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NAMIBIAS WEG ZUR UNABHÄNGIGKEIT – IN FOTOS VON GUENAY ULUTUNCOK<br />
Seite 21:<br />
• Auf dem deutschen Reiter-Denkmal fordern die Besetzer<br />
das Ende der Unterdrückung und freie Wahlen.Windhoek,<br />
1989.<br />
Seite 22/23, im Uhrzeigersinn:<br />
• Kasernierung der Kontraktarbeiter im Township bei Lüderitz,<br />
1988.<br />
• Die alte deutsche Reichskriegslagge wird jeden Tag auf<br />
dem Dach des Ladens gehisst. Swakopmund, 1988.<br />
• Katutura - der Name des 6 km außerhalb von Windhoek<br />
errichteten Townships bedeutet in der Hererosprache: „Hier<br />
haben wir keine Bleibe“. Circa. 90.000 Schwarze leben in<br />
den Wohnblocks, die nach ethnischen Gruppen aufgeteilt<br />
sind. Katutura, 1988.<br />
• Ihre Freizeit verbringen die Deutschstämmigen vor allem<br />
in ihren Vereinen mit Schießen, Reiten, Karnevalfeiern oder<br />
im Verein der Soldaten. Hier lässt ein Deutschstämmiger<br />
bei einem Reitsportfest seine Stiefel von einem Schwarzen<br />
auf Hochglanz polieren. Okahandja, 1988.<br />
• Erinnerungen an Kolonialismus und Hitler-Verehrung,<br />
Peters Antiquitäten, Swakopmund, 1988.<br />
• Die Deutsche Oberschule „DOS“ in Swakopmund feiert im<br />
April 1988 ihr 75jähriges Bestehen. Neben regelmäßigen<br />
Schießwettbewerben gehört auch zweimal in der Woche<br />
der “Wehrmachtsunterricht” zum Stundenplan der Schüler.<br />
Seite 24/<strong>25</strong>, im Uhrzeigersinn:<br />
• Trotz mehrerer Anschläge lässt Gven Lister, Chefredakteurin<br />
der kritischen Zeitung „The Naminian“, sich in ihrer<br />
Arbeit nicht einschüchtern. Windhoek, 1989.<br />
• Fronleichnams-Prozession, zugleich auch eine politische<br />
Demonstration, da zu dieser Zeit ein generelles Demonstrationsverbot<br />
gilt. Katutura, 1988.<br />
• Wahlveranstaltung der Swapo in Katutura, 1989.<br />
• Von südafrikanischen Militär-Einheiten zerstörte Kirche im<br />
Ovamboland im Norden <strong>Namibia</strong>s, 1988.<br />
• Die erste spontane Demonstration vor den Wahlen in<br />
Windhoek. Niemand weiß zu dieser Zeit, ob die Demonstration<br />
blutig niedergeschlagen wird. Die Menge läuft auf der<br />
Kaiserstraße zum Reiter-Denkmal im Zentrum der Stadt,<br />
Windhoek, 1989.<br />
• Zweite erlaubte Maifeier der Arbeiter im Township, eine<br />
Manifestation des Freiheitswillens. Katutura, 1988.<br />
Seite 26/27, im Uhrzeigersinn:<br />
• Ankunft der ersten Maschinen mit Rückkehrern aus Angola<br />
am Flughafen von Ondangwa, 1989.<br />
• Am 21. März 1990 erlangt <strong>Namibia</strong> seine Unabhängigkeit.<br />
• Feierlichkeiten zur Unabhängigkeit<br />
• Feierlichkeiten zur Unabhängigkeit<br />
Hintergrund: Überreste der früheren deutschen Eisenbahnlinie<br />
bei Lüderitz, 1989.<br />
2|2015 afrika süd 27
Foto: Guenay Ulutuncok<br />
Die autoritäre Demokratie etabliert sich<br />
AUF EINE DEMOKRATISCHE VERFASSUNG FÜR NAMIBIA haben sich die Kontrahenten 1990 überraschend schnell<br />
geeinigt. Deren Spielregeln werden bis heute prinzipiell eingehalten. Doch die Demokratie nimmt mehr und mehr<br />
autoritäre Züge an.<br />
Die Fundamente für ein demokratisches Regierungssystem im<br />
<strong>unabhängig</strong>en <strong>Namibia</strong> wurden bereits lange vor der Staatsgründung<br />
gelegt. Schon die 1978 verabschiedete UN-Resolution 435, die<br />
später zum Fahrplan für die Unabhängigkeit wurde, benannte freie<br />
Wahlen unter UN-Aufsicht als Basis für einen demokratischen Übergang.<br />
Ähnlich zielführend erwiesen sich die 1981 von der westlichen<br />
Kontaktgruppe erarbeiten Constitutional Principles, die eine Festlegung<br />
auf demokratische Grundrechte, eine <strong>unabhängig</strong>e Justiz und<br />
ein Mehrparteiensystem als Eckpfeiler für eine spätere Verfassung<br />
verlangten. Beide Dokumente wurden von der Swapo, die sich mit<br />
starker Rückendeckung des damaligen Ostblocks nicht auf die westlich<br />
orientierten Vorschläge einlassen wollte, zunächst zurückgewiesen,<br />
auch wenn von der Swapo 1975 bereits ein Diskussionspapier<br />
zur Verfassung vorgelegt wurde, das weitgehend dem westlichen<br />
Demokratieverständnis entsprach.<br />
In den damaligen Verhandlungen zwischen den Großmächten<br />
um eine Beendigung des kalten Krieges stellte das sog. <strong>Namibia</strong>-Abkommen<br />
(ganz ohne namibische Beteiligung) zwischen Südafrika,<br />
Angola und Kuba 1988 ein wichtiges Etappenziel dar, das den politischen<br />
Akteuren in <strong>Namibia</strong> den Weg in die Unabhängigkeit gleichsam<br />
auf dem Silbertablett servierte. Auch wenn die Swapo einem<br />
Übergang unter 435-Bedingungen, verbunden mit Demokratieklauseln,<br />
zunächst noch misstraute, konnte und wollte die Parteiführung<br />
die Chance einer Rückkehr nach langen <strong>Jahre</strong>n im Exil nicht verstreichen<br />
lassen. Der Wunsch nach baldiger Unabhängigkeit und Selbst-<br />
bestimmung ließ sie alle Bedenken beiseite schieben und führte zu<br />
einem vorher kaum für möglich gehaltenen demokratischen Kompromiss.<br />
Die zuvor politisch tief zerstrittenen Kontrahenten einigten<br />
sich nach der Unabhängigkeitswahl überraschend schnell auf ein<br />
Grundgesetz, das nach dem Urteil westlicher Experten zu den liberalsten<br />
gehörte, die bis dato in Afrika parlamentarisch verabschiedet<br />
wurden.<br />
Grundsätzlich demokratisch...<br />
Die einstimmige Festlegung auf ein westlich demokratisches<br />
Verfassungsmodell und die problemlose Etablierung in den Sesseln<br />
der Macht wurde schon 1990 von Beobachtern mit Verwunderung<br />
wahrgenommen. War der Demokratiekonsens nur ein erzwungenes<br />
Zugeständnis, das den Schlüssel zur Unabhängigkeit darstellte? Im<br />
Rückblick ist festzustellen, dass der junge Staat einen guten Start<br />
hatte. Unter der von Präsident Nujoma ausgerufenen Politik der<br />
„Nationalen Versöhnung“, die ein friedliches Nebeneinander von<br />
Schwarz und Weiß propagierte, wurden die Verfassung umgesetzt<br />
und die Organe der Gewaltenteilung fest etabliert. Bis heute finden<br />
regelmäßige Wahlen statt und die Bürgerrechte werden ebenso<br />
grundsätzlich geachtet wie die demokratischen Spielregeln prinzipiell<br />
eingehalten werden. <strong>Namibia</strong>s demokratische Entwicklung gilt<br />
weiterhin als vorbildhaft. Bei internationalen Demokratie-Rankings,<br />
z.B. durch Freedom House, nimmt <strong>Namibia</strong> einen Spitzenplatz in<br />
Afrika ein.<br />
28 afrika süd 2|2015
Eine Analyse der Verfassungswirklichkeit<br />
kann jedoch nicht darüber hinwegsehen,<br />
dass die namibische Demokratie mehr und<br />
mehr autoritäre Züge annimmt. Seit <strong>Jahre</strong>n<br />
hat sich ein zunehmend autoritärer Regierungsstil<br />
eingebürgert, der die demokratischen<br />
Regeln und Institutionen missachtet<br />
oder übergeht, ohne diese existenziell infrage<br />
zu stellen. Das Regierungshandeln wird<br />
immer intransparenter oder intoleranter. So<br />
wird die Opposition, die allerdings nie in der<br />
Lage war, eine geschlossene Gegenmacht<br />
aufzubauen, im Parlament kaum gehört und<br />
übergangen. Bei wichtigen Debatten oder<br />
Abstimmungen erhält sie die notwendigen<br />
Informationen nur unvollständig oder so<br />
spät, dass eine öffentlichkeitswirksame Parlamentsarbeit<br />
kaum möglich ist. Bei öffentlichen<br />
Debatten, die durch die Presse oder<br />
von zivilgesellschaftlichen Gruppen initiiert<br />
werden und Regierungspolitik kritisieren,<br />
erscheinen Regierungsvertreter entweder<br />
gar nicht – eine besondere Form der Arroganz<br />
der Macht – oder sie melden sich später<br />
mit aggressiven Gegendarstellungen und<br />
Rechtfertigungen. Einzelpersonen werden<br />
zwar nicht direkt mit Freiheitsentzug verfolgt,<br />
wohl aber durch Drohungen, die ihren<br />
beruflichen Aufstieg oder ihre gesellschaftliche<br />
Akzeptanz betreffen, zum Schweigen<br />
gebracht.<br />
...doch Staat als Eigentum betrachtet<br />
Anstelle der ehemals weißen Machthaber<br />
im Apartheidstaat regiert jetzt eine<br />
schwarze Elite, die sich, gestützt auf den historischen<br />
Kompromiss aus der Gründerzeit<br />
mit wohlwollender Unterstützung des weißen<br />
Investitionskapitals und internationaler<br />
Förderung, zu einer neuen Staatsbourgeoisie<br />
entwickelt hat. Die Liste der Regelverletzungen<br />
ist lang: Sie reicht von einem unverhältnismäßig<br />
luxuriösem Lebensstil der<br />
Regierungsmitglieder über nepotistische<br />
Ämtervergabe und parteipolitische Manipulationen<br />
bis hin zu korrupter Amtsführung<br />
und skrupelloser Selbstbereicherung aus öffentlichen<br />
Ressourcen. Pointiert ausgedrückt<br />
betrachtet die Regierungspartei den Staat<br />
als ihr Eigentum, das nicht ordnungsgemäß<br />
verwaltet werden muss, sondern an dem<br />
man sich bedienen und bereichern kann. Indikatoren<br />
sind die ständige Aufblähung des<br />
Staatsapparates, insbesondere der Kosten<br />
der Regierungsführung, aber auch repräsentative<br />
Regierungsbauten, wiederholte Käufe<br />
von prestigeträchtigen Präsidentenjets oder<br />
eines aufwendigen Regierungsfuhrparks.<br />
Zugleich – und hier liegt das Skandalöse<br />
– werden zentrale Defizite des Regierungshandelns<br />
sichtbar: Das Land, reich an Bodenschätzen<br />
und Entwicklungsmöglichkeiten,<br />
weist nach wie vor enorme soziale Gegensätze<br />
auf, die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei<br />
etwa 50 Prozent, die öffentlichen Dienstleistungen<br />
im Bildungs- und Gesundheitssektor<br />
lassen zu wünschen übrig. Maßnahmen<br />
zur sozio-ökonomischen Umverteilung werden<br />
nur sehr zögerlich angegangen, wie die<br />
Diskussionen zu BIG (Basic Income Grant),<br />
zum bedingungslosen Grundeinkommen,<br />
oder zur Landreform zeigen. Größere Anstrengungen<br />
zur Infrastrukturpolitik und<br />
zum Rohstoff abbau werden unternommen,<br />
die jedoch nur begrenzt einkommensschaffend<br />
und beschäftigungswirksam sind.<br />
Zwar nehmen die demokratischen Verfassungsorgane<br />
in <strong>Namibia</strong> ihre Kontrollaufgaben<br />
trotz der genannten autoritären<br />
Tendenzen durchaus wahr. Es mangelt nicht<br />
an öffentlicher Kritik, Untersuchungsausschüssen<br />
oder Kontrollorganen wie z.B. einer<br />
besonderen Stabsstelle zur Korruptionsbekämpfung,<br />
die von der Regierung selbst<br />
geschaffen wurde. Doch das wichtigste Organ<br />
demokratischer Mitbestimmung und<br />
Kontrolle, die regelmäßige Wahl der Volksvertreter,<br />
wodurch Regierungsmacht nur<br />
auf begrenzte Zeit legitimiert wird, zeigt<br />
aufgrund besonderer sozio-ökonomischer<br />
Bedingungen in <strong>Namibia</strong> wenig Wirkung.<br />
Die Swapo konnte ihre Führungsrolle als<br />
Regierungspartei in den letzten <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong>n in<br />
regelmäßigen Wahlen nicht nur behaupten,<br />
sondern sogar ausbauen – von einer absoluten<br />
Mehrheit 1989 mit 57 Prozent zu einer<br />
Dreiviertelmehrheit, die 2014 sogar bei 80<br />
Prozent lag. Selbst wenn diese Wahlen über<br />
die Zeit hinweg nicht in jeder Hinsicht „frei<br />
und fair“ waren, an der demokratischen Legitimität<br />
so großer Mehrheiten kann kein<br />
Zweifel bestehen.<br />
Zwei Konfliktlinien<br />
Die „eingebauten Mehrheiten“ erklären<br />
sich aus den besonderen sozio-politischen<br />
Gegebenheiten und dem Dekolonisierungsverlauf<br />
des Landes. Zwei Konfliktlinien<br />
beeinflussen bis heute die politische Entwicklung.<br />
Die eine betrifft die ethnische<br />
und damit sozio-politische Differenzierung<br />
der Bevölkerung. Grob skizziert ist <strong>Namibia</strong><br />
als zweigeteiltes Land in die Unabhängigkeit<br />
gestartet. Im dicht besiedelten Norden<br />
des Landes machen die Oshiwambo-sprechenden<br />
Volksgruppen mehr als die Hälfte<br />
der Gesamtbevölkerung aus. Sie waren von<br />
der Landnahme der deutschen und später<br />
südafrikanischen Siedler nur indirekt (als<br />
Wanderarbeiter) betroffen, haben jedoch die<br />
Hauptlast des Befreiungskampfes getragen.<br />
Im weniger besiedelten Süden war eine Vielzahl<br />
von unterschiedlichen Sprachgruppen<br />
direkt in die südafrikanischen Apartheidstrukturen<br />
eingebunden und durchlief eine<br />
andere politische Sozialisation. Die soziopolitische<br />
Entwicklung seit der Unabhängigkeit<br />
wurde massiv von der Mehrheitsethnie<br />
aus dem Norden bestimmt, was zugleich<br />
erhebliche Migrationen in die Wachstumszentren<br />
des Südens zur Folge hatte. Die<br />
meisten Positionen im öffentlichen Leben<br />
sind von Ovambo besetzt, was zu Konflikten,<br />
nicht aber zu gewaltsamen Auseinandersetzungen<br />
mit anderen Ethnien führte. Abgesehen<br />
von einem sofort niedergeschlagenen<br />
Sezessionsversuch in der damaligen Caprivi-<br />
Region (1998) kann das Land auf eine friedliche<br />
Entwicklung zurückblicken.<br />
Die andere Konfliktlinie betrifft, parallel<br />
dazu, die politische Kultur. Schon während<br />
der Kolonialzeit hatten sich zwei Kulturen<br />
herausgebildet: zum einen ein eher monolithisches,<br />
ethno-politisches Blockdenken,<br />
zum anderen ein trotz oder gerade wegen<br />
der umstrittenen Apartheidideologie in politisch<br />
und ethnischer Hinsicht eher plurales<br />
Bewusstsein, in dem Konkurrenz und Widerspruch<br />
als politische Verhaltenskategorien<br />
alltäglich waren.<br />
2|2015 afrika süd 29
Der Autor ist em.<br />
Professor für Politikwissenschaften<br />
und war<br />
langjähriger Direktor des<br />
Arnold-Bergstraesser-<br />
Instituts für kulturwissenschaftliche<br />
Forschung in<br />
Freiburg.<br />
Die politische Kultur der Swapo ist durch den langen<br />
Befreiungskampf als politische und militärische Organisation<br />
extrem autoritär geprägt und wurde durch<br />
die enge Bindung an die früheren Ostblockstaaten<br />
zusätzlich in ihrer zentralistischen Orientierung gestärkt.<br />
Diese Kultur blieb nach der Rückkehr aus dem<br />
Exil und der Übernahme der Regierungsgewalt bis<br />
heute für den Regierungsstil bestimmend, sodass die<br />
Swapo-Regierung treffend als „Befreiungsbewegung<br />
an der Macht“ (Koessler, Melber) charakterisiert wird.<br />
Beleg für die hohe Loyalität der Ovambo ist die Tatsache,<br />
dass bei sämtlichen Wahlen im dicht besiedelten<br />
Norden mehr als 90 Prozent der Wähler für die Swapo<br />
stimmen und damit die notwendigen Mehrheiten<br />
sicherstellen. Oppositionsparteien können hier nicht<br />
Fuß fassen.<br />
In der Tendenz ähnlich, aber differenzierter erklärt<br />
sich das Wahlverhalten aus empirischen Umfragen,<br />
die sowohl vom Autor selbst zwischen 1990 und 2005<br />
gemacht wurden und die seit 2000 auch vom Afrobarometer<br />
durchgeführt werden. Die Ergebnisse zeigen,<br />
dass das Vertrauen in die politische Führung über die<br />
<strong>Jahre</strong> hinweg mit durchschnittlich 70 Prozent immer<br />
sehr hoch lag – bei den Ovambo sogar noch deutlich<br />
darüber. Dieser hohe Vertrauensvorschuss in die<br />
Führung konnte von der Opposition nie untergraben<br />
werden – lediglich bei prominenten Herausforderern,<br />
die aus der Swapo selbst kamen und den ethnischen<br />
Block von innen aufbrechen wollten.<br />
Eine sehr relevante Veränderung bei den Wählermeinungen<br />
seit der Unabhängigkeit ergibt sich<br />
jedoch bei den Einstellungen zur Demokratie. Zum<br />
Zeitpunkt der Unabhängigkeit sprachen sich 64 Prozent<br />
der schwarzen Namibier und sogar 83 Prozent der<br />
Ovambo für die Errichtung eines Einparteiensystems<br />
aus, wie es damals noch in vielen anderen afrikanischen<br />
Staaten bestand. Ein Jahrzehnt später wurde<br />
die Demokratie als politisches Ordnungssystem<br />
bereits mehrheitlich akzeptiert, doch die Sympathie<br />
für autoritäre Strukturen war noch hoch, sodass das<br />
namibische Regierungssystem damals als „Demokratie<br />
ohne Demokraten“ (Afrobarometer 2003) bezeichnet<br />
werden konnte. In den jüngsten Umfragen<br />
sprechen sich nun drei Viertel der Wähler für eine<br />
demokratische Staatsform aus, allerdings auch wieder<br />
mit regionalen Unterschieden. Immerhin zeigt sich,<br />
dass strukturelle und Verhaltensänderungen über die<br />
Zeit hinweg eine Eigendynamik entwickelt und eine<br />
starke Wirkung auf die politische Meinungsbildung<br />
ausgeübt haben: „institutions matter“. Im heutigen<br />
<strong>Namibia</strong> sind demokratische Einstellungen fest verankert.<br />
Geschicktes Ausbalancieren gefragt<br />
Was bedeuten diese Feststellungen für die weitere<br />
politische Entwicklung? Lässt sich das Nebeneinander<br />
einer liberalen Verfassung, deren zentrale<br />
Organe funktionieren und deren Regeln weitgehend<br />
eingehalten werden, mit der autoritären Kultur eines<br />
klientelistischen Herrschaftssystems an der Spitze<br />
des Staates auf die Dauer im Sinne einer autoritären<br />
Demokratie vereinbaren? Sicherlich, solange die Swapo,<br />
die dank ihrer starken Position als Regierungspartei<br />
längst zu einer nationalen Partei geworden ist,<br />
weiterhin sichere Mehrheiten beschafft. Die eingebaute<br />
Mehrheit könnte jedoch in zweierlei Hinsicht<br />
gefährdet werden: Zum einen durch zunehmende<br />
Unzufriedenheit und Proteste unterprivilegierter Bevölkerungskreise,<br />
insbesondere getragen durch die<br />
Gewerkschaften und andere parteinahe Verbände,<br />
wie die Swapo Youth League, die dringend auf eine<br />
Veränderung der bestehenden Macht- und Einkommensverhältnisse<br />
pochen. Zum anderen durch Konflikte<br />
im Inneren der Machtelite, bei denen einzelne<br />
Fraktionen um Macht und Einfluss beim Zugang und<br />
bei der Verteilung der Pfründe konkurrieren und damit<br />
die Geschlossenheit der sie tragenden Gefolgschaft<br />
aufgebrochen würde. Der erfolgreiche Bestand<br />
des herrschenden ambivalenten Systems wird wesentlich<br />
von einer geschickten Regierungsführung<br />
abhängen, die eine Balance zwischen demokratischer<br />
Partizipation und autoritärem Zugriff herstellt. Das<br />
klientelistisch organisierte System darf sich nicht exzessiv,<br />
sondern nur dosiert an den öffentlichen Gütern<br />
bereichern, um zumindest den Anschein einer erfolgreichen<br />
Regierungspolitik zu wahren. Dies ist gegeben,<br />
solange die Mehrheit der Bevölkerung glaubt,<br />
ökonomisch und politisch gut vertreten zu sein, und<br />
durch Regierungsversprechungen und entsprechende<br />
Programme die Hoffnung auf eine Verbesserung der<br />
Lebensumstände nicht aufgibt. Dazu gehört auch,<br />
dass eine politisch interessierte Minderheit sich über<br />
zivilgesellschaftliche Kanäle und über die Medien kritisch<br />
äußern kann und die bürgerlichen Grundrechte<br />
gewahrt bleiben. Mit der Wahl des neuen Präsidenten,<br />
dem als erfahrenem Politiker der ersten Stunde mit<br />
86 Prozent ein ungeheurer Vertrauensvorschuss entgegengebracht<br />
worden ist, scheint eine Person an die<br />
Spitze der Exekutive gewählt worden zu sein, dem<br />
der Spagat des Machterhalts zwischen autoritärem<br />
Zugriff und demokratischer Partizipation gelingen<br />
könnte. Dafür spricht auch die Zusammensetzung des<br />
neuen Kabinetts, das ganz auf Ausgleich und Offenheit<br />
angelegt ist. Alles sieht so aus, als würde er versuchen,<br />
mit diesem Balanceakt das System der autoritären<br />
Demokratie noch zu festigen.<br />
>> Heribert Weiland<br />
30 afrika süd 2|2015
Foto: Liz Frank<br />
Junge Frauen und alte Rituale<br />
DAS OLUFUKO-RITUAL IM NORDEN NAMIBIAS ist wiederbelebt worden. Doch es ist kaum geeignet, junge Frauen<br />
auf ein selbstbestimmtes Leben vorzubereiten.<br />
Viele junge Frauen in <strong>Namibia</strong> wachsen<br />
auf im Spannungsfeld „traditionell afrikanischer“<br />
und „westlich moderner“ Kultur,<br />
christlicher Religion und dem gesetzlich<br />
verankerten Recht auf Menschenwürde,<br />
körperliche Unversehrtheit und ein selbstbestimmtes<br />
Leben. Dieses Spannungsfeld<br />
wird am Beispiel der Wiederbelebung des<br />
Olufuku-Rituals im Norden des Landes verdeutlicht,<br />
dem Heimatgebiet der Ovambo-<br />
Bevölkerungsgruppen.<br />
„Olufuko“ bedeutet „Gruppenhochzeit”<br />
auf Oshiwambo, und diente in der Vergangenheit<br />
zur Vorbereitung von Mädchen und<br />
jungen Frauen auf Ehe und Mutterschaft. Sie<br />
mussten zeigen, dass sie die notwendigen<br />
Hausarbeitstechniken beherrschten, und<br />
wurden dabei unterwiesen, ihre zukünftigen<br />
Ehegatten und Schwiegereltern zu „respektieren“,<br />
was bedeutete, sich deren Wünschen<br />
und Anweisungen zu unterwerfen.<br />
Wichtig war dabei die Keuschheit der Teilnehmerinnen.<br />
Durch stundenlanges Tanzen<br />
in der heißen Sonne mussten sie beweisen,<br />
dass sie nicht schwanger waren – und wer<br />
nicht durchhielt, wurde in Schande von dem<br />
Ritual ausgeschlossen. Für die anderen war<br />
es jedoch nach der bestandenen Prüfung keine<br />
Schande mehr, unverheiratet schwanger<br />
zu werden, und sie wurden zum Abschluss<br />
der „Gruppenhochzeit“ den Männern der<br />
Gemeinschaft präsentiert, die sich unter der<br />
tanzenden Gruppe eine „Braut“ aussuchen<br />
konnten.<br />
Missionare bekämpften dieses Ritual, und<br />
Mädchen, die daran teilgenommen hatten,<br />
durften nicht in die Kirche aufgenommen<br />
werden. Bis zum Jahr 2012 schien dieses traditionelle<br />
Ritual ganz verschwunden zu sein,<br />
als es plötzlich von führenden Politikern, allen<br />
voran vom ehemaligen ersten Staatspräsidenten<br />
Sam Nujoma, wiederbelebt wurde,<br />
und zwar als Zugpferd für ein Kulturfestival<br />
in Outapi in der Omusati-Region unter dem<br />
Motto: Unsere Kultur, unser Erbe, unser Stolz.<br />
Christliche Moral und kulturelle Werte<br />
Dieses Ereignis wurde im Vorfeld heiß diskutiert.<br />
Die Evangelisch-Lutherische Kirche<br />
in <strong>Namibia</strong> (ELCIN) verkündete in einem<br />
Hirtenbrief, dass die Wiederbelebung von<br />
Olufuko gegen die Lehre und Prinzipien der<br />
Bibel verstoße sowie gegen die gesellschaftlich<br />
verankerte christliche Moral. Weiterhin<br />
wurde davor gewarnt, dass dieses Ritual die<br />
Jugend zur Promiskuität ermuntere und dadurch<br />
zur Verbreitung von HIV und Aids und<br />
anderen Geschlechtskrankheiten beitragen<br />
würde.<br />
Zur Verteidigung von Olufuko meldeten<br />
sich vor allem männliche Politiker, die sich<br />
auf das Recht auf Kulturfreiheit beriefen und<br />
behaupteten, das Recht auf Religionsfreiheit<br />
stehe nicht darüber. Außerdem beschrieben<br />
sie das Ritual gerade als ein Mittel zur<br />
Bekämpfung von HIV und Aids, da junge<br />
Frauen bis zu ihrer Teilnahme an einer Oluko-„Gruppenhochzeit“<br />
darauf achten würden,<br />
Jungfrau zu bleiben.<br />
Frauenstimmen waren kaum zu hören.<br />
Nur eine der vielen Nichtregierungsorganisationen,<br />
Namrights, meldete sich zu Wort:<br />
Sie unterstrich das Recht der Teilnehmerinnen<br />
auf ihre Menschenwürde, behauptete,<br />
dass nur arme Mädchen, die nicht genügend<br />
über ihre Rechte als Frauen informiert sind,<br />
daran teilnehmen würden, und rief dazu<br />
auf, die Wiederbelebung dieses Rituals zu<br />
verhindern. Daraufhin teilte das Olufuko-<br />
Kommittee mit, es handele sich nur um eine<br />
„Inszenierung”, nicht um das vollständige<br />
Ritual. Diese „Inszenierung“ fand dann in<br />
der letzten Augustwoche 2012 statt und<br />
wurde in den vergangenen zwei <strong>Jahre</strong>n wiederholt.<br />
Parade vor männlichem Publikum<br />
Eine Diaschau auf der Homepage des National<br />
Heritage Council zeigt die Ehrengäste,<br />
die zu diesem Ritual eingeladen wurden.<br />
Bequem unter einem schattigen Zeltdach<br />
sitzen sie, vorwiegend Männer, in modernen<br />
Anzügen, während die Mädchen und<br />
2|2015 afrika süd 31
Die Autorin ist seit <strong>25</strong><br />
<strong>Jahre</strong>n in der namibischen<br />
Frauenbewegung aktiv.<br />
Zur Zeit ist sie Programm-<br />
Managerin für das<br />
Women‘s Leadership<br />
Centre, einer feministischen<br />
NRO.<br />
Ihr Beitrag erschien<br />
zuerst in: Perspektiven<br />
2014 – Das junge <strong>Namibia</strong><br />
– Träume und Realität. Informationsausschuss<br />
der<br />
Evangelisch-Lutherischen<br />
Kirche in <strong>Namibia</strong> (DELK)<br />
jungen Frauen in traditionell spärlicher Kleidung an<br />
ihnen vorbeiziehen. Der Spaß der Zuschauer an dieser<br />
Parade ist an ihren Gesichtern abzulesen. Die jüngste<br />
Teilnehmerin ist 12 <strong>Jahre</strong> alt. Ihr Gesicht verschwindet<br />
unter ihrer Kopfbedeckung, ihr Oberkörper dagegen<br />
ist frei.<br />
Wer hat es entschieden, dieses junge Mädchen auf<br />
derartige Weise diesen Männern aus allen Ecken <strong>Namibia</strong>s<br />
vorzuführen? Wer hat sie über ihre sexuellen<br />
Rechte, über HIV-Prävention und Schwangerschaftsverhütung<br />
aufgeklärt? Wurde sie nach dieser bestandenen<br />
Zeremonie „verführt“, sprich vergewaltigt? Ist<br />
sie inzwischen schwanger, oder hat sie gar ihr erstes<br />
ungewünschtes Kind zur Welt gebracht – es etwa ausgesetzt?<br />
Würden die Männer ihre eigenen Töchter zu<br />
dieser „Inszenierung“ schicken? Würde jemand unter<br />
der restriktiven Neuregelung von Forschungsvorhaben<br />
in <strong>Namibia</strong> überhaupt eine Genehmigung bekommen,<br />
diesen Fragen offiziell nachzugehen?<br />
In der Werbung für das Olufuko-Kulturfest 2013<br />
wurde deutlich, dass es sich vor allem um eine Kommerzialisierung<br />
dieses Rituals handelt, denn es dient<br />
als Rahmenprogramm für eine in Outapi neu eingerichtete<br />
Wirtschaftsmesse. Diese wird parallel zur<br />
jährlichen Handelsmesse in Ongwediva in der letzten<br />
Augustwoche durchgeführt – und um Besucher<br />
und Investoren auch nach Outapi zu locken, brauchte<br />
man(n) etwas Besonderes.<br />
Doch welches Signal gibt die „Wiederbelebung“ von<br />
Olufuko im Interesse der Politik und der Wirtschaft?<br />
Es zeigt sehr deutlich, dass diese demütigende Vorbereitung<br />
junger Frauen auf ihre unterwürfige Rolle als<br />
Sexualpartnerin, Ehefrau und Schwiegertochter nun<br />
auch offiziell zum „kulturellen Erbe“ unseres Landes<br />
deklariert wurde.<br />
Dabei wird vergessen, dass <strong>Namibia</strong> auf der vierten<br />
Weltfrauenkonferenz in Beijing im Jahr 1995 eine Vorreiterrolle<br />
spielte in der Frage: Welchen Schutz und<br />
welche Unterstützung brauchen Mädchen und junge<br />
Frauen, um ihre Rechte auf Bildung, Beruf und ein<br />
selbstbestimmtes Leben wahrnehmen zu können?<br />
Das Kapitel zu Mädchen in der Aktionsplattform entstammt<br />
namibischer Federführung und spiegelt sich<br />
wider in der aktuellen National Gender Policy, wo es<br />
unter anderem um den Schutz von Mädchen gegen<br />
schädliche Rituale geht.<br />
Warum wird geschwiegen?<br />
Weshalb schweigen also das Frauenministerium<br />
und Frauen im Parlament zum Thema Olufuko?<br />
Könnte der Grund sein, dass es noch viele rituelle<br />
Handlungen in verschiedenen ethnischen Gruppen<br />
im Land gibt, die im Namen von Kultur und Tradition<br />
Mädchen und junge Frauen auf ähnliche oder schlimmere<br />
Weise demütigen und zur Unterwürfigkeit erziehen,<br />
die aber von der Politik bisher weitgehend<br />
ignoriert werden, um die politische Unterstützung der<br />
(fast nur) männlichen Stammesführer beizubehalten?<br />
Zum Beispiel hat die Frauenorganisation Women’s<br />
Leadership Centre in Zusammenarbeit mit Frauen<br />
der verschiedenen ethnischen Gruppen der Zambezi-<br />
(ehemals Caprivi)-Region viele solche menschenunwürdige<br />
Praktiken ans Licht gebracht. Nachdem<br />
sie erkannt hatten, dass diese Rituale gegen die Menschenrechte<br />
und Menschenwürde von Mädchen und<br />
Frauen verstoßen, brachen Frauen ihr gesellschaftlich<br />
verordnetes Schweigen zu diesem Thema.<br />
Was also kann junge Frauen wirklich für ein selbstbestimmtes<br />
Leben stark machen? Auf keinen Fall die<br />
Fortsetzung oder Wiederbelebung einer Erziehung zur<br />
geistigen, körperlichen und sexuellen Unterwürfigkeit.<br />
Stattdessen brauchen sie Aufklärung und Information<br />
über die in unserer Verfassung verankerten<br />
Menschenrechte, über die Gesetzgebung zur Verhinderung<br />
von Vergewaltigung und häuslicher Gewalt<br />
sowie über alle weiteren Gesetze, die das Recht junger<br />
Frauen auf Menschenwürde und volle Gleichberechtigung<br />
verankern.<br />
<strong>Namibia</strong> kann stolz sein auf den modernen gesetzlichen<br />
Rahmen zur Gleichstellung der Geschlechter,<br />
der von unserem Parlament geschaffen wurde. Doch<br />
es besteht dringender Handlungsbedarf, damit alle<br />
junge Frauen in diesem Land ihre demokratischen<br />
Rechte auch leben und genießen können. Dazu bedarf<br />
es eine Stärkung von Frauenorganisationen, die mit<br />
jungen Frauen in verschiedenen Regionen zusammenarbeiten<br />
und sie dabei unterstützen, ihre Rechte<br />
zu erkennen und ihre Stimmen in gesellschaftliche<br />
Prozesse einzubringen.<br />
>> Liz Frank<br />
32 afrika süd 2|2015
Viele Geschichten<br />
DAS LITERATURSCHAFFEN NAMIBIAS ist von seiner wechselvollen Geschichte geprägt. Die Erzählungen, Autobiographien<br />
und Geschichten tragen alle einen Kern dessen, was <strong>Namibia</strong> ausmacht und wo es herkommt.<br />
<strong>Namibia</strong>s Literaturgeschichte spiegelt<br />
wider, wie problematisch die ideologische<br />
Emanzipation dieses Landes ist. Bis 1915<br />
war es deutsche Kolonie, anschließend bis<br />
1920 südafrikanisches Protektorat und bis<br />
1990 formal Mandatsgebiet, real aber annektiertes<br />
Terrain der Republik Südafrika.<br />
Das literarische Erbe <strong>Namibia</strong>s besteht aus<br />
deutscher Kolonialliteratur und deutschsprachiger<br />
namibischer Gegenwartsliteratur.<br />
Hinzu kommen sowohl englisch- als<br />
auch afrikaanssprachige südafrikanische<br />
Belletristik und Lyrik mit den jeweiligen britischen<br />
beziehungsweise niederländischen<br />
Kontexten. Hervorzuheben sind auch die Erzähltraditionen<br />
in afrikanischen Sprachen,<br />
beispielsweise der Khoi-Völker Nama und<br />
Damara, der San oder der zur Bantusprachgruppe<br />
gehörenden Ovambo und Herero.<br />
Die Entwicklung einer namibischen Literatur<br />
trug aber lange Zeit das Merkmal<br />
des Sprechens über <strong>Namibia</strong> in sich – und<br />
zwar aus verschiedener Provenienz. 1981<br />
gab der Niederländer Jan Knappert einen<br />
Sammelband namibischer Legenden und<br />
Fabeln heraus. Obwohl er damit verdienstvoll<br />
orales Erbe in afrikanischen Sprachen<br />
dokumentierte, haftet dem Buch noch ein<br />
eurozentrisch stereotypisierender Blick an.<br />
1986 veröffentlichte der britische Reverend<br />
Michael Scott die mündlich überlieferte Geschichte<br />
des Herero-Volks; die auf Tonaufnahmen<br />
basierenden Interviews hatte Theo<br />
Sunderheimer geführt, ihre Niederschrift<br />
war bereits 1976 erschienen. Aus deutscher<br />
Sicht folgten zahlreiche Publikationen, etwa<br />
von Ernst Dammann „Was die Herero erzählten<br />
und sangen“ (1987) und vor allem<br />
von Sigrid Schmidt „Märchen aus <strong>Namibia</strong>,<br />
Volkserzählungen der Nama und Dama“<br />
(1980) und „Katalog der Khoisan Volkserzählungen<br />
des südlichen Afrika“ (1989). Erst in<br />
jüngster Zeit wird zum Beispiel die Lyrik der<br />
San auch in Südafrika geschätzt, wie „The<br />
first bushman’s path“ von Alan James (2001).<br />
So speist sich die gegenwärtige Literaturszene<br />
<strong>Namibia</strong>s teils aus den literarischen<br />
Entwicklungen in Südafrika oder Deutschland,<br />
wobei diese Auseinandersetzung nur<br />
einseitig erfolgt und mithin eine Einbahnstraße<br />
darstellt. Die einzigen international<br />
rezipierten Autoren <strong>Namibia</strong>s sind bisher<br />
der deutschsprachige Romancier Giselher W.<br />
Hoffmann mit Zugang zum deutschen Verlagswesen,<br />
zuletzt erschien sein „Diamantenfieber“<br />
(2006), sowie Neshani Andreas<br />
mit ihrem 2001 in Großbritannien veröffentlichten<br />
Debütroman „The Purple Violet of<br />
Oshaantu“.<br />
Traditionsbruch?<br />
In diesem Zusammenhang bleibt zu diskutieren,<br />
ob gegenwärtige deutsche oder südafrikanische<br />
Romane zu oder über <strong>Namibia</strong><br />
noch in der Tradition einer fortwirkenden<br />
Kolonialliteratur stehen, als deren Teil die<br />
Autoren ihre Werke freilich nicht sehen.<br />
Dies gilt nicht nur für Uwe Timms „Morenga“<br />
(1978) oder Gerhard Seyfrieds „Herero“<br />
(2003), sondern etwa auch für André Brinks<br />
Roman „The Other Side of Silence“ (2002),<br />
der 2008 mit dem Titel „Die andere Seite<br />
der Stille“ auf Deutsch erschien. Auch der in<br />
Walvis Bay angesiedelten Krimi „Blood Rose“<br />
(2007) der Südafrikanerin Margie Orford ist<br />
hier zu nennen.<br />
Immerhin führte innerhalb der Literaturen<br />
der Republik Südafrika die <strong>Namibia</strong>-<br />
Belletristik zur Herausbildung eines eigenen<br />
Genres, der so genannten ‚afrikaansen<br />
grensliteratuur’. Dafür steht das breit rezipierte<br />
und früh ins Deutsche übersetzte literarische<br />
Werk von Wilbur Smith und vor<br />
allem von Laurens van der Post, beispielhaft<br />
ist „Die verlorene Welt der Kalahari“ (1959).<br />
Auch der südafrikanische Literaturnobelpreisträger<br />
J.M. Coetzee schickt seinen<br />
fiktiven Vorfahr Jacobus Coetzee in „Dusklands“<br />
(1974) auf Exkursion nach <strong>Namibia</strong>.<br />
Als einziger seiner Romane ist dieses Debütwerk<br />
noch nicht ins Deutsche übersetzt.<br />
Autobiographien von Unabhängigkeitskämpfern<br />
Als Quellen namibischer Wortergreifung<br />
finden sich insbesondere in den 1980er <strong>Jahre</strong>n<br />
während des Befreiungskampfs journalistische,<br />
autobiografische und lyrische<br />
Texte. Letztere übernehmen weitgehend die<br />
Funktionen der Agitprop-Poesie und sind<br />
angesichts der politischen Lage nicht selten<br />
Zeugnisse einer Exilliteratur, wie die Lyriksammlungen<br />
„It is no more a cry“ (1982) oder<br />
„Through the flames“ (1984). Bereits 1929<br />
erschienen die Aufzeichnungen des Herero-<br />
Führers Hendrik Witbooi aus den <strong>Jahre</strong>n<br />
1884 bis 1893. Später waren es die Autobiografien<br />
von Swapo-Kämpfern, die damit ihr<br />
Leben und ihr politisches Engagement dokumentierten.<br />
Damit hinterließen sie auch<br />
einmalige Zeitdokumente, weil es in Nami-<br />
2|2015 afrika süd 33
Der Autor ist Literaturwissenschaftler,<br />
Autor und<br />
Herausgeber der Afrika-<br />
Reihe beim Horlemann<br />
Verlag.<br />
bia nie ein öffentliches Forum wie die Wahrheits- und<br />
Versöhnungskommission in Südafrika gab. Zu erwähnen<br />
sind diesbezüglich die Autobiografien etwa von<br />
John Ya-Otto „Battlefront <strong>Namibia</strong>“ (1982), Andreas<br />
Shipanga „In search of freedom“ (1989) oder Helao<br />
Shityuwete „Never follow the wolf“ (1990) und die von<br />
Pastor Siegfried Groth zusammengetragenen Swapokritischen<br />
Stimmen „Namibische Passion“ (1995).<br />
Auch der früh ins Deutsche übersetzte Bericht des<br />
Swapo-Mitglieds Vinnia Ndadi „Kontraktarbeiter<br />
Klasse B“ (Zürich 1978) zählt zu dieser autobiografischen<br />
Literatur. In derselben Linie stehen die autobiografischen<br />
Berichte der <strong>Namibia</strong>-Kinder in der<br />
DDR wie etwa von Lucia Engombe „Kind Nr. 95. Meine<br />
deutsch-afrikanische Odyssee“ (2004) oder Stefanie-<br />
Layha Aukongo „Kalungas Kind. Wie die DDR mein<br />
Leben rettete“ (2009).<br />
Romane<br />
Als erster namibischer Roman gilt das 1988 erschienene<br />
Buch „Born of the Sun“ von Joseph Diescho. Er<br />
liefert darin den Lebensbericht seiner männlichen<br />
Hauptfigur, der beispielhaft steht für die realen Biografien<br />
jener Zeit und damit weniger ein fiktionaler<br />
als vielmehr ein fiktionalisierender Roman ist. Tatsächlich<br />
finden sich hier zahlreiche Elemente aus der<br />
Autobiografie von John Ya-Otto (1982). Das Ehepaar<br />
Muronga und Makena wird wegen der neu erhobenen<br />
Kopfsteuer aus seinem idyllischen ländlichen Umfeld<br />
gerissen, Muronga zur Arbeit in den südafrikanischen<br />
Minen verpflichtet. Die Ehe scheitert, Muronga lernt<br />
das System der Unterdrückung kennen, politisiert<br />
sich, wird bei einer Demonstration verhaftet und<br />
muss sich zuletzt entscheiden, ob er zu seinen Eltern<br />
aufs Land zurückkehrt oder sich dem Freiheitskampf<br />
im Exil anschließt.<br />
Wie sehr und wie lange die politischen Entwicklungen<br />
in <strong>Namibia</strong> die literarischen Themen diktierten,<br />
zeigt auch Victor Kapaches Thriller „On the<br />
Run“ von 1994. In dessen Mittelpunkt stehen vier<br />
Schüler, die sich 1988 wegen ihrer Beteiligung an<br />
einem Schulboykott vor der Geheimpolizei in Sicherheit<br />
bringen müssen. Da die politische Aussage dominiert,<br />
bemängeln Kritiker am ersten namibischen<br />
Roman Dieschos und an Andreas „The Purple Violet of<br />
Oshaantu“ (2001) fehlende literarische Qualitäten. Die<br />
Dialoge seien holprig, die Dramaturgie der Handlung<br />
und die Zeichnung der Figuren hölzern. In Andreas<br />
Roman geht es um das Schicksal zweier Frauen, von<br />
denen eine geschlagen, die andere Witwe wird. Beide<br />
müssen sich gegen eine patriarchale Welt behaupten,<br />
diese Gesellschaftskritik trägt Andreas programmatisch<br />
vor.<br />
Neue Entwicklungen<br />
Bewusst programmatisch, dabei aber auch der Tradition<br />
afrikanischer Poesie verpflichtet, versteht der<br />
Poetry Performer Keamogetsi Joseph Molapong seine<br />
Gedichte. Molapong, neben Kavevangua Kahengua<br />
der derzeit wohl bekannteste Lyriker <strong>Namibia</strong>s,<br />
erlebte seine Schulzeit ebenfalls noch unter der südafrikanischen<br />
Herrschaft, zur Zeit der Proteste gegen<br />
die autoritäre Regierung und das Apartheidsystem.<br />
1992 war Molapong Mitbegründer der ersten namibischen,<br />
sozialkritischen Poetry Performer-Gruppe namens<br />
Ama Poets. Im Stil der „Poesie der Aufklärung“<br />
kritisiert Molapong den Machtmissbrauch durch die<br />
Swapo. Er kommentiert, wie mit dem Entstehen einer<br />
schwarzen Mittelschicht und Elite die bisherige, durch<br />
einen gemeinsamen Gegner definierte Solidarität bröckelt<br />
und durch eine neue soziale Schichtung ersetzt<br />
wird.<br />
Molapongs Lyrikband „Come Talk Your Heart“<br />
(2005) kam durch Vermittlung des British Council zustande,<br />
der dem Autor 2002 einen Aufenthalt an der<br />
Universität Ulster in Nordirland ermöglichte. Derlei<br />
interkulturelle Initiativen prägen weitere zeitgenössische<br />
Publikationen in <strong>Namibia</strong>. Mari Serebrov, die<br />
2013 mit „Mama <strong>Namibia</strong>“ ihren ersten Roman vorlegte,<br />
ist eine an der Universität Arkansas ausgebildete<br />
Historikerin und Journalistin. Amy Schoeman,<br />
die 2009 für das National Theatre of <strong>Namibia</strong> zwei<br />
Theaterstücke schrieb, wurde in England geboren, in<br />
Südafrika ausgebildet und lebt seit langem in <strong>Namibia</strong>.<br />
Sie arbeitet als Journalistin und für Venture Publications<br />
in Windhoek. Als NGO-Aktivistin war Sharon<br />
Kasanda in <strong>Namibia</strong> und Großbritannien tätig, ihr<br />
Krimi „Dante International“ (2012) folgt dem Strickmuster<br />
international erfolgreicher Thriller.<br />
Kinderliteratur wie „When you dance with the crocodile“<br />
(2003) veröffentlichen die beiden momentan<br />
aktivsten namibischen Verlage New <strong>Namibia</strong> Books<br />
und Wordweaver Publishing. Bedauerlicherweise hat<br />
die seit der Unabhängigkeit <strong>Namibia</strong>s 1990 gewachsene<br />
Verlagsvielfalt bisher nicht zu einer nennenswerten<br />
Steigerung der Buchproduktion insgesamt<br />
geführt. Das hängt auch mit der Sprachpolitik der<br />
namibischen Regierung zusammen, die Englisch zur<br />
führenden Amtssprache erklärte und afrikanische<br />
Sprachen als Unterrichtssprachen nur bis zur dritten<br />
Grundschulklasse zulässt. Infolgedessen werden<br />
staatliche Fördergelder vorrangig für englischsprachige<br />
Schulbücher ausgegeben und fehlen als Kapital<br />
für belletristische Programme.<br />
>> Manfred Loimeier<br />
34 afrika süd 2|2015
The Purple Violet of Oshaantu<br />
Kauna war meine Nachbarin und<br />
Freundin, seit ich vor elf <strong>Jahre</strong>n nach<br />
Oshaantu gekommen bin. Sie war<br />
eine von wenigen Menschen, die<br />
aufrichtig freundlich zu mir waren,<br />
mich willkommen hießen<br />
und mich aufnahmen. Sie war<br />
bereits seit etwa vier <strong>Jahre</strong>n verheiratet,<br />
als ich im Dorf ankam.<br />
Wir waren sofort einander<br />
zugetan. Wir wurden unzertrennlich.<br />
Mein Mann, der<br />
die Freundschaftsbande<br />
zwischen uns spürte, nannte<br />
unsere einzige Tochter<br />
nach Kauna. Das war eine<br />
Überraschung. Ich war erfreut über<br />
diese Geste. Ich fand keine Worte, ihm zu danken.<br />
Von nun an nannte ich Kauna „omumwandje“ (mein<br />
Kind), und sie sollte mich „meme“ (Mutter, auch Tante) nennen. Meine<br />
Schwiegermutter war natürlich wütend darüber, dass die erste<br />
Tochter ihres Sohnes nicht nach ihr benannt wurde. Sie sprach einige<br />
Zeit nicht mehr mit mir. Ich bekam wieder böse Worte zu hören:<br />
Ich hätte ihn unter meinen Daumen gebracht, ich hätte ihrem Sohn<br />
dies und das angetan, damit er mich mehr liebte als sie. Ich hatte auf<br />
eine weitere Tochter gehofft, nur damit mein Mann sie nach meiner<br />
Schwiegermutter hätte benennen können und ich meinen Frieden<br />
hätte. Doch wir bekamen nur sechs Jungen, und dann gaben wir es<br />
auf. Nun, das sind so Sachen, über die man keine Kontrolle hat. Es ist<br />
Gott, der uns Kinder gibt, und er entscheidet über das Geschlecht.<br />
Ich habe damals gehofft, dass Michael mich auffordern würde,<br />
ihn zu heiraten, bevor mein Bauch allzu dick geworden war. Doch<br />
er sagte. Es gäbe keine Eile, wir sollten warten, bis das Baby geboren<br />
sei, und dann würden wir heiraten. Ich dachte, das sei nur ein Vorwand,<br />
mich loszuwerden. Er wollte wohl eine andere heiraten, eine<br />
Krankenschwester oder eine Lehrerin. „Männer!“, dachte ich damals.<br />
Doch dann hat er mich nie verlassen, nicht einen Augenblick. Nach<br />
der Heirat jedoch erfuhr ich von einigen seiner Verwandten, jenen,<br />
die mich „mochten“, vom Gerede, als Michael seiner Familie mitteilte,<br />
dass er die Absicht habe, mich zu heiraten.<br />
„Warum tust du mir das an, uns und deiner Familie?“, ging ihn seine<br />
Mutter sichtlich aufgebracht an. „Warum willst du sie? Sie von all<br />
den Leuten? Sie mit Händen wie Hühnerkrallen? Die mit den schmalen<br />
Hüften und dürren Beinen, mit denen sie aussieht wie eine wilde<br />
Kuh? Warum, warum nur, mein Sohn? Es gibt doch so viele gute<br />
Mädchen hier, schickliche Mädchen, die dich glücklicher machen<br />
werden, als diese Frau das jemals kann.“ Als seiner Mutter klar wurde,<br />
dass er nicht nachgeben und mich heiraten würde, änderte sich<br />
ihre Taktik. „Warum willst du eine Oshikumbu heiraten?“<br />
„Mutter, bitte, bitte, Ali ist kein Flittchen. Sie ist die Mutter meines<br />
Sohnes, und ich lasse so nicht über sie herziehen.“<br />
„Eine Frau, die so leicht für einen Mann die Beine breit macht, ist<br />
keine Frau, sondern ein Flittchen. Abgesehen davon, weißt du überhaupt,<br />
ob es dein Sohn ist?“, schrie seine Mutter.<br />
„Es tut mir leid, dass du sie nicht magst. Ich liebe sie, und sie ist<br />
die Frau, die ich heiraten werde“, beschied er endgültig und ging. „In<br />
den guten alten Tagen hätte der Headman euch beide lebendig verbrannt“,<br />
rief seine Mutter hinter ihm her.<br />
„Ich wusste es. Ich wusste es“, wiederholte meine Schwiegermutter<br />
noch lange, nachdem ihr Sohn gegangen war. „An dem Tag, an<br />
dem ich sah, wie Alis Mutter ihre Tochter in unser Haus schleppte,<br />
um meinen Sohn mit ihrer sogenannten Schwangerschaft zu konfrontieren,<br />
wusste ich, dass sie niedriger Abstammung war. Leute<br />
ohne Klasse. Statt eine Delegation zu schicken, kam diese Frau selbst<br />
und unangemeldet.“<br />
„Und sich selbst auch noch so ärmlich vorzustellen“, ergänzte meine<br />
Schwägerin ihre Mutter. „Mein Sohn zieht Ärger an und merkt es<br />
nicht. Aber warte nur ...“<br />
Flittchen kriegen immer die guten Männer. Ich schwöre, sie hat<br />
meinem Bruder eine Menge ‚mutakati‘ (Medizin) gegeben. Er ist geradezu<br />
abnorm verliebt!“, klatschten Mutter und Schwägerin über<br />
mich. „Oh ja! Unser Onkel steht auch völlig unter dem Regiment der<br />
Röcke“, fügte eine andere Verwandte hinzu.<br />
Ich war so ärgerlich, als ich das hörte, dass ich hingehen und jeden<br />
zur Rede stellen wollte, Schwiegermutter hin und her, und diesen<br />
Fettarsch, diese träge Schwester Sana. Mein Mann lag buchstäblich<br />
vor mir auf den Knien. Er bat mich, seine Verwandten nicht darauf<br />
anzusprechen. Als ich mich beruhigt hatte, war ich froh, es nicht getan<br />
zu haben. Wie kann ich meine Schwiegermutter mit solchen Gerüchten<br />
konfrontieren? Es wäre respektlos. Doch Michael verwarnte<br />
sie alle. Auch jene, die mich „mochten“. Er sagte ihnen, sie sollten<br />
sich von mir fern halten und mir nicht weiter Gerüchte ins Ohr setzen.<br />
Sie sollten meinen Mann gesehen haben – sein Verhalten erinnert<br />
mich an die Art meines Bruders, mit der er mich auf der Schule<br />
gegen Rowdys schützte, sodass ich ihnen meine Zunge rausstrecken<br />
konnte.<br />
>> Neshani Andreas<br />
Auszug aus „The Purple Violet of Oshaantu“ von Neshani Andreas,<br />
„African Writers Series“, London 2001. Der Auszug wurde übersetzt<br />
von Hein Möllers.<br />
NESHANI ANDREAS<br />
wurde 1964 in Walvis Bay geboren. Sie hat am<br />
Ongwediva Teacher‘s College im Norden <strong>Namibia</strong>s<br />
Lehramt studiert. Ihr 2001 veröffentlichter<br />
Roman „The Purple Violet of Oshaantu“<br />
fand internationale Anerkennung. Neshani<br />
Andreas ist 2011 gestorben. Sie hat die Übersetzung<br />
ihres Romans ins Oshiwambo nicht<br />
mehr beenden können.<br />
2|2015 afrika süd 35
Keineswegs ein Luxus<br />
DER FILM IN NAMIBIA wird von der Gesellschaft nur wenig gewürdigt. Seine kulturpolitische und sozio-ökonomische<br />
Bedeutung wird verkannt.<br />
Foto: Ster Kinekor<br />
Angesichts der weltweiten Übermacht Hollywoods bemerkte der<br />
französische Schauspieler Gerald Depardieu einst: „Die Bilder des<br />
Films und des Fernsehens sind der Spiegel, in dem wir uns betrachten,<br />
und das Fenster, durch welches wir das Leben der anderen sehen.“<br />
Daraus folgerte er die Frage: „Werden wir diese Bilder in Zukunft<br />
selbst herstellen, oder werden wir nur als passive Betrachter<br />
daneben stehen, die sich die Bilder anschauen, die andere für sie<br />
produziert haben?” Auch für namibische Filmemacher stellt sich<br />
diese Frage. Doch ist ihr Problem ein viel größeres als das, welches<br />
Depardieu zu seiner Bemerkung bewegt haben könnte. Im Gegensatz<br />
zu Frankreich hat <strong>Namibia</strong> bisher keine Kinokultur, und der<br />
strukturelle, finanzielle wie gesellschaftliche Rahmen muss dafür<br />
erst geschaffen werden. Auch wird <strong>Namibia</strong> bis heute allzu oft von<br />
einem Eurozentrismus dominiert, der für Frankreich kulturpolitisch<br />
kein Problem darstellt, allerdings für ein recht junges afrikanisches<br />
Land wie <strong>Namibia</strong> von immenser Bedeutung ist, wenn es um Fragen<br />
wie nationale Identität und Vergangenheitsbewältigung geht.<br />
Kulturpolitisch ist gerade Film ein Imageproduzent erster Ordnung.<br />
Ein so kleines Land wie <strong>Namibia</strong>, das nicht im Zentrum internationaler<br />
Aufmerksamkeit steht, braucht eine adäquate Positionierung,<br />
die heute vorrangig über audiovisuellen Inhalt erreichbar ist,<br />
der von Geschichte, Lebensumständen, Denkweisen und Befindlichkeiten<br />
eines Landes erzählt.<br />
<strong>Namibia</strong> hat viele soziale und wirtschaftliche Probleme v.a. aus<br />
der Zeit der Apartheid geerbt. Das spiegelt sich auch in seiner Filmlandschaft<br />
wider. Erst 2007 – 17 <strong>Jahre</strong> nach der Unabhängigkeit –<br />
wurden die ersten „<strong>Namibia</strong>n Film Awards“ beim damals noch bestehenden<br />
Windhoeker „Wild Cinema International Film Festival“<br />
vergeben. Bis vor kurzem gab es nur zwei kommerzielle Kinos im<br />
ganzen Land, davon eines in Windhoek, das fast ein Jahr lang 2013/14<br />
wegen Renovierungsarbeiten geschlossen war. Mit Beginn des neuen<br />
<strong>Jahre</strong>s hat die Hauptstadt zumindest zwei kommerzielle Kinos,<br />
ein weiteres steht in Swakopmund. Im bevölkerungsreichen Norden<br />
gibt es keines. Die Anzahl namibischer Spielfilmproduktionen lässt<br />
sich nach wie vor an einer Hand abzählen, sofern man Nollywood<br />
ähnliche Filme (nigerianische Filmproduktion) unbeachtet lässt.<br />
Film in <strong>Namibia</strong> wird all zu oft vom Staat und der Privatwirtschaft<br />
als gesellschaftlicher Luxus betrachtet. Sein Potenzial wird zu wenig<br />
erkannt. Andere, oft infrastrukturelle Probleme werden teilweise zu<br />
Recht als prioritär angesehen. Bei entwicklungspolitischer Planung<br />
werden Kultur und insgesamt die kreativen Industrien im Land zumeist<br />
übersehen. Dieser Tatbestand ignoriert die kulturpolitische<br />
und die sozio-ökonomische Bedeutung von Film.<br />
Auch fehlt es an Investitionen. Zwar hatte die Foundation First National<br />
Bank (FNB) in einem Novum 2012 erstmals 500.000 Nam-Dollar<br />
als Initialförderung in ein Filmprojekt gesteckt und weitere private<br />
Investoren, sei es durch Rabatte oder Dienstleistungen, folgten.<br />
Doch Regisseur Tim Huebschle ist zuzustimmen, wenn er sagt: „Der<br />
Privatsektor <strong>Namibia</strong>s hat Film noch nicht als etwas lukratives oder<br />
geschäftsmäßig sinnvolles identifiziert.“<br />
Der Beginn der namibischen Filmindustrie<br />
Wie jedes Kulturschaffen setzen auch Filmproduktionen die<br />
künstlerische Freiheit des Akteurs und die Freiheit für die Kunst in<br />
Staat und Gesellschaft voraus. Die namibische Verfassung von 1990<br />
garantiert Meinungsfreiheit, namibische Filmemacher können sich<br />
auf diese in ihrer Arbeit berufen.<br />
Mit Beginn der neunziger <strong>Jahre</strong> dominierten zunächst Regisseure<br />
und Produzenten der ersten Stunde, wie Richard Pakleppa, Cecil Moeller<br />
und Bridget Pickering, erfolgreich die kleine Filmszene <strong>Namibia</strong>s,<br />
auch wenn sie zumeist außerhalb des Landes drehten. Konstant<br />
lieferten sie über die <strong>Jahre</strong> gute Arbeiten, von Kurzfilmen und Dokumentationen<br />
bis hin zu international erfolgreichen Produktionen<br />
wie „Hotel Ruanda“ (2004), wo Pickering Koproduzentin war.<br />
Auch wurden institutionelle Hürden genommen und Meilensteine<br />
geschaffen. Ende der neunziger <strong>Jahre</strong> wurde die „Filmmakers<br />
Association of <strong>Namibia</strong>“ (FAN) gegründet. Das <strong>Namibia</strong>-Film-Gesetz<br />
von 2000 erbrachte dann die Gründung der „<strong>Namibia</strong> Film Commission“<br />
(NFC) als verlängerten Arm des Informationsministeriums. Ziel<br />
36 afrika süd 2|2015
der NFC ist die Förderung und Entwicklung<br />
der namibischen Filmindustrie und gleichzeitig<br />
die Regelung und Gewinnung internationaler<br />
Filmproduktionen. Ihre Aufgabe ist<br />
es, <strong>Namibia</strong> als internationalen Filmstandort<br />
zu etablieren und bei diesen Produktionen<br />
einheimisches Personal zu vermitteln.<br />
Es schlummerte vieles dahin, bis zwei<br />
Film- und Fernsehgroßprojekte die Industrie<br />
eher lähmten als förderten. Es handelte<br />
sich um das Sam-Nujoma-Epik „<strong>Namibia</strong>.<br />
Struggle for Liberation“ (2008) sowie die<br />
TV-Soap-Serie „Ties That Bind“ (2008). Beide<br />
mit staatlichen Mitteln finanzierte Produktionen<br />
ließen aufgrund minderer Qualität<br />
zu Wünschen übrig. Zudem wurden sie begleitet<br />
von Kontroversen um immens hohe<br />
Budgets, Missmanagement bis Korruption,<br />
ungeregelte Zuständigkeiten, Urheberrechte<br />
und enttäuschte Erwartungen hinsichtlich<br />
der breit gefächerten langfristigen Förderung<br />
der lokalen Industrie.<br />
Zu politischer Einflussnahme kam es vor<br />
allem beim Film „<strong>Namibia</strong>. Struggle for Liberation“,<br />
was kaum Anlass zu Hoffnung auf<br />
eine sich frei entfaltende Filmlandschaft bot.<br />
Das 2003 erstmals zur Verfügung stehende<br />
Budget der NFC für den Film Development<br />
Fund wurde komplett für „<strong>Namibia</strong>. Struggle<br />
for Liberation“ ausgegeben. Am Ende schlug<br />
eine staatliche Fördersumme von 100 Mio.<br />
Nam-Dollar zu Buche. Nach dem Misserfolg<br />
des Films und immer noch ungeklärten<br />
Geldflüssen wurde es noch schwieriger für<br />
Produzenten, Gelder für Filme in <strong>Namibia</strong> zu<br />
akquirieren. Die Politik hatte entweder kein<br />
Vertrauen oder kein Interesse mehr an weiterer<br />
Filmförderung, oder es ging ihr bei der<br />
damaligen Förderung in dieser Höhe eh nur<br />
um ein nationales Prestigeprojekt, um das<br />
Andenken des Gründungspräsidenten Sam<br />
Nujoma zu ehren. Sie hatte wohl nie wirklich<br />
vorgehabt, eine mit genügend staatlichen<br />
Mitteln ausgerüstete tragfähige Filmindustrie<br />
zu unterstützen.<br />
Mangels weiterer Fördermaßnahmen sah<br />
das Bild der kleinen Filmindustrie <strong>Namibia</strong>s<br />
ziemlich dünn aus. Sie wurde weiterhin v.a.<br />
dominiert von ausländischen Produktionen,<br />
diversen Natur- und Landschaftsfilmen,<br />
Werbefilmchen, Auftragsarbeiten und Advocacy-Filmen,<br />
gefördert von internationalen<br />
EZ-Partnern, die sich bestimmter Themen<br />
wie HIV-Aids-Bekämpfung, Geschlechtergleichberechtigung<br />
und anderer sozialer<br />
Probleme annahmen. Meist ließ die Qualität<br />
zu wünschen übrig, und von Film-Kunst<br />
konnte wenig die Rede sein.<br />
Ein Neuanfang<br />
Anfang 2010 schien sich das Blatt zum<br />
Guten zu wenden. Schon 2007 hatte die<br />
NFC erste Geldmittel für den Langfilm „My<br />
Father’s Son“ von Joel Haikali bereitgestellt.<br />
Die Fördersumme belief sich auf unter<br />
300.000 Nam-Dollar, wobei der Gesamtetat<br />
am Ende 500.000 Nam-Dollar betrug und<br />
Haikali hierfür weitere private Investoren<br />
gewinnen konnte.<br />
2010 hatte sich die Filmvereinigung wieder<br />
aufgepäppelt, eine neue Führung unter<br />
Joel Haikali war am Ruder. Die NFC stellte<br />
erstmals wieder Fördergelder bereit, und<br />
so wurden 2010 drei Kurzfilme für jeweils<br />
150.000 bis 170.000 Nam-Dollar gefördert.<br />
Allerdings waren die bewilligten Mittel<br />
nicht ausreichend, so dass viele Kosten mit<br />
Freundschaftsdiensten und gedrückten Preisen<br />
abgedeckt werden mussten. Nur so sind<br />
momentan Filmproduktionen in <strong>Namibia</strong> zu<br />
meistern.<br />
2011 stellte die Filmkommission jeweils<br />
300.000 Nam-Dollar für die Produktion von<br />
insgesamt sieben Kurzfilmen bereit. Während<br />
einige der Gelder für Einsteiger zur<br />
Verfügung gestellt wurden, waren unter<br />
den Produktionsfirmen und Regisseuren bekannte<br />
Gesichter, die schon zuvor Kurzfilme<br />
gedreht und diese u.a. durch kleine Filmfördertöpfe<br />
aus dem In-und Ausland realisiert<br />
hatten. Um ein gewisses qualitatives Niveau<br />
zu halten, hatten sich 2011 auch einige der<br />
Firmen und Regisseure entschieden, weitere<br />
eigene Gelder in die Produktion zu stecken.<br />
So hatte die Produktionsfirma Collective<br />
Productions für ihren Kurzfilm „Dead River“,<br />
unter Regie von Tim Huebschle, weitere<br />
45.000 Nam-Dollar in den Film investiert.<br />
Auch konnten Oshosheni Hiveluah und die<br />
Produktionsfirma Lushdreamer Gelder über<br />
einen US-Filmförderfond „Africa First“ in<br />
Höhe von 80.000 Nam-Dollar für ihren Film<br />
„100 Bucks“ gewinnen.<br />
Die Ergebnisse konnten sich sehen lassen.<br />
So gewannen einige der Kurzfilme Preise bei<br />
internationalen Filmfestivals. „Dead River“<br />
wurde sogar für den besten Kurzfilm bei den<br />
„African Movie Academy Awards“ (AMAA),<br />
den afrikanischen Oscars, nominiert. Erste<br />
finanzielle Gewinne konnten diese Produktionen<br />
auch verbuchen, sei es durch den<br />
Verkauf der Filmrechte an den nationalen<br />
Fernsehsender, durch Preisgelder oder auch<br />
durch den Verkauf an ausländische Fernsehanstalten.<br />
2014 erblickten dann zwei weitere von<br />
der NFC geförderte Kurzfilme das Licht<br />
der Welt: „Tjitji – The Himba Girl“ und „Coming<br />
Home“. Im Haushaltsjahr 2013 stellte<br />
die Filmkommission insgesamt 1,9 Mio.<br />
Nam-Dollar zur Verfügung, 200.000 wurde<br />
jeweils für die Produktion der beiden Kurzfilme<br />
bereit gestellt, wobei die NFC als exklusiver<br />
Geldgeber Herr des Geschehens bleiben<br />
wollte. Mit 750.000 Nam-Dollar gehörte<br />
erstmals auch wieder ein Langfilm zu den<br />
geförderten Projekten, ein Thriller namens<br />
„Land of the Brave“, der die Geschichte des<br />
Frauenmörders B1 Butcher zum Thema hat.<br />
2|2015 afrika süd 37
Der Autor ist Politikwissenschaftler<br />
und Vorsitzender<br />
der Vereinigung<br />
namibischer Filmemacher<br />
(FAN).<br />
Neben der NFC-Finanzierung rechnet Regisseur Huebschle<br />
mit Produktionskosten von sechs Mio. Nam-<br />
Dollar. Zwölf Prozent dieser Summe hat die NFC als<br />
Darlehen bereitgestellt, wobei in den kommenden<br />
Monaten die restlichen Gelder über nationale Privatinvestoren<br />
und internationale Filmfördertöpfe<br />
gewonnen werden sollen. Huebschle hofft, dass die<br />
Produktion von „Land of the Brave” eine Blaupause für<br />
lokal und international erfolgreiche namibische Filme<br />
werden wird. Man darf gespannt sein, wenn der Film<br />
2016 Premiere feiern wird.<br />
Neu ist auch, dass die Filmkommission die Förderung<br />
von zwei Dokumentarfilmen ausgeschrieben<br />
hatte. Hatte sie in der Vergangenheit bisher nur NFC-<br />
Mitglied Vickson Hangulas „When we were hunters“<br />
(2012) mit 300.000 Nam-Dollar gefördert, wurde nun<br />
nach einer Ausschreibung die Förderung ausgeweitet.<br />
Mit der gleichen Summe unterstützte die NFC „Game<br />
On“, ein Dokumentarfilm über Artenschutz in <strong>Namibia</strong>,<br />
produziert von African Productions, sowie ein sehr<br />
spannendes Projekt „Waterberg to Waterberg: Following<br />
in the footsteps of Samuel Maharero“, eine Historien-Dokumentation.<br />
Dieser Film, der regionale Stimmen<br />
aus <strong>Namibia</strong>, Südafrika und Botswana über das<br />
Leben von Samuel Herero einfängt, gewann im Oktober<br />
2014 den Publikumspreis bei den <strong>Namibia</strong> Film &<br />
Theatre Awards und feierte im März seine Deutschlandpremiere<br />
mit AfricAvenir in Berlin. Gedreht<br />
wurde der Film von Andrew Botelle. Der Regisseur ist<br />
kein Unbekannter im namibischen Dokumentarfilm.<br />
Er hat u.a. den Klassiker „The Power Stone“ sowie die<br />
Filme „Born in Etosha. Part 1 & 2“ gedreht.<br />
Ende gut, alles gut?<br />
Mitnichten. Im Januar wurde in Windhoek der lang<br />
erwartete Film „Katutura“ prämiert, der von Obed Emvula<br />
produziert wurde. Emvula war nicht nur Drehbuchautor<br />
und Produzent, sondern auch gleichzeitig<br />
Vorsitzender der Filmkommission, die den Film ohne<br />
öffentliche Ausschreibung mit drei Mio. Nam-Dollar<br />
bezuschusste. Andere Förderer waren neben der FNB<br />
Foundation das Handelsministerium sowie Firmen,<br />
die v.a. Sachmittel zur Verfügung stellten. Laut Emvula<br />
belaufen sich die Produktionskosten auf acht Mio.<br />
Nam-Dollar. Ob diese wieder eingespielt werden können,<br />
bleibt abzuwarten. Allerdings gilt auch für diese<br />
Produktion: Zwar war das Casting namibisch, doch<br />
es musste wieder mit ausländischen, v.a. südafrikanischem<br />
Personal gearbeitet werden. Da Emvula am<br />
Ende drei Mio. Nam-Dollar fehlten, musste auch er<br />
Gelder der NFC bemühen, was in einem so kleinen<br />
Land immer zu Interessenskonflikten führt. So ist die<br />
fehlende Finanzierungsdiversifizierung untragbar für<br />
eine sich frei entfaltende Film- und Kinolandschaft.<br />
Zudem schafft sie Abhängigkeitsverhältnisse, die in<br />
ihrer Gesamtheit für die Industrie nicht förderlich<br />
sind. Auch dieses Projekt beweist: Namibische Filmproduktionen<br />
hängen fast ausschließlich am Tropf<br />
der NFC.<br />
Der Regisseur Richard Pakleppa, der schon einen<br />
erfolgreichen Lebenslauf im Filmgeschäft vorweisen<br />
konnte, war der erste Namibier, der sich 2008 erfolgreich<br />
für die Förderung durch den Fonds Afrique<br />
Image in Frankreich beworben hatte. Für seinen Spielfilm<br />
„A Taste of Rain“ erhielt er mit einem Zuschuss<br />
von 1,2 Mio. Nam-Dollar den maximalen Förderbetrag.<br />
Es dauerte weitere fünf <strong>Jahre</strong>, bis der Film fertig war<br />
und dem (Windhoeker) Publikum präsentiert werden<br />
konnte.<br />
Auch Emvula arbeitete fünf <strong>Jahre</strong> an seinem Film<br />
„Katutura“. Ob er kommerziell erfolgreich sein wird,<br />
bleibt abzuwarten. Die Urteile des namibischen Publikums<br />
fielen Anfang Februar positiv aus. Nun müssen<br />
Filmfestivals und Vertrieb folgen.<br />
Die gesellschaftliche Akzeptanz für den namibischen<br />
Film wäre durchaus vorhanden, wie die vorherigen<br />
Kurzfilme gezeigt haben. Die Menschen konnten<br />
sich mit diesen Filmen identifizieren. Doch es fehlt<br />
an Geld für die nötige Vermarktung der Produktion.<br />
Einige Filme erreichen über Sonderprogramme oder<br />
über kleine Initiativen Schulen und zahlende DVD-<br />
Konsumenten. Der staatliche Fernsehsender kaufte<br />
Ende 2014 erstmals seit <strong>Jahre</strong>n wieder namibische<br />
Filme, um sie dem einheimischen Publikum zu zeigen.<br />
Auch haben es sich AfricAvenir und andere Organisationen<br />
zur Aufgabe gemacht, den namibischen Film<br />
in die Welt zu tragen. So gibt es kleine, zarte Pflanzen,<br />
die sich um den Vertrieb einzelner Filme kümmern.<br />
Im großen Stil war das bisher nicht möglich. Dazu<br />
braucht es einerseits staatliche und private Förderung,<br />
andererseits aber auch die richtigen Filme, und diese<br />
in der nötigen Anzahl und in kurzen Intervallen. Darauf<br />
müssen wir wohl auch in absehbarer Zeit noch<br />
warten.<br />
>> Hans-Christian Mahnke<br />
38 afrika süd 2|2015
Ein Pionier der namibischen Musikwelt<br />
ZUM TODE VON WILLIE MBUENDE<br />
Völlig unerwartet starb der 67-jährige namibische Musik-Veteran<br />
Willie Mbuende am 21. Januar 2015 im Rhino Park Hospital in Windhoek,<br />
<strong>Namibia</strong>, nach nur kurzer Krankheit.<br />
Sein jüngerer Bruder, der frühere Parlamentarier und jetzige<br />
Botschafter <strong>Namibia</strong>s bei den Vereinten Nationen in den USA, Dr.<br />
Kaire Mbuende, erwähnte, der bekennende Vegetarier Willie habe<br />
kurz vor seinem Tod nach dem Verzehr eines Brötchens bei einem<br />
Windhoeker Straßenverkäufer über starke Bauchschmerzen geklagt:<br />
Inzwischen wurde bekannt, dass eine akute Blinddarmentzündung<br />
ihm zum Verhängnis wurde.<br />
Er gilt als einer der wichtigsten Pioniere der namibischen Musikszene<br />
und begann seine musikalische Karriere vor mehr als 50<br />
<strong>Jahre</strong>n, nachdem er als musikbegeisterter Jugendlicher im Alter von<br />
15 <strong>Jahre</strong>n zunächst nach Daressalam, Tansania, ins Exil gegangen<br />
war und sich dann nach Zwischenstationen in Ungarn und England<br />
in Schweden niedergelassen hatte.<br />
Nur zwei Wochen vor seinem Tod hatte er erneut geheiratet, und<br />
zwar die Mutter des bekannten namibischen Sportreporters Rodman<br />
Katjaimo namens Rupia Katjaimo. Er hinterlässt drei Kinder,<br />
zwei Jungen und ein Mädchen.<br />
Willie Mbuende spielte mit vielen internationalen Musikern wie<br />
mit dem südafrikanischen Schlagzeuger Vusi Khumalo zusammen<br />
und tourte zunächst vor allem in Skandinavien und später auch in<br />
Deutschland, wo er mehrfach auftrat und sich als Bassist an André<br />
Hellers von 2008 bis 2011 in Europa gastierenden magischem Afrika-<br />
Zirkus („Afrika!Afrika!“) mit mehr als 120 afrikanischen Künstlern<br />
und Akrobaten beteiligte – im Orchester mit Musikern aus Guinea,<br />
Südafrika, Senegal und Gambia. Nach seiner Rückkehr in die Heimat<br />
gründete er die Afro-Pop-Band Mukorob und spielte mit dem<br />
(auch schon verstorbenen) Musiker Jackson Kaujeua, mit dem namibischen<br />
Reggae-Star Ras Sheehama und der Pop-Diva und Sängerin<br />
Charlotte Gertze. Daneben war er auch als Musikproduzent<br />
beim Namibischen Öffentlichen Rundfunk (NBC) tätig und für den<br />
populären namibischen Musikwettbewerb <strong>Namibia</strong> Annual Music<br />
Award (NAMAs) zuständig.<br />
Ich lernte Willie 2002 in Berlin während der Arbeit an einem Musikprojekt<br />
kennen, das sich unter dem Titel „ONDAMBO – Lieder<br />
zum Jahr 1904 – der erste deutsche Kolonialkrieg in Afrika und der<br />
Widerstand der Herero“ musikalischen Beiträgen zum Hereroaufstand<br />
im ehemaligen Deutsch-Südwestafrika widmete. Geplant war<br />
die Herausgabe einer Musik-CD mit Begleitmaterial zum Einsatz in<br />
Schulen und in der Erwachsenenbildung. Damit wollten wir auf die<br />
geschichtlichen Ereignisse sowie die bis heute anhaltenden Folgen<br />
des <strong>Jahre</strong>s 1904, auf den Aufstand der Herero und der zentral- und<br />
südnamibischen Gemeinschaften gegen deutsche Fremdherrschaft,<br />
Enteignung und Entmündigung, auf das Jahr 1884 und die Aufteilung<br />
Afrikas auf der Berliner Kongo-Konferenz aufmerksam machen.<br />
Willie Mbuende steuerte dazu einen Song über Kriegsveteranen der<br />
Herero mit dem Titel „Okahandja“ bei und gab in seiner humorvollen<br />
und ruhigen Art viele nützliche Hinweise, um das (bis heute<br />
leider unveröffentlichte) Projekt auch in <strong>Namibia</strong> zu verankern. Er<br />
war in seiner Heimat auch als musikethnologischer Forscher tätig<br />
und sammelte traditionelle Lieder der Herero aus der Aufstandszeit,<br />
darunter RAP-ähnliche Sprechgesänge von außergewöhnlicher Aussagekraft.<br />
Wir waren schockiert, von seinem viel zu frühen Ableben in den<br />
Medien zu erfahren, zumal er noch viele interessante Projekte zur<br />
Entwicklung der namibischen Musik in sich trug und vorantreiben<br />
wollte, die nun unerledigt bleiben müssen. Willie, der Kampf geht<br />
weiter!<br />
>> Christoph Ludszuweit<br />
Der Autor war insgesamt zwölf <strong>Jahre</strong> als Lektor des DAAD in Nigeria<br />
und <strong>Namibia</strong> und als Sprachabteilungsleiter des Goethe-Instituts in<br />
Kenia tätig. Derzeit arbeitet er in Berlin als Lehrer für DaF/DaZ und als<br />
Flüchtlingsberater.<br />
2|2015 afrika süd 39
Entschuldigung überfällig<br />
IN DER ENTSCHÄDIGUNGSFRAGE BEWEGT SICH WENIG. Während der <strong>25</strong>-jährigen Unabhängigkeit <strong>Namibia</strong>s gab<br />
es von Seiten der Bundesrepublik kaum Schritte, um den Forderungen nach Anerkennung, Entschuldigung und<br />
Entschädigung für den Genozid an den Ovaherero und Nama 1904 bis 1908 nachzukommen.<br />
Ist die Anerkennung des Völkermordes<br />
an den Ovaherero und Nama wissenschaftlich<br />
kaum noch umstritten, stellt sich die<br />
deutsche Regierung nach wie vor quer. Sie<br />
verweist zwar auf die moralische und historische<br />
Verantwortung gegenüber <strong>Namibia</strong>,<br />
lehnt jedoch eine offizielle Entschuldigung<br />
und Entschädigungen ab. Die Forderungen<br />
der Ovaherero und Nama, zurückhaltend<br />
unterstützt durch die namibische Regierung,<br />
werden bis heute ignoriert. Ein Rückblick<br />
auf vertane Chancen und den anhaltenden<br />
Kampf für Gerechtigkeit („restorative justice“).<br />
Im Februar 2015 startete die Herero-Diaspora<br />
in Nordamerika eine neue Initiative.<br />
Mit einer Petition sollten der neue Paramount<br />
Chief Vekuii Rukoro und namibische<br />
Opfergruppen in ihren Forderungen unterstützt<br />
werden. Am 27.3.2015 wurden in<br />
Washington und Berlin Unterschriften und<br />
Forderungen an Vertreter der deutschen Regierung<br />
übergeben. In der Petition werden<br />
ohne große Umschweife und argumentative<br />
Nachweise für den Völkermord Gespräche<br />
über Reparationen von der Bundesregierung<br />
angemahnt. Die Forderung nach Entschuldigung<br />
wird dabei nicht erneut erhoben,<br />
schließlich gab es diese bereits 2004 von<br />
Heidemarie Wieczorek-Zeul. In der Rede der<br />
früheren Ministerin für Entwicklungszusammenarbeit<br />
heißt es: „Es gilt für mich an<br />
diesem Tage, die Gewalttaten der deutschen<br />
Kolonialmacht in Erinnerung zu rufen, die<br />
sie an Ihren Vorfahren beging, insbesondere<br />
gegenüber den Herero und den Nama [...] Die<br />
damaligen Gräueltaten waren das, was heute<br />
als Völkermord bezeichnet würde – für<br />
den ein General von Trotha heutzutage vor<br />
Gericht gebracht und verurteilt würde. Wir<br />
Deutschen bekennen uns zu unserer historisch-politischen,<br />
moralisch-ethischen Verantwortung<br />
und zu der Schuld, die Deutsche<br />
damals auf sich geladen haben. Ich bitte Sie<br />
im Sinne des gemeinsamen ‚Vater unser‘ um<br />
Vergebung unserer Schuld.“<br />
Dabei handelt es sich hier um den Wortlaut<br />
der verschriftlichten Rede. Der Historiker<br />
Christian Kopp verweist jedoch auf<br />
Mitschnitte im BBC-Dokumentarfilm „Genocide<br />
and the Second Reich“ (2004), in dem<br />
wesentliche Teile der englisch gesprochenen<br />
Rede zu hören sind, unter anderem:„ […]. The<br />
atrocities, the murders, the crimes committed<br />
at that time are today termed genocide<br />
– and nowadays a General von Trotha would<br />
be prosecuted and convicted – and rightly<br />
so.”<br />
Damit wurde, so Kopp, den Zuhörern zu<br />
verstehen gegeben, dass der Genozid durch<br />
die deutsche Bundesregierung anerkannt<br />
und dies eine förmliche Bitte um Entschuldigung<br />
wäre. Die dann veröffentlichte schriftliche<br />
Fassung und erst Recht deren deutsche<br />
Übersetzung boten hingegen weitaus weniger<br />
Grundlagen für eventuelle Reparationsforderungen,<br />
da der entscheidende Satz in<br />
den unverfänglichen Konjunktiv übertragen<br />
wurde.<br />
Fehlende Aufarbeitung<br />
Seit dieser Aussage sind inzwischen mehr<br />
als zehn <strong>Jahre</strong> vergangen, ohne dass eine<br />
erneute öffentliche Entschuldigung von<br />
der deutschen Regierungsseite oder gar Reparationsverhandlungen<br />
erfolgten. Immer<br />
wieder zieht sich die Bundesregierung auf<br />
folgende Aussage zurück: Die Völkermordkonvention<br />
von 1948 erlaube keine rückwirkende<br />
Anwendung, aber die deutsche<br />
Regierung würde sich natürlich „wiederholt<br />
zu der historischen und moralischen Verantwortung<br />
[...] gegenüber <strong>Namibia</strong>“ bekennen.<br />
„Entschädigungsverpflichtungen Deutschlands<br />
bestehen“ jedoch ihrer Meinung nach<br />
„nicht“. Die Übernahme von historischer<br />
Verantwortung zeige sich dagegen in den<br />
40 afrika süd 2|2015
vergleichsweise hohen Beträgen für die Entwicklungszusammenarbeit<br />
und in der sogenannten „Sonderinitiative“<br />
– oftmals auch Versöhnungsinitiative<br />
genannt. Diese wurde 2006 aufgelegt, allerdings einseitig<br />
von der Bundesregierung und ohne vorab die<br />
namibische Seite zu konsultieren. Entsprechend kritisch<br />
hat sich erst jüngst der neue Paramount Chief<br />
der Ovaherero, Vekuii Rukoro, zur „special initiative“<br />
geäußert.<br />
In den vergangenen <strong>Jahre</strong>n wurden immer wieder<br />
parlamentarische Initiativen gestartet, zuletzt 2012 –<br />
einerseits durch die Fraktion Die Linke und andererseits<br />
ein gemeinsamer Antrag der Grünen und der<br />
SPD, damals bekanntlich noch in der Opposition. Zwar<br />
forderten beide Anträge die Anerkennung des Genozids<br />
und eine Entschuldigung durch den Bundestag,<br />
aber nur der Linken-Antrag drängte die Bundesregierung<br />
auch zu Reparationsverhandlungen. Von der damaligen<br />
Regierungsmehrheit aus CDU/CSU und FDP<br />
wurden dennoch beide Anträge abgelehnt.<br />
Insgesamt liegt es im Interesse der deutschen Politik,<br />
den Genozid aus den Medien und einer öffentlichen<br />
Betrachtung herauszuhalten. Letztes Beispiel<br />
war die Übergabe von Gebeinen namibischer Genozidopfer<br />
im März 2014. Erst wenige Tage vor Ankunft<br />
der namibischen Delegation wurden die Übergabetermine<br />
in Freiburg und Berlin bestätigt, Vertreter der<br />
Ovaherero und Nama waren nicht geladen und die<br />
Menschenrechtsaktivist_innen des Bündnisses „Völkermord<br />
verjährt nicht!“ wurden erst nach Protesten<br />
vor der Berliner Charité als Teilnehmende der Übergabezeremonie<br />
zugelassen. Offenbar sollte auf diese<br />
Weise öffentliche Kritik wie bei der ersten Übergabe<br />
Ende September 2011 verhindert werden. Nicht nur<br />
das Verhalten damaliger Regierungsmitglieder wie<br />
der Staatssekretärin Cornelia Pieper, sondern auch die<br />
Vorwürfe an die namibische Delegation, eine „hidden<br />
agenda“ zu verfolgen, und die Unterstellung, deutsche<br />
Unterstützer würden die Opferverbände aufstacheln,<br />
hatten ein schlechtes Licht auf das Regierungshandeln<br />
geworfen. Erst der Besuch des damaligen Afrikabeauftragten<br />
des Auswärtigen Amts, Walter Lindner,<br />
in <strong>Namibia</strong> konnte die Gemüter wieder etwas beruhigen<br />
und die Situation entschärfen. Um eine Entschuldigung<br />
drückte sich auch er.<br />
Offensichtlich dürfen deutsche Politiker erst dann<br />
den Genozid als solchen bezeichnen, wenn sie aus<br />
dem Amt geschieden sind. So sprach der ehemalige<br />
Bundespräsident Horst Köhler bereits im März 2014<br />
und nun erneut im Februar 2015 ganz unumwunden<br />
vom Genozid: „Zum historischen Bewusstsein gehört<br />
die Erinnerung an den Völkermord an den Hereros,<br />
der 1904, also vor genau 110 <strong>Jahre</strong>n, durch den ‚Vernichtungsbefehl‘<br />
des preußischen Offiziers Lothar von<br />
Trotha begann.“<br />
Wachsende Ungeduld in <strong>Namibia</strong><br />
Von namibischer Seite gibt es da auch von Amtsträgern<br />
weitaus mehr Druck. Als 2009 der „<strong>Namibia</strong>-Gedenkstein“<br />
neben dem Gedenkstein für die in<br />
„Deutsch-Südwestafrika“ gefallenen Berliner Kolonialsoldaten<br />
angebracht wurde, sprach der damalige<br />
namibische Botschafter Neville Gertze als einziger<br />
Redner ganz unverblümt das entscheidende Wort,<br />
ebenso wie bei seiner Abschiedsrede im Februar 2015.<br />
Die namibische Nationalversammlung hat den Völ-<br />
Übergabe der Petition in<br />
Berlin am 27.03.2015<br />
Foto: Imke Vonalt<br />
2|2015 afrika süd 41
VÖLKERMORD VERJÄHRT NICHT<br />
Das zivilgesellschaftliche Kampagnenbündnis „Völkermord verjährt nicht!“ hat<br />
sich 2012 gegründet. Das Bündnis setzt sich für die offizielle Anerkennung des Genozids<br />
in der ehemaligen Kolonie „Deutsch-Südwestafrika“ durch die Bundesrepublik<br />
und für eine regierungsseitige Entschuldigung ein. Das Bündnis erklärt sich<br />
solidarisch mit den Forderung der Herero und Nama nach symbolischer und materieller<br />
Wiedergutmachung für das unermessliche Leid, das erlittene Unrecht und<br />
die gravierenden Verluste an Hab und Gut.<br />
Die jüngst veröffentlichte Bündnis-Website www.genocide-namibia.net soll zu<br />
einer informativen Onlineplattform werden, welche die vielfältigen Materialien<br />
und Dokumente zum Genozid, Beiträge namibischer Stimmen und politischer Initiativen<br />
gebündelt für Interessierte bereitstellt.<br />
www.genocide-namibia.net<br />
Der Autor engagiert sich<br />
in dem Kampagnenbündnis<br />
„Völkermord verjährt<br />
nicht!“<br />
kermord bereits im Oktober 2006 anerkannt, insbesondere<br />
durch den Druck des kürzlich verstorbenen<br />
Paramount Chief Kuaima Riruako. Namibische Politiker<br />
setzen sich offensiv für eine Entschuldigung und<br />
für wiederherstellende Gerechtigkeit („restorative justice“)<br />
ein. Jedoch plädieren sie – mit der Warnung vor<br />
Tribalismus – für Verhandlungen auf Regierungsebene,<br />
wie Hage Geingob in seiner Funktion als Premierminister<br />
letztes Jahr wiederholt betonte.<br />
Im Januar 2015 hat Bethuel Katjimune, Sekretär<br />
der Ovaherero Traditional Authority (OTA), der namibischen<br />
Regierung eine Frist bis zum 6. Oktober<br />
2015 gesetzt, um die Vertretungen der Herero- und<br />
Nama-Communities als Akteure in einen Wiedergutmachungs-Trialog<br />
aufzunehmen. Dieselbe Frist setzte<br />
er auch der deutschen Regierung, die sich bis dahin<br />
entschieden haben soll, ob sie in Verhandlungen über<br />
Reparationen eintreten wolle oder nicht. Unklar blieb<br />
jedoch, was nach Ablauf des Ultimatums passieren<br />
würde.<br />
Namibische Opferverbände wie das Ovaherero Genocide<br />
Committee, das Nama Technical Committee<br />
oder der regierungsnähere Ovaherero/Ovambanderu<br />
Council for the Dialogue on the 1904 Genocide sowie<br />
zahlreiche Organisationen in Deutschland, die sich<br />
hinter das Kampagnenbündnis „Völkermord verjährt<br />
nicht!“ gestellt haben, setzen sich für eine offizielle<br />
Bitte um Entschuldigung und für Wiedergutmachung<br />
seitens der Bundesregierung ein.<br />
Auch wenn die politische und juristische Anerkennung<br />
des Völkermordes noch nicht erreicht wurde, gelingt<br />
es zivilgesellschaftlichen Strukturen in <strong>Namibia</strong>,<br />
in der Diaspora und in Deutschland immer häufiger,<br />
das Thema politisch und medial zu platzieren. Sei es<br />
bei den überfälligen Übergaben von Gebeinen wie<br />
2011 und 2014 oder beim kritischen Umgang mit kolonialen<br />
Spuren im öffentlichen Raum, wie zum Beispiel<br />
in Bremen, München und Berlin.<br />
Way forward?<br />
Der Kampf um ein offizielles Schuldeingeständnis,<br />
um die Anerkennung des Genozids und um möglicherweise<br />
juristisch abzuleitende Reparationszahlungen<br />
hält an. Wie die Reparationsforderungen sich<br />
schließlich detailliert darstellen, liegt vor allem bei<br />
den Opfergruppen. Der mit dem Staatsbesuch von<br />
Walter Lindner begonnene direkte Kontakt zwischen<br />
namibischen Gruppen und der Bundesregierung ist<br />
dafür notwendig und muss von deutscher Seite konsequent<br />
weitergeführt werden. Das forderte unter<br />
anderem Ueriuka Tjikuua vom Ovaherero/Ovambanderu<br />
Council for the Dialogue on the 1904 Genocide<br />
(OCD 1904) beim Besuch des neuen Regionalbeauftragten<br />
des Auswärtigen Amts für Subsahara-Afrika<br />
und Sahel, Botschafter Georg Schmid im Januar 2015.<br />
Tjikuua betonte zu diesem Anlass, dass nun Taten folgen<br />
müssten und eine Entschuldigung des deutschen<br />
Bundestages weiterhin aussteht. Das wurde auch von<br />
Ida Hoffmann, der Vorsitzenden des Nama Genocide<br />
Committee, unterstrichen. Entwicklungspolitische<br />
Aktivitäten, finanziert durch die Sonderinitiative, sind<br />
kein adäquates Mittel für Reparationszahlungen und<br />
gelten weiterhin nur als Feigenblatt.<br />
Daneben gilt es, Außenminister Frank-Walter Steinmeier<br />
an den von der damaligen SPD-Opposition<br />
selbst eingereichten Antrag zu erinnern und zu fragen,<br />
warum in seiner Amtszeit die Anerkennung des<br />
Genozids durch die Bundesregierung noch immer<br />
nicht erfolgt ist. Aufschluss wird dazu hoffentlich<br />
eine geplante Kleine Anfrage von MdB Mutlu (B90/<br />
Die Grünen) bringen. Die Antworten, welche die Vertreter<br />
des NRO-Bündnisses „Völkmord verjährt nicht!“<br />
bei der Petitionsübergabe im März 2015 in Berlin vom<br />
Afrikabeauftragten Georg Schmidt erhielten, gaben<br />
allerdings wenig Anlass zur Hoffnung. Deutlich wurde<br />
vielmehr, dass Initiativen, die über eine gewisse Dialogbereitschaft<br />
hinausgehen und zur offiziellen Anerkennung<br />
und Wiedergutmachung des Völkermords<br />
beitragen könnten, von der jetzigen Bundesregierung<br />
kaum erwartet werden können.<br />
Der Paramount Chief der Ovaherero, Vekuii Rukoro,<br />
hatte letztes Jahr den 2. Oktober 2015 als Frist für eine<br />
Einigung zwischen den Ovaherero, der namibischen<br />
und der deutschen Regierung gesetzt. Dann jährt<br />
sich von Trotha‘s Befehl zum Genozid im einstigen<br />
„Deutsch-Südwestafrika“ zum 111. Mal.<br />
>> Andreas Bohne<br />
42 afrika süd 2|2015