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36 INTERVIEW<br />
„Tattoos<br />
muss<br />
man sich<br />
verdienen“<br />
geox.com<br />
Prominenten sehen, in den Medien. Das hat man auch<br />
bei den angeblich temporären Tattoos gesehen, den<br />
„Temptoos“ oder „Bio-Tattoos“, die nach zwei oder drei<br />
Jahren wieder weggehen sollten.<br />
Wieso angeblich?<br />
Weil es nicht funktioniert. Aus meiner Sicht war der<br />
Auslöser Thomas Gottschalk, der sich bei „Wetten,<br />
dass . . ?“ so ein Temptoo stechen ließ. In den folgenden<br />
Jahren, Mitte, Ende der Neunziger, sind wahnsinnig viele<br />
Leute gekommen und haben danach gefragt. Wir haben<br />
immer wieder erklärt: Das ist Quatsch. Pigmente verblassen,<br />
aber das ist nicht steuerbar auf zwei oder drei Jahre.<br />
Man kann die Farbe auch nicht nur in die erste Hautschicht<br />
einbringen, denn dann wäre sie schon nach einem<br />
Monat wieder weg. Irgendwann hatten es die Leute<br />
kapiert, dann kamen sie zu uns mit ihren ausgelaufenen<br />
Temptoos, um sie überstechen zu lassen.<br />
Die Tür des Studios „Wild at Heart“, das Besen vor<br />
20 Jahren mit seinem Kompagnon Ralf gegründet hat,<br />
geht auf. Ein Typ mit Wollmütze, Mitte 50, tritt ein.<br />
Mit sächsischem Akzent sagt er:<br />
Sind Sie hier die Fachleute, oder was?<br />
Besen: Ja, aber wir haben jetzt eigentlich geschlossen.<br />
Typ: Was würde mir denn das kosten, hier (zeigt auf<br />
eines seiner Handgelenke) die 88, nur die 88?<br />
Besen: Zwei Mal die Acht? Warum?<br />
Typ: Darum.<br />
Besen: Würd’ ich schon gerne wissen.<br />
Typ: Warum?<br />
Besen: Wofür steht das?<br />
Typ: Zwei Mal die Acht will ich haben. Und hier<br />
(zeigt aufs andere Handgelenk) die 13.<br />
Besen: Warum?<br />
Typ: Ich muss das doch nicht erklären.<br />
Besen: Müssen tust du nichts. Aber wenn ich dir ein<br />
Gesunde Hautfarbe? Welche langfristigen körperlichen Folgen Tätowierungen haben können, ist noch nicht genau erforscht.<br />
Design mach’, frag’ ich immer nach, egal um was es geht.<br />
Da frag’ ich, was das für eine Bedeutung hat.<br />
Typ: Das hat eine Bedeutung vom Sport her.<br />
Was machen Sie mit so einem Kunden? Kann sein, dass er<br />
sich den Zahlencode der Neonazis für „Heil Hitler“ tätowieren<br />
lassen will. Ist aber auch nicht ausgeschlossen, dass er<br />
wirklich Fan eines Sportlers mit der Rückennummer 88 ist.<br />
Ich hatte gerade nicht den Nerv, mich intensiver mit dem<br />
zu beschäftigen. Es war aber komisch, dass er nicht gleich<br />
antworten wollte. Für mich ist jedenfalls klar: Sobald sich<br />
andeutet, dass es da einen rechtsextremen Hintergrund<br />
geben könnte, mach’ ich es nicht.<br />
Selbst wenn der Typ gerade kein Neonazi war, bleibt erstaunlich,<br />
dass er sich in seinem Alter noch tätowieren lassen will.<br />
Hätten Sie sich damals, als junger Punk, vorstellen können,<br />
dass das Tätowieren mal so sehr Mainstream wird, dass<br />
ältere Männer mit Wollmütze in Ihr Studio kommen?<br />
Damit konnte niemand rechnen.<br />
Betriebswirtschaftlich gesehen ist es doch top.<br />
Auch künstlerisch gesehen hat es Vorteile. In dem Maß,<br />
in dem Tattoos gängig geworden sind, hat die Bereitschaft<br />
zugenommen, sich große Designs stechen zu lassen. Ich<br />
kann mich dadurch viel mehr austoben.<br />
Der Nachteil: Je verbreiteter etwas ist, desto uncooler.<br />
Irgendwann kippt es.<br />
Im Moment nimmt es noch zu. Aber das ist natürlich<br />
die Eine-Million-Dollar-Frage, ob es mal einen krassen<br />
Gegentrend geben wird.<br />
Angst?<br />
Das Szenario ist im Moment zu abstrakt, also nein.<br />
Bedauern, dass es nicht mehr ist wie früher?<br />
Ein bisschen. Man sieht das auf den Tattoo-Conventions.<br />
Früher waren da vor allem Freaks, heute heißt es in der<br />
Vorankündigung: „mit Hüpfburg“. Früher gab es<br />
Stripshows. Heute ist eine Burlesque-Tänzerin das höchste<br />
der Gefühle. Aber so gut kenne ich mich auch nicht mehr<br />
aus. Ich war länger auf keiner Convention – eigentlich,<br />
seit es keine Stripshows mehr gibt.<br />
Hat Tätowieren und Tätowiertwerden für Sie auch eine<br />
erotische Komponente?<br />
Die Kundin eines Kollegen hatte während der Sitzung<br />
mal einen Orgasmus. Aber selbst Leute aus der Sado-<br />
Maso-Szene dürften es doch überwiegend als unangenehm<br />
empfinden. Aber der Schmerz gehört dazu.<br />
Warum?<br />
Er lädt die Sache mit Wert auf. Für ein Tattoo ist eben<br />
mehr nötig, als in den Laden zu gehen, Geld auf den Tisch<br />
zu legen, Ware mitzunehmen, nach Hause zu gehen. Es<br />
erfordert Zeit, Überwindung, Kampf. Man verdient es<br />
sich. Das schafft einen engen Bezug.<br />
#STARTBREATHING<br />
Wenn ich jetzt sagen würde, ich habe eine Rose auf dem Po,<br />
würde Sie das wundern?<br />
Nach 20 Jahren in dem Geschäft wundert einen gar nichts<br />
mehr. Einem Kunden habe ich einen Komplett-Body-Suit<br />
gemacht. Unauffälliger Mann, unauffälliger Job. Niemand<br />
ahnt, was der unterm Anzug trägt.<br />
Wie viele Tattoos haben Sie selbst?<br />
Vielleicht zehn? Die Anzahl ist doch relativ. Was ist mit<br />
dem eben beschriebenen Mann? Der hat so gesehen ja nur<br />
ein Tattoo.<br />
Was sind die Geschichten hinter Ihren Tattoos?<br />
Da gibt es keine großen Geschichten. Die meisten meiner<br />
Tattoos sind so entstanden: Mir gefällt, was ein anderer<br />
Tätowierer macht. Den frage ich dann, ob er eine Idee<br />
hat, und dann lass’ ich dem ziemlich freie Hand. Hier, auf<br />
dem rechten Unterarm, habe ich einen Gitarrenhals, der<br />
in einen Totenkopf übergeht. Ich spiele Gitarre, ich mag<br />
Totenköpfe: Mehr Bedeutung ist nicht.<br />
Wie ist es bei Ihren Kunden?<br />
Durch die Doku-Soaps im Fernsehen wurde der Eindruck<br />
erweckt, dass Leute sich nur tätowieren lassen, nachdem<br />
sie Krebs oder einen Unfall hatten. Das ist nicht so. Aber<br />
ich hatte zeitweise den Eindruck, dass Kunden meinen, sie<br />
schuldeten mir und sich selbst eine Begründung. Auch das<br />
ist nicht so. Eine Begründung für ein Tattoo ist nicht<br />
erforderlich.<br />
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TM<br />
Besen gründete 1996 in München das Studio „Wild at Heart“.<br />
Die Fragen stellte Timo Frasch.