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Arbeit ohne Ende: Die großformatigen Wandgemälde in Lyon sind zur Attraktion für Einheimische und Besucher geworden.<br />
ECHTE WANDARBEIT<br />
„La Fresque des Lyonnais“: Das 1800 Quadratmeter große Fassadenbild bringt berühmte Bewohner Lyons zusammen – wie Starkoch Paul Bocuse (unten Mitte) oder die Brüder Lumière (darüber rechts).<br />
Die Künstlergruppe<br />
„Cité Création“ geht in<br />
Lyon die Wände hoch –<br />
und macht mit ihren<br />
Gemälden die Illusion<br />
zur Wirklichkeit.<br />
Von Axel Pinck<br />
Fotos Peter Frischmuth<br />
Lyon – war da nicht immer Stau auf der Autobahn<br />
Richtung Mittelmeer? Kam daher nicht<br />
dieser berühmte Koch? Viel ist es nicht, was<br />
den meisten zur drittgrößten Stadt Frankreichs<br />
einfällt. Dabei ist die Metropole am Zusammenfluss<br />
von Rhône und Saône in einer Hinsicht<br />
sogar führend im Land: Nirgends gibt es so tolle Wandgemälde.<br />
Mehr als fünf Dutzend gewaltige murs peints sind über<br />
die Stadt verteilt. Die meisten zeigen das urbane Leben und<br />
wichtige Bewohner. „Wir wollen nicht nur große, bunte<br />
Bilder malen, sondern die Betrachter zum Stehenbleiben<br />
und zum Nachdenken anregen“, sagt Halim Bensaïd, Mitbegründer<br />
der Künstlergruppe „Cité Création“, die für die<br />
ungewöhnliche öffentliche Kunst verantwortlich ist.<br />
Vor mehr als 30 Jahren hatten Absolventen der örtlichen<br />
Kunsthochschule gegen zähen Widerstand der Stadtverwaltung<br />
angefangen, das Stadtbild mit großflächigen<br />
Bildern zu verschönern. Heute zählt die Künstlerkooperative<br />
neben den Kochkünsten des „Grand Chef“ Paul Bocuse<br />
und seiner Kollegen zu den kulturellen Höhepunkten<br />
Lyons. Die „Cité Création“ ist inzwischen auf der ganzen<br />
Welt gefragt, mehr als 600 oft spektakuläre Wandgemälde<br />
von Berlin-Marzahn und Wien bis Schanghai und Tel Aviv<br />
gehen auf sie zurück. Eine Kunstschule mit riesigen Ateliers<br />
in einem Gewerbegebiet und ein bunt dekoriertes Internat<br />
für auswärtige Studenten sollen ihre Arbeit weiterentwickeln,<br />
also Techniken und Formen der Wandmalerei.<br />
Ein von der Stadt herausgegebener Plan, der Circuit<br />
Lyon murs peints, hilft Stadtbesuchern, zwei Dutzend der<br />
interessantesten Wandgemälde zu finden. Drei Hausfassaden<br />
mit Interpretationen des Turmbaus zu Babel am Boulevard<br />
des Etats-Unis sind darunter, das Fresko „Shanghaï“ an<br />
einem Neubau um die Ecke zum 20. Jubiläum der Städtepartnerschaft<br />
von Lyon und Schanghai oder das achtstöckige<br />
Gemälde zur Stadtbibliothek mit Verweisen auf etwa 500<br />
Bücher von Autoren aus der Region.<br />
In der Soierie Saint-Georges, nicht weit von der Kathedrale,<br />
demonstriert der Kunsthandwerker Ludovic de la<br />
Calle fast vergessene traditionelle Handwerkstechniken in<br />
der einstigen Metropole der Weber und der Seidenmanufakturen.<br />
Auf seinem Webstuhl kombiniert er bis zu 4000<br />
Fäden zu einem hochwertigen Gewebe, das für den laufenden<br />
Meter einen Preis von 2000 Euro erreichen kann, wenn<br />
darin auch Gold verarbeitet wird. Jahrhundertelang war<br />
Lyon eine Hochburg der Seidenweber, der canuts. Mit<br />
ihren Jacquard-Webstühlen verarbeiteten sie vor allem im<br />
Viertel Croix-Rousse die Seide zu edlen Stoffen.<br />
Aus Platzmangel baute man schon früh mehrstöckige<br />
Häuser mit Hinterhöfen. Sie waren von versteckten Gängen<br />
durchzogen, den traboules, die mehrere Innenhöfe miteinander<br />
verbanden. Die meisten existieren noch heute. Sie<br />
führen durch Treppenhäuser und dämmerige Passagen, bis<br />
man plötzlich an einer anderen Straße der Altstadt wieder<br />
aus einem Hauseingang tritt. Während der deutschen Besatzung<br />
im Zweiten Weltkrieg waren die traboules beliebte<br />
Fluchtwege der Résistance-Kämpfer. Inzwischen ist das<br />
Quartier, das Besucher auch in geführten Stadttouren erkunden<br />
können, mit Theatern, Cafés und Bars ein beliebtes<br />
Ausgehviertel – nicht nur bei den Studenten in der Stadt,<br />
die fast ein Viertel der Bevölkerung ausmachen.<br />
„Die Mauer der Canuts“ zeigt diesen Wandel von<br />
Croix-Rousse. Passanten bleiben fasziniert stehen, wenn sie<br />
auf den kleinen Platz einbiegen und das riesige Gemälde<br />
erblicken. Es wurde perspektivisch verblüffend auf eine<br />
1200 Quadratmeter große, plane Hausfassade gemalt und<br />
zeigt die lebhafte Szenerie der Nachbarschaft wie in einem<br />
gigantischen Spiegel. Halim Bensaïd erzählt, die Künstler<br />
von „Cité Création“ hätten das Wandgemälde schon dreimal<br />
erneuert, um die Veränderungen im Stadtviertel aufzugreifen<br />
und das Altern der porträtierten Bewohner zu berücksichtigen.<br />
Der zuletzt aufgemalte Geldautomat einer<br />
Bankfiliale entpuppte sich für Kunden schon öfter erst<br />
beim Nähertreten als Illusion.<br />
„Unsere Kunst lebt zunächst vom ersten Eindruck, aber<br />
nur kurzfristige Effekte oder eine Postkartenidylle streben<br />
wir nicht an“, sagt Halim Bensaïd. „Uns ist klar, dass<br />
Wandgemälde im öffentlichen Raum gleichzeitig eine