12/2016 - 01/2017
Fritz + Fränzi
Fritz + Fränzi
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Fr. 7.50 <strong>12</strong>/Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> 1/Januar 2<strong>01</strong>7<br />
Fabian Grolimund<br />
Mein Kind ist<br />
ein Angeber<br />
Léni will leben<br />
Eine Mutter kämpft<br />
um das Leben ihrer<br />
krebskranken Tochter<br />
Was Eltern<br />
wissen müssen<br />
Sexualität
KATZE BOOTSIE<br />
Sie hat Sensoren am ganzen Körper, so dass<br />
sie auf Berührung und Interaktion reagiert.<br />
Inkl. Batterien. Ab 4 J. P0-38581<strong>12</strong>5<br />
69.90<br />
YOYO PANDA<br />
Flauschiges Plüschtier, mit verschiedenen<br />
Funktionen. Inkl. Batterien. Ab 3 J.<br />
P0-38573<strong>01</strong>5<br />
69.90<br />
HIT<br />
69.90<br />
PENGUALAS & DRAGGLES<br />
Magische Wesen, die ganz von allein aus ihrem Ei<br />
schlüpfen. Inkl. Batterien. Ab 5 J. P0-385857<strong>01</strong>/02<br />
je 69.90<br />
TORCH – MEIN KLEINER DRACHE<br />
Feuer spucken wie ein grosser Drache, das möchte<br />
Torch auch können. Ab 4 J. P0-38581131<br />
119.–<br />
MY DREAM PUPPY<br />
Wie ein richtiger Hund, schliesst und öffnet<br />
die Augen, bewegt den Kopf und macht viele<br />
Geräusche. Inkl. Batterien. Ab 5 J. P0-385858<strong>01</strong><br />
99.–<br />
MARTINA – DIE KLEINE SCHILDKRÖTE<br />
Martina ist deine neue interaktive Freundin aus dem<br />
Meer. Inkl. Batterien. Ab 18 Mt. P0-38573<strong>01</strong>0<br />
34.90
Editorial<br />
20<strong>01</strong> – <strong>2<strong>01</strong>6</strong><br />
Liebe Leserin, lieber Leser<br />
Wussten Sie, dass das Heft, das Sie gerade in den Händen halten,<br />
ursprünglich ganz anders heissen sollte? Auf der Suche nach<br />
einem knackigen Namen liessen sich die Gründerinnen vom<br />
Zürcher Werber Hermann Strittmatter beraten. «Ihr wollt mit<br />
dem Heft Eltern helfen, deren Kinder frech sind und Probleme<br />
machen?», fragte er. «Dann nennt es doch auch so: der Saugoof.»<br />
September 20<strong>01</strong><br />
Bild: Geri Born<br />
Nik Niethammer<br />
Chefredaktor<br />
Heute, 15 Jahre später, ist das Schweizer ElternMagazin der führende<br />
Elternratgeber der Schweiz. Mit dem Projekt Fritz+Fränzi<br />
ist ein Name eng verbunden: Ellen Ringier. Geprägt vom Satz<br />
ihres Grossvaters: «Im Leben geht es immer darum, anderen<br />
Menschen eine Chance zu geben», verspürte die Tochter eines<br />
Luzerner Pelzhändlers schon früh den Wunsch, Gutes zu tun.<br />
Nach dem Jusstudium und Wanderjahren in Deutschland gründete<br />
Ellen Ringier am 27. März 20<strong>01</strong> die Stiftung Elternsein. Die erste<br />
Ausgabe von Fritz+Fränzi erschien sechs Monate später. «Mein<br />
gedrucktes Sozialprojekt war ein Kraftakt gegen viele Widerstände»,<br />
erinnert sich die Ehefrau von Verleger Michael Ringier. «Mein<br />
Mann meinte, er wisse besser, wie man mit Zeitschriftenlancierungen<br />
Geld verliert.»<br />
Dezember 2005<br />
«Ellen Ringier öffnet uns die Augen<br />
für die Anliegen der Eltern – mit<br />
der Stiftung Elternsein und mit dem<br />
Magazin «Fritz+Fränzi». Ebenso<br />
thematisiert sie mit grossem Einsatz<br />
die Facetten von Jugendlichen,<br />
Grosseltern und Schulen – faktenorientiert<br />
und ohne Tabus. Dafür<br />
verdient sie meine Anerkennung<br />
und meinen aufrichtigen Dank.»<br />
Doris Leuthard, Bundesrätin<br />
Wer ältere Ausgaben durchblättert, stellt fest: Viele Themen sind<br />
heute dieselben: psychische Störungen, Jugendsuizid, pubertierende<br />
Jugendliche, gestresste Eltern. Auch<br />
der Stiftungszweck ist unverändert:<br />
Wir wollen mit unserem Ratgeber<br />
Eltern unterstützen und begleiten in<br />
guten wie in schwierigen Zeiten.<br />
Am 7. Dezember feiert Ellen Ringier<br />
ihren 65. Geburtstag. Meine Kollegin<br />
Evelin Hartmann und ich haben die<br />
Jubilarin zum Interview getroffen.<br />
Während zwei Stunden erzählte die<br />
ehemalige Spitzenkletterin aus ihrem<br />
bewegten Leben, schwärmte von ihren<br />
Enkelkindern und verriet, was sie<br />
immer noch antreibt. Am Ende – wir<br />
waren etwas eingeräuchert, die zweifache Mutter und Grossmutter<br />
ist leidenschaftliche Raucherin – äusserte sie ihren Herzenswunsch.<br />
Aber lesen Sie selbst.<br />
Ellen Ringier: «Disziplin war alles. Und Sport» – ab Seite 36.<br />
Februar 2007<br />
Oktober 2009<br />
Ich wünsche Ihnen wie immer viel Lesevergnügen mit dieser<br />
Doppelnummer. Die nächste Ausgabe erscheint am<br />
7. Februar 2<strong>01</strong>7. Bleiben Sie uns treu – folgen Sie uns auf<br />
www.fritzundfraenzi.ch.<br />
Herzlichst, Ihr Nik Niethammer<br />
September <strong>2<strong>01</strong>6</strong><br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>73
Inhalt<br />
Ausgabe <strong>12</strong> / Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> 1 / Januar 2<strong>01</strong>7<br />
Viele nützliche Informationen finden Sie auch auf<br />
fritzundfraenzi.ch und<br />
facebook.com/fritzundfraenzi.<br />
Augmented Reality<br />
Dieses Zeichen im Heft bedeutet, dass Sie digitalen Mehrwert<br />
erhalten. Scannen Sie mit der Fritz+Fränzi-App die Seite mit<br />
dem ar-Logo.<br />
Psychologie & Gesellschaft<br />
44 Scheidungskinder<br />
Wenn Eltern sich trennen, bricht für<br />
die Kinder eine Welt zusammen. Was<br />
Mütter und Väter beachten sollten.<br />
48 Mit Geld richtig umgehen<br />
Wer früh lernt, wie viel Dinge kosten,<br />
hat es später leichter. Deshalb ist das<br />
eigene Taschengeld so wichtig.<br />
50 Regenbogenfamilien<br />
Wie erfüllen sich homosexuelle Paare<br />
ihren Kinderwunsch? Und wie lebt es<br />
sich in diesen Familien?<br />
10<br />
Dossier: Sexualität<br />
10 Die Lust erwacht<br />
Wenn die Kinder ihren eigenen Körper<br />
entdecken, wissen viele Eltern nicht, wie<br />
sie damit umgehen sollen. Experten raten<br />
zu Offenheit in Sexfragen.<br />
24 Sex, wo bist du?<br />
Werden aus einem Paar Eltern, herrscht<br />
meist Flaute im Bett. Woran liegt das?<br />
Fünf Paare berichten, offen und ehrlich.<br />
Bild: André Schuster / plainpicture<br />
30 Zurück zur Leidenschaft<br />
Mangelnder Sex wird früher oder später<br />
zum Problem. Wie man das löst, verrät<br />
die Sexualberaterin Diane Richardson im<br />
Interview.<br />
Cover<br />
Wenn bei Teenagern<br />
die Sexualität<br />
erwacht – und wie<br />
bei Erwachsenen die<br />
Lust nicht einschläft:<br />
davon handelt unser<br />
Dezember-Dossier.<br />
Bilder: Sian Davey, Maurice Haas, / 13 Photo, Roshan Adhihetty / 13 Photo, Charlotte Schreiber<br />
4
36<br />
50<br />
72<br />
Ein bewegtes Leben: Wie wird man solch ein<br />
engagierter Mensch, Ellen Ringier?<br />
Wie geht es Kindern in Regenbogenfamilien?<br />
Gut, sagen Forscher in einer neuen Studie.<br />
Den Krebs besiegt: Léni (r.) mit ihrer<br />
Zwillingsschwester Finnja.<br />
Erziehung & Schule<br />
56 Die Sache mit der Erziehung<br />
Tagtäglich mit Kindern richtig<br />
umzugehen, ist nicht einfach. Die<br />
Pädagogik kann uns dabei helfen.<br />
58 Komm, tanz mit mir!<br />
Musik und Bewegung gehören<br />
zusammen. Gerade Kinder empfinden<br />
dabei pures Glück.<br />
62 «Liebes Christkind ...»<br />
Warum Kinder ihren Wunschzettel<br />
selbst schreiben sollten.<br />
66 Teenager im Kaufrausch<br />
Wer sein erstes eigenes Geld<br />
verdient, möchte sich Wünsche<br />
erfüllen. Das kann teuer werden.<br />
72 Léni will leben<br />
Wenn das eigene Kind an Krebs<br />
erkrankt, steht das Leben still.<br />
Eine Mutter berichtet von dem<br />
Unvorstellbaren.<br />
Ernährung & Gesundheit<br />
82 Heuschnupfen und Co.<br />
Allergien schränken das Leben ein.<br />
Wie sie entstehen und was man<br />
vorbeugend tun kann.<br />
86 Super, Suppe!<br />
Sie sind gesund und wärmen<br />
uns, wenns draussen kalt wird.<br />
Digital & Medial<br />
88 Gefahr Smartphone?<br />
Acht Elternsorgen rund um<br />
die Mediennutzung – und<br />
was wirklich dran ist.<br />
91 Mixed Media<br />
92 Teenager und Medien<br />
Die neue JAMES-Studie ist<br />
da – mit überraschenden<br />
Erkenntnissen.<br />
Rubriken<br />
03 Editorial<br />
06 Entdecken<br />
36 Monatsinterview<br />
Schon als Kind wollte Ellen Ringier<br />
Gutes tun. Am 7. Dezember wird die<br />
Präsidentin der Stiftung Elternsein 65.<br />
42 Mikael Krogerus<br />
Unser Kolumnist über die Filme<br />
seines Lebens.<br />
54 Jesper Juul<br />
Mit Kindern über den Tod zu<br />
sprechen, ist nicht immer leicht –<br />
aber wichtig.<br />
64 Fabian Grolimund<br />
gibt Tipps, wie Eltern mit kleinen<br />
Angebern umgehen sollten.<br />
68 Leserbriefe<br />
Service<br />
71 Verlosung<br />
85 Abo<br />
94 Unser Wochenende …<br />
… in Basel.<br />
96 Impressum/Sponsoren<br />
97 Buchtipps<br />
98 Eine Frage – drei Meinungen<br />
«Mama, wie gross wird mein<br />
Schnäbi?» Was soll eine Mutter<br />
darauf antworten?<br />
Die nächste Ausgabe erscheint<br />
am 7. Februar 2<strong>01</strong>7.<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>75
Entdecken<br />
3 FRAGEN<br />
Mein Kind lügt nicht!<br />
Wirklich?<br />
Kanadische Psychologen zeigten<br />
kürzlich, dass sich Eltern bei der<br />
Wahrheitsliebe ihrer eigenen Kinder<br />
ordentlich etwas vormachen. In<br />
einem Experiment sahen Eltern<br />
Videos an, auf denen ihre acht- bis<br />
sechzehnjährigen Kinder behaupteten,<br />
einen Test ehrlich gelöst und<br />
nicht heimlich die Antworten nachgeschlagen<br />
zu haben. Diesen bekamen<br />
die Eltern und völlig fremde<br />
Erwachsene zu sehen. Während die<br />
unvoreingenommenen Fremden in<br />
vier von zehn Fällen eine Flunkerei<br />
auch richtig als solche erkannten,<br />
lagen die eigenen Eltern erschreckend<br />
häufig daneben.<br />
an Catherine Abbühl, Leiterin Rauchstopplinie, Krebsliga Schweiz<br />
«Ich möchte nicht, dass du rauchst!»<br />
Mit dem Rauchen aufzuhören, ist alles andere als leicht. Bei der<br />
Rauchstopplinie der Krebsliga Schweiz werden Menschen unterstützt, die<br />
sich das zum Ziel gesetzt haben. Catherine Abbühl leitet diese Hotline.<br />
Interview: Evelin Hartmann<br />
Frau Abbühl, viele Raucher wollen rauchfrei werden, wenn sie Eltern<br />
werden. Warum schafft das aber nicht jeder?<br />
Weil Rauchen eine Sucht ist und der Familienalltag zumindest in den ersten<br />
Jahren sehr fordernd ist. Man hat weniger Zeit, auf sich zu achten, Sport zu<br />
treiben. Und gerade junge Mütter berichten davon, dass sie die fünf bis<br />
zehn Minuten, in denen sie eine Zigarette rauchen, als die einzige Zeit des<br />
Tages wahrnehmen, die sie nur für sich haben.<br />
Und trotzdem wäre ein Rauchstopp wichtig.<br />
Kinder rauchen passiv mit, vor allem, wenn in ihrer Nähe geraucht wird.<br />
Ausserdem sind Eltern die Vorbilder ihrer Kinder. Aber auch Raucher<br />
können vor ihren Kindern klar Stellung gegen das Rauchen beziehen und<br />
sagen: «Ich bin süchtig, aber ich möchte nicht, dass du rauchst!»<br />
Wie können Sie einem Anrufer bei der Rauchstopplinie helfen?<br />
Zuerst definieren wir gemeinsam das Ziel. Das lautet in der Regel rauchfrei<br />
werden. Dann schauen wir uns seine Rauchergeschichte und die aktuelle<br />
Lebenssituation an, um daraus die passende Strategie ableiten zu können.<br />
Begleitend bieten wir auf Wunsch ein Coaching an. Die Nummer der<br />
Rauchstopplinie, 0848 000 181, steht auf jeder Zigarettenpackung.<br />
Alle Infos auf www.rauchstopplinie.ch<br />
21 Jahre, erst dann sind wir ganz erwachsen.<br />
Noch bei 18- bis 20-Jährigen brennen in<br />
emotionalen Ausnahmesituationen leichter die geistigen<br />
Sicherungen durch. Möglicherweise seien für die<br />
Emotionsverarbeitung notwendige Schaltkreise im Hirn mit<br />
18 noch nicht vollständig ausgereift, sagen US-Forscher.<br />
Die Stadt entdecken<br />
Steht bei Ihnen bald eine Städtereise an? Dann haben wir einen<br />
Tipp für Sie: Die knautschbaren Stadtkarten von Crumpled City<br />
Maps. Die können einfach nach Gebrauch zerknüllt, in der<br />
Jackentasche verstaut – und an der nächsten Strassenecke<br />
wieder hervorgekramt werden. Perfekt für Kinderhände! Die<br />
Crumpled City Maps sind nämlich aus reissfestem Papier und<br />
wasserfest. Die Knüllkarten gibt es<br />
mittlerweile für 30 Städte, darunter<br />
Zürich, Mailand, Hamburg und Paris, und<br />
auch als bunte Kinderversionen mit<br />
tollen Illustrationen und interessanten<br />
Besichtigungs-Highlights aus Kindersicht.<br />
Zu bestellen auf: www.palomarweb.com<br />
> web > shop<br />
Bilder: Bubbles Photolibrary / Alamy Stock Photo<br />
6 Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>7 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Rubrik<br />
Mimo verlost eine Fahrt<br />
mit Schlittenhunden für<br />
die ganze Familie.<br />
Jetzt Mimos<br />
Gutenachtgeschichten-<br />
App downloaden<br />
und am Wettbewerb<br />
teilnehmen<br />
Teilnahmeschluss:<br />
31. Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong><br />
Lesen Sie die neuen, spannenden<br />
Abenteuer vom knuddeligen Bären und<br />
gewinnen Sie mit etwas Glück eine<br />
Fahrt mit Schlittenhunden für die<br />
ganze Familie. mobiliar.ch/mimo-app<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Jetzt App kostenlos<br />
downloaden und<br />
Mimo kennenlernen<br />
Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>77
Entdecken<br />
Freiheit für Quirli<br />
Bis zum Mond und zurück Kinder fliegen wie ein Vogel oder reisen als Astronaut<br />
zum Mond. In ihrer Fantasie. Dass diese imaginären Abenteuer förderlich für ihre geistige<br />
Entwicklung sind, belegten nun Forscher der US-Universität von Alabama. Über fünf Wochen hinweg<br />
beobachteten die Forscher 110 Kinder im Alter von drei bis fünf Jahren, wovon 39 gezielt<br />
ermutigt wurden, sich regelmäs sig ins Als-ob-Spiel zu stürzen. Am Ende zeigte sich, dass diejenigen,<br />
die im Geist zum Mond geflogen waren, bei den anschliessend gestellten Aufgaben die meisten<br />
Lernerfolge erzielt hatten. Die Erklärung: Die Fantasievollen trainieren spielerisch die sogenannten<br />
exekutiven Funktionen, wie zum Beispiel ihre geistige Flexibilität. Sie wechseln ständig<br />
zwischen Wirklichkeit und Einbildung hin und her. Und das ist gar nicht so leicht.<br />
Quirlis Leben scheint vorbestimmt.<br />
Auf der Wetterfroschstation,<br />
auf der der kleine<br />
Frosch geboren wurde, wird<br />
ihm beigebracht, den Wechsel<br />
zwischen Regen und Sonne<br />
anzuzeigen. Aber Quirli ist einsam<br />
und unglücklich in seinem<br />
engen Glas. Da erzählt ihm sein<br />
Urgrossvater von einem schönen<br />
Teich, in dem alle Frösche<br />
frei herumschwimmen können<br />
… Ein schönes Kinderbuch<br />
über den Mut, zu sich selbst zu<br />
stehen und sein Leben in die<br />
Hand zu nehmen.<br />
Claudia Gross: Quirli – der<br />
Wetterfrosch. JuLa Verlag, <strong>2<strong>01</strong>6</strong>,<br />
Fr. 21.50, www.quirli.ch<br />
Ein wichtiger Schritt in der<br />
Angstbewältigung besteht<br />
darin, die Kontrolle über die<br />
Angst zu gewinnen. Eltern<br />
können mit ihrem Kind dem<br />
Angstauslöser einen Ort<br />
und eine Zeit zuweisen, sodass<br />
sich ihr Kind als «Chef»<br />
der Angst sehen kann.<br />
Kurt Albermann in einem Bericht des Beobachters<br />
über Kinderängste<br />
Dr. med. Kurt Albermann,<br />
Chefarzt am<br />
Sozialpädiatrischen<br />
Zentrum SPZ des<br />
Kantonsspitals Winterthur<br />
Auf in die Box!<br />
«Was raschelt denn da?» «Wo?» «Na da, gleich hier<br />
vorne.» Die Familienoper «Hänsel und Gretel» ist<br />
die erste Produktion des Musiktheaters in der<br />
neuen Box des Luzerner Theaters. Hier sind kleine<br />
und grosse Zuschauer ganz nah dran, wenn der<br />
Raum sich verwandelt: vom Zuhause, in dem<br />
gemeinsam gebacken, gebastelt und gesungen<br />
wird, in einen dunklen Wald. Engelbert Humperdinck<br />
schrieb keine reine Kinderoper, sondern blieb<br />
seinem Vorbild Richard Wagner treu und verband<br />
volksliedhafte Passagen mit spätromantischem<br />
Klangreichtum. Eine Stunde dauert diese bezaubernde<br />
Kinderoper im neuen, originellen Spielort<br />
zwischen Bühne und Jesuitenkirche. Hänsel und<br />
Gretel, ab 6 Jahren, am 21., 28., 30. Dezember<br />
<strong>2<strong>01</strong>6</strong>, 3. und 7. Januar 2<strong>01</strong>7, jeweils um 15 Uhr.<br />
Alle Infos auf www.luzernertheater.ch<br />
Bilder: iStockphoto, ZVG<br />
8 Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>7 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
ZÜRICH, BAHNHOFSTRASSE 50<br />
JELMOLI – THE HOUSE OF BRANDS, BAHNHOFSTRASSE<br />
BUCHERER.COM<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
EINZIGARTIG WIE IHRE EMOTIONEN – SEIT 1888<br />
Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>79<br />
UHREN SCHMUCK JUWELEN
Dossier<br />
Bild: Linnea Larsson / plainpicture<br />
10 Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>7 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Dossier<br />
Wenn die<br />
Sexualität<br />
erwacht<br />
Erforschen Kinder die Welt, gehört der eigene Körper dazu. Doch<br />
viele Eltern wissen nicht, wie sie der erwachenden Sexualität<br />
ihrer Kinder begegnen sollen. Keinesfalls mit Schweigen, raten<br />
Experten. Ein entspannter Umgang mit Sex und eine frühe<br />
Aufklärung begünstigen die körperliche Entwicklung der Kinder.<br />
Text: Claudia Marinka und Claudia Landolt<br />
Bilder: Linnea Larsson, Sian Davey, Ruth Erdt<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>711
Dossier<br />
Die Bilder zu diesem Dossier stammen von<br />
den Fotografinnen Sian Davey und Ruth Erdt.<br />
Die Britin Sian Davey führte während<br />
15 Jahren eine Psychotherapiepraxis, seit<br />
2<strong>01</strong>4 arbeitet sie als Fotografin. Ruth Erdts<br />
bekannteste Fotoarbeiten sind «The Gang»<br />
und «Die Lügnerin». Für Fritz+Fränzi<br />
fotografierte die Zürcherin bereits das<br />
Dossier «Pubertät» (9/2<strong>01</strong>5).<br />
Beni und Max, beide fünf<br />
Jahre alt, haben sich<br />
zum Spielen in Max’<br />
Zimmer zurückgezogen.<br />
Eine Weile lang<br />
sind die üblichen Geräusche zu<br />
hören – Dinge, die zu Boden fallen,<br />
Gekreisch und Geschimpfe. Irgendwann<br />
ist es plötzlich still. Zu still,<br />
findet die Mutter, und horcht an der<br />
Kinderzimmertür. Sie hört ein<br />
Rascheln und viel, viel Kichern. Ein<br />
paar Minuten später kommen die<br />
beiden Freunde heraus, die T-Shirts<br />
vertauscht und die Köpfe hochrot.<br />
Am Abend fragt Mama ihren Sohn,<br />
was er denn mit seinem Freund so<br />
Lustiges gespielt habe. «Abzoge und<br />
glueget!», sagt Max strahlend.<br />
Tim ist dreizehn Jahre alt. Auf<br />
seiner Oberlippe spriesst ein zarter<br />
Flaum, auf seiner Stirn machen sich<br />
erste Pickel bemerkbar. Seit Kurzem<br />
besitzt er ein ausgeprägtes Schamgefühl.<br />
Umziehen will er sich nur noch<br />
hinter verschlossener Tür, nicht einmal<br />
sein ein Jahr jüngerer Bruder<br />
darf zuschauen. Er verbringt viel<br />
Zeit mit seinen Kollegen, zusammen<br />
gucken sie Videos und Filme – darunter<br />
auch solche mit Sexszenen.<br />
Küssen ist in seiner Klasse ein Thema.<br />
Bei ihm noch nicht. «Richtig»<br />
geküsst hat Tim noch nie – «isch<br />
gruusig!».<br />
Anders sein bester Freund Dan.<br />
Dieser hat einen vier Jahre älteren<br />
Bruder, der gerade sein erstes Mal<br />
hinter sich hat. Er ist es, der Dan in<br />
die Geheimnisse der Sexualität einweiht.<br />
Die beiden reden viel zusammen.<br />
Und Dan hat viele Fragen: «Ist<br />
es strafbar, wenn ich Pornos schaue?<br />
Wie lange muss ein Penis sein? Tut<br />
es weh beim ersten Mal?»<br />
Eltern spielen eine wichtige Rolle<br />
Fragen, die <strong>12</strong>- bis 16-jährige<br />
Jugendliche bewegen. Es sind dieselben<br />
Fragen, die schon die Generation<br />
ihrer Eltern interessiert hat.<br />
«Kindern und Jugendlichen stehen<br />
heute viele Kanäle zur Verfügung,<br />
um sich zu informieren», sagt Beatrix<br />
Wagner Minder, Beraterin bei<br />
der Elternberatung von Pro Juventute.<br />
«Themen wie Liebe und Sexualität<br />
beschäftigen fast alle Teenager.<br />
Entsprechend viele Diskussionen<br />
und Informationen finden sich im<br />
Internet.»<br />
Sexualaufklärung ist mehr als<br />
Biologie, sagen Fachleute. Das sehen<br />
Eltern nicht immer so. Für viele stehen<br />
Fragen rund um die erwachende<br />
Sexualität ihrer Kinder – Doktorspiele,<br />
Körperbewusstsein, Videos<br />
– im Vordergrund. Die kindliche<br />
Sexualität selbst tritt in den Hintergrund.<br />
Wenn Mädchen lustvoll auf Stühlen<br />
und Treppengeländern rutschen,<br />
Jungs die Hand am Hosenschlitz<br />
haben oder plötzlich stundenlang<br />
duschen, sind Mama und Papa oft<br />
irritiert. Warum? Weil die<br />
Sexualaufklärung ist mehr<br />
als Biologie, sagen<br />
Fachleute. Das sehen Eltern<br />
nicht immer so. >>><br />
Bild: Sian Davey<br />
<strong>12</strong>
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>713
Dossier<br />
14 Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>7 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Dossier<br />
Eltern klären ihre Kinder so<br />
auf, wie sie selber aufgeklärt<br />
wurden. Die Themen sind<br />
heute dieselben wie früher.<br />
>>> eigenen Bilder und Vorstellungen<br />
von Sex nicht zu Kindern<br />
passen oder passen dürfen. Kindliche<br />
Lust und Sexualität sind grosse<br />
Tabus. Wie ein gesunder Umgang<br />
damit aussieht, wissen Eltern oft<br />
nicht. Doch gerade Eltern kommt<br />
beim Aufblühen kindlicher Sexualität<br />
eine wichtige Funktion zu.<br />
Zu diesem Schluss kommt die<br />
neuste Studie «Wahrnehmung, Deutung<br />
und Praxis der Sexualaufklärung<br />
im informellen Umfeld» der<br />
«Schweizerischen Stiftung für sexuelle<br />
und reproduktive Gesundheit».<br />
Die Studie wurde bei 27 Eltern und<br />
70 Jugendlichen in den drei Sprachregionen<br />
durchgeführt. Sie zeigt,<br />
dass Eltern ihre Kinder tendenziell<br />
so aufklären, wie sie selber aufgeklärt<br />
wurden. Die Themen sind dieselben<br />
wie damals: Verhütung, Fortpflanzung,<br />
Partnerschaft.<br />
Augenfällig sei dabei das Problem<br />
des Aneinandervorbeiredens<br />
zwischen Eltern und Kindern im<br />
familiären Umfeld, sagen die Verfasserinnen<br />
Manuela Käppeli, Vanessa<br />
Fargnoli und Maryvonne Charmillot.<br />
«Eltern glauben, sie wüssten,<br />
welche Kenntnisse ihre Kinder<br />
besitzen. Die Teenager nehmen dies<br />
aber anders wahr und spüren einen<br />
Graben zwischen sich und den<br />
Eltern.»<br />
Bild: Sian Davey<br />
Grosses Interesse der Teenager<br />
Kinder und Jugendliche interessieren<br />
sich für Sex. Wie stark das Interesse<br />
an schulergänzenden Aufklärungsangeboten<br />
ist, zeigt sich >>><br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>715
Dossier<br />
Sexuelle Handlungen von<br />
Erwachsenen (ab 16 Jahren)<br />
mit Kindern (unter 16 Jahren)<br />
sind per Gesetz verboten.<br />
>>> in der neusten, noch unveröffentlichten<br />
Umfrage von «Lust und<br />
Frust», der Fachstelle für Sexual pädagogik<br />
Zürich. An der Umfrage<br />
haben über 1000 Schüler teilgenommen.<br />
Demnach sind 89 Prozent mit<br />
dem (die schulische Aufklärung)<br />
ergänzenden Angebot «zufrieden»<br />
bis «sehr zufrieden». Die Altersgruppe<br />
der <strong>12</strong>- bis 14-Jährigen interessierte<br />
sich besonders für konkrete<br />
Fragen: «Ist das Kondom sicher<br />
genug oder muss ich auch die Pille<br />
nehmen? Warum werden aus Jungs<br />
Machos? Ist es normal, wenn ich<br />
blasen grusig finde?»<br />
«Die Jugendlichen schätzen an<br />
unserem Angebot besonders, dass<br />
sie ihre Fragen an onym stellen können<br />
und diese dann in geschlechtergetrennten<br />
Runden thematisiert<br />
werden», sagt Lilo Gander, Fachperson<br />
sexuelle Gesundheit in Bildung<br />
und Beratung bei «Lust und Frust».<br />
Knapp 80 Einsätze führt die Fachstelle<br />
jährlich durch. Für das laufende<br />
Schuljahr sei man längst ausgebucht.<br />
«Die Nachfrage ist viel höher<br />
als unser Angebot», sagt Gander.<br />
Von über 100 Anfragen konnte man<br />
bloss 78 berücksichtigen.<br />
«Die Jugendlichen verifizieren<br />
ihre Informationen selber. Sie wollen<br />
prüfen, ob das richtig oder falsch<br />
ist, was sie gehört oder gelesen<br />
haben», sagt Lilo Gander. Beispiel<br />
Pornos: Wenn man Jungs danach<br />
frage, ob Sex genau so funktioniere,<br />
verneinen sie und sagen, vieles sei<br />
gespielt. «Entgegen der Annahme<br />
von Erwachsenen können die<br />
Jugendlichen Fiktion und Wirklichkeit<br />
gut abstrahieren», sagt Gander.<br />
Die Fachfrau ist überzeugt: «Die<br />
Jugendlichen von heute sind gut aufgeklärt.»<br />
Die Schweiz weist europaweit<br />
eine der tiefsten Raten von Teenagerschwangerschaften<br />
aus, also<br />
ungewollte Schwangerschaften von<br />
unter 18-Jährigen. Gander: «Das hat<br />
auch damit zu tun, dass sich Jugendliche<br />
heute auf verschiedenen Kanälen<br />
über Sexualität informieren können.»<br />
Aufklärung schon ab Geburt<br />
Aufklärung kann nicht früh genug<br />
beginnen, sagen Fachleute. Sie plädieren<br />
für eine «Aufklärung ab<br />
Geburt». Nähe, Liebe, Körperkontakt<br />
– Bezugspersonen tragen entscheidend<br />
dazu bei, dass sich ein Kind im<br />
eigenen Körper wohlfühlt und entsprechend<br />
Grenzen setzt, >>><br />
Das Schutzalter –<br />
das sagt das Gesetz<br />
Sexuelle Handlungen von Erwachsenen<br />
(ab 16 Jahren) mit Kindern<br />
und Jugendlichen unter 16 Jahren<br />
sind verboten. Beträgt der Altersunterschied<br />
zwischen Jugendlichen<br />
jedoch weniger als 3 Jahre, ist die<br />
sexuelle Handlung nicht strafbar.<br />
So darf ein 17-Jähriger mit seiner<br />
15 Jahre alten Freundin schlafen,<br />
nicht jedoch eine 18-Jährige mit<br />
ihrem 14-jährigen Freund. Auch<br />
die Eltern tragen Verantwortung:<br />
Wenn sie von unerlaubten sexuellen<br />
Handlungen wissen, machen sie<br />
sich ebenfalls strafbar. Für Abhängigkeitsverhältnisse<br />
gilt ein Schutzalter<br />
von 18 Jahren. Das heisst,<br />
dass Lehrpersonen, Trainer/innen,<br />
Jugendarbeiter/innen oder auch<br />
Eltern keine Liebesbeziehung mit<br />
unter 18-Jährigen eingehen dürfen.<br />
Bild: Ruth Erdt<br />
16
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>717
Dossier<br />
«Eltern, bleibt<br />
gelassen!»<br />
Wenn Kinder ihre Sexualität<br />
entdecken, stehen Eltern vor der<br />
Frage: Wie konkret dürfen wir bei der<br />
Aufklärung werden? Sexualpädagoge<br />
Bruno Wermuth über letzte<br />
Geheimnisse und Antworten auf<br />
schwierige Fragen.<br />
Interview: Claudia Marinka<br />
Herr Wermuth, wie werden Jugendliche<br />
heute aufgeklärt?<br />
Früher setzten sich Eltern mit ihrem Teenager<br />
an einen Tisch und lüfteten die letzten<br />
Geheimnisse der Sexualität. Heute besitzen<br />
bereits 10-Jährige ein Smartphone. Sie<br />
kommen schon vor der Pubertät mit vielen<br />
Aspekten der Sexualität in Berührung. Wir<br />
müssen davon ausgehen, dass sie im Netz<br />
Dinge sehen, die nicht für sie bestimmt sind.<br />
Es gibt also keine «letzten Geheimnisse»<br />
mehr?<br />
Mit 14 haben Jugendliche bereits ein Wissen,<br />
zu welchem Eltern oft nichts mehr beitragen<br />
können. Ich plädiere deshalb für eine kontinuierliche<br />
Aufklärung, die Teil der Erziehung<br />
ist und schrittweise im Entwicklungsverlauf<br />
eines Kindes entsteht.<br />
Warum tun sich viele Eltern schwer<br />
damit?<br />
Weil sie glauben, Kleinkinder interessierten<br />
sich nicht für Sexualität. Oder sie<br />
befürchten, damit schlafende Hunde zu<br />
wecken. Doch darum geht es nicht. Bereits<br />
Kleinkinder sollten einen entspannten<br />
Umgang mit ihrem Körper haben und diesen<br />
als etwas Schützens- und Liebenswertes<br />
erachten. Genau daraus entsteht die Möglichkeit,<br />
sich abzugrenzen. Was man schätzt,<br />
schützt man auch.<br />
Wie meinen Sie das konkret?<br />
Man muss Jungs beispielsweise begreifbar<br />
machen, dass ihr Genital nicht nur zum<br />
Pinkeln da ist, sondern eben auch für angenehme<br />
Empfindungen sorgt. Schon Säuglinge<br />
haben Hauthunger. Dieser darf und<br />
muss befriedigt werden – beispielsweise<br />
durch körperliche Zuwendung der Eltern.<br />
Und später durch Doktorspiele. Man muss<br />
als Eltern das Thema Sexualität auf den<br />
verschiedensten Entwicklungs- und Altersstufen<br />
immer wieder neu interpretieren.<br />
Wie soll man die Geschlechtsteile den<br />
Kindern gegenüber benennen?<br />
Penis ist für uns ein Fremdwort. Wir reden<br />
im Alltag ja auch nicht Latein, warum sollten<br />
wir es beim Benennen von Geschlechtsorganen<br />
tun? Es ist legitim, jene Begriffe<br />
zu verwenden, die man selber als Kind<br />
gebraucht hat. Man sollte aber auch offen<br />
sein, wenn ein Kind mit anderen Begriffen<br />
nach Hause kommt. Es ist sein Recht, diese<br />
zu verwenden, auch wenn sie für die Eltern<br />
gewöhnungsbedürftig sind. Spricht das<br />
Kind von «Ficken», sollte man gelassen<br />
reagieren und nachfragen, was es damit<br />
meint. Sexual entwicklung ist auch Sprachentwicklung.<br />
Nicht alles ist Provokation oder<br />
Verrohung.<br />
Wie sollen Eltern reagieren, wenn sie<br />
von ihrem Kind beim Sex überrascht<br />
werden?<br />
Kinder dürfen und sollen sehen können,<br />
dass sich die Eltern gern haben. Eltern<br />
sollen ihre Sexualität weiter pflegen, wenn<br />
sie Kinder haben. Platzt das Kind mitten<br />
18 Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>7 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Dossier<br />
>>> wenn es etwas nicht mag.<br />
«Wer sich sicher fühlt, geht auch<br />
selbstsicher mit der eigenen Sexualität<br />
um», sagt Lilo Gander.<br />
Im Grundsatz gilt: Die sexuelle<br />
Entwicklung von Kindern wird von<br />
Erfahrungen und Erlebnissen<br />
geprägt, die nicht im engeren Sinn<br />
sexuell sind. So umschreibt es Bernadette<br />
Schnider-Oester, Sexualpädagogin<br />
bei der Fachstelle «Berner<br />
Gesundheit»: «Damit Aufklärung in<br />
der Familie gelingen kann, müssen<br />
Eltern auf ihr Kind zugehen und<br />
nicht warten, bis das Kind Fragen<br />
stellt.» Es gelte, bewusst und nicht<br />
zu spät zu entscheiden, welche Aufgaben<br />
die Eltern selbst übernehmen<br />
möchten und welche sie mit gutem<br />
Gefühl der Schule, den Gleichaltrigen<br />
oder den Medien überlassen<br />
möchten.<br />
«Man darf kindliche Sexualität<br />
niemals durch die Brille der erwachsenen<br />
Sexualität sehen», sagt Ulrike<br />
Schmauch, Professorin für Sexualpädagogik<br />
an der Frankfurt University<br />
of Applied Science in einem<br />
Interview mit der «ZEIT». >>><br />
Wie geht Aufklärung?<br />
Eltern sollten auf ihr Kind<br />
zugehen und nicht warten,<br />
bis es selber Fragen stellt.<br />
Bild: Ruth Erdt<br />
im Liebesspiel ins Schlafzimmer, sollte<br />
man sofort aufhören und ruhig bleiben.<br />
Hat das Kind Fragen, muss man darauf eingehen.<br />
Wenn es beispielsweise wissen will,<br />
was Papa und Mama da gerade gemacht<br />
haben, kann man ihm erklären, dass sich<br />
beide sehr lieb gehabt haben und miteinander<br />
spielten. Kinder wollen meistens<br />
keine Details wissen, sondern über das<br />
reden, was sie erlebt haben und das ihnen<br />
vielleicht Angst macht – zum Beispiel das<br />
laute Stöhnen von Mama, während Papa sie<br />
«festgehalten» hat.<br />
Viele Eltern sind beim Thema Sexualität<br />
gehemmt.<br />
Wenn Eltern selber die Körperteile<br />
benennen, senden sie die Botschaft, dass<br />
man über solche Dinge reden kann. Viele<br />
Eltern vergessen leider, dass Schweigen<br />
auch eine Botschaft ist. Wer nicht gelernt<br />
hat, über sexuelle Dinge zu reden, leidet im<br />
Erwachsenenalter.<br />
Wann sollen Eltern ihre Kinder aufklären?<br />
Von Geburt an. Zentral ist, dass sie keine<br />
Abwehrhaltung haben gegenüber Themen,<br />
die Sexualität betreffen. Und dass sie Fragen<br />
der Kinder ernst nehmen. Die ehrliche<br />
Beantwortung dieser Fragen führt nicht<br />
dazu, dass die Kinder Sexmonster werden.<br />
Man muss Raum schaffen, um zu reden,<br />
und die Fragen über Sexualität als Beziehungsangebot<br />
sehen. Tragisch ist, wenn<br />
Eltern durch ihre abwehrende Haltung die<br />
Beziehung zum Kind verlieren. Man kann<br />
schon sagen: Über dieses Thema wollen<br />
wir nicht mehr reden oder jenes Verhalten<br />
wollen wir nicht mehr sehen. Aber man<br />
sollte sich nicht wundern, wenn das Kind<br />
sich dann anderswo informiert – bei Personen<br />
oder Quellen, die den Eltern möglicherweise<br />
missfallen.<br />
Welchen Fehler machen Eltern häufig?<br />
Es ist fatal, wenn Eltern den Kindern ihre<br />
eigene sexuelle Anschauung überzustülpen<br />
versuchen. Kinder können ja gar keine Perspektive<br />
einnehmen, die sich stark von der<br />
Perspektive der Eltern unterscheidet. Wenn<br />
Kinder mit ihrem Geschlechtsorgan spielen,<br />
bringen sie das nicht mit sexueller Befriedigung<br />
oder einem Orgasmus in Verbindung.<br />
Die Eltern aber schon. Eltern sollten sich<br />
bewusst sein, dass das, was sexuell ist, im<br />
Auge der betrachtenden Person liegt.<br />
Welche Rollen spielen Väter in der<br />
Aufklärung?<br />
Eine sehr grosse. Leider wird diese unterschätzt.<br />
Auch Männer sind explizit dazu eingeladen,<br />
ihre Kinder in die Arme zu nehmen.<br />
Sie sollen sich nicht einschüchtern lassen<br />
vom Verdacht der Pädophilie, der leider bei<br />
Männern, die liebevoll mit ihren Kindern<br />
umgehen, oft im Raum steht. Es ist schlimm,<br />
wenn ein Mann Angst hat, dass seine Partnerin<br />
einen liebevollen Austausch mit dem<br />
eigenen Kind gegen ihn verwenden könnte.<br />
Bruno Wermuth<br />
ist Sexualtherapeut und Sexualpädagoge<br />
mit eigener Praxis für systemische Einzel-,<br />
Paar- und Sexualberatung in Bern. Daneben<br />
führt er Bildungsveranstaltungen zu<br />
Sexualität und Sexualerziehung durch.<br />
www.brunowermuth.ch<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>719
Dossier<br />
Eltern tun gut daran, ihren Kindern<br />
zu vermitteln, dass Sexualität<br />
etwas Schönes ist. Und nicht in<br />
erster Linie etwas, das Sorgen bereitet.<br />
>>> Während Erwachsene auf der gen, die Erwachsene oft damit verbinden.<br />
Suche nach Lustgewinn stark auf<br />
den Orgasmus fixiert sind, unterscheiden<br />
Kinder – zumindest die<br />
jüngeren – nicht zwischen Zärtlichkeit,<br />
Sinnlichkeit und genitaler<br />
Sexualität. Sie nutzen einfach jede<br />
Gelegenheit, um mit allen Sinnen<br />
schöne Gefühle zu bekommen. Das<br />
Sexuelle ist dabei mehr auf sich<br />
bezogen, spontan und unabhängig<br />
von Liebe und anderen Vorstellun<br />
Eltern kennen das: Wenn Kinder<br />
etwas interessiert, fragen sie nach.<br />
Egal, um was es dabei geht: Die Frage,<br />
warum Frauen kein «Zipfeli»<br />
haben, interessiert sie ebenso wie die<br />
Entstehung von Nebel oder ob es<br />
Gott sei, der in der Kirche wohnt. Sie<br />
fragen, scherzen und provozieren –<br />
um herauszufinden, was sie zu wem<br />
wie sagen können. «Die sexuelle<br />
Neugier gehört zu einer gesunden<br />
Entwicklung», sagt Schmauch in der<br />
«ZEIT». Dabei müsse man Kinder<br />
nicht wie früher aktiv zu Doktorspielen<br />
anleiten, sondern «es ihnen<br />
Sexualität beginnt im Mutterleib<br />
Schon im Leib der Mutter haben männliche<br />
Föten gelegentlich Erektionen. Und direkt<br />
nach der Geburt, in den ersten 24 Stunden,<br />
reagieren viele Babys auch körperlich auf physische<br />
Reize wie die Wärme der Mutter oder die<br />
Stimulation der Lippen beim Stillen: Ihr Penis<br />
oder ihre Klitoris schwillt an. Säuglinge im Alter<br />
von drei bis vier Monaten lächeln, gurren oder<br />
zeigen sich anders freudig erregt, wenn sie<br />
sich stimulieren. Und ab zwei bis drei Jahren,<br />
wenn der Gang zum Töpfchen angesagt ist,<br />
interessieren sie sich auch, woher denn «Pipi»<br />
und «Gaggi» kommen, und thematisieren dies.<br />
In diesem Alter stellen sie auch explizite Fragen<br />
zum Thema Sex. Zwischen zwei und drei Jahren<br />
stellen sie Geschlechterunterschiede fest, es<br />
folgen Zuordnung und Sprachentwicklung.<br />
Ab acht Jahren stehen Fragen zur Entstehung<br />
einer Schwangerschaft, Empfängnis und Verhütung<br />
im Vordergrund. Mit neun bis elf Jahren<br />
verfügen Jugendliche über ein recht umfangreiches<br />
Wissen rund um das Thema Sexualität.<br />
einfach ermöglichen und entsprechende<br />
Rückzugsorte bieten».<br />
Die Möglichkeit, einen solchen<br />
Ort zu haben, ist enorm wichtig für<br />
die gesunde sexuelle Entwicklung.<br />
«Kinder brauchen Erwachsene, die<br />
dem Thema Körperlichkeit und Lust<br />
neugierig und entspannt gegenüberstehen.<br />
Die in der Lage sind, die<br />
kindlichen Bedürfnisse gegenüber<br />
ihren eigenen Bedürfnissen zu ab <br />
stra hieren», sagt Sexualpädagoge<br />
Bruno Wermuth (siehe Interview<br />
Seite 18). «Erwachsene sollen be <br />
stimmte Bereiche, Orte und Freiräume<br />
den Kindern überlassen, damit<br />
sie dort frei spielen können und sich<br />
nicht ständig beobachtet, bevormundet<br />
und kontrolliert fühlen.»<br />
Das bedingt, dass Erwachsene<br />
mit ihrer eigenen Geschlechtsidentität<br />
im Reinen sein müssen. Denn<br />
nur dann seien sie in der Lage, Ge <br />
schehenes einzuordnen oder >>><br />
Bild: Ruth Erdt<br />
20
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>721
Dossier<br />
22 Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>7 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Dossier<br />
Eltern müssen ihre Kinder nicht<br />
zu Doktorspielen anleiten. Aber<br />
Kinder brauchen Rückzugsorte, wo<br />
sie ihren Körper erkunden können.<br />
>>> entsprechend zu reagieren,<br />
wenn sich Kinder anders verhielten<br />
als erwartet, so Wermuth.<br />
Sexuell aufgeklärte Jugendliche<br />
haben, wie verschiedene Untersuchungen<br />
zeigen, später den ersten<br />
Geschlechtsverkehr (in der Regel<br />
mit 17 Jahren), experimentieren<br />
weniger und setzen sich weniger<br />
dem Risiko aus.<br />
Eltern tun also gut daran, ihrem<br />
Kind zu vermitteln, dass Sexualität<br />
etwas Schönes, Lustvolles ist und<br />
nicht in erster Linie etwas, das Sorge<br />
bereitet. So wie Max und Beni in<br />
ihrem unschuldigen nachmittäglichen<br />
Spiel.<br />
>>><br />
Broschüren und Literatur<br />
zum Thema:<br />
Downloads für Kinder von 0 bis 6<br />
und ab <strong>12</strong>: www.sundx.ch<br />
Leitfaden zur Sexualerziehung:<br />
Download unter:<br />
www.kinderschutz.ch,<br />
Stichwort Sexualerziehung<br />
Sexualaufklärung in der Schule:<br />
www.bag.admin.ch, Stichwort:<br />
Themen: HIV und Aids/Fachpersonen/Sexualpädagogik<br />
Bild: Ruth Erdt<br />
Claudia Marinka<br />
ist Journalistin mit Schwerpunkt<br />
Gesellschaftsfragen. Die zweifache Mutter<br />
lebt mit ihrer Familie in der Nähe von Zürich.<br />
Claudia Landolt<br />
leitende Autorin beim Schweizer<br />
ElternMagazin, ist Mutter von vier Buben.<br />
Sie lebt mit ihrer Familie im Kanton Aargau.<br />
Webseiten für Eltern<br />
und Kinder:<br />
www.feel-ok.ch<br />
www.147.ch<br />
www.durchblick.ch<br />
www.maedchenonline.ch<br />
www.castagna-zh.ch<br />
www.tschau.ch<br />
www.jugendundmedien.ch<br />
www.lilli.ch<br />
www.lustundfrust.ch<br />
www.projuventute.ch<br />
23
Dossier<br />
Haben Sie noch Sex –<br />
oder schon Kinder?<br />
In vielen Elternbetten herrscht sexuelle Flaute, sobald Kinder da sind.<br />
Weil Sex zur logistischen Herausforderung wird. Weil man übermüdet ist.<br />
Weil die Lust fehlt. Fünf Paare erzählen, warum ihnen der Sex abhanden<br />
gekommen ist. Und wie sich das anfühlt. Text: Claudia Landolt Bilder: Ruth Erdt<br />
Geschrumpfter<br />
Sextrieb<br />
Nora, 43, Krankenschwester, und<br />
Philipp, 47, Arzt, sind seit fast<br />
20 Jahren ein Paar. Sie haben<br />
zusammen drei Kinder. Der<br />
Alltags- und Organisationsstress<br />
macht ihnen sehr zu schaffen.<br />
Beide wünschen sich mehr Sex,<br />
vor allem Nora. Sie zweifelt<br />
daran, dass ihr Mann sie noch<br />
begehrt, weil er einfach keine<br />
Initiative mehr ergreift.<br />
Philipp: Ich hätte mir das nie träumen<br />
lassen, dass ich keine Lust mehr auf<br />
Sex habe. Mein Sextrieb ist total<br />
geschrumpft. Seit ich mich selbständig<br />
gemacht habe, arbeite ich noch mehr<br />
als sonst, 80 Stunden sind keine Ausnahme.<br />
Dazu die Angst, dass ich meine<br />
Familie nicht ernähren kann. So eine<br />
neue Existenz ist ja auch immer mit<br />
einem Risiko verbunden. Ich weiss,<br />
dass der Jobstress nicht ideal ist und<br />
mir nicht guttut. Ich schlafe auf dem<br />
Sofa vor dem Fernseher ein und habe<br />
keine Nerven für meine Kinder. Das<br />
macht mich fertig. Meine Frau tut, als<br />
ob es nur an mir läge, dass wir kaum<br />
noch miteinander schlafen. Das macht<br />
ja nicht gerade weniger Druck. Sag,<br />
Nora, das letzte Mal, wann war das?<br />
Nora: An Silvester. Wir hatten kinderfrei.<br />
Philipp: Was, so lange, das kann doch<br />
nicht sein!<br />
Nora. Doch. Ich weiss schon gar nicht<br />
mehr, wann du das letzte Mal scharf auf<br />
mich warst.<br />
Philipp: Das ist Quatsch, und dass du<br />
das denkst, stresst mich ganz schön.<br />
Ich habe sowieso schon das Gefühl,<br />
dass etwas mit mir nicht stimmt. Wenn<br />
ich mich in meinem Freundeskreis<br />
umhöre, habe ich den Eindruck, dass<br />
keiner meiner Freunde so abgetörnt ist<br />
wie ich.<br />
Nora: Uns fehlt schlicht die Zeit. Wir<br />
geben uns ja nur noch die Klinke in die<br />
Hand, und die Woche ist dermassen<br />
getaktet, dass ich mir vorkomme wie<br />
ein ferngesteuertes Alien. Auch wenn<br />
ich abends eher in Kuschelstimmung<br />
bin, würde ich manchmal zu gerne mit<br />
dir schlafen, kann mich aber nicht aufraffen,<br />
den ersten Schritt zu tun, weil<br />
ich ja selber so müde bin.<br />
Philipp: Das hört sich ja auch nicht toll<br />
an. Ich möchte nicht, dass du dich überwinden<br />
musst, um mit mir zu schlafen!<br />
Nora: Klar. Mir reicht es aber auch<br />
nicht, mich wie eine vertrocknete Jungfrau<br />
zu fühlen und zu hoffen, dass mein<br />
Mann irgendwann mal nicht mehr wie<br />
eine müde Pflaume abends rumhängt.<br />
Letzthin habe ich mich dabei ertappt,<br />
wie ich anderen Männern nachgesehen<br />
habe und mich nach einer aufregenden<br />
Affäre sehnte. Das kann es doch nun<br />
wirklich nicht sein!<br />
24 Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>7 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Dossier<br />
Zu wenig Sex<br />
Lily, 35, Hausfrau, und Thomas, 40, Arzt,<br />
haben zusammen einen siebenjährigen<br />
Sohn. Sex ist in ihrer Beziehung sehr<br />
wichtig. Doch seit sie ein Kind haben, ist<br />
nichts mehr so wie vorher. Lily mag<br />
Abendsex und schläft gerne aus, Thomas<br />
hingegen muss früh raus. Beide haben<br />
weniger Sex, als sie wollen, und sind<br />
deswegen oft frustriert.<br />
Lily: Ich sehne mich oft nach dem leidenschaftlichen,<br />
spontanen Sex von einst zurück. Da Thomas<br />
schnarcht und Schicht arbeitet, haben wir<br />
getrennte Schlafzimmer. Manchmal schleiche<br />
ich mich nachts zu ihm, doch das mag er nicht,<br />
weil er durch seine Arbeitszeiten in der Klinik oft<br />
übermüdet ist. Dann liege ich nachts wach im<br />
Bett und mache mir Sorgen, ob unsere Beziehung<br />
eine Krise durchmacht und wie das weitergehen<br />
soll. Wenn wir es alle paar Wochen tun, hat<br />
der Sex nicht auch nur annähernd die Qualität<br />
von früher. Es ist nach wenigen Minuten vorbei.<br />
Da ich mehrere Fehlgeburten hatte, habe ich<br />
manchmal Schmerzen beim Geschlechtsverkehr,<br />
besonders bei Quickies. Ich ertappe mich dann,<br />
den Akt durchzuziehen, weil ich Thomas nicht<br />
enttäuschen will. Ich hoffe, dass sich das irgendwie<br />
wieder legt und wir wieder Spass miteinander<br />
haben können, ohne das Gefühl, jetzt einfach nur<br />
Zackzacksex zu haben, um sich zu beweisen,<br />
dass man noch ein Paar ist.<br />
Thomas: Mit Lily hatte ich Triple-A-Sex – bevor<br />
unser Sohn zur Welt kam. Lily war ein Modeltyp,<br />
gross und gertenschlank. Die Schwangerschaftskilos<br />
hat sie nie ganz weggekriegt. Das stört<br />
mich nicht, auch wenn ich sie früher heis ser<br />
fand. Eine Beziehung ohne Sex käme für mich<br />
aber nie in Frage. Umso mehr fällt es mir schwer,<br />
zu akzeptieren, dass unsere Sexquote dermassen<br />
mies ist, seit wir ein Kind haben, das ein<br />
schlechter Schläfer und dauernd krank ist.<br />
Manchmal fühle ich mich wie eine Rakete vor<br />
dem Start, es ist, als ob mein Unterleib gleich<br />
explodieren würde. Dann haben wir Notsex. Der<br />
hinterlässt aber einen schalen Beigeschmack,<br />
weil ich weiss, dass es für beide eigentlich un <br />
befriedigend ist. Ich habe Angst, dass das jetzt<br />
für immer so bleibt.<br />
Sex wird<br />
überbewertet<br />
Samuel, 51, ist Berater und seit<br />
20 Jahren mit seiner Frau Lisa, 48, einer<br />
Lehrerin, zusammen. Sie haben zwei<br />
Kinder im Teenager alter. Er findet, Sex<br />
werde überbewertet.<br />
Samuel: Ich war meiner Frau immer treu, auch<br />
wenn es Versuchungen gab, gerade in Krisensituationen.<br />
Aber für mich ist klar, dass wir<br />
zusammengehören. Ebenso klar ist mir und auch<br />
Lisa, dass Sex nach so vielen Jahren ein anderer<br />
Stellenwert hat als früher. Wenn wir jetzt miteinander<br />
schlafen, alle paar Wochen einmal, ist<br />
der Sex sehr zärtlich, ein ausgedehntes Liebesspiel.<br />
Der Orgasmus steht dabei gar nicht so im<br />
Vordergrund, zumal ich ja auch schon älter bin.<br />
Wenn wir jetzt miteinander schlafen, ist es eine<br />
Begegnung, kein schneller Sex. Wir sind im Alltag<br />
sehr zärtlich zueinander, umarmen uns oft, küssen<br />
uns jedes Mal, wenn wir uns sehen, und<br />
lachen viel zusammen. Das ist mir sehr viel wert.<br />
Als ich jünger war und die Kinder klein, haben<br />
mich Sexflauten immer gestört. Mittlerweile<br />
sehe ich es anders. Ich glaube, Sex wird in langjährigen<br />
Beziehungen schlicht überbewertet. Es<br />
gibt immer Phasen, in denen der eine weniger<br />
Lust hat oder Sex für ihn einfach kein Thema ist.<br />
So what? Das ist kein Grund, sich zu trennen<br />
oder eine Affäre zu beginnen. Die Nähe zwischen<br />
zwei Menschen, die unbedingte Loyalität, die<br />
gemeinsame Geschichte ist doch viel mehr wert<br />
als eine schnelle Nummer, die mir bloss beweist,<br />
was für ein toller Hecht man noch ist.<br />
>>><br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>725
Dossier<br />
26 Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>7 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Dossier<br />
Keine Lust auf ihn<br />
Sonja, 39, Kindergärtnerin, ist seit<br />
dreizehn Jahren mit ihrem Mann Lukas,<br />
38, einem Polizisten, liiert. Sie sind<br />
Eltern von dreijährigen Zwillingen. Vor<br />
der Geburt hatten die beiden ein<br />
regelmässiges Sexleben. Seit Geburt<br />
der Kinder herrscht totale Flaute: kein<br />
Sex seit fast vier Jahren.<br />
Sonja: Vielleicht stimmt ja etwas nicht mehr mit<br />
mir. Ich finde meinen Mann attraktiv; er ist ein<br />
toller Vater und ein sehr loyaler, grosszügiger<br />
Partner. Unsere Beziehung verläuft harmonisch.<br />
Wir tauschen Zärtlichkeiten aus und küssen uns,<br />
doch mehr geht nicht. Schon in der Schwangerschaft<br />
hatten wir kaum Sex, er begehrte mich<br />
weniger als zuvor, sagte, er hätte Angst, dem<br />
Baby zu schaden. Ich glaube jedoch, es lag an<br />
meinem wirklich dicken Bauch. Dass die Erotik<br />
zwischen uns weg ist, beschäftigt mich sehr,<br />
auch wenn ich nicht ganz unschuldig daran bin.<br />
Kurz nach der Geburt fand ich SMS von ihm an<br />
eine andere Frau. Ich bekam die Krise. Ich zu<br />
Hause mit den Zwillingen, zu Tode erschöpft,<br />
unattraktiv und mit Schwabbelbauch, und mein<br />
Mann hat eine Affäre? Das hat mich so empört,<br />
dass ich mich zurückzog. Nach einem Jahr kehrte<br />
ich an meinen Arbeitsplatz zurück und lernte<br />
einen Mann kennen, in den ich mich rettungslos<br />
verliebte. Der Sex war so, wie man ihn sich vorstellt:<br />
heftig, explosiv. Aus schlechtem Gewissen<br />
beendeten wir die Sache und gingen freundschaftlich<br />
auseinander. Mein Mann weiss von der<br />
Geschichte. Eine Trennung ist für uns beide kein<br />
Thema. Doch ob ich eine sexlose Beziehung auf<br />
Dauer weiterführen kann, bezweifle ich. Ich hoffe<br />
sehr, dass es irgendwann auch wieder mit der<br />
Lust klappt und er in mir wieder die heisse Frau<br />
sieht, in die er sich einmal verliebte, nicht nur<br />
das Muttertier.<br />
Porno und<br />
Facebook<br />
Eric, 39, ist Informatiker, Vater von zwei<br />
Kindern. Seine Frau Sandra, 40, kennt<br />
er seit 15 Jahren. Nun hat die Anziehung<br />
nachgelassen. Den Kick holt sich Eric<br />
daher woanders – bei Pornos und in<br />
Chats mit einer Jugendliebe.<br />
Eric: Während meines Studiums verliebte ich<br />
mich unsterblich. Es war kompliziert und dauerte<br />
nicht lange. Doch ich habe diese Frau nie vergessen.<br />
Inzwischen ist sie verheiratet und hat<br />
ebenfalls Kinder. Über Facebook fand ich sie<br />
zufällig wieder. Jetzt ist sie das Objekt meiner<br />
sexuellen Fantasien, mit denen ich mein träge<br />
gewordenes Sexleben aufpeppe. Ich kontaktiere<br />
sie über Chats und fantasiere eine gemeinsame<br />
Begegnung zusammen. Das erregt mich dann so<br />
sehr, dass ich mich befriedigen muss, einmal<br />
sogar auf der Toilette in meiner Firma. Das ist<br />
besser als jeder Porno. Gegen Pornos als Stressabbau<br />
hat meine Frau nichts, aber wenn sie das<br />
mit dieser ehemaligen Flamme herausfinden<br />
würde, wäre ich geliefert. Oft habe ich deswegen<br />
ein schlechtes Gewissen, denn ich liebe meine<br />
Frau ja und will sie gar nicht verlassen.<br />
Sandra: Ich liebe Eric sehr. Zu Beginn unserer<br />
Beziehung konnten wir voneinander nicht genug<br />
kriegen. Ich bin eher prüde, er gar nicht, das war<br />
interessant! Eric war der erste Mann, mit dem<br />
ich einen Porno schauen konnte, ohne rot zu<br />
werden. Wir haben eine sehr enge Beziehung und<br />
machen fast alles zusammen. Für mich ist es<br />
normal, dass die Erotik mit den Jahren nachgelassen<br />
hat. Wir haben noch Sex, einfach nicht<br />
mehr so häufig wie früher. Gute Gespräche und<br />
eine wirkliche Anteilnahme am gegenseitigen<br />
Leben ist mir aber heute fast wichtiger; ich finde<br />
das intimer als den reinen Sex. Ich weiss, dass<br />
Eric wohl gern mehr Sex hätte, aber genug reif<br />
ist, um die Situation zu akzeptieren.<br />
>>><br />
27
Dossier<br />
Kann eine Beziehung ohne Sex gut gehen? Und sechs weitere<br />
Fragen an Diplompsychologin Catherine Herriger<br />
Interview: Claudia Landolt<br />
Frau Herriger, die sexuelle Anziehungskraft verfliegt bei<br />
jedem Paar nach einer gewissen Zeit. Warum tun sich<br />
viele schwer damit?<br />
Weil das Stadium des Verliebtseins, die Schmetterlinge im<br />
Bauch, diese unglaubliche Intensität so wunderbar war, so<br />
alles rundum und ganz selbstverständlich beflügelnd – und<br />
so gratis. Und dann kehrt der Alltag ein: die rosarote Brille der<br />
Verliebtheit wird langsam durch die der Realität ersetzt, der<br />
Partner oder die Partnerin ist gar nicht mehr so wunderbar,<br />
wie es vorerst schien, entsprechend ist die spontane Lust allmählich<br />
verflogen. Nun müssten auch andere, jetzt partnerschaftliche<br />
Qualitäten greifen, damit gegenseitig ein gereifteres<br />
Begehren Einzug halten kann. Doch setzt das die<br />
Bereitschaft zu einer teilweise echt mühsamen Beziehungsarbeit<br />
voraus.<br />
Durch Kinder verfliegt die Lust auf Sex. Bei manchen<br />
bleibt er fast auf der Strecke. Ist das problematisch?<br />
Nur bedingt, nämlich dann, wenn die Partner fixe Vorstellungen<br />
haben oder sich an ihrer verliebten Vergangenheit orientieren<br />
wollen.<br />
Wie könnte ein Ausweg aussehen?<br />
Druck wegnehmen! Der Begriff «Sex» ist allzu verallgemeinernd<br />
und damit für viele irreführend. Sexualität beinhaltet<br />
keinesfalls nur Geschlechtsverkehr, sondern auch Eros, also<br />
Zärtlichkeit und vertraute Nähe. Wenn dann keine künstlich<br />
erzeugte Erwartungshaltung vorhanden ist, kann «einfach so»<br />
aus einem zufriedenen Miteinanderkuscheln mehr entstehen.<br />
Was halten Sie von Sex als Rendez-vous, eingetragen im<br />
Kalender?<br />
Das ist reiner Quatsch! Damit landen wir wieder bei den Lustkillern<br />
Leistungsdruck und Erwartungshaltung – sowohl bei<br />
ihm wie bei ihr.<br />
Kann eine Beziehung ohne Sex auf Dauer gut gehen?<br />
Warum denn nicht? Solche Paare leben wahrscheinlich mit<br />
recht viel Zärtlichkeit und spüren auf diese Weise erfüllende<br />
Nähe. Voraussetzung ist natürlich, dass dieser Zustand für<br />
beide Seiten auch wirklich stimmig ist.<br />
Was, wenn sich ein Partner plötzlich verliebt?<br />
Tja, es gibt wahrscheinlich für uns alle zig Menschen, in die wir<br />
uns verlieben könnten. Je komplexer oder gar belasteter unser<br />
Alltag ist, umso anfälliger sind wir für einen erneuten Hormonkick,<br />
der eventuell nur kurzlebig und zerstörerisch sein kann.<br />
Es muss der emotionalen Verantwortung eines jeden Partnersund<br />
einer jeden Partnerin überlassen sein, wie er oder sie in<br />
der bestehenden Beziehung mit diesem aushäusigen Kick<br />
umgeht. Und mit sich selber.<br />
Liebe, Lust und Sex: Nur bei wenigen Themen wird so viel<br />
gelogen. Was sind die grössten Lügen?<br />
Die Liste ist tatsächlich lang. Hier eine kleine Aufzählung: Wir<br />
schlafen nach all den Jahren noch tagtäglich mehrmals miteinander.<br />
– Ich bringe es spielend auf drei bis vier Orgasmen.<br />
– Ich habe noch nie einen Orgasmus vorgetäuscht. – Ich habe<br />
ständig Lust. – Ich könnte jede(n) haben, aber ... – Ich habe<br />
noch nie ans Fremdgehen gedacht. – Ich fantasiere nicht beim<br />
Sex. – Onanieren habe ich nicht nötig. – Ich kann immer und<br />
jederzeit. – Und so weiter!<br />
Catherine Herriger<br />
ist Diplompsychologin IAP/SBAP,<br />
Beziehungstherapeutin und Buchautorin in<br />
Bern. Sie ist seit über vierzig Jahren mit<br />
demselben Mann zusammen und hat zwei<br />
Söhne. www.ch50.ch<br />
Literatur zum Thema<br />
Esther Perel: Wild Life. Die Rückkehr der Erotik in die Liebe.<br />
Esther Perel: Mating in Captivity. Sex, Lies and Domestic Bliss.<br />
Diana Richardson & Wendy Doeleman: Cooler Sex. Das Handbuch<br />
für ein richtig gutes Liebesleben.<br />
David Ribner: The Newlywed Guide to Physical Intimacy.<br />
Goedele Liekens: Das Orgasmus-Buch.<br />
Franz Josef Wetz: Lob der Untreue. Eine Unverschämtheit.<br />
Erika Berger: Spätes Glück. Liebe, Sex und Leidenschaft in reifen Jahren.<br />
Pere Estupinya: Sex – die ganze Wahrheit.<br />
28
Dossier<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>729
«Cooler Sex ist Liebe»<br />
Ist das Kind da, wird Sex zwischen Mama und Papa zur Mangelware. Das stresst Frauen wie<br />
Männer. Die Sexualberaterin Diana Richardson über ein funktionierendes Liebesleben im<br />
durchgetakteten Familienalltag und was für Sex ohne Orgasmus spricht. Interview: Isabel Strassheim<br />
30 Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>7 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Dossier<br />
Sex, der Intensität aufbaut und<br />
im Höhepunkt abbaut,<br />
stellt nicht unbedingt Nähe her.<br />
Bild: iStockphoto<br />
Frau Richardson, Sie unterscheiden<br />
zwei grundsätzlich verschiedene<br />
Arten von Sex: den heissen und den<br />
kühlen. Was ist cooler Sex?<br />
Mit coolem Sex meine ich buchstäblich<br />
kühl-entspannten Sex. Beim<br />
normalen Sex geht es ja im Wesentlichen<br />
darum, so heiss wie möglich<br />
zu werden, um zum Orgasmus zu<br />
kommen. Dafür ist aber eine Menge<br />
an Stimulation und Aufbau von<br />
Spannung nötig. Und einige nutzen<br />
auch sexuelle Fantasien, um die<br />
Temperatur zusätzlich zu erhöhen.<br />
Cooler Sex dagegen ist nicht auf den<br />
Orgasmus fixiert. Er hat kein festgelegtes<br />
Ziel, drängt den Körper nicht<br />
in eine bestimmte Richtung.<br />
Das heisst dann auch, cooler Sex kennt<br />
keinen Orgasmus?<br />
Auch cooler Sex kann mit einem<br />
Orgasmus enden, aber darauf liegt<br />
nicht der Fokus. Denn ein Orgasmus<br />
dauert nur ein paar Sekunden, die<br />
vielleicht sogar schön sind, deswegen<br />
wollen wir ja immer wieder einen<br />
Orgasmus. In dem kurzen Moment<br />
fühlt es sich unvergleichlich an, aber<br />
nachher ist es, als wäre ein Ballon<br />
zerplatzt: Plötzlich ist die Energie<br />
weg und ein Gefühl von Getrenntsein<br />
vom Partner kann auftauchen.<br />
Und nach dem Höhepunkt kann<br />
Traurigkeit, Verlassenheit, Energielosigkeit,<br />
Enttäuschung oder Wut<br />
auftauchen. Denn Sex, der Intensität<br />
aufbaut und im Höhepunkt abbaut,<br />
stellt nicht unbedingt Nähe her. Wir<br />
fühlen uns danach selten enger verbunden<br />
und liebevoller miteinander.<br />
Aber wie kann Sex ekstatische Verbundenheit<br />
statt nur Ekstase schaffen?<br />
Schauen wir erst mal, wie es beim<br />
heissen Sex läuft: Weil er sich um den<br />
Höhepunkt am Schluss dreht, dauert<br />
er durchschnittlich von der Penetration<br />
bis zur Ejakulation 2,5 Minuten.<br />
Auch wenn es länger sein mag, der<br />
Fokus liegt meist auf dem Orgasmus.<br />
Und wenn wir keinen haben, war es<br />
schlechter Sex. Aber das ist nichts als<br />
ein vorgeprägtes Muster: Wir sind<br />
in dieser Vorstellung von Höhepunkt<br />
und Ent ladung gefangen. Wenn wir<br />
beim Sex aufmerksam sind, merken<br />
wir, wie wir mit diesem Muster im<br />
Akt Spannung aufbauen, sie verdichten<br />
und verengen – und nach den<br />
paar Sekunden des so erzielten Or -<br />
gasmus zu sammenfallen.<br />
Streben wir in unserer Lust nicht<br />
automatisch nach einem Orgasmus?<br />
Wenn wir voll Verlangen sind, hat<br />
das meistens mit Stress zu tun: Stress<br />
im Alltag, in der Familie, bei der<br />
Arbeit oder schlicht Überlebensstress.<br />
Der Orgasmus wird benutzt,<br />
um auf bequeme und angenehme<br />
Art Stress abzubauen. Vor allem<br />
Männer sagen, dass sie sich nach der<br />
Ejakulation entspannter füh- >>><br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>731
Dossier<br />
Wir sollten unsere Vorstellung<br />
hinterfragen, dass es beim Sex<br />
nur darum geht, zum<br />
Höhepunkt zu kommen.<br />
>>> len. Das ist aber eine negative<br />
Art der Entspannung, weshalb Männer<br />
nach dem Orgasmus auch meistens<br />
schlafen möchten. Echte Entspannung<br />
dagegen macht wach,<br />
energievoll und ist erfrischend.<br />
Ganz praktisch – wie geht cooler Sex?<br />
Wir achten dabei mehr auf jede einzelne<br />
Bewegung, statt uns mechanisch<br />
hin- und herzubewegen. Weniger<br />
Bewegung und Stimulation sind<br />
nötig, wir bleiben zentriert und kühl.<br />
Und wir vermeiden es, Spannung<br />
und Erregung aufzubauen. Ein<br />
wenig ist okay, aber keine Spannung,<br />
die zum Orgasmus führt. Es geht um<br />
Bewusstheit und dadurch Verlangsamung,<br />
durch die wir erst wirklich<br />
ins Spüren kommen.<br />
Also ein entschleunigter Sex?<br />
Ja, das Langsamerwerden ist wichtig,<br />
aber nicht nur. Wesentlich ist auch,<br />
mehr bei sich zu bleiben: Statt uns<br />
auf den Partner zu konzentrieren,<br />
sollten wir probieren, mehr im eigenen<br />
Körper zu bleiben. Generell sind<br />
wir beim Sex selten im eigenen Körper<br />
verankert. Dabei liegt genau dort<br />
die Intelligenz. Es geht nicht darum,<br />
den Penis möglichst schnell in die<br />
Vagina einzuführen respektive einzulassen.<br />
Es braucht Zeit, bis die Frau<br />
wirklich für den Penis offen ist.<br />
Wenn die Frau auf sich hört und das<br />
«Ja» dafür da ist, bringt das eine ganz<br />
neue Erfahrung – und zwar für den<br />
Mann wie für die Frau.<br />
Dennoch betonen Sie, dass die Erektion<br />
beim coolen Sex genauso unwichtig ist<br />
wie der Orgasmus.<br />
Im konventionellen, heissen Sex ist<br />
die Erektion beim Mann unbedingt<br />
notwendig. Im coolen Sex jedoch<br />
geht die Penetration auch ohne Erektion,<br />
mit einem entspannten Penis.<br />
Männer haben schreckliche Angst<br />
vor der Erschlaffung. Das ist auch<br />
der Grund, warum sie auf eine möglichst<br />
schnelle Penetration aus sind.<br />
Und wieso Frauen es zulassen,<br />
obwohl sie noch nicht bereit dazu<br />
sind. Das ist die eigentliche Ursache<br />
für den heissen, schnellen Sex. Es<br />
reicht schon, wenn wir das verstehen<br />
– und wenn wir wissen, dass eine<br />
Penetration auch ohne Erektion<br />
möglich ist.<br />
Wie?<br />
Einerseits gibt es die softe Penetration,<br />
wie ich sie in meinen Büchern<br />
beschreibe. Andererseits können wir<br />
auch einfach so zärtlich miteinander<br />
sein, uns in die Augen schauen und<br />
entspannen. Dabei öffnet sich der<br />
Körper der Frau. Und die Erektion<br />
kommt dann meist auch von selbst<br />
zurück. Und zwar auf bessere Weise,<br />
nämlich ohne zu viel Erregung.<br />
Beim coolen Sex lassen wir uns also<br />
nicht nur für jede Bewegung Zeit,<br />
sondern auch fürs Vorspiel?<br />
Genau. Denn beim Mann steigt die<br />
sexuelle Temperatur sehr schnell, bei<br />
der Frau braucht es mehr Zeit. Beide<br />
sind da energetisch sehr verschieden.<br />
Wenn das nicht verstanden<br />
wird, verlieren Frauen leicht die Lust<br />
am Sex. Denn Männer geben ihnen<br />
nicht die nötige Zeit, und Frauen<br />
sind oft zu unsicher, darum zu bitten.<br />
Aber jede Frau weiss, dass sie lieber<br />
noch ein bisschen warten würde,<br />
bevor sie den Mann in sich empfängt.<br />
Aber wir folgen einfach der<br />
Konvention. Die Folge ist, dass es<br />
leicht passieren kann, dass der Körper<br />
der Frau nach der Flitterwochenphase<br />
die Lust am Sex verliert.<br />
Es ist interessant, zu schauen,<br />
wie man sich beim Sex ohne<br />
Orgasmus fühlt. Die Energie<br />
bleibt dann ja im Körper.<br />
Der Wechsel vom heissen Sex auf den<br />
coolen Sex ohne Orgasmus ist aber<br />
nicht ganz einfach.<br />
Sex wird stark von unseren Vorstellungen<br />
geprägt. Wenn wir nun sofort<br />
in eine neue Vorstellung wie coolen<br />
Sex umsteigen wollen, ist das wieder<br />
nur eine Idee. Dabei geht es darum,<br />
zu verstehen, dass wir bisher beim<br />
Sex einem Muster gefolgt sind und<br />
dass wir das ablegen können. Es ist<br />
nur wichtig, zu wissen, dass es auch<br />
anderen Sex gibt – das genügt, um<br />
nach und nach mehr Bewusstsein<br />
hin einzubringen. Wir beginnen<br />
dann vielleicht zu bemerken, in welchem<br />
Moment das Drängen nach<br />
einem Orgasmus aufkommt. Und<br />
stattdessen wählen wir den Weg in<br />
die Entspannung. Auf diese Weise<br />
können wir den Sex auf zwei bis drei<br />
Stunden ausdehnen. Ein Orgasmus<br />
am Ende ist auch in Ordnung, aber<br />
es ist auch interessant, zu schauen,<br />
wie man sich ohne Orgasmus fühlt.<br />
Die Energie bleibt dann ja im Körper.<br />
Aber dann fehlt doch der Abschluss.<br />
Wir sollten darauf achten, wie wir<br />
uns Stunden und Tage danach fühlen.<br />
Ohne Orgasmus kann das entspannter,<br />
liebevoller und innerlich<br />
zufriedener sein. Dies fliesst auch in<br />
unseren Alltag über. Wir sollten<br />
unsere Vorstellung hinterfragen,<br />
dass es beim Sex nur darum geht,<br />
zum Höhepunkt zu kommen. Das<br />
ist eine Option, wenn wir ein Baby<br />
wollen. Aber es gibt nicht jedesmal<br />
ein Muss für einen Orgasmus.<br />
Und wie ist es, wenn die sexuelle An <br />
ziehung nach einer jahrelangen<br />
Beziehung verfliegt?<br />
Das ist das Problem bei heissem Sex<br />
– weil man mit der Zeit ein- >>><br />
32 Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>7 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Essay<br />
«Sexmuster können so zäh wie Kaugummi sein»<br />
Sex ist eine komplizierte Sache – erst recht in langjährigen Beziehungen. Denn unsere Bedürfnisse<br />
können sich ändern. Unsere Autorin Isabel Strassheim ist dem Thema nachgegangen und berichtet<br />
über ihr ganz persönliches Experiment in Sachen Sex und Intimität.<br />
«Manchmal wissen wir, dass wir nur<br />
an der Oberfläche kratzen, auch wenn<br />
wir keine Ahnung haben, was denn<br />
darunterliegen könnte. Das ging mir<br />
beim Sex so. Auch ohne Orgasmusprobleme<br />
wollte ich vor ungefähr zwei<br />
Jahren wissen, wo die Tiefe jenseits<br />
des Höhepunkts liegt. Auch wenn die<br />
Lust noch da war, ging es mir um eine<br />
Qualität beim Sex jenseits des Begehrens.<br />
Das hat nichts mit neuen Varianten<br />
für das alte Reiz-und-Spannungs-<br />
Spiel oder mit «Fifty Shades of Grey»<br />
zu tun. Es tut vielmehr gut, uns selbst<br />
und den anderen mal wieder zu fragen:<br />
Was wollen wir eigentlich im Bett<br />
oder auf dem Sofa (oder wo auch<br />
immer) mit uns selbst? Und mit unserem<br />
Partner? Welches Potenzial<br />
schlummert in unserem Körper und<br />
unserem Gefühl? Eine Handvoll grosser<br />
Fragen waren mein Ausgangspunkt.<br />
Beim Sex geht es nicht nur um die<br />
Lust – die ist da oder eben nicht. Sie<br />
kann bei Paaren, die lange zusammen<br />
sind und Tag für Tag zusammen das<br />
Familienschiff steuern, schlicht einschlafen.<br />
Daran ist nichts Schlimmes,<br />
wenn wir wissen, dass das nicht<br />
sogleich auch das Ende der sexuellen<br />
Nähe bedeuten muss. Vielmehr kann<br />
es eine neue Etappe eröffnen: Statt<br />
den Eroberungssex gibt es auch den<br />
Slow Sex oder den coolen Sex, wie<br />
Diana Richardson das nennt.<br />
Zwar gaukelt uns das Idealbild von<br />
der modernen Mutter und dem<br />
modernen Vater vor, dass wir nicht<br />
nur Kindererziehung, Haushalt und<br />
Beruf perfekt vereinen, sondern dabei<br />
auch noch attraktive und fitte Liebhaber<br />
bleiben können. Das ist nicht<br />
nur anstrengend, sondern vielleicht<br />
auch einfach falsch. Denn wollen wir<br />
das wirklich? Wir sind doch als Eltern<br />
nicht mehr auf dieselbe Art des<br />
Begehrens aus wie als Frischverliebte.<br />
Denn je nach Lebenslage sind auch<br />
andere Qualitäten beim Sex gefragt.<br />
Von alleine ändert sich jedoch im<br />
Bett nichts, wie ich schnell gemerkt<br />
habe. Unsere Muster sind so verbissen<br />
wie Kaugummi. Deswegen machte<br />
ich mich auf die Suche nach einem<br />
Sexkurs. Die sind hierzulande zwar<br />
noch lange nicht so normal und häufig<br />
wie Yogakurse, aber sie werden doch<br />
zunehmend populärer und haben<br />
nichts Anrüchiges mehr. Und: Es gibt<br />
sie auch nur für Frauen oder nur für<br />
Männer. Wenn einer der Partner etwas<br />
ändern will, reicht das schon. Niemand<br />
muss warten, bis der andere<br />
auch bereit ist.<br />
«Lust auf Lust» hiess mein Frauenseminar<br />
bei der Gynäkologin Regina<br />
Widmer in Solothurn. Dort entdeckte<br />
ich die Beckenschaukel. Von alleine<br />
wäre ich nie darauf gekommen, dass<br />
sich mein Becken mit dem Atem verbinden<br />
lässt: Beim Einatmen leicht<br />
nach hinten kippen und Steissbein<br />
locker lassen. Beim Ausatmen leicht<br />
nach vorne kippen und Beckenboden<br />
anziehen. Schon diese Übung genügt<br />
für ein ganz neues Körpergefühl – und<br />
auch ohne sonst etwas zu ändern,<br />
entsteht beim Sex eine neue Nähe.<br />
Statt nur die Becken werden nämlich<br />
die ganzen Körper miteinander verbunden.<br />
(Die Beckenschaukel gilt<br />
übrigens auch für Männer.) Medizinisch-pragmatisch<br />
wie auch hintergründig<br />
und lustig eröffneten die<br />
Kursabende mit Regina Widmer mir<br />
eine neue Welt.<br />
Aber auch in Tantraseminaren geht<br />
es vor allem um Wege, um ganz in den<br />
eigenen Körper zu kommen. Sich auf<br />
sich selbst zu konzentrieren. Statt um<br />
Geheimwissen geht es um eine sim ple<br />
Wahrheit: Nähe zu sich selbst ist die<br />
Voraussetzung für die Nähe zum<br />
anderen. Und für einen anderen Sex.<br />
Einfache Körper- und Atemübungen<br />
alleine und mit dem Partner können<br />
uns dabei helfen. Es geht dabei in erster<br />
Linie um die Entdeckung von uns<br />
selbst.<br />
Dazu gehört auch Hilflosigkeit.<br />
Worum geht es denn, wenn ich nicht<br />
mehr zielgerade auf den Orgasmus<br />
zusteuern muss? Die Frage ist für<br />
mich nicht jedes Mal superspannend,<br />
sondern sie kann auch ganz verzweifelt<br />
sein. Immer aber ist die Antwort<br />
ganz aktuell-individuell. Denn Intimität<br />
wird mit ihr viel authentischer.<br />
Unter der Oberfläche des Standardsexes<br />
liegt nämlich ein Ozean von<br />
Gefühlen. Wir müssen nur den Mut<br />
aufbringen, hineinzuspringen.»<br />
Isabel Strassheim<br />
ist Journalistin und lebt mit ihrer Familie<br />
im Kanton Solothurn.<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>733
Dossier<br />
>>> fach an Hitze verliert, genauso<br />
wie man nicht ewig Leistungssport<br />
machen kann. Einige wollen<br />
dann den Partner wechseln, um<br />
zurück zur Erregung zur kommen,<br />
doch auch diese Hitze verbrennt.<br />
Eigentlich ist nicht die Anziehung<br />
vorbei, sondern der heisse Sex. Viele<br />
meinen, dass Sex über das ganze<br />
Leben hinweg gleich bleiben soll.<br />
Dabei verändert er sich genauso, wie<br />
auch Arbeit oder Wohnung wechseln.<br />
Auch durch Kinder verändert sich<br />
unser Sex, allein dadurch, dass uns<br />
weniger Zeit und Energie bleiben.<br />
Genau dann ist cooler Sex eine gute<br />
Alternative – vor allem, weil wir<br />
nicht viel Energie und auch keine<br />
Lust haben müssen. Wir können uns<br />
dafür verabreden und auch einen<br />
Babysitter organisieren. Es geht darum,<br />
miteinander körperlich zu entspannen<br />
und uns zu erfrischen. Und<br />
Kinder sind sehr empfänglich für die<br />
Liebesbeziehung ihrer Eltern. Wenn<br />
die fliesst, fühlen sie sich sicherer<br />
und selbstbewusster.<br />
Warum ist es für uns peinlich, wenn<br />
uns die Kinder beim Sex erwischen?<br />
Weil wir beim heissen Sex nicht<br />
unbedingt wir selbst sind. Er ist häufig<br />
eher unbewusst, lieblos und mit<br />
Scham verknüpft.<br />
Auf einer tieferen Ebene ist<br />
cooler Sex Liebe. Wir alle<br />
sehnen uns nach mehr Liebe<br />
und Verbundenheit.<br />
Wollen Männer nicht eher heissen Sex?<br />
Zunächst scheint es, dass Frauen<br />
nach einer anderen Art von Sex<br />
su chen. Eben weil sie mehr Zeit für<br />
die Penetration brauchen und mehr<br />
Mühe haben, in wenigen Minuten<br />
zum Orgasmus zu kommen. Aber<br />
auch Männer sind erleichtert, wenn<br />
der Leistungsdruck beim Sex entfallen<br />
kann: Die Frau zum Orgasmus<br />
zu bringen, ist kein Muss mehr,<br />
genauso wenig wie eine lang anhaltende<br />
Erektion. Wenn die sexuelle<br />
Temperatur sinken darf, gibt es auch<br />
keine Schwierigkeiten mit vorzeitiger<br />
Ejakulation. Bewusstsein verändert<br />
die Qualität beim Sex komplett –<br />
und viele Männer merken, dass auch<br />
sie das gesucht haben, ohne es zu<br />
wissen. Schliesslich reden wir über<br />
Liebe. Auf einer tieferen Ebene ist<br />
cooler Sex Liebe. Und wir alle sehnen<br />
uns nach mehr Liebe und Verbundenheit<br />
in unserem Leben.<br />
>>><br />
Diana Richardson<br />
stammt aus Südafrika und studierte<br />
Rechtswissenschaften. Vor über 20 Jahren wandte<br />
sie sich der ganzheitlichen Massage und der<br />
strukturellen Körperarbeit zu. Seit 1993 leitet sie<br />
Making-Love-Retreats für Paare mit ihrem Mann<br />
und Seminare für Frauen und hat mehrere Bücher<br />
geschrieben («Slow Sex», «Zeit für Weiblichkeit»,<br />
«Zeit für Männlichkeit»). Sie lebt mit ihrem Mann<br />
im Emmental. Weiter Infos: www.livinglove.com<br />
Im nächsten Heft:<br />
Das erschöpfte Kind<br />
Jeder dritte Schweizer Schüler gab in einer<br />
Befragung der WHO an, Stresssymptome<br />
zu kennen. Was der Leistungsdruck von Eltern,<br />
Schule und Gesellschaft mit unseren Kindern<br />
macht, erfahren Sie in unserem Februar-Dossier.<br />
Bild: iStockphoto<br />
34 Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>7 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Dossier<br />
Wintersport in der Schweiz.<br />
Jetzt anmelden für eine<br />
Probefahrt mit dem Cayenne.<br />
Damit Sie wissen, wie gut es sich anfühlt, mit der ganzen Familie schnell, sicher und entspannt<br />
durch den Winter zu kommen, laden wir Sie ein. Zu einer Probefahrt mit dem Sportwagen<br />
unter den SUV. Dank neuester Technologien beherrscht der Cayenne den Spagat zwischen<br />
sportlichem Fahrverhalten und ausgezeichnetem Komfort so perfekt wie kein anderer.<br />
Ganz egal, wie der Pistenzustand ist. Melden Sie sich für eine Probefahrt an, bevor der Winter<br />
vorbei ist. Den Cayenne gibt es übrigens schon ab CHF 85’400.– oder CHF 899.– pro<br />
Monat.* Und zusätzlich das Porsche Swiss Package, 2+2 Jahre Garantie und die Währungsausgleichsprämie.<br />
Motorleistung Cayenne Diesel: 193 kW (262 PS). Treibstoff-Normverbrauch: gesamt 6,8 – 6,6 l / 100 km. Benzinäquivalent: 7,4 – 7,6 l / 100 km. CO 2 -Ausstoss: 179 – 173 g / km.<br />
CO 2 -Mittelwert aller in der Schweiz immatrikulierten Fahrzeugmodelle: 139 g / km. Energieeffizienz-Kategorie E. *Preisbeispiel Cayenne Diesel: Listenpreis CHF 85’400.–, 48 Monate<br />
Laufzeit, 10’000 km p.a, 1. grosse Leasingrate 20% vom Listenpreis, effektiver Zinssatz 3,97%, Vollkasko nicht inbegriffen. Alle Preise verstehen sich inkl. MwSt. Änderungen<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>735<br />
vorbehalten. Ein unverbindliches Angebot von Porsche Financial Services in Kooperation mit BANK-now AG. Die Leasingaktion ist gültig bis zum 23.<strong>12</strong>.<strong>2<strong>01</strong>6</strong> (Kundenübernahme bis<br />
zum 31.<strong>12</strong>.<strong>2<strong>01</strong>6</strong>) für alle neuen Kaufabschlüsse (Neuwagenbestellungen). Die Kreditvergabe ist verboten, falls sie zur Überschuldung des Konsumenten führt (UWG Art. 3).
Monatsinterview<br />
«Disziplin war alles.<br />
Und Sport»<br />
Im Dezember wird Ellen Ringier 65 Jahre alt. Die Präsidentin der Stiftung Elternsein,<br />
Herausgeberin des Schweizer ElternMagazins Fritz+Fränzi, schaut auf ihr bewegtes Leben<br />
zurück, erzählt, welchen Namen unser Magazin ursprünglich hätte tragen sollen. Und<br />
verrät ihren Herzenswunsch. Text: Evelin Hartmann und Nik Niethammer Bilder: Maurice Haas / 13 Photo<br />
Frau Ringier, Ihre Mutter stammt aus<br />
einer Londoner Bankiersfamilie, Ihr<br />
Vater war ein Pelzgrosshändler aus<br />
der Innerschweiz. Zur damaligen Zeit<br />
keine alltägliche Kombination.<br />
Da haben Sie recht. Die Tatsache,<br />
dass meine Mutter Ausländerin war<br />
– und noch dazu aus einer so weltoffenen<br />
Stadt kam –, war das Prägendste<br />
in meiner Kindheit. Während<br />
die anderen Mütter die wollenen<br />
Strumpfhosen ihrer Kinder selbst<br />
strickten, schickte unsere Londoner<br />
Verwandtschaft immer Päckchen<br />
mit feinen, weissen synthetischen<br />
Strumpfhosen. Und anstatt in einer<br />
dieser kleinen Holzbüchsen wurde<br />
ich in einem marineblauen Kinderwagen<br />
mit grossen gefederten Rä <br />
dern umhergefahren.<br />
Ihre Mutter war sehr offen, weltgewandt,<br />
kultiviert, während Ihr Vater als<br />
sehr bodenständig und diszipliniert<br />
galt. Führte diese Diskrepanz nicht zu<br />
Spannungen in der Familie?<br />
Eigenartigerweise haben sich meine<br />
Eltern in der Erziehung absolut<br />
getroffen, da gab es nie eine Differenz.<br />
Es gab das elterliche Machtwort,<br />
und wir drei Schwestern funktionierten,<br />
wie die Eltern das von<br />
einem verlangten. Ein Auflehnen gab<br />
es nicht. Andererseits war unseren<br />
Eltern sehr wichtig, dass wir schnell<br />
selbständig werden und die Welt<br />
sehen konnten. Ich war bestimmt die<br />
Erste in Luzern, die bereits mit<br />
18 Jahren in Leningrad und Moskau<br />
war. Natürlich hatten diese Reisen<br />
immer einen erzieherischen Hintergrund:<br />
Mein Vater war ein Intellektueller,<br />
ihm ging Lernen über alles.<br />
«Ich hätte auf<br />
jedem Fleckchen<br />
dieser Welt Wurzeln<br />
schlagen können.»<br />
serkopf eingeladen. Ihm hat es bei<br />
uns gefallen, und wir haben das nicht<br />
hinterfragt. Er gehörte einfach dazu.<br />
Ein indisches Sprichwort lautet:<br />
«Solange die Kinder klein sind, gib<br />
ihnen Wurzeln, wenn sie älter werden,<br />
gib ihnen Flügel.» Was haben Ihre<br />
Eltern in dieser Hinsicht getan?<br />
Sie haben uns gelehrt, dass es im<br />
Leben eine gewisse Demut braucht<br />
und Resilienz. Eine psychische und<br />
physische Widerstandsfähigkeit,<br />
Dinge auch mal auszuhalten. Und<br />
sie haben mir die Fähigkeit mitgegeben,<br />
überall zurechtzukommen.<br />
Sie hätten mich irgendwo mit einem<br />
Fallschirm aus dem Flugzeug springen<br />
lassen können – ich hätte auf<br />
jedem Fleckchen dieser Erde Wurzeln<br />
geschlagen.<br />
In welchen Situationen haben Ihre<br />
Eltern Sie darin bestärkt, weiterzumachen,<br />
nicht aufzugeben?<br />
Meine Eltern sind mit uns oft Bergsteigen<br />
gegangen. Ich bin bis Schwierigkeitsgrad<br />
sechs geklettert. Da gab<br />
es oft Situationen, in denen ich<br />
gedacht habe: «O Gott, wie komme<br />
ich hier bloss lebend durch?» Das<br />
Skifahren ist noch ein anderes Beispiel.<br />
Ich bin jedes Mal durch den<br />
Steilhang gekommen weil ich mich<br />
Von Ihrem Grossvater stammt der<br />
Satz: «Im Leben geht es immer darum,<br />
anderen Menschen eine Chance zu<br />
geben.» Sind Sie durch ihn der soziale<br />
und engagierte Mensch geworden, der<br />
Sie heute sind?<br />
Die Grundüberzeugung unserer ge <br />
samten Familie war, dass wir Teil<br />
dieser Gesellschaft sind. Meine<br />
Eltern standen immer im Austausch<br />
mit ihren Mitarbeitern, man kümmerte<br />
sich um sie, ein Weihnachtsgeld<br />
war obligatorisch. Zu meinen<br />
Kindergeburtstagen hat meine Mutter<br />
jedes Jahr aus der Nachbarschaft getraut habe, mich talwärts zu lehnen.<br />
Wer Angst hat, lehnt sich auch einen Jungen mit einem Was >>><br />
36 Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>7 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>737
Das Gemeinwohl<br />
liegt ihr am<br />
Herzen. Ellen<br />
Ringier in ihrem<br />
Stiftungsbüro.<br />
>>> am Berg an und verliert so den<br />
Halt. Die Fähigkeit, allem erst einmal<br />
offen und wohlwollend gegenüberzutreten<br />
und sich als Teil eines Ganzen<br />
zu sehen, verdanke ich meinen<br />
Eltern.<br />
Gab es denn nie ein Aufbegehren,<br />
beispielsweise in der Pubertät?<br />
Nein, ich hatte keine Pubertät. Als<br />
mein erster Freund mich verlassen<br />
hatte und ich am Boden zerstört war,<br />
sagte mein Vater: «Geh raus in die<br />
Natur, joggen.» Disziplin war alles.<br />
Und Sport. Wenn andere später während<br />
oft nächtelanger Verhandlungen<br />
oder stundenlanger Sitzungen etwas<br />
essen, dauernd auf die Toilette mussten,<br />
habe ich das ohne Pausen durchgestanden.<br />
Ich war nie krank, habe<br />
in meinem Berufsleben nie gefehlt,<br />
habe mich aber auch mit 40 Grad<br />
Fieber zur Arbeit geschleppt. Kein<br />
Wunder, wir Kinder haben nie ge <br />
lernt, uns zu fragen: «Was brauchen<br />
wir? Was tut uns gut?»<br />
Einfach mehr auf sich zu achten.<br />
Hätten Sie sich das gewünscht?<br />
Ein bisschen vielleicht – aber nein.<br />
Eigentlich bin ich froh darüber. Was<br />
ich eher bedaure, ist die Tatsache,<br />
dass wir nie gelobt wurden. Meine<br />
Mutter hat gesagt, dass sie stolz auf<br />
«Ich war nie krank,<br />
habe nie gefehlt,<br />
habe mich auch<br />
mit 40 Grad Fieber<br />
zur Arbeit<br />
geschleppt.»<br />
uns sei. Meinem Vater kam das nie<br />
über die Lippen. Als ich aufs Gymnasium<br />
wollte, hat er gesagt: «Ich<br />
wünschte, sie wäre so gescheit, dass<br />
sich das lohnen würde, aber das wird<br />
sie nicht schaffen.» Ich bestand die<br />
Aufnahmeprüfung und machte<br />
Matura. Bei meinem Abschluss hielt<br />
mein Vater eine Rede und sagte, dass<br />
das Gymnasium zu seiner Zeit<br />
anspruchsvoller gewesen sei, aber<br />
jetzt käme ich auf die Universität, da<br />
müsse ich endlich arbeiten lernen.<br />
Er hatte mich nie lernen sehen.<br />
Ist das wahr?<br />
Natürlich nicht. Ich war nie eine<br />
Musterschülerin, aber was ich<br />
machen musste, habe ich gemacht.<br />
Ich war Minimalistin, das ist wahr.<br />
Ich hatte offenbar doch gewisse<br />
Begabungen und konnte mich ganz<br />
gut durchschlängeln.<br />
Heute sind Sie promovierte Juristin.<br />
Wie kam Ihr Vater zu solchen Aussagen?<br />
Er konnte sich einfach nicht vorstellen,<br />
dass aus jemandem etwas wird,<br />
wenn er nicht pausenlos liest und<br />
lernt. Diese intellektuelle Haltung<br />
hatte ich nicht.<br />
38 Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>7 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Monatsinterview<br />
Kämpft man das ganze Leben um die<br />
Anerkennung des geliebten Vaters?<br />
Ja, das bleibt einem, leider. Aber es<br />
ist auch ein Vorteil, wenn man<br />
gelernt hat, sich nicht auf Äusserlichkeiten<br />
zu verlassen. Ich bin jetzt<br />
65, und es ist mir vollkommen<br />
wurscht, dass meine Haare weiss<br />
sind, und wem meine Falten nicht<br />
gefallen, kann gerne auf mich verzichten.<br />
Ich bin der festen Überzeugung:<br />
Ist ein Mensch innerlich<br />
schön, hat er auch diese Ausstrahlung.<br />
Das ist eine sehr selbstbewusste Einstellung.<br />
Die ich natürlich nicht immer hatte.<br />
Im Teenageralter gab es Zeiten, in<br />
denen ich nicht damit umgehen<br />
konnte, wenn die Leute gesagt<br />
haben: «Mensch, du bist so gross<br />
gewachsen, hast so lange Beine, so<br />
eine tolle Figur, du solltest Model<br />
werden.» Ich habe nur gedacht:<br />
«Spinnen die?» Ich konnte mit so<br />
etwas nicht umgehen. Ein bisschen<br />
mehr Selbstbewusstsein diesbezüglich<br />
wäre gut gewesen.<br />
«In diesem Land<br />
ist jeder für<br />
sich allein, und<br />
in der Erziehung<br />
wirkt sich das<br />
verheerend aus.»<br />
Und trotzdem sind Sie zu einer selbstbewussten,<br />
autarken jungen Frau<br />
erzogen worden. Als Sie nach Ihrer<br />
Heirat mit Michael Ringier nach Hamburg<br />
gingen, waren Sie allerdings erst<br />
einmal zum Nichtstun verdammt.<br />
Das war eine grosse Enttäuschung.<br />
Mir war vorher nicht bewusst, dass<br />
ich dort erst einmal keine Arbeitserlaubnis<br />
bekommen würde. Ich fing<br />
dann langsam an, unentgeltlich zu<br />
arbeiten. So habe ich beispielsweise<br />
einem Model geholfen, eine Taschenboutique<br />
zu eröffnen. So bin ich von<br />
Anfang an Teil der Hamburger Ge <br />
sellschaft geworden.<br />
In Köln haben Sie dann eine Anstellung<br />
bei einer grossen Versicherung<br />
antreten können. Ein paar Jahre später<br />
ging es zurück in die Schweiz. Wie<br />
kam es zur Gründung der Stiftung<br />
Elternsein?<br />
Da muss ich etwas ausholen. In den<br />
1990er-Jahren hat die Firma Ringier<br />
die Stiftung Humanitas, in den 30er-<br />
Jahren von Michaels Grossvater ge <br />
gründet, wieder aufleben lassen, um<br />
notleidenden Menschen zu helfen.<br />
Da habe ich gesehen, wie es Fami lien<br />
in Armut geht und wie diese in einen<br />
Kreislauf geraten, der sie immer weiter<br />
hinunterzieht.<br />
Und aus diesem Kreislauf kommt man<br />
nur ganz schwer wieder heraus ...<br />
... weil sich in diesem Land jeder nur<br />
um die eigenen Probleme kümmert.<br />
In anderen Kulturen ist das anders.<br />
Nie würde eine Mutter hierzulande<br />
sagen: «Mein Kind muss eine Klasse<br />
wiederholen.» Nie würde ein Vater<br />
zu der Lehrerin gehen und sagen:<br />
«Ich habe ein Alkoholpro blem, ich<br />
weiss nicht, ob Sie es an den schulischen<br />
Leistungen meines Sohnes<br />
schon gemerkt haben.» Hier ist jeder<br />
für sich allein, und in der Erziehung<br />
wirkt sich das verheerend aus.<br />
Und aus diesem Grund haben Sie<br />
20<strong>01</strong> die Stiftung Elternsein gegründet?<br />
In diesem Jahr bin ich 50 geworden<br />
und habe mich gefragt, was es in<br />
diesem Land wirklich braucht, um<br />
Familien zu helfen. Die Schweiz hat<br />
kein Familienministerium. Hier gilt<br />
es, eine grosse Lücke zu schliessen,<br />
was ich alleine natürlich niemals<br />
leisten kann, aber ich kann meinen<br />
Teil dazu beitragen. Und so brachten<br />
meine damalige Geschäftspartnerin<br />
Sabine Danuser und ich die erste<br />
Ausgabe von Fritz+Fränzi heraus.<br />
Mein gedrucktes Sozialprojekt. Es<br />
ging mir darum, Eltern in ihrer<br />
Erziehungskompetenz und Erziehungsaufgabe<br />
zu unterstützen und<br />
in der Gesellschaft ein Verständnis<br />
dafür zu schaffen, was es heute heisst,<br />
Kinder zu erziehen. Mir schien es,<br />
dass es damals kein Bewusstsein für<br />
die wachsenden Anforderungen an<br />
Eltern, Lehrer und andere Erzieher<br />
gab – und immer noch nicht in genügendem<br />
Masse gibt.<br />
«Ihr wollt mit dem<br />
Heft Eltern helfen,<br />
deren Kinder frech<br />
sind? Nennt es doch<br />
‹Der Saugoof›.»<br />
Wie kam es zu dem Namen?<br />
Ratgeber Elternsein konnte das<br />
Magazin nicht heissen. Da kommt<br />
die Freundin zu Besuch und sieht das<br />
Magazin auf dem Wohnzimmertisch<br />
liegen. «Was, du brauchst einen Ratgeber?»<br />
Das möchte keiner. Wir hatten<br />
schon an «Max und Moritz»<br />
ge dacht. Aber es hätte ein Mädchenname<br />
dabei sein müssen. Also sind<br />
wir zu dem Werbefachmann Hermann<br />
Strittmatter gegangen und<br />
haben uns beraten lassen. «Ihr wollt<br />
mit dem Heft Eltern helfen, deren<br />
Kinder frech sind und Probleme<br />
machen?» fragte er. «Dann nennt es<br />
doch auch so: ‹Der Saugoof›.»<br />
Der Saugoof? Das haben Sie doch<br />
nicht ernsthaft in Erwägung gezogen!<br />
Natürlich nicht! Wir haben dann<br />
zwei Namen genommen, die es heute<br />
nicht mehr gibt, die aber klingen<br />
wie Max und Moritz. So sind wir auf<br />
Fritz und Fränzi gekommen. Zwei<br />
richtig altmodische Namen.<br />
Sechs Mal pro Jahr ist Fritz+Fränzi<br />
anfangs erschienen.<br />
Es war jedes Mal eine Zitterpartie,<br />
aber wir haben es immer hinbekommen,<br />
nie eine Ausgabe ausgelassen.<br />
Dabei hatten wir jahrelang noch<br />
nicht mal einen Verlagsleiter. Aber<br />
uns war von Beginn an klar, dass wir<br />
das Heft über Schulen verteilen lassen<br />
würden. Wir waren glücklich<br />
darüber, dass wir von Anfang >>><br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>739
Monatsinterview<br />
>>> an den LCH (Dachverband<br />
Schweizer Lehrerinnen und Lehrer)<br />
und später auch noch den VSLCH<br />
(Verband Schulleiterinnen und<br />
Schulleiter Schweiz) als Vertriebspartner<br />
gewinnen konnten.<br />
Und, das möchte ich betonen: Wir<br />
waren und sind völlig unabhängig<br />
vom Verlag Ringier wie auch vom<br />
Geld meines Mannes.<br />
«Anfangs habe<br />
ich 20 Stunden<br />
pro Tag gearbeitet.<br />
Ich habe damals<br />
alle Anzeigen selbst<br />
akquiriert.»<br />
Welche Summe Ihres eigenen Vermögens<br />
haben Sie denn in die<br />
Stiftung und in Fritz+Fränzi investiert?<br />
2,6 Millionen. Und 15 Jahre meiner<br />
Arbeitsleistung. Und das waren in<br />
den ersten Jahren 20 Stunden pro<br />
Tag. Ich habe damals alle Anzeigen<br />
selbst akquiriert.<br />
Wie gehen Sie damit um, wenn<br />
jemand, der viel Geld hat, keinen Rappen<br />
für die gute Sache spenden will?<br />
Tja, nicht immer gleich gut. Es gibt<br />
Tage, da lege ich den Hörer auf und<br />
heule. Dann bin ich total niedergeschlagen,<br />
weil irgendein frecher Kerl<br />
am anderen Ende gesagt hat: «Nicht<br />
interessiert.» Keine Erklärung, kein<br />
höfliches Wort.<br />
Sie kennen bestimmt viele vermögende<br />
Menschen persönlich sehr gut.<br />
Ich fundraise grundsätzlich keine<br />
Freunde. Aber wenn keiner meiner<br />
eingeladenen Gäste zu meinem 60.<br />
Geburtstag auf die Idee kommt, mir<br />
etwas für die Stiftung zu spenden,<br />
obwohl ich keine Geschenke möchte,<br />
enttäuscht mich das schon. Dazu<br />
muss man aber sagen, dass ich schon<br />
zehn Jahre vorher angefangen habe,<br />
Geld für die unzähligen Stiftungen,<br />
in denen ich vertreten war und teilweise<br />
noch bin, zu sammeln. Ich<br />
habe Millionen zusammengetragen.<br />
Irgendwann haben die Leute gesagt:<br />
Jetzt kommt sie schon wieder. Das<br />
hat mich nicht gerade beliebter<br />
gemacht.<br />
Sind Sie so penetrant?<br />
Ich würde es ausdauernd nennen.<br />
Ich will niemanden zu seinem Glück<br />
zwingen, aber manchmal brauche<br />
ich noch ein Extrawort, damit man<br />
merkt, worum es mir eigentlich geht.<br />
Ihre Töchter sind heute 23 und 25<br />
Jahre alt und selbst Mutter. Wie erleben<br />
Sie junge Eltern heute?<br />
Meine Töchter sind sehr privilegiert.<br />
Grundsätzlich denke ich aber, dass<br />
die Ansprüche an Menschen um die<br />
30 gestiegen sind. Der Wettbewerb<br />
ist viel grösser als zu meiner Zeit.<br />
Ausserdem sind die Kosten im Verhältnis<br />
zur Lohnsteigerung aus dem<br />
Ruder gelaufen. In den meisten<br />
Familien müssen beide arbeiten.<br />
Daher muss eine Kitasituation mit<br />
moderaten Preisen geschaffen werden,<br />
die eine Berufstätigkeit überhaupt<br />
rentabel macht. Das Gleiche<br />
gilt für die Ganztagsschulen und die<br />
nachschulische Betreuung. Das<br />
brauchen Eltern mehr denn je. Das<br />
andere ist die Gesundheitsfrage.<br />
Rund ein Drittel der Bevölkerung<br />
leidet unter Depressionen. Das<br />
betrifft auch Mütter, Väter und deren<br />
Kinder. Da kommt ein 15-jähriger<br />
Junge nach Hause, muss Hausaufgaben<br />
machen, aber die Mutter liegt<br />
noch im Bett, mit zugezogenen Vorhängen.<br />
Im Kühlschrank nur saure<br />
Milch. Statt Hausaufgaben machen<br />
zu können, muss er erst einmal den<br />
Haushalt schmeissen.<br />
Was können Sie konkret tun, wenn<br />
solch ein Fall an Sie herangetragen<br />
würde?<br />
Heute lehne ich eine beratende<br />
Funktion ab. Früher hätte ich der<br />
Mutter gesagt: «Seien sie offen mit<br />
Ihren Problemen, stehen Sie dazu.<br />
Gehen Sie zur Lehrerin Ihres Sohnes,<br />
gehen Sie zur Gemeinde. Gemeinden<br />
in der Schweiz haben mit ihren<br />
gut ausgebauten Sozialbehörden<br />
viele Möglichkeiten, einzugreifen.»<br />
Psychische Krankheiten, Drogen,<br />
Schulabbruch. Das Schweizer Eltern<br />
Magazin Fritz+Fränzi greift viele dieser<br />
heiklen Themen auf. Zu welcher Ausgabe<br />
hätten Sie gegriffen, als Ihre<br />
Töchter noch jünger waren? Was hat<br />
Sie als Mutter umgetrieben?<br />
Der erste Filmbeitrag von Fabian<br />
Grolimund hat mir die Augen geöffnet.<br />
Das Thema hiess: «Mit Kindern<br />
lernen». Unter anderem ging es darum,<br />
dem Kind nicht beizubringen,<br />
dass Lernen etwas Anstrengendes ist,<br />
das müde macht. Bevor man Zeichen<br />
der Müdigkeit sieht, soll man das<br />
Kind abholen und sagen, dass es sich<br />
eine Pause verdient hat. Mein Gott,<br />
habe ich meine Kinder drangsaliert!<br />
Nichtsdestotrotz denke ich, dass ich<br />
mit meinen Töchtern in vielen Dingen<br />
hätte strenger sein müssen.<br />
Wie sind denn Ihre Töchter mit ihren<br />
eigenen Kindern?<br />
Sie sind wieder deutlich strenger,<br />
verlangen mehr, als wir verlangt<br />
haben. Aber gehen trotz dieser Er -<br />
wachsenenautorität in einer gewissen<br />
Weise geschwisterlich mit ihren<br />
Kleinkindern um. Ich bin gespannt,<br />
wie sie diese Diskrepanz eines Tages<br />
zusammenbringen wollen.<br />
«Ich hätte mit<br />
meinen Töchtern<br />
in vielen Dingen<br />
strenger sein<br />
müssen.»<br />
Wie sehen Sie denn Ihre Rolle als<br />
Grossmutter?<br />
Ich möchte meine Enkel auf jeden<br />
Fall begleiten und meine Kinder<br />
unterstützen. Wenn sie mich lassen<br />
(lacht). Ich bedaure sehr, dass wir die<br />
Aktivitäten, die meine Eltern mit uns<br />
unternommen haben, nie mit unseren<br />
Kindern gemacht haben. Einfach<br />
mit einem Zelt los und an einem<br />
schönen Fleck essen und übernachten.<br />
So etwas nennt man Quality<br />
40 Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>7 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Time. Mein Mann und ich waren<br />
einfach zu beschäftigt und haben das<br />
anderen überlassen.<br />
«Es ärgert mich,<br />
dass die öffentliche<br />
Hand mein Projekt<br />
nicht unterstützen<br />
will und kann.»<br />
Frau Ringier, wenn Sie auf die letzten<br />
Jahre zurückblicken. Worauf sind Sie<br />
stolz? Und was muss noch getan<br />
werden?<br />
Ich kann nicht gut damit leben, dass<br />
die Schulen fast nur jedes zweite<br />
Exemplar von Fritz+Fränzi bekommen.<br />
Es macht mich wahnsinnig,<br />
dass so viel Know-how nicht da<br />
ankommt, wo es ankommen sollte.<br />
Für die Verdoppelung der eh schon<br />
riesigen Auflage von über 100 000<br />
Exemplaren müsste ich viel mehr<br />
Sponsoren gewinnen. Aber ich bin<br />
stolz darauf, wo wir heute stehen.<br />
Das Magazin ist jetzt genau so, wie<br />
ich es mir immer vorgestellt habe.<br />
Was wünschen Sie sich für die<br />
Zukunft?<br />
Natürlich hoffe ich, dass es eines<br />
Tages in der Schweiz ein Familienministerium<br />
mit Kompetenz und<br />
genügend Geldmitteln geben wird.<br />
Es ärgert mich nämlich, dass die<br />
öffentliche Hand «mein Projekt»<br />
nicht unterstützen will und kann.<br />
Wenn ich bedenke, wie viele Millionen<br />
Franken der Bund für mässig<br />
nutzbringende Anti-Raucher-Kampagnen<br />
ausgibt. Vielleicht müsste<br />
man in einem Interview mit dem<br />
Innenminister Alain Berset einmal<br />
nachfragen, warum der Bund die<br />
Förderung der Elternkompetenz<br />
nicht auf dem Radar hat. Zuvor<br />
müsste man Herrn Berset jedoch<br />
darauf aufmerksam machen, dass er<br />
eben auch Familienminister ist – er<br />
ist sich dessen vermutlich nicht einmal<br />
bewusst! (lacht)<br />
>>><br />
Ellen Ringier liebt das Reisen. Viele schöne Dinge hat sie aus Afrika<br />
mitgebracht. Diese zieren nun die Räume ihrer Stiftung. Hier haben<br />
Nik Niethammer und Evelin Hartmann ihre Chefin getroffen.<br />
Zur Person<br />
Ellen Riniger ist mit zwei Schwestern in Luzern am<br />
Vierwaldstättersee aufgewachsen. Ihr Vater war Kaufmann<br />
und Kunstsammler. 1976 heiratete sie den Verleger<br />
Michael Riniger. Das Paar lebte während sieben Jahren in<br />
Deutschland. 1980 schloss Ellen Ringier ihr Jurastudium<br />
mit dem Doktorexamen ab. Seit 1990 setzt sie sich<br />
ehrenamtlich für verschiedene kulturelle und soziale<br />
Organisationen und Aufgaben ein, im Jahr 20<strong>01</strong> gründete sie<br />
die Stiftung Elternsein. Ellen und Michael Ringier sind<br />
Eltern zweier Töchter im Alter von 23 und 25 Jahren. Das<br />
Paar lebt in Küsnacht ZH.<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>741
Kolumne<br />
Ein Leben in Filmen<br />
Wenn meine Kindheit ein Film wäre,<br />
dann wäre ich Tim Roth und würde<br />
mit Claudia Cardinale «Do Re Mi»<br />
singen.<br />
Mikael Krogerus<br />
ist Autor und Journalist. Der Finne ist Vater einer<br />
Tochter und eines Sohnes, lebt in Biel und schreibt<br />
regelmässig für das Schweizer ElternMagazin<br />
Fritz+Fränzi und andere Schweizer Medien.<br />
Mit 6: «Spiel mir das Lied vom Tod». Der allererste<br />
Film, an den ich mich richtig erinnern kann, war der<br />
Sergio-Leone-Klassiker, und das kam so: Mein Vater sass<br />
unten im Fernsehkeller in seinem Sessel mit dem Rücken<br />
zur Tür, und ich war heimlich heruntergeschlichen. Im<br />
Fernseher wartete eine Gruppe Cowboys auf einen<br />
Zug. Es geschah: nichts. Ich weiss nicht, ob Sie den Film<br />
noch vor Augen haben, er ist brutal und wunderschön und<br />
nichts für Kinder, aber die ersten 40 Minuten passiert<br />
wirklich wenig. Ich dachte damals: Aha, so ist also<br />
Fernsehen. Natürlich verharrte ich trotzdem drei Stunden<br />
mit kalten Füssen auf der Türschwelle. Irgendwann<br />
tauchte eine Frau auf (Claudia Cardinale), und die Welt<br />
Illustration: Petra Dufkova / Die Illustratoren<br />
Burgerstein Zink-C:<br />
Das kratzt doch<br />
Rachen und Hals<br />
nicht.<br />
Burgerstein Zink-C sind schmackhafte Toffees mit Zink,<br />
Vitamin C und Orangenaroma zum Lutschen. Durch den direkten<br />
Kontakt der Inhaltsstoffe mit der Rachenschleimhaut kann ein<br />
lokaler Effekt erzielt werden. Zink und Vitamin C unterstützen<br />
unter anderem die normale Funktion des Immunsystems.<br />
Tut gut. Burgerstein Vitamine<br />
Erhältlich in Ihrer Apotheke oder Drogerie –<br />
Gesundheit braucht Beratung.<br />
Antistress AG, Gesellschaft für Gesundheitsschutz, CH-8640 Rapperswil-Jona<br />
www.burgerstein.ch
drehte sich. Es ist, wenn man bedenkt, dass ich sie<br />
bloss in einem Film gesehen hatte, besorgniserregend,<br />
wie oft und wie zärtlich ich in der Folgezeit an sie<br />
gedacht habe: Wo bist du? Mit wem? Denkst du<br />
manchmal an mich?<br />
Mit 8: «The Sound of Music». Der Film handelt von Marie<br />
(Julie Andrews), die bei der Trapp-Familie als Au-pair-<br />
Mädchen arbeitet und mit den Kindern singt. Ich liebte die<br />
kitschtriefende Story mit ihrem Geschlechterbild von<br />
vorgestern. Lauthals sang ich vor dem TV mit: «Doe, a<br />
deer, a female deer, ray, a drop of golden sun …»,<br />
und wünschte mir, unser Au-pair- Mädchen sähe so aus wie<br />
Andrews oder könnte wenigstens so singen wie sie. Ich<br />
habe den Film sicher zehn Mal gesehen, immer zusammen<br />
mit meiner Schwester. Irgendwann seufzte sie und sagte:<br />
«Hör auf, du kannst nicht singen.» Ein Teil von mir ist seit<br />
diesem Tag nie wieder glücklich geworden.<br />
Mit <strong>12</strong>: «Dirty Dancing». «That was the summer of 1963.<br />
When everybody called me Baby and it didn’t occur to me<br />
to mind. That was before President Kennedy was shot,<br />
before the Beatles came and I thought I’d never find a guy<br />
as great as dad …» Ich kann den kompletten Anfang des<br />
schaurig-schlechten Teeniefilms auswendig. Und, wenn ich<br />
ehrlich sein soll, auch Grossteile des Rests. Irgendwann<br />
wollte ich ihn nicht mehr sehen, ich wollte selber so einen<br />
Sommer erleben.<br />
Mit 14: «Octopussy». Mein Vater und ich telefonieren fast<br />
täglich miteinander. In den Gesprächen halten wir uns an<br />
einen erprobten Themendreiklang wie alternde Menschen<br />
an ein Geländer: Airport-Lounges, Vielfliegerkarten und<br />
James-Bond-Filme. Uns verbindet eine merkwürdige<br />
Schwäche für den britischen Geheimagenten. Der erste<br />
Bond, den wir gemeinsam sahen: «Octopussy».<br />
Mit 16: «Reservoir Dogs». Mit 16 war mein Lieblingsfilm<br />
noch immer «Terminator II», obwohl mir klar war: Das<br />
kann es nicht sein. Dann kam der Erstling von Quentin<br />
Tarantino. Instinktiv ahnte ich, dass dieser Film etwas<br />
Besonderes ist. Und dass ich es nicht bin. Meine<br />
Begeisterung galt nicht der Gewaltdarstellung. Es ging mir<br />
um die Dialoge, die Musik, den Look. Und um Tim Roth.<br />
Ein Loser, ein Anti-Mann mit schiefen Zähnen und<br />
schmalen Schultern, der am Ende kläglich stirbt und<br />
irgendwie doch alle überragt. Wenn der cool ist, dachte ich,<br />
dann bin ich es auch.<br />
Azzaro<br />
Chrome<br />
Homme<br />
EdT Vapo<br />
100 ml<br />
Bulgari<br />
Man Extreme<br />
Homme<br />
EdT Vapo<br />
100 ml<br />
Hugo Boss<br />
Bottled<br />
Homme<br />
EdT Vapo<br />
100 ml<br />
39. 90<br />
Konkurrenzvergleich<br />
107.-<br />
49. 90<br />
Konkurrenzvergleich<br />
115.-<br />
49. 90<br />
Konkurrenzvergleich<br />
94.-<br />
Versace<br />
Bright Crystal<br />
Femme<br />
EdT Vapo<br />
50 ml<br />
44. 90<br />
Konkurrenzvergleich<br />
105.-<br />
Chopard<br />
Wish<br />
Femme<br />
EdP Vapo<br />
75 ml<br />
Hugo Boss<br />
XX<br />
Femme<br />
EdT Vapo<br />
60 ml<br />
29. 90<br />
Konkurrenzvergleich<br />
94.-<br />
Calvin Klein<br />
Euphoria<br />
Femme<br />
EdP Vapo<br />
50 ml<br />
Markenparfums extrem günstig.<br />
Auch online über ottos.ch<br />
Giorgio<br />
Armani<br />
Code<br />
Femme<br />
EdP Vapo<br />
50 ml<br />
59. 90<br />
Konkurrenzvergleich<br />
<strong>12</strong>1.-<br />
29. 90<br />
Konkurrenzvergleich<br />
115.-<br />
34. 90<br />
Konkurrenzvergleich<br />
110.-<br />
Riesenauswahl. Immer. Günstig.<br />
ottos.ch
Psychologie & Gesellschaft<br />
Eine Trennung verändert<br />
die kindliche Welt fundamental<br />
Für Eltern ist es in Trennungssituationen oft schwierig, zu jeder Zeit auch noch die<br />
Bedürfnisse der Kinder zu berücksichtigen. Was bedeutet das für Kinder und Jugendliche<br />
und wie können die Eltern ihnen die Trennungssituation trotzdem erleichtern? Text: Sonya Gassmann<br />
Bild: iStockphoto<br />
44 Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>7 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Eine Trennung ist für Kinder<br />
ein anderes Erlebnis<br />
als für Erwachsene. Kinder<br />
erleben eine Trennung<br />
selten als Chance<br />
für einen Neubeginn.<br />
Erwachsene hingegen versprechen<br />
sich positive Veränderungen<br />
und Erleichterung, wenn die Familienstabilität<br />
wiederhergestellt ist.<br />
Von mindestens einem Elternteil ist<br />
die Trennung eine freiwillige Entscheidung.<br />
Bereits in der Phase der Ambivalenz,<br />
das heisst, wenn ein Elternteil<br />
oder beide sich nicht mehr sicher<br />
sind, ob sie an der Beziehung noch<br />
festhalten wollen, befinden sich die<br />
Kinder in einer Situation der Verunsicherung.<br />
Es ist deshalb wichtig,<br />
den Reaktionen von Kindern und<br />
Jugendlichen bereits vor dem eigentlichen<br />
Trennungsverfahren Beachtung<br />
zu schenken.<br />
Da viele Eltern in dieser Phase in<br />
eheliche Auseinandersetzungen verstrickt<br />
sind, können sie ihre Kinder<br />
trotz guter Absichten oft nicht genügend<br />
in deren Bedürfnis nach<br />
Sicherheit und Schutz wahrnehmen.<br />
Die daraus resultierende Belastung<br />
kann sich in einer schmerzhaften<br />
Angstreaktion vor dem Verlassenwerden<br />
zeigen.<br />
Die wichtigsten Stressfaktoren,<br />
die eine Trennung auslöst, können<br />
folgendermassen beschrieben werden:<br />
Die Trennung kommt normalerweise<br />
unerwartet, hat eine grosse<br />
Intensität und verändert die kindliche<br />
Welt fundamental. Die Trennung<br />
ist ein Verlusterlebnis und<br />
wird von Verlas senheitsängsten<br />
begleitet.<br />
Die grundlegende Angst vor dem<br />
Verlassenwerden entwickelt sich,<br />
wenn das Kind genügend häufig und<br />
genügend intensiv Erfahrungen<br />
macht, die seine Bedürfnisse missachten<br />
und verletzen. Vor allem bei<br />
Verletzungen seines Nähebedürfnisses<br />
entsteht das Gefühl von Verlassenheit.<br />
Als Reaktion darauf entwickelt<br />
das Kind eine Grundangst vor<br />
dem Verlassenwerden.<br />
Kinder reagieren mit depressiven<br />
Verstimmungen<br />
Kinder zeigen besonders vor und<br />
während der elterlichen Trennung<br />
psychische Reaktionen. Sie reagieren<br />
in erster Linie mit nach aussen<br />
gerichteten Auffälligkeiten wie<br />
antisozialem und aggressivem Verhalten<br />
und mit nach innen gerichteten<br />
Auffälligkeiten wie depressiver<br />
Verstimmung.<br />
Weitere mögliche Reaktionen in<br />
der kindlichen Trennungskrise sind:<br />
Schlafstörungen<br />
Bauch- und Kopfschmerzen<br />
Lern- und Konzentrationsschwierigkeiten<br />
mangelndes Selbstwertgefühl und<br />
Unsicherheit<br />
Schuldgefühle<br />
Essstörungen<br />
sozialer Rückzug<br />
Hinter diesen Reaktionen steht die<br />
Angst vor dem Verlassenwerden.<br />
Dies zeigt sich primär in der konkreten<br />
Angst, einen Elternteil zu<br />
verlieren. Dabei droht gleichzeitig<br />
ein Identitätsverlust. Denn mit dem<br />
vermeintlichen Verlust des geliebten<br />
Menschen droht dem Kind eine<br />
Erschütterung seines Selbstwertes.<br />
Wie können die Eltern auf die Angst<br />
ihrer Kinder vor dem Verlassenwerden<br />
reagieren?<br />
Die Kinder können ihre Angst vor<br />
dem Verlassenwerden reduzieren<br />
und gleichzeitig ihr Gleichgewicht<br />
wiederherstellen, wenn sie einerseits<br />
eine möglichst intensive Beziehung<br />
zu beiden Elternteilen aufbauen können.<br />
Andererseits spielt die Kooperation<br />
der Eltern eine wichtige Rolle.<br />
Damit vermitteln die Eltern, dass<br />
sich seine Welt nicht in den Grundfesten<br />
verändern wird.<br />
Konkrete Handlungsmöglichkeiten<br />
für Eltern sind folgende:<br />
Zeigen Sie viel Geduld und<br />
grosse Toleranz gegenüber den<br />
Reaktionen des Kindes.<br />
Geben Sie Ihrem Kind Anerkennung<br />
und Geborgenheit.<br />
Stellen Sie keine zu hohen Erwartungen<br />
an das Kind, was nicht<br />
heisst, ihm keine Grenzen mehr zu<br />
setzen. Nur auf Erziehung sollte<br />
vorübergehend verzichtet werden.<br />
Führen Sie viele Gespräche, auch<br />
wenn sie immer wieder um das<br />
gleiche Thema kreisen.<br />
Suchen Sie das Gespräch, vor allem<br />
immer dann, wenn die Gefühlslage<br />
des Kindes in Richtung Angst<br />
zeigt.<br />
Verurteilen Sie den anderen El -<br />
ternteil nicht.<br />
Zusätzliche Handlungsmöglichkeiten<br />
für denjenigen Elternteil, der<br />
ausgezogen ist:<br />
Stellen Sie Verlässlichkeit und Stabilität<br />
in ihrer Beziehung zum<br />
Kind her.<br />
Lassen Sie ihr Kind den Alltag erleben:<br />
Eigene Alltagsgegenstände<br />
wie Zahnbürste, Kleider, Spielsachen,<br />
Bücher haben einen festen<br />
Platz in der neuen Wohnung.<br />
Vermitteln Sie Sicherheit, in dem<br />
das Kind beide Eltern weiterhin<br />
lieben darf. >>><br />
Zeigen Sie viel Geduld<br />
gegenüber den<br />
Reaktionen des Kindes.<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>745
Psychologie & Gesellschaft<br />
>>> Für die Eltern in der Tren Kinder brauchen regelmässige und<br />
nungssitua tion ist es oft schwierig,<br />
die Wünsche und Bedürfnisse der<br />
Kinder zu be rücksichtigen. Umso<br />
wichtiger ist es, dass die Kinder mit<br />
einer psychologischen Fachperson<br />
sprechen können. Es ist Ausdruck<br />
einer Wertschätzung, dass die Kinder<br />
zur Trennung eine eigene Meinung<br />
bilden können und ihren<br />
Anliegen Raum und Zeit gegeben<br />
wird.<br />
Eltern sollen die Kinder von<br />
Anfang an miteinbeziehen, denn die<br />
altersgerechte Informationen über<br />
die familiären Veränderungen.<br />
Schliesslich sind sie zum Beispiel von<br />
den verschiedenen Wohnorten der<br />
Eltern am stärksten betroffen.<br />
Beim Erstellen des Planes für die<br />
Aufteilung der Betreuung können<br />
vor allem ältere Kinder bereits mitwirken.<br />
Dies bestätigt ihnen, dass sie<br />
mit ihren Wünschen und Bedürfnissen<br />
ernst genommen werden.<br />
Beim Mitgestalten des Alltags<br />
können auch schon jüngere Kinder<br />
mitreden, so fühlen sie sich selbstbestimmter.<br />
Jedoch sollen sie keine<br />
Entscheidungen treffen müssen.<br />
Eltern sollen die Kinder von<br />
Anfang an miteinbeziehen,<br />
denn sie brauchen<br />
altersgerechte Informationen.<br />
Kinder brauchen die Gewissheit,<br />
dass Sie trotz einer Trennung<br />
geliebt werden<br />
Gibt es auch glückliche Scheidungskinder?<br />
Ja, es gibt sie! Kinder im<br />
Trennungskonflikt können eine<br />
ebenso glückliche Kindheit und<br />
Jugend erleben wie Kinder, deren<br />
Eltern sich nicht scheiden lassen.<br />
Wir Erwachsene haben es in der<br />
Hand, dass die Kinder als ganz normale<br />
Kinder aufwachsen können.<br />
Hierfür brauchen sie Liebe und<br />
Unterstützung sowie die Gewissheit,<br />
dass sie trotz der Trennung weiterhin<br />
geliebt werden und beide Elternteile<br />
immer für sie da sind. Darüber hinaus<br />
müssen die Kinder aufgeklärt<br />
werden, dass sie nicht der Grund für<br />
die Scheidung sind. Auch eine gute<br />
und warme Beziehung zwischen den<br />
Kindern und ihren Eltern kann<br />
negative Folgen vermindern.<br />
«Trennungs- und Scheidungskinder<br />
brauchen eine soziale Umgebung,<br />
die ihnen Sicherheit vermittelt,<br />
in der sie dem Loyalitätskonflikt<br />
gegenüber den Eltern enthoben sind,<br />
Schülerschreibtisch-Set<br />
Cool Top II<br />
nur<br />
CHF<br />
529.– *<br />
statt CHF 729.-<br />
Best.-Nr. 14385200<br />
Wunderbar<br />
weihnachtlich.<br />
200.–<br />
Rabatt<br />
In 9 Farbvarianten erhältlich<br />
Bestehend aus:<br />
1 x Schreibtisch<br />
1 x Roll-Container<br />
1 x Sitzkissen<br />
1 x Taschenablage<br />
1 x Leuchte und<br />
1 x Kinderstuhl<br />
Bastel-Koffer<br />
Weihnachten<br />
nur<br />
CHF<br />
Jetzt überall und jederzeit einkaufen. Für Arbeit, Schule und Zuhause.<br />
7.90<br />
statt CHF 11.90<br />
Best.-Nr. 14256600<br />
–33%<br />
Grosser Adventskalender<br />
Wettbewerb!<br />
Farbstifte Colour<br />
Grip, 24er Schachtel<br />
nur<br />
CHF<br />
19.90<br />
Best.-Nr. 10923900<br />
Jetzt mitspielen und täglich<br />
tolle Preise gewinnen.<br />
officeworld.ch/adventskalender<br />
statt CHF 29.90<br />
–30%<br />
*Abholpreis in Ihrer Office World Filiale, Lieferpreis unter officeworld.ch oder auf Anfrage: Tel. 0844 822 816<br />
Sämtliche Preisabbildungen sind inkl. MWSt. und in CHF | Irrtümer und Druckfehler vorbehalten | Rabatte<br />
sind nicht mit anderen Aktionen/Rabattbons kumulierbar | Angebote gültig bis 24.<strong>12</strong>.<strong>2<strong>01</strong>6</strong>, solange Vorrat.<br />
officeworld.ch<br />
26 Filialen<br />
0844 822 816 0844 822 817
in der sie ihre Ängste und Hoffnungen<br />
ausdrücken und ausleben können<br />
und in der sie eine Stärkung des<br />
Selbst erfahren, die ihnen bei der<br />
Überwindung der Trennungserfahrung<br />
hilft» (Moch, 1994).<br />
Kinder in Trennungskonflikten<br />
können eine ebenso<br />
glückliche Kindheit erleben<br />
wie andere Kinder.<br />
>>><br />
Sonya Gassmann<br />
Buchtipps<br />
Heller, J. (2<strong>01</strong>3). Resilienz. G/U.<br />
Pantley, E. (<strong>2<strong>01</strong>6</strong>). Trennungsangst. Trias.<br />
Schär, M. (<strong>2<strong>01</strong>6</strong>). Paarberatung und<br />
Paartherapie. Partnerschaften zwischen<br />
Problemen und Ressourcen. Springer.<br />
Schütz, A. (2003). Psychologie des<br />
Selbstwertgefühls. Kohlhammer.<br />
Trachsel, D. (2<strong>01</strong>4). Scheidung. Faire<br />
Regelungen für Kinder – gute Lösungen<br />
für Wohnen und Finanzen. Beobachter.<br />
Waibel, E. A. (2002). Erziehung zum<br />
Selbstwert. Persönlichkeitsförderung.<br />
Auer.<br />
Anmerkung: Aus Gründen der Lesbarkeit<br />
wird im Text das Wort «Kinder» verwendet.<br />
Die Autorin bezieht auch die über<br />
<strong>12</strong>-Jährigen mit ein, auch wenn sie bereits<br />
«Jugendliche» sind.<br />
1963, Psychologin lic. phil. SBAP, ist Dozentin<br />
und Mediatorin. Sie begleitet Paare durch die<br />
Trennungsphase bis zur juristisch beglaubigten<br />
Ehescheidungskonvention. Sonya Gassmann<br />
arbeitet in eigener Praxis in der Stadt Bern<br />
(www.psychologie-be.ch) und ist Mutter einer<br />
erwachsenen Tochter.<br />
33 Functions<br />
SWISS CHAMP<br />
MAKERS OF THE ORIGINAL SWISS ARMY KNIFE | VICTORINOX.COM
Psychologie & Gesellschaft<br />
Man kann nicht<br />
alles haben<br />
Wünsche haben ist das eine, verzichten können das andere. Kinder, die<br />
früh lernen, dass Dinge etwas kosten und man nicht alles bekommen kann,<br />
haben es später einfacher. Text: Susan Edthofer<br />
Kinder im Primarschulalter haben noch<br />
kaum eine Vorstellung, was wie viel kostet.<br />
Und dass man nicht alles einfach so<br />
bekommt, was man gerne hätte, muss erst<br />
gelernt werden. Diskussionen über Verzichtenkönnen<br />
und warum Wünsche manchmal aufgeschoben<br />
werden müssen, sind wichtige Aspekte der<br />
Erziehung.<br />
Taschengeld zur freien Verfügung<br />
Eltern, die ihren Kindern regelmässig Taschengeld geben<br />
(können), sollten zuvor mit der Tochter, dem Sohn<br />
besprechen, wofür das Geld gedacht ist und wie es sinnvoll<br />
verwendet werden kann. Das Kind sollte wissen, für<br />
welche Dinge es selbst aufkommen muss, etwa den Znüni<br />
vom Pausenkiosk. Danach sollten die Eltern respektieren,<br />
dass das Kind frei über sein Taschengeld verfügt.<br />
Wenn das Kind Süssigkeiten kaufen darf, heisst das aber<br />
nicht, dass es sie vor dem Mittagessen isst. Familienregeln<br />
gelten so oder so. Da kleinere Kinder noch nicht<br />
geübt sind, Geld über einen längeren Zeitraum einzuteilen,<br />
empfiehlt es sich, das Taschengeld wöchentlich<br />
auszuhändigen. Mit zunehmendem Alter und mehr<br />
Erfahrung kann es monatlich ausbezahlt werden. Bei<br />
der Budgetberatung Schweiz finden Eltern Richtlinien<br />
dazu. So lernen Kinder Verantwortung zu übernehmen<br />
und bauen ihre Finanzkompetenz auf. Wichtig ist, dass<br />
der Betrag regelmässig ausbezahlt wird und nicht an<br />
erzieherische Massnahmen gekoppelt ist. Falls das Geld<br />
nicht reicht: konsequent bleiben und nichts nachstupfen.<br />
Wer seinem Kind nach und nach mehr Kompetenzen<br />
übertragen möchte, kann ab dem dreizehnten Lebensjahr<br />
den sogenannten Jugendlohn einführen.<br />
Bestimmt wurde am Familientisch schon über das<br />
Thema Handy und Einkaufen im Internet diskutiert.<br />
Vor allem Spiele enthalten zum Teil grosse Verlockungen.<br />
Kostenlose Apps finanzieren sich oft über Werbung<br />
oder In-App-Käufe. Um Zusatzfunk tionen freizuschalten,<br />
Werbung verschwinden zu lassen oder in einem<br />
Spiel schneller voranzukommen, können Käufe innerhalb<br />
der App, In-App-Käufe, getätigt werden. Es gilt,<br />
«Das Taschengeld<br />
sollte dem Kind<br />
regelmässig<br />
gegeben werden.»<br />
Susan Edthofer ist Redaktorin<br />
im Bereich Kommunikation<br />
aufmerksam zu sein, denn leicht passieren von Pro Juventute.<br />
solche Käufe unabsichtlich. Auf der sicheren<br />
Seite sind Eltern, wenn sie In-App-<br />
Käufe deaktivieren oder Buchungen über die hinterlegte<br />
Kreditkarte durch ein Passwort schützen.<br />
Bei Prepaid-Angeboten steht nur ein vorgegebener<br />
Betrag zur Verfügung. So wird die Handyrechnung für<br />
Minderjährige nicht zur Schuldenfalle. Um böse Überraschungen<br />
zu vermeiden, sollten Eltern mit ihren Kindern<br />
über Risiken und Kosten beim Downloaden von<br />
Musik, Filmen und Spielen sprechen. Auf Nummer<br />
sicher geht, wer seinem Kind keinen Zugriff auf die Kreditkarte<br />
gewährt, auch nicht fürs Onlineshopping, und<br />
weiss, mit welchen Sicherheitseinstellungen die Kreditkarte<br />
geschützt ist.<br />
Was Eltern tun können – vier Tipps<br />
Leben Sie Ihren Kindern vor, dass nichtkäufliche Werte wie<br />
Freundschaften, gemeinsame Unternehmungen genauso wichtig<br />
sind zum Glücklichsein wie materielle Dinge.<br />
Im Umgang mit Taschengeld lernen Kinder den Wert des Geldes<br />
kennen und erfahren zugleich, dass viele Dinge etwas kosten.<br />
Sprechen Sie in der Familie altersgerecht über Lebenskosten.<br />
Um Überraschungen beim Musikdownload, beim Spielen und<br />
Surfen im Internet vorzubeugen, legen Sie mit Ihrem Kind fest,<br />
wie mit kostenpflichtigen Onlinediensten umgegangen wird.<br />
Hilfreiche Links: www.bugetberatung.ch/Taschengeld,<br />
www.jugendlohn.ch<br />
Pro Juventute Elternberatung<br />
Bei Pro Juventute Elternberatung können Eltern und Bezugspersonen von<br />
Kindern und Jugendlichen jederzeit telefonisch (058 261 61 61) oder online<br />
(www.projuventute-elternberatung.ch) Fragen zum Familienalltag, zur<br />
Erziehung stellen. Ausser den normalen Telefongebühren fallen keine<br />
Kosten an. In den Elternbriefen finden Eltern Informationen für den<br />
Erziehungsalltag. Neu erhältlich ist der Extrabrief «Geld und Konsum<br />
im Familienalltag». Mehr Infos: www.projuventute.ch<br />
48 Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>7 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
XYLOPHON UND HAMMERSPIEL<br />
2 in 1! Hämmern und Musizieren.<br />
Ab <strong>12</strong> Mt. P0-38021915<br />
34.90<br />
HIT<br />
99.–<br />
KAPLA-BOX<br />
Baukasten mit 200 Holzbausteinen.<br />
Ab 3 J. P0-380480<strong>01</strong><br />
69.90<br />
COLOR HOLZBAUSTEINE<br />
100-teilig. Ab <strong>12</strong> Mt.<br />
P0-38023020<br />
34.90<br />
40-TEILIGES BAHNSET MIT 2 ZÜGEN<br />
UND CONTAINERSCHIFF<br />
Ab 3 J. P0-38054160<br />
99.–<br />
QUADRILLA WELTRAUMSTADT FSC<br />
Erlebe die Macht der Sterne mit der Weltraum-<br />
Kugelbahn. Ab 6 J. P0-38022106<br />
149.–<br />
DOMINO FANTASTICO<br />
Bilde einen farbigen Weg mit 100 Dominosteinen.<br />
Ab 3 J. P0-38021913<br />
39.90
Psychologie & Gesellschaft<br />
Regenbogenfamilien –<br />
und wie geht es den Kindern?<br />
Mutter, Vater, Kind ist heute längst nicht die einzige Variante einer Familie. Auch viele<br />
gleichgeschlechtliche Paare wünschen sich Kinder. Wie erfüllen sich diese Paare ihren<br />
Kinderwunsch? Und wie entwickeln sich Kinder in Regenbogenfamilien? Neue<br />
Forschungsergebnisse aus den USA schaffen nun eindeutig Klarheit. Text: Nathalie Meuwly<br />
Diese Kinder entwickeln<br />
sich vergleichbar mit Kindern,<br />
die mit Mutter und Vater<br />
aufwachsen.<br />
Petra und Nicole sind seit<br />
sieben Jahren ein Paar,<br />
beide wünschen sich ein<br />
Kind und möchten eine<br />
Familie gründen. Auch<br />
Andreas und Simon wollen ihr<br />
Glück mit einem Kind teilen. Beide<br />
Paare sind beispielhaft für viele<br />
Regenbogenfamilien, die in der<br />
Schweiz leben. Der nationale Dachverband<br />
Regenbogenfamilien<br />
schätzt, dass bis zu 30 000 Kinder in<br />
einer solchen Familienkonstellation<br />
aufwachsen. Regenbogenfamilien<br />
erweitern also nebst Patchworkfamilien<br />
sowie Einelternfamilien das<br />
traditionelle Familienbild mit Mutter,<br />
Vater und Kindern.<br />
Gleichgeschlechtliche Paare stossen<br />
jedoch auf grosse Hürden, wenn sie<br />
ihren Kinderwunsch realisieren<br />
möchten. Zum einen müssen Entscheidungen<br />
getroffen werden, wie<br />
beispielweise wer von beiden Partnern<br />
biologisch mit dem Kind verwandt<br />
ist. Ausserdem gilt es in der<br />
Schweiz viele rechtliche Hindernisse<br />
zu überwinden.<br />
Der Zugang zur Adoption und<br />
In-vitro-Fertilisation ist nur für<br />
heterosexuelle Ehepaare vorgesehen.<br />
Immerhin wird in Zukunft die<br />
Stiefkindadoption auch gleichgeschlechtlichen<br />
Paaren gewährt. Das<br />
bedeutet: Fortan erhalten gleichgeschlechtliche<br />
Eltern und deren Kinder<br />
den dringend notwendigen<br />
rechtlichen Schutz, der für heterosexuelle<br />
Familien selbstverständlich<br />
ist. Die neue Gesetzesbestimmung<br />
stellt zum Beispiel sicher, dass Kinder,<br />
die in Regenbogenfamilien aufwachsen,<br />
im Todesfall Anspruch auf<br />
Waisenrente oder im Trennungsfall<br />
Anspruch auf Unterhalt haben.<br />
Für das Verständnis von Regenbogenfamilien<br />
ist es wichtig, die<br />
rechtlichen Aspekte im Auge zu<br />
behalten. Im folgenden Text richten<br />
wir den Fokus aber auf die Frage<br />
nach dem Wohlbefinden von Kindern<br />
in Regenbogenfamilien.<br />
In der Psychologie ist man sich<br />
einig: Ein Kind braucht für eine<br />
gesunde Entwicklung tragfähige<br />
und verlässliche Beziehungen zu<br />
den Eltern oder anderen Bezugspersonen.<br />
So reicht die reine Anwesenheit<br />
von Bezugspersonen nicht<br />
aus, damit sich Kinder gut entwickeln<br />
können. Vielmehr ist die Art<br />
der Beziehung, welche eine emotionale<br />
Sicherheit vermittelt, entscheidend.<br />
Auf die Art der Beziehung<br />
kommt es an<br />
Aus psychologischer Sicht ist zu<br />
erwarten, dass gleichgeschlechtliche<br />
Paare ihren Kindern diese Art von<br />
Beziehung bieten können. Dies zeigt<br />
auch die aktuelle Forschungslage:<br />
Kinder mit gleichgeschlechtlichen<br />
Eltern entwickeln sich vergleichbar<br />
mit Kindern, die mit Mutter und<br />
Vater aufwachsen.<br />
Umfragen bei Eltern und Lehrpersonen<br />
ergeben stets dasselbe<br />
Bild: Kinder, die mit zwei Müttern<br />
oder zwei Vätern aufwachsen, unterscheiden<br />
sich in ihrer emotionalen<br />
Entwicklung nicht. Sie sind gleich<br />
50 Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>7 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Gleichgeschlechtliche<br />
Elternteile sind meist<br />
aktiver in der<br />
Kinderbetreuung als<br />
heterosexuelle Väter.<br />
Bild: Hero Images / plainpicture<br />
glücklich, gleich ängstlich und<br />
haben auch kein grösseres oder kleineres<br />
Risiko, verhaltensauffällig zu<br />
werden oder psychische oder somatische<br />
Symptome zu entwickeln als<br />
Kinder, die mit Mutter und Vater<br />
aufwachsen. Auch bezüglich der<br />
kognitiven Entwicklung gibt es keine<br />
Unterschiede. Kinder zeigen dasselbe<br />
Lernverhalten in der Schule<br />
und sind sozial ähnlich eingebunden.<br />
Selbst in Intelligenztests schneiden<br />
sie gleich ab.<br />
Auch Fachpersonen schätzen in<br />
Beobachtungen von Adoptiveltern<br />
den Umgang mit den Kindern gleich<br />
ein. Kinder reagieren gleich auf ihre<br />
Eltern, und auch die Kooperation<br />
beider Eltern ist vergleichbar. Interessanterweise<br />
wird das Verhalten<br />
der gleichgeschlechtlichen Adoptiveltern<br />
sogar als feinfühliger eingeschätzt<br />
als das Verhalten von heterosexuellen<br />
Adoptiveltern.<br />
Zusammenfassend kann festgehalten<br />
werden, dass positive Eltern-<br />
Kind-Beziehungen weitaus bedeutender<br />
sind für die Entwicklung<br />
eines Kindes als das Geschlecht oder<br />
die sexuelle Orientierung der Eltern.<br />
Eine kürzlich publizierte repräsentative<br />
Studie, die 2<strong>01</strong>1 bis 20<strong>12</strong> in<br />
den USA durchgeführt wurde,<br />
kommt zum selben Ergebnis. In dieser<br />
Studie konnte sichergestellt werden,<br />
dass die zufällig ausgewählten<br />
Elternpaare alle seit der Geburt des<br />
Kindes zusammen waren und das<br />
Kind gemeinsam aufzogen. Zudem<br />
hatte jedes untersuchte Kind im<br />
Alter von 6 bis 17 Jahren einen sogenannten<br />
Zwilling in der Vergleichsstichprobe<br />
mit identischem Alter<br />
und sozioökonomischem Hintergrund,<br />
um eine hohe Aussagekraft<br />
für die Ergebnisse zu erreichen.<br />
Für die Kinder von Nicole und<br />
Petra oder Andreas und Simon ist<br />
also keine andere Entwicklung zu<br />
erwarten als die der Nachbarskinder<br />
mit Mutter und Vater. Der einzige<br />
erwartete Unterschied könnte sein,<br />
dass die gleichgeschlechtlichen<br />
Elternpaare Kinderbetreuung und<br />
Hausarbeit ausgeglichener aufteilen<br />
werden. So haben mehrere Studien<br />
gezeigt, dass beide gleichgeschlechtlichen<br />
Elternteile in der Kinderbetreuung<br />
meist aktiver sind als heterosexuelle<br />
biologische Väter.<br />
Werden die Kinder nicht gehänselt?<br />
Andreas und Simon sorgen sich, dass<br />
ihr Kind in der Schule gehänselt werden<br />
könnte, und nehmen sich >>><br />
Zwei Mamis oder zwei Papis<br />
zu haben, kann bedeuten,<br />
dass das Kind ausgelacht wird.<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>751
Psychologie & Gesellschaft<br />
>>> vor, ihr Kind darauf vorzubereiten.<br />
Re präsentative Studien zu<br />
diesem Thema fehlen bisher. Untersuchungen<br />
zeigen aber, dass rund ein<br />
Viertel bis die Hälfte der Kinder von<br />
Erfahrungen mit Hänseleien berichten.<br />
Zwei Mamis oder zwei Papis zu<br />
haben, kann bedeuten, dass ein Kind<br />
beleidigt und ausgelacht wird oder<br />
dass es sich lästige Fragen durch<br />
Gleichaltrige gefallen lassen muss.<br />
Aufgrund der vorher erwähnten<br />
Studien bezüglich des Wohlbefindens<br />
muss jedoch nicht davon ausgegangen<br />
werden, dass Kinder mit<br />
gleichgeschlechtlichen Eltern tendenziell<br />
öfter Opfer von schweren<br />
Hänseleien werden. Wäre dies der<br />
Fall, müssten wir ein schlechteres<br />
psychisches Wohlbefinden oder gar<br />
einen tieferen Selbstwert für Kinder<br />
Eltern und Lehrer müssen<br />
wichtige Aufklärungarbeit<br />
leisten und bei Hänseleien<br />
direkt eingreifen.<br />
aus Regenbogenfamilien feststellen.<br />
Eine Befragung von Regenbogenfamilien<br />
aus Deutschland zeigte<br />
jedoch, dass Kinder über einen<br />
höheren Selbstwert verfügen und<br />
rund 90 Prozent der Jugendlichen<br />
offen mit ihrem Familienhintergrund<br />
umgehen. In Bezug auf Hänseleien<br />
sind auf jeden Fall die<br />
Erwachsenen gefragt, aktiv zu werden.<br />
Eltern und Lehrer müssen<br />
wichtige Aufklärungsarbeit bezüglich<br />
verschiedensten Familienformen<br />
leisten und bei Hänseleien<br />
direkt eingreifen. Dabei ist auch ein<br />
Schimpfwortgebrauch wie «du<br />
schwule Sau» nicht zu dulden.<br />
Andreas und Simon sind sich<br />
bewusst, dass sie als Regenbogenfamilie<br />
in einem kleinen Dorf Pionierarbeit<br />
leisten müssen wie einst die<br />
ersten Scheidungsfamilien. Nicole<br />
und Petra haben weniger Bedenken;<br />
in ihrer Stadt gehören Regenbogenfamilien<br />
längst zum Alltag.<br />
Was heisst das für Schweizer<br />
Kinder?<br />
Für die Schweiz fehlen bisher breit<br />
abgestützte psychologische Untersuchungen<br />
über das Wohlbefinden von<br />
Kindern in Regenbogenfamilien.<br />
Jedoch ist auch für die Schweiz zu<br />
erwarten, dass das Geschlecht und<br />
die sexuelle Orientierung der Eltern<br />
für das Wohlbefinden der Kinder<br />
nicht entscheidend sind, sondern<br />
vielmehr das Vorhandensein von<br />
verlässlichen emotionalen Beziehungen<br />
zu deren Eltern. Die dargestellten<br />
Forschungsergebnisse stammen<br />
aus westlichen Ländern – Belgien,<br />
Deutschland, Niederlande, Australien<br />
und den USA – und sollten im<br />
weitesten Sinne auf die Schweiz<br />
übertragbar sein.<br />
Bezüglich rechtlicher Gleichstellung<br />
von Regenbogenfamilien in der<br />
Schweiz hinkt die Gesetzgebung<br />
deutlich hinterher. Dabei ist diese<br />
eine entscheidende Voraussetzung<br />
Paare für Studie<br />
gesucht!<br />
Intime Beziehungen und Partnerschaften<br />
sind enorm wichtig für<br />
unser Befinden und unsere<br />
Gesundheit. Ein Team der Universität<br />
Freiburg untersucht, wie diverse<br />
Paare in unterschiedlichen<br />
Situa tionen kommunizieren und<br />
interagieren. Die Studie interessiert<br />
sich für die Rolle der Ge <br />
schlechter in der Paarkommunikation,<br />
somit auch für diverse<br />
Paartypen (gleichgeschlechtlich,<br />
heterosexuell usw.). Zudem soll das<br />
Wissen über das Wohlbefinden von<br />
gleichgeschlechtlichen Paaren in<br />
der Schweiz verbessert werden.<br />
Die Studienteilnahme besteht aus<br />
zwei Teilen:<br />
Eine Studienmitarbeiterin be <br />
sucht Sie zu Hause: Ausfüllen von<br />
Fragebogen und Videoaufzeichnungen<br />
der Paarkommunikation,<br />
Dauer: zwei bis zweieinhalb Stunden.<br />
Tagebuchstudie mit Smartphones<br />
während 14 Tagen: Sie<br />
beantworten täglich kurze Frageserien<br />
(drei bis fünf Minuten)<br />
zu Ihrer alltäglichen Kommunikation<br />
und Ihrem aktuellen Befinden.<br />
Die Smartphones werden<br />
zur Verfügung gestellt.<br />
Für die Teilnahme an der Studie<br />
erhalten Sie als Paar 200 Franken.<br />
Sie können teilnehmen, wenn Sie<br />
folgende Bedingungen erfüllen: Sie<br />
leben seit mindestens sechs Monaten<br />
in einer festen Partnerschaft<br />
(egal ob gemischt- oder gleichgeschlechtlich,<br />
ob heterosexuell,<br />
lesbisch, schwul, bisexuell oder<br />
queer), beide sind mindestens<br />
20 Jahre alt und bereit, als Paar<br />
teilzunehmen. Zudem wohnen Sie<br />
zusammen oder sehen sich mindestens<br />
vier Mal pro Woche.<br />
Haben Sie Interesse? Wir freuen<br />
uns auf Ihre Kontaktaufnahme<br />
über Telefon 026 300 74 86 oder<br />
www.diversecouples.ch und informieren<br />
Sie gerne über die konkreten<br />
Studieninhalte.<br />
52 Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>7 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Auch in der Schweiz finden wir<br />
ein erhöhtes Suizidrisiko<br />
für junge homosexuelle Männer.<br />
für die gesellschaftliche Akzeptanz<br />
und eine wichtige Grundlage, um<br />
gegen die anhaltende Stigmatisierung<br />
und Diskriminierung dieser<br />
Lebensformen anzugehen. Davon<br />
würden nicht nur gleichgeschlechtliche<br />
Paare und ihre Kinder profitieren,<br />
sondern auch heranwachsende<br />
schwule, lesbische oder bisexuelle<br />
Jugendliche. Gerade für die Jugendlichen<br />
würde die rechtliche Gleichstellung<br />
ein positives Signal senden<br />
und so die Akzeptanz ihrer eigenen<br />
Homosexualität fördern.<br />
Auch in der Schweiz finden wir<br />
wie in vielen anderen Ländern ein<br />
erhöhtes Suizidrisiko für junge<br />
schwule und bisexuelle Männer<br />
(Frauen wurden nicht untersucht).<br />
Die Angst vor Stigmatisierung der<br />
Kinder darf also kein Grund sein,<br />
die rechtliche Gleichstellung von<br />
gleichgeschlechtlichen Paaren und<br />
ihren Familien zu verhindern.<br />
Solange die rechtliche Gleichstellung<br />
nicht vollzogen ist, trägt auch<br />
das Gesetz zur Aufrechterhaltung<br />
der Stigmatisierung bei und wird<br />
nicht verhindern, dass gleichgeschlechtlich<br />
liebenden Menschen<br />
und ihren Kindern weiterhin mit<br />
Vorurteilen begegnet wird.<br />
Nathalie Meuwly<br />
ist promovierte Psychologin und<br />
wissenschaftliche Mitarbeiterin am<br />
Psychologischen Departement der<br />
Universität Freiburg und Projektleiterin<br />
des SNF-Projektes «interaction in<br />
diverse couples». Zudem arbeitet sie als<br />
Psychotherapeutin in Ausbildung.<br />
>>><br />
50 JAHRE<br />
KLEIDER FÜR<br />
SCHWEIZER<br />
WETTER<br />
RUKKA.CH<br />
reflect_icons.pdf 1 05.08.15 08:58<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>753
Kolumne<br />
Kinder sollten alles<br />
über den Tod erfahren<br />
Die Grossmutter leidet an Krebs. Die Krankheit belastet die Familie sehr. Eines der Kinder hat<br />
Albträume, spricht über die Angst vor dem Sterben. Wie sollen wir mit unseren Kindern über<br />
den Tod reden? Und wie sollen wir mit unserer Trauer und der Trauer unserer Kinder umgehen?<br />
Jesper Juul<br />
ist Familientherapeut und Autor<br />
zahlreicher internationaler Bestseller<br />
zum Thema Erziehung und Familien.<br />
1948 in Dänemark geboren, fuhr er<br />
nach dem Schulabschluss zur See, war<br />
später Betonarbeiter, Tellerwäscher<br />
und Barkeeper. Nach der<br />
Lehrerausbildung arbeitete er als<br />
Heimerzieher und Sozialarbeiter<br />
und bildete sich in den Niederlanden<br />
und den USA bei Walter Kempler zum<br />
Familientherapeuten weiter. Seit 20<strong>12</strong><br />
leidet Juul an einer Entzündung der<br />
Rückenmarksflüssigkeit und sitzt im<br />
Rollstuhl.<br />
Jesper Juul hat einen erwachsenen<br />
Sohn aus erster Ehe und ist in zweiter<br />
Ehe geschieden.<br />
Ich bin verheiratet und Mutter<br />
dreier Kinder. Die Töchter<br />
sind fünfzehn und fünf Jahre<br />
alt, der Sohn neun. Vor zwei<br />
Jahren erkrankte meine Mutter<br />
unheilbar an Krebs. Ich habe eine<br />
gute Beziehung zu ihr. Wir waren oft<br />
auf Reisen und pflegen regelmässigen<br />
Kontakt. Die Krankheit meiner<br />
Mutter hat eine grosse Auswirkung<br />
auf unser ganzes Familienleben. Ich<br />
bin müde und oft aus dem Gleichgewicht.<br />
Und es ist schwierig für mich,<br />
mit unseren Kindern in Kontakt zu<br />
sein. Ich fühle, wie die Kinder auch<br />
leiden, aber es gelingt mir nicht, auf<br />
ihre Bedürfnisse einzugehen.<br />
Die Grossmutter vermisst ihre<br />
Enkel, ist sich aber unsicher, ob sie<br />
mit deren Besuchen umgehen kann.<br />
Meist sagt sie diese ab. Die Kinder<br />
reden viel über ihre Grossmutter<br />
und sprechen auch mit ihr. Sie fragen<br />
auch, ob sie Schmerzen habe,<br />
wie es ihr gehe. Die Älteste hat verstanden,<br />
dass ihre Grossmutter kein<br />
aktiver Teil ihres Lebens mehr sein<br />
wird. Der Junge will jedoch genau<br />
wissen, was los ist. Er fragt etwa, ob<br />
seine Grossmutter demnächst sterbe.<br />
Er hat Albträume und spricht<br />
«Verstecken Eltern ihre Gefühle,<br />
distanzieren sich Kinder auch<br />
von ihren eigenen Gefühlen.»<br />
offen über seine Angst vor dem Sterben.<br />
Er macht sich Sorgen um uns,<br />
um die Schmerzen der Grossmutter<br />
und stellt sich den Tod als sehr dunkel<br />
vor. Seit Kurzem ist meine Mutter<br />
in einem Hospiz. Mein Mann<br />
und ich sind uns nicht im Klaren, ob<br />
wir unsere Kinder dorthin mitnehmen<br />
sollen. Wie sollte der Abschied<br />
sein? Wie sehr sollen die Kinder am<br />
Tod der Grossmutter teilhaben?<br />
Und vor allem: Wie sollen wir Eltern<br />
mit unserer Trauer und der unserer<br />
Kinder umgehen?<br />
Antwort von Jesper Juul<br />
Leider wird der Tod im Allgemeinen<br />
nicht als unausweichliche Tatsache<br />
anerkannt. Er passt oft nicht in unser<br />
so geschäftiges und durchgeplantes<br />
Leben. Doch er ist ein wichtiger Teil<br />
unseres Lebens. Kinder sollten alles<br />
über den Tod erfahren dürfen, um<br />
ihn als Tatsache des Lebens in Verbindung<br />
bringen zu können. Das<br />
gibt ihrem Leben eine neue Perspektive<br />
und vermittelt ihnen ein tieferes<br />
Verständnis über die Wirklichkeit.<br />
Es scheint, dass Ihr Sohn den<br />
Weg vorgibt. Die ersten philosophischen<br />
Auseinandersetzungen mit<br />
dem Tod beginnen etwa mit sechs.<br />
Mit neun Jahren nimmt Ihr Sohn<br />
den bevorstehenden Tod der Grossmutter<br />
als real wahr. Seine Reaktionen<br />
sind gesund und normal. Als<br />
Eltern brauchen Sie ihn deshalb<br />
nicht vor diesen Erfahrungen zu<br />
schützen. Während der nächsten<br />
Illustration: Petra Dufkova / Die Illustratoren<br />
54 Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>7 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
zwei, drei Jahre braucht er noch<br />
Begleitung, bis seine Gedanken und<br />
Emotionen zu einem integralen<br />
Bestandteil seiner Existenz geworden<br />
sind. So ist er für die nächste<br />
Situation, in der er mit einer ernsthaften<br />
Krankheit oder dem Tod<br />
konfrontiert wird, gut gewappnet.<br />
Das hilft ihm, zu verstehen, dass<br />
auch er eines Tages sterben wird.<br />
Das wird eine enorme Bereicherung<br />
für sein Leben sein. Es stärkt zudem<br />
seine Empathie und hilft ihm, einen<br />
Bezug zum Tod seiner Eltern herzustellen,<br />
sobald es so weit ist.<br />
Hospizmitarbeiter haben viel<br />
Erfahrung darin, Menschen beim<br />
Abschied von ihren Lieben behilflich<br />
zu sein. Es gibt verschiedene<br />
Möglichkeiten. Dazu braucht es eine<br />
Einladung an alle, ihre Gefühle und<br />
Gedanken auszudrücken. In Zeiten<br />
des Kummers und der Tränen können<br />
Sie Ihren Kindern über die<br />
schönsten und prägendsten Mo <br />
mente mit Ihrer Mutter erzählen,<br />
über Krisen und Bereicherungen.<br />
Danach kann auch der Vater von<br />
Erlebnissen mit der Schwiegermutter<br />
erzählen. Und dann sind die Kinder<br />
an der Reihe. Fällt es ihnen zu<br />
schwer, sich persönlich von ihr zu<br />
verabschieden, könnten sie einen<br />
Brief schreiben, den ihre Mutter<br />
ihrer Grossmutter vorliest. Kleine<br />
Kinder zeichnen lieber etwas, das als<br />
Symbol für ihre schönen Erinnerungen<br />
oder ihre Traurigkeit steht.<br />
Wenn die Grossmutter stirbt, ist<br />
es für die Familie wichtig, alle Erinnerungen<br />
zusammenzutragen und<br />
zu teilen und vor allem auch darüber<br />
zu sprechen, was beim Begräbnis<br />
geschehen wird.<br />
In den folgenden Monaten ist es<br />
wichtig, die Grossmutter in der<br />
Familie «am Leben» zu erhalten.<br />
Wenn Sie an Ihre Mutter denken,<br />
können Sie die Gedanken mit Ihren<br />
Kindern teilen. So bewegen Sie vielleicht<br />
ihre Kinder dazu, auch über<br />
ihre Gefühle zu sprechen.<br />
Der Trauerprozess von Kindern<br />
unterscheidet sich von dem der<br />
«Traurigkeit ist ein notwendiger<br />
Teil des Lebens, der untrennbare<br />
Zwilling vom Glücklichsein.»<br />
Erwachsenen, die oft eine lange Zeit<br />
von Traurigkeit und Kummer erleben.<br />
Kinder hingegen erleben den<br />
Kummer phasenweise. In einem<br />
Moment spielen sie Fussball, quasseln<br />
oder streiten sich, im nächsten<br />
Moment sind sie mitten im Trauerprozess.<br />
Die Traurigkeit kommt aus<br />
dem Nichts und bleibt für ein paar<br />
Minuten, eine Stunde oder länger.<br />
Die fünfzehnjährige Tochter be <br />
findet sich, wie viele Gleichaltrige,<br />
zum einen in ihrer oberflächlichen<br />
Welt, zum anderen in tiefen, essenziellen<br />
Betrachtungen. In ihrer oberflächlichen<br />
Welt sind Make-up und<br />
Ausgehen von Bedeutung. Aus dieser<br />
Welt heraus betrachtet wird ihr<br />
das dem Tod geweihte Gesicht ihrer<br />
Grossmutter nicht gefallen. Dieses<br />
Empfinden ist nicht un ähnlich dem,<br />
was das Sexualleben ihrer Eltern<br />
betrifft – es ist ihr unangenehm. Die<br />
andere Seite ist erfüllt von den existenziellen<br />
Gedanken.<br />
Richten Sie Ihre Aufmerksamkeit<br />
auf diese Emotionen und sprechen<br />
Sie wenn möglich mit ihr darüber:<br />
Wie Sie als Mutter Ihre Mutter er <br />
fahren haben, welche Frau und Mutter<br />
sie war. So kann Ihre Tochter<br />
vergleichen, wie sie zu den beiden<br />
Frauen steht. Dadurch lernt sie sich<br />
besser kennen und kann herausfinden,<br />
wer sie ist, was sie ausmacht.<br />
Es stärkt auch die Mutter-Tochter-Beziehung,<br />
indem Sie einander<br />
als Individuen respektieren lernen<br />
und besser damit umgehen können,<br />
dass die Tochter das Haus bald verlassen<br />
wird. Es kann Ihnen auch in<br />
der Beziehung zu Ihrem Mann helfen,<br />
wenn Sie ähnliche Gespräche<br />
mit ihm führen. Denn auch er<br />
braucht eine Aktualisierung Ihrer<br />
emotionalen Situation.<br />
Leider gibt es diese Unterhaltungen<br />
kaum noch. Wir tendieren dazu, uns<br />
vom Tod und vom Älterwerden zu<br />
distanzieren. Wir neigen auch dazu,<br />
diese Emotionen alleine oder mit<br />
einem Psychologen aufzuarbeiten.<br />
So verliert die Familie ihren Nutzen,<br />
nämlich ein Ort auch für herausfordernde<br />
Gefühle und Gedanken zu<br />
sein. Das ist schade, denn darin liegt<br />
ein Potenzial für die Neuwerdung<br />
und das Wachstum, sowohl persönlich<br />
als auch als Familie.<br />
Für die Eltern ist es wichtig, dass<br />
sie ihre Traurigkeit nicht verbergen.<br />
Traurigkeit ist ein notwendiger Teil<br />
des Lebens, sozusagen der untrennbare<br />
Zwilling vom Glücklichsein.<br />
Noch viel wichtiger ist es, als Eltern<br />
ein Vorbild für seine Kinder zu sein.<br />
Wenn wir als Eltern unsere essenziellen<br />
Gefühle vor unseren Kindern<br />
verstecken, laufen wir Gefahr, dass<br />
sich unsere Kinder von ihren Gefühlen<br />
distanzieren. Dies hätte zur Folge,<br />
dass sie damit die Qualität ihres<br />
Lebens als Kinder und später auch<br />
als Erwachsene vermindern.<br />
Kinder sind einfach Romantiker.<br />
Sie wollen, dass ihre Eltern glücklich<br />
sind – alleine und zusammen. Deshalb<br />
ist es von grosser Bedeutung,<br />
dass Eltern ihre Kinder immer wieder<br />
und kontinuierlich an ihrem<br />
Spektrum der Emotionen teilhaben<br />
lassen. Dadurch eignen sich Kinder<br />
ihre für sie bedeutsame Lebenskompetenz<br />
an.<br />
Die Kolumnen von Jesper Juul entstehen<br />
in Zusammenarbeit mit<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>755
Erziehung & Schule<br />
Ein Plädoyer<br />
für die Pädagogik<br />
Der Erziehung liegen Phänomene zugrunde, die es zu erkennen, zu verstehen und<br />
zu erklären gilt. Nur mit diesem Wissen können wir weiter über die pädagogischen<br />
Probleme nachdenken. Text: Christine Staehelin<br />
«Erziehen ist eine<br />
Herausforderung und<br />
eine wunderschöne<br />
Aufgabe.»<br />
Christine Staehelin, M.A., ist<br />
wissenschaftliche Mitarbeiterin der<br />
Pädagogischen Arbeitsstelle LCH,<br />
Primarlehrerin und Mutter zweier Söhne.<br />
Bestimmt kennen Sie als<br />
Eltern diese Situationen:<br />
Seit einer Viertelstunde<br />
rufen Sie dem elfjährigen<br />
Sohn ins Kinderzimmer,<br />
er solle jetzt endlich ins<br />
Bett gehen, Sie würden dann kommen<br />
und ihm eine gute Nacht wünschen.<br />
Ihre vierjährige Tochter stochert<br />
im Mittagessen herum und<br />
will gar nichts von dem, was Sie<br />
gekocht haben, essen, während Ihre<br />
zehnjährige Tochter schon wieder<br />
mit einer zwanzigminütigen Verspätung<br />
zum Essen erschienen ist. Was<br />
tun? Ja, was tun?<br />
Nicht, dass Lehrerinnen und Lehrer<br />
nicht auch solche Situationen kennen<br />
würden: Alissa kommt zum<br />
dritten Mal in der gleichen Woche<br />
zu spät, Max legt wieder seinen<br />
Zahnarzttermin in die Mathematiklektion,<br />
während Marco seit einer<br />
Woche überhaupt keine Schulsachen<br />
mehr dabei hat und auch im Unterricht<br />
nur unmotiviert herumsitzt.<br />
Was tun? Ja, was tun?<br />
Ein Strauss von Fragen<br />
Natürlich haben Sie als Eltern wie<br />
auch wir als Lehrpersonen dann<br />
unzählige spontane Ideen, von<br />
denen wir oft alle gleich wieder verwerfen,<br />
weil die ersten Reaktionsimpulse<br />
meistens nicht sehr freundlich<br />
aussehen.<br />
Also ein wenig nachdenken, aber<br />
allzu lange hat auch keinen Sinn,<br />
weil die unerwünschte Situation<br />
dann noch länger andauert. Und<br />
worüber genau nachdenken? Das<br />
macht es dann schon schwieri ger:<br />
Über die Berechtigung dessen, was<br />
man selber gern er reichen möchte?<br />
Da sind Sie sich als Eltern und auch<br />
wir uns als Lehrpersonen manchmal<br />
nicht einmal mit uns selbst einig.<br />
Und dann: Sofort re agieren? Abwarten<br />
und auf drei zählen? Oder gar<br />
nicht reagieren, ist ja alles nicht so<br />
schlimm? Vor warnen? Ermahnen?<br />
Sich durchsetzen oder das Verhalten<br />
durchgehen lassen?<br />
Je länger man darüber nachdenkt,<br />
was man nun am besten tun sollte,<br />
desto weiter werden die Gedankenkreise:<br />
Habe ich nicht schon hundertmal<br />
gesagt, dass das nicht geht?<br />
Was ist auch mit meinem Kind, meiner<br />
Schülerin, meinem Schüler los?<br />
Liegen da vielleicht tiefer gehende<br />
Probleme vor? Oder geht es da einfach<br />
um Widerstand? Geht es darum,<br />
mich wütend zu machen? Werde<br />
ich als Vater oder als Mutter, als<br />
Lehrer oder als Lehrerin überhaupt<br />
noch ernst genommen? Geht’s also<br />
um mich? Oder geht’s um überhaupt<br />
nichts von dem, worüber ich gerade<br />
nachgedacht habe?<br />
«Ob wir Einsicht<br />
oder Widerstand<br />
bewirken, wissen<br />
wir nicht.»<br />
Und wenn ich auf meinem Standpunkt<br />
beharre: Tut das Kind dann,<br />
was ich will? Oder löse ich damit<br />
genau das Gegenteil von dem aus,<br />
was ich eigentlich will? Die vierjährige<br />
Tochter dreht erbost ihren Teller<br />
mit dem Essen einfach um; der Elfjährige<br />
erklärt nochmals eine Viertelstunde<br />
lang, was er vor dem<br />
Zu-Bett-Gehen noch unbedingt alles<br />
erledigen müsse, während die Zehn-<br />
56 Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>7 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
jährige nach der Standpauke wütend<br />
ins Zimmer verschwindet, statt sich<br />
mit der Familie an den Tisch zu setzen.<br />
Und uns als Lehrpersonen geht<br />
es nicht anders: Alissa kommt weiterhin<br />
zu spät, Max fehlt zwar nicht<br />
mehr, doch die Mathematik interessiert<br />
ihn immer noch nicht, und<br />
Marco beginnt, den Unterricht zu<br />
stören.<br />
Das Paradox von Freiheit und Zwang<br />
Es liegt im Wesen der Erziehungssituation,<br />
dass wir als Erziehende<br />
nicht wirklich wissen, was im Kind<br />
vorgeht, wir können es nur erahnen.<br />
Und wir können nicht wirklich wissen,<br />
was unsere Interventionen<br />
bewirken: Einsicht oder Widerstand.<br />
Es gibt unzählige Erziehungsratgeber<br />
und unzählige erziehungswissenschaftliche<br />
Studien, welche<br />
empirisch belegen wollen, welche<br />
Interventionen welche Effekte<br />
haben. Die Herstellung von klaren<br />
kausalen Zusammenhängen beim<br />
pädagogischen Handeln übersieht<br />
aber die Freiheit des Kindes. Schon<br />
der Philosoph Kant hat auf dieses<br />
dem Erziehungshandeln zugrunde<br />
liegende Paradoxon hingewiesen<br />
und gefragt: «Wie kultiviere ich die<br />
Freiheit bei dem Zwange?» Dieses<br />
Paradoxon gehört unmittelbar zur<br />
pädagogischen Situation und zum<br />
pädagogischen Handeln und lässt<br />
sich nicht auflösen.<br />
Davon ausgehend ergeben sich<br />
weitere Fragen: Was ist verhandelbar,<br />
was nicht? Wann entscheide ich<br />
mich zugunsten des Einzelnen,<br />
wann zugunsten der Gemeinschaft?<br />
Inwiefern fühle ich mich in die<br />
Situa tion des Kindes ein und wann<br />
distanziere ich mich vom gezeigten<br />
Verhalten? Wann ist mir die Sache<br />
wichtig – Pünktlichkeit, genügend<br />
Schlaf, gesunde Ernährung – und<br />
wann stelle ich die Bedürfnisse des<br />
Kindes in den Vordergrund?<br />
Solche Antinomien auflösen zu<br />
wollen und bestimmte Technologien<br />
anzupreisen, welche zu gewünschten<br />
Zielen führen, widerspricht den<br />
pädagogischen Absichten zutiefst,<br />
denn das Ziel – nicht die Voraussetzung<br />
– der Erziehung ist der Erwerb<br />
der Fähigkeit des eigenständigen<br />
Denkens und Handelns des zukünftig<br />
Erwachsenen.<br />
«Wir zeigen den<br />
Kindern den Weg,<br />
sich in der Welt<br />
zu orientieren.»<br />
Erziehung meint nicht nur die Herstellung<br />
von erwünschtem Verhalten,<br />
sondern umfasst stets auch das<br />
praktische Handeln in einer Beziehung<br />
zwischen Jüngeren und Älteren,<br />
bei welchem die Eltern eine<br />
zweifache Verantwortung übernehmen,<br />
für das Leben und Werden des<br />
Kindes wie für den Fortbestand der<br />
Welt, wie es Hanna Arendt formuliert.<br />
Erziehend zeigen wir den Kindern<br />
die Welt, eine Welt, für welche<br />
wir Erwachsenen eine gewisse Leidenschaft<br />
haben und der wir nicht<br />
gleichgültig gegenüberstehen sollten.<br />
Und damit die Kinder lernen,<br />
sich in der Welt zu orientieren, zeigen<br />
wir ihnen immer wieder den<br />
Weg. Erziehung findet immer in<br />
einem asymmetrischen Verhältnis<br />
statt, auch wenn das geltende Ideal<br />
der symmetrischen Kommunikation<br />
dem entgegensteht und das<br />
Generationenverhältnis an Bedeutsamkeit<br />
verloren hat.<br />
Erziehung ist eine Herausforderung,<br />
eine Zumutung für beide Seiten.<br />
Manchmal möchten wir nicht<br />
erziehen, weil uns die Welt jetzt<br />
gerade gleichgültig ist, weil wir gerade<br />
genug haben von Auseinandersetzungen;<br />
manchmal wissen wir<br />
den Weg selber nicht; und manchmal<br />
möchten wir uns gerade nicht<br />
erwachsen verhalten. Und unsere<br />
Kinder, unsere Schülerinnen und<br />
Schüler möchten manchmal den<br />
eigenen Kopf durchsetzen, etwas<br />
anderes tun als das, was gerade von<br />
ihnen erwartet wird, oder überhaupt<br />
nichts tun.<br />
Erziehen ermöglicht neue Sichten<br />
auf die Welt<br />
Die Herausforderungen, welche die<br />
Erziehung an Sie als Eltern und an<br />
uns als Lehrpersonen stellt, sind vielfältig.<br />
Die Paradoxien und Unabwägbarkeiten,<br />
welche ihr innewohnen,<br />
sollten aber nicht dazu verleiten, sie<br />
mit Rezepten aus Erziehungsratgebern<br />
oder Massnahmekatalogen<br />
basierend auf erziehungswissenschaftlichen<br />
Forschungen aus der<br />
Welt schaffen zu wollen. Oder, noch<br />
schlimmer, das Erziehungsverhältnis<br />
zu negieren, indem wir Kinder<br />
immer als Gleiche adressieren und<br />
zu einer Pseudopartizipation verführen.<br />
Erziehen ist letztlich auch eine<br />
wunderschöne Aufgabe, weil sie uns<br />
immer wieder neue Sichten auf die<br />
Welt, auf uns selbst und auf unsere<br />
Kinder, unsere Schülerinnen und<br />
Schüler und all das Neue, was sie<br />
einbringen, ermöglicht.<br />
In diesem Sinne wünsche ich<br />
Ihnen, liebe Eltern, wie auch uns<br />
Lehrerinnen und Lehrern weiterhin<br />
viel Freude an der Erziehung, welcher<br />
wir uns gemeinsam widmen<br />
und welche wir zu unserer gemeinsamen<br />
Sache machen sollten. Der<br />
Pädagogik schliesslich wünsche ich<br />
jenen Platz im wissenschaftlichen<br />
Diskurs, der ihr als bedeutsames<br />
Fach zusteht, um die der Erziehung<br />
zugrunde liegenden Phänomene zu<br />
erkennen, zu verstehen und zu<br />
erklären.<br />
Nur so können wir alle weiterhin<br />
über die pädagogischen Probleme<br />
nachdenken, statt so zu tun, als gäbe<br />
es einfache Antworten bei komplexen<br />
Phänomenen.<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>757
Erziehung & Schule<br />
Tanzen macht<br />
die Seele frei<br />
Musik geniesst in unserer Gesellschaft einen weitaus höheren Stellenwert als der Tanz.<br />
Zu Unrecht. Wenn Kinder tanzen, spüren sie Glück. Erwachsenen fällt es oft nicht leicht,<br />
einfach draufloszutanzen. Dabei lohnt es sich, sich ganz der Bewegung hinzugeben.<br />
Text: Sibylle Dubs<br />
Wer von Bewegung<br />
spricht,<br />
denkt meist an<br />
Sport. Bewegung<br />
– sprich:<br />
der Tanz – als Ausdrucksform ist aus<br />
unserem Alltag weitgehend verschwunden.<br />
«Der Tanz lebt dort, wo<br />
Repression herrscht, wo Armut<br />
herrscht. Wenn der Mensch zufrieden<br />
ist und satt, hat sich das Tanzen<br />
erledigt», sagt Oki Degen, Tänzerin<br />
und Tanzpädagogin aus Basel.<br />
An der Musikschule Binningen-<br />
Bottmingen unterrichtet die gebürtige<br />
Berlinerin rund 200 Kinder und<br />
Jugendliche in Tanz. Viele Schülerinnen<br />
und Schüler besuchen den<br />
Tanzsaal zum ersten Mal in ihrer<br />
Primarschulzeit und halten ihrer<br />
Tanzlehrerin die Treue, bis sie er -<br />
wachsen sind.<br />
Die 50-Jährige kommt ursprünglich<br />
vom zeitgenössischen Tanz, studierte<br />
auch viele Volkstänze und<br />
mixt bei der Arbeit mit Kindern und<br />
Jugendlichen verschiedene Stile. Sie<br />
vergleicht dies gerne mit einem<br />
Koch, der Mut hat zu experimentieren.<br />
Letztes Jahr startete die Tanztherapeutin<br />
eine kleine Umfrage.<br />
Oki Degen wollte von ihren Schülern<br />
wissen, ob sie gerne tanzen und<br />
warum. «Die sahen mich an, als sei<br />
ich ein Pferd», erzählt sie lachend.<br />
«Natürlich tanzen wir gerne!», hätten<br />
sie gerufen.<br />
Die Begründung war je nach<br />
Alter unterschiedlich. Die jüngeren<br />
Kinder sagten, dass sie beim Tanzen<br />
Glück spürten. Die Jugendlichen<br />
freuen sich über die Möglichkeit, aus<br />
dem Alltag auszubrechen.<br />
«Es ist ein Urbedürfnis des Menschen,<br />
sich mit dem Körper auszudrücken»,<br />
sagt Oki Degen. «Leider<br />
kommt diese Form der Kommunikation<br />
in unserer Gesellschaft zu<br />
kurz.»<br />
Auf dem Balkan, so Degen, werde<br />
praktisch auf jedem Fest in Gruppen<br />
getanzt. Dabei werde mehr ausgedrückt<br />
als mit Smalltalk am Tisch.<br />
Aber selbst auf dem Balkan verschwinden<br />
die Tänze mehr und<br />
mehr. «Werden Gesellschaften reicher,<br />
erhält der Tanz eine andere<br />
Bedeutung», erklärt die Tanzpädagogin.<br />
«Es entstehen Trends wie<br />
Zumba, wo zur Musik Fitness<br />
gemacht wird. Das nennt man dann<br />
auch Tanz.»<br />
Ein Tanz im Park<br />
Kinder erfinden laufend kleine<br />
Choreografien. Zum Beispiel, wenn sie<br />
im Park einmal um die Linde, dann zum<br />
Bänkli und den Linien der Pflastersteine<br />
nach wieder zurücklaufen oder -tanzen.<br />
Wann sind Sie zum letzten Mal um<br />
eine Baumallee gekurvt? Tun Sie es.<br />
Und erfinden Sie Varianten dazu:<br />
Hüpfend, schwebend, die Arme<br />
schwingend oder in die Seite gestützt,<br />
auf Zehenspitzen, ganz tief.<br />
Jemand kann voraustanzen, und die<br />
anderen kopieren die Bewegungen.<br />
Nehmen Sie Ihre Kinder und deren<br />
Freunde und deren Eltern an die Hand<br />
und schlängeln Sie zusammen um<br />
die Bäume, ändern Sie auf ein Zeichen<br />
die Richtung.<br />
Ändern Sie die Formation: immer zwei<br />
zusammen, einer gegen alle oder zwei<br />
grosse Gruppen, die durcheinander<br />
gehen.<br />
Ein dazu gesungenes Lied hilft, das<br />
Ganze in eine Form zu bringen. Vielleicht<br />
singen Sie dazu «Sur le pont d’Avignon»,<br />
«Wenn eine tannigi Hose hät», «Zoge<br />
am Boge». Selbstverständlich können Sie<br />
alle Melodien auch auf «la-la» und<br />
«jam-pa-pa» singen.<br />
Bild: Daniel Schoeneck<br />
58 Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>7 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Erziehung & Schule<br />
In unserer Gesellschaft geniesst<br />
Musik einen viel höheren Stellenwert<br />
als der Tanz. Zu Unrecht. Musik und<br />
Bewegung sind Partner. Bewegungen<br />
können vertont werden und<br />
Musik löst Bewegung aus.<br />
Das lässt sich mit einer Übung<br />
aus dem Musikunterricht illustrieren:<br />
Ein Kind geht zart in die Knie,<br />
dreht sich schnell und streckt sich<br />
danach kräftig in die Luft. Alle Kinder<br />
wiederholen ihre eigene Abfolge<br />
im stillen Raum und im eigenen<br />
Tempo. Nun vertont die Lehrperson<br />
die Bewegungen eines der Kinder<br />
mit dem Klavier, sie spielt also<br />
immer das Gleiche parallel zu den<br />
Bewegungen. Die Kinder werden<br />
herausfinden, welche Abfolge musikalisch<br />
umgesetzt wird, und übernehmen<br />
diese, bis alle dasselbe tanzen.<br />
Dann verändert die Lehrperson<br />
ein wenig die Musik, und die Kinder<br />
lassen sich dazu auf neue Bewegungen<br />
ein. Was passiert? Musik folgt<br />
der Bewegung, und Bewegung folgt<br />
der Musik. Die Kinder verbinden<br />
ihren persönlichen Ausdruck mit<br />
Musik und Bewegung. Sie sind Teil<br />
Der Körper lernt<br />
sehr subtil und<br />
schnell, wenn man<br />
ihn nur machen<br />
lässt.<br />
des Ganzen und doch individuell<br />
unterwegs. Sie kommunizieren über<br />
Bewegung und Klänge, ohne Worte.<br />
Das funktioniert nur, wenn die<br />
Kinder schon etwas Übung darin<br />
haben, sich mit dem Körper auszudrücken.<br />
Wie bewegt man sich zart?<br />
Wie sieht eine plötzliche Bewegung<br />
aus und wie eine Kombination von<br />
zart und plötzlich? Dies auszuprobieren<br />
und Lösungen zu finden,<br />
kann sowohl mit viel Ernst als auch<br />
mit Lachen einhergehen. Einige<br />
Kinder müssen sich anfänglich<br />
überwinden, ihren Körper als Ausdrucksmittel<br />
zu gebrauchen. Auf<br />
jeden Fall sind Vertrauen und Re <br />
spekt in der Gruppe nötig, damit<br />
diese kleine Sternstunde im Unterricht<br />
erlebt werden kann.<br />
Ohne Bewegung ist Musik nicht<br />
möglich. Man denke nur an die<br />
Spieltechnik und den Körpereinsatz,<br />
die jedes Instrument verlangt. In der<br />
musikalischen Grundschule lernen<br />
die Kinder beispielsweise Xylofon zu<br />
spielen. Zum einen geht es um die<br />
Hand-Auge-Koordination, zum<br />
andern stellt die Dosierung der<br />
Kraft manche Kinder vor >>><br />
Ausbrechen aus<br />
dem Alltag –<br />
beim Tanzen fällt<br />
das Jugendlichen<br />
leicht.<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>759
Erziehung & Schule<br />
>>> grosse Herausforderungen.<br />
Es ist nicht nur die Übung, die den<br />
Meister macht, sondern auch das<br />
Vertrauen in den eigenen Körper.<br />
Der Körper ist genial<br />
«Der Körper ist genial», sagt Andreas<br />
Zihler, Zürcher Musiker und Musikdidaktiker.<br />
«Der Körper lernt sehr<br />
subtil und schnell, wenn man ihm<br />
vertraut und ihn machen lässt.» Zihler<br />
ist auf vielen Gebieten erfahren:<br />
am Schlagzeug des Opernhauses<br />
Zürich genauso wie auf westafrikanischen<br />
Trommeln. Er ist ausgebildeter<br />
Mime und Spiraldynamiker<br />
(Bewegungstherapeut) und unterrichtet<br />
an diversen Schulen. Seinen<br />
Studenten bringt er bei, beim Lernen<br />
von komplexen Rhythmen darauf zu<br />
vertrauen, dass der Körper die Bewegung<br />
speichert.<br />
Den Kindern geht es nicht anders.<br />
In der musikalischen Grundschule<br />
erfahren sie Musik mit ihrem ganzen<br />
Körper. Rhythmen werden mit<br />
Bodypercussions umgesetzt, ein<br />
Legato (Verbinden der Töne) wird<br />
mit grossen Pinseln schwungvoll<br />
aufs Papier gemalt, ein Accelerando<br />
(schneller werden) getanzt. Natürlich<br />
wird Musik auch notiert, und<br />
Kinder lernen, Rhythmen ab Blatt zu<br />
spielen. Das ist Denksport, der vielen<br />
Kindern Spass macht. Aber das<br />
elementare Erlebnis beim Musizieren<br />
ist, dass Kinder eine persönliche<br />
Verbindung spüren mit dem, was sie<br />
tun, und zu denen, die es mit ihnen<br />
tun.<br />
Rhythmen ab<br />
Blatt zu spielen,<br />
ist Denksport,<br />
der Spass macht.<br />
Bei Oki Degen ist diese Verbindung<br />
nicht nur im Tanzsaal sichtbar. Lange<br />
vor der Unterricht beginnt, finden<br />
sich Schülerinnen und Schüler im<br />
Vorraum ein, um sich vorzubereiten<br />
oder sich mit den Kleinsten gemeinsam<br />
aufzuwärmen. Für ihre Schüler<br />
sei der Unterricht mehr, als nur<br />
«rechts-links-rechts-links» aneinanderzuhängen,<br />
ist Oki Degen über-<br />
zeugt. Auch ihre vier eigenen Kinder<br />
haben bei ihr tanzen gelernt. Die<br />
Jüngste wurde zweimal in der Woche<br />
vom Grossvater in die Tanzstunde<br />
ge bracht. Und weil sich die Enkeltochter<br />
nicht mehr von dem Ort<br />
lösen wollte und draussen mit den<br />
anderen Kindern weiter übte, musste<br />
Oki Degens Vater oft stundenlang<br />
vor dem Tanzsaal warten. «Mein<br />
Papa hat dann meine Wangen in seine<br />
Hände genommen und ge sagt:<br />
Ach Oki, wenn ich dich getroffen<br />
hätte, als ich ein kleiner Junge war<br />
– das wäre für mich das grösste Ge -<br />
schenk gewesen. Ich glaube, ich wäre<br />
auch Tänzer geworden.»<br />
Sibylle Dubs<br />
erhielt Musik und Bewegung in die Wiege gelegt. Ihre<br />
Mutter führte eine Tanz- und Theaterschule, der Vater<br />
entstammt einer Musikerfamilie. Vor einem Jahr begann<br />
sie ein Masterstudium in Elementarer Musikpädagogik<br />
an der Zürcher Hochschule der Künste. Sibylle Dubs<br />
unterrichtet Musik an einer Zürcher Primaschule. Die<br />
Mutter von zwei Kindern lebt mit ihrer Familie in Zürich.<br />
>>><br />
Bewegungsgestaltung im Alltag – mit Musiktipps<br />
Dance first, think later. It’s the natural<br />
order! Tanze zuerst, denke später, so sieht<br />
es gemäss Samuel Beckett die Natur vor.<br />
Für kleine Kinder ist es selbstverständlich,<br />
sich spontan zu bewegen, sobald sie<br />
Musik hören. Einfach draufloszutanzen<br />
und den Kopf abzuschalten, ist für<br />
ältere Kinder und Erwachsene oft nicht<br />
einfach. Viele sind sich ihres Repertoires<br />
an möglichen Bewegungen nicht mehr<br />
bewusst.<br />
Hier fünf kleine Übungen für zu Hause,<br />
welche mit oder ohne Musik funktionieren:<br />
Bewegen Sie sich beim Staubsaugen, als<br />
stünden Sie in einem Honigtopf. –<br />
Musiktipp (mit Kopfhörer): «Energy Flow»<br />
von Ryuichi Sakamoto.<br />
Räumen Sie mit Ihren Kindern das<br />
Zimmer auf, indem alle zielgerichtet und<br />
direkt, aber sehr zart verräumen – es<br />
entstehen tupfende Bewegungen. –<br />
Musiktipp: «Lillies Of The Valley» von Jun<br />
Miyake.<br />
Gehen Sie zusammen mit Ihrem Kind in<br />
Zeitlupe zum Briefkasten. – Musiktipp:<br />
«My dearest, my fairest» von Henry Purcell.<br />
Tanzen Sie nur mit den Händen. Zuerst<br />
mit jedem Finger einzeln. Testen Sie den<br />
Radius der Handgelenke aus. Bewegen Sie<br />
sich durch den Raum, der Fokus bleibt<br />
immer auf den Händen, die einmal<br />
nacheinander, dann wieder gleichzeitig<br />
tanzen. – Musiktipp: «Freedom Is A Voice»<br />
von Bobby McFerrin.<br />
Gehen Sie diagonal durch die Wohnung,<br />
wie auf Kohlen, auf Kieselsteinen, über<br />
warmes Moos, durch Tiefschnee, auf<br />
einem Baumstamm. – Musiktipp: «Royal<br />
Garden Blues» von John Kirby.<br />
60 Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>7 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
«Mit der Familie wächst<br />
die Verantwortung auch<br />
für die Finanzen.»<br />
Credit Suisse Finanzplanung<br />
Für alles, was kommt.<br />
credit-suisse.com/finanzplanung
In Zusammenarbeit mit der Schweizerischen Post<br />
Erziehung & Schule<br />
«Liebes Christkind ...»<br />
Weihnachtszeit ist Familienzeit: Wir feiern gemeinsam, tauschen Geschenke und verschicken persönliche<br />
Grusskarten. Werden Kinder mit eigenen Schreibaufgaben in diese Begegnungen miteinbezogen,<br />
erfahren sie konkret und spielerisch, wie man mit Schreiben kommunizieren kann. Text: Johanna Oeschger<br />
Geschichten-Adventskalender<br />
Sind Sie noch auf der Suche nach<br />
kreativen Inhalten, um den Adventskalender<br />
eines Familienmitglieds zu<br />
füllen? Sie könnten gemeinsam mit<br />
Ihrem Kind eine Fortsetzungs geschichte<br />
schreiben und die einzelnen<br />
«Kapitel» auf den Kalender verteilen.<br />
Ältere Kinder können die Geschichte<br />
schon selbst erfinden, Schreibanfänger<br />
schreiben die Ge schichte ab<br />
oder malen Bilder dazu.<br />
«Liebes Christkind ... »<br />
Manche Kinder dürfen eine Wunschliste<br />
an das Christkind, das Grosi<br />
oder den Samichlaus schreiben –<br />
eine wirkungsvolle Gelegenheit für<br />
die Kinder, auszuprobieren, was sie<br />
mit Schreiben erreichen können.<br />
Jüngere Kinder können die Wünsche<br />
in Stichworten festhalten und mit<br />
Zeichnungen illustrieren.<br />
Tischdekoration<br />
Bei der Vorbereitung des Weihnachtsessens<br />
können die Kinder eine<br />
besondere Dekorationsaufgabe<br />
übernehmen: Für alle Gäste ein<br />
Namensschild und eine Menükarte<br />
Hintergrund<br />
Beim Schreibenlernen ist es wie bei<br />
jedem Lernen: Es braucht Motivation.<br />
Gerade für Anfängerinnen und<br />
Anfänger ist das Schreiben<br />
anstrengend und schwierig. Sie<br />
brauchen also einen guten Grund,<br />
um es trotzdem zu tun. Besonders<br />
motivierend ist es, wenn beim<br />
Schreiben die Kommunikation im<br />
Vordergrund steht, wenn also<br />
geschrieben wird, um etwas zu vermitteln<br />
oder zu bewirken. Förderlich<br />
ist auch, wenn sich Lernende<br />
selbst als erfolgreiche Schreiber<br />
sehen. Den eigenen Schreiberfolg<br />
erleben Kinder beispielsweise dann,<br />
wenn sie eine positive Reaktion<br />
bei den Lesern erwirken können.<br />
schreiben, schön verzieren und an<br />
den Plätzen verteilen.<br />
Grusskarten<br />
Viele Familien verschicken rund um<br />
die Festtage Weihnachtskarten und<br />
Neujahrswünsche. Für Kinder eine<br />
Möglichkeit, erste eigene Briefe zu<br />
schreiben – indem sie zum Beispiel<br />
die Karten an einige Verwandte verfassen<br />
oder Dankeskarten für ihre<br />
Geschenke formulieren. Schreibanfänger<br />
können den Text diktieren<br />
und mit Zeichnungen, Buchstaben,<br />
Symbolen ergänzen. Als besonders<br />
effektvoll erleben die Kinder das<br />
Schrei ben, wenn sie auf ihre Post<br />
Antwort bekommen.<br />
App-Tipp<br />
Appolino Schreiben<br />
Vom Lehrmittelverlag St. Gallen (für iOS, Android,<br />
Windows): Diese App für Kinder von 5 bis 9 Jahren<br />
bietet eine enorme Fülle an Übungen und kleinen<br />
Spielen rund ums Schreiben. Sie eignet sich ebenso<br />
für Schreibanfänger wie für Fortgeschrittene und<br />
junge Schreibfans. Kosten: Fr. 5.–.<br />
Schreiben Sie uns!<br />
Hat Ihr Sohn oder Ihre Tochter eine<br />
originelle Wunschliste verfasst?<br />
Oder eine spezielle Grusskarte<br />
geschrieben? Wir sind gespannt auf<br />
die Schreibversuche Ihrer Kinder!<br />
Schicken Sie uns ein Foto davon an<br />
fritzundfraenzi@lernetz.ch.<br />
Johanna Oeschger<br />
ist Literatur- und Sprachwissenschaftlerin,<br />
unterrichtet Deutsch und Englisch<br />
auf der Sekundarstufe II und arbeitet als<br />
Mediendidaktikerin bei LerNetz.<br />
Bild: iStockphoto<br />
62 Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>7 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Rubrik<br />
Publireportage<br />
Bild: Esther Di Maria<br />
Zur Person<br />
• Nadja Büttiker<br />
• Wohnhaft in Mosnang SG<br />
• 22 Jahre alt<br />
• Arbeitgeber: Oberhänsli Bau AG<br />
HOCH HINAUS –<br />
auf der Baustelle<br />
und zu Pferd<br />
können die Ziele erreicht werden. Genau<br />
wie auf der Baustelle, auch hier steht die<br />
Teamarbeit im Vordergrund. Von den<br />
klischeehaften Vorurteilen für Frauen auf<br />
dem Bau lässt Nadja sich nicht beirren.<br />
«Ich werde genau gleich behandelt, wie<br />
die männlichen Mitarbeiter und das ist<br />
auch gut so!», lächelt sie. Das Schönste am<br />
Beruf ist für Nadja jeden Tag zu sehen, wie<br />
etwas Nachhaltiges entsteht.<br />
Nadja Büttiker hat diesen Sommer<br />
ihre Zusatzlehre als Maurerin EFZ<br />
begonnen. Sind Frauen auf dem Bau<br />
nicht eher ungewohnt? Überhaupt<br />
nicht, wie das Beispiel der erfolgreichen<br />
Voltigier-Weltmeisterin zeigt!<br />
Die gelernte Gärtnerin wollte nach ihrer<br />
ersten Ausbildung noch etwas Neues<br />
wagen, wusste jedoch nicht genau in<br />
welche Richtung. Beim Hausbau der Eltern<br />
kam sie das erste Mal in Kontakt mit der<br />
Baustelle und entdeckte die vielfältigen<br />
und spannenden Tätigkeiten. Kurzum<br />
fragte sie an der Aufrichte des neuen<br />
Zuhauses den Bauunternehmer, ob sie<br />
nicht bei ihm arbeiten könne.<br />
Nach einem Jahr stellte sich die Frage, ob<br />
Nadja nicht noch eine Zusatzlehre als<br />
Maurerin starten wolle. Nun sind bereits<br />
einige Monate in der neuen Lehre<br />
vergangen – und Nadja gefällt ihre neue<br />
Herausforderung sichtlich gut.<br />
Den täglichen Ausgleich schafft sie sich<br />
mit ihrem Hobby. Nebst den Backsteinen<br />
und dem Mörtel hat die St. Gallerin<br />
nämlich noch eine weitere Leidenschaft –<br />
die Pferde. Im Voltigieren im Einzel- und<br />
auch Teamwettkampf konnte Nadja<br />
bereits viele namhafte Erfolge verzeichnen.<br />
Team-Weltmeister im Jahr 20<strong>12</strong>,<br />
mehrfache Vize-Europa-/Weltmeisterin<br />
und auch im Einzelkampf gehört sie<br />
zu den besten der Welt (Weltrangliste<br />
Platz 4). Bei der Sportart Voltigieren<br />
werden turnerische und akrobatische<br />
Übungen auf dem sich bewegenden<br />
Pferd ausgeführt.<br />
Arbeit und Hobby als Gegensatz? Nein …<br />
aus Nadja’s Sicht hat es viele Parallelen.<br />
Im Teamwettkampf ist Vertrauen und<br />
Zusammenhalt sehr wichtig, nur so<br />
Ihre Zukunft sieht die junge Maurerin<br />
weiterhin auf der Baustelle – nach<br />
erfolgreicher Zusatzlehre möchte sie sich<br />
als Bau-Polierin oder Kundenmaurerin<br />
weiterbilden und somit auf der Baustelle<br />
die Fäden zusammenhalten. Den Grundstein<br />
dafür hat sie sich mit der Lehre als<br />
Maurerin EFZ schon mal gelegt …<br />
Lust auch mal Baustellen-Luft zu schnuppern?<br />
Unter www.bauberufe.ch erhalten<br />
Sie alle Informationen rund um die<br />
Bauberufe und finden auch Adressen<br />
für Schnupperlehren.<br />
www.bauberufe.ch<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>763
Elterncoaching<br />
Unser Sohn ist ein Angeber<br />
Manche Kinder, insbesondere Jungs, sind richtige kleine Angeber. Sie<br />
müssen nichts lernen – sie können schon alles. Und zwar besser als<br />
alle anderen. Für das Umfeld ist es schwierig, mit der Neigung zur<br />
Selbstüberschätzung umzugehen, weshalb mich Eltern immer wieder<br />
fragen, wie sie auf die Aufschneiderei ihres Kindes reagieren sollten.<br />
Fabian Grolimund<br />
ist Psychologe und Autor («Mit<br />
Kindern lernen»). In der Rubrik<br />
«Elterncoaching» beantwortet<br />
er Fragen aus dem Familienalltag.<br />
Der 36-Jährige ist verheiratet<br />
und Vater eines Sohnes, 4,<br />
und einer Tochter, 1. Er lebt<br />
mit seiner Familie in Freiburg.<br />
www.mit-kindern-lernen.ch<br />
www.biber-blog.com<br />
In der Entwicklung vom Kind<br />
zum Erwachsenen lernen wir<br />
nach und nach, uns und<br />
unsere Fähigkeiten realistischer<br />
einzuschätzen. Kleinkindern<br />
gelingt dies noch kaum: Sie<br />
belegen sich selbst und Menschen,<br />
die sie mögen, gerne mit allerlei<br />
Superlativen. Papa ist der Grösste<br />
und Stärkste, Mama die Schönste,<br />
das eigene Auto das schnellste.<br />
Bei meinem Vierjährigen muss<br />
ich täglich den Bizeps befühlen –<br />
meist, nachdem er einen Schluck<br />
Frucht- oder Gemüsesaft getrunken<br />
hat, die ja bekanntlich das Muskelwachstum<br />
ungeheuer anregen. Mittlerweile<br />
gesellt sich auch die 20 Mo -<br />
nate alte Tochter mit angespanntem<br />
Gesicht dazu und hält mir den Arm<br />
hin. Mein Sohn meint dann: «Sie hat<br />
noch nicht viele Muskeln – aber wir<br />
tun so, dann freut sie sich.»<br />
Mit der Zeit nehmen Kinder sich<br />
und die Umwelt differenzierter<br />
wahr. Sie sehen, dass es durchaus<br />
Männer gibt, die grösser und kräftiger<br />
sind als der eigene Vater. Sie<br />
merken, dass andere Kinder ihnen<br />
Die Selbstüberschätzung verhindert,<br />
dass sich Kinder mit ihren<br />
Schwächen auseinandersetzen.<br />
in bestimmten Gebieten etwas voraus<br />
haben, während sie in anderen<br />
Bereichen Stärken haben, die sie<br />
auszeichnen.<br />
Im Grundschulalter findet bei<br />
vielen Kindern eine Phase statt, in<br />
der sie sich intensiv mit anderen vergleichen.<br />
Wer hat die meisten Freunde?<br />
Wer ist der Schnellste, Mutigste,<br />
Stärkste? Wer hat die besseren<br />
Noten? Diese Vergleiche, die in uns<br />
Erwachsenen oft ein unangenehmes<br />
Gefühl hervorrufen, dienen den<br />
Kindern dazu, sich besser kennenzulernen,<br />
ihre Fähigkeiten zu entwickeln,<br />
sich selbst anzunehmen und<br />
den eigenen Platz in der Gruppe zu<br />
finden.<br />
Wenn Angeberei zum Problem wird<br />
Während es den meisten Kindern<br />
nach und nach gelingt, sich realistischer<br />
einzuschätzen, haben einige<br />
Kinder, aber auch Jugendliche und<br />
Erwachsene damit grosse Mühe.<br />
Während sich einige systematisch<br />
unterschätzen und selbst kleinhalten,<br />
neigen andere zur Aufschneiderei.<br />
Sie prahlen mit ihren Fähigkeiten,<br />
spielen sich in der Gruppe auf,<br />
indem sie Geschichten von ihren<br />
Heldentaten erzählen, oder reagieren<br />
mit Neid und Missgunst, wenn<br />
andere im Mittelpunkt stehen.<br />
In unserer Kultur, insbesondere<br />
in der Schweiz, wird dieses Verhalten<br />
sozial abgestraft. Kinder, die<br />
angeben, ernten von Erwachsenen<br />
Illustration: Petra Dufkova / Die Illustratoren<br />
64 Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>7 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Kritik und werden nicht selten von<br />
anderen Kindern gemieden. Diese<br />
Reaktionen des Umfelds können<br />
zum Problem werden, weil sie die<br />
Angeberei des Kindes noch befeuern<br />
können.<br />
Gleichzeitig verhindert die<br />
Selbstüberschätzung, dass sich Kinder<br />
mit ihren Schwächen auseinandersetzen,<br />
sich auf das Üben einlassen<br />
und so Schritt für Schritt<br />
Fortschritte und Erfolge erleben<br />
können. «Das kann ich schon!», ist<br />
beispielsweise eine häufige Reaktion<br />
auf den Vorschlag der Eltern, sich<br />
auf eine Prüfung im Problemfach<br />
vorzubereiten.<br />
Hinter der Selbstüberschätzung<br />
steckt oft eine grosse Unsicherheit<br />
Studien konnten zeigen, dass es oft<br />
Kinder sind, die bei anderen Kindern<br />
anecken oder Lernschwächen<br />
aufweisen, die besonders dick auftragen.<br />
Dies tun sie zudem gerade in<br />
den Bereichen, in denen sie ihre<br />
Schwächen haben. Dieser Befund<br />
spricht dafür, dass das Angeben für<br />
die Kinder eine Möglichkeit ist, mit<br />
Bedrohungen für ihr Selbstwertgefühl<br />
umzugehen. Doch wie können<br />
Eltern ihre kleinen Angeber unterstützen?<br />
Dieser Frage gingen verschiedene<br />
Forscher nach. In einer Studie durften<br />
Kinder jeweils zu zweit gemeinsam<br />
ein Lego-Gebilde aufbauen.<br />
Danach wurden sie mehrfach ge -<br />
trennt voneinander über die Leistung<br />
und die Beliebtheit beim Spielpartner<br />
befragt. Die Kinder, die ihre<br />
Leistung und ihre Beliebtheit überschätzten,<br />
wurden in zwei Gruppen<br />
eingeteilt.<br />
Der einen Gruppe wurde vom<br />
Versuchsleiter beiläufig eine positive<br />
Rückmeldung gegeben. Dieser<br />
meinte: «Ich habe gerade den anderen<br />
Jungen im Nebenraum ge troffen<br />
und seinen Fragebogen abgeholt. Es<br />
hat ihm wohl Spass ge macht, mit dir<br />
zu spielen, und er freut sich auf euer<br />
zweites Treffen. Er fand dich an -<br />
scheinend nett.»<br />
Die Gruppe der kleinen Angeber, die<br />
diese Rückmeldung hörten, schätzten<br />
sich bei der nächsten Befragung<br />
realistischer ein.<br />
Ein ähnliches Er gebnis zeigte sich<br />
bei einer Studie mit Kindern, die<br />
eine Lese-Rechtschreib- oder Re -<br />
chenschwäche aufwiesen. Mussten<br />
sie einen Buchstabiertest ablegen,<br />
überschätzten auch sie ihre Leistung.<br />
Und auch sie konnten sich im<br />
nächsten Durchgang realistischer<br />
einschätzen, wenn die Versuchsleiterin<br />
den folgenden Satz zu ihnen<br />
sagte: «Ich habe vor der Tür gerade<br />
mit meiner Kollegin gesprochen.<br />
Beim Test war ich zwar nicht dabei,<br />
aber sie hat gesagt, dass du das gut<br />
gemacht hast und sie gerne mit dir<br />
gearbeitet hat.»<br />
Wenn ein Kind angibt, haben wir<br />
Eltern oft den Wunsch, es «auf den<br />
Boden der Tatsachen» zurückzuholen.<br />
Wie die Forschung zeigt, kann<br />
das aber dazu führen, dass sich die<br />
Kinder gegenüber Rückmeldungen<br />
verschliessen und – um sich selbst<br />
zu schützen – noch dicker auftragen.<br />
Prahler müssen begleitet werden<br />
Auf der anderen Seite kann auch<br />
übermässiges Lob die Angeberei verstärken.<br />
Kinder, die ständig hören,<br />
wie aussergewöhnlich und grossartig<br />
sie sind, und von den Eltern auf ein<br />
Podest gestellt werden, können sich<br />
zu Narzissten entwickeln. Interessanterweise<br />
verbirgt sich auch hinter<br />
Narzissmus eine quälende Unsicherheit.<br />
Narzissten sind Menschen mit<br />
einem unrealistisch positiven Bild<br />
von sich selbst. Merken sie, dass dieses<br />
Bild nicht mit der Realität übereinstimmt,<br />
fühlen sie sich bedroht<br />
– und reagieren daher heftig auf<br />
Kritik.<br />
Kindern fällt es leichter, sich auf<br />
schwierige Aufgaben einzulassen<br />
und sich ihren Schwächen zu stellen,<br />
wenn sie sich dabei begleitet fühlen.<br />
Wenn Ihr Kind das nächste Mal sagt:<br />
«Das kann ich schon!», könnten Sie<br />
zum Beispiel sagen: «Ja, seit wir<br />
regelmässig üben, bist du schon viel<br />
Kinder, die ständig hören,<br />
wie grossartig sie sind, können<br />
sich zu Narzissten entwickeln.<br />
besser geworden. Lass uns schauen,<br />
wie weit du heute noch kommst.»<br />
Oder: «Hm … dann hast du in der<br />
Schule sicher gut aufgepasst. Wenn<br />
du es noch ein wenig übst, kannst du<br />
es noch schneller.»<br />
Was Eltern von kleinen Angebern<br />
wissen müssen:<br />
Kinder, die zum Angeben neigen,<br />
fühlen sich durch schwierige Aufgaben<br />
bedroht. Konfrontiert man<br />
sie mit ihrer Schwäche, verschliessen<br />
sie sich und insistieren, dass<br />
sie schon alles können.<br />
Je mehr Sie Ihr Kind auf kleine<br />
Fortschritte hinweisen und ihm<br />
vermitteln, dass es sich durch<br />
Übung verbessern kann, desto<br />
weniger bedrohlich wird die Aufgabe.<br />
Dadurch fällt es dem Kind<br />
leichter, sich richtig einzuschätzen<br />
und auf das Angeben zu verzichten.<br />
Loben Sie Ihr Kind nicht übermässig.<br />
Je mehr Sie ihm dabei helfen,<br />
sich als Mensch mit Stärken und<br />
Schwächen anzunehmen, desto<br />
leichter wird es ihm fallen, auf die<br />
Angeberei zu verzichten.<br />
In der nächsten Ausgabe:<br />
Mein Kind trödelt, ich muss es ständig antreiben.<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>765
In Zusammenarbeit mit PostFinance<br />
Erziehung & Schule<br />
Teenager im Kaufrausch<br />
Die Eltern von Anja schütteln den Kopf, wenn sie im Zimmer ihrer 15-Jährigen stehen: Der Kleiderschrank<br />
quillt über, die Kommoden sind gefüllt mit Kosmetikartikeln. Ist so viel Konsum noch normal? Wie können<br />
sie ihre Tochter auf ihr Kaufverhalten ansprechen? Text: Pamela Aeschlimann<br />
MoneyFit-Tipp<br />
Unvoreingenommen ansprechen. Die meisten<br />
Jugendlichen shoppen gern und viel. Bei<br />
Sorge über den Konsum die Jugendlichen<br />
ohne Vorwürfe darauf ansprechen.<br />
Bedürfnisse spüren. Ein problematisches<br />
Konsumverhalten kann Ausdruck unerfüllter<br />
sozialer Bedürfnisse sein. Tiefer liegende<br />
Schwierigkeiten im Gespräch erfahren.<br />
Vorbild sein. Leben Sie in der Familie auch<br />
eine nichtmaterielle Werthaltung vor.<br />
Freude und Interesse am<br />
Shopping hätten die meisten<br />
Jugendlichen, erklärt Doris<br />
Hohn-Freiburghaus, Kinder- und<br />
Jugendpsychologin der Erziehungsberatung<br />
Burgdorf-Langnau BE.<br />
Das hänge damit zusammen, dass<br />
das Kaufen in diesem Alter mehr<br />
bedeutet als einfach die Befriedigung<br />
der Grundbedürfnisse. Selbständig<br />
auf Shoppingtour gehen bedeutet,<br />
endlich ohne die Eltern wählen zu<br />
können. Der eigene Kleidungsstil ist<br />
eine Form der Selbstdarstellung, mit<br />
bestimmten Produkten erlangt man<br />
Zugehörigkeit zu einer Gruppe, ein<br />
besonderer Besitz verschafft einem<br />
Aufmerksamkeit bei Gleichaltrigen.<br />
Und nicht zuletzt werden die Jugendlichen<br />
beeinflusst von Vorbildern<br />
aus der Werbung und immer mehr<br />
auch von Fashion-Bloggerinnen und<br />
-Bloggern auf Youtube und anderen<br />
Netzwerken.<br />
Der hohe Stellenwert des<br />
Konsums bei Jugendlichen kann also<br />
entwicklungspsychologisch erklärt<br />
werden und ist bis zu einem gewissen<br />
Grad «normal» für diese Altersstufe.<br />
Achtsame Eltern merken, wenn das<br />
Shoppingverhalten der Tochter oder<br />
des Sohns problematische Züge<br />
annimmt: Wenn die Jugendlichen<br />
beispielsweise immer wieder mit<br />
vollen Einkaufstaschen nach Hause<br />
kommen, wenn das Einkaufen zur<br />
wichtigsten Freizeitbeschäftigung<br />
wird oder wenn sie wiederholt mehr<br />
Geld ausgeben, als sie haben.<br />
Sind Eltern besorgt über das Einkaufsverhalten<br />
ihres Sohns oder ihrer<br />
Tochter, sollten sie die Jugendlichen<br />
in einer vertrauensvollen Atmosphäre<br />
und ohne Vorwurf auf ihr Verhalten<br />
ansprechen. «Einfach Grenzen setzen<br />
funktioniert bei Jugendlichen nicht<br />
mehr. Das provoziert das Fehlverhalten<br />
richtiggehend», weiss Psychotherapeutin<br />
Judith Bärtschi aus ihrer<br />
Arbeit mit Jugendlichen und Eltern.<br />
Im Gespräch können die Eltern die<br />
Gründe für das häufige Einkaufen<br />
herausspüren. Und diese liegen meist<br />
tiefer als im unbedachten Umgang<br />
mit Geld. Mit Käufen kompensieren<br />
betroffene Jugendliche unerfüllte<br />
soziale Bedürfnisse: nach Aufmerksamkeit,<br />
Selbstverwirklichung oder<br />
Zugehörigkeit zum Beispiel.<br />
Die Gespräche mit den Eltern<br />
können Jugendliche dazu anregen,<br />
über ihr Kaufverhalten nachzudenken.<br />
Sofern die Jugendlichen<br />
«nur» Mühe haben, die Ausgaben<br />
im Rahmen ihrer Verhältnisse zu<br />
behalten, können die Eltern ihnen<br />
helfen, ihr Geld mit einem Budget<br />
besser einzuteilen. Das Geld so einzusetzen,<br />
dass es die echten individuellen<br />
Bedürfnisse erfüllt, erfordert<br />
letztlich viel Selbstbewusstsein und<br />
eine Haltung, die sich auch an nichtmateriellen<br />
Werten orientiert. Eltern<br />
können ihre Kinder unterstützen,<br />
indem sie ihnen während ihrer<br />
gesamten Entwicklung auch nichtmaterielle<br />
Werte vorleben.<br />
Pamela Aeschlimann<br />
ist ausgebildete Lehrperson Sek I und<br />
Leiterin des Projektteams MoneyFit bei<br />
LerNetz.<br />
Seit über zehn Jahren setzt sich<br />
PostFinance mit kostenlosen<br />
Angeboten für die Steigerung der<br />
Finanzkompetenz der Jugend ein.<br />
Die professionell aufbereiteten<br />
Lernmedien unterstützen<br />
Lehrpersonen und Eltern bei der<br />
Erziehungsarbeit ums Thema Geld.<br />
moneyfit.postfinance.ch<br />
postfinance.ch<br />
Bild: Fotolia<br />
66 Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>7 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Rubrik<br />
41130 GROSSER FREIZEITPARK<br />
8–<strong>12</strong> J. P0-37353822<br />
99.–<br />
41<strong>12</strong>6 HEARTLAKE REITERHOF<br />
6–<strong>12</strong> J. P0-37353818<br />
69.90<br />
6<strong>01</strong>10 GROSSE FEUERWEHRSTATION<br />
6–<strong>12</strong> J. P0-37340843<br />
99.–<br />
6<strong>01</strong>03 GROSSE FLUGSCHAU<br />
6–<strong>12</strong> J. P0-37340864<br />
89.90<br />
60<strong>12</strong>4 VULKAN-FORSCHERSTATION<br />
8–<strong>12</strong> J. P0-37340859<br />
99.–<br />
6<strong>01</strong>30 POLIZEIQUARTIER AUF<br />
DER GEFÄNGNISINSEL<br />
6–<strong>12</strong> J. P0-37340838<br />
79.90<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>767
Do sier<br />
Do sier<br />
Leserbriefe<br />
«Endlich traut sich<br />
jemand, das zu sagen»<br />
«Genau: Es ist<br />
eine Lüge!»<br />
(Dossier «Die Lüge von der<br />
Vereinbarkeit», Heft 11/<strong>2<strong>01</strong>6</strong>)<br />
Die Lüge von<br />
der Vereinbarkeit<br />
Wer Kinder hat und Karriere machen möchte, zahlt einen hohen<br />
Preis – besonders als Frau. Mü te reiben sich auf zwischen<br />
Familie und Beruf. Denn die viel zitierte Vereinbarkeit von Familie<br />
und Beruf bedeutet vor a lem eins: ganz viel Stress.<br />
Eine Entmystifizierung. Text: Siby le Sti lhart Bilder: Jan von Ho leben<br />
10 November <strong>2<strong>01</strong>6</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi November <strong>2<strong>01</strong>6</strong> 1<br />
Wow – endlich traut sich mal jemand, dies beim Namen zu<br />
nennen: «Kinder und Karriere – die Lüge von der Vereinbarkeit»!<br />
Genau: Lüge!<br />
Ich gehe wirklich sehr, sehr, sehr gerne arbeiten, obwohl ich<br />
auch noch Mutter bin. Und dies hinzukriegen, erfordert tatsächlich<br />
Nerven aus Stahl. Ein Spinnennetz an Organisation – und<br />
wehe, der ach so gut organisierte Tag bekommt ein Loch, weil die<br />
Schule plötzlich ausfällt oder das Kind kränkelt. Stress pur ist<br />
dann angesagt … und immerzu der Blick auf die tickende Uhr.<br />
Oder jeden Mittag husch, husch einkaufen gehen, kochen, mit<br />
dem Kind kurz essen, abräumen und anschliessend wieder<br />
loshetzen … So siehts nämlich aus.<br />
DANKE, dass Ihr Magazin dieses Thema aufgefangen hat.<br />
Tolles Magazin übrigens!<br />
Heidi Müller (per Mail)<br />
«Auch wir, die körperlich arbeiten,<br />
gehören zu Ihren Lesern»<br />
Sehr geehrtes Fritz+Fränzi-Team<br />
Gerne folge ich ihrem Ruf auf der Leserbriefseite, Ihnen zu<br />
schreiben, was Sie besser machen können.<br />
Konkret geht es um den Bericht «Die Lüge von der Vereinbarkeit»<br />
im November.<br />
Einmal mehr wird der Leserschaft vemittelt, dass die ganze<br />
Bevölkerung im Büro arbeitet. Die Bilder und der ganze Text<br />
sprechen eine deutliche Sprache. Ich als überzeugter Handwerker<br />
und meine Frau als Mutter, gelernte Floristin und auch<br />
handwerklich sehr begabt fühlen uns in Ihren Berichten immer<br />
weniger vertreten. Ich bitte Sie und die ganze Redaktion,<br />
vermehrt auch die körperlich arbeitende Bevölkerung in die<br />
sonst interessanten Artikel miteinzubeziehen. Auch wir (der<br />
Lastwagenmechaniker, der Schreiner, der Schlosser, der<br />
Müllmann, der hinten auf dem Kehrichtwagen steht, der<br />
Bauarbeiter, die Arztgehilfin, die Malerin, die Kassiererin im<br />
Tankstellenshop, die Tramführerin und die Expertin bei der<br />
Motorfahrzeugkontrolle) gehören zu Ihrer treuen Leserschaft.<br />
Wolfgang Osthues, Speicher (per Mail)<br />
«Sensationell!»<br />
(Dossier, Heft 9/<strong>2<strong>01</strong>6</strong> und 11/<strong>2<strong>01</strong>6</strong>)<br />
Herzlichen Dank für die informativen und gut<br />
recherchierten Berichte. Die beiden letzten Dossiers<br />
zum Thema «Mobbing» und «Die Lüge von der<br />
Vereinbarkeit» fand ich sensationell!<br />
I. Kälin (per Mail)<br />
Schreiben Sie uns!<br />
Ihre Meinung ist uns wichtig! Was machen wir gut?<br />
Was könnten wir besser machen? Lassen Sie es uns<br />
wissen! Sie erreichen uns über: leserbriefe@fritzundfraenzi.ch<br />
oder Redaktion Fritz+Fränzi, Dufourstrasse 97, 8008 Zürich.<br />
Und natürlich auch über Twitter: @fritzundfraenzi oder<br />
Facebook: www.facebook.com/fritzundfraenzi.<br />
Kürzungen behält sich die Redaktion vor.<br />
68 Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>7 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
macht haben.<br />
direkt zu mir.<br />
Monatsinterview<br />
Nacht sein.<br />
Mit was unsere Mitarbeitenden ihre Enkel<br />
an Weihnachten überraschen (S.28)<br />
www.grosseltern-magazin.ch<br />
Wie man Spannungen vermeidet, wenn man<br />
nicht alle Enkel gleich oft betreut (S. 22)<br />
Die effektiven Altruisten wollen mit<br />
Köpfchen statt Emotionen spenden (S. 40)<br />
CHF 9.50<br />
EUR 8.50<br />
Leserbriefe<br />
Jetzt bestellen<br />
GESCHENKIDEE<br />
FÜR<br />
WEIHNACHTEN<br />
«Grenzensetzen versus<br />
Selbständigkeit»<br />
(«Eltern müssen konsequent<br />
Grenzen setzen», Heft 10/<strong>2<strong>01</strong>6</strong>)<br />
«Eltern müssen konsequent<br />
Grenzen setzen»<br />
Viele Mütter und Väter sind heute verunsichert und kommen ihrer Verantwortung<br />
als Eltern nicht nach, sagt Sefika Garibovic, Expertin für die Nacherziehung<br />
schwieriger Jugendlicher. Die Pädagogin über die Scha tenseiten der Abklärung,<br />
konsequente Erziehung und warum Kinder Hierarchien brauchen.<br />
Ein unscheinbares Bürogebäude in<br />
der Zuger Bahnhofstra se. Dri ter<br />
Stock, eine hochgewachsene Frau<br />
ö fnet die Tür: rote Hose, wei se<br />
Bluse, schwarze High H els. Die<br />
Frisur sitzt perfekt, die Augen<br />
strahlen. Eine Figur wie aus einem<br />
Film. Dann klingelt ihr Handy. Eine<br />
entschuldigende Geste in Richtung<br />
Journalistin. «Ha lo» . «Ja, bist du<br />
krank? Hast du getrunken?» . «Das<br />
Leben ist kein Wunschkonzert.» . «Es wäre gut, we n du heute Mi tag<br />
kommen würdest.» …<br />
Wir sind mi ten im Thema.<br />
Frau Garibovic, war das ein Klient von<br />
Ihnen? Was fehlt ihm oder ihr?<br />
Es ist ein 17-jähriges Mädchen. Sie<br />
letzten Jahren von diversen Schulen<br />
geflogen, hat in verschiedenen Heimen<br />
und sogar auf der Stra se gelebt.<br />
Sie hat ihren Körper verkauft, um<br />
sich den Stoff finanzieren zu kö nen.<br />
Eltern, gut situiert, mit ihr zu mir<br />
gekommen. Ich so l jetzt das reparieren,<br />
wa sie jahrelang kapu t ge -<br />
Harte Worte, aber für Sie Ihr täglich<br />
Brot. Was sind das für Kinder, mit<br />
denen Sie zu tun haben?<br />
Interview: Evelin Hartma n Bilder: Herbert Zimmerma n / 13 Photo<br />
E sind austherapierte Kinder und<br />
Jugendliche. Manchmal aus fremden<br />
Kulturen, aber zwei Dri tel stammen<br />
aus Schweizer Familien. Sie waren<br />
bei Psychologen, Psychiatern und<br />
Pädagogen. Sie waren stationiert,<br />
platziert, manche haben zahlreiche<br />
Heimaufenthalte hinter sich. Sie fliegen<br />
von der Schule, tyra nisieren<br />
«Nirgendwo wird<br />
so viel Geld mit<br />
Kindern verdient<br />
wie hierzulande.»<br />
ihre Familien, Lehrer, manche nehmen<br />
Drogen oder werden sogar<br />
Genau, das ist viel aufschlu sreicher<br />
krimine<br />
l. Diese jungen Menschen finden<br />
ihren Platz nicht; nicht bei sich<br />
selber, nicht in der Familie, nicht in<br />
der Gese lschaft.<br />
Wer beauftragt Sie?<br />
Oft erhalte ich von Sozialämtern, der<br />
KESB, Gemeinden oder der Jugendanwaltschaft<br />
den Auftrag. Manchmal<br />
Wie gehen Sie da n vor?<br />
da s a le Therapien sofort abgebro- ><br />
chen werden. Da n gehe ich in die<br />
Familie. Ich wi l sehen, wie das Kind<br />
lebt, wie die Familie miteinander<br />
unangemeldet um 2 Uhr in der<br />
umgeht. Das ka n auch schon mal<br />
Um zu sehen, ob der Jugendliche zu<br />
Hause oder unterwegs ist, ob Vater<br />
oder Mu ter betrunken sind.<br />
als die meterhohen Do siers zu lesen,<br />
die auf meinem Schreibtisch landen.<br />
Und was gar nichts bringt, ist die<br />
Kinder au schlie slich in meine<br />
Sprechstunde kommen zu la sen:<br />
liegt darin, zu dekodieren, wo die<br />
trinkt, nimmt Drogen, ist in den<br />
Probleme liegen, und nicht beim<br />
für diese Kinder da, mit meinem<br />
Vor ein p ar Monaten sind ihre<br />
Ferien. Viele sagen mir: Endlich<br />
gelangen Eltern über Empfehlung<br />
Zuerst einmal bestehe ich darauf,<br />
«So, wir haben 45 Minuten Zeit, jetzt<br />
erzähl mal.» Zu Begi n rede ich.<br />
Es gibt kein Rezept. Meine Aufgabe<br />
Ve raten Sie uns ihr Rezept?<br />
Kind die Fehler zu suchen. Ich bin<br />
ganzen pädagogischen, nacherzieherischen<br />
und therapeutischen Wissen<br />
und vor a lem von ganzem Her-<br />
nachts, am Wochenende und in den<br />
und benimmt sich auch so.<br />
Ein Beispiel: Farid und Adelina aus<br />
zen. Sie dürfen mich immer anrufen,<br />
fühlt sich jemand wirklich zuständig<br />
34 Oktober <strong>2<strong>01</strong>6</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Ihre Zeitschrift lese ich jeweils mit grossem Interesse,<br />
da ich selber mit Eltern im Bereich<br />
Kindererziehung tätig bin. Die Beiträge sind sehr<br />
informativ. Sie geben mir immer wieder Anstoss,<br />
meine Denkweise zu überprüfen, kritisch zu<br />
hinterfragen und vieles zu lernen, um auf dem<br />
neusten Stand zu sein. Allen Beteiligten ein ganz<br />
grosses Kompliment!<br />
In der Oktoberausgabe habe ich mit grossem<br />
Interesse das Monatsinterview mit Frau Sefika<br />
Garibovic gelesen. Selber bin ich als autorisierter<br />
PACHER-Trainer im Bereich Elternkurse in<br />
Kindererziehung, Familienberatung und<br />
-begleitung tätig.<br />
Es ist wichtig und bewundernswert, wie sich<br />
Frau Garibovic Jugendlicher annimmt, die<br />
Schwierigkeiten haben oder ein auffälliges<br />
Verhalten zeigen, welches ihnen verunmöglicht,<br />
sich in der Gesellschaft einzuordnen. Mit ihren<br />
Besuchen in der Familie erhält sie ein Gesamtbild<br />
der Gründe, wie es in der Familie läuft.<br />
Jugendliche reagieren auf Ursachen und können<br />
so zu Symptomträgern werden. Dies kann z. B.<br />
Überbehütung (eine kontrollierende Grundhaltung<br />
der Eltern) sein oder eine «Nichterziehung»<br />
aufgrund einer Überforderung der Eltern.<br />
Jugendliche reagieren darauf. Sie werden nicht<br />
mit negativem Verhalten geboren. Vermutlich<br />
fühlen sich Jugendliche bei Frau Garibovic<br />
erstmals verstanden. Auch ihre Aussage,<br />
Therapien und stationäe Heimaufenthalte<br />
abzubrechen, kann sinnvoll sein. Gerade bei<br />
Heimaufenthalten wird oft mit Repressionen<br />
therapiert. Dabei lernen die Jugendlichen ausser<br />
Gehorsam nicht viel.<br />
Mit folgenden Aussagen von Frau Garibovic<br />
bin ich nicht einverstanden. Sie sagt, dass bei<br />
99 Prozent in den Familien die Hierarchie nicht<br />
stimme. Dabei meint sie wohl, wer das Sagen<br />
hat. Selbstverständlich tragen die Eltern die<br />
Kö nen Sie das konkretisieren?<br />
Albanien haben eine andere<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Oktober <strong>2<strong>01</strong>6</strong> 35<br />
Sefika Garibovic hat<br />
ihr Büro in Zug, doch<br />
meistens besucht sie<br />
die Familien Zuhaue.<br />
Verantwortung für die Erziehung. Aus meiner<br />
Sicht sind jedoch alle Familienmitglieder als<br />
Menschen gleichwertig, nicht aber gleichberechtigt.<br />
Die andere Aussage ist, dass Eltern konsequent<br />
Grenzen setzen müssten und zur<br />
Verantwortung der Eltern auch gehöre, die<br />
Kinder auf das Leben vorzubereiten, damit sie<br />
ein gesundes Selbstvertrauen entwickeln können<br />
und lernen, selbständig zu werden, so Frau<br />
Garibovic. Dies wird mit konsequentem<br />
Grenzensetzen der Eltern nicht erreicht und ist<br />
somit ein Widerspruch. Vielmehr sollen<br />
Jugendliche in den Lösungsprozess, was letztlich<br />
Grenzensetzen ist, eingebunden werden, z. B.<br />
wann Hausaufgaben machen, um welche Zeit ins<br />
Bett gehen, um welche Zeit nach dem Ausgang<br />
zu Hause sein. So werden unterschiedliche<br />
Bedürfnisse der Eltern und Jugendlichen<br />
diskutiert und wird gemeinsam nach Lösungen<br />
gesucht. Selbstverständlich müssen die Eltern<br />
mit den Lösungsvorschlägen der Jugendlichen<br />
einverstanden sein. Das heisst, gemeinsam<br />
Grenzen setzen. So können die Jugendlichen<br />
dahinterstehen und lernen in der Diskussion<br />
auch die Bedürfnisse der Eltern kennen. Das ist<br />
aus meiner Sicht Vorbereitung auf das Leben<br />
und nicht autoritäres Grenzensetzen. Selbstverständlich<br />
müssen Eltern in Notsituationen<br />
durchgreifen, wenn es nicht anders geht.<br />
In einem Familienklima, in dem sich alle<br />
verstanden, angenommen und geliebt fühlen, in<br />
dem sich alle in gegenseitigem Respekt<br />
begegnen, sind die Chancen am grössten, dass<br />
unsere Jugendlichen lebensfähig werden. Sie<br />
lernen so altersgerecht Verantwortung für sich<br />
und die Mitmenschen zu übernehmen.<br />
Dieter Gehrig, Aesch (per Mail)<br />
>>><br />
Schenken<br />
Sie Ihren<br />
Eltern und<br />
Schwiegereltern<br />
als<br />
kleines<br />
Dankeschön<br />
ein Abo von:<br />
# <strong>12</strong> / <strong>2<strong>01</strong>6</strong> & # <strong>01</strong> / 2<strong>01</strong>7<br />
Grosseltern MAGAZIN<br />
Grosseltern MAGAZIN<br />
Grosseltern<br />
Schenken<br />
# <strong>12</strong> /<strong>2<strong>01</strong>6</strong> & # <strong>01</strong> / 2<strong>01</strong>7<br />
Das Magazin über das Leben mit Enkelkindern<br />
Hüten<br />
Spenden<br />
SCHMUCK<br />
FÜR DEN BAUM<br />
Die vierjährige Elvie zeigt den Christbaumschmuck,<br />
den sie am ersten «Grosseltern»-Bastelnachmittag<br />
verziert und bemalt hat. (S. 32)<br />
Inkl. Dossier<br />
WESHALB<br />
MÜTTER DAHEIM<br />
BLEIBEN<br />
ab Seite 46<br />
Jetzt bestellen unter<br />
www.grosseltern-magazin.ch/abo<br />
oder per<br />
Telefon 031 740 97 53.<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>7
macht haben.<br />
denen Sie zu tun haben?<br />
Wer beauftragt Sie?<br />
direkt zu mir.<br />
Wie gehen Sie dann vor?<br />
Nacht sein.<br />
Sefika Garibovic hat<br />
ihr Büro in Zug, doch<br />
meistens besucht sie<br />
die Familien Zuhaue.<br />
Inserat Fritz und Fraenzi Kind.indd 2 <strong>12</strong>.10.<strong>2<strong>01</strong>6</strong> 15:28:46<br />
Leserbriefe<br />
«Weiter so,<br />
Frau Garibovic!»<br />
(«Eltern müssen konsequent<br />
Grenzen setzen», Heft 10/<strong>2<strong>01</strong>6</strong>)<br />
Monatsinterview<br />
«Eltern müssen konsequent<br />
Grenzen setzen»<br />
Viele Mütter und Väter sind heute verunsichert und kommen ihrer Verantwortung<br />
als Eltern nicht nach, sagt Sefika Garibovic, Expertin für die Nacherziehung<br />
schwieriger Jugendlicher. Die Pädagogin über die Scha tenseiten der Abklärung,<br />
konsequente Erziehung und warum Kinder Hierarchien brauchen.<br />
Ein unscheinbares Bürogebäude in<br />
der Zuger Bahnhofstra se. Dri ter<br />
Stock, eine hochgewachsene Frau<br />
ö fnet die Tür: rote Hose, wei se<br />
Bluse, schwarze High H els. Die<br />
Frisur sitzt perfekt, die Augen<br />
strahlen. Eine Figur wie aus einem<br />
Film. Da n klingelt ihr Handy. Eine<br />
entschuldigende Geste in Richtung<br />
Journalistin. «Ha lo» . «Ja, bist du<br />
krank? Hast du getrunken?» . «Das<br />
Leben ist kein Wunschkonzert.» .<br />
«Es wäre gut, we n du heute Mi tag<br />
kommen würdest.» …<br />
Wir sind mi ten im Thema.<br />
Frau Garibovic, war das ein Klient von<br />
Ihnen? Was fehlt ihm oder ihr?<br />
Es ist ein 17-jähriges Mädchen. Sie<br />
trinkt, nimmt Drogen, ist in den<br />
letzten Jahren von diversen Schulen<br />
geflogen, hat in verschiedenen Heimen<br />
und sogar auf der Stra se gelebt.<br />
Sie hat ihren Körper verkauft, um<br />
sich den Stoff finanzieren zu kö nen.<br />
Interview: Evelin Hartma n Bilder: Herbert Zimmerma n / 13 Photo<br />
Vor ein p ar Monaten sind ihre<br />
Eltern, gut situiert, mit ihr zu mir<br />
gekommen. Ich so l jetzt das reparieren,<br />
wa sie jahrelang kapu t ge -<br />
Harte Worte, aber für Sie Ihr täglich<br />
Brot. Was sind das für Kinder, mit<br />
E sind austherapierte Kinder und<br />
Jugendliche. Manchmal aus fremden<br />
Kulturen, aber zwei Dri tel stammen<br />
aus Schweizer Familien. Sie waren<br />
bei Psychologen, Psychiatern und<br />
Pädagogen. Sie waren stationiert,<br />
platziert, manche haben zahlreiche<br />
Heimaufenthalte hinter sich. Sie fliegen<br />
von der Schule, tyra nisieren<br />
«Nirgendwo wird<br />
so viel Geld mit<br />
Kindern verdient<br />
wie hierzulande.»<br />
ihre Familien, Lehrer, manche nehmen<br />
Drogen oder werden sogar kriminell.<br />
Diese jungen Menschen finden<br />
ihren Platz nicht; nicht bei sich<br />
selber, nicht in der Familie, nicht in<br />
der Gese lschaft.<br />
Oft erhalte ich von Sozialämtern, der<br />
KESB, Gemeinden oder der Jugendanwaltschaft<br />
den Auftrag. Manchmal<br />
gelangen Eltern über Empfehlung<br />
Zuerst einmal bestehe ich darauf,<br />
chen werden. Da n gehe ich in die<br />
Familie. Ich wi l sehen, wie das Kind<br />
lebt, wie die Familie miteinander<br />
umgeht. Das ka n auch schon mal<br />
unangemeldet um 2 Uhr in der<br />
Um zu sehen, ob der Jugendliche zu<br />
Hause oder unterwegs ist, ob Vater<br />
oder Mu ter betrunken sind.<br />
Genau, das ist viel aufschlu sreicher<br />
als die meterhohen Do siers zu lesen,<br />
die auf meinem Schreibtisch landen.<br />
Und was gar nichts bringt, ist die<br />
Kinder au schlie slich in meine<br />
Sprechstunde kommen zu la sen:<br />
«So, wir haben 45 Minuten Zeit, jetzt<br />
erzähl mal.» Zu Begi n rede ich.<br />
Ve raten Sie uns ihr Rezept?<br />
Es gibt kein Rezept. Meine Aufgabe<br />
liegt darin, zu dekodieren, wo die<br />
Probleme liegen, und nicht beim<br />
Kind die Fehler zu suchen. Ich bin<br />
für diese Kinder da, mit meinem<br />
ganzen pädagogischen, nacherzieherischen<br />
und therapeutischen Wissen<br />
und vor a lem von ganzem Herzen.<br />
Sie dürfen mich immer anrufen,<br />
nachts, am Wochenende und in den<br />
Ferien. Viele sagen mir: Endlich<br />
fühlt sich jemand wirklich zuständig<br />
und benimmt sich auch so.<br />
Können Sie das konkretisieren?<br />
Ein Beispiel: Farid und Adelina aus<br />
Albanien haben eine andere<br />
da s a le Therapien sofort abgebro- ><br />
34 Oktober <strong>2<strong>01</strong>6</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Oktober <strong>2<strong>01</strong>6</strong> 35<br />
Guten Tag Frau Garibovic<br />
Dieser Artikel ist mit Abstand das Beste, was ich in den letzten<br />
Monaten in Sachen «Erziehung» gelesen habe. Ich bin selber<br />
Primarlehrerin (mit einem kleinen Teilzeitpensum) und Mutter<br />
dreier Kinder im Alter von 6, 7 und 8 Jahren. Wenn die Hierarchie<br />
(die Eltern stehen über dem Kind) stimmt, Grenzen konsequent<br />
gesetzt werden und angemessen Zeit und Anteilnahme in die<br />
Beziehung zu den Kindern investiert werden, dann gelingt das<br />
Erziehen viel müheloser. Das ist jedenfalls meine Erfahrung.<br />
Mit diesen Ansichten stehe ich aber oft alleine da. Viele<br />
Mütter/Väter lassen sich von ihren Kindern bereits im Kleinkindalter<br />
komplett bestimmen und wollen die guten Kollegen sein.<br />
Auch in Schwierigkeiten werden allzu oft schnell Medikamente<br />
eingesetzt. Ich kenne ein Ehepaar, das Probleme mit ihren beiden<br />
Kindern hat. Beide bekommen jetzt Ritalin, der eine mit <strong>12</strong>, dazu<br />
noch Antidepressiva. Die Abklärungen des Psychologen wurden<br />
ohne Augenschein in der Familie vorgenommen. Die Eltern sind<br />
fein raus und müssen nichts ändern. Ich finde das fahrlässig.<br />
In der Schule sind solche Abklärungen bald Routine. Auch in<br />
der Schule, an der ich unterrichte, sehe ich etliche emotional<br />
verwahrloste Schüler/innen (Sechstklässler), deren Eltern beide<br />
gut dotierte Jobs haben, aber kaum Zeit für ihre Sprösslinge. Gerne<br />
schieben solche Eltern die Verantwortung der Schule ab.<br />
Ich finde es mutig, dass Sie sich so klar äussern. Es ist eine<br />
grosse Chance, dass Eltern durch Sie ermutigt werden, wieder<br />
mehr Leit- und Vorbildfunktion/Hierarchie zu übernehmen und<br />
nicht zuletzt die Prioritäten, auch in Sachen Zeit und Zuwendung,<br />
neu zu setzen. Viele Eltern überfordern ihre Kinder, indem sie in<br />
allem Selbstverantwortung verlangen, diese aber nicht vorleben.<br />
Dies ist nicht zuletzt eine Folge von zahlreichen Ratgebern, die<br />
uns jahrelang eine «Kuschelerziehung» gepredigt haben, die<br />
Auseinandersetzungen und Spannungen aus dem Wege geht.<br />
Darum: Weiter so, liebe Frau Garibovic! Und viel Kraft für die<br />
wichtigen Resozialisierungen, auch im Sinne einer lebenswerten<br />
Zukunft all dieser Kinder und Jugendlichen!<br />
B. Meier (per Mail)<br />
Siewerdtstrasse 7<br />
8050 Zürich<br />
T 044 315 15 75<br />
www.bke.ch<br />
Berufs- und Weiterbildung<br />
Kinderbetreuung<br />
• Berufsvorbereitungsjahr<br />
Kinderbetreuung BVJ<br />
• Fachperson Betreuung FaBeK<br />
3-jährige Grundaus bildung zum EFZ<br />
• Nachholbildung FaBeK<br />
Für Erwachsene (nach Art. 32 BBV)<br />
• Berufliche Weiter bildung<br />
für Fach personen<br />
In familien- und<br />
schul ergänzenden<br />
Kinderbetreuungs -<br />
einrichtungen<br />
Dein Gymi!<br />
Mit Kopf und<br />
Herz zur<br />
Matur.<br />
Kurzgymnasium mit den Profilen Bildnerisches Gestalten,<br />
Musik und Philosophie/Pädagogik/Psychologie<br />
Infoabend Dienstag, 10. Januar 2<strong>01</strong>7, 19.30 Uhr<br />
Tag der offenen Tür Freitag, 20. Januar 2<strong>01</strong>7, 7.50-16.00 Uhr<br />
www.unterstrass.edu | 043 255 13 33 | Seminarstr. 29 | 8057 Zürich<br />
ERFOLGREICH<br />
KOMMUNIZIEREN<br />
ERFOLGREICH<br />
KOMMUNIZIEREN<br />
www.gordon-training.ch<br />
aktuelle Kursangebote in Ihrer Region
Bilder: ZVG<br />
Jetzt<br />
gewinnen!<br />
Dezember-Verlosung<br />
Fritz+Fränzi verlost …<br />
– wasserdicht dank Kamik<br />
DriDefense Technologie<br />
– bis –32° Celsius einsetzbar<br />
– 3M Thinsulate Isolation<br />
– herausnehmbare Innensohle<br />
9 × 1 Paar Kamik Wheelie-Schuhe (Grösse 28–36)<br />
im Wert von je Fr. 119.90<br />
Der Winter stapft mit grossen Schritten auf uns zu. Da ist es<br />
wichtig, dass die Kids warm eingepackt sind. Kamik Kinderschuhe<br />
und -klamotten bieten besten Schutz für Mädchen<br />
und Jungen. In den isolierten und wasserdichten Schuhen<br />
bleiben Kinderfüsse immer warm und trocken. Jacken und<br />
Hosen bieten alles, was es zum Rumtoben braucht:<br />
Schnee fang, Kapuze, verstärkte Knie- und Gesässpartien,<br />
Atmungsaktivität und Reflektoren. Mit Kamik Kinderschuhen<br />
und -klamotten können die Kleinsten unbekümmert die kalte<br />
Jahreszeit geniessen.<br />
Mehr unter: www.kamik.com<br />
Wettbewerbsteilnahme auf www.fritzundfraenzi.ch/verlosung<br />
Teilnahmeschluss: 8. Januar 2<strong>01</strong>7 / Teilnahme per SMS: Stichwort FF KAMIK an 959 senden (30 Rp./SMS)<br />
Ich sehe was, was<br />
du nicht siehst.<br />
Engagieren Sie sich für ein<br />
besseres Verständnis<br />
zwischen den Kulturen!<br />
Werden Sie Gastfamilie und<br />
gönnen Sie einer Schülerin<br />
oder einem Schüler einen<br />
Platz in Ihrem Zuhause.<br />
AFS Interkulturelle Programme Schweiz<br />
044 218 19 19<br />
sui.info@afs.org
Erziehung & Schule<br />
«Léni, bitte bleib!»<br />
Sie war ein lebenslustiges, ein starkes Kind. Dann kam<br />
der Tag, an dem Léni wegen Halsschmerzen zum Arzt<br />
musste. Seine Diagnose war unvorstellbar: Krebs.<br />
Es begann eine unerträgliche Leidensgeschichte.<br />
Ihre Mutter erzählt. Text: Léda Forgó Bilder: Charlotte Schreiber, privat<br />
Léni (l.) und ihre<br />
Schwester Finnja.<br />
Trotz der schweren<br />
Krankheit haben die<br />
Zwillinge ihre Nähe<br />
zueinander nicht<br />
verloren.<br />
72 72 <br />
Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>7 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Erziehung & Schule<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>773
Erziehung & Schule<br />
«Mama, ich kann dich nicht<br />
hören.» Der Tumor hatte Lénis<br />
Gehörgänge verschlossen.<br />
Es begann mit einer Erkältung.<br />
Ich dachte, meine<br />
Tochter Léni, damals elf,<br />
habe eine Nebenhöhlenentzündung.<br />
Wir gingen<br />
zu unserem Hausarzt. Doch als er in<br />
Lénis Hals blickte, wich ihm alle Farbe<br />
aus dem Gesicht. Er schickte uns<br />
umgehend in die Uniklinik Kiel. Ich<br />
fuhr nach Hause, packte Léni eine<br />
Tasche und gabelte ihre Zwillingsschwester<br />
Finnja auf. Ihren Bruder<br />
Artúr, damals zwölf, rissen wir aus<br />
dem Badminton-Training.<br />
Im Krankenhaus wurde ein Arzt<br />
nach dem anderen ins Behandlungszimmer<br />
gerufen. Sie standen um<br />
Léni herum, die ihren Mund nichts<br />
ahnend aufriss. Der Versuch, ein<br />
MRT zu machen, misslang. Léni<br />
schaffte es nicht, ruhig in der Röhre<br />
zu liegen. Sie rang nach Luft. Gegen<br />
drei Uhr nachts kam Léni endlich auf<br />
ein Zimmer. Als ich mit Artúr kurz<br />
allein war, sah er mich an und fragte:<br />
«Hat Léni Krebs?» «Wie kannst du<br />
so etwas sagen», antwortete ich, fühlte<br />
aber keine Empörung. Schliesslich<br />
Die langen Haare zu verlieren, war schlimm für Léni.<br />
Deshalb bekam sie ständig Mützen geschenkt. Am Ende<br />
ihrer Behandlung besass sie an die fünfzig Exemplare.<br />
Diese Mütze war ihr Lieblingsstück. Sie war ein Geschenk<br />
ihrer Mutter.<br />
sprach er nur aus, was niemand auch<br />
nur zu denken wagte.<br />
Wir blieben im Krankenhaus.<br />
Zehn Tage vergingen. Der Oberarzt<br />
vermutete, dass es ein gutartiges<br />
Fi brom sei. Doch die Gewebeentnahme<br />
wurde dreimal verschoben.<br />
Das Gewebe könne stark bluten, man<br />
brauche spezielle Geräte und ein<br />
grosses Ärzteteam.<br />
Léni schlief immer mehr, ihr<br />
Gesicht begann sich zu verformen.<br />
Eines Tages zog ein Ozeanschiff an<br />
unserem Fenster vorbei. Ich zeigte es<br />
ihr, aber ihr Blick blieb unbeteiligt.<br />
Sie drehte den Kopf zu mir und sagte<br />
beinahe sanft: «Mama, ich kann<br />
dich nicht hören.» Der Tumor hatte<br />
ihre Gehörgänge verschlossen.<br />
Ich schrie nach Ärzten<br />
Schliesslich wurde eine Gewebeprobe<br />
entnommen, es dauerte Stunden.<br />
Als ich endlich zu Léni durfte, schrie<br />
sie vor Schmerzen und blutete aus<br />
Mund und Ohren. Ich dachte, ich<br />
würde all ihre Weintöne kennen. Ihre<br />
tierhaften Laute und meine Ohn-<br />
Diese Maske musste Léni während der Bestrahlung in<br />
Essen tragen. Sie sass so eng, dass sie die Augen nicht<br />
öffnen konnte. Die Abdrücke liessen sie hinterher<br />
oft aussehen wie Spider-Man. Durch die Strahlen war<br />
die Maske radioaktiv. Deshalb konnte Léni sie erst<br />
ein Jahr später aus der Klinik abholen. Als Andenken.<br />
macht waren unerträglich. Ich schrie<br />
nach Ärzten und Schmerzmitteln<br />
und merkte, wie ich selbst weinte.<br />
Ich dachte, ich würde es nicht aushalten,<br />
mein Kind so leiden zu sehen.<br />
Ich hatte ihr ein schönes Leben versprochen.<br />
Ich habe sie betrogen.<br />
Wir mussten auf die Kinderstation<br />
umziehen. Am Eingang stand<br />
«Onkologie», doch ich dachte nicht<br />
daran, dass das etwas mit Léni zu tun<br />
haben könnte. Als ich begann, unsere<br />
Taschen zu verstauen, strömte<br />
eine Horde von Ärzten herein. Einer<br />
von ihnen begrüsste uns etwas förmlich.<br />
Sein zweiter Satz lautete: «Wie<br />
Sie wissen, hat Ihr Kind ein bösartiges,<br />
schnell wachsendes Sarkom.»<br />
Nein, das hatte uns bis dahin niemand<br />
gesagt. Ich schrie auf und fiel<br />
auf die Knie. Ich habe keine Bilder<br />
von den nächsten Sekunden, ich<br />
weiss nur, dass ich nach Luft rang.<br />
Verzweiflung wirbelte in mir, Ohnmacht,<br />
Übelkeit, Unglaube.<br />
Lénis Weinen unterbrach diesen<br />
Zustand. «Mama, was ist, was ist?»,<br />
fragte sie. Mein Hinfallen und<br />
Geschrei beängstigten sie. Ich nahm<br />
ihre Hand und lächelte gefasst.<br />
«Alles wird gut, alles wird gut!»<br />
Etwas anderes fiel mir nicht >>><br />
74 Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>7 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Erziehung & Schule<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>775
1<br />
Momentaufnahmen: Léni<br />
und ihre Schwester Finnja vor<br />
Beginn der Krebserkrankung<br />
(Bild 1 und 2), während der<br />
Bestrahlung (Bild 3), nach<br />
Abschluss der Behandlung<br />
(Bild 4) und heute mit ihrer<br />
Mutter (Bild 5).<br />
>>> ein. Was hätte ich auch sagen<br />
sollen? Schätzchen, du hast Krebs,<br />
aber alles paletti? Léni kannte Krebs<br />
nur aus Filmen, in denen die glatzköpfigen<br />
Kinder am Ende starben.<br />
Krebs war in ihrem Kinderkopf<br />
gleich Tod. Und ehrlich gesagt: in<br />
meinem Erwachsenenkopf auch. In<br />
mir wirbelte eine Panik, die kein<br />
Ventil hatte.<br />
3<br />
2<br />
Ich wollte für Léni stark sein<br />
Niemand sagte mir, dass mein Kind<br />
gesund werden würde. Das Bedauern<br />
in den Blicken der Ärzte konnte<br />
ich kaum ertragen. Meine Gedanken<br />
drehten sich heftig, wie durcheinandergeratene<br />
Uhrzeiger. Das Einzige,<br />
was mir Kontur gab, war, dass ich<br />
vor und für Léni stark sein wollte.<br />
Der Tumor war riesig und mit<br />
der Halsschlagader verwachsen.<br />
Deshalb konnten die Ärzte ihn nicht<br />
operativ entfernen. Léni sollte für<br />
ein Jahr ins Krankenhaus. Neun<br />
Chemoblöcke, dreissig Bestrah-<br />
5<br />
4<br />
«Die Chancen auf<br />
eine Heilung stehen<br />
heute sehr gut»<br />
Rund 220 Kinder erkranken<br />
hierzulande pro Jahr an Krebs. Die<br />
meisten von ihnen an Leukämie. Im<br />
Gegensatz zu früher können Ärzte<br />
wie Felix Niggli diesen Kindern aber<br />
eine gute Prognose stellen.<br />
Interview: Evelin Hartmann<br />
Herr Niggli welche Krebsformen kommen<br />
bei Kindern neben Leukämien ebenfalls<br />
häufig vor?<br />
Hirntumore sowie der Lymphdrüsenkrebs.<br />
Gelegentlich kommen Kinder<br />
bereits mit einem Tumor auf die Welt.<br />
Die meisten Dia gnosen werden zwischen<br />
dem zweiten und sechsten<br />
Lebensjahr gestellt.<br />
76 Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>7 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Erziehung & Schule<br />
lungseinheiten, um das fortgeschrittene<br />
Stadium des bösartigen Tumors<br />
zu bekämpfen. Meine Mutter kam<br />
aus Ungarn, um sich um Finnja und<br />
Artúr zu kümmern. Léni erstickte<br />
zweimal knapp wegen einer Infusion,<br />
auf die sie allergisch reagierte.<br />
Auch einen der Chemowirkstoffe<br />
vertrug sie nicht und fiel ins Koma.<br />
Statt der üblichen zehn Prozent ihres<br />
Körpergewichtes verlor sie mehr als<br />
ein Drittel. Schliesslich konnte sie<br />
nicht mehr stehen. Sie verlor ihre<br />
langen Haare und ging nicht mehr<br />
raus. Andere Kinder mit Glatze<br />
wollte sie nicht sehen. Sie verlor ihr<br />
Lächeln, auch die Spässchen der Stationsclowns<br />
munterten sie nicht auf.<br />
Ich hätte wahrscheinlich längst<br />
vergessen, wie Léni einmal aussah,<br />
hätte sie keine gesunde Zwillingsschwester<br />
gehabt. Schliesslich war es<br />
mittlerweile Alltag für mich, dass ich<br />
Kinder mit Glatze sah. Ich fand<br />
sogar, dass man die eigentliche<br />
Schönheit eines Menschen erst erbli<br />
cken kann, wenn man ihn ohne all<br />
die Kaschierungen wie Brauen,<br />
Wimpern und Haarsträhnen be <br />
trachtet. Dann trat die Zwillingsschwester<br />
durch die Tür, und dieser<br />
Kontrast erschlug mich jedes Mal.<br />
Ein kerngesundes und ein todkrankes<br />
Kind aus einem Ei.<br />
Ich hätte meine Seele verloren<br />
Wenn Finnja über ihren Alltag<br />
berichtete, erschrak ich fast über die<br />
Normalität und ihre fehlende Vorstellung<br />
davon, in welcher Welt sich<br />
ihre kranke Zwillingsschwester<br />
befand. Gleichzeitig hatte ich Angst,<br />
dass die beiden ihre magische Nähe<br />
zueinander verlieren könnten.<br />
«In den ersten Wochen war es<br />
für Léni lebenswichtig, dass<br />
ihre Mitschüler sie besuchten.»<br />
In den ersten Wochen war es für Léni<br />
lebenswichtig, dass ihre Mitschüler<br />
und Lehrer sie besuchten und Briefe<br />
schrieben. Irgendwann wurde die<br />
Schlucht zu gross zwischen dem<br />
todkranken Kind und denen, für die<br />
der Alltag weiterging. Dieser<br />
schmerzhafte Vorgang war Lénis<br />
Emanzipation. Im Angesicht des<br />
Todes verschieben sich die Prioritäten.<br />
Irgendwann wurde es ihr sogar<br />
egal, wenn man sie auf der Strasse<br />
anglotzte, und sie beschwichtigte<br />
mich, wenn ich vor Wut kochte. Einmal<br />
zischte ich einen Jungen an, der<br />
uns in einem Kaufhaus anstarrte:<br />
«Schämst du dich nicht, so zu glotzen?»<br />
>>><br />
Warum erkranken Kinder an Krebs?<br />
In den überwiegenden Fällen kennen<br />
wir die Ursache nicht. Studien haben<br />
gezeigt, dass bei Kindern mit angeborenen<br />
Fehlbildungen oder Syndromen<br />
gewisse Tumore häufiger auftreten. Kinder<br />
etwa mit Trisomie 21, auch bekannt<br />
als Downsyndrom, entwickeln häufiger<br />
Leukämie. Da scheint es einen Zusammenhang<br />
mit den Genveränderungen<br />
zu geben. Es gibt auch Anzeichen dafür,<br />
dass zum Beispiel Infektionserreger bei<br />
der Entstehung einer Leukämie mitverantwortlich<br />
sein können, insbesondere<br />
wenn eine entsprechende genetische<br />
Vorbelastung vorhanden ist.<br />
Aber das heisst jetzt nicht, dass Eltern bei<br />
jedem Infekt, an dem ihr Kind erkrankt,<br />
Angst haben müssen?<br />
Natürlich nicht. So etwas kommt sehr<br />
selten vor. Es braucht eben diese genetische<br />
Vorbelastung. Und wie gesagt: Bei<br />
den anderen Krebsformen kennen wir<br />
die Ursachen schlichtweg nicht.<br />
Wie hoch sind die Heilungschancen bei<br />
Krebs bei Kindern?<br />
Sehr hoch. Die Rate liegt bei 75 bis 80<br />
Prozent, bei Erwachsenen liegt sie zum<br />
Vergleich nur bei 50 bis 60 Prozent; das<br />
hängt aber stark von der Krebsart ab.<br />
Warum stehen die Heilungschancen bei<br />
Kindern so viel besser?<br />
Tumore, an denen Kinder erkranken,<br />
sind zwar sehr aggressiv und wachsen<br />
schnell, reagieren aber sehr gut auf Therapien.<br />
Mehrheitlich wenden wir bei<br />
Kindern medikamentöse, sogenannte<br />
Chemotherapien an, gefolgt von Operationen<br />
und Strahlentherapien. Die<br />
Therapie dauert oft ein bis zwei Jahre.<br />
Leiden Kinder nach der Therapie oder als<br />
Erwachsene an Folgeschäden?<br />
Das kommt leider immer wieder vor.<br />
Manche Medikamente verursachen<br />
Hörschädigungen oder Herzbeschwerden,<br />
da sie den Herzmuskel schwächen.<br />
Andere Kinder leiden unter Entwicklungsverzögerungen,<br />
bedingt durch die<br />
Bestrahlung etwa bei Hirntumoren.<br />
Oder sie erkranken im Erwachsenenalter<br />
erneut an Krebs. Trotzdem bleibt<br />
festzuhalten: Die Heilungschancen sind<br />
heute aufgrund der Forschung sehr gut.<br />
Noch Anfang der 1950er-Jahre ist jedes<br />
Kind, das an Leukämie erkrankt ist, auch<br />
daran gestorben.<br />
Felix Niggli<br />
Prof. Dr. med., ist Abteilungsleiter Onkologie<br />
am Kinderspital Zürich und stellvertretender<br />
Klinikdirektor Medizin.<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>777
Erziehung & Schule<br />
>>> Die Krankheit riss nicht nur<br />
ein glückliches Kind aus einer gefühlt<br />
vollkommenen Kindheit, sondern<br />
auch mich aus meinem Beruf als<br />
Schriftstellerin. Nach der Diagnose<br />
sagte ich alle Aufträge ab. Zügig wurde<br />
ich ersetzt, ich wurde vergessen,<br />
schien mir. Plötzlich wirkten ausgedachte<br />
Geschichten absurd und<br />
unwichtig, während meine Tochter<br />
um ihr Leben rang. Es ist doch von<br />
der Natur so gedacht, dass Eltern<br />
keinen einzigen Tag ohne ihre Kinder<br />
sein sollten. Sondern ihre Kinder<br />
irgendwann ohne die Eltern. Wäre<br />
Léni gestorben, hätte ich meine Seele<br />
verloren.<br />
Ein Begreifen war unmöglich<br />
Der einzige Ort, der eine Realität<br />
besass, war für mich die Kinderkrebsstation.<br />
Verabredungen draussen,<br />
Termine, was man anzog, all das<br />
wurde unerheblich. Jeglicher Konsumwunsch<br />
war ausgelöscht. Auch<br />
Parameter der Normalität, wie Höflichkeiten<br />
oder das Beantworten von<br />
Briefen. Relevant war allein, was in<br />
Lénis Körper vorging und was Ärzte<br />
und Krankenschwestern darüber<br />
«Die Krankheit riss ein glückliches<br />
Kind aus einer gefühlt<br />
vollkommenen Kindheit.»<br />
berichteten. Es gibt keine Obsession,<br />
die einen mehr einnehmen kann, als<br />
der Wahn, dass das Kind leben muss.<br />
Es ist ein Instinkt, und er ist viel stärker<br />
als der selbsterhaltende Lebenstrieb.<br />
Auf der Kinderkrebsstation<br />
reichten Blicke, um zu wissen, dass<br />
in den anderen Müttern das Gleiche<br />
vorging.<br />
Wir, die von Kinderkrebs Betroffenen,<br />
waren statistisch gesehen eine<br />
schmale Randgruppe, Extremfälle,<br />
kaum existent. Ich redete nicht gerne<br />
mit «Gesunden». Die Normalität<br />
verschloss ihre Türen vor uns. Dafür<br />
betraten wir eine Dimension, die nur<br />
wir kannten, die am besten auch niemand<br />
kennen sollte. Ich sah in den<br />
Blicken der Nichtbetroffenen die<br />
Mauern, die ein Begreifen unmöglich<br />
machten. Und ehrlich gesagt, ich<br />
verstand sie. Denn ich konnte mich<br />
genau daran erinnern, wie ich zuvor<br />
Schenke<br />
zu Weihnachten<br />
Familienzeit:<br />
Mit einem Gutschein<br />
für den<br />
Familytrail.<br />
GESCHENKGUTSCHEIN.<br />
GESCHENKGUTSCHEIN.<br />
Mit freundlicher Unterstützung von<br />
GESCHENKGUTSCHEIN.
solche Schicksale wahrgenommen<br />
hatte. Als tragisch. Und nachher vergass<br />
ich schnell.<br />
Léni war mit ihren Kräften am Ende<br />
Léni ging es rasch viel besser.<br />
Eines Morgens sagte sie: «Mama,<br />
ich glaube, der Krebs ist weg.»<br />
Wir begannen eine sechswöchige<br />
Protonentherapie in Essen, der Tipp<br />
eines Freundes. Wir waren froh,<br />
einen Platz erhalten zu haben, doch<br />
Léni war mit ihrer Leidensfähigkeit<br />
und ihren Kräften am Ende. Sie wollte<br />
nicht mehr und war dabei, sich<br />
aufzugeben. Ich spürte, dass ihr<br />
Leben nur noch am seidenen Faden<br />
hing. «Wenn du nicht mehr mitmachst,<br />
kann ich auch nicht», sagte<br />
ich zu ihr. «Ich kann nicht nichts tun<br />
und zuschauen, wie du stirbst.»<br />
Dann weinten wir, und sie bat mich,<br />
zu bleiben. Und sie blieb auch.<br />
In Essen wurde die Chemotherapie<br />
wegen Lénis schlechten Zustandes<br />
erst einmal ausgesetzt, dafür begannen<br />
die Ärzte mit der Bestrahlung.<br />
Die Nebenwirkungen traten erst<br />
später auf und fielen insgesamt milder<br />
aus als die von der Chemo; so<br />
konnte sich Léni erholen. Ihr ging es<br />
rasch viel besser, und nach einigen<br />
Wochen war sie in einem unverhofft<br />
guten Zustand. Eines Morgens sagte<br />
sie: «Mama, ich glaube, der Krebs ist<br />
weg.»<br />
Nun. Wir durften überleben, aber<br />
wir freuten uns still. Wir haben Kinder<br />
um uns herum sterben sehen.<br />
Kinder, die uns nahestanden und mit<br />
denen wir viele Tage in einem Zimmer<br />
verbrachten. Denen wir in ihren<br />
intimsten Augenblicken des Leidens<br />
zusahen und sie uns. Das Bewusstsein,<br />
wieder gesund zu sein, lässt uns<br />
heute alle Probleme relativieren. Es<br />
fühlt sich fast an wie ein schlechtes<br />
Gewissen, dass wir dieses unverschämte<br />
Glück hatten. Das Glück,<br />
leben zu dürfen.<br />
Léni war einst das grösste und<br />
rundeste Kind. Jetzt ist sie am kleinsten<br />
und zartesten. Seit fast zwei Jahren<br />
ist sie keinen Millimeter mehr<br />
gewachsen. Keiner weiss, ob sie das<br />
noch aufholen wird. Finnja, >>><br />
Immer da, wo Zahlen sind.<br />
Vorsorgeplan 3:<br />
Bis 23. Dezember<br />
einzahlen.<br />
Vorsorge sorgt für Vorfreude.<br />
Mit einer dritten Säule haben Sie mehr von Ihrer Vorsorge<br />
und sparen erst noch Steuern. Vereinbaren Sie noch heute<br />
einen Beratungstermin.<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>779<br />
raiffeisen.ch/vp3
Erziehung & Schule<br />
Oft sagt Léni: «Ich will<br />
sein wie früher.»<br />
Das bricht mir das Herz.<br />
Seit ihrer<br />
Krankheit hat<br />
Léni Locken.<br />
>>> ihre Schwester, ist jetzt einen<br />
Kopf grösser. Léni war vor dem<br />
Krebs ein muskulöses Kind, unermüdlich<br />
und stark. Die Muskeln<br />
haben sich nach einem Jahr Liegen<br />
zurückgebildet, sie hat Sehnenverkürzungen<br />
und Knochenschmerzen<br />
und fehlende Reflexe in den Beinen.<br />
Sie fällt häufig hin und stürzt und<br />
stösst sich. Die Erschöpfung überwältigt<br />
sie nach den kürzesten Strecken.<br />
Sie ist nah am Wasser gebaut,<br />
ganz anders als früher, und leicht<br />
reizbar. Oft kommt sie heulend aus<br />
der Schule und sagt: «Ich will sein<br />
wie früher.» Das bricht mir das Herz.<br />
Doch die Chemikalien, die in<br />
Lénis Körper gepumpt wurden,<br />
haben ihr auch ein Geschenk hinterlassen:<br />
Locken. Viele Freundinnen<br />
sind närrisch nach ihren Haaren,<br />
und mich macht es glücklich, dass<br />
sie das offensichtlich geniesst.<br />
Lénis Geschwister haben in den<br />
Monaten meiner Abwesenheit einen<br />
riesigen Entwicklungsschub ge <br />
macht. Sie haben in dieser Zeit ge <br />
lernt, die Mutter zu entbehren. Das<br />
hat sie auch ein wenig hart gemacht.<br />
Manchmal haben sie etwas Misstrauisches<br />
in ihrem Blick und etwas<br />
Distanziertes in der Stimme. Ihre<br />
Umarmungen sind beherrschter, als<br />
wären sie nur eine Höflichkeit, als<br />
würde ihr Körper mir mitteilen wollen,<br />
dass sie auch ohne mich klarkommen<br />
würden. Auf der anderen<br />
Seite haben wir alle zusammen oft<br />
eine Innigkeit, die früher in der<br />
Intensität nicht da war. Wir geniessen<br />
das Zusammensein miteinander<br />
als etwas Besonderes.<br />
Auch ich habe mich verändert<br />
Auch ich habe mich in der Zeit der<br />
Krankheit verändert. Dass ich lange<br />
nicht mehr gelacht hatte, fiel mir erst<br />
auf, als ich beim Lachen meine Muskeln<br />
spürte, weil ich sie so lange<br />
nicht mehr gebraucht hatte. Für fast<br />
zwei Jahre habe ich die Musik komplett<br />
verloren. Mittlerweile kann ich<br />
mir kurze Musikstücke anhören,<br />
aber das Schwelgen in selbstvergessenen<br />
Träumereien ist für mich<br />
nicht mehr vorstellbar. Ich bin sehr<br />
vorsichtig geworden. Ich beobachte<br />
Léni unablässig. Eine Epoche der<br />
Wahrhaftigkeit hat für mich begonnen,<br />
in der ich mir viel weniger vormachen<br />
kann. Zu Kompromissen<br />
bin ich nicht mehr bereit. Entweder<br />
muss etwas hundertprozentig stimmen,<br />
oder ich nehme Abstand. Literatur,<br />
mein früherer Lebensinhalt,<br />
ist für mich mittlerweile weniger<br />
wert, als gut zu leben. Meinen Kindern<br />
etwas bieten zu können – Freude<br />
und Unbeschwertheit. Ich erwarte<br />
keine Entscheidungshilfe mehr<br />
von aussen. Ich muss die Lösung<br />
selbst finden. Ich bin in diesen<br />
Monaten komplett ergraut. Auf meinem<br />
Gesicht haben sich markante<br />
Züge der Selbstbeherrschung niedergelassen.<br />
Ich habe ein vermehrtes<br />
Bedürfnis, mich aus der Gegenwart<br />
auszuklinken. Bücher oder Filme<br />
sichern mir das nötige untrübbare<br />
tägliche Glück.<br />
Léni sagt, es wäre leichter gewesen,<br />
zu sterben. Aber sie wusste, dass<br />
sie mich untröstlich zurückgelassen<br />
hätte. Und Finnja. Und Nagyi, ihre<br />
Grossmutter. Das erklärt sie so simpel,<br />
und dann lebt und lacht und<br />
denkt und träumt und liebt sie weiter,<br />
als wäre nichts geschehen. Das ist<br />
das Gute an Kindern: Sie halten keinen<br />
Augenblick länger fest als nötig.<br />
Nur ich trotte dem Schock immer<br />
noch hinterher.<br />
>>><br />
Léda Forgó<br />
ist eine bekannte Schriftstellerin («Der<br />
Körper meines Bruders», «Vom Ausbleiben<br />
der Schönheit»). Die gebürtige Ungarin<br />
lebt mit ihren Zwillingen in Hamburg.<br />
80 Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>7 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Erziehung & Schule<br />
Die Familie nicht dem<br />
Schicksal überlassen<br />
Schicksalsschläge, die zu einer Erwerbsunfähigkeit oder gar zum Tod führen, sind an Leid<br />
oft kaum zu übertreffen. Als Folge davon können Geldsorgen die Familie zusätzlich belasten.<br />
Deshalb ist es wichtig, sich auch mit unangenehmen Ereignissen auseinanderzusetzen.<br />
Das 3-Säulen-Prinzip der Schweiz gewährleistet nicht nur die<br />
finanzielle Vorsorge für die Zeit nach der Pensionierung. Sie ist<br />
auch eine Risikoabsicherung im Todesfall oder bei invaliditätsbedingter<br />
Erwerbsunfähigkeit. Wie hoch die Unterstützungsleistungen<br />
ausfallen, ist nicht leicht zu überblicken, da mehrere,<br />
unterschiedliche Sozialwerke möglicherweise Leistungserbringer<br />
sind. Aus demselben Grund ist es auch wichtig, diese Leistungen<br />
aufeinander abzustimmen, um beispielsweise Überversicherungen<br />
zu vermeiden.<br />
Bei Erwerbsunfähigkeit<br />
Familien mit Kindern werden im 3-Säulen-Prinzip besonders<br />
berücksichtigt. Bei voraussichtlich dauernder Erwerbsunfähigkeit<br />
wird aus der ersten Säule (IV) eine Invalidenrente ausbezahlt.<br />
Sofern Kinder (bis zum 18. bzw. 25. Lebensjahr, wenn in Ausbildung)<br />
vorhanden sind, wird zudem eine Kinderrente (40% der<br />
IV-Rente pro Kind) geleistet. Die Leistungen der 2. Säule (BVG)<br />
lassen sich nicht pauschal beziffern, denn die einzelnen Pensionskassen<br />
decken häufig weit mehr als das BVG-Obligatorium<br />
ab. Trotzdem ergeben sich gerade bei krankheitsbedingter<br />
Erwerbsunfähigkeit im Gegensatz zu einem Unfall oft grössere<br />
Lücken. Die obligatorische Unfallversicherung (UVG) versichert<br />
aktuell maximal ein Bruttosalär von CHF 148’200.–. Bei höheren<br />
Einkommen stellt sich die Frage, ob die Pensionskasse diese<br />
Lohnbestandteile bei Unfall mitversichert oder der Arbeitgeber<br />
eine Unfallzusatzversicherung (UVG-Z) abgeschlossen hat.<br />
Die 3. Säule dient zur Deckung von Vorsorgelücken, die durch<br />
die 1. und die 2. Säule nicht abgedeckt sind. Zum Beispiel<br />
können Lücken aus einer Erwerbsunfähigkeit durch den Abschluss<br />
einer Erwerbsunfähigkeitsrente oder eines Invaliditätskapitals<br />
aufgefangen werden.<br />
Bei Todesfall<br />
Bei Todesfall erhält eine Ehefrau mit Kindern aus der 1. Säule<br />
(AHV) eine lebenslange Witwenrente. Ohne Kinder gilt das nur,<br />
wenn die Hinterbliebene mindestens 45 Jahre alt ist und das<br />
Paar mindestens fünf Jahre verheiratet war. Witwer indessen erhalten<br />
eine Witwerrente nur, solange Kinder unter 18 Jahren zu<br />
betreuen sind. Sofern Kinder (bis zum 18. bzw. 25. Lebensjahr,<br />
wenn in Ausbildung) vorhanden sind, wird für diese zudem eine<br />
Waisenrente geleistet. Die detaillierten Leistungen der 2. Säule<br />
müssen individuell dem Pensionskassenausweis und -reglement<br />
entnommen werden. Wenn Säule 1 und 2 einen Todesfall finanziell<br />
nur ungenügend abdecken, empfiehlt sich in der 3. Säule<br />
der Abschluss einer Todesfallrisikoversicherung (Lebensversicherung).<br />
Ein Vorteil hier: Bei Policen, die im Rahmen der Säule<br />
3a abgeschlossen werden, lassen sich die Prämien bis zu einem<br />
Maximalbetrag vom steuerbaren Einkommen abziehen.<br />
Weitere Informationen zum Schweizer Vorsorgesystem<br />
sowie zur Finanzplanung finden Sie unter folgendem Link:<br />
credit-suisse.com/ratgeber<br />
Haben Sie Fragen zu diesem Thema?<br />
Wir stehen Ihnen dabei kompetent zur Seite. Rufen Sie uns an: 0844 200 111* oder<br />
vereinbaren Sie auch online ein Beratungsgespräch unter credit-suisse.com/vorsorgeberatung<br />
*Wir sind von Montag bis Freitag gerne für Sie da. Bitte beachten Sie, dass Telefongespräche aufgezeichnet werden können. Bei Ihrem Anruf gehen wir davon aus, dass Sie mit dieser Geschäftspraxis<br />
einverstanden sind.
Ernährung & Gesundheit<br />
Allergien auf<br />
dem Vormarsch<br />
Ob Pollen, Wespen, Nüsse oder Milben – immer mehr Kinder entwickeln eine Allergie.<br />
So wehrt sich ihr Immunsystem. Manchmal wächst sich eine Überempfindlichkeit aus,<br />
doch oft bleibt sie ein Leben lang. Text: Petra Seeburger<br />
Bild: Juice Images / Alamy Stock Photo<br />
Laura ist allergisch gegen<br />
Eier. «Es war dramatisch,<br />
als sie das erste Mal re <br />
agierte», erzählt die Mutter<br />
der knapp Zweijährigen.<br />
Sie habe ihr mit etwa einem<br />
Jahr das erste Mal Gemüsebrei mit<br />
gekochtem Ei gegeben, was die Kleine<br />
ohne Probleme gegessen habe.<br />
Beim Wickeln habe sie dann rote<br />
Flecken gesehen. «Da Laura aber<br />
eine Neurodermitis hat, habe ich<br />
mir nicht viel dabei gedacht», sagt<br />
Sarah Meier*. Wenig später habe das<br />
Mädchen im Schwall erbrochen.<br />
«Von oben bis unten war sie feuerrot,<br />
überall waren Quaddeln», erinnert<br />
sich die Mutter.<br />
Zusammen mit ihrem Mann fuhr<br />
sie in den Kindernotfall. Laura be <br />
kam Medikamente und wurde überwacht,<br />
bis die Symptome zurückgingen.<br />
Später habe ein A l lergologe die<br />
Eierallergie bestätigt. «Laura reagiert<br />
auf kleinste Mengen», sagt Sarah<br />
Meier. Das Leben der jungen Fami<br />
lie sei komplizierter geworden. Auswärts<br />
essen oder reisen sei schwierig.<br />
«Man glaubt nicht, wo es überall<br />
Eier drin hat!», so Sarah Meier.<br />
Allergien nehmen zu. Eine neuere<br />
Arbeit, die im «New England<br />
Je früher ein Kind Viren<br />
und Bakterien ausgesetzt ist,<br />
desto besser.<br />
82 Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>7 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Journal of Medicine» erschienen ist,<br />
besagt, dass sich Allergien gegen<br />
Erdnüsse in den letzten zehn Jahren<br />
verdoppelten. Und gemäss Erhebungen<br />
wird in 20 Jahren jeder zweite<br />
Europäer an einer Allergie leiden.<br />
Dabei können viele Substanzen<br />
Überempfindlichkeiten auslösen.<br />
Das Immunsystem im<br />
Abwehrmodus<br />
«Eine Allergie ist nichts anderes als<br />
eine Fehlleistung des Immunsystems»,<br />
erklärt Peter Schmid-Grendelmeier,<br />
Leiter der Allergiestation<br />
der Dermatologischen Klinik am<br />
Universitätsspital Zürich. Bei einer<br />
allergischen Reaktion funktioniere<br />
das Immunsystem zu gut: Es reagiere<br />
überempfindlich auf an sich harmlose<br />
Stoffe und bekämpfe sie.<br />
Bei der Entstehung einer Allergie<br />
spielen genetische Komponenten<br />
eine Rolle. «Leidet der Vater oder<br />
die Mutter an einer Allergie, liegt<br />
das Risiko für die Nachkommen bei<br />
30 Prozent. Sind beide Eltern betroffen,<br />
kann dieses bis auf 70 Prozent<br />
steigen», betont Peter Schmid-Grendelmeier.<br />
Dazu komme die Hygiene-<br />
Hypothese: Gemäss Studien haben<br />
Kinder, die auf einem Bauernhof<br />
aufwachsen oder früh Kontakte mit<br />
Gleichaltrigen haben, weniger Al -<br />
lergien.<br />
Je früher und häufiger also Kleinkinder<br />
Bakterien und Viren ausgesetzt<br />
sind, desto besser für die Entwicklung<br />
ihres Immunsystems. Weil<br />
Kinder heute in einer hygienischen,<br />
also keimarmen Umgebung leben,<br />
reagiert ihr Abwehrsystem vermehrt<br />
gegen ungefährliche Substanzen.<br />
Laut Kinderpneumologe Alexander<br />
Möller spielt bei der Entstehung<br />
von Asthma ebenfalls die Vielfalt<br />
der Erreger eine Rolle, denen Kinder<br />
und ihre Mütter ausgesetzt sind;<br />
dazu gehörten auch die Nahrungsmittel<br />
für Kleinkinder.<br />
Viele ungeklärte Ansätze<br />
Es gibt viele Erklärungsversuche,<br />
warum Allergien zunehmen. «Im<br />
Moment hat die Allergieforschung<br />
zunehmend die Ernährung und das<br />
Mikrobiom – also die Darmflora – im<br />
Fokus», erklärt Peter Schmid-Grendelmeier.<br />
Im Darm leben Millionen<br />
Bakterien von etwa 1400 verschiedenen<br />
Arten. «Das Mikrobiom beeinflusst<br />
das Immunsystem, die Ernährung<br />
wiederum das Mikrobiom»,<br />
betont der Allergiefachmann.<br />
Dieser neue, noch nicht vollständig<br />
geklärte Ansatz hat laut Alexander<br />
Möller gerade bei Kindern eine<br />
hohe Relevanz, denn die Säuglinge<br />
kommen «steril» zur Welt. «Die<br />
Besiedlung der Darmflora beginnt<br />
erst nach der Geburt.» Hier sei da -<br />
her die Art und Weise, wie das<br />
Mi krobiom aufgebaut werde beziehungsweise<br />
welches Gleichgewicht<br />
oder eben Ungleichgewicht in der<br />
Darmflora herrsche, relevant.<br />
Ebenfalls diskutiert wird die Frage,<br />
ob eine frühe Antibiotikagabe<br />
das Allergierisiko erhöht. Denn eine<br />
neue Studie weist darauf hin, dass<br />
Antibiotika in den ersten zwei Le -<br />
bensjahren die Darmflora nachhaltig<br />
beeinträchtigen und damit das<br />
Immunsystem beeinflussen können.<br />
Psychische und physische Faktoren<br />
können zwar je nach Alter eine<br />
Rolle spielen, bei Kindern sind es<br />
aber vor allem Umweltfaktoren. Ein<br />
grosser Risikofaktor sei, wenn Kinder<br />
Tabakrauch ausgesetzt seien.<br />
Dies vor allem in der Schwangerschaft,<br />
im Mutterleib, betont Alexander<br />
Möller.<br />
Suche nach Allergieauslösern<br />
Eine vererbte Neigung zu Allergien<br />
kann sich als Heuschnupfen, Asthma,<br />
Nahrungsmittelallergie oder<br />
Neurodermitis zeigen. Betroffene<br />
Kinder können aus einer Allergieform<br />
«herauswachsen», danach aber<br />
an der nächsten Allergieform erkranken:<br />
zuerst die Neurodermitis,<br />
dann das Asthma und später der<br />
Heuschnupfen.<br />
Die Abfolge dieser drei atopischen<br />
Erkrankungen (das sind Al -<br />
lergien, bei denen das Immunsystem<br />
Leiden beide Eltern an<br />
Allergien, liegt das Risiko für<br />
die Kinder bei 70 Prozent.<br />
binnen Sekunden oder Minuten auf<br />
das Allergen reagiert) während der<br />
Kindheit wird oft als «Allergiekarriere»<br />
bezeichnet. Pollen, Tierhaare,<br />
Nahrungsmittel, Hausstaubmilben<br />
und Insektengifte sind die häufigsten<br />
Allergene.<br />
Für die Diagnose sind die Familiengeschichte<br />
und die Vorgeschichte<br />
in Sachen Allergien relevant. «Es<br />
geht darum, herauszufinden, was die<br />
Allergie ausgelöst hat», sagt Schmid-<br />
Grendelmeier. «Welche Symptome<br />
zeigten sich und was könnte in Zu -<br />
sammenhang mit dem Allergen stehen?»<br />
Ferner ist die Form der<br />
Beschwerden aufschlussreich: >>><br />
Risiko allergischer Schock<br />
Bestimmte Allergene können einen<br />
lebensbedrohlichen allergischen Schock<br />
auslösen. Allergiker tragen deshalb immer<br />
Notfallsets mit sich. Typische Symptome:<br />
pelziges Gefühl im Mundbereich mit Juckreiz,<br />
Atemnot bis zum schweren Asthma-Anfall,<br />
Hautrötung, Quaddelbildung, Erbrechen,<br />
Schwindel, Herzrasen und Blutdruckabfall bis<br />
hin zum Kollaps. Dies ist oft charakteristisch<br />
bei Wespen- oder Bienengiftallergien.<br />
Forschungsprojekt Exhalomics –<br />
frühe Diagnose und Prävention von<br />
Asthma bei Kindern<br />
Asthma ist die häufigste im Kindesalter<br />
auftretende chronische Erkrankung. Eine<br />
Diagnose im Vorschulalter ist jedoch fast<br />
unmöglich, weshalb viele Kinder nicht<br />
ausreichend behandelt werden. Im Rahmen<br />
des Forschungsprojekts «Zurich Exhalomics»<br />
suchen Forscher des Kinderspitals Zürich nach<br />
spezifischen Biomarkern, um eine<br />
Früherkennung von Asthma zu ermöglichen.<br />
Weitere Informationen auf www.aha.ch<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>783
Ernährung & Gesundheit<br />
Allergikerkinder sollen nicht<br />
ausgegrenzt werden, sondern ein<br />
normales Leben führen können.<br />
>>> Sind diese anfallartig, saisonal<br />
miss, wenn diese leiden. «Es braucht<br />
oder ortsgebunden? So beginnt<br />
die Suche nach dem Allergen.<br />
Weiter gibt es dafür verschiedene<br />
Tests: Hauttests, bei denen verschiedene<br />
Allergene auf die Haut getropft<br />
oder in einem Pflaster aufgetragen<br />
werden. «Je nach vermutetem Allergen<br />
wählen wir die Untersuchungsart.»<br />
Mittels Blutanalysen werden<br />
Antikörper bestimmt, zudem gibt es<br />
intranasale (in der Nase angewendete)<br />
oder inhalative Provokationstests.<br />
«Bei Verdacht auf Asthma wird<br />
ein Lungenfunktionstest durchgeführt»,<br />
sagt Alexander Möller. Dabei<br />
atmen die Kinder in ein Messgerät,<br />
das die Menge der ein- und ausgeatmeten<br />
Luft pro Zeiteinheit misst.<br />
eine klare Diagnose und bei einer<br />
Leistungseinschränkung müssen wir<br />
behandeln.» Asthma wachse sich<br />
dazu oft bis zum Schulalter aus.<br />
Eine Therapie, die an den Ursachen<br />
ansetze, so Professor Schmid-<br />
Grendelmeier, sei die Desensibilisierung.<br />
«Oft starten wir im Schulalter<br />
damit», sagt er. Die Behandlung<br />
kann per Spritze verabreicht werden,<br />
eine Variante mit Tabletten<br />
oder Tropfen ist auch möglich und<br />
gerade bei Kindern beliebt. Die<br />
Langzeiteffekte sind laut beiden<br />
Ärzten sehr gut.<br />
Neuere Arbeiten zeigen auch,<br />
dass ein Kontakt im Kleinkindalter<br />
mit möglichen allergieauslösenden<br />
Substanzen wie Erdnussbutter das<br />
Allergierisiko drastisch senkt. Wichtig<br />
finden beide Ärzte, dass betroffene<br />
Kinder und ihre Eltern geschult<br />
werden. Peter Schmid-Grendelmeier<br />
appelliert dazu auch an die Lehrerschaft:<br />
«Allergikerkinder sollen<br />
nicht ausgegrenzt werden, sondern<br />
ein normales Leben führen können!»<br />
Alle Betreuungspersonen<br />
müssen hier Verantwortung übernehmen.<br />
Reaktion eindämmen und Toleranz<br />
erhöhen<br />
Bei der Behandlung einer Allergie<br />
geht es zum einen darum, Allergene<br />
(Substanzen, die eine allergische<br />
Reaktion auslösen können) zu<br />
vermeiden und die Betroffenen für<br />
Notfallsituationen zu schulen. Bei<br />
manchen Allergien braucht es Medikamente,<br />
die Antihistaminika oder<br />
Kortison enthalten. Diese reduzieren<br />
zwar die allergische Reaktion,<br />
bekämpfen aber nicht deren Ursachen.<br />
«Bei Asthma braucht es oft einen<br />
kortisonhaltigen Inhalationsspray»,<br />
sagt Möller, da die Kinder bei den<br />
Anfällen zu wenig Sauerstoff be -<br />
kommen, was gesundheitliche Folgen<br />
hat. Der Pulvernebel verteile<br />
den Wirkstoff in den Atemwegen.<br />
Da die Dosen im Mikro- und Nanobereich<br />
liegen, müssen sich Eltern<br />
nicht vor den Nebenwirkungen des<br />
Kortisons fürchten, sagt Möller. Für<br />
ihn, der viele Kinder mit Asthma<br />
betreut, gebe es keinen Kompro-<br />
>>><br />
* Name geändert<br />
Petra Seeburger<br />
ist Intensivpflegefachfrau, Journalistin und<br />
Kommunikationsspezialistin. Sie arbeitet<br />
seit über 30 Jahren im Gesundheitswesen.<br />
Allergien – eine Übersicht<br />
Ursachen haben und sind oft Symptom einer<br />
allergischen Reaktion; typisch ist etwa die<br />
Neurodermitis.<br />
Heuschnupfen ist eine allergische Reaktion<br />
auf Pollen und steht in Zusammenhang mit<br />
der Blühphase von Bäumen und Getreide. Die<br />
Schleimhäute der Nase und Augen jucken und<br />
schwellen an. Folgerisiko ist das allergische<br />
Asthma.<br />
Hausstaubmilbenallergie: Die Ausscheidungen<br />
von Milben können Schnupfen oder Asthma<br />
auslösen.<br />
Nahrungsmittelunverträglichkeiten entwickeln<br />
Kinder oft bei Milchprodukten, Eiern, Getreide,<br />
Fisch oder Obst.<br />
Als Überempfindlichkeit auf die Proteine im<br />
Latex zeigt sich eine Latexallergie.<br />
Tierallergien richten sich meist gegen Katzen,<br />
Hunde, Pferde und Nagetiere.<br />
Auslöser einer Medikamentenallergie sind<br />
meist Antibiotika, Schmerzmittel, Mittel gegen<br />
Krampfanfälle und Beruhigungsmittel.<br />
Allergene sind die häufigsten Auslöser von<br />
Asthma bronchiale, etwa Pollen, Tierhaare,<br />
Hausstaubmilben oder Schimmelpilze.<br />
Viele Kinder leiden an einer Sonnenallergie.<br />
Die Allergie zeigt sich als Pusteln oder<br />
Bläschen, nachdem die Haut der Sonne<br />
ausgesetzt war.<br />
Allergien vorbeugen<br />
Babys so lange wie möglich stillen, am besten<br />
vier bis sechs Monate.<br />
Alternativ bei Hochrisikokindern in den ersten<br />
vier bis sechs Monaten hypoallergene Nahrung<br />
geben.<br />
Ab vier Monaten möglichst vielfältige Beikost<br />
geben.<br />
Aufhören, Babyutensilien wie Schoppen oder<br />
Schnuller zu sterilisieren.<br />
Alles vermeiden, was eine Allergie fördern<br />
kann, vor allem Rauchen!<br />
In Hochrisikofamilien keine Haustiere halten.<br />
Kuscheltiere regelmässig waschen.<br />
Kinder so früh wie möglich mit Bakterien<br />
und Viren in Kontakt bringen (Kinderkrippe,<br />
Krabbel-, Spielgruppe, Bauernhofbesuche).<br />
Ortswechsel in der Pollensaison.<br />
Zurückhaltung mit dem Einsatz von Antibiotika<br />
wird empfohlen.<br />
Kinder mit Asthma gegen Keuchhusten und<br />
Pneumokokken impfen lassen.<br />
84 Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>7 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Dossier<br />
Ein sinnvolles Weihnachtsgeschenk<br />
für Eltern und Familien:<br />
Verschenken Sie<br />
Elternkompetenz!<br />
10 Ausgaben pro Jahr «Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi» für Ihre Liebsten.<br />
Zahlreiche unterstützende Berichte rund um Erziehung, Schule und Gesundheit.<br />
Lern- und Medientipps von ausgewiesenen Fachleuten und Experten.<br />
49<br />
49.–<br />
1 Weleda<br />
Pflegelotion<br />
Mandel 200 ml<br />
im Wert von<br />
Fr. 21.50<br />
Bio<br />
EDAMAMA<br />
Soja-Nudeln<br />
3 x 200 g<br />
glutenfrei &<br />
vegan<br />
im Wert von<br />
Fr. 18.50<br />
Burgerstein<br />
C-Berry<br />
Kautabletten<br />
Vitamin C<br />
30 Stk.<br />
im Wert von<br />
Fr. 19.–<br />
Jetzt verschenken und<br />
zusätzlich eine gratis Prämie<br />
für sich sichern:<br />
per Internet<br />
www.fritzundfraenzi.ch/weihnachten<br />
oder Gratis-Telefon: 0800 814 813<br />
Angebot gilt exklusiv für Neuabonnenten und für Bestellungen bis zum 31.<strong>12</strong>.<strong>2<strong>01</strong>6</strong>. Belieferung zu den genannten Konditionen<br />
innerhalb der Schweiz und des Fürstentums Liechtenstein. Prämien solange Vorrat. Alle Preisangaben verstehen sich inkl. MWST.<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>785
Ernährung & Gesundheit<br />
Suppen sind die neuen Top-Sattmacher unter den leichten Mahlzeiten. Am besten kocht<br />
man sie aus frischen Zutaten. Das geht schnell und einfach. Text: Regula Thut Borner<br />
Suppen passen eigentlich<br />
immer: als schneller Familienzmittag<br />
oder leichtes<br />
Abendessen nach einem<br />
anstrengenden Arbeitstag.<br />
In verschiedenen Experimenten<br />
konnte nachgewiesen werden, dass<br />
Suppen nachweislich den Hunger<br />
reduzieren. So fanden Forscher heraus,<br />
dass ein aus einzelnen Lebensmitteln<br />
bestehendes Gericht, zu<br />
dem ein Glas Wasser getrunken<br />
wird, weniger gut sättigt als dieselben<br />
Zutaten zu einer Suppe gekocht.<br />
Der Grund: Die Suppe verweilt länger<br />
im Magen. Und: Enthält sie<br />
Fleisch, Fisch, Milch oder Käse,<br />
kann die Sättigung noch verbessert<br />
beziehungsweise verlängert werden.<br />
Magendehnung unterdrückt<br />
Hungergefühl<br />
Wird der Magen gefüllt, messen spezielle<br />
Rezeptoren die Ausdehnung<br />
der Magenwand. Je nach Dehnung<br />
wird in der Folge die Ausschüttung<br />
des Hungerhormons Ghrelin reguliert.<br />
Das heisst, je grösser die Dehnung<br />
ist, desto weniger Ghrelin wird<br />
produziert. Die in der Mahlzeit enthaltenen<br />
Nährstoffe haben auf diesen<br />
Vorgang keinen Einfluss. Die<br />
Unterdrückung des Hungers darf<br />
jedoch nicht mit Sättigung verwechselt<br />
werden. Sättigung entsteht erst<br />
während der eigentlichen Verdau-<br />
86 Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>7 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
ung im Dünn- und Dickdarm. Trinkt<br />
man etwa ein Glas Wasser, erzeugt<br />
das zwar eine Magendehnung, welche<br />
das Hungerhormon unterdrückt.<br />
Dieser Effekt hält jedoch nur wenige<br />
Minuten an, da der Magen nichts zu<br />
verdauen hat.<br />
Die Suppe muss Nährstoffe<br />
enthalten<br />
Damit die Suppe lange im Magen<br />
verbleibt, muss sie Nährstoffe enthalten,<br />
die auch dort vorverarbeitet<br />
werden. Besteht sie nur aus fettfreier<br />
Bouillon mit etwas Gemüse, entleert<br />
sich der Magen schnell wieder.<br />
Der hungerstillende Effekt ist kurz.<br />
Suppe: perfekte<br />
Familienmahlzeit<br />
bei knappem<br />
Zeitbudget.<br />
Das Gemüse liefert zwar Nahrungsfasern,<br />
mit deren Hilfe der Hunger<br />
kurzfristig unterdrückt wird, aber<br />
sie erzeugen während des Verdauungsvorgangs<br />
kein Sättigungsgefühl.<br />
Die Verweildauer der Suppe im<br />
Magen wird vor allem durch ihren<br />
Gehalt an Fett und Eiweiss verlängert.<br />
Komplexe Kohlenhydrate wie<br />
Hülsenfrüchte, Vollkornteigwaren<br />
oder Vollreis führen dagegen erst in<br />
der nachfolgenden Verdauung zu<br />
einem andauernden Sättigungsgefühl.<br />
Die lange Verweildauer im<br />
Magen und das gute Sättigungsgefühl<br />
durch die anschliessende Verdauung<br />
machen die Suppe zu einem<br />
idealen Sattmacher.<br />
Vortag hat, zum Beispiel Linsen,<br />
Vollkornpasta, Reis oder Kartoffeln,<br />
kann diese für die Suppe verwenden.<br />
Oder man nimmt Hülsenfrüchte<br />
oder Mais aus der Dose zu Hilfe. Die<br />
Eiweissbeilagen kann man zufügen<br />
und kurz mitziehen lassen, etwa<br />
Pouletstreifen, gekochtes Siedfleisch,<br />
Fischfilets oder Wienerli.<br />
Wird die Suppe püriert, kann<br />
man sie in Tellern anrichten und mit<br />
Hüttenkäse, pochierten Eiern, ge -<br />
räucherten Forellen- oder Felchenfilets<br />
garnieren. Manche Suppen<br />
schmecken besonders gut, wenn das<br />
Gemüse in Milch gekocht wird, etwa<br />
Blumenkohl und Sellerie. Auch<br />
etwas Crème fraîche und frische<br />
Kräuter geben der Suppe einen<br />
guten Geschmack. Raffinierte Beilagen<br />
zu einer Gemüsesuppe sind<br />
kleine Käsetoasts oder frisches Vollkornbrot<br />
mit Kräuterquark.<br />
Clevere Resteverwertung<br />
In der Schweiz werden pro Person<br />
täglich rund 320 Gramm meist einwandfreie<br />
Lebensmittel weggeworfen.<br />
In einem Vierpersonenhaushalt<br />
entspricht dies fast einer ganzen<br />
Mahlzeit. Das ist völlig unnötig,<br />
denn fast alles, was im Kühlschrank,<br />
in der Brotschublade oder von anderen<br />
Mahlzeiten übrig bleibt, kann<br />
man in eine Suppe verwandeln oder<br />
als Beigabe dazu servieren. Umgekehrt<br />
kann man aus frischen Zutaten<br />
die doppelte Menge zubereiten und<br />
einen Teil tiefkühlen. Das lohnt sich<br />
vor allem bei Saisonzutaten wie<br />
Sommertomaten oder Kürbis.<br />
Eine gute Suppe braucht<br />
nicht viel<br />
Wenn es schnell gehen muss beim Kochen,<br />
kann man improvisieren. Aus fast allem,<br />
was Kühlschrank und Vorratskasten hergeben,<br />
lässt sich eine feine Suppe machen.<br />
Gemüse: gehört fast immer in die<br />
Suppe.<br />
Eiweiss als Hungerstopper: Zu jeder<br />
Suppe gehört eine Portion Eiweiss in<br />
Form von Käse, Eiern, Fleisch oder Fisch.<br />
Hülsenfrüchte und Vollkorn: Ist der<br />
Hunger gross, lässt sich die Suppe<br />
mit Hülsenfrüchten, Pasta, Reis oder<br />
Kartoffeln anreichern. Auch ein Stück<br />
Vollkornbrot dazu schmeckt gut.<br />
Geschmacksverstärker: Rahm, Crème<br />
fraîche, Pesto, Butterflocken, Nussöl<br />
oder frische Kräuter geben der Suppe<br />
immer wieder einen neuen Geschmack.<br />
Bilder: Fotolia, ZVG<br />
Gemüse und Milchprodukte passen<br />
immer<br />
Die Basis für eine gesunde Suppe ist<br />
Gemüse. Ist kein frisches Grünzeug<br />
zur Hand, kann man auch zu Tiefkühlgemüse<br />
greifen. Dazu Gemüseoder<br />
Fleischbouillon. Wer Reste vom<br />
Regula Thut Borner<br />
ist dipl. Ernährungsberaterin HF und<br />
Projektleiterin Fachbereich Ernährung<br />
bei Swissmilk.<br />
ernaehrungsberatung@swissmilk.ch<br />
www.swissmilk.ch<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>787
Digital & Medial<br />
Mein Kind wird im Netz gemobbt –<br />
und acht weitere Elternsorgen<br />
Hand aufs Herz: Wer von Ihnen weiss wirklich, was Ihr Kind da die ganze Zeit am Smartphone macht?<br />
Und wie oft haben Sie sich schon gesorgt, ob das Ihrem Kind schaden könnte? Wir nehmen die neue<br />
JAMES-Studie zur Mediennutzung von Jugendlichen zum Anlass, um auf die häufigsten Elternsorgen<br />
einmal statistisch zu antworten. Manches wird sie beruhigen. Text: Bianca Fritz<br />
SORGE 1 Mein Kind hängt nur noch<br />
am Handy und vernachlässigt alles<br />
andere.<br />
Tatsächlich zeigt die gerade neu<br />
erschienene JAMES-Studie, dass die<br />
Schweizer Jugendlichen heute<br />
25 Prozent mehr Zeit online verbringen<br />
als vor zwei Jahren. Die befragten<br />
<strong>12</strong>- bis 19-Jährigen sind nach<br />
eigenen Angaben unter der Woche<br />
im Schnitt 2,5 Stunden und am<br />
Wochenende 3 Stunden und 40<br />
Minuten pro Tag online.<br />
Eine Erklärung für den Anstieg<br />
ist, dass das Internet fast überall mit<br />
dabei ist: 99 Prozent der Jugendlichen<br />
besitzen ein Handy und geben<br />
an, es täglich oder mehrmals in der<br />
Woche zu benutzen. Schon ein Drittel<br />
der Jugendlichen hat monatlich<br />
mehr als 5 Gigabyte mobiles Internet<br />
zur Verfügung, kann also überall<br />
und immer online sein. Da Jugendliche<br />
aber nicht immer online sind,<br />
wenn sie am Handy sitzen, liegt die<br />
selbst eingeschätzte Nutzungszeit<br />
der Jugendlichen sogar noch höher:<br />
nämlich bei 3,5 Stunden pro Tag<br />
unter der Woche und 4,5 Stunden<br />
am Wochenende.<br />
Spannend ist aber: Die Häufigkeit<br />
der Freizeitaktivitäten ohne Medien<br />
nimmt trotzdem nicht ab. Jugendliche<br />
treffen genauso oft Freunde wie<br />
früher, gehen zum Sport, ruhen aus,<br />
kümmern sich um Haustiere und<br />
machen Musik. Sie tun also das eine<br />
immer mehr, lassen aber gleichzeitig<br />
das andere nicht bleiben.<br />
Zudem vermischen sich Online<br />
und Offline immer mehr, und so<br />
wird auch die Selbsteinschätzung<br />
der Onlinezeit immer schwieriger.<br />
Gilt Freunde treffen als nichtmediale<br />
Tätigkeit, wenn man sich zwischendurch<br />
über ein Youtube-Video<br />
austauscht und dort reinschaut?<br />
SORGE 2 Mein Kind gibt zu viel von<br />
sich preis.<br />
Vermutlich nicht. Jugendliche sind<br />
zunehmend zögerlich, was das Veröffentlichen<br />
persönlicher Inhalte<br />
be trifft. Erinnern Sie sich an You-<br />
Now? Die Plattform, die Livestreams<br />
mit Chat aus dem Kinderzimmer<br />
heraus ermöglicht und Eltern damit<br />
in Angst und Schrecken versetzt hat?<br />
Die JAMES-Studie hat dieses Jahr<br />
erstmals gefragt, wer diese Möglichkeit<br />
nutzt. Gerade zwei Prozent der<br />
Jugendlichen tun dies regelmässig,<br />
sieben Prozent mindestens einmal<br />
im Monat. Auch Blogs, Podcasts und<br />
Dass Fremde vor Ihrer Tür stehen,<br />
ist unwahrscheinlich. Jugendliche<br />
geben selten den Wohnort preis.<br />
Wikipedia-Beiträge werden von<br />
Jugendlichen nur sehr selten erstellt.<br />
Etwas häufiger laden Sie Musik oder<br />
Sound-Dateien ins Internet (etwa 15<br />
Prozent tun dies monatlich) oder<br />
beteiligen sich an Foren. Lediglich<br />
Fotos und Videos werden von<br />
Jugendlichen wirklich regelmässig<br />
ins Internet geladen. Aber auch hier<br />
sind die Zahlen kleiner, als viele vermuten:<br />
11 Prozent der Jugendlichen<br />
machen dies mehrmals die Woche,<br />
39 Prozent mindestens einmal im<br />
Monat.<br />
Es fällt auf, dass die häufigsten<br />
Tätigkeiten von Jugendlichen in den<br />
sozialen Netzwerken passive Tätigkeiten<br />
sind: Fotos und Profile ansehen<br />
und «liken». Oder dass sie in<br />
einem eher privaten Rahmen stattfinden<br />
(chatten und Nachrichten<br />
versenden). 61 Prozent geben an,<br />
dass sie in sozialen Netzwerken vor<br />
allem Fotos posten, bei den Videos<br />
sind es nur 23 Prozent. Ein beruhi-<br />
Bild: Bill Cheyrou / Alamy Stock Photo<br />
88 Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>7 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Zählt<br />
«gemeinsam<br />
Handyvideos»<br />
schauen noch<br />
als «Freunde<br />
treffen»?<br />
gender Fakt: Dass plötzlich Fremde<br />
vor Ihrer Türe stehen, ist sehr un <br />
wahrscheinlich. Nur 15 Prozent der<br />
befragten Jugendlichen geben ihren<br />
echten Wohnort in einem sozialen<br />
Netzwerk preis. Noch weniger, nämlich<br />
8 Prozent, ihre Telefonnummer.<br />
SORGE 3 Mein Kind blickt bei den<br />
komplizierten Privatsphäreeinstellungen<br />
von Facebook nicht durch.<br />
Stimmt. Und das ist mit ein Grund,<br />
warum viele Jugendliche ihre Bilder<br />
und Nachrichten lieber auf Plattformen<br />
teilen, bei denen sie besser kontrollieren<br />
können, wer diese sehen<br />
kann. Auf Instagram etwa ist der<br />
Account schnell auf privat gestellt,<br />
Jugendliche wechseln von<br />
Facebook zu vermeintlich<br />
privateren Netzwerken.<br />
und auf WhatsApp und Snapchat<br />
bestimmen die Jugendlichen selbst,<br />
wer der Empfänger ihres Bildes ist.<br />
Mit diesem Wechsel zu privateren<br />
Netzwerken findet aber auch<br />
eine leichte Abnahme der Sorge um<br />
die eigene Privatsphäre statt. Heute<br />
geben 74 Prozent der Jugendlichen<br />
an, dass sie ihre Privatsphäre schützen.<br />
20<strong>12</strong> waren es noch 84 Prozent.<br />
Umso wichtiger ist also, dass Sie mit<br />
Ihrem Kind darüber sprechen, dass<br />
jedes digitale Foto im Internet geteilt<br />
werden kann. Auch jenes, das vertrauensvoll<br />
einem Freund über<br />
WhatsApp geschickt wurde.<br />
SORGE 4 Mein Kind lernt im Internet<br />
Pädophile kennen.<br />
Dass einer Online-Bekanntschaft ein<br />
reales Treffen folgt, ist längst keine<br />
Seltenheit mehr: 41 Prozent der<br />
Jugendlichen haben das schon erlebt.<br />
Das Treffen an sich muss keine<br />
Gefahr darstellen, wenn man sich an<br />
bestimmte Regeln hält, zum Beispiel<br />
an einen öffentlichen Platz geht und<br />
einen Elternteil mitnimmt. So können<br />
aus Bekanntschaften im Internet<br />
echte Freundschaften werden – oder<br />
gar Liebe.<br />
Die Kehrseite der leichten Kontaktaufnahme<br />
im Netz: Ein Viertel<br />
der Jugendlichen hat bereits erlebt,<br />
dass sie im Internet unerwünscht<br />
und mit sexuellen Absichten angesprochen<br />
wurden – man nennt das<br />
im Fachjargon Cybergrooming.<br />
Mädchen sind mit 34 Prozent deutlich<br />
häufiger betroffen als Jungen<br />
(17 Prozent).<br />
SORGE 5 Mein Kind wird im Netz<br />
gemobbt.<br />
Da das Internet ein wichtiger Ort für<br />
Jugendliche ist, um zu kommunizieren,<br />
findet hier – ähnlich wie im<br />
Klassenzimmer – auch Mobbing<br />
statt. Das Problem mit Stu dien über<br />
Cybermobbing ist, dass es >>><br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>789
Ihr Kind zockt intensiv?<br />
Die Statistik macht Hoffnung,<br />
dass dies nur eine Phase ist.<br />
>>> keine allgemeingültige Definition<br />
von Cybermobbing gibt. Ge <br />
hört ein «Boah, bist du hässlich»<br />
unter einem Facebook-Foto schon<br />
in die Kategorie Mobbing, oder ist<br />
das einfach der Umgangston unter<br />
Jugendlichen übertragen ins Netz?<br />
Die JAMES-Studie behilft sich,<br />
indem sie zwei Fragen stellt: Auf die<br />
erste antwortet etwa ein Fünftel der<br />
Ju gendlichen, es sei schon einmal<br />
vorgekommen, dass jemand sie im<br />
In ternet habe fertigmachen wollen.<br />
Auf die etwas spezifischere Frage, ob<br />
schon einmal Falsches oder Belei <br />
digendes über sie im Internet verbreitet<br />
worden sei, antworten noch<br />
<strong>12</strong> Prozent mit Ja.<br />
Das Fiese am Mobbing im Internet<br />
im Vergleich zum «normalen»<br />
Mobbing ist, dass es keine Rückzugsorte<br />
gibt. Es hört nicht auf,<br />
wenn der Jugendliche nach Hause<br />
kommt. Und dass der Jugendliche<br />
nicht wissen kann, wie viele zu <br />
schauen und mitlesen, ist eine be <br />
sonders grosse Belastung für ihn.<br />
SORGE 6 Mein Kind kommt im Netz<br />
automatisch mit Gewalt- und Pornografie<br />
in Berührung.<br />
Sollten Sie einen Sohn im Teenageralter<br />
haben, so ist die Wahrscheinlichkeit,<br />
dass er sich auf dem<br />
Handy oder Computer Pornofilme<br />
ansieht, tatsächlich sehr hoch. Rund<br />
drei Viertel geben an, dass dies schon<br />
vorgekommen sei. Bei den Mädchen<br />
ist es gerade einmal ein Fünftel der<br />
Befragten, die dies zugeben.<br />
Auch das Verschicken und Empfangen<br />
von Pornografie aufs Handy<br />
ist eher Jungensache. Einzig bei der<br />
Frage nach dem Sexting, also dem<br />
Verschicken von aufreizenden Fotos<br />
und Videos von sich selbst, sind Jungen<br />
und Mädchen etwa gleichauf:<br />
10 Prozent der Mädchen und 11<br />
Prozent der Jungen sagen, dass sie<br />
das schon gemacht haben.<br />
Bei Videos mit Gewaltdarstellungen<br />
ist der Unterschied zwischen<br />
den Geschlechtern weniger gross als<br />
bei der Pornografie. Rund zwei Drittel<br />
der Schweizer Jugendlichen sa <br />
gen, dass sie so etwas schon gesehen<br />
haben. 76 Prozent sind es bei den<br />
Jungen und 53 bei den Mädchen.<br />
SORGE 7 Mein Kind verlernt in sozialen<br />
Netzwerken, was wahre Freundschaft<br />
bedeutet. Es sammelt nur noch<br />
Follower.<br />
Im Vergleich zu 2<strong>01</strong>4 hat die Zahl<br />
der Kontakte von Jugendlichen im<br />
Netz leicht zugenommen: Auf Facebook<br />
haben Jugendliche im Schnitt<br />
427 Freunde, auf Instagram 531 –<br />
dort heissen sie Follower, und eine<br />
Kontaktannahme bedeutet nicht,<br />
dass man sich gegenseitig folgt.<br />
Ob Jugendliche diese Kontakte<br />
mit echten Freunden verwechseln,<br />
kann aus einer statistischen Studie<br />
wie der JAMES-Studie nicht direkt<br />
herausgelesen werden. Es fällt je <br />
doch auf, dass im Netzwerk Snapchat,<br />
wo tendenziell Persönlicheres<br />
geteilt wird, die Freundesanzahl viel<br />
niedriger ist: Sie liegt bei 154 Kontakten.<br />
Da die Teilfreudigkeit in<br />
offeneren sozialen Netzwerken<br />
einem Abwärtstrend unterliegt (siehe<br />
Sorge 2), kann man also davon<br />
ausgehen, dass die Jugendlichen ein<br />
Bewusstsein dafür haben, wer zum<br />
engeren Freundeskreis gehört und<br />
wem man demzufolge auch mehr<br />
von sich preisgeben möchte.<br />
SORGE 8 Mein Kind nutzt die Kommunikationsmöglichkeiten<br />
im Netz<br />
gar nicht. Es spielt ja nur Computerspiele.<br />
Und vereinsamt dabei.<br />
Während viele Eltern selbst Facebook,<br />
WhatsApp und Co. nutzen,<br />
sind Games für sie ein Buch mit sieben<br />
Siegeln. Daher wissen sie auch<br />
nicht, dass viele Online-Games eine<br />
Chatfunktion mitbringen. Die Kommunikation<br />
dort birgt dieselben<br />
Chancen und Risiken wie Chats in<br />
sozialen Netzwerken oder öffentlichen<br />
Chatrooms.<br />
Rein statistisch ist Gamen gemäss<br />
JAMES-Studie eher ein Jungen-<br />
Ding: 91 Prozent der Jungen spielen<br />
Videogames, 42 Prozent der Mädchen.<br />
Im Schnitt verbringen die Kids<br />
damit ein bis zwei Stunden pro Tag.<br />
Einen möglicherweise beruhigenden<br />
Fakt hält die JAMES-Studie<br />
auch noch parat: Die Intensität des<br />
Gamens lässt mit zunehmendem<br />
Alter der Befragten nach.<br />
SORGE 9 Mein Kind tappt mit dem<br />
Handy in die Schuldenfalle.<br />
Zumindest statistisch kann das nicht<br />
bestätigt werden. Bei der Hälfte der<br />
Befragten liegt die Handyrechnung<br />
zwischen 20 und 55 Franken im<br />
Monat. Zusammen mit den Ausreissern<br />
nach oben oder unten kommt<br />
man auf durchschnittliche Handykosten<br />
von 39 Franken pro Monat.<br />
Das sind nur zwei Franken mehr als<br />
2<strong>01</strong>4, und das, obwohl Jugendliche<br />
länger online sind als damals.<br />
Mit zunehmendem Alter haben<br />
immer mehr Jugendliche ein Abonnement<br />
mit unlimitiertem Datenvolumen,<br />
so dass Ende Monat keine<br />
bösen Überraschungen auf sie zu <br />
kommen. Zudem telefonieren sie<br />
immer weniger und schreiben weniger<br />
SMS. Ein hohes Datenvolumen<br />
allein deckt also meist schon all ihre<br />
Bedürfnisse ab.<br />
>>><br />
Einen Überblick über die Ergebnisse<br />
der JAMES-Studie gibt Swisscom<br />
als Partner der Studie auf Seite 92.<br />
Bianca Fritz<br />
ist im Schnitt pro Tag 2 Stunden und<br />
15 Minuten am Smartphone – und<br />
erstaunt, dass sie damit noch unter dem<br />
Durchschnitt der Jugendlichen liegt.<br />
90 Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>7 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Digital & Medial<br />
«Mama?»<br />
«Warte kurz. Ich muss mich konzentrieren. Nicht ansprechen.»<br />
«Warum nicht? Vergisst du dann was? Mama? MAMA!»<br />
Argh.<br />
Tweet von @flummimum<br />
Chatten,<br />
basteln,<br />
tippen lernen<br />
Altersgerechte Mitmach- und<br />
Lernangebote für Kinder<br />
im Internet unter:<br />
www.klick-tipps.net/<br />
mitmachseiten<br />
Russische Väter erlauben am meisten<br />
Russische Kinder gehen am frühesten online. Schon mit 8 Jahren und 7 Monaten erlauben<br />
ihnen die Eltern ein eigenes Profil in sozialen Netzwerken. Zum Vergleich: Kinder in Deutschland<br />
dürfen mit 10 Jahren und 7 Monaten, britische mit 10 Jahren und 8 Monaten soziale<br />
Medien nutzen, während sich amerikanische mit 10 Jahren und 5 Monaten ein eigenes Profil<br />
anlegen. Das hat ein Softwareunternehmen in einer repräsentativen Vergleichsumfrage in<br />
mehreren Nationen herausgefunden. Das erste Smartphone halten russische Kinder schon<br />
mit 7 Jahren und 2 Monaten in den Händen. In den USA sind die Kinder mit 9 Jahren und<br />
10 Monaten am ältesten, Deutschland und Grossbritannien liegen dazwischen. Generell sind<br />
die Väter laut der Studie etwas milder in der Erziehung und lassen ihre Kinder ein Jahr<br />
früher die digitale Welt erkunden, als es die Mütter tun.<br />
Ideenwettbewerb BugnPlay<br />
Bugnplay ist ein Medien- und Roboterwettbewerb für alle<br />
zwischen 8 und 20 Jahren. Wer mitmachen will, reicht sein<br />
Projekt oder seine gute Idee ein und entwickelt sie während<br />
zwei Monaten weiter. Ob Roboter, Trickfilm, Handykrimi,<br />
Computerspiel, eine Poesiemaschine, eine Soundcollage<br />
oder eine Mischung aus allem – der Fantasie sind keine<br />
Grenzen gesetzt, solange sie mit digitalen Medien und<br />
neuen Technologien zu tun hat. Zu gewinnen gibt es bis zu<br />
1500 Franken in bar. Im Bild sind übrigens die Gewinner<br />
aus dem diesjährigen Wettbewerb. Die Anmeldung ist bis<br />
am 31. Januar möglich auf bugnplay.ch.<br />
Schräge Märchen<br />
Was passiert, wenn sich die drei Königssöhne Otto,<br />
Otto und Otto in dasselbe Mädchen verlieben? Ganz<br />
klar: Sie wählt Prinz Otto! Diese CD wird Ihnen das<br />
breiteste Hörbuchlächeln aller Zeiten aufs Gesicht zaubern.<br />
Denn die Abwandlungen bekannter Märchen,<br />
die wilden Reime und die verqueren neuen Geschichten<br />
begeistern nicht nur die eigentliche Zielgruppe –<br />
sondern auch deren Eltern. Für die älteren Zuhörer<br />
hält Autor Paul Maar feinsinnigen Humor und ausgeklügelte<br />
Wortspiele parat. Ein grosser Spass ab 6 Jahren,<br />
mit dem Sie unter dem Weihnachtsbaum nichts<br />
falsch machen können.<br />
Paul Maar: Schiefe<br />
Märchen und schräge<br />
Geschichten.<br />
Oetinger Audio, <strong>2<strong>01</strong>6</strong>.<br />
142 Minuten auf 2 CDs,<br />
etwa 19 Franken<br />
Bilder: ZVG<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>791
Digital & Medial<br />
Was Jugendliche<br />
online treiben<br />
Wie lange surfen Teenager heute im<br />
Internet? Welche Online-Dienste nutzen sie und<br />
wie steht es um das Thema Sicherheit?<br />
Antworten gibt nun die JAMES-Studie <strong>2<strong>01</strong>6</strong>.<br />
Text: Michael In Albon<br />
Bild: Swisscom<br />
Alle zwei Jahre werden<br />
in der Schweiz über<br />
1000 Jugendliche zwischen<br />
<strong>12</strong> und 19 Jahren<br />
zu ihrem Medienverhalten<br />
befragt. Die Ergebnisse der<br />
aktuellen JAMES-Studie (Jugend,<br />
Aktivitäten, Medien – Erhebung<br />
Schweiz) liegen nun vor. Demnach<br />
sind Jugendliche erstmals seit Be -<br />
ginn der Studie im Jahr 2<strong>01</strong>0 häufiger<br />
online: unter der Woche täglich<br />
2,5 Stunden und am Wochenende<br />
3 Stunden und 40 Minuten – Tag für<br />
Tag eine halbe Stunde mehr als 20<strong>12</strong><br />
und 2<strong>01</strong>4.<br />
YouTube ist das neue Fernsehen<br />
YouTube ist bei unseren Kindern mit<br />
Abstand die beliebteste Website. 75<br />
Prozent der befragten Jugendlichen<br />
können einen «Lieblings-You tube-<br />
Star» nennen – in der Deutschschweiz<br />
etwa Bianca Heinicke von<br />
BibisBeautyPalace, in der Romandie<br />
den Comedian Cyprien und im Tessin<br />
den Gamer St3pNy.<br />
Bild und Video gewinnen<br />
Von den 16- bis 19-Jährigen sind drei<br />
von vier auf Facebook präsent. <strong>12</strong>-<br />
bis 15-Jährige interessieren sich we -<br />
niger für Facebook, sie sind lieber<br />
auf Instagram und Snapchat unterwegs<br />
– Plattformen für Bilder und<br />
Videos. Diese sind die grossen Ge -<br />
winner seit 2<strong>01</strong>4. Es wächst also eine<br />
neue Nutzergeneration heran. Trotzdem:<br />
Facebook bleibt weiterhin stark<br />
positioniert, da Instagram, neben<br />
WhatsApp, zum Konzern gehört.<br />
Jungs gamen, Mädchen werden<br />
angemacht<br />
Mädchen und Jungen verhalten sich<br />
unterschiedlich. Das erstaunt erst<br />
einmal wenig. Schauen wir genauer<br />
hin: Jungen gehen mit Online-Daten<br />
freizügiger um und geben Geschlecht,<br />
Hobbys oder Wohnort öfter<br />
preis. Das hat vielleicht auch damit<br />
zu tun, dass Mädchen häufiger<br />
Erfahrungen mit unerwünschten<br />
digitalen Kontaktaufnahmen ma -<br />
chen und deshalb zurückhaltender<br />
sind. Jungen kommen öfter mit Pornografie<br />
in Kontakt – aktiv und passiv.<br />
Und Jungen gamen fünf Mal<br />
häufiger als Mädchen – 64 gegenüber<br />
<strong>12</strong> Prozent. Auffällig und für Eltern<br />
beruhigend ist, dass Gamen als Freizeitbeschäftigung<br />
mit dem Alter ab -<br />
nimmt. Aufhorchen lässt hingegen,<br />
dass sogenannte Shootergames auch<br />
bei Jugendlichen unter 16 Jahren<br />
sehr beliebt sind – obwohl diese<br />
Spiele oft erst ab 16 oder 18 Jahren<br />
freigegeben sind.<br />
Alle sind mobil<br />
98 Prozent besitzen ein Smartphone,<br />
fast jeder Zweite eine mobile Spielkonsole<br />
und 39 Prozent ein eigenes<br />
Tablet. Das ist mit ein Grund, wes-<br />
halb Jugendliche Online-Zeit zum<br />
grössten Teil auf mobilen Geräten<br />
verbringen. 87 Prozent greifen mobil<br />
auf soziale Netzwerke zu, 78 Prozent<br />
schauen sich mobil Videos an, und<br />
91 Prozent surfen mobil im Internet.<br />
Mit dem mobilen Zugriff lässt sich<br />
wohl auch der Anstieg an Online-<br />
Zeit begründen.<br />
Die Ergebnisse der aktuellen Studie<br />
ermahnen uns Eltern einmal<br />
mehr, eine neue erzieherische Rolle<br />
zu übernehmen: Wir sind gehalten,<br />
uns auf die virtuelle Realität unserer<br />
Kinder einzulassen. Wie in der realen<br />
Welt sind auch in der digitalen<br />
Welt Anleitung und Begleitung<br />
gefragt.<br />
Michael In Albon<br />
Michael In Albon ist Beauftragter<br />
Jugendmedienschutz und Experte<br />
Medienkompetenz von Swisscom.<br />
Seit 2<strong>01</strong>0 führen die Zürcher Hochschule für<br />
Angewandte Wissenschaften ZHAW und Swisscom alle<br />
zwei Jahre die JAMES-Studie durch. JAMES steht für<br />
«Jugend, Aktivitäten, Medien – Erhebung Schweiz».<br />
swisscom.ch/james<br />
92 Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>7 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Das Kinderbuch mit Gian und Giachen.<br />
Und vielen Kinderbuch-Vorteilen. Jetzt erhältlich<br />
im Buchhandel und auf graubuenden.ch/kinderbuch<br />
Exklusiver Kinderbuch-Vorteil:<br />
20 % Rabatt auf Skipässe<br />
Gratis: 1 Tag Skischule<br />
für 1 Kind
Unser Wochenende …<br />
Text: Leo Truniger<br />
in Basel<br />
Schanzenstrasse<br />
Rhein<br />
Kleinbasel<br />
Mittlere Brücke<br />
Mo bis Fr. 13.30 bis 19, Sa/So <strong>12</strong> bis 19 Uhr. Kosten Fr 5.– bis<br />
Fr. 15.–. www.baslerweihnacht.ch > Weihnachtsmarkt<br />
Martinsturm: bis 23. Dezember, Mo bis Fr, Fr. 5.– pro Person,<br />
Einlass bis 17.30 Uhr. www.baslermuenster.ch<br />
Wunschbuch, Rathaus, Marktplatz 9, Innenhof, bis 6. Januar<br />
2<strong>01</strong>7. www.wunschbuch.ch<br />
Schützengraben<br />
Spalentor<br />
Steinegraben<br />
Altstadt<br />
Rathaus<br />
Weihnachtshaus<br />
Wanner<br />
Erleben …<br />
Motel One<br />
Barfüsserplatz<br />
Rheingasse<br />
Museum der Kulturen<br />
Basler Münster<br />
Spielzeug Welten Museum<br />
Wettsteinbrücke<br />
… Um sich der Stadt ein wenig anzunähern, empfiehlt sich<br />
gerade in Basel eine Stadtführung. Es gibt sie zu verschiedenen<br />
Themen, zurzeit natürlich auch zur Basler Weihnacht,<br />
und sie sind auch für Ihre Kinder interessant. Spielerischer<br />
geht es im Märchenwald auf dem Münsterplatz zu, wo sich<br />
Kinder, Jugendliche und auch Erwachsene verzaubern lassen:<br />
Sie verzieren Lebkuchen, lauschen Geschichten, ziehen<br />
Kerzen, fahren mit der Kindereisenbahn oder wärmen sich<br />
einfach die Hände am Feuer. Und wenn Sie schon gerade hier<br />
sind: Im Münster gibt es täglich um 16 Uhr interessante<br />
Kurzführungen (30 Minuten) für die ganze Familie, und<br />
danach können Sie über die beleuchteten Stufen hinauf auf<br />
den Martinsturm steigen. Soll der Tag noch eine besinnliche<br />
Note erhalten, finden Sie im Innenhof des Rathauses ein<br />
öffentliches Wunschbuch, in dem jedermann sein Anliegen<br />
und seine Hoffnungen verewigen kann – das Buch wird im<br />
Staatsarchiv für die Nachwelt aufbewahrt.<br />
Stadtführungen: www.basel.com > Stadtführungen<br />
Märchenwald: Robi-Spiel-Aktionen, bis 22. Dezember,<br />
… Weihnachten ist auch die Zeit der wohlriechenden Gewürze<br />
und Ingredienzen. Über die Herkunft, Geschichte und<br />
Bedeutung von Anis, Ingwer, Zimt, Vanille und Kardamom oder<br />
Orangeat erzählt die Ausstellung Himmlische Düfte aus<br />
aller Welt im Museum der Kulturen. Was Anfang des<br />
20. Jahrhunderts aus dem schlichten, nur mit Äpfeln, Nüssen<br />
und Backwaren behängten Gabenbaum für Kinder geworden<br />
ist, zeigt das Spielzeug Welten Museum mit den Weihnachtsbäumen<br />
zum Träumen: ein üppig und extravagant<br />
behängter Baum als Renommierstück für Erwachsene, mit<br />
Dresdner Pappe, Sebnitzer Watte, viktorianischem Schmuck,<br />
Glas, Glimmer und Glitter. Anregungen, wie Sie den Weihnachtsbaum<br />
schmücken könnten, finden Sie, übrigens das<br />
ganze Jahr über, im Weihnachtshaus Wanner. Johann<br />
Wanner zählt zu den grössten Herstellern und Händlern von<br />
handgefertigtem Christbaumschmuck.<br />
Museum der Kulturen, Münsterplatz 20, bis 8. Januar 2<strong>01</strong>7,<br />
Di bis So von 10 bis 17 Uhr (Mo geschlossen). Eintritt:<br />
Erwach sene Fr. 16.–, Kinder unter 13 gratis, bis 20 Jahre Fr. 5.–.<br />
www.mkb.ch<br />
Spielzeug Welten Museum Basel, Steinenvorstadt 1, bis<br />
<strong>12</strong>. Februar 2<strong>01</strong>7, offen im Dezember täglich von 10 bis 18 Uhr<br />
(24. <strong>12</strong>. bis 16 Uhr, 25. <strong>12</strong>. geschlossen). Eintritt: Fr. 7.–,<br />
Kinder bis 16 Jahre gratis (nur in Begleitung Erwachsener).<br />
www.swmb.museum > Veranstaltungen<br />
Johann Wanner, Spalenberg 14. Offen ganzjährig, im Advent:<br />
Mo bis Fr 9.30 bis 18.30, Sa 10 bis 17, So 10 bis 15 Uhr.<br />
www.johannwanner.ch<br />
Geniessen …<br />
… Die Basler sind stolz auf ihren Weihnachtsmarkt. Und<br />
wenn Sie dort sind, werden Sie verstehen warum. Die<br />
Mischung aus Kunsthandwerk, Gaumenfreuden und Raritäten<br />
aller Art in winterlich-weihnachtlichem Schmuck und Duft<br />
sorgt für eine spezielle Atmosphäre. Auf dem Markt vom<br />
94 Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>7 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
Service<br />
Auf dem<br />
Barfüsserplatz,<br />
im Innenhof des<br />
Rathauses, auf<br />
dem Münsterplatz<br />
oder wo auch<br />
immer – Basel zeigt<br />
sich weihnachtlich.<br />
Bilder: Basel Tourismus<br />
Barfüsserplatz bis zum Münsterplatz versuchen fast<br />
zweihundert Anbieter in Mini-Holzchalets, Sie mit Exklusivem,<br />
Alltäglichem und Feinem für sich selber oder zum Verschenken<br />
zu verlocken.<br />
Bis 23. Dezember, täglich 11 bis 20.30 Uhr; am 23. <strong>12</strong>. auf dem<br />
Münsterplatz bis 18, auf dem Barfüsserplatz bis 20 Uhr.<br />
www.baslerweihnacht.ch<br />
… Einen eher kulinarischen Weihnachtsmarkt finden Sie nach<br />
einem Spaziergang über die Mittlere Brücke im Kleinbasel.<br />
Im Advent wird dort die Rheingasse, eine der ältesten<br />
Strassen Basels, zur Adväntsgass im Glaibasel mit allerlei<br />
Spezialitäten. Kinder kommen mit Spielaktionen im Märliwald<br />
im Glaibasel auf ihre Rechnung, und im Circuswagen können<br />
sie Geschichtenerzählern und Musikanten zuhören und sich<br />
auf Überraschungen freuen.<br />
Adväntsgass, bis 23. Dezember, 18 bis 21.30 Uhr; Märliwald und<br />
Circuswagen: Mi bis Fr, 13.30 bis 19 Uhr, Sa/So 11 bis 19 Uhr.<br />
www.advaentsgass.ch, www.rheingasse.ch<br />
Übernachten …<br />
… In den grossen, familienfreundlichen Zimmern des Hotels<br />
Spalentor am Rand der Altstadt finden Sie die nötige Ruhe<br />
und Entspannung nach einem ereignisreichen Tag. Manche<br />
kindgerechte Extras und ein spezielles Angebot für Familien<br />
erwarten Sie.<br />
Hotel Spalentor, Schönbeinstrasse 1, Telefon: 061 262 26 26,<br />
Preisbeispiel Familypackage: ab Fr. 260.–.<br />
www.hotelspalentor.ch<br />
… Möchten Sie mitten im weihnachtlichen Geschehen<br />
übernachten? Direkt beim Barfüsserplatz befindet sich seit<br />
einem halben Jahr das Motel One. In diesem Design Hotel<br />
finden Sie auch Familienzimmer.<br />
Motel One: Barfüssergasse 16, Telefon 061 226 22 00.<br />
Preisbeispiel Familienzimmer (Kinder bis <strong>12</strong> Jahre kostenlos):<br />
ab Fr. 134.–. www.motel-one.com<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>795
Service<br />
Vielen Dank<br />
Finanzpartner<br />
Dr. iur. Ellen Ringier<br />
Walter Haefner Stiftung<br />
an die Partner und Sponsoren der Stiftung Elternsein:<br />
Hauptsponsoren<br />
Credit Suisse AG<br />
Rozalia Stiftung<br />
UBS AG<br />
Heftsponsor<br />
UBS AG<br />
Impressum<br />
16. Jahrgang. Erscheint 10-mal jährlich<br />
Herausgeber<br />
Stiftung Elternsein,<br />
Seehofstrasse 6, 8008 Zürich<br />
www.elternsein.ch<br />
Präsidentin des Stiftungsrates:<br />
Dr. Ellen Ringier, ellen@ringier.ch,<br />
Tel. 044 400 33 11<br />
(Stiftung Elternsein)<br />
Geschäftsführer: Thomas Schlickenrieder,<br />
ts@fritzundfraenzi.ch, Tel. 044 261 <strong>01</strong> <strong>01</strong><br />
Redaktion<br />
redaktion@fritzundfraenzi.ch<br />
Chefredaktor: Nik Niethammer,<br />
n.niethammer@fritzundfraenzi.ch<br />
Verlag<br />
Fritz+Fränzi,<br />
Dufourstrasse 97, 8008 Zürich,<br />
Tel. 044 277 72 62,<br />
info@fritzundfraenzi.ch,<br />
verlag@fritzundfraenzi.ch,<br />
www.fritzundfraenzi.ch<br />
Business Development & Marketing<br />
Leiter: Tobias Winterberg,<br />
t.winterberg@fritzundfraenzi.ch<br />
Anzeigen<br />
Administration: Dominique Binder,<br />
d.binder@fritzundfraenzi.ch,<br />
Tel. 044 277 72 62<br />
Art Direction/Produktion<br />
Partner & Partner, Winterthur<br />
Bildredaktion<br />
13 Photo AG, Zürich<br />
Korrektorat<br />
Brunner AG, Kriens<br />
Auflage<br />
(WEMF/SW-beglaubigt 2<strong>01</strong>5)<br />
total verbreitet 103 920<br />
davon verkauft 17 206<br />
Preis<br />
Jahresabonnement Fr. 68.–<br />
Einzelausgabe Fr. 7.50<br />
iPad pro Ausgabe Fr. 3.–<br />
Abo-Service<br />
Galledia Verlag AG Berneck<br />
Tel. 0800 814 813, Fax 058 344 92 54<br />
abo.fritzundfraenzi@galledia.ch<br />
Für Spenden<br />
Stiftung Elternsein, 8008 Zürich<br />
Postkonto 87-447004-3<br />
IBAN: CH40 0900 0000 8744 7004 3<br />
Inhaltspartner<br />
Institut für Familienforschung und -beratung<br />
der Universität Freiburg / Dachverband Lehrerinnen<br />
und Lehrer Schweiz / Verband Schulleiterinnen und<br />
Schulleiter Schweiz / Jacobs Foundation / Forum<br />
Bildung / Elternnotruf / Pro Juventute /<br />
Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik<br />
Zürich / Schweizerisches Institut für Kinderund<br />
Jugendmedien<br />
Stiftungspartner<br />
Pro Familia Schweiz / Pädagogische Hochschule<br />
Zürich / Marie-Meierhofer-Institut für das Kind /<br />
Schule und Elternhaus Schweiz / Schweizerischer<br />
Verband alleinerziehender Mütter und Väter<br />
SVAMV / Kinderlobby Schweiz / kibesuisse Verband<br />
Kinderbetreuung Schweiz<br />
Weihnachtsmarkt<br />
Münsterplatz & Barfüsserplatz<br />
Täglich 11 – 20.30 Uhr<br />
24. November –<br />
23. Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong><br />
www.baslerweihnacht.ch<br />
#BaslerWeihnacht<br />
BaslerWeihnacht<br />
Shopping Night<br />
24. November <strong>2<strong>01</strong>6</strong> bis 22 Uhr<br />
Verkaufsoffene Sonntage<br />
11. & 18. Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong>, 13 – 18 Uhr
Buchtipps<br />
Treu begleiten<br />
sie uns beim<br />
Lesen des<br />
Buches: die<br />
Vogelvignetten<br />
von Katja<br />
Spitzer.<br />
Dazwischen: Ich<br />
Madina in Julya<br />
Rabinowichs<br />
beeindruckendem<br />
Jugendroman<br />
fühlt sich<br />
zerrissen:<br />
zwischen Kind<br />
und Erwachsenen, Eltern und<br />
Schule, der Asylunterkunft und dem<br />
Zuhause ihrer Freundin.<br />
Hanser, <strong>2<strong>01</strong>6</strong>, Fr. 22.90,<br />
ab 14 Jahren<br />
Neu anfangen: in einer anderen Schule,<br />
einer neuen Stadt, in einem fremden Land.<br />
Das ist nicht leicht. In der Kinderund<br />
Jugendliteratur wird dieser schwierige<br />
Prozess mit viel Verständnis begleitet.<br />
Ankommen braucht Zeit<br />
Marie fühlt sich wie ein Vogel,<br />
der aus dem Nest gefallen ist.<br />
Nusret und<br />
die Kuh<br />
Eine Kuh<br />
nimmt<br />
Nusret mit<br />
nach<br />
Deutschland. Als er Freunde<br />
gefunden hat, schickt er sie zurück<br />
zu den Grosseltern in den Kosovo.<br />
Ein warmherziges, fröhlich<br />
illustriertes Bilderbuch über ein<br />
selbstbestimmtes Ankommen.<br />
Tulipan, <strong>2<strong>01</strong>6</strong>, Fr. 26.90,<br />
ab 5 Jahren<br />
Bilder: ZVG<br />
In kürzester Zeit würde Marie<br />
in Münde neue Freundinnen<br />
finden, hatte die Lehrerin ihr<br />
zum Abschied versprochen.<br />
Aber jetzt sitzt die Elfjährige<br />
mit ihrem Bruder, der Mutter und<br />
deren neuem Freund im Auto, fährt<br />
350 Kilometer von ihrem alten<br />
Zuhause weg in das neue Dorf und<br />
beginnt zu zweifeln. Was, wenn sie<br />
doch keine Freundinnen findet?<br />
In ihrem neuen Kinderroman<br />
spürt die Zürcher Autorin Katja<br />
Alves den Unsicherheiten eines<br />
Mädchens nach, das gegen seinen<br />
Willen verpflanzt wird. Und dies in<br />
einem Alter, in dem die Akzeptanz<br />
durch andere das Wichtigste überhaupt<br />
ist. Da eckt Marie schon an,<br />
weil ihre Mutter als Künstlerin öfter<br />
mal einen Overall trägt. Sie gerät in<br />
der neuen Schule mitten in die<br />
Hackordnungskämpfe einer Mädchengruppe,<br />
die sie zu Beginn noch<br />
nicht durchschauen kann.<br />
Das ist schwierig. Zum Glück hat<br />
Marie die Vögel, die sie beobachtet<br />
und deren Verhalten – wie durch<br />
kleine Kapitelmottos veranschaulicht<br />
wird – gar nicht so anders ist<br />
wie jenes der Menschen. Und zum<br />
Glück gibt es auch Leute wie den<br />
Nachbarsjungen Björn oder die<br />
Französischlehrerin, die zu Marie<br />
halten und ihr zu verstehen geben,<br />
dass man sich unguten Dynamiken<br />
auch entziehen kann und das<br />
Anderssein leben darf.<br />
Einfühlsam und die Gefühlswelt<br />
der Vorpubertät ernst nehmend,<br />
erzählt Katja Alves so vom Ankommen,<br />
das seine Zeit braucht.<br />
Katja Alves:<br />
Marie und der<br />
Vogelsommer.<br />
Beltz & Gelberg,<br />
<strong>2<strong>01</strong>6</strong>, Fr. 17.90,<br />
ab 10 Jahren<br />
Heimliche<br />
Freundin<br />
Was für ein<br />
Geheimnis birgt<br />
das Haus, in das<br />
Henriette mit ihrer<br />
Mutter gezogen<br />
ist? Mit Hilfe der<br />
älteren Nachbarn kommt sie der<br />
Sache auf die Spur – und findet<br />
Freunde am neuen Ort.<br />
Urachhaus, 2<strong>01</strong>5, Fr. 19.90,<br />
ab 9 Jahren<br />
Verfasst von Elisabeth Eggenberger,<br />
Mitarbeiterin des Schweizerischen<br />
Instituts für Kinder- und<br />
Jugendmedien SIKJM.<br />
Auf www.sikjm.ch sind weitere<br />
Buchempfehlungen zu finden.<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>797
Eine Frage – drei Meinungen<br />
Neulich fragte mich unser sechsjähriger Sohn: «Mama, wird mein<br />
Schnäbi auch mal so gross wie das vom Papi?» Mir fiel keine wirklich gute<br />
Antwort ein, und so wechselte ich das Thema. Wie hätten Sie reagiert?<br />
Nora, 35, Grindelwald<br />
Nicole Althaus<br />
Ich habe keinen Sohn.<br />
Aber als meine ältere<br />
Tochter mich gefragt hat,<br />
ob ihre Brüste dereinst<br />
auch so klein würden wie<br />
meine, antwortete ich, dass<br />
ich das so genau nicht<br />
wisse, dass ich aber<br />
überzeugt sei, dass sie<br />
exakt die Brüste bekommen werde, die am besten<br />
zu ihrem Körper passten.<br />
Tonia von Gunten<br />
An Ihrer Stelle hätte ich mich<br />
über die spannende Frage<br />
gefreut! Bei dem<br />
natürlichsten Thema der<br />
Welt wäre ich drangeblieben:<br />
«Ja, ja, dein Schnäbi wird<br />
gross! Man kann auch Penis<br />
sagen, und der wächst bei<br />
allen Jungs. Bei den Mädchen<br />
dagegen wachsen die Brüste.» Wenn Ihnen das<br />
Sprechen über Aufklärung und Sexualität schwerfällt,<br />
besorgen Sie sich ein paar gute Aufklärungsbücher für<br />
Kinder. Ansonsten wird sich Ihr Sohn die Infos<br />
anderswo holen.<br />
Meine Buchtipps: «Wohin will Willi» von<br />
Allan Nicholas, Lappan Verlag. «Mein erstes<br />
Aufklärungsbuch», Loewe Verlag.<br />
Peter Schneider<br />
Ich hätte ihm vom grossen<br />
Wunder der sogenannten<br />
«Erektion» erzählt, welches<br />
sich bei Männern ab<br />
30 Jahren in manchen<br />
Vollmondnächten ereignet,<br />
und dass, wenn das Wunder<br />
einmal ausbleiben sollte,<br />
es im sogenannten Internet<br />
mannigfache Wundermittel gebe, welche ... Just<br />
kidding, of course. Mit seinem sechsjährigen Sohn<br />
über Penislängen zu reden, ist nicht jederfraus Sache.<br />
Was ich aber nicht verstehe, ist, warum Sie nicht<br />
einfach «Ja, klar» geantwortet haben.<br />
Nicole Althaus, 47, ist Kolumnistin, Autorin und<br />
Mitglied der Chefredaktion der «NZZ am Sonntag».<br />
Zuvor war sie Chefredaktorin von «wir eltern» und<br />
hat den Mamablog auf «Tagesanzeiger.ch» initiiert<br />
und geleitet. Nicole Althaus ist Mutter von zwei<br />
Kindern, 16 und <strong>12</strong>.<br />
Tonia von Gunten, 42, ist Elterncoach, Pädagogin<br />
und Buchautorin. Sie leitet elternpower.ch, ein<br />
Programm, das frische Energie in die Familien<br />
bringen und Eltern in ihrer Beziehungskompetenz<br />
stärken möchte. Tonia von Gunten ist verheiratet<br />
und Mutter von zwei Kindern, 9 und 6.<br />
Peter Schneider, 58, ist praktizierender<br />
Psychoanalytiker, Autor und SRF-Satiriker («Die<br />
andere Presseschau»). Er lehrt als Privatdozent<br />
für klinische Psychologie an der Uni Zürich und<br />
ist Professor für Entwicklungspsychologie an<br />
der Uni Bremen. Peter Schneider ist Vater eines<br />
erwachsenen Sohnes.<br />
Haben Sie auch eine Frage?<br />
Schreiben Sie eine E-Mail an:<br />
redaktion@fritzundfraenzi.ch<br />
Bilder: Anne Gabriel-Jürgens / 13 Photo, Pino Stranieri, HO<br />
98 Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>7 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi
NATÜRLICH STARK BEI SINUSITIS<br />
Mehr Informationen finden Sie unter:<br />
www.emser.ch/sinusitis<br />
STARKE<br />
WIRKUNG<br />
—<br />
100% natürlich<br />
kein Gewöhnungseffekt<br />
abschwellend und<br />
regenerierend<br />
—<br />
—<br />
Siemens & Co, D-56119 Bad Ems
Von 20.–<br />
bis 1’000.– an<br />
der Kasse<br />
aufladen.<br />
Macht auch geheime Wünsche wahr.<br />
Die Geschenkkarte von Coop.<br />
Schenken Sie Freude. Mit der Geschenkkarte von Coop liegen Sie immer goldrichtig.<br />
Sie bestimmen einfach einen Wert zwischen 20.– und 1’000.– und überlassen es<br />
dem Beschenkten, wo er sich seine Wünsche erfüllt. Diese Geschenkkarte ist in jeder<br />
Verkaufsstelle der Coop-Gruppe gültig.<br />
Jetzt erhältlich bei: