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12/2016 - 01/2017

Fritz + Fränzi

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Fr. 7.50 <strong>12</strong>/Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> 1/Januar 2<strong>01</strong>7<br />

Fabian Grolimund<br />

Mein Kind ist<br />

ein Angeber<br />

Léni will leben<br />

Eine Mutter kämpft<br />

um das Leben ihrer<br />

krebskranken Tochter<br />

Was Eltern<br />

wissen müssen<br />

Sexualität


KATZE BOOTSIE<br />

Sie hat Sensoren am ganzen Körper, so dass<br />

sie auf Berührung und Interaktion reagiert.<br />

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Magische Wesen, die ganz von allein aus ihrem Ei<br />

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Editorial<br />

20<strong>01</strong> – <strong>2<strong>01</strong>6</strong><br />

Liebe Leserin, lieber Leser<br />

Wussten Sie, dass das Heft, das Sie gerade in den Händen halten,<br />

ursprünglich ganz anders heissen sollte? Auf der Suche nach<br />

einem knackigen Namen liessen sich die Gründerinnen vom<br />

Zürcher Werber Hermann Strittmatter beraten. «Ihr wollt mit<br />

dem Heft Eltern helfen, deren Kinder frech sind und Probleme<br />

machen?», fragte er. «Dann nennt es doch auch so: der Saugoof.»<br />

September 20<strong>01</strong><br />

Bild: Geri Born<br />

Nik Niethammer<br />

Chefredaktor<br />

Heute, 15 Jahre später, ist das Schweizer ElternMagazin der führende<br />

Elternratgeber der Schweiz. Mit dem Projekt Fritz+Fränzi<br />

ist ein Name eng verbunden: Ellen Ringier. Geprägt vom Satz<br />

ihres Grossvaters: «Im Leben geht es immer darum, anderen<br />

Menschen eine Chance zu geben», verspürte die Tochter eines<br />

Luzerner Pelzhändlers schon früh den Wunsch, Gutes zu tun.<br />

Nach dem Jusstudium und Wanderjahren in Deutschland gründete<br />

Ellen Ringier am 27. März 20<strong>01</strong> die Stiftung Elternsein. Die erste<br />

Ausgabe von Fritz+Fränzi erschien sechs Monate später. «Mein<br />

gedrucktes Sozialprojekt war ein Kraftakt gegen viele Widerstände»,<br />

erinnert sich die Ehefrau von Verleger Michael Ringier. «Mein<br />

Mann meinte, er wisse besser, wie man mit Zeitschriftenlancierungen<br />

Geld verliert.»<br />

Dezember 2005<br />

«Ellen Ringier öffnet uns die Augen<br />

für die Anliegen der Eltern – mit<br />

der Stiftung Elternsein und mit dem<br />

Magazin «Fritz+Fränzi». Ebenso<br />

thematisiert sie mit grossem Einsatz<br />

die Facetten von Jugendlichen,<br />

Grosseltern und Schulen – faktenorientiert<br />

und ohne Tabus. Dafür<br />

verdient sie meine Anerkennung<br />

und meinen aufrichtigen Dank.»<br />

Doris Leuthard, Bundesrätin<br />

Wer ältere Ausgaben durchblättert, stellt fest: Viele Themen sind<br />

heute dieselben: psychische Störungen, Jugendsuizid, pubertierende<br />

Jugendliche, gestresste Eltern. Auch<br />

der Stiftungszweck ist unverändert:<br />

Wir wollen mit unserem Ratgeber<br />

Eltern unterstützen und begleiten in<br />

guten wie in schwierigen Zeiten.<br />

Am 7. Dezember feiert Ellen Ringier<br />

ihren 65. Geburtstag. Meine Kollegin<br />

Evelin Hartmann und ich haben die<br />

Jubilarin zum Interview getroffen.<br />

Während zwei Stunden erzählte die<br />

ehemalige Spitzenkletterin aus ihrem<br />

bewegten Leben, schwärmte von ihren<br />

Enkelkindern und verriet, was sie<br />

immer noch antreibt. Am Ende – wir<br />

waren etwas eingeräuchert, die zweifache Mutter und Grossmutter<br />

ist leidenschaftliche Raucherin – äusserte sie ihren Herzenswunsch.<br />

Aber lesen Sie selbst.<br />

Ellen Ringier: «Disziplin war alles. Und Sport» – ab Seite 36.<br />

Februar 2007<br />

Oktober 2009<br />

Ich wünsche Ihnen wie immer viel Lesevergnügen mit dieser<br />

Doppelnummer. Die nächste Ausgabe erscheint am<br />

7. Februar 2<strong>01</strong>7. Bleiben Sie uns treu – folgen Sie uns auf<br />

www.fritzundfraenzi.ch.<br />

Herzlichst, Ihr Nik Niethammer<br />

September <strong>2<strong>01</strong>6</strong><br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>73


Inhalt<br />

Ausgabe <strong>12</strong> / Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> 1 / Januar 2<strong>01</strong>7<br />

Viele nützliche Informationen finden Sie auch auf<br />

fritzundfraenzi.ch und<br />

facebook.com/fritzundfraenzi.<br />

Augmented Reality<br />

Dieses Zeichen im Heft bedeutet, dass Sie digitalen Mehrwert<br />

erhalten. Scannen Sie mit der Fritz+Fränzi-App die Seite mit<br />

dem ar-Logo.<br />

Psychologie & Gesellschaft<br />

44 Scheidungskinder<br />

Wenn Eltern sich trennen, bricht für<br />

die Kinder eine Welt zusammen. Was<br />

Mütter und Väter beachten sollten.<br />

48 Mit Geld richtig umgehen<br />

Wer früh lernt, wie viel Dinge kosten,<br />

hat es später leichter. Deshalb ist das<br />

eigene Taschengeld so wichtig.<br />

50 Regenbogenfamilien<br />

Wie erfüllen sich homosexuelle Paare<br />

ihren Kinderwunsch? Und wie lebt es<br />

sich in diesen Familien?<br />

10<br />

Dossier: Sexualität<br />

10 Die Lust erwacht<br />

Wenn die Kinder ihren eigenen Körper<br />

entdecken, wissen viele Eltern nicht, wie<br />

sie damit umgehen sollen. Experten raten<br />

zu Offenheit in Sexfragen.<br />

24 Sex, wo bist du?<br />

Werden aus einem Paar Eltern, herrscht<br />

meist Flaute im Bett. Woran liegt das?<br />

Fünf Paare berichten, offen und ehrlich.<br />

Bild: André Schuster / plainpicture<br />

30 Zurück zur Leidenschaft<br />

Mangelnder Sex wird früher oder später<br />

zum Problem. Wie man das löst, verrät<br />

die Sexualberaterin Diane Richardson im<br />

Interview.<br />

Cover<br />

Wenn bei Teenagern<br />

die Sexualität<br />

erwacht – und wie<br />

bei Erwachsenen die<br />

Lust nicht einschläft:<br />

davon handelt unser<br />

Dezember-Dossier.<br />

Bilder: Sian Davey, Maurice Haas, / 13 Photo, Roshan Adhihetty / 13 Photo, Charlotte Schreiber<br />

4


36<br />

50<br />

72<br />

Ein bewegtes Leben: Wie wird man solch ein<br />

engagierter Mensch, Ellen Ringier?<br />

Wie geht es Kindern in Regenbogenfamilien?<br />

Gut, sagen Forscher in einer neuen Studie.<br />

Den Krebs besiegt: Léni (r.) mit ihrer<br />

Zwillingsschwester Finnja.<br />

Erziehung & Schule<br />

56 Die Sache mit der Erziehung<br />

Tagtäglich mit Kindern richtig<br />

umzugehen, ist nicht einfach. Die<br />

Pädagogik kann uns dabei helfen.<br />

58 Komm, tanz mit mir!<br />

Musik und Bewegung gehören<br />

zusammen. Gerade Kinder empfinden<br />

dabei pures Glück.<br />

62 «Liebes Christkind ...»<br />

Warum Kinder ihren Wunschzettel<br />

selbst schreiben sollten.<br />

66 Teenager im Kaufrausch<br />

Wer sein erstes eigenes Geld<br />

verdient, möchte sich Wünsche<br />

erfüllen. Das kann teuer werden.<br />

72 Léni will leben<br />

Wenn das eigene Kind an Krebs<br />

erkrankt, steht das Leben still.<br />

Eine Mutter berichtet von dem<br />

Unvorstellbaren.<br />

Ernährung & Gesundheit<br />

82 Heuschnupfen und Co.<br />

Allergien schränken das Leben ein.<br />

Wie sie entstehen und was man<br />

vorbeugend tun kann.<br />

86 Super, Suppe!<br />

Sie sind gesund und wärmen<br />

uns, wenns draussen kalt wird.<br />

Digital & Medial<br />

88 Gefahr Smartphone?<br />

Acht Elternsorgen rund um<br />

die Mediennutzung – und<br />

was wirklich dran ist.<br />

91 Mixed Media<br />

92 Teenager und Medien<br />

Die neue JAMES-Studie ist<br />

da – mit überraschenden<br />

Erkenntnissen.<br />

Rubriken<br />

03 Editorial<br />

06 Entdecken<br />

36 Monatsinterview<br />

Schon als Kind wollte Ellen Ringier<br />

Gutes tun. Am 7. Dezember wird die<br />

Präsidentin der Stiftung Elternsein 65.<br />

42 Mikael Krogerus<br />

Unser Kolumnist über die Filme<br />

seines Lebens.<br />

54 Jesper Juul<br />

Mit Kindern über den Tod zu<br />

sprechen, ist nicht immer leicht –<br />

aber wichtig.<br />

64 Fabian Grolimund<br />

gibt Tipps, wie Eltern mit kleinen<br />

Angebern umgehen sollten.<br />

68 Leserbriefe<br />

Service<br />

71 Verlosung<br />

85 Abo<br />

94 Unser Wochenende …<br />

… in Basel.<br />

96 Impressum/Sponsoren<br />

97 Buchtipps<br />

98 Eine Frage – drei Meinungen<br />

«Mama, wie gross wird mein<br />

Schnäbi?» Was soll eine Mutter<br />

darauf antworten?<br />

Die nächste Ausgabe erscheint<br />

am 7. Februar 2<strong>01</strong>7.<br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>75


Entdecken<br />

3 FRAGEN<br />

Mein Kind lügt nicht!<br />

Wirklich?<br />

Kanadische Psychologen zeigten<br />

kürzlich, dass sich Eltern bei der<br />

Wahrheitsliebe ihrer eigenen Kinder<br />

ordentlich etwas vormachen. In<br />

einem Experiment sahen Eltern<br />

Videos an, auf denen ihre acht- bis<br />

sechzehnjährigen Kinder behaupteten,<br />

einen Test ehrlich gelöst und<br />

nicht heimlich die Antworten nachgeschlagen<br />

zu haben. Diesen bekamen<br />

die Eltern und völlig fremde<br />

Erwachsene zu sehen. Während die<br />

unvoreingenommenen Fremden in<br />

vier von zehn Fällen eine Flunkerei<br />

auch richtig als solche erkannten,<br />

lagen die eigenen Eltern erschreckend<br />

häufig daneben.<br />

an Catherine Abbühl, Leiterin Rauchstopplinie, Krebsliga Schweiz<br />

«Ich möchte nicht, dass du rauchst!»<br />

Mit dem Rauchen aufzuhören, ist alles andere als leicht. Bei der<br />

Rauchstopplinie der Krebsliga Schweiz werden Menschen unterstützt, die<br />

sich das zum Ziel gesetzt haben. Catherine Abbühl leitet diese Hotline.<br />

Interview: Evelin Hartmann<br />

Frau Abbühl, viele Raucher wollen rauchfrei werden, wenn sie Eltern<br />

werden. Warum schafft das aber nicht jeder?<br />

Weil Rauchen eine Sucht ist und der Familienalltag zumindest in den ersten<br />

Jahren sehr fordernd ist. Man hat weniger Zeit, auf sich zu achten, Sport zu<br />

treiben. Und gerade junge Mütter berichten davon, dass sie die fünf bis<br />

zehn Minuten, in denen sie eine Zigarette rauchen, als die einzige Zeit des<br />

Tages wahrnehmen, die sie nur für sich haben.<br />

Und trotzdem wäre ein Rauchstopp wichtig.<br />

Kinder rauchen passiv mit, vor allem, wenn in ihrer Nähe geraucht wird.<br />

Ausserdem sind Eltern die Vorbilder ihrer Kinder. Aber auch Raucher<br />

können vor ihren Kindern klar Stellung gegen das Rauchen beziehen und<br />

sagen: «Ich bin süchtig, aber ich möchte nicht, dass du rauchst!»<br />

Wie können Sie einem Anrufer bei der Rauchstopplinie helfen?<br />

Zuerst definieren wir gemeinsam das Ziel. Das lautet in der Regel rauchfrei<br />

werden. Dann schauen wir uns seine Rauchergeschichte und die aktuelle<br />

Lebenssituation an, um daraus die passende Strategie ableiten zu können.<br />

Begleitend bieten wir auf Wunsch ein Coaching an. Die Nummer der<br />

Rauchstopplinie, 0848 000 181, steht auf jeder Zigarettenpackung.<br />

Alle Infos auf www.rauchstopplinie.ch<br />

21 Jahre, erst dann sind wir ganz erwachsen.<br />

Noch bei 18- bis 20-Jährigen brennen in<br />

emotionalen Ausnahmesituationen leichter die geistigen<br />

Sicherungen durch. Möglicherweise seien für die<br />

Emotionsverarbeitung notwendige Schaltkreise im Hirn mit<br />

18 noch nicht vollständig ausgereift, sagen US-Forscher.<br />

Die Stadt entdecken<br />

Steht bei Ihnen bald eine Städtereise an? Dann haben wir einen<br />

Tipp für Sie: Die knautschbaren Stadtkarten von Crumpled City<br />

Maps. Die können einfach nach Gebrauch zerknüllt, in der<br />

Jackentasche verstaut – und an der nächsten Strassenecke<br />

wieder hervorgekramt werden. Perfekt für Kinderhände! Die<br />

Crumpled City Maps sind nämlich aus reissfestem Papier und<br />

wasserfest. Die Knüllkarten gibt es<br />

mittlerweile für 30 Städte, darunter<br />

Zürich, Mailand, Hamburg und Paris, und<br />

auch als bunte Kinderversionen mit<br />

tollen Illustrationen und interessanten<br />

Besichtigungs-Highlights aus Kindersicht.<br />

Zu bestellen auf: www.palomarweb.com<br />

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Bilder: Bubbles Photolibrary / Alamy Stock Photo<br />

6 Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>7 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Rubrik<br />

Mimo verlost eine Fahrt<br />

mit Schlittenhunden für<br />

die ganze Familie.<br />

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31. Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong><br />

Lesen Sie die neuen, spannenden<br />

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Mimo kennenlernen<br />

Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>77


Entdecken<br />

Freiheit für Quirli<br />

Bis zum Mond und zurück Kinder fliegen wie ein Vogel oder reisen als Astronaut<br />

zum Mond. In ihrer Fantasie. Dass diese imaginären Abenteuer förderlich für ihre geistige<br />

Entwicklung sind, belegten nun Forscher der US-Universität von Alabama. Über fünf Wochen hinweg<br />

beobachteten die Forscher 110 Kinder im Alter von drei bis fünf Jahren, wovon 39 gezielt<br />

ermutigt wurden, sich regelmäs sig ins Als-ob-Spiel zu stürzen. Am Ende zeigte sich, dass diejenigen,<br />

die im Geist zum Mond geflogen waren, bei den anschliessend gestellten Aufgaben die meisten<br />

Lernerfolge erzielt hatten. Die Erklärung: Die Fantasievollen trainieren spielerisch die sogenannten<br />

exekutiven Funktionen, wie zum Beispiel ihre geistige Flexibilität. Sie wechseln ständig<br />

zwischen Wirklichkeit und Einbildung hin und her. Und das ist gar nicht so leicht.<br />

Quirlis Leben scheint vorbestimmt.<br />

Auf der Wetterfroschstation,<br />

auf der der kleine<br />

Frosch geboren wurde, wird<br />

ihm beigebracht, den Wechsel<br />

zwischen Regen und Sonne<br />

anzuzeigen. Aber Quirli ist einsam<br />

und unglücklich in seinem<br />

engen Glas. Da erzählt ihm sein<br />

Urgrossvater von einem schönen<br />

Teich, in dem alle Frösche<br />

frei herumschwimmen können<br />

… Ein schönes Kinderbuch<br />

über den Mut, zu sich selbst zu<br />

stehen und sein Leben in die<br />

Hand zu nehmen.<br />

Claudia Gross: Quirli – der<br />

Wetterfrosch. JuLa Verlag, <strong>2<strong>01</strong>6</strong>,<br />

Fr. 21.50, www.quirli.ch<br />

Ein wichtiger Schritt in der<br />

Angstbewältigung besteht<br />

darin, die Kontrolle über die<br />

Angst zu gewinnen. Eltern<br />

können mit ihrem Kind dem<br />

Angstauslöser einen Ort<br />

und eine Zeit zuweisen, sodass<br />

sich ihr Kind als «Chef»<br />

der Angst sehen kann.<br />

Kurt Albermann in einem Bericht des Beobachters<br />

über Kinderängste<br />

Dr. med. Kurt Albermann,<br />

Chefarzt am<br />

Sozialpädiatrischen<br />

Zentrum SPZ des<br />

Kantonsspitals Winterthur<br />

Auf in die Box!<br />

«Was raschelt denn da?» «Wo?» «Na da, gleich hier<br />

vorne.» Die Familienoper «Hänsel und Gretel» ist<br />

die erste Produktion des Musiktheaters in der<br />

neuen Box des Luzerner Theaters. Hier sind kleine<br />

und grosse Zuschauer ganz nah dran, wenn der<br />

Raum sich verwandelt: vom Zuhause, in dem<br />

gemeinsam gebacken, gebastelt und gesungen<br />

wird, in einen dunklen Wald. Engelbert Humperdinck<br />

schrieb keine reine Kinderoper, sondern blieb<br />

seinem Vorbild Richard Wagner treu und verband<br />

volksliedhafte Passagen mit spätromantischem<br />

Klangreichtum. Eine Stunde dauert diese bezaubernde<br />

Kinderoper im neuen, originellen Spielort<br />

zwischen Bühne und Jesuitenkirche. Hänsel und<br />

Gretel, ab 6 Jahren, am 21., 28., 30. Dezember<br />

<strong>2<strong>01</strong>6</strong>, 3. und 7. Januar 2<strong>01</strong>7, jeweils um 15 Uhr.<br />

Alle Infos auf www.luzernertheater.ch<br />

Bilder: iStockphoto, ZVG<br />

8 Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>7 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


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Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

EINZIGARTIG WIE IHRE EMOTIONEN – SEIT 1888<br />

Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>79<br />

UHREN SCHMUCK JUWELEN


Dossier<br />

Bild: Linnea Larsson / plainpicture<br />

10 Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>7 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Dossier<br />

Wenn die<br />

Sexualität<br />

erwacht<br />

Erforschen Kinder die Welt, gehört der eigene Körper dazu. Doch<br />

viele Eltern wissen nicht, wie sie der erwachenden Sexualität<br />

ihrer Kinder begegnen sollen. Keinesfalls mit Schweigen, raten<br />

Experten. Ein entspannter Umgang mit Sex und eine frühe<br />

Aufklärung begünstigen die körperliche Entwicklung der Kinder.<br />

Text: Claudia Marinka und Claudia Landolt<br />

Bilder: Linnea Larsson, Sian Davey, Ruth Erdt<br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>711


Dossier<br />

Die Bilder zu diesem Dossier stammen von<br />

den Fotografinnen Sian Davey und Ruth Erdt.<br />

Die Britin Sian Davey führte während<br />

15 Jahren eine Psychotherapiepraxis, seit<br />

2<strong>01</strong>4 arbeitet sie als Fotografin. Ruth Erdts<br />

bekannteste Fotoarbeiten sind «The Gang»<br />

und «Die Lügnerin». Für Fritz+Fränzi<br />

fotografierte die Zürcherin bereits das<br />

Dossier «Pubertät» (9/2<strong>01</strong>5).<br />

Beni und Max, beide fünf<br />

Jahre alt, haben sich<br />

zum Spielen in Max’<br />

Zimmer zurückgezogen.<br />

Eine Weile lang<br />

sind die üblichen Geräusche zu<br />

hören – Dinge, die zu Boden fallen,<br />

Gekreisch und Geschimpfe. Irgendwann<br />

ist es plötzlich still. Zu still,<br />

findet die Mutter, und horcht an der<br />

Kinderzimmertür. Sie hört ein<br />

Rascheln und viel, viel Kichern. Ein<br />

paar Minuten später kommen die<br />

beiden Freunde heraus, die T-Shirts<br />

vertauscht und die Köpfe hochrot.<br />

Am Abend fragt Mama ihren Sohn,<br />

was er denn mit seinem Freund so<br />

Lustiges gespielt habe. «Abzoge und<br />

glueget!», sagt Max strahlend.<br />

Tim ist dreizehn Jahre alt. Auf<br />

seiner Oberlippe spriesst ein zarter<br />

Flaum, auf seiner Stirn machen sich<br />

erste Pickel bemerkbar. Seit Kurzem<br />

besitzt er ein ausgeprägtes Schamgefühl.<br />

Umziehen will er sich nur noch<br />

hinter verschlossener Tür, nicht einmal<br />

sein ein Jahr jüngerer Bruder<br />

darf zuschauen. Er verbringt viel<br />

Zeit mit seinen Kollegen, zusammen<br />

gucken sie Videos und Filme – darunter<br />

auch solche mit Sexszenen.<br />

Küssen ist in seiner Klasse ein Thema.<br />

Bei ihm noch nicht. «Richtig»<br />

geküsst hat Tim noch nie – «isch<br />

gruusig!».<br />

Anders sein bester Freund Dan.<br />

Dieser hat einen vier Jahre älteren<br />

Bruder, der gerade sein erstes Mal<br />

hinter sich hat. Er ist es, der Dan in<br />

die Geheimnisse der Sexualität einweiht.<br />

Die beiden reden viel zusammen.<br />

Und Dan hat viele Fragen: «Ist<br />

es strafbar, wenn ich Pornos schaue?<br />

Wie lange muss ein Penis sein? Tut<br />

es weh beim ersten Mal?»<br />

Eltern spielen eine wichtige Rolle<br />

Fragen, die <strong>12</strong>- bis 16-jährige<br />

Jugendliche bewegen. Es sind dieselben<br />

Fragen, die schon die Generation<br />

ihrer Eltern interessiert hat.<br />

«Kindern und Jugendlichen stehen<br />

heute viele Kanäle zur Verfügung,<br />

um sich zu informieren», sagt Beatrix<br />

Wagner Minder, Beraterin bei<br />

der Elternberatung von Pro Juventute.<br />

«Themen wie Liebe und Sexualität<br />

beschäftigen fast alle Teenager.<br />

Entsprechend viele Diskussionen<br />

und Informationen finden sich im<br />

Internet.»<br />

Sexualaufklärung ist mehr als<br />

Biologie, sagen Fachleute. Das sehen<br />

Eltern nicht immer so. Für viele stehen<br />

Fragen rund um die erwachende<br />

Sexualität ihrer Kinder – Doktorspiele,<br />

Körperbewusstsein, Videos<br />

– im Vordergrund. Die kindliche<br />

Sexualität selbst tritt in den Hintergrund.<br />

Wenn Mädchen lustvoll auf Stühlen<br />

und Treppengeländern rutschen,<br />

Jungs die Hand am Hosenschlitz<br />

haben oder plötzlich stundenlang<br />

duschen, sind Mama und Papa oft<br />

irritiert. Warum? Weil die<br />

Sexualaufklärung ist mehr<br />

als Biologie, sagen<br />

Fachleute. Das sehen Eltern<br />

nicht immer so. >>><br />

Bild: Sian Davey<br />

<strong>12</strong>


Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>713


Dossier<br />

14 Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>7 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Dossier<br />

Eltern klären ihre Kinder so<br />

auf, wie sie selber aufgeklärt<br />

wurden. Die Themen sind<br />

heute dieselben wie früher.<br />

>>> eigenen Bilder und Vorstellungen<br />

von Sex nicht zu Kindern<br />

passen oder passen dürfen. Kindliche<br />

Lust und Sexualität sind grosse<br />

Tabus. Wie ein gesunder Umgang<br />

damit aussieht, wissen Eltern oft<br />

nicht. Doch gerade Eltern kommt<br />

beim Aufblühen kindlicher Sexualität<br />

eine wichtige Funktion zu.<br />

Zu diesem Schluss kommt die<br />

neuste Studie «Wahrnehmung, Deutung<br />

und Praxis der Sexualaufklärung<br />

im informellen Umfeld» der<br />

«Schweizerischen Stiftung für sexuelle<br />

und reproduktive Gesundheit».<br />

Die Studie wurde bei 27 Eltern und<br />

70 Jugendlichen in den drei Sprachregionen<br />

durchgeführt. Sie zeigt,<br />

dass Eltern ihre Kinder tendenziell<br />

so aufklären, wie sie selber aufgeklärt<br />

wurden. Die Themen sind dieselben<br />

wie damals: Verhütung, Fortpflanzung,<br />

Partnerschaft.<br />

Augenfällig sei dabei das Problem<br />

des Aneinandervorbeiredens<br />

zwischen Eltern und Kindern im<br />

familiären Umfeld, sagen die Verfasserinnen<br />

Manuela Käppeli, Vanessa<br />

Fargnoli und Maryvonne Charmillot.<br />

«Eltern glauben, sie wüssten,<br />

welche Kenntnisse ihre Kinder<br />

besitzen. Die Teenager nehmen dies<br />

aber anders wahr und spüren einen<br />

Graben zwischen sich und den<br />

Eltern.»<br />

Bild: Sian Davey<br />

Grosses Interesse der Teenager<br />

Kinder und Jugendliche interessieren<br />

sich für Sex. Wie stark das Interesse<br />

an schulergänzenden Aufklärungsangeboten<br />

ist, zeigt sich >>><br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>715


Dossier<br />

Sexuelle Handlungen von<br />

Erwachsenen (ab 16 Jahren)<br />

mit Kindern (unter 16 Jahren)<br />

sind per Gesetz verboten.<br />

>>> in der neusten, noch unveröffentlichten<br />

Umfrage von «Lust und<br />

Frust», der Fachstelle für Sexual pädagogik<br />

Zürich. An der Umfrage<br />

haben über 1000 Schüler teilgenommen.<br />

Demnach sind 89 Prozent mit<br />

dem (die schulische Aufklärung)<br />

ergänzenden Angebot «zufrieden»<br />

bis «sehr zufrieden». Die Altersgruppe<br />

der <strong>12</strong>- bis 14-Jährigen interessierte<br />

sich besonders für konkrete<br />

Fragen: «Ist das Kondom sicher<br />

genug oder muss ich auch die Pille<br />

nehmen? Warum werden aus Jungs<br />

Machos? Ist es normal, wenn ich<br />

blasen grusig finde?»<br />

«Die Jugendlichen schätzen an<br />

unserem Angebot besonders, dass<br />

sie ihre Fragen an onym stellen können<br />

und diese dann in geschlechtergetrennten<br />

Runden thematisiert<br />

werden», sagt Lilo Gander, Fachperson<br />

sexuelle Gesundheit in Bildung<br />

und Beratung bei «Lust und Frust».<br />

Knapp 80 Einsätze führt die Fachstelle<br />

jährlich durch. Für das laufende<br />

Schuljahr sei man längst ausgebucht.<br />

«Die Nachfrage ist viel höher<br />

als unser Angebot», sagt Gander.<br />

Von über 100 Anfragen konnte man<br />

bloss 78 berücksichtigen.<br />

«Die Jugendlichen verifizieren<br />

ihre Informationen selber. Sie wollen<br />

prüfen, ob das richtig oder falsch<br />

ist, was sie gehört oder gelesen<br />

haben», sagt Lilo Gander. Beispiel<br />

Pornos: Wenn man Jungs danach<br />

frage, ob Sex genau so funktioniere,<br />

verneinen sie und sagen, vieles sei<br />

gespielt. «Entgegen der Annahme<br />

von Erwachsenen können die<br />

Jugendlichen Fiktion und Wirklichkeit<br />

gut abstrahieren», sagt Gander.<br />

Die Fachfrau ist überzeugt: «Die<br />

Jugendlichen von heute sind gut aufgeklärt.»<br />

Die Schweiz weist europaweit<br />

eine der tiefsten Raten von Teenagerschwangerschaften<br />

aus, also<br />

ungewollte Schwangerschaften von<br />

unter 18-Jährigen. Gander: «Das hat<br />

auch damit zu tun, dass sich Jugendliche<br />

heute auf verschiedenen Kanälen<br />

über Sexualität informieren können.»<br />

Aufklärung schon ab Geburt<br />

Aufklärung kann nicht früh genug<br />

beginnen, sagen Fachleute. Sie plädieren<br />

für eine «Aufklärung ab<br />

Geburt». Nähe, Liebe, Körperkontakt<br />

– Bezugspersonen tragen entscheidend<br />

dazu bei, dass sich ein Kind im<br />

eigenen Körper wohlfühlt und entsprechend<br />

Grenzen setzt, >>><br />

Das Schutzalter –<br />

das sagt das Gesetz<br />

Sexuelle Handlungen von Erwachsenen<br />

(ab 16 Jahren) mit Kindern<br />

und Jugendlichen unter 16 Jahren<br />

sind verboten. Beträgt der Altersunterschied<br />

zwischen Jugendlichen<br />

jedoch weniger als 3 Jahre, ist die<br />

sexuelle Handlung nicht strafbar.<br />

So darf ein 17-Jähriger mit seiner<br />

15 Jahre alten Freundin schlafen,<br />

nicht jedoch eine 18-Jährige mit<br />

ihrem 14-jährigen Freund. Auch<br />

die Eltern tragen Verantwortung:<br />

Wenn sie von unerlaubten sexuellen<br />

Handlungen wissen, machen sie<br />

sich ebenfalls strafbar. Für Abhängigkeitsverhältnisse<br />

gilt ein Schutzalter<br />

von 18 Jahren. Das heisst,<br />

dass Lehrpersonen, Trainer/innen,<br />

Jugendarbeiter/innen oder auch<br />

Eltern keine Liebesbeziehung mit<br />

unter 18-Jährigen eingehen dürfen.<br />

Bild: Ruth Erdt<br />

16


Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>717


Dossier<br />

«Eltern, bleibt<br />

gelassen!»<br />

Wenn Kinder ihre Sexualität<br />

entdecken, stehen Eltern vor der<br />

Frage: Wie konkret dürfen wir bei der<br />

Aufklärung werden? Sexualpädagoge<br />

Bruno Wermuth über letzte<br />

Geheimnisse und Antworten auf<br />

schwierige Fragen.<br />

Interview: Claudia Marinka<br />

Herr Wermuth, wie werden Jugendliche<br />

heute aufgeklärt?<br />

Früher setzten sich Eltern mit ihrem Teenager<br />

an einen Tisch und lüfteten die letzten<br />

Geheimnisse der Sexualität. Heute besitzen<br />

bereits 10-Jährige ein Smartphone. Sie<br />

kommen schon vor der Pubertät mit vielen<br />

Aspekten der Sexualität in Berührung. Wir<br />

müssen davon ausgehen, dass sie im Netz<br />

Dinge sehen, die nicht für sie bestimmt sind.<br />

Es gibt also keine «letzten Geheimnisse»<br />

mehr?<br />

Mit 14 haben Jugendliche bereits ein Wissen,<br />

zu welchem Eltern oft nichts mehr beitragen<br />

können. Ich plädiere deshalb für eine kontinuierliche<br />

Aufklärung, die Teil der Erziehung<br />

ist und schrittweise im Entwicklungsverlauf<br />

eines Kindes entsteht.<br />

Warum tun sich viele Eltern schwer<br />

damit?<br />

Weil sie glauben, Kleinkinder interessierten<br />

sich nicht für Sexualität. Oder sie<br />

befürchten, damit schlafende Hunde zu<br />

wecken. Doch darum geht es nicht. Bereits<br />

Kleinkinder sollten einen entspannten<br />

Umgang mit ihrem Körper haben und diesen<br />

als etwas Schützens- und Liebenswertes<br />

erachten. Genau daraus entsteht die Möglichkeit,<br />

sich abzugrenzen. Was man schätzt,<br />

schützt man auch.<br />

Wie meinen Sie das konkret?<br />

Man muss Jungs beispielsweise begreifbar<br />

machen, dass ihr Genital nicht nur zum<br />

Pinkeln da ist, sondern eben auch für angenehme<br />

Empfindungen sorgt. Schon Säuglinge<br />

haben Hauthunger. Dieser darf und<br />

muss befriedigt werden – beispielsweise<br />

durch körperliche Zuwendung der Eltern.<br />

Und später durch Doktorspiele. Man muss<br />

als Eltern das Thema Sexualität auf den<br />

verschiedensten Entwicklungs- und Altersstufen<br />

immer wieder neu interpretieren.<br />

Wie soll man die Geschlechtsteile den<br />

Kindern gegenüber benennen?<br />

Penis ist für uns ein Fremdwort. Wir reden<br />

im Alltag ja auch nicht Latein, warum sollten<br />

wir es beim Benennen von Geschlechtsorganen<br />

tun? Es ist legitim, jene Begriffe<br />

zu verwenden, die man selber als Kind<br />

gebraucht hat. Man sollte aber auch offen<br />

sein, wenn ein Kind mit anderen Begriffen<br />

nach Hause kommt. Es ist sein Recht, diese<br />

zu verwenden, auch wenn sie für die Eltern<br />

gewöhnungsbedürftig sind. Spricht das<br />

Kind von «Ficken», sollte man gelassen<br />

reagieren und nachfragen, was es damit<br />

meint. Sexual entwicklung ist auch Sprachentwicklung.<br />

Nicht alles ist Provokation oder<br />

Verrohung.<br />

Wie sollen Eltern reagieren, wenn sie<br />

von ihrem Kind beim Sex überrascht<br />

werden?<br />

Kinder dürfen und sollen sehen können,<br />

dass sich die Eltern gern haben. Eltern<br />

sollen ihre Sexualität weiter pflegen, wenn<br />

sie Kinder haben. Platzt das Kind mitten<br />

18 Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>7 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Dossier<br />

>>> wenn es etwas nicht mag.<br />

«Wer sich sicher fühlt, geht auch<br />

selbstsicher mit der eigenen Sexualität<br />

um», sagt Lilo Gander.<br />

Im Grundsatz gilt: Die sexuelle<br />

Entwicklung von Kindern wird von<br />

Erfahrungen und Erlebnissen<br />

geprägt, die nicht im engeren Sinn<br />

sexuell sind. So umschreibt es Bernadette<br />

Schnider-Oester, Sexualpädagogin<br />

bei der Fachstelle «Berner<br />

Gesundheit»: «Damit Aufklärung in<br />

der Familie gelingen kann, müssen<br />

Eltern auf ihr Kind zugehen und<br />

nicht warten, bis das Kind Fragen<br />

stellt.» Es gelte, bewusst und nicht<br />

zu spät zu entscheiden, welche Aufgaben<br />

die Eltern selbst übernehmen<br />

möchten und welche sie mit gutem<br />

Gefühl der Schule, den Gleichaltrigen<br />

oder den Medien überlassen<br />

möchten.<br />

«Man darf kindliche Sexualität<br />

niemals durch die Brille der erwachsenen<br />

Sexualität sehen», sagt Ulrike<br />

Schmauch, Professorin für Sexualpädagogik<br />

an der Frankfurt University<br />

of Applied Science in einem<br />

Interview mit der «ZEIT». >>><br />

Wie geht Aufklärung?<br />

Eltern sollten auf ihr Kind<br />

zugehen und nicht warten,<br />

bis es selber Fragen stellt.<br />

Bild: Ruth Erdt<br />

im Liebesspiel ins Schlafzimmer, sollte<br />

man sofort aufhören und ruhig bleiben.<br />

Hat das Kind Fragen, muss man darauf eingehen.<br />

Wenn es beispielsweise wissen will,<br />

was Papa und Mama da gerade gemacht<br />

haben, kann man ihm erklären, dass sich<br />

beide sehr lieb gehabt haben und miteinander<br />

spielten. Kinder wollen meistens<br />

keine Details wissen, sondern über das<br />

reden, was sie erlebt haben und das ihnen<br />

vielleicht Angst macht – zum Beispiel das<br />

laute Stöhnen von Mama, während Papa sie<br />

«festgehalten» hat.<br />

Viele Eltern sind beim Thema Sexualität<br />

gehemmt.<br />

Wenn Eltern selber die Körperteile<br />

benennen, senden sie die Botschaft, dass<br />

man über solche Dinge reden kann. Viele<br />

Eltern vergessen leider, dass Schweigen<br />

auch eine Botschaft ist. Wer nicht gelernt<br />

hat, über sexuelle Dinge zu reden, leidet im<br />

Erwachsenenalter.<br />

Wann sollen Eltern ihre Kinder aufklären?<br />

Von Geburt an. Zentral ist, dass sie keine<br />

Abwehrhaltung haben gegenüber Themen,<br />

die Sexualität betreffen. Und dass sie Fragen<br />

der Kinder ernst nehmen. Die ehrliche<br />

Beantwortung dieser Fragen führt nicht<br />

dazu, dass die Kinder Sexmonster werden.<br />

Man muss Raum schaffen, um zu reden,<br />

und die Fragen über Sexualität als Beziehungsangebot<br />

sehen. Tragisch ist, wenn<br />

Eltern durch ihre abwehrende Haltung die<br />

Beziehung zum Kind verlieren. Man kann<br />

schon sagen: Über dieses Thema wollen<br />

wir nicht mehr reden oder jenes Verhalten<br />

wollen wir nicht mehr sehen. Aber man<br />

sollte sich nicht wundern, wenn das Kind<br />

sich dann anderswo informiert – bei Personen<br />

oder Quellen, die den Eltern möglicherweise<br />

missfallen.<br />

Welchen Fehler machen Eltern häufig?<br />

Es ist fatal, wenn Eltern den Kindern ihre<br />

eigene sexuelle Anschauung überzustülpen<br />

versuchen. Kinder können ja gar keine Perspektive<br />

einnehmen, die sich stark von der<br />

Perspektive der Eltern unterscheidet. Wenn<br />

Kinder mit ihrem Geschlechtsorgan spielen,<br />

bringen sie das nicht mit sexueller Befriedigung<br />

oder einem Orgasmus in Verbindung.<br />

Die Eltern aber schon. Eltern sollten sich<br />

bewusst sein, dass das, was sexuell ist, im<br />

Auge der betrachtenden Person liegt.<br />

Welche Rollen spielen Väter in der<br />

Aufklärung?<br />

Eine sehr grosse. Leider wird diese unterschätzt.<br />

Auch Männer sind explizit dazu eingeladen,<br />

ihre Kinder in die Arme zu nehmen.<br />

Sie sollen sich nicht einschüchtern lassen<br />

vom Verdacht der Pädophilie, der leider bei<br />

Männern, die liebevoll mit ihren Kindern<br />

umgehen, oft im Raum steht. Es ist schlimm,<br />

wenn ein Mann Angst hat, dass seine Partnerin<br />

einen liebevollen Austausch mit dem<br />

eigenen Kind gegen ihn verwenden könnte.<br />

Bruno Wermuth<br />

ist Sexualtherapeut und Sexualpädagoge<br />

mit eigener Praxis für systemische Einzel-,<br />

Paar- und Sexualberatung in Bern. Daneben<br />

führt er Bildungsveranstaltungen zu<br />

Sexualität und Sexualerziehung durch.<br />

www.brunowermuth.ch<br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>719


Dossier<br />

Eltern tun gut daran, ihren Kindern<br />

zu vermitteln, dass Sexualität<br />

etwas Schönes ist. Und nicht in<br />

erster Linie etwas, das Sorgen bereitet.<br />

>>> Während Erwachsene auf der gen, die Erwachsene oft damit verbinden.<br />

Suche nach Lustgewinn stark auf<br />

den Orgasmus fixiert sind, unterscheiden<br />

Kinder – zumindest die<br />

jüngeren – nicht zwischen Zärtlichkeit,<br />

Sinnlichkeit und genitaler<br />

Sexualität. Sie nutzen einfach jede<br />

Gelegenheit, um mit allen Sinnen<br />

schöne Gefühle zu bekommen. Das<br />

Sexuelle ist dabei mehr auf sich<br />

bezogen, spontan und unabhängig<br />

von Liebe und anderen Vorstellun­<br />

Eltern kennen das: Wenn Kinder<br />

etwas interessiert, fragen sie nach.<br />

Egal, um was es dabei geht: Die Frage,<br />

warum Frauen kein «Zipfeli»<br />

haben, interessiert sie ebenso wie die<br />

Entstehung von Nebel oder ob es<br />

Gott sei, der in der Kirche wohnt. Sie<br />

fragen, scherzen und provozieren –<br />

um herauszufinden, was sie zu wem<br />

wie sagen können. «Die sexuelle<br />

Neugier gehört zu einer gesunden<br />

Entwicklung», sagt Schmauch in der<br />

«ZEIT». Dabei müsse man Kinder<br />

nicht wie früher aktiv zu Doktorspielen<br />

anleiten, sondern «es ihnen<br />

Sexualität beginnt im Mutterleib<br />

Schon im Leib der Mutter haben männliche<br />

Föten gelegentlich Erektionen. Und direkt<br />

nach der Geburt, in den ersten 24 Stunden,<br />

reagieren viele Babys auch körperlich auf physische<br />

Reize wie die Wärme der Mutter oder die<br />

Stimulation der Lippen beim Stillen: Ihr Penis<br />

oder ihre Klitoris schwillt an. Säuglinge im Alter<br />

von drei bis vier Monaten lächeln, gurren oder<br />

zeigen sich anders freudig erregt, wenn sie<br />

sich stimulieren. Und ab zwei bis drei Jahren,<br />

wenn der Gang zum Töpfchen angesagt ist,<br />

interessieren sie sich auch, woher denn «Pipi»<br />

und «Gaggi» kommen, und thematisieren dies.<br />

In diesem Alter stellen sie auch explizite Fragen<br />

zum Thema Sex. Zwischen zwei und drei Jahren<br />

stellen sie Geschlechterunterschiede fest, es<br />

folgen Zuordnung und Sprachentwicklung.<br />

Ab acht Jahren stehen Fragen zur Entstehung<br />

einer Schwangerschaft, Empfängnis und Verhütung<br />

im Vordergrund. Mit neun bis elf Jahren<br />

verfügen Jugendliche über ein recht umfangreiches<br />

Wissen rund um das Thema Sexualität.<br />

einfach ermöglichen und entsprechende<br />

Rückzugsorte bieten».<br />

Die Möglichkeit, einen solchen<br />

Ort zu haben, ist enorm wichtig für<br />

die gesunde sexuelle Entwicklung.<br />

«Kinder brauchen Erwachsene, die<br />

dem Thema Körperlichkeit und Lust<br />

neugierig und entspannt gegenüberstehen.<br />

Die in der Lage sind, die<br />

kindlichen Bedürfnisse gegenüber<br />

ihren eigenen Bedürfnissen zu ab ­<br />

stra hieren», sagt Sexualpädagoge<br />

Bruno Wermuth (siehe Interview<br />

Seite 18). «Erwachsene sollen be ­<br />

stimmte Bereiche, Orte und Freiräume<br />

den Kindern überlassen, damit<br />

sie dort frei spielen können und sich<br />

nicht ständig beobachtet, bevormundet<br />

und kontrolliert fühlen.»<br />

Das bedingt, dass Erwachsene<br />

mit ihrer eigenen Geschlechtsidentität<br />

im Reinen sein müssen. Denn<br />

nur dann seien sie in der Lage, Ge ­<br />

schehenes einzuordnen oder >>><br />

Bild: Ruth Erdt<br />

20


Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>721


Dossier<br />

22 Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>7 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Dossier<br />

Eltern müssen ihre Kinder nicht<br />

zu Doktorspielen anleiten. Aber<br />

Kinder brauchen Rückzugsorte, wo<br />

sie ihren Körper erkunden können.<br />

>>> entsprechend zu reagieren,<br />

wenn sich Kinder anders verhielten<br />

als erwartet, so Wermuth.<br />

Sexuell aufgeklärte Jugendliche<br />

haben, wie verschiedene Untersuchungen<br />

zeigen, später den ersten<br />

Geschlechtsverkehr (in der Regel<br />

mit 17 Jahren), experimentieren<br />

weniger und setzen sich weniger<br />

dem Risiko aus.<br />

Eltern tun also gut daran, ihrem<br />

Kind zu vermitteln, dass Sexualität<br />

etwas Schönes, Lustvolles ist und<br />

nicht in erster Linie etwas, das Sorge<br />

bereitet. So wie Max und Beni in<br />

ihrem unschuldigen nachmittäglichen<br />

Spiel.<br />

>>><br />

Broschüren und Literatur<br />

zum Thema:<br />

Downloads für Kinder von 0 bis 6<br />

und ab <strong>12</strong>: www.sundx.ch<br />

Leitfaden zur Sexualerziehung:<br />

Download unter:<br />

www.kinderschutz.ch,<br />

Stichwort Sexualerziehung<br />

Sexualaufklärung in der Schule:<br />

www.bag.admin.ch, Stichwort:<br />

Themen: HIV und Aids/Fachpersonen/Sexualpädagogik<br />

Bild: Ruth Erdt<br />

Claudia Marinka<br />

ist Journalistin mit Schwerpunkt<br />

Gesellschaftsfragen. Die zweifache Mutter<br />

lebt mit ihrer Familie in der Nähe von Zürich.<br />

Claudia Landolt<br />

leitende Autorin beim Schweizer<br />

ElternMagazin, ist Mutter von vier Buben.<br />

Sie lebt mit ihrer Familie im Kanton Aargau.<br />

Webseiten für Eltern<br />

und Kinder:<br />

www.feel-ok.ch<br />

www.147.ch<br />

www.durchblick.ch<br />

www.maedchenonline.ch<br />

www.castagna-zh.ch<br />

www.tschau.ch<br />

www.jugendundmedien.ch<br />

www.lilli.ch<br />

www.lustundfrust.ch<br />

www.projuventute.ch<br />

23


Dossier<br />

Haben Sie noch Sex –<br />

oder schon Kinder?<br />

In vielen Elternbetten herrscht sexuelle Flaute, sobald Kinder da sind.<br />

Weil Sex zur logistischen Herausforderung wird. Weil man übermüdet ist.<br />

Weil die Lust fehlt. Fünf Paare erzählen, warum ihnen der Sex abhanden<br />

gekommen ist. Und wie sich das anfühlt. Text: Claudia Landolt Bilder: Ruth Erdt<br />

Geschrumpfter<br />

Sextrieb<br />

Nora, 43, Krankenschwester, und<br />

Philipp, 47, Arzt, sind seit fast<br />

20 Jahren ein Paar. Sie haben<br />

zusammen drei Kinder. Der<br />

Alltags- und Organisationsstress<br />

macht ihnen sehr zu schaffen.<br />

Beide wünschen sich mehr Sex,<br />

vor allem Nora. Sie zweifelt<br />

daran, dass ihr Mann sie noch<br />

begehrt, weil er einfach keine<br />

Initiative mehr ergreift.<br />

Philipp: Ich hätte mir das nie träumen<br />

lassen, dass ich keine Lust mehr auf<br />

Sex habe. Mein Sextrieb ist total<br />

geschrumpft. Seit ich mich selbständig<br />

gemacht habe, arbeite ich noch mehr<br />

als sonst, 80 Stunden sind keine Ausnahme.<br />

Dazu die Angst, dass ich meine<br />

Familie nicht ernähren kann. So eine<br />

neue Existenz ist ja auch immer mit<br />

einem Risiko verbunden. Ich weiss,<br />

dass der Jobstress nicht ideal ist und<br />

mir nicht guttut. Ich schlafe auf dem<br />

Sofa vor dem Fernseher ein und habe<br />

keine Nerven für meine Kinder. Das<br />

macht mich fertig. Meine Frau tut, als<br />

ob es nur an mir läge, dass wir kaum<br />

noch miteinander schlafen. Das macht<br />

ja nicht gerade weniger Druck. Sag,<br />

Nora, das letzte Mal, wann war das?<br />

Nora: An Silvester. Wir hatten kinderfrei.<br />

Philipp: Was, so lange, das kann doch<br />

nicht sein!<br />

Nora. Doch. Ich weiss schon gar nicht<br />

mehr, wann du das letzte Mal scharf auf<br />

mich warst.<br />

Philipp: Das ist Quatsch, und dass du<br />

das denkst, stresst mich ganz schön.<br />

Ich habe sowieso schon das Gefühl,<br />

dass etwas mit mir nicht stimmt. Wenn<br />

ich mich in meinem Freundeskreis<br />

umhöre, habe ich den Eindruck, dass<br />

keiner meiner Freunde so abgetörnt ist<br />

wie ich.<br />

Nora: Uns fehlt schlicht die Zeit. Wir<br />

geben uns ja nur noch die Klinke in die<br />

Hand, und die Woche ist dermassen<br />

getaktet, dass ich mir vorkomme wie<br />

ein ferngesteuertes Alien. Auch wenn<br />

ich abends eher in Kuschelstimmung<br />

bin, würde ich manchmal zu gerne mit<br />

dir schlafen, kann mich aber nicht aufraffen,<br />

den ersten Schritt zu tun, weil<br />

ich ja selber so müde bin.<br />

Philipp: Das hört sich ja auch nicht toll<br />

an. Ich möchte nicht, dass du dich überwinden<br />

musst, um mit mir zu schlafen!<br />

Nora: Klar. Mir reicht es aber auch<br />

nicht, mich wie eine vertrocknete Jungfrau<br />

zu fühlen und zu hoffen, dass mein<br />

Mann irgendwann mal nicht mehr wie<br />

eine müde Pflaume abends rumhängt.<br />

Letzthin habe ich mich dabei ertappt,<br />

wie ich anderen Männern nachgesehen<br />

habe und mich nach einer aufregenden<br />

Affäre sehnte. Das kann es doch nun<br />

wirklich nicht sein!<br />

24 Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>7 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Dossier<br />

Zu wenig Sex<br />

Lily, 35, Hausfrau, und Thomas, 40, Arzt,<br />

haben zusammen einen siebenjährigen<br />

Sohn. Sex ist in ihrer Beziehung sehr<br />

wichtig. Doch seit sie ein Kind haben, ist<br />

nichts mehr so wie vorher. Lily mag<br />

Abendsex und schläft gerne aus, Thomas<br />

hingegen muss früh raus. Beide haben<br />

weniger Sex, als sie wollen, und sind<br />

deswegen oft frustriert.<br />

Lily: Ich sehne mich oft nach dem leidenschaftlichen,<br />

spontanen Sex von einst zurück. Da Thomas<br />

schnarcht und Schicht arbeitet, haben wir<br />

getrennte Schlafzimmer. Manchmal schleiche<br />

ich mich nachts zu ihm, doch das mag er nicht,<br />

weil er durch seine Arbeitszeiten in der Klinik oft<br />

übermüdet ist. Dann liege ich nachts wach im<br />

Bett und mache mir Sorgen, ob unsere Beziehung<br />

eine Krise durchmacht und wie das weitergehen<br />

soll. Wenn wir es alle paar Wochen tun, hat<br />

der Sex nicht auch nur annähernd die Qualität<br />

von früher. Es ist nach wenigen Minuten vorbei.<br />

Da ich mehrere Fehlgeburten hatte, habe ich<br />

manchmal Schmerzen beim Geschlechtsverkehr,<br />

besonders bei Quickies. Ich ertappe mich dann,<br />

den Akt durchzuziehen, weil ich Thomas nicht<br />

enttäuschen will. Ich hoffe, dass sich das irgendwie<br />

wieder legt und wir wieder Spass miteinander<br />

haben können, ohne das Gefühl, jetzt einfach nur<br />

Zackzacksex zu haben, um sich zu beweisen,<br />

dass man noch ein Paar ist.<br />

Thomas: Mit Lily hatte ich Triple-A-Sex – bevor<br />

unser Sohn zur Welt kam. Lily war ein Modeltyp,<br />

gross und gertenschlank. Die Schwangerschaftskilos<br />

hat sie nie ganz weggekriegt. Das stört<br />

mich nicht, auch wenn ich sie früher heis ser<br />

fand. Eine Beziehung ohne Sex käme für mich<br />

aber nie in Frage. Umso mehr fällt es mir schwer,<br />

zu akzeptieren, dass unsere Sexquote dermassen<br />

mies ist, seit wir ein Kind haben, das ein<br />

schlechter Schläfer und dauernd krank ist.<br />

Manchmal fühle ich mich wie eine Rakete vor<br />

dem Start, es ist, als ob mein Unterleib gleich<br />

explodieren würde. Dann haben wir Notsex. Der<br />

hinterlässt aber einen schalen Beigeschmack,<br />

weil ich weiss, dass es für beide eigentlich un ­<br />

befriedigend ist. Ich habe Angst, dass das jetzt<br />

für immer so bleibt.<br />

Sex wird<br />

überbewertet<br />

Samuel, 51, ist Berater und seit<br />

20 Jahren mit seiner Frau Lisa, 48, einer<br />

Lehrerin, zusammen. Sie haben zwei<br />

Kinder im Teenager alter. Er findet, Sex<br />

werde überbewertet.<br />

Samuel: Ich war meiner Frau immer treu, auch<br />

wenn es Versuchungen gab, gerade in Krisensituationen.<br />

Aber für mich ist klar, dass wir<br />

zusammengehören. Ebenso klar ist mir und auch<br />

Lisa, dass Sex nach so vielen Jahren ein anderer<br />

Stellenwert hat als früher. Wenn wir jetzt miteinander<br />

schlafen, alle paar Wochen einmal, ist<br />

der Sex sehr zärtlich, ein ausgedehntes Liebesspiel.<br />

Der Orgasmus steht dabei gar nicht so im<br />

Vordergrund, zumal ich ja auch schon älter bin.<br />

Wenn wir jetzt miteinander schlafen, ist es eine<br />

Begegnung, kein schneller Sex. Wir sind im Alltag<br />

sehr zärtlich zueinander, umarmen uns oft, küssen<br />

uns jedes Mal, wenn wir uns sehen, und<br />

lachen viel zusammen. Das ist mir sehr viel wert.<br />

Als ich jünger war und die Kinder klein, haben<br />

mich Sexflauten immer gestört. Mittlerweile<br />

sehe ich es anders. Ich glaube, Sex wird in langjährigen<br />

Beziehungen schlicht überbewertet. Es<br />

gibt immer Phasen, in denen der eine weniger<br />

Lust hat oder Sex für ihn einfach kein Thema ist.<br />

So what? Das ist kein Grund, sich zu trennen<br />

oder eine Affäre zu beginnen. Die Nähe zwischen<br />

zwei Menschen, die unbedingte Loyalität, die<br />

gemeinsame Geschichte ist doch viel mehr wert<br />

als eine schnelle Nummer, die mir bloss beweist,<br />

was für ein toller Hecht man noch ist.<br />

>>><br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>725


Dossier<br />

26 Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>7 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Dossier<br />

Keine Lust auf ihn<br />

Sonja, 39, Kindergärtnerin, ist seit<br />

dreizehn Jahren mit ihrem Mann Lukas,<br />

38, einem Polizisten, liiert. Sie sind<br />

Eltern von dreijährigen Zwillingen. Vor<br />

der Geburt hatten die beiden ein<br />

regelmässiges Sexleben. Seit Geburt<br />

der Kinder herrscht totale Flaute: kein<br />

Sex seit fast vier Jahren.<br />

Sonja: Vielleicht stimmt ja etwas nicht mehr mit<br />

mir. Ich finde meinen Mann attraktiv; er ist ein<br />

toller Vater und ein sehr loyaler, grosszügiger<br />

Partner. Unsere Beziehung verläuft harmonisch.<br />

Wir tauschen Zärtlichkeiten aus und küssen uns,<br />

doch mehr geht nicht. Schon in der Schwangerschaft<br />

hatten wir kaum Sex, er begehrte mich<br />

weniger als zuvor, sagte, er hätte Angst, dem<br />

Baby zu schaden. Ich glaube jedoch, es lag an<br />

meinem wirklich dicken Bauch. Dass die Erotik<br />

zwischen uns weg ist, beschäftigt mich sehr,<br />

auch wenn ich nicht ganz unschuldig daran bin.<br />

Kurz nach der Geburt fand ich SMS von ihm an<br />

eine andere Frau. Ich bekam die Krise. Ich zu<br />

Hause mit den Zwillingen, zu Tode erschöpft,<br />

unattraktiv und mit Schwabbelbauch, und mein<br />

Mann hat eine Affäre? Das hat mich so empört,<br />

dass ich mich zurückzog. Nach einem Jahr kehrte<br />

ich an meinen Arbeitsplatz zurück und lernte<br />

einen Mann kennen, in den ich mich rettungslos<br />

verliebte. Der Sex war so, wie man ihn sich vorstellt:<br />

heftig, explosiv. Aus schlechtem Gewissen<br />

beendeten wir die Sache und gingen freundschaftlich<br />

auseinander. Mein Mann weiss von der<br />

Geschichte. Eine Trennung ist für uns beide kein<br />

Thema. Doch ob ich eine sexlose Beziehung auf<br />

Dauer weiterführen kann, bezweifle ich. Ich hoffe<br />

sehr, dass es irgendwann auch wieder mit der<br />

Lust klappt und er in mir wieder die heisse Frau<br />

sieht, in die er sich einmal verliebte, nicht nur<br />

das Muttertier.<br />

Porno und<br />

Facebook<br />

Eric, 39, ist Informatiker, Vater von zwei<br />

Kindern. Seine Frau Sandra, 40, kennt<br />

er seit 15 Jahren. Nun hat die Anziehung<br />

nachgelassen. Den Kick holt sich Eric<br />

daher woanders – bei Pornos und in<br />

Chats mit einer Jugendliebe.<br />

Eric: Während meines Studiums verliebte ich<br />

mich unsterblich. Es war kompliziert und dauerte<br />

nicht lange. Doch ich habe diese Frau nie vergessen.<br />

Inzwischen ist sie verheiratet und hat<br />

ebenfalls Kinder. Über Facebook fand ich sie<br />

zufällig wieder. Jetzt ist sie das Objekt meiner<br />

sexuellen Fantasien, mit denen ich mein träge<br />

gewordenes Sexleben aufpeppe. Ich kontaktiere<br />

sie über Chats und fantasiere eine gemeinsame<br />

Begegnung zusammen. Das erregt mich dann so<br />

sehr, dass ich mich befriedigen muss, einmal<br />

sogar auf der Toilette in meiner Firma. Das ist<br />

besser als jeder Porno. Gegen Pornos als Stressabbau<br />

hat meine Frau nichts, aber wenn sie das<br />

mit dieser ehemaligen Flamme herausfinden<br />

würde, wäre ich geliefert. Oft habe ich deswegen<br />

ein schlechtes Gewissen, denn ich liebe meine<br />

Frau ja und will sie gar nicht verlassen.<br />

Sandra: Ich liebe Eric sehr. Zu Beginn unserer<br />

Beziehung konnten wir voneinander nicht genug<br />

kriegen. Ich bin eher prüde, er gar nicht, das war<br />

interessant! Eric war der erste Mann, mit dem<br />

ich einen Porno schauen konnte, ohne rot zu<br />

werden. Wir haben eine sehr enge Beziehung und<br />

machen fast alles zusammen. Für mich ist es<br />

normal, dass die Erotik mit den Jahren nachgelassen<br />

hat. Wir haben noch Sex, einfach nicht<br />

mehr so häufig wie früher. Gute Gespräche und<br />

eine wirkliche Anteilnahme am gegenseitigen<br />

Leben ist mir aber heute fast wichtiger; ich finde<br />

das intimer als den reinen Sex. Ich weiss, dass<br />

Eric wohl gern mehr Sex hätte, aber genug reif<br />

ist, um die Situation zu akzeptieren.<br />

>>><br />

27


Dossier<br />

Kann eine Beziehung ohne Sex gut gehen? Und sechs weitere<br />

Fragen an Diplompsychologin Catherine Herriger<br />

Interview: Claudia Landolt<br />

Frau Herriger, die sexuelle Anziehungskraft verfliegt bei<br />

jedem Paar nach einer gewissen Zeit. Warum tun sich<br />

viele schwer damit?<br />

Weil das Stadium des Verliebtseins, die Schmetterlinge im<br />

Bauch, diese unglaubliche Intensität so wunderbar war, so<br />

alles rundum und ganz selbstverständlich beflügelnd – und<br />

so gratis. Und dann kehrt der Alltag ein: die rosarote Brille der<br />

Verliebtheit wird langsam durch die der Realität ersetzt, der<br />

Partner oder die Partnerin ist gar nicht mehr so wunderbar,<br />

wie es vorerst schien, entsprechend ist die spontane Lust allmählich<br />

verflogen. Nun müssten auch andere, jetzt partnerschaftliche<br />

Qualitäten greifen, damit gegenseitig ein gereifteres<br />

Begehren Einzug halten kann. Doch setzt das die<br />

Bereitschaft zu einer teilweise echt mühsamen Beziehungsarbeit<br />

voraus.<br />

Durch Kinder verfliegt die Lust auf Sex. Bei manchen<br />

bleibt er fast auf der Strecke. Ist das problematisch?<br />

Nur bedingt, nämlich dann, wenn die Partner fixe Vorstellungen<br />

haben oder sich an ihrer verliebten Vergangenheit orientieren<br />

wollen.<br />

Wie könnte ein Ausweg aussehen?<br />

Druck wegnehmen! Der Begriff «Sex» ist allzu verallgemeinernd<br />

und damit für viele irreführend. Sexualität beinhaltet<br />

keinesfalls nur Geschlechtsverkehr, sondern auch Eros, also<br />

Zärtlichkeit und vertraute Nähe. Wenn dann keine künstlich<br />

erzeugte Erwartungshaltung vorhanden ist, kann «einfach so»<br />

aus einem zufriedenen Miteinanderkuscheln mehr entstehen.<br />

Was halten Sie von Sex als Rendez-vous, eingetragen im<br />

Kalender?<br />

Das ist reiner Quatsch! Damit landen wir wieder bei den Lustkillern<br />

Leistungsdruck und Erwartungshaltung – sowohl bei<br />

ihm wie bei ihr.<br />

Kann eine Beziehung ohne Sex auf Dauer gut gehen?<br />

Warum denn nicht? Solche Paare leben wahrscheinlich mit<br />

recht viel Zärtlichkeit und spüren auf diese Weise erfüllende<br />

Nähe. Voraussetzung ist natürlich, dass dieser Zustand für<br />

beide Seiten auch wirklich stimmig ist.<br />

Was, wenn sich ein Partner plötzlich verliebt?<br />

Tja, es gibt wahrscheinlich für uns alle zig Menschen, in die wir<br />

uns verlieben könnten. Je komplexer oder gar belasteter unser<br />

Alltag ist, umso anfälliger sind wir für einen erneuten Hormonkick,<br />

der eventuell nur kurzlebig und zerstörerisch sein kann.<br />

Es muss der emotionalen Verantwortung eines jeden Partnersund<br />

einer jeden Partnerin überlassen sein, wie er oder sie in<br />

der bestehenden Beziehung mit diesem aushäusigen Kick<br />

umgeht. Und mit sich selber.<br />

Liebe, Lust und Sex: Nur bei wenigen Themen wird so viel<br />

gelogen. Was sind die grössten Lügen?<br />

Die Liste ist tatsächlich lang. Hier eine kleine Aufzählung: Wir<br />

schlafen nach all den Jahren noch tagtäglich mehrmals miteinander.<br />

– Ich bringe es spielend auf drei bis vier Orgasmen.<br />

– Ich habe noch nie einen Orgasmus vorgetäuscht. – Ich habe<br />

ständig Lust. – Ich könnte jede(n) haben, aber ... – Ich habe<br />

noch nie ans Fremdgehen gedacht. – Ich fantasiere nicht beim<br />

Sex. – Onanieren habe ich nicht nötig. – Ich kann immer und<br />

jederzeit. – Und so weiter!<br />

Catherine Herriger<br />

ist Diplompsychologin IAP/SBAP,<br />

Beziehungstherapeutin und Buchautorin in<br />

Bern. Sie ist seit über vierzig Jahren mit<br />

demselben Mann zusammen und hat zwei<br />

Söhne. www.ch50.ch<br />

Literatur zum Thema<br />

Esther Perel: Wild Life. Die Rückkehr der Erotik in die Liebe.<br />

Esther Perel: Mating in Captivity. Sex, Lies and Domestic Bliss.<br />

Diana Richardson & Wendy Doeleman: Cooler Sex. Das Handbuch<br />

für ein richtig gutes Liebesleben.<br />

David Ribner: The Newlywed Guide to Physical Intimacy.<br />

Goedele Liekens: Das Orgasmus-Buch.<br />

Franz Josef Wetz: Lob der Untreue. Eine Unverschämtheit.<br />

Erika Berger: Spätes Glück. Liebe, Sex und Leidenschaft in reifen Jahren.<br />

Pere Estupinya: Sex – die ganze Wahrheit.<br />

28


Dossier<br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>729


«Cooler Sex ist Liebe»<br />

Ist das Kind da, wird Sex zwischen Mama und Papa zur Mangelware. Das stresst Frauen wie<br />

Männer. Die Sexualberaterin Diana Richardson über ein funktionierendes Liebesleben im<br />

durchgetakteten Familienalltag und was für Sex ohne Orgasmus spricht. Interview: Isabel Strassheim<br />

30 Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>7 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Dossier<br />

Sex, der Intensität aufbaut und<br />

im Höhepunkt abbaut,<br />

stellt nicht unbedingt Nähe her.<br />

Bild: iStockphoto<br />

Frau Richardson, Sie unterscheiden<br />

zwei grundsätzlich verschiedene<br />

Arten von Sex: den heissen und den<br />

kühlen. Was ist cooler Sex?<br />

Mit coolem Sex meine ich buchstäblich<br />

kühl-entspannten Sex. Beim<br />

normalen Sex geht es ja im Wesentlichen<br />

darum, so heiss wie möglich<br />

zu werden, um zum Orgasmus zu<br />

kommen. Dafür ist aber eine Menge<br />

an Stimulation und Aufbau von<br />

Spannung nötig. Und einige nutzen<br />

auch sexuelle Fantasien, um die<br />

Temperatur zusätzlich zu erhöhen.<br />

Cooler Sex dagegen ist nicht auf den<br />

Orgasmus fixiert. Er hat kein festgelegtes<br />

Ziel, drängt den Körper nicht<br />

in eine bestimmte Richtung.<br />

Das heisst dann auch, cooler Sex kennt<br />

keinen Orgasmus?<br />

Auch cooler Sex kann mit einem<br />

Orgasmus enden, aber darauf liegt<br />

nicht der Fokus. Denn ein Orgasmus<br />

dauert nur ein paar Sekunden, die<br />

vielleicht sogar schön sind, deswegen<br />

wollen wir ja immer wieder einen<br />

Orgasmus. In dem kurzen Moment<br />

fühlt es sich unvergleichlich an, aber<br />

nachher ist es, als wäre ein Ballon<br />

zerplatzt: Plötzlich ist die Energie<br />

weg und ein Gefühl von Getrenntsein<br />

vom Partner kann auftauchen.<br />

Und nach dem Höhepunkt kann<br />

Traurigkeit, Verlassenheit, Energielosigkeit,<br />

Enttäuschung oder Wut<br />

auftauchen. Denn Sex, der Intensität<br />

aufbaut und im Höhepunkt abbaut,<br />

stellt nicht unbedingt Nähe her. Wir<br />

fühlen uns danach selten enger verbunden<br />

und liebevoller miteinander.<br />

Aber wie kann Sex ekstatische Verbundenheit<br />

statt nur Ekstase schaffen?<br />

Schauen wir erst mal, wie es beim<br />

heissen Sex läuft: Weil er sich um den<br />

Höhepunkt am Schluss dreht, dauert<br />

er durchschnittlich von der Penetration<br />

bis zur Ejakulation 2,5 Minuten.<br />

Auch wenn es länger sein mag, der<br />

Fokus liegt meist auf dem Orgasmus.<br />

Und wenn wir keinen haben, war es<br />

schlechter Sex. Aber das ist nichts als<br />

ein vorgeprägtes Muster: Wir sind<br />

in dieser Vorstellung von Höhepunkt<br />

und Ent ladung gefangen. Wenn wir<br />

beim Sex aufmerksam sind, merken<br />

wir, wie wir mit diesem Muster im<br />

Akt Spannung aufbauen, sie verdichten<br />

und verengen – und nach den<br />

paar Sekunden des so erzielten Or -<br />

gasmus zu sammenfallen.<br />

Streben wir in unserer Lust nicht<br />

automatisch nach einem Orgasmus?<br />

Wenn wir voll Verlangen sind, hat<br />

das meistens mit Stress zu tun: Stress<br />

im Alltag, in der Familie, bei der<br />

Arbeit oder schlicht Überlebensstress.<br />

Der Orgasmus wird benutzt,<br />

um auf bequeme und angenehme<br />

Art Stress abzubauen. Vor allem<br />

Männer sagen, dass sie sich nach der<br />

Ejakulation entspannter füh- >>><br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>731


Dossier<br />

Wir sollten unsere Vorstellung<br />

hinterfragen, dass es beim Sex<br />

nur darum geht, zum<br />

Höhepunkt zu kommen.<br />

>>> len. Das ist aber eine negative<br />

Art der Entspannung, weshalb Männer<br />

nach dem Orgasmus auch meistens<br />

schlafen möchten. Echte Entspannung<br />

dagegen macht wach,<br />

energievoll und ist erfrischend.<br />

Ganz praktisch – wie geht cooler Sex?<br />

Wir achten dabei mehr auf jede einzelne<br />

Bewegung, statt uns mechanisch<br />

hin- und herzubewegen. Weniger<br />

Bewegung und Stimulation sind<br />

nötig, wir bleiben zentriert und kühl.<br />

Und wir vermeiden es, Spannung<br />

und Erregung aufzubauen. Ein<br />

wenig ist okay, aber keine Spannung,<br />

die zum Orgasmus führt. Es geht um<br />

Bewusstheit und dadurch Verlangsamung,<br />

durch die wir erst wirklich<br />

ins Spüren kommen.<br />

Also ein entschleunigter Sex?<br />

Ja, das Langsamerwerden ist wichtig,<br />

aber nicht nur. Wesentlich ist auch,<br />

mehr bei sich zu bleiben: Statt uns<br />

auf den Partner zu konzentrieren,<br />

sollten wir probieren, mehr im eigenen<br />

Körper zu bleiben. Generell sind<br />

wir beim Sex selten im eigenen Körper<br />

verankert. Dabei liegt genau dort<br />

die Intelligenz. Es geht nicht darum,<br />

den Penis möglichst schnell in die<br />

Vagina einzuführen respektive einzulassen.<br />

Es braucht Zeit, bis die Frau<br />

wirklich für den Penis offen ist.<br />

Wenn die Frau auf sich hört und das<br />

«Ja» dafür da ist, bringt das eine ganz<br />

neue Erfahrung – und zwar für den<br />

Mann wie für die Frau.<br />

Dennoch betonen Sie, dass die Erektion<br />

beim coolen Sex genauso unwichtig ist<br />

wie der Orgasmus.<br />

Im konventionellen, heissen Sex ist<br />

die Erektion beim Mann unbedingt<br />

notwendig. Im coolen Sex jedoch<br />

geht die Penetration auch ohne Erektion,<br />

mit einem entspannten Penis.<br />

Männer haben schreckliche Angst<br />

vor der Erschlaffung. Das ist auch<br />

der Grund, warum sie auf eine möglichst<br />

schnelle Penetration aus sind.<br />

Und wieso Frauen es zulassen,<br />

obwohl sie noch nicht bereit dazu<br />

sind. Das ist die eigentliche Ursache<br />

für den heissen, schnellen Sex. Es<br />

reicht schon, wenn wir das verstehen<br />

– und wenn wir wissen, dass eine<br />

Penetration auch ohne Erektion<br />

möglich ist.<br />

Wie?<br />

Einerseits gibt es die softe Penetration,<br />

wie ich sie in meinen Büchern<br />

beschreibe. Andererseits können wir<br />

auch einfach so zärtlich miteinander<br />

sein, uns in die Augen schauen und<br />

entspannen. Dabei öffnet sich der<br />

Körper der Frau. Und die Erektion<br />

kommt dann meist auch von selbst<br />

zurück. Und zwar auf bessere Weise,<br />

nämlich ohne zu viel Erregung.<br />

Beim coolen Sex lassen wir uns also<br />

nicht nur für jede Bewegung Zeit,<br />

sondern auch fürs Vorspiel?<br />

Genau. Denn beim Mann steigt die<br />

sexuelle Temperatur sehr schnell, bei<br />

der Frau braucht es mehr Zeit. Beide<br />

sind da energetisch sehr verschieden.<br />

Wenn das nicht verstanden<br />

wird, verlieren Frauen leicht die Lust<br />

am Sex. Denn Männer geben ihnen<br />

nicht die nötige Zeit, und Frauen<br />

sind oft zu unsicher, darum zu bitten.<br />

Aber jede Frau weiss, dass sie lieber<br />

noch ein bisschen warten würde,<br />

bevor sie den Mann in sich empfängt.<br />

Aber wir folgen einfach der<br />

Konvention. Die Folge ist, dass es<br />

leicht passieren kann, dass der Körper<br />

der Frau nach der Flitterwochenphase<br />

die Lust am Sex verliert.<br />

Es ist interessant, zu schauen,<br />

wie man sich beim Sex ohne<br />

Orgasmus fühlt. Die Energie<br />

bleibt dann ja im Körper.<br />

Der Wechsel vom heissen Sex auf den<br />

coolen Sex ohne Orgasmus ist aber<br />

nicht ganz einfach.<br />

Sex wird stark von unseren Vorstellungen<br />

geprägt. Wenn wir nun sofort<br />

in eine neue Vorstellung wie coolen<br />

Sex umsteigen wollen, ist das wieder<br />

nur eine Idee. Dabei geht es darum,<br />

zu verstehen, dass wir bisher beim<br />

Sex einem Muster gefolgt sind und<br />

dass wir das ablegen können. Es ist<br />

nur wichtig, zu wissen, dass es auch<br />

anderen Sex gibt – das genügt, um<br />

nach und nach mehr Bewusstsein<br />

hin einzubringen. Wir beginnen<br />

dann vielleicht zu bemerken, in welchem<br />

Moment das Drängen nach<br />

einem Orgasmus aufkommt. Und<br />

stattdessen wählen wir den Weg in<br />

die Entspannung. Auf diese Weise<br />

können wir den Sex auf zwei bis drei<br />

Stunden ausdehnen. Ein Orgasmus<br />

am Ende ist auch in Ordnung, aber<br />

es ist auch interessant, zu schauen,<br />

wie man sich ohne Orgasmus fühlt.<br />

Die Energie bleibt dann ja im Körper.<br />

Aber dann fehlt doch der Abschluss.<br />

Wir sollten darauf achten, wie wir<br />

uns Stunden und Tage danach fühlen.<br />

Ohne Orgasmus kann das entspannter,<br />

liebevoller und innerlich<br />

zufriedener sein. Dies fliesst auch in<br />

unseren Alltag über. Wir sollten<br />

unsere Vorstellung hinterfragen,<br />

dass es beim Sex nur darum geht,<br />

zum Höhepunkt zu kommen. Das<br />

ist eine Option, wenn wir ein Baby<br />

wollen. Aber es gibt nicht jedesmal<br />

ein Muss für einen Orgasmus.<br />

Und wie ist es, wenn die sexuelle An ­<br />

ziehung nach einer jahrelangen<br />

Beziehung verfliegt?<br />

Das ist das Problem bei heissem Sex<br />

– weil man mit der Zeit ein- >>><br />

32 Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>7 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Essay<br />

«Sexmuster können so zäh wie Kaugummi sein»<br />

Sex ist eine komplizierte Sache – erst recht in langjährigen Beziehungen. Denn unsere Bedürfnisse<br />

können sich ändern. Unsere Autorin Isabel Strassheim ist dem Thema nachgegangen und berichtet<br />

über ihr ganz persönliches Experiment in Sachen Sex und Intimität.<br />

«Manchmal wissen wir, dass wir nur<br />

an der Oberfläche kratzen, auch wenn<br />

wir keine Ahnung haben, was denn<br />

darunterliegen könnte. Das ging mir<br />

beim Sex so. Auch ohne Orgasmusprobleme<br />

wollte ich vor ungefähr zwei<br />

Jahren wissen, wo die Tiefe jenseits<br />

des Höhepunkts liegt. Auch wenn die<br />

Lust noch da war, ging es mir um eine<br />

Qualität beim Sex jenseits des Begehrens.<br />

Das hat nichts mit neuen Varianten<br />

für das alte Reiz-und-Spannungs-<br />

Spiel oder mit «Fifty Shades of Grey»<br />

zu tun. Es tut vielmehr gut, uns selbst<br />

und den anderen mal wieder zu fragen:<br />

Was wollen wir eigentlich im Bett<br />

oder auf dem Sofa (oder wo auch<br />

immer) mit uns selbst? Und mit unserem<br />

Partner? Welches Potenzial<br />

schlummert in unserem Körper und<br />

unserem Gefühl? Eine Handvoll grosser<br />

Fragen waren mein Ausgangspunkt.<br />

Beim Sex geht es nicht nur um die<br />

Lust – die ist da oder eben nicht. Sie<br />

kann bei Paaren, die lange zusammen<br />

sind und Tag für Tag zusammen das<br />

Familienschiff steuern, schlicht einschlafen.<br />

Daran ist nichts Schlimmes,<br />

wenn wir wissen, dass das nicht<br />

sogleich auch das Ende der sexuellen<br />

Nähe bedeuten muss. Vielmehr kann<br />

es eine neue Etappe eröffnen: Statt<br />

den Eroberungssex gibt es auch den<br />

Slow Sex oder den coolen Sex, wie<br />

Diana Richardson das nennt.<br />

Zwar gaukelt uns das Idealbild von<br />

der modernen Mutter und dem<br />

modernen Vater vor, dass wir nicht<br />

nur Kindererziehung, Haushalt und<br />

Beruf perfekt vereinen, sondern dabei<br />

auch noch attraktive und fitte Liebhaber<br />

bleiben können. Das ist nicht<br />

nur anstrengend, sondern vielleicht<br />

auch einfach falsch. Denn wollen wir<br />

das wirklich? Wir sind doch als Eltern<br />

nicht mehr auf dieselbe Art des<br />

Begehrens aus wie als Frischverliebte.<br />

Denn je nach Lebenslage sind auch<br />

andere Qualitäten beim Sex gefragt.<br />

Von alleine ändert sich jedoch im<br />

Bett nichts, wie ich schnell gemerkt<br />

habe. Unsere Muster sind so verbissen<br />

wie Kaugummi. Deswegen machte<br />

ich mich auf die Suche nach einem<br />

Sexkurs. Die sind hierzulande zwar<br />

noch lange nicht so normal und häufig<br />

wie Yogakurse, aber sie werden doch<br />

zunehmend populärer und haben<br />

nichts Anrüchiges mehr. Und: Es gibt<br />

sie auch nur für Frauen oder nur für<br />

Männer. Wenn einer der Partner etwas<br />

ändern will, reicht das schon. Niemand<br />

muss warten, bis der andere<br />

auch bereit ist.<br />

«Lust auf Lust» hiess mein Frauenseminar<br />

bei der Gynäkologin Regina<br />

Widmer in Solothurn. Dort entdeckte<br />

ich die Beckenschaukel. Von alleine<br />

wäre ich nie darauf gekommen, dass<br />

sich mein Becken mit dem Atem verbinden<br />

lässt: Beim Einatmen leicht<br />

nach hinten kippen und Steissbein<br />

locker lassen. Beim Ausatmen leicht<br />

nach vorne kippen und Beckenboden<br />

anziehen. Schon diese Übung genügt<br />

für ein ganz neues Körpergefühl – und<br />

auch ohne sonst etwas zu ändern,<br />

entsteht beim Sex eine neue Nähe.<br />

Statt nur die Becken werden nämlich<br />

die ganzen Körper miteinander verbunden.<br />

(Die Beckenschaukel gilt<br />

übrigens auch für Männer.) Medizinisch-pragmatisch<br />

wie auch hintergründig<br />

und lustig eröffneten die<br />

Kursabende mit Regina Widmer mir<br />

eine neue Welt.<br />

Aber auch in Tantraseminaren geht<br />

es vor allem um Wege, um ganz in den<br />

eigenen Körper zu kommen. Sich auf<br />

sich selbst zu konzentrieren. Statt um<br />

Geheimwissen geht es um eine sim ple<br />

Wahrheit: Nähe zu sich selbst ist die<br />

Voraussetzung für die Nähe zum<br />

anderen. Und für einen anderen Sex.<br />

Einfache Körper- und Atemübungen<br />

alleine und mit dem Partner können<br />

uns dabei helfen. Es geht dabei in erster<br />

Linie um die Entdeckung von uns<br />

selbst.<br />

Dazu gehört auch Hilflosigkeit.<br />

Worum geht es denn, wenn ich nicht<br />

mehr zielgerade auf den Orgasmus<br />

zusteuern muss? Die Frage ist für<br />

mich nicht jedes Mal superspannend,<br />

sondern sie kann auch ganz verzweifelt<br />

sein. Immer aber ist die Antwort<br />

ganz aktuell-individuell. Denn Intimität<br />

wird mit ihr viel authentischer.<br />

Unter der Oberfläche des Standardsexes<br />

liegt nämlich ein Ozean von<br />

Gefühlen. Wir müssen nur den Mut<br />

aufbringen, hineinzuspringen.»<br />

Isabel Strassheim<br />

ist Journalistin und lebt mit ihrer Familie<br />

im Kanton Solothurn.<br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>733


Dossier<br />

>>> fach an Hitze verliert, genauso<br />

wie man nicht ewig Leistungssport<br />

machen kann. Einige wollen<br />

dann den Partner wechseln, um<br />

zurück zur Erregung zur kommen,<br />

doch auch diese Hitze verbrennt.<br />

Eigentlich ist nicht die Anziehung<br />

vorbei, sondern der heisse Sex. Viele<br />

meinen, dass Sex über das ganze<br />

Leben hinweg gleich bleiben soll.<br />

Dabei verändert er sich genauso, wie<br />

auch Arbeit oder Wohnung wechseln.<br />

Auch durch Kinder verändert sich<br />

unser Sex, allein dadurch, dass uns<br />

weniger Zeit und Energie bleiben.<br />

Genau dann ist cooler Sex eine gute<br />

Alternative – vor allem, weil wir<br />

nicht viel Energie und auch keine<br />

Lust haben müssen. Wir können uns<br />

dafür verabreden und auch einen<br />

Babysitter organisieren. Es geht darum,<br />

miteinander körperlich zu entspannen<br />

und uns zu erfrischen. Und<br />

Kinder sind sehr empfänglich für die<br />

Liebesbeziehung ihrer Eltern. Wenn<br />

die fliesst, fühlen sie sich sicherer<br />

und selbstbewusster.<br />

Warum ist es für uns peinlich, wenn<br />

uns die Kinder beim Sex erwischen?<br />

Weil wir beim heissen Sex nicht<br />

unbedingt wir selbst sind. Er ist häufig<br />

eher unbewusst, lieblos und mit<br />

Scham verknüpft.<br />

Auf einer tieferen Ebene ist<br />

cooler Sex Liebe. Wir alle<br />

sehnen uns nach mehr Liebe<br />

und Verbundenheit.<br />

Wollen Männer nicht eher heissen Sex?<br />

Zunächst scheint es, dass Frauen<br />

nach einer anderen Art von Sex<br />

su chen. Eben weil sie mehr Zeit für<br />

die Penetration brauchen und mehr<br />

Mühe haben, in wenigen Minuten<br />

zum Orgasmus zu kommen. Aber<br />

auch Männer sind erleichtert, wenn<br />

der Leistungsdruck beim Sex entfallen<br />

kann: Die Frau zum Orgasmus<br />

zu bringen, ist kein Muss mehr,<br />

genauso wenig wie eine lang anhaltende<br />

Erektion. Wenn die sexuelle<br />

Temperatur sinken darf, gibt es auch<br />

keine Schwierigkeiten mit vorzeitiger<br />

Ejakulation. Bewusstsein verändert<br />

die Qualität beim Sex komplett –<br />

und viele Männer merken, dass auch<br />

sie das gesucht haben, ohne es zu<br />

wissen. Schliesslich reden wir über<br />

Liebe. Auf einer tieferen Ebene ist<br />

cooler Sex Liebe. Und wir alle sehnen<br />

uns nach mehr Liebe und Verbundenheit<br />

in unserem Leben.<br />

>>><br />

Diana Richardson<br />

stammt aus Südafrika und studierte<br />

Rechtswissenschaften. Vor über 20 Jahren wandte<br />

sie sich der ganzheitlichen Massage und der<br />

strukturellen Körperarbeit zu. Seit 1993 leitet sie<br />

Making-Love-Retreats für Paare mit ihrem Mann<br />

und Seminare für Frauen und hat mehrere Bücher<br />

geschrieben («Slow Sex», «Zeit für Weiblichkeit»,<br />

«Zeit für Männlichkeit»). Sie lebt mit ihrem Mann<br />

im Emmental. Weiter Infos: www.livinglove.com<br />

Im nächsten Heft:<br />

Das erschöpfte Kind<br />

Jeder dritte Schweizer Schüler gab in einer<br />

Befragung der WHO an, Stresssymptome<br />

zu kennen. Was der Leistungsdruck von Eltern,<br />

Schule und Gesellschaft mit unseren Kindern<br />

macht, erfahren Sie in unserem Februar-Dossier.<br />

Bild: iStockphoto<br />

34 Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>7 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Dossier<br />

Wintersport in der Schweiz.<br />

Jetzt anmelden für eine<br />

Probefahrt mit dem Cayenne.<br />

Damit Sie wissen, wie gut es sich anfühlt, mit der ganzen Familie schnell, sicher und entspannt<br />

durch den Winter zu kommen, laden wir Sie ein. Zu einer Probefahrt mit dem Sportwagen<br />

unter den SUV. Dank neuester Technologien beherrscht der Cayenne den Spagat zwischen<br />

sportlichem Fahrverhalten und ausgezeichnetem Komfort so perfekt wie kein anderer.<br />

Ganz egal, wie der Pistenzustand ist. Melden Sie sich für eine Probefahrt an, bevor der Winter<br />

vorbei ist. Den Cayenne gibt es übrigens schon ab CHF 85’400.– oder CHF 899.– pro<br />

Monat.* Und zusätzlich das Porsche Swiss Package, 2+2 Jahre Garantie und die Währungsausgleichsprämie.<br />

Motorleistung Cayenne Diesel: 193 kW (262 PS). Treibstoff-Normverbrauch: gesamt 6,8 – 6,6 l / 100 km. Benzinäquivalent: 7,4 – 7,6 l / 100 km. CO 2 -Ausstoss: 179 – 173 g / km.<br />

CO 2 -Mittelwert aller in der Schweiz immatrikulierten Fahrzeugmodelle: 139 g / km. Energieeffizienz-Kategorie E. *Preisbeispiel Cayenne Diesel: Listenpreis CHF 85’400.–, 48 Monate<br />

Laufzeit, 10’000 km p.a, 1. grosse Leasingrate 20% vom Listenpreis, effektiver Zinssatz 3,97%, Vollkasko nicht inbegriffen. Alle Preise verstehen sich inkl. MwSt. Änderungen<br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>735<br />

vorbehalten. Ein unverbindliches Angebot von Porsche Financial Services in Kooperation mit BANK-now AG. Die Leasingaktion ist gültig bis zum 23.<strong>12</strong>.<strong>2<strong>01</strong>6</strong> (Kundenübernahme bis<br />

zum 31.<strong>12</strong>.<strong>2<strong>01</strong>6</strong>) für alle neuen Kaufabschlüsse (Neuwagenbestellungen). Die Kreditvergabe ist verboten, falls sie zur Überschuldung des Konsumenten führt (UWG Art. 3).


Monatsinterview<br />

«Disziplin war alles.<br />

Und Sport»<br />

Im Dezember wird Ellen Ringier 65 Jahre alt. Die Präsidentin der Stiftung Elternsein,<br />

Herausgeberin des Schweizer ElternMagazins Fritz+Fränzi, schaut auf ihr bewegtes Leben<br />

zurück, erzählt, welchen Namen unser Magazin ursprünglich hätte tragen sollen. Und<br />

verrät ihren Herzenswunsch. Text: Evelin Hartmann und Nik Niethammer Bilder: Maurice Haas / 13 Photo<br />

Frau Ringier, Ihre Mutter stammt aus<br />

einer Londoner Bankiersfamilie, Ihr<br />

Vater war ein Pelzgrosshändler aus<br />

der Innerschweiz. Zur damaligen Zeit<br />

keine alltägliche Kombination.<br />

Da haben Sie recht. Die Tatsache,<br />

dass meine Mutter Ausländerin war<br />

– und noch dazu aus einer so weltoffenen<br />

Stadt kam –, war das Prägendste<br />

in meiner Kindheit. Während<br />

die anderen Mütter die wollenen<br />

Strumpfhosen ihrer Kinder selbst<br />

strickten, schickte unsere Londoner<br />

Verwandtschaft immer Päckchen<br />

mit feinen, weissen synthetischen<br />

Strumpfhosen. Und anstatt in einer<br />

dieser kleinen Holzbüchsen wurde<br />

ich in einem marineblauen Kinderwagen<br />

mit grossen gefederten Rä ­<br />

dern umhergefahren.<br />

Ihre Mutter war sehr offen, weltgewandt,<br />

kultiviert, während Ihr Vater als<br />

sehr bodenständig und diszipliniert<br />

galt. Führte diese Diskrepanz nicht zu<br />

Spannungen in der Familie?<br />

Eigenartigerweise haben sich meine<br />

Eltern in der Erziehung absolut<br />

getroffen, da gab es nie eine Differenz.<br />

Es gab das elterliche Machtwort,<br />

und wir drei Schwestern funktionierten,<br />

wie die Eltern das von<br />

einem verlangten. Ein Auflehnen gab<br />

es nicht. Andererseits war unseren<br />

Eltern sehr wichtig, dass wir schnell<br />

selbständig werden und die Welt<br />

sehen konnten. Ich war bestimmt die<br />

Erste in Luzern, die bereits mit<br />

18 Jahren in Leningrad und Moskau<br />

war. Natürlich hatten diese Reisen<br />

immer einen erzieherischen Hintergrund:<br />

Mein Vater war ein Intellektueller,<br />

ihm ging Lernen über alles.<br />

«Ich hätte auf<br />

jedem Fleckchen<br />

dieser Welt Wurzeln<br />

schlagen können.»<br />

serkopf eingeladen. Ihm hat es bei<br />

uns gefallen, und wir haben das nicht<br />

hinterfragt. Er gehörte einfach dazu.<br />

Ein indisches Sprichwort lautet:<br />

«Solange die Kinder klein sind, gib<br />

ihnen Wurzeln, wenn sie älter werden,<br />

gib ihnen Flügel.» Was haben Ihre<br />

Eltern in dieser Hinsicht getan?<br />

Sie haben uns gelehrt, dass es im<br />

Leben eine gewisse Demut braucht<br />

und Resilienz. Eine psychische und<br />

physische Widerstandsfähigkeit,<br />

Dinge auch mal auszuhalten. Und<br />

sie haben mir die Fähigkeit mitgegeben,<br />

überall zurechtzukommen.<br />

Sie hätten mich irgendwo mit einem<br />

Fallschirm aus dem Flugzeug springen<br />

lassen können – ich hätte auf<br />

jedem Fleckchen dieser Erde Wurzeln<br />

geschlagen.<br />

In welchen Situationen haben Ihre<br />

Eltern Sie darin bestärkt, weiterzumachen,<br />

nicht aufzugeben?<br />

Meine Eltern sind mit uns oft Bergsteigen<br />

gegangen. Ich bin bis Schwierigkeitsgrad<br />

sechs geklettert. Da gab<br />

es oft Situationen, in denen ich<br />

gedacht habe: «O Gott, wie komme<br />

ich hier bloss lebend durch?» Das<br />

Skifahren ist noch ein anderes Beispiel.<br />

Ich bin jedes Mal durch den<br />

Steilhang gekommen weil ich mich<br />

Von Ihrem Grossvater stammt der<br />

Satz: «Im Leben geht es immer darum,<br />

anderen Menschen eine Chance zu<br />

geben.» Sind Sie durch ihn der soziale<br />

und engagierte Mensch geworden, der<br />

Sie heute sind?<br />

Die Grundüberzeugung unserer ge ­<br />

samten Familie war, dass wir Teil<br />

dieser Gesellschaft sind. Meine<br />

Eltern standen immer im Austausch<br />

mit ihren Mitarbeitern, man kümmerte<br />

sich um sie, ein Weihnachtsgeld<br />

war obligatorisch. Zu meinen<br />

Kindergeburtstagen hat meine Mutter<br />

jedes Jahr aus der Nachbarschaft getraut habe, mich talwärts zu lehnen.<br />

Wer Angst hat, lehnt sich auch einen Jungen mit einem Was­ >>><br />

36 Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>7 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>737


Das Gemeinwohl<br />

liegt ihr am<br />

Herzen. Ellen<br />

Ringier in ihrem<br />

Stiftungsbüro.<br />

>>> am Berg an und verliert so den<br />

Halt. Die Fähigkeit, allem erst einmal<br />

offen und wohlwollend gegenüberzutreten<br />

und sich als Teil eines Ganzen<br />

zu sehen, verdanke ich meinen<br />

Eltern.<br />

Gab es denn nie ein Aufbegehren,<br />

beispielsweise in der Pubertät?<br />

Nein, ich hatte keine Pubertät. Als<br />

mein erster Freund mich verlassen<br />

hatte und ich am Boden zerstört war,<br />

sagte mein Vater: «Geh raus in die<br />

Natur, joggen.» Disziplin war alles.<br />

Und Sport. Wenn andere später während<br />

oft nächtelanger Verhandlungen<br />

oder stundenlanger Sitzungen etwas<br />

essen, dauernd auf die Toilette mussten,<br />

habe ich das ohne Pausen durchgestanden.<br />

Ich war nie krank, habe<br />

in meinem Berufsleben nie gefehlt,<br />

habe mich aber auch mit 40 Grad<br />

Fieber zur Arbeit geschleppt. Kein<br />

Wunder, wir Kinder haben nie ge ­<br />

lernt, uns zu fragen: «Was brauchen<br />

wir? Was tut uns gut?»<br />

Einfach mehr auf sich zu achten.<br />

Hätten Sie sich das gewünscht?<br />

Ein bisschen vielleicht – aber nein.<br />

Eigentlich bin ich froh darüber. Was<br />

ich eher bedaure, ist die Tatsache,<br />

dass wir nie gelobt wurden. Meine<br />

Mutter hat gesagt, dass sie stolz auf<br />

«Ich war nie krank,<br />

habe nie gefehlt,<br />

habe mich auch<br />

mit 40 Grad Fieber<br />

zur Arbeit<br />

geschleppt.»<br />

uns sei. Meinem Vater kam das nie<br />

über die Lippen. Als ich aufs Gymnasium<br />

wollte, hat er gesagt: «Ich<br />

wünschte, sie wäre so gescheit, dass<br />

sich das lohnen würde, aber das wird<br />

sie nicht schaffen.» Ich bestand die<br />

Aufnahmeprüfung und machte<br />

Matura. Bei meinem Abschluss hielt<br />

mein Vater eine Rede und sagte, dass<br />

das Gymnasium zu seiner Zeit<br />

anspruchsvoller gewesen sei, aber<br />

jetzt käme ich auf die Universität, da<br />

müsse ich endlich arbeiten lernen.<br />

Er hatte mich nie lernen sehen.<br />

Ist das wahr?<br />

Natürlich nicht. Ich war nie eine<br />

Musterschülerin, aber was ich<br />

machen musste, habe ich gemacht.<br />

Ich war Minimalistin, das ist wahr.<br />

Ich hatte offenbar doch gewisse<br />

Begabungen und konnte mich ganz<br />

gut durchschlängeln.<br />

Heute sind Sie promovierte Juristin.<br />

Wie kam Ihr Vater zu solchen Aussagen?<br />

Er konnte sich einfach nicht vorstellen,<br />

dass aus jemandem etwas wird,<br />

wenn er nicht pausenlos liest und<br />

lernt. Diese intellektuelle Haltung<br />

hatte ich nicht.<br />

38 Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>7 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Monatsinterview<br />

Kämpft man das ganze Leben um die<br />

Anerkennung des geliebten Vaters?<br />

Ja, das bleibt einem, leider. Aber es<br />

ist auch ein Vorteil, wenn man<br />

gelernt hat, sich nicht auf Äusserlichkeiten<br />

zu verlassen. Ich bin jetzt<br />

65, und es ist mir vollkommen<br />

wurscht, dass meine Haare weiss<br />

sind, und wem meine Falten nicht<br />

gefallen, kann gerne auf mich verzichten.<br />

Ich bin der festen Überzeugung:<br />

Ist ein Mensch innerlich<br />

schön, hat er auch diese Ausstrahlung.<br />

Das ist eine sehr selbstbewusste Einstellung.<br />

Die ich natürlich nicht immer hatte.<br />

Im Teenageralter gab es Zeiten, in<br />

denen ich nicht damit umgehen<br />

konnte, wenn die Leute gesagt<br />

haben: «Mensch, du bist so gross<br />

gewachsen, hast so lange Beine, so<br />

eine tolle Figur, du solltest Model<br />

werden.» Ich habe nur gedacht:<br />

«Spinnen die?» Ich konnte mit so<br />

etwas nicht umgehen. Ein bisschen<br />

mehr Selbstbewusstsein diesbezüglich<br />

wäre gut gewesen.<br />

«In diesem Land<br />

ist jeder für<br />

sich allein, und<br />

in der Erziehung<br />

wirkt sich das<br />

verheerend aus.»<br />

Und trotzdem sind Sie zu einer selbstbewussten,<br />

autarken jungen Frau<br />

erzogen worden. Als Sie nach Ihrer<br />

Heirat mit Michael Ringier nach Hamburg<br />

gingen, waren Sie allerdings erst<br />

einmal zum Nichtstun verdammt.<br />

Das war eine grosse Enttäuschung.<br />

Mir war vorher nicht bewusst, dass<br />

ich dort erst einmal keine Arbeitserlaubnis<br />

bekommen würde. Ich fing<br />

dann langsam an, unentgeltlich zu<br />

arbeiten. So habe ich beispielsweise<br />

einem Model geholfen, eine Taschenboutique<br />

zu eröffnen. So bin ich von<br />

Anfang an Teil der Hamburger Ge ­<br />

sellschaft geworden.<br />

In Köln haben Sie dann eine Anstellung<br />

bei einer grossen Versicherung<br />

antreten können. Ein paar Jahre später<br />

ging es zurück in die Schweiz. Wie<br />

kam es zur Gründung der Stiftung<br />

Elternsein?<br />

Da muss ich etwas ausholen. In den<br />

1990er-Jahren hat die Firma Ringier<br />

die Stiftung Humanitas, in den 30er-<br />

Jahren von Michaels Grossvater ge ­<br />

gründet, wieder aufleben lassen, um<br />

notleidenden Menschen zu helfen.<br />

Da habe ich gesehen, wie es Fami lien<br />

in Armut geht und wie diese in einen<br />

Kreislauf geraten, der sie immer weiter<br />

hinunterzieht.<br />

Und aus diesem Kreislauf kommt man<br />

nur ganz schwer wieder heraus ...<br />

... weil sich in diesem Land jeder nur<br />

um die eigenen Probleme kümmert.<br />

In anderen Kulturen ist das anders.<br />

Nie würde eine Mutter hierzulande<br />

sagen: «Mein Kind muss eine Klasse<br />

wiederholen.» Nie würde ein Vater<br />

zu der Lehrerin gehen und sagen:<br />

«Ich habe ein Alkoholpro blem, ich<br />

weiss nicht, ob Sie es an den schulischen<br />

Leistungen meines Sohnes<br />

schon gemerkt haben.» Hier ist jeder<br />

für sich allein, und in der Erziehung<br />

wirkt sich das verheerend aus.<br />

Und aus diesem Grund haben Sie<br />

20<strong>01</strong> die Stiftung Elternsein gegründet?<br />

In diesem Jahr bin ich 50 geworden<br />

und habe mich gefragt, was es in<br />

diesem Land wirklich braucht, um<br />

Familien zu helfen. Die Schweiz hat<br />

kein Familienministerium. Hier gilt<br />

es, eine grosse Lücke zu schliessen,<br />

was ich alleine natürlich niemals<br />

leisten kann, aber ich kann meinen<br />

Teil dazu beitragen. Und so brachten<br />

meine damalige Geschäftspartnerin<br />

Sabine Danuser und ich die erste<br />

Ausgabe von Fritz+Fränzi heraus.<br />

Mein gedrucktes Sozialprojekt. Es<br />

ging mir darum, Eltern in ihrer<br />

Erziehungskompetenz und Erziehungsaufgabe<br />

zu unterstützen und<br />

in der Gesellschaft ein Verständnis<br />

dafür zu schaffen, was es heute heisst,<br />

Kinder zu erziehen. Mir schien es,<br />

dass es damals kein Bewusstsein für<br />

die wachsenden Anforderungen an<br />

Eltern, Lehrer und andere Erzieher<br />

gab – und immer noch nicht in genügendem<br />

Masse gibt.<br />

«Ihr wollt mit dem<br />

Heft Eltern helfen,<br />

deren Kinder frech<br />

sind? Nennt es doch<br />

‹Der Saugoof›.»<br />

Wie kam es zu dem Namen?<br />

Ratgeber Elternsein konnte das<br />

Magazin nicht heissen. Da kommt<br />

die Freundin zu Besuch und sieht das<br />

Magazin auf dem Wohnzimmertisch<br />

liegen. «Was, du brauchst einen Ratgeber?»<br />

Das möchte keiner. Wir hatten<br />

schon an «Max und Moritz»<br />

ge dacht. Aber es hätte ein Mädchenname<br />

dabei sein müssen. Also sind<br />

wir zu dem Werbefachmann Hermann<br />

Strittmatter gegangen und<br />

haben uns beraten lassen. «Ihr wollt<br />

mit dem Heft Eltern helfen, deren<br />

Kinder frech sind und Probleme<br />

machen?» fragte er. «Dann nennt es<br />

doch auch so: ‹Der Saugoof›.»<br />

Der Saugoof? Das haben Sie doch<br />

nicht ernsthaft in Erwägung gezogen!<br />

Natürlich nicht! Wir haben dann<br />

zwei Namen genommen, die es heute<br />

nicht mehr gibt, die aber klingen<br />

wie Max und Moritz. So sind wir auf<br />

Fritz und Fränzi gekommen. Zwei<br />

richtig altmodische Namen.<br />

Sechs Mal pro Jahr ist Fritz+Fränzi<br />

anfangs erschienen.<br />

Es war jedes Mal eine Zitterpartie,<br />

aber wir haben es immer hinbekommen,<br />

nie eine Ausgabe ausgelassen.<br />

Dabei hatten wir jahrelang noch<br />

nicht mal einen Verlagsleiter. Aber<br />

uns war von Beginn an klar, dass wir<br />

das Heft über Schulen verteilen lassen<br />

würden. Wir waren glücklich<br />

darüber, dass wir von Anfang >>><br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>739


Monatsinterview<br />

>>> an den LCH (Dachverband<br />

Schweizer Lehrerinnen und Lehrer)<br />

und später auch noch den VSLCH<br />

(Verband Schulleiterinnen und<br />

Schulleiter Schweiz) als Vertriebspartner<br />

gewinnen konnten.<br />

Und, das möchte ich betonen: Wir<br />

waren und sind völlig unabhängig<br />

vom Verlag Ringier wie auch vom<br />

Geld meines Mannes.<br />

«Anfangs habe<br />

ich 20 Stunden<br />

pro Tag gearbeitet.<br />

Ich habe damals<br />

alle Anzeigen selbst<br />

akquiriert.»<br />

Welche Summe Ihres eigenen Vermögens<br />

haben Sie denn in die<br />

Stiftung und in Fritz+Fränzi investiert?<br />

2,6 Millionen. Und 15 Jahre meiner<br />

Arbeitsleistung. Und das waren in<br />

den ersten Jahren 20 Stunden pro<br />

Tag. Ich habe damals alle Anzeigen<br />

selbst akquiriert.<br />

Wie gehen Sie damit um, wenn<br />

jemand, der viel Geld hat, keinen Rappen<br />

für die gute Sache spenden will?<br />

Tja, nicht immer gleich gut. Es gibt<br />

Tage, da lege ich den Hörer auf und<br />

heule. Dann bin ich total niedergeschlagen,<br />

weil irgendein frecher Kerl<br />

am anderen Ende gesagt hat: «Nicht<br />

interessiert.» Keine Erklärung, kein<br />

höfliches Wort.<br />

Sie kennen bestimmt viele vermögende<br />

Menschen persönlich sehr gut.<br />

Ich fundraise grundsätzlich keine<br />

Freunde. Aber wenn keiner meiner<br />

eingeladenen Gäste zu meinem 60.<br />

Geburtstag auf die Idee kommt, mir<br />

etwas für die Stiftung zu spenden,<br />

obwohl ich keine Geschenke möchte,<br />

enttäuscht mich das schon. Dazu<br />

muss man aber sagen, dass ich schon<br />

zehn Jahre vorher angefangen habe,<br />

Geld für die unzähligen Stiftungen,<br />

in denen ich vertreten war und teilweise<br />

noch bin, zu sammeln. Ich<br />

habe Millionen zusammengetragen.<br />

Irgendwann haben die Leute gesagt:<br />

Jetzt kommt sie schon wieder. Das<br />

hat mich nicht gerade beliebter<br />

gemacht.<br />

Sind Sie so penetrant?<br />

Ich würde es ausdauernd nennen.<br />

Ich will niemanden zu seinem Glück<br />

zwingen, aber manchmal brauche<br />

ich noch ein Extrawort, damit man<br />

merkt, worum es mir eigentlich geht.<br />

Ihre Töchter sind heute 23 und 25<br />

Jahre alt und selbst Mutter. Wie erleben<br />

Sie junge Eltern heute?<br />

Meine Töchter sind sehr privilegiert.<br />

Grundsätzlich denke ich aber, dass<br />

die Ansprüche an Menschen um die<br />

30 gestiegen sind. Der Wettbewerb<br />

ist viel grösser als zu meiner Zeit.<br />

Ausserdem sind die Kosten im Verhältnis<br />

zur Lohnsteigerung aus dem<br />

Ruder gelaufen. In den meisten<br />

Familien müssen beide arbeiten.<br />

Daher muss eine Kitasituation mit<br />

moderaten Preisen geschaffen werden,<br />

die eine Berufstätigkeit überhaupt<br />

rentabel macht. Das Gleiche<br />

gilt für die Ganztagsschulen und die<br />

nachschulische Betreuung. Das<br />

brauchen Eltern mehr denn je. Das<br />

andere ist die Gesundheitsfrage.<br />

Rund ein Drittel der Bevölkerung<br />

leidet unter Depressionen. Das<br />

betrifft auch Mütter, Väter und deren<br />

Kinder. Da kommt ein 15-jähriger<br />

Junge nach Hause, muss Hausaufgaben<br />

machen, aber die Mutter liegt<br />

noch im Bett, mit zugezogenen Vorhängen.<br />

Im Kühlschrank nur saure<br />

Milch. Statt Hausaufgaben machen<br />

zu können, muss er erst einmal den<br />

Haushalt schmeissen.<br />

Was können Sie konkret tun, wenn<br />

solch ein Fall an Sie herangetragen<br />

würde?<br />

Heute lehne ich eine beratende<br />

Funktion ab. Früher hätte ich der<br />

Mutter gesagt: «Seien sie offen mit<br />

Ihren Problemen, stehen Sie dazu.<br />

Gehen Sie zur Lehrerin Ihres Sohnes,<br />

gehen Sie zur Gemeinde. Gemeinden<br />

in der Schweiz haben mit ihren<br />

gut ausgebauten Sozialbehörden<br />

viele Möglichkeiten, einzugreifen.»<br />

Psychische Krankheiten, Drogen,<br />

Schulabbruch. Das Schweizer Eltern­<br />

Magazin Fritz+Fränzi greift viele dieser<br />

heiklen Themen auf. Zu welcher Ausgabe<br />

hätten Sie gegriffen, als Ihre<br />

Töchter noch jünger waren? Was hat<br />

Sie als Mutter umgetrieben?<br />

Der erste Filmbeitrag von Fabian<br />

Grolimund hat mir die Augen geöffnet.<br />

Das Thema hiess: «Mit Kindern<br />

lernen». Unter anderem ging es darum,<br />

dem Kind nicht beizubringen,<br />

dass Lernen etwas Anstrengendes ist,<br />

das müde macht. Bevor man Zeichen<br />

der Müdigkeit sieht, soll man das<br />

Kind abholen und sagen, dass es sich<br />

eine Pause verdient hat. Mein Gott,<br />

habe ich meine Kinder drangsaliert!<br />

Nichtsdestotrotz denke ich, dass ich<br />

mit meinen Töchtern in vielen Dingen<br />

hätte strenger sein müssen.<br />

Wie sind denn Ihre Töchter mit ihren<br />

eigenen Kindern?<br />

Sie sind wieder deutlich strenger,<br />

verlangen mehr, als wir verlangt<br />

haben. Aber gehen trotz dieser Er -<br />

wachsenenautorität in einer gewissen<br />

Weise geschwisterlich mit ihren<br />

Kleinkindern um. Ich bin gespannt,<br />

wie sie diese Diskrepanz eines Tages<br />

zusammenbringen wollen.<br />

«Ich hätte mit<br />

meinen Töchtern<br />

in vielen Dingen<br />

strenger sein<br />

müssen.»<br />

Wie sehen Sie denn Ihre Rolle als<br />

Grossmutter?<br />

Ich möchte meine Enkel auf jeden<br />

Fall begleiten und meine Kinder<br />

unterstützen. Wenn sie mich lassen<br />

(lacht). Ich bedaure sehr, dass wir die<br />

Aktivitäten, die meine Eltern mit uns<br />

unternommen haben, nie mit unseren<br />

Kindern gemacht haben. Einfach<br />

mit einem Zelt los und an einem<br />

schönen Fleck essen und übernachten.<br />

So etwas nennt man Quality<br />

40 Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>7 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Time. Mein Mann und ich waren<br />

einfach zu beschäftigt und haben das<br />

anderen überlassen.<br />

«Es ärgert mich,<br />

dass die öffentliche<br />

Hand mein Projekt<br />

nicht unterstützen<br />

will und kann.»<br />

Frau Ringier, wenn Sie auf die letzten<br />

Jahre zurückblicken. Worauf sind Sie<br />

stolz? Und was muss noch getan<br />

werden?<br />

Ich kann nicht gut damit leben, dass<br />

die Schulen fast nur jedes zweite<br />

Exemplar von Fritz+Fränzi bekommen.<br />

Es macht mich wahnsinnig,<br />

dass so viel Know-how nicht da<br />

ankommt, wo es ankommen sollte.<br />

Für die Verdoppelung der eh schon<br />

riesigen Auflage von über 100 000<br />

Exemplaren müsste ich viel mehr<br />

Sponsoren gewinnen. Aber ich bin<br />

stolz darauf, wo wir heute stehen.<br />

Das Magazin ist jetzt genau so, wie<br />

ich es mir immer vorgestellt habe.<br />

Was wünschen Sie sich für die<br />

Zukunft?<br />

Natürlich hoffe ich, dass es eines<br />

Tages in der Schweiz ein Familienministerium<br />

mit Kompetenz und<br />

genügend Geldmitteln geben wird.<br />

Es ärgert mich nämlich, dass die<br />

öffentliche Hand «mein Projekt»<br />

nicht unterstützen will und kann.<br />

Wenn ich bedenke, wie viele Millionen<br />

Franken der Bund für mässig<br />

nutzbringende Anti-Raucher-Kampagnen<br />

ausgibt. Vielleicht müsste<br />

man in einem Interview mit dem<br />

Innenminister Alain Berset einmal<br />

nachfragen, warum der Bund die<br />

Förderung der Elternkompetenz<br />

nicht auf dem Radar hat. Zuvor<br />

müsste man Herrn Berset jedoch<br />

darauf aufmerksam machen, dass er<br />

eben auch Familienminister ist – er<br />

ist sich dessen vermutlich nicht einmal<br />

bewusst! (lacht)<br />

>>><br />

Ellen Ringier liebt das Reisen. Viele schöne Dinge hat sie aus Afrika<br />

mitgebracht. Diese zieren nun die Räume ihrer Stiftung. Hier haben<br />

Nik Niethammer und Evelin Hartmann ihre Chefin getroffen.<br />

Zur Person<br />

Ellen Riniger ist mit zwei Schwestern in Luzern am<br />

Vierwaldstättersee aufgewachsen. Ihr Vater war Kaufmann<br />

und Kunstsammler. 1976 heiratete sie den Verleger<br />

Michael Riniger. Das Paar lebte während sieben Jahren in<br />

Deutschland. 1980 schloss Ellen Ringier ihr Jurastudium<br />

mit dem Doktorexamen ab. Seit 1990 setzt sie sich<br />

ehrenamtlich für verschiedene kulturelle und soziale<br />

Organisationen und Aufgaben ein, im Jahr 20<strong>01</strong> gründete sie<br />

die Stiftung Elternsein. Ellen und Michael Ringier sind<br />

Eltern zweier Töchter im Alter von 23 und 25 Jahren. Das<br />

Paar lebt in Küsnacht ZH.<br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>741


Kolumne<br />

Ein Leben in Filmen<br />

Wenn meine Kindheit ein Film wäre,<br />

dann wäre ich Tim Roth und würde<br />

mit Claudia Cardinale «Do Re Mi»<br />

singen.<br />

Mikael Krogerus<br />

ist Autor und Journalist. Der Finne ist Vater einer<br />

Tochter und eines Sohnes, lebt in Biel und schreibt<br />

regelmässig für das Schweizer ElternMagazin<br />

Fritz+Fränzi und andere Schweizer Medien.<br />

Mit 6: «Spiel mir das Lied vom Tod». Der allererste<br />

Film, an den ich mich richtig erinnern kann, war der<br />

Sergio-Leone-Klassiker, und das kam so: Mein Vater sass<br />

unten im Fernsehkeller in seinem Sessel mit dem Rücken<br />

zur Tür, und ich war heimlich heruntergeschlichen. Im<br />

Fernseher wartete eine Gruppe Cowboys auf einen<br />

Zug. Es geschah: nichts. Ich weiss nicht, ob Sie den Film<br />

noch vor Augen haben, er ist brutal und wunderschön und<br />

nichts für Kinder, aber die ersten 40 Minuten passiert<br />

wirklich wenig. Ich dachte damals: Aha, so ist also<br />

Fernsehen. Natürlich verharrte ich trotzdem drei Stunden<br />

mit kalten Füssen auf der Türschwelle. Irgendwann<br />

tauchte eine Frau auf (Claudia Cardinale), und die Welt<br />

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drehte sich. Es ist, wenn man bedenkt, dass ich sie<br />

bloss in einem Film gesehen hatte, besorgniserregend,<br />

wie oft und wie zärtlich ich in der Folgezeit an sie<br />

gedacht habe: Wo bist du? Mit wem? Denkst du<br />

manchmal an mich?<br />

Mit 8: «The Sound of Music». Der Film handelt von Marie<br />

(Julie Andrews), die bei der Trapp-Familie als Au-pair-<br />

Mädchen arbeitet und mit den Kindern singt. Ich liebte die<br />

kitschtriefende Story mit ihrem Geschlechterbild von<br />

vorgestern. Lauthals sang ich vor dem TV mit: «Doe, a<br />

deer, a female deer, ray, a drop of golden sun …»,<br />

und wünschte mir, unser Au-pair- Mädchen sähe so aus wie<br />

Andrews oder könnte wenigstens so singen wie sie. Ich<br />

habe den Film sicher zehn Mal gesehen, immer zusammen<br />

mit meiner Schwester. Irgendwann seufzte sie und sagte:<br />

«Hör auf, du kannst nicht singen.» Ein Teil von mir ist seit<br />

diesem Tag nie wieder glücklich geworden.<br />

Mit <strong>12</strong>: «Dirty Dancing». «That was the summer of 1963.<br />

When everybody called me Baby and it didn’t occur to me<br />

to mind. That was before President Kennedy was shot,<br />

before the Beatles came and I thought I’d never find a guy<br />

as great as dad …» Ich kann den kompletten Anfang des<br />

schaurig-schlechten Teeniefilms auswendig. Und, wenn ich<br />

ehrlich sein soll, auch Grossteile des Rests. Irgendwann<br />

wollte ich ihn nicht mehr sehen, ich wollte selber so einen<br />

Sommer erleben.<br />

Mit 14: «Octopussy». Mein Vater und ich telefonieren fast<br />

täglich miteinander. In den Gesprächen halten wir uns an<br />

einen erprobten Themendreiklang wie alternde Menschen<br />

an ein Geländer: Airport-Lounges, Vielfliegerkarten und<br />

James-Bond-Filme. Uns verbindet eine merkwürdige<br />

Schwäche für den britischen Geheimagenten. Der erste<br />

Bond, den wir gemeinsam sahen: «Octopussy».<br />

Mit 16: «Reservoir Dogs». Mit 16 war mein Lieblingsfilm<br />

noch immer «Terminator II», obwohl mir klar war: Das<br />

kann es nicht sein. Dann kam der Erstling von Quentin<br />

Tarantino. Instinktiv ahnte ich, dass dieser Film etwas<br />

Besonderes ist. Und dass ich es nicht bin. Meine<br />

Begeisterung galt nicht der Gewaltdarstellung. Es ging mir<br />

um die Dialoge, die Musik, den Look. Und um Tim Roth.<br />

Ein Loser, ein Anti-Mann mit schiefen Zähnen und<br />

schmalen Schultern, der am Ende kläglich stirbt und<br />

irgendwie doch alle überragt. Wenn der cool ist, dachte ich,<br />

dann bin ich es auch.<br />

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Psychologie & Gesellschaft<br />

Eine Trennung verändert<br />

die kindliche Welt fundamental<br />

Für Eltern ist es in Trennungssituationen oft schwierig, zu jeder Zeit auch noch die<br />

Bedürfnisse der Kinder zu berücksichtigen. Was bedeutet das für Kinder und Jugendliche<br />

und wie können die Eltern ihnen die Trennungssituation trotzdem erleichtern? Text: Sonya Gassmann<br />

Bild: iStockphoto<br />

44 Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>7 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Eine Trennung ist für Kinder<br />

ein anderes Erlebnis<br />

als für Erwachsene. Kinder<br />

erleben eine Trennung<br />

selten als Chance<br />

für einen Neubeginn.<br />

Erwachsene hingegen versprechen<br />

sich positive Veränderungen<br />

und Erleichterung, wenn die Familienstabilität<br />

wiederhergestellt ist.<br />

Von mindestens einem Elternteil ist<br />

die Trennung eine freiwillige Entscheidung.<br />

Bereits in der Phase der Ambivalenz,<br />

das heisst, wenn ein Elternteil<br />

oder beide sich nicht mehr sicher<br />

sind, ob sie an der Beziehung noch<br />

festhalten wollen, befinden sich die<br />

Kinder in einer Situation der Verunsicherung.<br />

Es ist deshalb wichtig,<br />

den Reaktionen von Kindern und<br />

Jugendlichen bereits vor dem eigentlichen<br />

Trennungsverfahren Beachtung<br />

zu schenken.<br />

Da viele Eltern in dieser Phase in<br />

eheliche Auseinandersetzungen verstrickt<br />

sind, können sie ihre Kinder<br />

trotz guter Absichten oft nicht genügend<br />

in deren Bedürfnis nach<br />

Sicherheit und Schutz wahrnehmen.<br />

Die daraus resultierende Belastung<br />

kann sich in einer schmerzhaften<br />

Angstreaktion vor dem Verlassenwerden<br />

zeigen.<br />

Die wichtigsten Stressfaktoren,<br />

die eine Trennung auslöst, können<br />

folgendermassen beschrieben werden:<br />

Die Trennung kommt normalerweise<br />

unerwartet, hat eine grosse<br />

Intensität und verändert die kindliche<br />

Welt fundamental. Die Trennung<br />

ist ein Verlusterlebnis und<br />

wird von Verlas senheitsängsten<br />

begleitet.<br />

Die grundlegende Angst vor dem<br />

Verlassenwerden entwickelt sich,<br />

wenn das Kind genügend häufig und<br />

genügend intensiv Erfahrungen<br />

macht, die seine Bedürfnisse missachten<br />

und verletzen. Vor allem bei<br />

Verletzungen seines Nähebedürfnisses<br />

entsteht das Gefühl von Verlassenheit.<br />

Als Reaktion darauf entwickelt<br />

das Kind eine Grundangst vor<br />

dem Verlassenwerden.<br />

Kinder reagieren mit depressiven<br />

Verstimmungen<br />

Kinder zeigen besonders vor und<br />

während der elterlichen Trennung<br />

psychische Reaktionen. Sie reagieren<br />

in erster Linie mit nach aussen<br />

gerichteten Auffälligkeiten wie<br />

antisozialem und aggressivem Verhalten<br />

und mit nach innen gerichteten<br />

Auffälligkeiten wie depressiver<br />

Verstimmung.<br />

Weitere mögliche Reaktionen in<br />

der kindlichen Trennungskrise sind:<br />

Schlafstörungen<br />

Bauch- und Kopfschmerzen<br />

Lern- und Konzentrationsschwierigkeiten<br />

mangelndes Selbstwertgefühl und<br />

Unsicherheit<br />

Schuldgefühle<br />

Essstörungen<br />

sozialer Rückzug<br />

Hinter diesen Reaktionen steht die<br />

Angst vor dem Verlassenwerden.<br />

Dies zeigt sich primär in der konkreten<br />

Angst, einen Elternteil zu<br />

verlieren. Dabei droht gleichzeitig<br />

ein Identitätsverlust. Denn mit dem<br />

vermeintlichen Verlust des geliebten<br />

Menschen droht dem Kind eine<br />

Erschütterung seines Selbstwertes.<br />

Wie können die Eltern auf die Angst<br />

ihrer Kinder vor dem Verlassenwerden<br />

reagieren?<br />

Die Kinder können ihre Angst vor<br />

dem Verlassenwerden reduzieren<br />

und gleichzeitig ihr Gleichgewicht<br />

wiederherstellen, wenn sie einerseits<br />

eine möglichst intensive Beziehung<br />

zu beiden Elternteilen aufbauen können.<br />

Andererseits spielt die Kooperation<br />

der Eltern eine wichtige Rolle.<br />

Damit vermitteln die Eltern, dass<br />

sich seine Welt nicht in den Grundfesten<br />

verändern wird.<br />

Konkrete Handlungsmöglichkeiten<br />

für Eltern sind folgende:<br />

Zeigen Sie viel Geduld und<br />

grosse Toleranz gegenüber den<br />

Reaktionen des Kindes.<br />

Geben Sie Ihrem Kind Anerkennung<br />

und Geborgenheit.<br />

Stellen Sie keine zu hohen Erwartungen<br />

an das Kind, was nicht<br />

heisst, ihm keine Grenzen mehr zu<br />

setzen. Nur auf Erziehung sollte<br />

vorübergehend verzichtet werden.<br />

Führen Sie viele Gespräche, auch<br />

wenn sie immer wieder um das<br />

gleiche Thema kreisen.<br />

Suchen Sie das Gespräch, vor allem<br />

immer dann, wenn die Gefühlslage<br />

des Kindes in Richtung Angst<br />

zeigt.<br />

Verurteilen Sie den anderen El -<br />

ternteil nicht.<br />

Zusätzliche Handlungsmöglichkeiten<br />

für denjenigen Elternteil, der<br />

ausgezogen ist:<br />

Stellen Sie Verlässlichkeit und Stabilität<br />

in ihrer Beziehung zum<br />

Kind her.<br />

Lassen Sie ihr Kind den Alltag erleben:<br />

Eigene Alltagsgegenstände<br />

wie Zahnbürste, Kleider, Spielsachen,<br />

Bücher haben einen festen<br />

Platz in der neuen Wohnung.<br />

Vermitteln Sie Sicherheit, in dem<br />

das Kind beide Eltern weiterhin<br />

lieben darf. >>><br />

Zeigen Sie viel Geduld<br />

gegenüber den<br />

Reaktionen des Kindes.<br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>745


Psychologie & Gesellschaft<br />

>>> Für die Eltern in der Tren ­ Kinder brauchen regelmässige und<br />

nungssitua tion ist es oft schwierig,<br />

die Wünsche und Bedürfnisse der<br />

Kinder zu be rücksichtigen. Umso<br />

wichtiger ist es, dass die Kinder mit<br />

einer psychologischen Fachperson<br />

sprechen können. Es ist Ausdruck<br />

einer Wertschätzung, dass die Kinder<br />

zur Trennung eine eigene Meinung<br />

bilden können und ihren<br />

Anliegen Raum und Zeit gegeben<br />

wird.<br />

Eltern sollen die Kinder von<br />

Anfang an miteinbeziehen, denn die<br />

altersgerechte Informationen über<br />

die familiären Veränderungen.<br />

Schliesslich sind sie zum Beispiel von<br />

den verschiedenen Wohnorten der<br />

Eltern am stärksten betroffen.<br />

Beim Erstellen des Planes für die<br />

Aufteilung der Betreuung können<br />

vor allem ältere Kinder bereits mitwirken.<br />

Dies bestätigt ihnen, dass sie<br />

mit ihren Wünschen und Bedürfnissen<br />

ernst genommen werden.<br />

Beim Mitgestalten des Alltags<br />

können auch schon jüngere Kinder<br />

mitreden, so fühlen sie sich selbstbestimmter.<br />

Jedoch sollen sie keine<br />

Entscheidungen treffen müssen.<br />

Eltern sollen die Kinder von<br />

Anfang an miteinbeziehen,<br />

denn sie brauchen<br />

altersgerechte Informationen.<br />

Kinder brauchen die Gewissheit,<br />

dass Sie trotz einer Trennung<br />

geliebt werden<br />

Gibt es auch glückliche Scheidungskinder?<br />

Ja, es gibt sie! Kinder im<br />

Trennungskonflikt können eine<br />

ebenso glückliche Kindheit und<br />

Jugend erleben wie Kinder, deren<br />

Eltern sich nicht scheiden lassen.<br />

Wir Erwachsene haben es in der<br />

Hand, dass die Kinder als ganz normale<br />

Kinder aufwachsen können.<br />

Hierfür brauchen sie Liebe und<br />

Unterstützung sowie die Gewissheit,<br />

dass sie trotz der Trennung weiterhin<br />

geliebt werden und beide Elternteile<br />

immer für sie da sind. Darüber hinaus<br />

müssen die Kinder aufgeklärt<br />

werden, dass sie nicht der Grund für<br />

die Scheidung sind. Auch eine gute<br />

und warme Beziehung zwischen den<br />

Kindern und ihren Eltern kann<br />

negative Folgen vermindern.<br />

«Trennungs- und Scheidungskinder<br />

brauchen eine soziale Umgebung,<br />

die ihnen Sicherheit vermittelt,<br />

in der sie dem Loyalitätskonflikt<br />

gegenüber den Eltern enthoben sind,<br />

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in der sie ihre Ängste und Hoffnungen<br />

ausdrücken und ausleben können<br />

und in der sie eine Stärkung des<br />

Selbst erfahren, die ihnen bei der<br />

Überwindung der Trennungserfahrung<br />

hilft» (Moch, 1994).<br />

Kinder in Trennungskonflikten<br />

können eine ebenso<br />

glückliche Kindheit erleben<br />

wie andere Kinder.<br />

>>><br />

Sonya Gassmann<br />

Buchtipps<br />

Heller, J. (2<strong>01</strong>3). Resilienz. G/U.<br />

Pantley, E. (<strong>2<strong>01</strong>6</strong>). Trennungsangst. Trias.<br />

Schär, M. (<strong>2<strong>01</strong>6</strong>). Paarberatung und<br />

Paartherapie. Partnerschaften zwischen<br />

Problemen und Ressourcen. Springer.<br />

Schütz, A. (2003). Psychologie des<br />

Selbstwertgefühls. Kohlhammer.<br />

Trachsel, D. (2<strong>01</strong>4). Scheidung. Faire<br />

Regelungen für Kinder – gute Lösungen<br />

für Wohnen und Finanzen. Beobachter.<br />

Waibel, E. A. (2002). Erziehung zum<br />

Selbstwert. Persönlichkeitsförderung.<br />

Auer.<br />

Anmerkung: Aus Gründen der Lesbarkeit<br />

wird im Text das Wort «Kinder» verwendet.<br />

Die Autorin bezieht auch die über<br />

<strong>12</strong>-Jährigen mit ein, auch wenn sie bereits<br />

«Jugendliche» sind.<br />

1963, Psychologin lic. phil. SBAP, ist Dozentin<br />

und Mediatorin. Sie begleitet Paare durch die<br />

Trennungsphase bis zur juristisch beglaubigten<br />

Ehescheidungskonvention. Sonya Gassmann<br />

arbeitet in eigener Praxis in der Stadt Bern<br />

(www.psychologie-be.ch) und ist Mutter einer<br />

erwachsenen Tochter.<br />

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Psychologie & Gesellschaft<br />

Man kann nicht<br />

alles haben<br />

Wünsche haben ist das eine, verzichten können das andere. Kinder, die<br />

früh lernen, dass Dinge etwas kosten und man nicht alles bekommen kann,<br />

haben es später einfacher. Text: Susan Edthofer<br />

Kinder im Primarschulalter haben noch<br />

kaum eine Vorstellung, was wie viel kostet.<br />

Und dass man nicht alles einfach so<br />

bekommt, was man gerne hätte, muss erst<br />

gelernt werden. Diskussionen über Verzichtenkönnen<br />

und warum Wünsche manchmal aufgeschoben<br />

werden müssen, sind wichtige Aspekte der<br />

Erziehung.<br />

Taschengeld zur freien Verfügung<br />

Eltern, die ihren Kindern regelmässig Taschengeld geben<br />

(können), sollten zuvor mit der Tochter, dem Sohn<br />

besprechen, wofür das Geld gedacht ist und wie es sinnvoll<br />

verwendet werden kann. Das Kind sollte wissen, für<br />

welche Dinge es selbst aufkommen muss, etwa den Znüni<br />

vom Pausenkiosk. Danach sollten die Eltern respektieren,<br />

dass das Kind frei über sein Taschengeld verfügt.<br />

Wenn das Kind Süssigkeiten kaufen darf, heisst das aber<br />

nicht, dass es sie vor dem Mittagessen isst. Familienregeln<br />

gelten so oder so. Da kleinere Kinder noch nicht<br />

geübt sind, Geld über einen längeren Zeitraum einzuteilen,<br />

empfiehlt es sich, das Taschengeld wöchentlich<br />

auszuhändigen. Mit zunehmendem Alter und mehr<br />

Erfahrung kann es monatlich ausbezahlt werden. Bei<br />

der Budgetberatung Schweiz finden Eltern Richtlinien<br />

dazu. So lernen Kinder Verantwortung zu übernehmen<br />

und bauen ihre Finanzkompetenz auf. Wichtig ist, dass<br />

der Betrag regelmässig ausbezahlt wird und nicht an<br />

erzieherische Massnahmen gekoppelt ist. Falls das Geld<br />

nicht reicht: konsequent bleiben und nichts nachstupfen.<br />

Wer seinem Kind nach und nach mehr Kompetenzen<br />

übertragen möchte, kann ab dem dreizehnten Lebensjahr<br />

den sogenannten Jugendlohn einführen.<br />

Bestimmt wurde am Familientisch schon über das<br />

Thema Handy und Einkaufen im Internet diskutiert.<br />

Vor allem Spiele enthalten zum Teil grosse Verlockungen.<br />

Kostenlose Apps finanzieren sich oft über Werbung<br />

oder In-App-Käufe. Um Zusatzfunk tionen freizuschalten,<br />

Werbung verschwinden zu lassen oder in einem<br />

Spiel schneller voranzukommen, können Käufe innerhalb<br />

der App, In-App-Käufe, getätigt werden. Es gilt,<br />

«Das Taschengeld<br />

sollte dem Kind<br />

regelmässig<br />

gegeben werden.»<br />

Susan Edthofer ist Redaktorin<br />

im Bereich Kommunikation<br />

aufmerksam zu sein, denn leicht passieren von Pro Juventute.<br />

solche Käufe unabsichtlich. Auf der sicheren<br />

Seite sind Eltern, wenn sie In-App-<br />

Käufe deaktivieren oder Buchungen über die hinterlegte<br />

Kreditkarte durch ein Passwort schützen.<br />

Bei Prepaid-Angeboten steht nur ein vorgegebener<br />

Betrag zur Verfügung. So wird die Handyrechnung für<br />

Minderjährige nicht zur Schuldenfalle. Um böse Überraschungen<br />

zu vermeiden, sollten Eltern mit ihren Kindern<br />

über Risiken und Kosten beim Downloaden von<br />

Musik, Filmen und Spielen sprechen. Auf Nummer<br />

sicher geht, wer seinem Kind keinen Zugriff auf die Kreditkarte<br />

gewährt, auch nicht fürs Onlineshopping, und<br />

weiss, mit welchen Sicherheitseinstellungen die Kreditkarte<br />

geschützt ist.<br />

Was Eltern tun können – vier Tipps<br />

Leben Sie Ihren Kindern vor, dass nichtkäufliche Werte wie<br />

Freundschaften, gemeinsame Unternehmungen genauso wichtig<br />

sind zum Glücklichsein wie materielle Dinge.<br />

Im Umgang mit Taschengeld lernen Kinder den Wert des Geldes<br />

kennen und erfahren zugleich, dass viele Dinge etwas kosten.<br />

Sprechen Sie in der Familie altersgerecht über Lebenskosten.<br />

Um Überraschungen beim Musikdownload, beim Spielen und<br />

Surfen im Internet vorzubeugen, legen Sie mit Ihrem Kind fest,<br />

wie mit kostenpflichtigen Onlinediensten umgegangen wird.<br />

Hilfreiche Links: www.bugetberatung.ch/Taschengeld,<br />

www.jugendlohn.ch<br />

Pro Juventute Elternberatung<br />

Bei Pro Juventute Elternberatung können Eltern und Bezugspersonen von<br />

Kindern und Jugendlichen jederzeit telefonisch (058 261 61 61) oder online<br />

(www.projuventute-elternberatung.ch) Fragen zum Familienalltag, zur<br />

Erziehung stellen. Ausser den normalen Telefongebühren fallen keine<br />

Kosten an. In den Elternbriefen finden Eltern Informationen für den<br />

Erziehungsalltag. Neu erhältlich ist der Extrabrief «Geld und Konsum<br />

im Familienalltag». Mehr Infos: www.projuventute.ch<br />

48 Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>7 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


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Psychologie & Gesellschaft<br />

Regenbogenfamilien –<br />

und wie geht es den Kindern?<br />

Mutter, Vater, Kind ist heute längst nicht die einzige Variante einer Familie. Auch viele<br />

gleichgeschlechtliche Paare wünschen sich Kinder. Wie erfüllen sich diese Paare ihren<br />

Kinderwunsch? Und wie entwickeln sich Kinder in Regenbogenfamilien? Neue<br />

Forschungsergebnisse aus den USA schaffen nun eindeutig Klarheit. Text: Nathalie Meuwly<br />

Diese Kinder entwickeln<br />

sich vergleichbar mit Kindern,<br />

die mit Mutter und Vater<br />

aufwachsen.<br />

Petra und Nicole sind seit<br />

sieben Jahren ein Paar,<br />

beide wünschen sich ein<br />

Kind und möchten eine<br />

Familie gründen. Auch<br />

Andreas und Simon wollen ihr<br />

Glück mit einem Kind teilen. Beide<br />

Paare sind beispielhaft für viele<br />

Regenbogenfamilien, die in der<br />

Schweiz leben. Der nationale Dachverband<br />

Regenbogenfamilien<br />

schätzt, dass bis zu 30 000 Kinder in<br />

einer solchen Familienkonstellation<br />

aufwachsen. Regenbogenfamilien<br />

erweitern also nebst Patchworkfamilien<br />

sowie Einelternfamilien das<br />

traditionelle Familienbild mit Mutter,<br />

Vater und Kindern.<br />

Gleichgeschlechtliche Paare stossen<br />

jedoch auf grosse Hürden, wenn sie<br />

ihren Kinderwunsch realisieren<br />

möchten. Zum einen müssen Entscheidungen<br />

getroffen werden, wie<br />

beispielweise wer von beiden Partnern<br />

biologisch mit dem Kind verwandt<br />

ist. Ausserdem gilt es in der<br />

Schweiz viele rechtliche Hindernisse<br />

zu überwinden.<br />

Der Zugang zur Adoption und<br />

In-vitro-Fertilisation ist nur für<br />

heterosexuelle Ehepaare vorgesehen.<br />

Immerhin wird in Zukunft die<br />

Stiefkindadoption auch gleichgeschlechtlichen<br />

Paaren gewährt. Das<br />

bedeutet: Fortan erhalten gleichgeschlechtliche<br />

Eltern und deren Kinder<br />

den dringend notwendigen<br />

rechtlichen Schutz, der für heterosexuelle<br />

Familien selbstverständlich<br />

ist. Die neue Gesetzesbestimmung<br />

stellt zum Beispiel sicher, dass Kinder,<br />

die in Regenbogenfamilien aufwachsen,<br />

im Todesfall Anspruch auf<br />

Waisenrente oder im Trennungsfall<br />

Anspruch auf Unterhalt haben.<br />

Für das Verständnis von Regenbogenfamilien<br />

ist es wichtig, die<br />

rechtlichen Aspekte im Auge zu<br />

behalten. Im folgenden Text richten<br />

wir den Fokus aber auf die Frage<br />

nach dem Wohlbefinden von Kindern<br />

in Regenbogenfamilien.<br />

In der Psychologie ist man sich<br />

einig: Ein Kind braucht für eine<br />

gesunde Entwicklung tragfähige<br />

und verlässliche Beziehungen zu<br />

den Eltern oder anderen Bezugspersonen.<br />

So reicht die reine Anwesenheit<br />

von Bezugspersonen nicht<br />

aus, damit sich Kinder gut entwickeln<br />

können. Vielmehr ist die Art<br />

der Beziehung, welche eine emotionale<br />

Sicherheit vermittelt, entscheidend.<br />

Auf die Art der Beziehung<br />

kommt es an<br />

Aus psychologischer Sicht ist zu<br />

erwarten, dass gleichgeschlechtliche<br />

Paare ihren Kindern diese Art von<br />

Beziehung bieten können. Dies zeigt<br />

auch die aktuelle Forschungslage:<br />

Kinder mit gleichgeschlechtlichen<br />

Eltern entwickeln sich vergleichbar<br />

mit Kindern, die mit Mutter und<br />

Vater aufwachsen.<br />

Umfragen bei Eltern und Lehrpersonen<br />

ergeben stets dasselbe<br />

Bild: Kinder, die mit zwei Müttern<br />

oder zwei Vätern aufwachsen, unterscheiden<br />

sich in ihrer emotionalen<br />

Entwicklung nicht. Sie sind gleich<br />

50 Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>7 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Gleichgeschlechtliche<br />

Elternteile sind meist<br />

aktiver in der<br />

Kinderbetreuung als<br />

heterosexuelle Väter.<br />

Bild: Hero Images / plainpicture<br />

glücklich, gleich ängstlich und<br />

haben auch kein grösseres oder kleineres<br />

Risiko, verhaltensauffällig zu<br />

werden oder psychische oder somatische<br />

Symptome zu entwickeln als<br />

Kinder, die mit Mutter und Vater<br />

aufwachsen. Auch bezüglich der<br />

kognitiven Entwicklung gibt es keine<br />

Unterschiede. Kinder zeigen dasselbe<br />

Lernverhalten in der Schule<br />

und sind sozial ähnlich eingebunden.<br />

Selbst in Intelligenztests schneiden<br />

sie gleich ab.<br />

Auch Fachpersonen schätzen in<br />

Beobachtungen von Adoptiveltern<br />

den Umgang mit den Kindern gleich<br />

ein. Kinder reagieren gleich auf ihre<br />

Eltern, und auch die Kooperation<br />

beider Eltern ist vergleichbar. Interessanterweise<br />

wird das Verhalten<br />

der gleichgeschlechtlichen Adoptiveltern<br />

sogar als feinfühliger eingeschätzt<br />

als das Verhalten von heterosexuellen<br />

Adoptiveltern.<br />

Zusammenfassend kann festgehalten<br />

werden, dass positive Eltern-<br />

Kind-Beziehungen weitaus bedeutender<br />

sind für die Entwicklung<br />

eines Kindes als das Geschlecht oder<br />

die sexuelle Orientierung der Eltern.<br />

Eine kürzlich publizierte repräsentative<br />

Studie, die 2<strong>01</strong>1 bis 20<strong>12</strong> in<br />

den USA durchgeführt wurde,<br />

kommt zum selben Ergebnis. In dieser<br />

Studie konnte sichergestellt werden,<br />

dass die zufällig ausgewählten<br />

Elternpaare alle seit der Geburt des<br />

Kindes zusammen waren und das<br />

Kind gemeinsam aufzogen. Zudem<br />

hatte jedes untersuchte Kind im<br />

Alter von 6 bis 17 Jahren einen sogenannten<br />

Zwilling in der Vergleichsstichprobe<br />

mit identischem Alter<br />

und sozioökonomischem Hintergrund,<br />

um eine hohe Aussagekraft<br />

für die Ergebnisse zu erreichen.<br />

Für die Kinder von Nicole und<br />

Petra oder Andreas und Simon ist<br />

also keine andere Entwicklung zu<br />

erwarten als die der Nachbarskinder<br />

mit Mutter und Vater. Der einzige<br />

erwartete Unterschied könnte sein,<br />

dass die gleichgeschlechtlichen<br />

Elternpaare Kinderbetreuung und<br />

Hausarbeit ausgeglichener aufteilen<br />

werden. So haben mehrere Studien<br />

gezeigt, dass beide gleichgeschlechtlichen<br />

Elternteile in der Kinderbetreuung<br />

meist aktiver sind als heterosexuelle<br />

biologische Väter.<br />

Werden die Kinder nicht gehänselt?<br />

Andreas und Simon sorgen sich, dass<br />

ihr Kind in der Schule gehänselt werden<br />

könnte, und nehmen sich >>><br />

Zwei Mamis oder zwei Papis<br />

zu haben, kann bedeuten,<br />

dass das Kind ausgelacht wird.<br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>751


Psychologie & Gesellschaft<br />

>>> vor, ihr Kind darauf vorzubereiten.<br />

Re präsentative Studien zu<br />

diesem Thema fehlen bisher. Untersuchungen<br />

zeigen aber, dass rund ein<br />

Viertel bis die Hälfte der Kinder von<br />

Erfahrungen mit Hänseleien berichten.<br />

Zwei Mamis oder zwei Papis zu<br />

haben, kann bedeuten, dass ein Kind<br />

beleidigt und ausgelacht wird oder<br />

dass es sich lästige Fragen durch<br />

Gleichaltrige gefallen lassen muss.<br />

Aufgrund der vorher erwähnten<br />

Studien bezüglich des Wohlbefindens<br />

muss jedoch nicht davon ausgegangen<br />

werden, dass Kinder mit<br />

gleichgeschlechtlichen Eltern tendenziell<br />

öfter Opfer von schweren<br />

Hänseleien werden. Wäre dies der<br />

Fall, müssten wir ein schlechteres<br />

psychisches Wohlbefinden oder gar<br />

einen tieferen Selbstwert für Kinder<br />

Eltern und Lehrer müssen<br />

wichtige Aufklärungarbeit<br />

leisten und bei Hänseleien<br />

direkt eingreifen.<br />

aus Regenbogenfamilien feststellen.<br />

Eine Befragung von Regenbogenfamilien<br />

aus Deutschland zeigte<br />

jedoch, dass Kinder über einen<br />

höheren Selbstwert verfügen und<br />

rund 90 Prozent der Jugendlichen<br />

offen mit ihrem Familienhintergrund<br />

umgehen. In Bezug auf Hänseleien<br />

sind auf jeden Fall die<br />

Erwachsenen gefragt, aktiv zu werden.<br />

Eltern und Lehrer müssen<br />

wichtige Aufklärungsarbeit bezüglich<br />

verschiedensten Familienformen<br />

leisten und bei Hänseleien<br />

direkt eingreifen. Dabei ist auch ein<br />

Schimpfwortgebrauch wie «du<br />

schwule Sau» nicht zu dulden.<br />

Andreas und Simon sind sich<br />

bewusst, dass sie als Regenbogenfamilie<br />

in einem kleinen Dorf Pionierarbeit<br />

leisten müssen wie einst die<br />

ersten Scheidungsfamilien. Nicole<br />

und Petra haben weniger Bedenken;<br />

in ihrer Stadt gehören Regenbogenfamilien<br />

längst zum Alltag.<br />

Was heisst das für Schweizer<br />

Kinder?<br />

Für die Schweiz fehlen bisher breit<br />

abgestützte psychologische Untersuchungen<br />

über das Wohlbefinden von<br />

Kindern in Regenbogenfamilien.<br />

Jedoch ist auch für die Schweiz zu<br />

erwarten, dass das Geschlecht und<br />

die sexuelle Orientierung der Eltern<br />

für das Wohlbefinden der Kinder<br />

nicht entscheidend sind, sondern<br />

vielmehr das Vorhandensein von<br />

verlässlichen emotionalen Beziehungen<br />

zu deren Eltern. Die dargestellten<br />

Forschungsergebnisse stammen<br />

aus westlichen Ländern – Belgien,<br />

Deutschland, Niederlande, Australien<br />

und den USA – und sollten im<br />

weitesten Sinne auf die Schweiz<br />

übertragbar sein.<br />

Bezüglich rechtlicher Gleichstellung<br />

von Regenbogenfamilien in der<br />

Schweiz hinkt die Gesetzgebung<br />

deutlich hinterher. Dabei ist diese<br />

eine entscheidende Voraussetzung<br />

Paare für Studie<br />

gesucht!<br />

Intime Beziehungen und Partnerschaften<br />

sind enorm wichtig für<br />

unser Befinden und unsere<br />

Gesundheit. Ein Team der Universität<br />

Freiburg untersucht, wie diverse<br />

Paare in unterschiedlichen<br />

Situa tionen kommunizieren und<br />

interagieren. Die Studie interessiert<br />

sich für die Rolle der Ge ­<br />

schlechter in der Paarkommunikation,<br />

somit auch für diverse<br />

Paartypen (gleichgeschlechtlich,<br />

heterosexuell usw.). Zudem soll das<br />

Wissen über das Wohlbefinden von<br />

gleichgeschlechtlichen Paaren in<br />

der Schweiz verbessert werden.<br />

Die Studienteilnahme besteht aus<br />

zwei Teilen:<br />

Eine Studienmitarbeiterin be ­<br />

sucht Sie zu Hause: Ausfüllen von<br />

Fragebogen und Videoaufzeichnungen<br />

der Paarkommunikation,<br />

Dauer: zwei bis zweieinhalb Stunden.<br />

Tagebuchstudie mit Smartphones<br />

während 14 Tagen: Sie<br />

beantworten täglich kurze Frageserien<br />

(drei bis fünf Minuten)<br />

zu Ihrer alltäglichen Kommunikation<br />

und Ihrem aktuellen Befinden.<br />

Die Smartphones werden<br />

zur Verfügung gestellt.<br />

Für die Teilnahme an der Studie<br />

erhalten Sie als Paar 200 Franken.<br />

Sie können teilnehmen, wenn Sie<br />

folgende Bedingungen erfüllen: Sie<br />

leben seit mindestens sechs Monaten<br />

in einer festen Partnerschaft<br />

(egal ob gemischt- oder gleichgeschlechtlich,<br />

ob heterosexuell,<br />

lesbisch, schwul, bisexuell oder<br />

queer), beide sind mindestens<br />

20 Jahre alt und bereit, als Paar<br />

teilzunehmen. Zudem wohnen Sie<br />

zusammen oder sehen sich mindestens<br />

vier Mal pro Woche.<br />

Haben Sie Interesse? Wir freuen<br />

uns auf Ihre Kontaktaufnahme<br />

über Telefon 026 300 74 86 oder<br />

www.diversecouples.ch und informieren<br />

Sie gerne über die konkreten<br />

Studieninhalte.<br />

52 Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>7 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Auch in der Schweiz finden wir<br />

ein erhöhtes Suizidrisiko<br />

für junge homosexuelle Männer.<br />

für die gesellschaftliche Akzeptanz<br />

und eine wichtige Grundlage, um<br />

gegen die anhaltende Stigmatisierung<br />

und Diskriminierung dieser<br />

Lebensformen anzugehen. Davon<br />

würden nicht nur gleichgeschlechtliche<br />

Paare und ihre Kinder profitieren,<br />

sondern auch heranwachsende<br />

schwule, lesbische oder bisexuelle<br />

Jugendliche. Gerade für die Jugendlichen<br />

würde die rechtliche Gleichstellung<br />

ein positives Signal senden<br />

und so die Akzeptanz ihrer eigenen<br />

Homosexualität fördern.<br />

Auch in der Schweiz finden wir<br />

wie in vielen anderen Ländern ein<br />

erhöhtes Suizidrisiko für junge<br />

schwule und bisexuelle Männer<br />

(Frauen wurden nicht untersucht).<br />

Die Angst vor Stigmatisierung der<br />

Kinder darf also kein Grund sein,<br />

die rechtliche Gleichstellung von<br />

gleichgeschlechtlichen Paaren und<br />

ihren Familien zu verhindern.<br />

Solange die rechtliche Gleichstellung<br />

nicht vollzogen ist, trägt auch<br />

das Gesetz zur Aufrechterhaltung<br />

der Stigmatisierung bei und wird<br />

nicht verhindern, dass gleichgeschlechtlich<br />

liebenden Menschen<br />

und ihren Kindern weiterhin mit<br />

Vorurteilen begegnet wird.<br />

Nathalie Meuwly<br />

ist promovierte Psychologin und<br />

wissenschaftliche Mitarbeiterin am<br />

Psychologischen Departement der<br />

Universität Freiburg und Projektleiterin<br />

des SNF-Projektes «interaction in<br />

diverse couples». Zudem arbeitet sie als<br />

Psychotherapeutin in Ausbildung.<br />

>>><br />

50 JAHRE<br />

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reflect_icons.pdf 1 05.08.15 08:58<br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>753


Kolumne<br />

Kinder sollten alles<br />

über den Tod erfahren<br />

Die Grossmutter leidet an Krebs. Die Krankheit belastet die Familie sehr. Eines der Kinder hat<br />

Albträume, spricht über die Angst vor dem Sterben. Wie sollen wir mit unseren Kindern über<br />

den Tod reden? Und wie sollen wir mit unserer Trauer und der Trauer unserer Kinder umgehen?<br />

Jesper Juul<br />

ist Familientherapeut und Autor<br />

zahlreicher internationaler Bestseller<br />

zum Thema Erziehung und Familien.<br />

1948 in Dänemark geboren, fuhr er<br />

nach dem Schulabschluss zur See, war<br />

später Betonarbeiter, Tellerwäscher<br />

und Barkeeper. Nach der<br />

Lehrerausbildung arbeitete er als<br />

Heimerzieher und Sozialarbeiter<br />

und bildete sich in den Niederlanden<br />

und den USA bei Walter Kempler zum<br />

Familientherapeuten weiter. Seit 20<strong>12</strong><br />

leidet Juul an einer Entzündung der<br />

Rückenmarksflüssigkeit und sitzt im<br />

Rollstuhl.<br />

Jesper Juul hat einen erwachsenen<br />

Sohn aus erster Ehe und ist in zweiter<br />

Ehe geschieden.<br />

Ich bin verheiratet und Mutter<br />

dreier Kinder. Die Töchter<br />

sind fünfzehn und fünf Jahre<br />

alt, der Sohn neun. Vor zwei<br />

Jahren erkrankte meine Mutter<br />

unheilbar an Krebs. Ich habe eine<br />

gute Beziehung zu ihr. Wir waren oft<br />

auf Reisen und pflegen regelmässigen<br />

Kontakt. Die Krankheit meiner<br />

Mutter hat eine grosse Auswirkung<br />

auf unser ganzes Familienleben. Ich<br />

bin müde und oft aus dem Gleichgewicht.<br />

Und es ist schwierig für mich,<br />

mit unseren Kindern in Kontakt zu<br />

sein. Ich fühle, wie die Kinder auch<br />

leiden, aber es gelingt mir nicht, auf<br />

ihre Bedürfnisse einzugehen.<br />

Die Grossmutter vermisst ihre<br />

Enkel, ist sich aber unsicher, ob sie<br />

mit deren Besuchen umgehen kann.<br />

Meist sagt sie diese ab. Die Kinder<br />

reden viel über ihre Grossmutter<br />

und sprechen auch mit ihr. Sie fragen<br />

auch, ob sie Schmerzen habe,<br />

wie es ihr gehe. Die Älteste hat verstanden,<br />

dass ihre Grossmutter kein<br />

aktiver Teil ihres Lebens mehr sein<br />

wird. Der Junge will jedoch genau<br />

wissen, was los ist. Er fragt etwa, ob<br />

seine Grossmutter demnächst sterbe.<br />

Er hat Albträume und spricht<br />

«Verstecken Eltern ihre Gefühle,<br />

distanzieren sich Kinder auch<br />

von ihren eigenen Gefühlen.»<br />

offen über seine Angst vor dem Sterben.<br />

Er macht sich Sorgen um uns,<br />

um die Schmerzen der Grossmutter<br />

und stellt sich den Tod als sehr dunkel<br />

vor. Seit Kurzem ist meine Mutter<br />

in einem Hospiz. Mein Mann<br />

und ich sind uns nicht im Klaren, ob<br />

wir unsere Kinder dorthin mitnehmen<br />

sollen. Wie sollte der Abschied<br />

sein? Wie sehr sollen die Kinder am<br />

Tod der Grossmutter teilhaben?<br />

Und vor allem: Wie sollen wir Eltern<br />

mit unserer Trauer und der unserer<br />

Kinder umgehen?<br />

Antwort von Jesper Juul<br />

Leider wird der Tod im Allgemeinen<br />

nicht als unausweichliche Tatsache<br />

anerkannt. Er passt oft nicht in unser<br />

so geschäftiges und durchgeplantes<br />

Leben. Doch er ist ein wichtiger Teil<br />

unseres Lebens. Kinder sollten alles<br />

über den Tod erfahren dürfen, um<br />

ihn als Tatsache des Lebens in Verbindung<br />

bringen zu können. Das<br />

gibt ihrem Leben eine neue Perspektive<br />

und vermittelt ihnen ein tieferes<br />

Verständnis über die Wirklichkeit.<br />

Es scheint, dass Ihr Sohn den<br />

Weg vorgibt. Die ersten philosophischen<br />

Auseinandersetzungen mit<br />

dem Tod beginnen etwa mit sechs.<br />

Mit neun Jahren nimmt Ihr Sohn<br />

den bevorstehenden Tod der Grossmutter<br />

als real wahr. Seine Reaktionen<br />

sind gesund und normal. Als<br />

Eltern brauchen Sie ihn deshalb<br />

nicht vor diesen Erfahrungen zu<br />

schützen. Während der nächsten<br />

Illustration: Petra Dufkova / Die Illustratoren<br />

54 Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>7 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


zwei, drei Jahre braucht er noch<br />

Begleitung, bis seine Gedanken und<br />

Emotionen zu einem integralen<br />

Bestandteil seiner Existenz geworden<br />

sind. So ist er für die nächste<br />

Situation, in der er mit einer ernsthaften<br />

Krankheit oder dem Tod<br />

konfrontiert wird, gut gewappnet.<br />

Das hilft ihm, zu verstehen, dass<br />

auch er eines Tages sterben wird.<br />

Das wird eine enorme Bereicherung<br />

für sein Leben sein. Es stärkt zudem<br />

seine Empathie und hilft ihm, einen<br />

Bezug zum Tod seiner Eltern herzustellen,<br />

sobald es so weit ist.<br />

Hospizmitarbeiter haben viel<br />

Erfahrung darin, Menschen beim<br />

Abschied von ihren Lieben behilflich<br />

zu sein. Es gibt verschiedene<br />

Möglichkeiten. Dazu braucht es eine<br />

Einladung an alle, ihre Gefühle und<br />

Gedanken auszudrücken. In Zeiten<br />

des Kummers und der Tränen können<br />

Sie Ihren Kindern über die<br />

schönsten und prägendsten Mo ­<br />

mente mit Ihrer Mutter erzählen,<br />

über Krisen und Bereicherungen.<br />

Danach kann auch der Vater von<br />

Erlebnissen mit der Schwiegermutter<br />

erzählen. Und dann sind die Kinder<br />

an der Reihe. Fällt es ihnen zu<br />

schwer, sich persönlich von ihr zu<br />

verabschieden, könnten sie einen<br />

Brief schreiben, den ihre Mutter<br />

ihrer Grossmutter vorliest. Kleine<br />

Kinder zeichnen lieber etwas, das als<br />

Symbol für ihre schönen Erinnerungen<br />

oder ihre Traurigkeit steht.<br />

Wenn die Grossmutter stirbt, ist<br />

es für die Familie wichtig, alle Erinnerungen<br />

zusammenzutragen und<br />

zu teilen und vor allem auch darüber<br />

zu sprechen, was beim Begräbnis<br />

geschehen wird.<br />

In den folgenden Monaten ist es<br />

wichtig, die Grossmutter in der<br />

Familie «am Leben» zu erhalten.<br />

Wenn Sie an Ihre Mutter denken,<br />

können Sie die Gedanken mit Ihren<br />

Kindern teilen. So bewegen Sie vielleicht<br />

ihre Kinder dazu, auch über<br />

ihre Gefühle zu sprechen.<br />

Der Trauerprozess von Kindern<br />

unterscheidet sich von dem der<br />

«Traurigkeit ist ein notwendiger<br />

Teil des Lebens, der untrennbare<br />

Zwilling vom Glücklichsein.»<br />

Erwachsenen, die oft eine lange Zeit<br />

von Traurigkeit und Kummer erleben.<br />

Kinder hingegen erleben den<br />

Kummer phasenweise. In einem<br />

Moment spielen sie Fussball, quasseln<br />

oder streiten sich, im nächsten<br />

Moment sind sie mitten im Trauerprozess.<br />

Die Traurigkeit kommt aus<br />

dem Nichts und bleibt für ein paar<br />

Minuten, eine Stunde oder länger.<br />

Die fünfzehnjährige Tochter be ­<br />

findet sich, wie viele Gleichaltrige,<br />

zum einen in ihrer oberflächlichen<br />

Welt, zum anderen in tiefen, essenziellen<br />

Betrachtungen. In ihrer oberflächlichen<br />

Welt sind Make-up und<br />

Ausgehen von Bedeutung. Aus dieser<br />

Welt heraus betrachtet wird ihr<br />

das dem Tod geweihte Gesicht ihrer<br />

Grossmutter nicht gefallen. Dieses<br />

Empfinden ist nicht un ähnlich dem,<br />

was das Sexualleben ihrer Eltern<br />

betrifft – es ist ihr unangenehm. Die<br />

andere Seite ist erfüllt von den existenziellen<br />

Gedanken.<br />

Richten Sie Ihre Aufmerksamkeit<br />

auf diese Emotionen und sprechen<br />

Sie wenn möglich mit ihr darüber:<br />

Wie Sie als Mutter Ihre Mutter er ­<br />

fahren haben, welche Frau und Mutter<br />

sie war. So kann Ihre Tochter<br />

vergleichen, wie sie zu den beiden<br />

Frauen steht. Dadurch lernt sie sich<br />

besser kennen und kann herausfinden,<br />

wer sie ist, was sie ausmacht.<br />

Es stärkt auch die Mutter-Tochter-Beziehung,<br />

indem Sie einander<br />

als Individuen respektieren lernen<br />

und besser damit umgehen können,<br />

dass die Tochter das Haus bald verlassen<br />

wird. Es kann Ihnen auch in<br />

der Beziehung zu Ihrem Mann helfen,<br />

wenn Sie ähnliche Gespräche<br />

mit ihm führen. Denn auch er<br />

braucht eine Aktualisierung Ihrer<br />

emotionalen Situation.<br />

Leider gibt es diese Unterhaltungen<br />

kaum noch. Wir tendieren dazu, uns<br />

vom Tod und vom Älterwerden zu<br />

distanzieren. Wir neigen auch dazu,<br />

diese Emotionen alleine oder mit<br />

einem Psychologen aufzuarbeiten.<br />

So verliert die Familie ihren Nutzen,<br />

nämlich ein Ort auch für herausfordernde<br />

Gefühle und Gedanken zu<br />

sein. Das ist schade, denn darin liegt<br />

ein Potenzial für die Neuwerdung<br />

und das Wachstum, sowohl persönlich<br />

als auch als Familie.<br />

Für die Eltern ist es wichtig, dass<br />

sie ihre Traurigkeit nicht verbergen.<br />

Traurigkeit ist ein notwendiger Teil<br />

des Lebens, sozusagen der untrennbare<br />

Zwilling vom Glücklichsein.<br />

Noch viel wichtiger ist es, als Eltern<br />

ein Vorbild für seine Kinder zu sein.<br />

Wenn wir als Eltern unsere essenziellen<br />

Gefühle vor unseren Kindern<br />

verstecken, laufen wir Gefahr, dass<br />

sich unsere Kinder von ihren Gefühlen<br />

distanzieren. Dies hätte zur Folge,<br />

dass sie damit die Qualität ihres<br />

Lebens als Kinder und später auch<br />

als Erwachsene vermindern.<br />

Kinder sind einfach Romantiker.<br />

Sie wollen, dass ihre Eltern glücklich<br />

sind – alleine und zusammen. Deshalb<br />

ist es von grosser Bedeutung,<br />

dass Eltern ihre Kinder immer wieder<br />

und kontinuierlich an ihrem<br />

Spektrum der Emotionen teilhaben<br />

lassen. Dadurch eignen sich Kinder<br />

ihre für sie bedeutsame Lebenskompetenz<br />

an.<br />

Die Kolumnen von Jesper Juul entstehen<br />

in Zusammenarbeit mit<br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>755


Erziehung & Schule<br />

Ein Plädoyer<br />

für die Pädagogik<br />

Der Erziehung liegen Phänomene zugrunde, die es zu erkennen, zu verstehen und<br />

zu erklären gilt. Nur mit diesem Wissen können wir weiter über die pädagogischen<br />

Probleme nachdenken. Text: Christine Staehelin<br />

«Erziehen ist eine<br />

Herausforderung und<br />

eine wunderschöne<br />

Aufgabe.»<br />

Christine Staehelin, M.A., ist<br />

wissenschaftliche Mitarbeiterin der<br />

Pädagogischen Arbeitsstelle LCH,<br />

Primarlehrerin und Mutter zweier Söhne.<br />

Bestimmt kennen Sie als<br />

Eltern diese Situationen:<br />

Seit einer Viertelstunde<br />

rufen Sie dem elfjährigen<br />

Sohn ins Kinderzimmer,<br />

er solle jetzt endlich ins<br />

Bett gehen, Sie würden dann kommen<br />

und ihm eine gute Nacht wünschen.<br />

Ihre vierjährige Tochter stochert<br />

im Mittagessen herum und<br />

will gar nichts von dem, was Sie<br />

gekocht haben, essen, während Ihre<br />

zehnjährige Tochter schon wieder<br />

mit einer zwanzigminütigen Verspätung<br />

zum Essen erschienen ist. Was<br />

tun? Ja, was tun?<br />

Nicht, dass Lehrerinnen und Lehrer<br />

nicht auch solche Situationen kennen<br />

würden: Alissa kommt zum<br />

dritten Mal in der gleichen Woche<br />

zu spät, Max legt wieder seinen<br />

Zahnarzttermin in die Mathematiklektion,<br />

während Marco seit einer<br />

Woche überhaupt keine Schulsachen<br />

mehr dabei hat und auch im Unterricht<br />

nur unmotiviert herumsitzt.<br />

Was tun? Ja, was tun?<br />

Ein Strauss von Fragen<br />

Natürlich haben Sie als Eltern wie<br />

auch wir als Lehrpersonen dann<br />

unzählige spontane Ideen, von<br />

denen wir oft alle gleich wieder verwerfen,<br />

weil die ersten Reaktionsimpulse<br />

meistens nicht sehr freundlich<br />

aussehen.<br />

Also ein wenig nachdenken, aber<br />

allzu lange hat auch keinen Sinn,<br />

weil die unerwünschte Situation<br />

dann noch länger andauert. Und<br />

worüber genau nachdenken? Das<br />

macht es dann schon schwieri ger:<br />

Über die Berechtigung dessen, was<br />

man selber gern er reichen möchte?<br />

Da sind Sie sich als Eltern und auch<br />

wir uns als Lehrpersonen manchmal<br />

nicht einmal mit uns selbst einig.<br />

Und dann: Sofort re agieren? Abwarten<br />

und auf drei zählen? Oder gar<br />

nicht reagieren, ist ja alles nicht so<br />

schlimm? Vor warnen? Ermahnen?<br />

Sich durchsetzen oder das Verhalten<br />

durchgehen lassen?<br />

Je länger man darüber nachdenkt,<br />

was man nun am besten tun sollte,<br />

desto weiter werden die Gedankenkreise:<br />

Habe ich nicht schon hundertmal<br />

gesagt, dass das nicht geht?<br />

Was ist auch mit meinem Kind, meiner<br />

Schülerin, meinem Schüler los?<br />

Liegen da vielleicht tiefer gehende<br />

Probleme vor? Oder geht es da einfach<br />

um Widerstand? Geht es darum,<br />

mich wütend zu machen? Werde<br />

ich als Vater oder als Mutter, als<br />

Lehrer oder als Lehrerin überhaupt<br />

noch ernst genommen? Geht’s also<br />

um mich? Oder geht’s um überhaupt<br />

nichts von dem, worüber ich gerade<br />

nachgedacht habe?<br />

«Ob wir Einsicht<br />

oder Widerstand<br />

bewirken, wissen<br />

wir nicht.»<br />

Und wenn ich auf meinem Standpunkt<br />

beharre: Tut das Kind dann,<br />

was ich will? Oder löse ich damit<br />

genau das Gegenteil von dem aus,<br />

was ich eigentlich will? Die vierjährige<br />

Tochter dreht erbost ihren Teller<br />

mit dem Essen einfach um; der Elfjährige<br />

erklärt nochmals eine Viertelstunde<br />

lang, was er vor dem<br />

Zu-Bett-Gehen noch unbedingt alles<br />

erledigen müsse, während die Zehn-<br />

56 Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>7 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


jährige nach der Standpauke wütend<br />

ins Zimmer verschwindet, statt sich<br />

mit der Familie an den Tisch zu setzen.<br />

Und uns als Lehrpersonen geht<br />

es nicht anders: Alissa kommt weiterhin<br />

zu spät, Max fehlt zwar nicht<br />

mehr, doch die Mathematik interessiert<br />

ihn immer noch nicht, und<br />

Marco beginnt, den Unterricht zu<br />

stören.<br />

Das Paradox von Freiheit und Zwang<br />

Es liegt im Wesen der Erziehungssituation,<br />

dass wir als Erziehende<br />

nicht wirklich wissen, was im Kind<br />

vorgeht, wir können es nur erahnen.<br />

Und wir können nicht wirklich wissen,<br />

was unsere Interventionen<br />

bewirken: Einsicht oder Widerstand.<br />

Es gibt unzählige Erziehungsratgeber<br />

und unzählige erziehungswissenschaftliche<br />

Studien, welche<br />

empirisch belegen wollen, welche<br />

Interventionen welche Effekte<br />

haben. Die Herstellung von klaren<br />

kausalen Zusammenhängen beim<br />

pädagogischen Handeln übersieht<br />

aber die Freiheit des Kindes. Schon<br />

der Philosoph Kant hat auf dieses<br />

dem Erziehungshandeln zugrunde<br />

liegende Paradoxon hingewiesen<br />

und gefragt: «Wie kultiviere ich die<br />

Freiheit bei dem Zwange?» Dieses<br />

Paradoxon gehört unmittelbar zur<br />

pädagogischen Situation und zum<br />

pädagogischen Handeln und lässt<br />

sich nicht auflösen.<br />

Davon ausgehend ergeben sich<br />

weitere Fragen: Was ist verhandelbar,<br />

was nicht? Wann entscheide ich<br />

mich zugunsten des Einzelnen,<br />

wann zugunsten der Gemeinschaft?<br />

Inwiefern fühle ich mich in die<br />

Situa tion des Kindes ein und wann<br />

distanziere ich mich vom gezeigten<br />

Verhalten? Wann ist mir die Sache<br />

wichtig – Pünktlichkeit, genügend<br />

Schlaf, gesunde Ernährung – und<br />

wann stelle ich die Bedürfnisse des<br />

Kindes in den Vordergrund?<br />

Solche Antinomien auflösen zu<br />

wollen und bestimmte Technologien<br />

anzupreisen, welche zu gewünschten<br />

Zielen führen, widerspricht den<br />

pädagogischen Absichten zutiefst,<br />

denn das Ziel – nicht die Voraussetzung<br />

– der Erziehung ist der Erwerb<br />

der Fähigkeit des eigenständigen<br />

Denkens und Handelns des zukünftig<br />

Erwachsenen.<br />

«Wir zeigen den<br />

Kindern den Weg,<br />

sich in der Welt<br />

zu orientieren.»<br />

Erziehung meint nicht nur die Herstellung<br />

von erwünschtem Verhalten,<br />

sondern umfasst stets auch das<br />

praktische Handeln in einer Beziehung<br />

zwischen Jüngeren und Älteren,<br />

bei welchem die Eltern eine<br />

zweifache Verantwortung übernehmen,<br />

für das Leben und Werden des<br />

Kindes wie für den Fortbestand der<br />

Welt, wie es Hanna Arendt formuliert.<br />

Erziehend zeigen wir den Kindern<br />

die Welt, eine Welt, für welche<br />

wir Erwachsenen eine gewisse Leidenschaft<br />

haben und der wir nicht<br />

gleichgültig gegenüberstehen sollten.<br />

Und damit die Kinder lernen,<br />

sich in der Welt zu orientieren, zeigen<br />

wir ihnen immer wieder den<br />

Weg. Erziehung findet immer in<br />

einem asymmetrischen Verhältnis<br />

statt, auch wenn das geltende Ideal<br />

der symmetrischen Kommunikation<br />

dem entgegensteht und das<br />

Generationenverhältnis an Bedeutsamkeit<br />

verloren hat.<br />

Erziehung ist eine Herausforderung,<br />

eine Zumutung für beide Seiten.<br />

Manchmal möchten wir nicht<br />

erziehen, weil uns die Welt jetzt<br />

gerade gleichgültig ist, weil wir gerade<br />

genug haben von Auseinandersetzungen;<br />

manchmal wissen wir<br />

den Weg selber nicht; und manchmal<br />

möchten wir uns gerade nicht<br />

erwachsen verhalten. Und unsere<br />

Kinder, unsere Schülerinnen und<br />

Schüler möchten manchmal den<br />

eigenen Kopf durchsetzen, etwas<br />

anderes tun als das, was gerade von<br />

ihnen erwartet wird, oder überhaupt<br />

nichts tun.<br />

Erziehen ermöglicht neue Sichten<br />

auf die Welt<br />

Die Herausforderungen, welche die<br />

Erziehung an Sie als Eltern und an<br />

uns als Lehrpersonen stellt, sind vielfältig.<br />

Die Paradoxien und Unabwägbarkeiten,<br />

welche ihr innewohnen,<br />

sollten aber nicht dazu verleiten, sie<br />

mit Rezepten aus Erziehungsratgebern<br />

oder Massnahmekatalogen<br />

basierend auf erziehungswissenschaftlichen<br />

Forschungen aus der<br />

Welt schaffen zu wollen. Oder, noch<br />

schlimmer, das Erziehungsverhältnis<br />

zu negieren, indem wir Kinder<br />

immer als Gleiche adressieren und<br />

zu einer Pseudopartizipation verführen.<br />

Erziehen ist letztlich auch eine<br />

wunderschöne Aufgabe, weil sie uns<br />

immer wieder neue Sichten auf die<br />

Welt, auf uns selbst und auf unsere<br />

Kinder, unsere Schülerinnen und<br />

Schüler und all das Neue, was sie<br />

einbringen, ermöglicht.<br />

In diesem Sinne wünsche ich<br />

Ihnen, liebe Eltern, wie auch uns<br />

Lehrerinnen und Lehrern weiterhin<br />

viel Freude an der Erziehung, welcher<br />

wir uns gemeinsam widmen<br />

und welche wir zu unserer gemeinsamen<br />

Sache machen sollten. Der<br />

Pädagogik schliesslich wünsche ich<br />

jenen Platz im wissenschaftlichen<br />

Diskurs, der ihr als bedeutsames<br />

Fach zusteht, um die der Erziehung<br />

zugrunde liegenden Phänomene zu<br />

erkennen, zu verstehen und zu<br />

erklären.<br />

Nur so können wir alle weiterhin<br />

über die pädagogischen Probleme<br />

nachdenken, statt so zu tun, als gäbe<br />

es einfache Antworten bei komplexen<br />

Phänomenen.<br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>757


Erziehung & Schule<br />

Tanzen macht<br />

die Seele frei<br />

Musik geniesst in unserer Gesellschaft einen weitaus höheren Stellenwert als der Tanz.<br />

Zu Unrecht. Wenn Kinder tanzen, spüren sie Glück. Erwachsenen fällt es oft nicht leicht,<br />

einfach draufloszutanzen. Dabei lohnt es sich, sich ganz der Bewegung hinzugeben.<br />

Text: Sibylle Dubs<br />

Wer von Bewegung<br />

spricht,<br />

denkt meist an<br />

Sport. Bewegung<br />

– sprich:<br />

der Tanz – als Ausdrucksform ist aus<br />

unserem Alltag weitgehend verschwunden.<br />

«Der Tanz lebt dort, wo<br />

Repression herrscht, wo Armut<br />

herrscht. Wenn der Mensch zufrieden<br />

ist und satt, hat sich das Tanzen<br />

erledigt», sagt Oki Degen, Tänzerin<br />

und Tanzpädagogin aus Basel.<br />

An der Musikschule Binningen-<br />

Bottmingen unterrichtet die gebürtige<br />

Berlinerin rund 200 Kinder und<br />

Jugendliche in Tanz. Viele Schülerinnen<br />

und Schüler besuchen den<br />

Tanzsaal zum ersten Mal in ihrer<br />

Primarschulzeit und halten ihrer<br />

Tanzlehrerin die Treue, bis sie er -<br />

wachsen sind.<br />

Die 50-Jährige kommt ursprünglich<br />

vom zeitgenössischen Tanz, studierte<br />

auch viele Volkstänze und<br />

mixt bei der Arbeit mit Kindern und<br />

Jugendlichen verschiedene Stile. Sie<br />

vergleicht dies gerne mit einem<br />

Koch, der Mut hat zu experimentieren.<br />

Letztes Jahr startete die Tanztherapeutin<br />

eine kleine Umfrage.<br />

Oki Degen wollte von ihren Schülern<br />

wissen, ob sie gerne tanzen und<br />

warum. «Die sahen mich an, als sei<br />

ich ein Pferd», erzählt sie lachend.<br />

«Natürlich tanzen wir gerne!», hätten<br />

sie gerufen.<br />

Die Begründung war je nach<br />

Alter unterschiedlich. Die jüngeren<br />

Kinder sagten, dass sie beim Tanzen<br />

Glück spürten. Die Jugendlichen<br />

freuen sich über die Möglichkeit, aus<br />

dem Alltag auszubrechen.<br />

«Es ist ein Urbedürfnis des Menschen,<br />

sich mit dem Körper auszudrücken»,<br />

sagt Oki Degen. «Leider<br />

kommt diese Form der Kommunikation<br />

in unserer Gesellschaft zu<br />

kurz.»<br />

Auf dem Balkan, so Degen, werde<br />

praktisch auf jedem Fest in Gruppen<br />

getanzt. Dabei werde mehr ausgedrückt<br />

als mit Smalltalk am Tisch.<br />

Aber selbst auf dem Balkan verschwinden<br />

die Tänze mehr und<br />

mehr. «Werden Gesellschaften reicher,<br />

erhält der Tanz eine andere<br />

Bedeutung», erklärt die Tanzpädagogin.<br />

«Es entstehen Trends wie<br />

Zumba, wo zur Musik Fitness<br />

gemacht wird. Das nennt man dann<br />

auch Tanz.»<br />

Ein Tanz im Park<br />

Kinder erfinden laufend kleine<br />

Choreografien. Zum Beispiel, wenn sie<br />

im Park einmal um die Linde, dann zum<br />

Bänkli und den Linien der Pflastersteine<br />

nach wieder zurücklaufen oder -tanzen.<br />

Wann sind Sie zum letzten Mal um<br />

eine Baumallee gekurvt? Tun Sie es.<br />

Und erfinden Sie Varianten dazu:<br />

Hüpfend, schwebend, die Arme<br />

schwingend oder in die Seite gestützt,<br />

auf Zehenspitzen, ganz tief.<br />

Jemand kann voraustanzen, und die<br />

anderen kopieren die Bewegungen.<br />

Nehmen Sie Ihre Kinder und deren<br />

Freunde und deren Eltern an die Hand<br />

und schlängeln Sie zusammen um<br />

die Bäume, ändern Sie auf ein Zeichen<br />

die Richtung.<br />

Ändern Sie die Formation: immer zwei<br />

zusammen, einer gegen alle oder zwei<br />

grosse Gruppen, die durcheinander<br />

gehen.<br />

Ein dazu gesungenes Lied hilft, das<br />

Ganze in eine Form zu bringen. Vielleicht<br />

singen Sie dazu «Sur le pont d’Avignon»,<br />

«Wenn eine tannigi Hose hät», «Zoge<br />

am Boge». Selbstverständlich können Sie<br />

alle Melodien auch auf «la-la» und<br />

«jam-pa-pa» singen.<br />

Bild: Daniel Schoeneck<br />

58 Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>7 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Erziehung & Schule<br />

In unserer Gesellschaft geniesst<br />

Musik einen viel höheren Stellenwert<br />

als der Tanz. Zu Unrecht. Musik und<br />

Bewegung sind Partner. Bewegungen<br />

können vertont werden und<br />

Musik löst Bewegung aus.<br />

Das lässt sich mit einer Übung<br />

aus dem Musikunterricht illustrieren:<br />

Ein Kind geht zart in die Knie,<br />

dreht sich schnell und streckt sich<br />

danach kräftig in die Luft. Alle Kinder<br />

wiederholen ihre eigene Abfolge<br />

im stillen Raum und im eigenen<br />

Tempo. Nun vertont die Lehrperson<br />

die Bewegungen eines der Kinder<br />

mit dem Klavier, sie spielt also<br />

immer das Gleiche parallel zu den<br />

Bewegungen. Die Kinder werden<br />

herausfinden, welche Abfolge musikalisch<br />

umgesetzt wird, und übernehmen<br />

diese, bis alle dasselbe tanzen.<br />

Dann verändert die Lehrperson<br />

ein wenig die Musik, und die Kinder<br />

lassen sich dazu auf neue Bewegungen<br />

ein. Was passiert? Musik folgt<br />

der Bewegung, und Bewegung folgt<br />

der Musik. Die Kinder verbinden<br />

ihren persönlichen Ausdruck mit<br />

Musik und Bewegung. Sie sind Teil<br />

Der Körper lernt<br />

sehr subtil und<br />

schnell, wenn man<br />

ihn nur machen<br />

lässt.<br />

des Ganzen und doch individuell<br />

unterwegs. Sie kommunizieren über<br />

Bewegung und Klänge, ohne Worte.<br />

Das funktioniert nur, wenn die<br />

Kinder schon etwas Übung darin<br />

haben, sich mit dem Körper auszudrücken.<br />

Wie bewegt man sich zart?<br />

Wie sieht eine plötzliche Bewegung<br />

aus und wie eine Kombination von<br />

zart und plötzlich? Dies auszuprobieren<br />

und Lösungen zu finden,<br />

kann sowohl mit viel Ernst als auch<br />

mit Lachen einhergehen. Einige<br />

Kinder müssen sich anfänglich<br />

überwinden, ihren Körper als Ausdrucksmittel<br />

zu gebrauchen. Auf<br />

jeden Fall sind Vertrauen und Re ­<br />

spekt in der Gruppe nötig, damit<br />

diese kleine Sternstunde im Unterricht<br />

erlebt werden kann.<br />

Ohne Bewegung ist Musik nicht<br />

möglich. Man denke nur an die<br />

Spieltechnik und den Körpereinsatz,<br />

die jedes Instrument verlangt. In der<br />

musikalischen Grundschule lernen<br />

die Kinder beispielsweise Xylofon zu<br />

spielen. Zum einen geht es um die<br />

Hand-Auge-Koordination, zum<br />

andern stellt die Dosierung der<br />

Kraft manche Kinder vor >>><br />

Ausbrechen aus<br />

dem Alltag –<br />

beim Tanzen fällt<br />

das Jugendlichen<br />

leicht.<br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>759


Erziehung & Schule<br />

>>> grosse Herausforderungen.<br />

Es ist nicht nur die Übung, die den<br />

Meister macht, sondern auch das<br />

Vertrauen in den eigenen Körper.<br />

Der Körper ist genial<br />

«Der Körper ist genial», sagt Andreas<br />

Zihler, Zürcher Musiker und Musikdidaktiker.<br />

«Der Körper lernt sehr<br />

subtil und schnell, wenn man ihm<br />

vertraut und ihn machen lässt.» Zihler<br />

ist auf vielen Gebieten erfahren:<br />

am Schlagzeug des Opernhauses<br />

Zürich genauso wie auf westafrikanischen<br />

Trommeln. Er ist ausgebildeter<br />

Mime und Spiraldynamiker<br />

(Bewegungstherapeut) und unterrichtet<br />

an diversen Schulen. Seinen<br />

Studenten bringt er bei, beim Lernen<br />

von komplexen Rhythmen darauf zu<br />

vertrauen, dass der Körper die Bewegung<br />

speichert.<br />

Den Kindern geht es nicht anders.<br />

In der musikalischen Grundschule<br />

erfahren sie Musik mit ihrem ganzen<br />

Körper. Rhythmen werden mit<br />

Bodypercussions umgesetzt, ein<br />

Legato (Verbinden der Töne) wird<br />

mit grossen Pinseln schwungvoll<br />

aufs Papier gemalt, ein Accelerando<br />

(schneller werden) getanzt. Natürlich<br />

wird Musik auch notiert, und<br />

Kinder lernen, Rhythmen ab Blatt zu<br />

spielen. Das ist Denksport, der vielen<br />

Kindern Spass macht. Aber das<br />

elementare Erlebnis beim Musizieren<br />

ist, dass Kinder eine persönliche<br />

Verbindung spüren mit dem, was sie<br />

tun, und zu denen, die es mit ihnen<br />

tun.<br />

Rhythmen ab<br />

Blatt zu spielen,<br />

ist Denksport,<br />

der Spass macht.<br />

Bei Oki Degen ist diese Verbindung<br />

nicht nur im Tanzsaal sichtbar. Lange<br />

vor der Unterricht beginnt, finden<br />

sich Schülerinnen und Schüler im<br />

Vorraum ein, um sich vorzubereiten<br />

oder sich mit den Kleinsten gemeinsam<br />

aufzuwärmen. Für ihre Schüler<br />

sei der Unterricht mehr, als nur<br />

«rechts-links-rechts-links» aneinanderzuhängen,<br />

ist Oki Degen über-<br />

zeugt. Auch ihre vier eigenen Kinder<br />

haben bei ihr tanzen gelernt. Die<br />

Jüngste wurde zweimal in der Woche<br />

vom Grossvater in die Tanzstunde<br />

ge bracht. Und weil sich die Enkeltochter<br />

nicht mehr von dem Ort<br />

lösen wollte und draussen mit den<br />

anderen Kindern weiter übte, musste<br />

Oki Degens Vater oft stundenlang<br />

vor dem Tanzsaal warten. «Mein<br />

Papa hat dann meine Wangen in seine<br />

Hände genommen und ge sagt:<br />

Ach Oki, wenn ich dich getroffen<br />

hätte, als ich ein kleiner Junge war<br />

– das wäre für mich das grösste Ge -<br />

schenk gewesen. Ich glaube, ich wäre<br />

auch Tänzer geworden.»<br />

Sibylle Dubs<br />

erhielt Musik und Bewegung in die Wiege gelegt. Ihre<br />

Mutter führte eine Tanz- und Theaterschule, der Vater<br />

entstammt einer Musikerfamilie. Vor einem Jahr begann<br />

sie ein Masterstudium in Elementarer Musikpädagogik<br />

an der Zürcher Hochschule der Künste. Sibylle Dubs<br />

unterrichtet Musik an einer Zürcher Primaschule. Die<br />

Mutter von zwei Kindern lebt mit ihrer Familie in Zürich.<br />

>>><br />

Bewegungsgestaltung im Alltag – mit Musiktipps<br />

Dance first, think later. It’s the natural<br />

order! Tanze zuerst, denke später, so sieht<br />

es gemäss Samuel Beckett die Natur vor.<br />

Für kleine Kinder ist es selbstverständlich,<br />

sich spontan zu bewegen, sobald sie<br />

Musik hören. Einfach draufloszutanzen<br />

und den Kopf abzuschalten, ist für<br />

ältere Kinder und Erwachsene oft nicht<br />

einfach. Viele sind sich ihres Repertoires<br />

an möglichen Bewegungen nicht mehr<br />

bewusst.<br />

Hier fünf kleine Übungen für zu Hause,<br />

welche mit oder ohne Musik funktionieren:<br />

Bewegen Sie sich beim Staubsaugen, als<br />

stünden Sie in einem Honigtopf. –<br />

Musiktipp (mit Kopfhörer): «Energy Flow»<br />

von Ryuichi Sakamoto.<br />

Räumen Sie mit Ihren Kindern das<br />

Zimmer auf, indem alle zielgerichtet und<br />

direkt, aber sehr zart verräumen – es<br />

entstehen tupfende Bewegungen. –<br />

Musiktipp: «Lillies Of The Valley» von Jun<br />

Miyake.<br />

Gehen Sie zusammen mit Ihrem Kind in<br />

Zeitlupe zum Briefkasten. – Musiktipp:<br />

«My dearest, my fairest» von Henry Purcell.<br />

Tanzen Sie nur mit den Händen. Zuerst<br />

mit jedem Finger einzeln. Testen Sie den<br />

Radius der Handgelenke aus. Bewegen Sie<br />

sich durch den Raum, der Fokus bleibt<br />

immer auf den Händen, die einmal<br />

nacheinander, dann wieder gleichzeitig<br />

tanzen. – Musiktipp: «Freedom Is A Voice»<br />

von Bobby McFerrin.<br />

Gehen Sie diagonal durch die Wohnung,<br />

wie auf Kohlen, auf Kieselsteinen, über<br />

warmes Moos, durch Tiefschnee, auf<br />

einem Baumstamm. – Musiktipp: «Royal<br />

Garden Blues» von John Kirby.<br />

60 Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>7 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


«Mit der Familie wächst<br />

die Verantwortung auch<br />

für die Finanzen.»<br />

Credit Suisse Finanzplanung<br />

Für alles, was kommt.<br />

credit-suisse.com/finanzplanung


In Zusammenarbeit mit der Schweizerischen Post<br />

Erziehung & Schule<br />

«Liebes Christkind ...»<br />

Weihnachtszeit ist Familienzeit: Wir feiern gemeinsam, tauschen Geschenke und verschicken persönliche<br />

Grusskarten. Werden Kinder mit eigenen Schreibaufgaben in diese Begegnungen miteinbezogen,<br />

erfahren sie konkret und spielerisch, wie man mit Schreiben kommunizieren kann. Text: Johanna Oeschger<br />

Geschichten-Adventskalender<br />

Sind Sie noch auf der Suche nach<br />

kreativen Inhalten, um den Adventskalender<br />

eines Familienmitglieds zu<br />

füllen? Sie könnten gemeinsam mit<br />

Ihrem Kind eine Fortsetzungs geschichte<br />

schreiben und die einzelnen<br />

«Kapitel» auf den Kalender verteilen.<br />

Ältere Kinder können die Geschichte<br />

schon selbst erfinden, Schreibanfänger<br />

schreiben die Ge schichte ab<br />

oder malen Bilder dazu.<br />

«Liebes Christkind ... »<br />

Manche Kinder dürfen eine Wunschliste<br />

an das Christkind, das Grosi<br />

oder den Samichlaus schreiben –<br />

eine wirkungsvolle Gelegenheit für<br />

die Kinder, auszuprobieren, was sie<br />

mit Schreiben erreichen können.<br />

Jüngere Kinder können die Wünsche<br />

in Stichworten festhalten und mit<br />

Zeichnungen illustrieren.<br />

Tischdekoration<br />

Bei der Vorbereitung des Weihnachtsessens<br />

können die Kinder eine<br />

besondere Dekorationsaufgabe<br />

übernehmen: Für alle Gäste ein<br />

Namensschild und eine Menükarte<br />

Hintergrund<br />

Beim Schreibenlernen ist es wie bei<br />

jedem Lernen: Es braucht Motivation.<br />

Gerade für Anfängerinnen und<br />

Anfänger ist das Schreiben<br />

anstrengend und schwierig. Sie<br />

brauchen also einen guten Grund,<br />

um es trotzdem zu tun. Besonders<br />

motivierend ist es, wenn beim<br />

Schreiben die Kommunikation im<br />

Vordergrund steht, wenn also<br />

geschrieben wird, um etwas zu vermitteln<br />

oder zu bewirken. Förderlich<br />

ist auch, wenn sich Lernende<br />

selbst als erfolgreiche Schreiber<br />

sehen. Den eigenen Schreiberfolg<br />

erleben Kinder beispielsweise dann,<br />

wenn sie eine positive Reaktion<br />

bei den Lesern erwirken können.<br />

schreiben, schön verzieren und an<br />

den Plätzen verteilen.<br />

Grusskarten<br />

Viele Familien verschicken rund um<br />

die Festtage Weihnachtskarten und<br />

Neujahrswünsche. Für Kinder eine<br />

Möglichkeit, erste eigene Briefe zu<br />

schreiben – indem sie zum Beispiel<br />

die Karten an einige Verwandte verfassen<br />

oder Dankeskarten für ihre<br />

Geschenke formulieren. Schreibanfänger<br />

können den Text diktieren<br />

und mit Zeichnungen, Buchstaben,<br />

Symbolen ergänzen. Als besonders<br />

effektvoll erleben die Kinder das<br />

Schrei ben, wenn sie auf ihre Post<br />

Antwort bekommen.<br />

App-Tipp<br />

Appolino Schreiben<br />

Vom Lehrmittelverlag St. Gallen (für iOS, Android,<br />

Windows): Diese App für Kinder von 5 bis 9 Jahren<br />

bietet eine enorme Fülle an Übungen und kleinen<br />

Spielen rund ums Schreiben. Sie eignet sich ebenso<br />

für Schreibanfänger wie für Fortgeschrittene und<br />

junge Schreibfans. Kosten: Fr. 5.–.<br />

Schreiben Sie uns!<br />

Hat Ihr Sohn oder Ihre Tochter eine<br />

originelle Wunschliste verfasst?<br />

Oder eine spezielle Grusskarte<br />

geschrieben? Wir sind gespannt auf<br />

die Schreibversuche Ihrer Kinder!<br />

Schicken Sie uns ein Foto davon an<br />

fritzundfraenzi@lernetz.ch.<br />

Johanna Oeschger<br />

ist Literatur- und Sprachwissenschaftlerin,<br />

unterrichtet Deutsch und Englisch<br />

auf der Sekundarstufe II und arbeitet als<br />

Mediendidaktikerin bei LerNetz.<br />

Bild: iStockphoto<br />

62 Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>7 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Rubrik<br />

Publireportage<br />

Bild: Esther Di Maria<br />

Zur Person<br />

• Nadja Büttiker<br />

• Wohnhaft in Mosnang SG<br />

• 22 Jahre alt<br />

• Arbeitgeber: Oberhänsli Bau AG<br />

HOCH HINAUS –<br />

auf der Baustelle<br />

und zu Pferd<br />

können die Ziele erreicht werden. Genau<br />

wie auf der Baustelle, auch hier steht die<br />

Teamarbeit im Vordergrund. Von den<br />

klischeehaften Vorurteilen für Frauen auf<br />

dem Bau lässt Nadja sich nicht beirren.<br />

«Ich werde genau gleich behandelt, wie<br />

die männlichen Mitarbeiter und das ist<br />

auch gut so!», lächelt sie. Das Schönste am<br />

Beruf ist für Nadja jeden Tag zu sehen, wie<br />

etwas Nachhaltiges entsteht.<br />

Nadja Büttiker hat diesen Sommer<br />

ihre Zusatzlehre als Maurerin EFZ<br />

begonnen. Sind Frauen auf dem Bau<br />

nicht eher ungewohnt? Überhaupt<br />

nicht, wie das Beispiel der erfolgreichen<br />

Voltigier-Weltmeisterin zeigt!<br />

Die gelernte Gärtnerin wollte nach ihrer<br />

ersten Ausbildung noch etwas Neues<br />

wagen, wusste jedoch nicht genau in<br />

welche Richtung. Beim Hausbau der Eltern<br />

kam sie das erste Mal in Kontakt mit der<br />

Baustelle und entdeckte die vielfältigen<br />

und spannenden Tätigkeiten. Kurzum<br />

fragte sie an der Aufrichte des neuen<br />

Zuhauses den Bauunternehmer, ob sie<br />

nicht bei ihm arbeiten könne.<br />

Nach einem Jahr stellte sich die Frage, ob<br />

Nadja nicht noch eine Zusatzlehre als<br />

Maurerin starten wolle. Nun sind bereits<br />

einige Monate in der neuen Lehre<br />

vergangen – und Nadja gefällt ihre neue<br />

Herausforderung sichtlich gut.<br />

Den täglichen Ausgleich schafft sie sich<br />

mit ihrem Hobby. Nebst den Backsteinen<br />

und dem Mörtel hat die St. Gallerin<br />

nämlich noch eine weitere Leidenschaft –<br />

die Pferde. Im Voltigieren im Einzel- und<br />

auch Teamwettkampf konnte Nadja<br />

bereits viele namhafte Erfolge verzeichnen.<br />

Team-Weltmeister im Jahr 20<strong>12</strong>,<br />

mehrfache Vize-Europa-/Weltmeisterin<br />

und auch im Einzelkampf gehört sie<br />

zu den besten der Welt (Weltrangliste<br />

Platz 4). Bei der Sportart Voltigieren<br />

werden turnerische und akrobatische<br />

Übungen auf dem sich bewegenden<br />

Pferd ausgeführt.<br />

Arbeit und Hobby als Gegensatz? Nein …<br />

aus Nadja’s Sicht hat es viele Parallelen.<br />

Im Teamwettkampf ist Vertrauen und<br />

Zusammenhalt sehr wichtig, nur so<br />

Ihre Zukunft sieht die junge Maurerin<br />

weiterhin auf der Baustelle – nach<br />

erfolgreicher Zusatzlehre möchte sie sich<br />

als Bau-Polierin oder Kundenmaurerin<br />

weiterbilden und somit auf der Baustelle<br />

die Fäden zusammenhalten. Den Grundstein<br />

dafür hat sie sich mit der Lehre als<br />

Maurerin EFZ schon mal gelegt …<br />

Lust auch mal Baustellen-Luft zu schnuppern?<br />

Unter www.bauberufe.ch erhalten<br />

Sie alle Informationen rund um die<br />

Bauberufe und finden auch Adressen<br />

für Schnupperlehren.<br />

www.bauberufe.ch<br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>763


Elterncoaching<br />

Unser Sohn ist ein Angeber<br />

Manche Kinder, insbesondere Jungs, sind richtige kleine Angeber. Sie<br />

müssen nichts lernen – sie können schon alles. Und zwar besser als<br />

alle anderen. Für das Umfeld ist es schwierig, mit der Neigung zur<br />

Selbstüberschätzung umzugehen, weshalb mich Eltern immer wieder<br />

fragen, wie sie auf die Aufschneiderei ihres Kindes reagieren sollten.<br />

Fabian Grolimund<br />

ist Psychologe und Autor («Mit<br />

Kindern lernen»). In der Rubrik<br />

«Elterncoaching» beantwortet<br />

er Fragen aus dem Familienalltag.<br />

Der 36-Jährige ist verheiratet<br />

und Vater eines Sohnes, 4,<br />

und einer Tochter, 1. Er lebt<br />

mit seiner Familie in Freiburg.<br />

www.mit-kindern-lernen.ch<br />

www.biber-blog.com<br />

In der Entwicklung vom Kind<br />

zum Erwachsenen lernen wir<br />

nach und nach, uns und<br />

unsere Fähigkeiten realistischer<br />

einzuschätzen. Kleinkindern<br />

gelingt dies noch kaum: Sie<br />

belegen sich selbst und Menschen,<br />

die sie mögen, gerne mit allerlei<br />

Superlativen. Papa ist der Grösste<br />

und Stärkste, Mama die Schönste,<br />

das eigene Auto das schnellste.<br />

Bei meinem Vierjährigen muss<br />

ich täglich den Bizeps befühlen –<br />

meist, nachdem er einen Schluck<br />

Frucht- oder Gemüsesaft getrunken<br />

hat, die ja bekanntlich das Muskelwachstum<br />

ungeheuer anregen. Mittlerweile<br />

gesellt sich auch die 20 Mo -<br />

nate alte Tochter mit angespanntem<br />

Gesicht dazu und hält mir den Arm<br />

hin. Mein Sohn meint dann: «Sie hat<br />

noch nicht viele Muskeln – aber wir<br />

tun so, dann freut sie sich.»<br />

Mit der Zeit nehmen Kinder sich<br />

und die Umwelt differenzierter<br />

wahr. Sie sehen, dass es durchaus<br />

Männer gibt, die grösser und kräftiger<br />

sind als der eigene Vater. Sie<br />

merken, dass andere Kinder ihnen<br />

Die Selbstüberschätzung verhindert,<br />

dass sich Kinder mit ihren<br />

Schwächen auseinandersetzen.<br />

in bestimmten Gebieten etwas voraus<br />

haben, während sie in anderen<br />

Bereichen Stärken haben, die sie<br />

auszeichnen.<br />

Im Grundschulalter findet bei<br />

vielen Kindern eine Phase statt, in<br />

der sie sich intensiv mit anderen vergleichen.<br />

Wer hat die meisten Freunde?<br />

Wer ist der Schnellste, Mutigste,<br />

Stärkste? Wer hat die besseren<br />

Noten? Diese Vergleiche, die in uns<br />

Erwachsenen oft ein unangenehmes<br />

Gefühl hervorrufen, dienen den<br />

Kindern dazu, sich besser kennenzulernen,<br />

ihre Fähigkeiten zu entwickeln,<br />

sich selbst anzunehmen und<br />

den eigenen Platz in der Gruppe zu<br />

finden.<br />

Wenn Angeberei zum Problem wird<br />

Während es den meisten Kindern<br />

nach und nach gelingt, sich realistischer<br />

einzuschätzen, haben einige<br />

Kinder, aber auch Jugendliche und<br />

Erwachsene damit grosse Mühe.<br />

Während sich einige systematisch<br />

unterschätzen und selbst kleinhalten,<br />

neigen andere zur Aufschneiderei.<br />

Sie prahlen mit ihren Fähigkeiten,<br />

spielen sich in der Gruppe auf,<br />

indem sie Geschichten von ihren<br />

Heldentaten erzählen, oder reagieren<br />

mit Neid und Missgunst, wenn<br />

andere im Mittelpunkt stehen.<br />

In unserer Kultur, insbesondere<br />

in der Schweiz, wird dieses Verhalten<br />

sozial abgestraft. Kinder, die<br />

angeben, ernten von Erwachsenen<br />

Illustration: Petra Dufkova / Die Illustratoren<br />

64 Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>7 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Kritik und werden nicht selten von<br />

anderen Kindern gemieden. Diese<br />

Reaktionen des Umfelds können<br />

zum Problem werden, weil sie die<br />

Angeberei des Kindes noch befeuern<br />

können.<br />

Gleichzeitig verhindert die<br />

Selbstüberschätzung, dass sich Kinder<br />

mit ihren Schwächen auseinandersetzen,<br />

sich auf das Üben einlassen<br />

und so Schritt für Schritt<br />

Fortschritte und Erfolge erleben<br />

können. «Das kann ich schon!», ist<br />

beispielsweise eine häufige Reaktion<br />

auf den Vorschlag der Eltern, sich<br />

auf eine Prüfung im Problemfach<br />

vorzubereiten.<br />

Hinter der Selbstüberschätzung<br />

steckt oft eine grosse Unsicherheit<br />

Studien konnten zeigen, dass es oft<br />

Kinder sind, die bei anderen Kindern<br />

anecken oder Lernschwächen<br />

aufweisen, die besonders dick auftragen.<br />

Dies tun sie zudem gerade in<br />

den Bereichen, in denen sie ihre<br />

Schwächen haben. Dieser Befund<br />

spricht dafür, dass das Angeben für<br />

die Kinder eine Möglichkeit ist, mit<br />

Bedrohungen für ihr Selbstwertgefühl<br />

umzugehen. Doch wie können<br />

Eltern ihre kleinen Angeber unterstützen?<br />

Dieser Frage gingen verschiedene<br />

Forscher nach. In einer Studie durften<br />

Kinder jeweils zu zweit gemeinsam<br />

ein Lego-Gebilde aufbauen.<br />

Danach wurden sie mehrfach ge -<br />

trennt voneinander über die Leistung<br />

und die Beliebtheit beim Spielpartner<br />

befragt. Die Kinder, die ihre<br />

Leistung und ihre Beliebtheit überschätzten,<br />

wurden in zwei Gruppen<br />

eingeteilt.<br />

Der einen Gruppe wurde vom<br />

Versuchsleiter beiläufig eine positive<br />

Rückmeldung gegeben. Dieser<br />

meinte: «Ich habe gerade den anderen<br />

Jungen im Nebenraum ge troffen<br />

und seinen Fragebogen abgeholt. Es<br />

hat ihm wohl Spass ge macht, mit dir<br />

zu spielen, und er freut sich auf euer<br />

zweites Treffen. Er fand dich an -<br />

scheinend nett.»<br />

Die Gruppe der kleinen Angeber, die<br />

diese Rückmeldung hörten, schätzten<br />

sich bei der nächsten Befragung<br />

realistischer ein.<br />

Ein ähnliches Er gebnis zeigte sich<br />

bei einer Studie mit Kindern, die<br />

eine Lese-Rechtschreib- oder Re -<br />

chenschwäche aufwiesen. Mussten<br />

sie einen Buchstabiertest ablegen,<br />

überschätzten auch sie ihre Leistung.<br />

Und auch sie konnten sich im<br />

nächsten Durchgang realistischer<br />

einschätzen, wenn die Versuchsleiterin<br />

den folgenden Satz zu ihnen<br />

sagte: «Ich habe vor der Tür gerade<br />

mit meiner Kollegin gesprochen.<br />

Beim Test war ich zwar nicht dabei,<br />

aber sie hat gesagt, dass du das gut<br />

gemacht hast und sie gerne mit dir<br />

gearbeitet hat.»<br />

Wenn ein Kind angibt, haben wir<br />

Eltern oft den Wunsch, es «auf den<br />

Boden der Tatsachen» zurückzuholen.<br />

Wie die Forschung zeigt, kann<br />

das aber dazu führen, dass sich die<br />

Kinder gegenüber Rückmeldungen<br />

verschliessen und – um sich selbst<br />

zu schützen – noch dicker auftragen.<br />

Prahler müssen begleitet werden<br />

Auf der anderen Seite kann auch<br />

übermässiges Lob die Angeberei verstärken.<br />

Kinder, die ständig hören,<br />

wie aussergewöhnlich und grossartig<br />

sie sind, und von den Eltern auf ein<br />

Podest gestellt werden, können sich<br />

zu Narzissten entwickeln. Interessanterweise<br />

verbirgt sich auch hinter<br />

Narzissmus eine quälende Unsicherheit.<br />

Narzissten sind Menschen mit<br />

einem unrealistisch positiven Bild<br />

von sich selbst. Merken sie, dass dieses<br />

Bild nicht mit der Realität übereinstimmt,<br />

fühlen sie sich bedroht<br />

– und reagieren daher heftig auf<br />

Kritik.<br />

Kindern fällt es leichter, sich auf<br />

schwierige Aufgaben einzulassen<br />

und sich ihren Schwächen zu stellen,<br />

wenn sie sich dabei begleitet fühlen.<br />

Wenn Ihr Kind das nächste Mal sagt:<br />

«Das kann ich schon!», könnten Sie<br />

zum Beispiel sagen: «Ja, seit wir<br />

regelmässig üben, bist du schon viel<br />

Kinder, die ständig hören,<br />

wie grossartig sie sind, können<br />

sich zu Narzissten entwickeln.<br />

besser geworden. Lass uns schauen,<br />

wie weit du heute noch kommst.»<br />

Oder: «Hm … dann hast du in der<br />

Schule sicher gut aufgepasst. Wenn<br />

du es noch ein wenig übst, kannst du<br />

es noch schneller.»<br />

Was Eltern von kleinen Angebern<br />

wissen müssen:<br />

Kinder, die zum Angeben neigen,<br />

fühlen sich durch schwierige Aufgaben<br />

bedroht. Konfrontiert man<br />

sie mit ihrer Schwäche, verschliessen<br />

sie sich und insistieren, dass<br />

sie schon alles können.<br />

Je mehr Sie Ihr Kind auf kleine<br />

Fortschritte hinweisen und ihm<br />

vermitteln, dass es sich durch<br />

Übung verbessern kann, desto<br />

weniger bedrohlich wird die Aufgabe.<br />

Dadurch fällt es dem Kind<br />

leichter, sich richtig einzuschätzen<br />

und auf das Angeben zu verzichten.<br />

Loben Sie Ihr Kind nicht übermässig.<br />

Je mehr Sie ihm dabei helfen,<br />

sich als Mensch mit Stärken und<br />

Schwächen anzunehmen, desto<br />

leichter wird es ihm fallen, auf die<br />

Angeberei zu verzichten.<br />

In der nächsten Ausgabe:<br />

Mein Kind trödelt, ich muss es ständig antreiben.<br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>765


In Zusammenarbeit mit PostFinance<br />

Erziehung & Schule<br />

Teenager im Kaufrausch<br />

Die Eltern von Anja schütteln den Kopf, wenn sie im Zimmer ihrer 15-Jährigen stehen: Der Kleiderschrank<br />

quillt über, die Kommoden sind gefüllt mit Kosmetikartikeln. Ist so viel Konsum noch normal? Wie können<br />

sie ihre Tochter auf ihr Kaufverhalten ansprechen? Text: Pamela Aeschlimann<br />

MoneyFit-Tipp<br />

Unvoreingenommen ansprechen. Die meisten<br />

Jugendlichen shoppen gern und viel. Bei<br />

Sorge über den Konsum die Jugendlichen<br />

ohne Vorwürfe darauf ansprechen.<br />

Bedürfnisse spüren. Ein problematisches<br />

Konsumverhalten kann Ausdruck unerfüllter<br />

sozialer Bedürfnisse sein. Tiefer liegende<br />

Schwierigkeiten im Gespräch erfahren.<br />

Vorbild sein. Leben Sie in der Familie auch<br />

eine nichtmaterielle Werthaltung vor.<br />

Freude und Interesse am<br />

Shopping hätten die meisten<br />

Jugendlichen, erklärt Doris<br />

Hohn-Freiburghaus, Kinder- und<br />

Jugendpsychologin der Erziehungsberatung<br />

Burgdorf-Langnau BE.<br />

Das hänge damit zusammen, dass<br />

das Kaufen in diesem Alter mehr<br />

bedeutet als einfach die Befriedigung<br />

der Grundbedürfnisse. Selbständig<br />

auf Shoppingtour gehen bedeutet,<br />

endlich ohne die Eltern wählen zu<br />

können. Der eigene Kleidungsstil ist<br />

eine Form der Selbstdarstellung, mit<br />

bestimmten Produkten erlangt man<br />

Zugehörigkeit zu einer Gruppe, ein<br />

besonderer Besitz verschafft einem<br />

Aufmerksamkeit bei Gleichaltrigen.<br />

Und nicht zuletzt werden die Jugendlichen<br />

beeinflusst von Vorbildern<br />

aus der Werbung und immer mehr<br />

auch von Fashion-Bloggerinnen und<br />

-Bloggern auf Youtube und anderen<br />

Netzwerken.<br />

Der hohe Stellenwert des<br />

Konsums bei Jugendlichen kann also<br />

entwicklungspsychologisch erklärt<br />

werden und ist bis zu einem gewissen<br />

Grad «normal» für diese Altersstufe.<br />

Achtsame Eltern merken, wenn das<br />

Shoppingverhalten der Tochter oder<br />

des Sohns problematische Züge<br />

annimmt: Wenn die Jugendlichen<br />

beispielsweise immer wieder mit<br />

vollen Einkaufstaschen nach Hause<br />

kommen, wenn das Einkaufen zur<br />

wichtigsten Freizeitbeschäftigung<br />

wird oder wenn sie wiederholt mehr<br />

Geld ausgeben, als sie haben.<br />

Sind Eltern besorgt über das Einkaufsverhalten<br />

ihres Sohns oder ihrer<br />

Tochter, sollten sie die Jugendlichen<br />

in einer vertrauensvollen Atmosphäre<br />

und ohne Vorwurf auf ihr Verhalten<br />

ansprechen. «Einfach Grenzen setzen<br />

funktioniert bei Jugendlichen nicht<br />

mehr. Das provoziert das Fehlverhalten<br />

richtiggehend», weiss Psychotherapeutin<br />

Judith Bärtschi aus ihrer<br />

Arbeit mit Jugendlichen und Eltern.<br />

Im Gespräch können die Eltern die<br />

Gründe für das häufige Einkaufen<br />

herausspüren. Und diese liegen meist<br />

tiefer als im unbedachten Umgang<br />

mit Geld. Mit Käufen kompensieren<br />

betroffene Jugendliche unerfüllte<br />

soziale Bedürfnisse: nach Aufmerksamkeit,<br />

Selbstverwirklichung oder<br />

Zugehörigkeit zum Beispiel.<br />

Die Gespräche mit den Eltern<br />

können Jugendliche dazu anregen,<br />

über ihr Kaufverhalten nachzudenken.<br />

Sofern die Jugendlichen<br />

«nur» Mühe haben, die Ausgaben<br />

im Rahmen ihrer Verhältnisse zu<br />

behalten, können die Eltern ihnen<br />

helfen, ihr Geld mit einem Budget<br />

besser einzuteilen. Das Geld so einzusetzen,<br />

dass es die echten individuellen<br />

Bedürfnisse erfüllt, erfordert<br />

letztlich viel Selbstbewusstsein und<br />

eine Haltung, die sich auch an nichtmateriellen<br />

Werten orientiert. Eltern<br />

können ihre Kinder unterstützen,<br />

indem sie ihnen während ihrer<br />

gesamten Entwicklung auch nichtmaterielle<br />

Werte vorleben.<br />

Pamela Aeschlimann<br />

ist ausgebildete Lehrperson Sek I und<br />

Leiterin des Projektteams MoneyFit bei<br />

LerNetz.<br />

Seit über zehn Jahren setzt sich<br />

PostFinance mit kostenlosen<br />

Angeboten für die Steigerung der<br />

Finanzkompetenz der Jugend ein.<br />

Die professionell aufbereiteten<br />

Lernmedien unterstützen<br />

Lehrpersonen und Eltern bei der<br />

Erziehungsarbeit ums Thema Geld.<br />

moneyfit.postfinance.ch<br />

postfinance.ch<br />

Bild: Fotolia<br />

66 Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>7 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Rubrik<br />

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Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>767


Do sier<br />

Do sier<br />

Leserbriefe<br />

«Endlich traut sich<br />

jemand, das zu sagen»<br />

«Genau: Es ist<br />

eine Lüge!»<br />

(Dossier «Die Lüge von der<br />

Vereinbarkeit», Heft 11/<strong>2<strong>01</strong>6</strong>)<br />

Die Lüge von<br />

der Vereinbarkeit<br />

Wer Kinder hat und Karriere machen möchte, zahlt einen hohen<br />

Preis – besonders als Frau. Mü te reiben sich auf zwischen<br />

Familie und Beruf. Denn die viel zitierte Vereinbarkeit von Familie<br />

und Beruf bedeutet vor a lem eins: ganz viel Stress.<br />

Eine Entmystifizierung. Text: Siby le Sti lhart Bilder: Jan von Ho leben<br />

10 November <strong>2<strong>01</strong>6</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi November <strong>2<strong>01</strong>6</strong> 1<br />

Wow – endlich traut sich mal jemand, dies beim Namen zu<br />

nennen: «Kinder und Karriere – die Lüge von der Vereinbarkeit»!<br />

Genau: Lüge!<br />

Ich gehe wirklich sehr, sehr, sehr gerne arbeiten, obwohl ich<br />

auch noch Mutter bin. Und dies hinzukriegen, erfordert tatsächlich<br />

Nerven aus Stahl. Ein Spinnennetz an Organisation – und<br />

wehe, der ach so gut organisierte Tag bekommt ein Loch, weil die<br />

Schule plötzlich ausfällt oder das Kind kränkelt. Stress pur ist<br />

dann angesagt … und immerzu der Blick auf die tickende Uhr.<br />

Oder jeden Mittag husch, husch einkaufen gehen, kochen, mit<br />

dem Kind kurz essen, abräumen und anschliessend wieder<br />

loshetzen … So siehts nämlich aus.<br />

DANKE, dass Ihr Magazin dieses Thema aufgefangen hat.<br />

Tolles Magazin übrigens!<br />

Heidi Müller (per Mail)<br />

«Auch wir, die körperlich arbeiten,<br />

gehören zu Ihren Lesern»<br />

Sehr geehrtes Fritz+Fränzi-Team<br />

Gerne folge ich ihrem Ruf auf der Leserbriefseite, Ihnen zu<br />

schreiben, was Sie besser machen können.<br />

Konkret geht es um den Bericht «Die Lüge von der Vereinbarkeit»<br />

im November.<br />

Einmal mehr wird der Leserschaft vemittelt, dass die ganze<br />

Bevölkerung im Büro arbeitet. Die Bilder und der ganze Text<br />

sprechen eine deutliche Sprache. Ich als überzeugter Handwerker<br />

und meine Frau als Mutter, gelernte Floristin und auch<br />

handwerklich sehr begabt fühlen uns in Ihren Berichten immer<br />

weniger vertreten. Ich bitte Sie und die ganze Redaktion,<br />

vermehrt auch die körperlich arbeitende Bevölkerung in die<br />

sonst interessanten Artikel miteinzubeziehen. Auch wir (der<br />

Lastwagenmechaniker, der Schreiner, der Schlosser, der<br />

Müllmann, der hinten auf dem Kehrichtwagen steht, der<br />

Bauarbeiter, die Arztgehilfin, die Malerin, die Kassiererin im<br />

Tankstellenshop, die Tramführerin und die Expertin bei der<br />

Motorfahrzeugkontrolle) gehören zu Ihrer treuen Leserschaft.<br />

Wolfgang Osthues, Speicher (per Mail)<br />

«Sensationell!»<br />

(Dossier, Heft 9/<strong>2<strong>01</strong>6</strong> und 11/<strong>2<strong>01</strong>6</strong>)<br />

Herzlichen Dank für die informativen und gut<br />

recherchierten Berichte. Die beiden letzten Dossiers<br />

zum Thema «Mobbing» und «Die Lüge von der<br />

Vereinbarkeit» fand ich sensationell!<br />

I. Kälin (per Mail)<br />

Schreiben Sie uns!<br />

Ihre Meinung ist uns wichtig! Was machen wir gut?<br />

Was könnten wir besser machen? Lassen Sie es uns<br />

wissen! Sie erreichen uns über: leserbriefe@fritzundfraenzi.ch<br />

oder Redaktion Fritz+Fränzi, Dufourstrasse 97, 8008 Zürich.<br />

Und natürlich auch über Twitter: @fritzundfraenzi oder<br />

Facebook: www.facebook.com/fritzundfraenzi.<br />

Kürzungen behält sich die Redaktion vor.<br />

68 Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>7 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


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«Grenzensetzen versus<br />

Selbständigkeit»<br />

(«Eltern müssen konsequent<br />

Grenzen setzen», Heft 10/<strong>2<strong>01</strong>6</strong>)<br />

«Eltern müssen konsequent<br />

Grenzen setzen»<br />

Viele Mütter und Väter sind heute verunsichert und kommen ihrer Verantwortung<br />

als Eltern nicht nach, sagt Sefika Garibovic, Expertin für die Nacherziehung<br />

schwieriger Jugendlicher. Die Pädagogin über die Scha tenseiten der Abklärung,<br />

konsequente Erziehung und warum Kinder Hierarchien brauchen.<br />

Ein unscheinbares Bürogebäude in<br />

der Zuger Bahnhofstra se. Dri ter<br />

Stock, eine hochgewachsene Frau<br />

ö fnet die Tür: rote Hose, wei se<br />

Bluse, schwarze High H els. Die<br />

Frisur sitzt perfekt, die Augen<br />

strahlen. Eine Figur wie aus einem<br />

Film. Dann klingelt ihr Handy. Eine<br />

entschuldigende Geste in Richtung<br />

Journalistin. «Ha lo» . «Ja, bist du<br />

krank? Hast du getrunken?» . «Das<br />

Leben ist kein Wunschkonzert.» . «Es wäre gut, we n du heute Mi tag<br />

kommen würdest.» …<br />

Wir sind mi ten im Thema.<br />

Frau Garibovic, war das ein Klient von<br />

Ihnen? Was fehlt ihm oder ihr?<br />

Es ist ein 17-jähriges Mädchen. Sie<br />

letzten Jahren von diversen Schulen<br />

geflogen, hat in verschiedenen Heimen<br />

und sogar auf der Stra se gelebt.<br />

Sie hat ihren Körper verkauft, um<br />

sich den Stoff finanzieren zu kö nen.<br />

Eltern, gut situiert, mit ihr zu mir<br />

gekommen. Ich so l jetzt das reparieren,<br />

wa sie jahrelang kapu t ge -<br />

Harte Worte, aber für Sie Ihr täglich<br />

Brot. Was sind das für Kinder, mit<br />

denen Sie zu tun haben?<br />

Interview: Evelin Hartma n Bilder: Herbert Zimmerma n / 13 Photo<br />

E sind austherapierte Kinder und<br />

Jugendliche. Manchmal aus fremden<br />

Kulturen, aber zwei Dri tel stammen<br />

aus Schweizer Familien. Sie waren<br />

bei Psychologen, Psychiatern und<br />

Pädagogen. Sie waren stationiert,<br />

platziert, manche haben zahlreiche<br />

Heimaufenthalte hinter sich. Sie fliegen<br />

von der Schule, tyra nisieren<br />

«Nirgendwo wird<br />

so viel Geld mit<br />

Kindern verdient<br />

wie hierzulande.»<br />

ihre Familien, Lehrer, manche nehmen<br />

Drogen oder werden sogar<br />

Genau, das ist viel aufschlu sreicher<br />

krimine<br />

l. Diese jungen Menschen finden<br />

ihren Platz nicht; nicht bei sich<br />

selber, nicht in der Familie, nicht in<br />

der Gese lschaft.<br />

Wer beauftragt Sie?<br />

Oft erhalte ich von Sozialämtern, der<br />

KESB, Gemeinden oder der Jugendanwaltschaft<br />

den Auftrag. Manchmal<br />

Wie gehen Sie da n vor?<br />

da s a le Therapien sofort abgebro- ><br />

chen werden. Da n gehe ich in die<br />

Familie. Ich wi l sehen, wie das Kind<br />

lebt, wie die Familie miteinander<br />

unangemeldet um 2 Uhr in der<br />

umgeht. Das ka n auch schon mal<br />

Um zu sehen, ob der Jugendliche zu<br />

Hause oder unterwegs ist, ob Vater<br />

oder Mu ter betrunken sind.<br />

als die meterhohen Do siers zu lesen,<br />

die auf meinem Schreibtisch landen.<br />

Und was gar nichts bringt, ist die<br />

Kinder au schlie slich in meine<br />

Sprechstunde kommen zu la sen:<br />

liegt darin, zu dekodieren, wo die<br />

trinkt, nimmt Drogen, ist in den<br />

Probleme liegen, und nicht beim<br />

für diese Kinder da, mit meinem<br />

Vor ein p ar Monaten sind ihre<br />

Ferien. Viele sagen mir: Endlich<br />

gelangen Eltern über Empfehlung<br />

Zuerst einmal bestehe ich darauf,<br />

«So, wir haben 45 Minuten Zeit, jetzt<br />

erzähl mal.» Zu Begi n rede ich.<br />

Es gibt kein Rezept. Meine Aufgabe<br />

Ve raten Sie uns ihr Rezept?<br />

Kind die Fehler zu suchen. Ich bin<br />

ganzen pädagogischen, nacherzieherischen<br />

und therapeutischen Wissen<br />

und vor a lem von ganzem Her-<br />

nachts, am Wochenende und in den<br />

und benimmt sich auch so.<br />

Ein Beispiel: Farid und Adelina aus<br />

zen. Sie dürfen mich immer anrufen,<br />

fühlt sich jemand wirklich zuständig<br />

34 Oktober <strong>2<strong>01</strong>6</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

Ihre Zeitschrift lese ich jeweils mit grossem Interesse,<br />

da ich selber mit Eltern im Bereich<br />

Kindererziehung tätig bin. Die Beiträge sind sehr<br />

informativ. Sie geben mir immer wieder Anstoss,<br />

meine Denkweise zu überprüfen, kritisch zu<br />

hinterfragen und vieles zu lernen, um auf dem<br />

neusten Stand zu sein. Allen Beteiligten ein ganz<br />

grosses Kompliment!<br />

In der Oktoberausgabe habe ich mit grossem<br />

Interesse das Monatsinterview mit Frau Sefika<br />

Garibovic gelesen. Selber bin ich als autorisierter<br />

PACHER-Trainer im Bereich Elternkurse in<br />

Kindererziehung, Familienberatung und<br />

-begleitung tätig.<br />

Es ist wichtig und bewundernswert, wie sich<br />

Frau Garibovic Jugendlicher annimmt, die<br />

Schwierigkeiten haben oder ein auffälliges<br />

Verhalten zeigen, welches ihnen verunmöglicht,<br />

sich in der Gesellschaft einzuordnen. Mit ihren<br />

Besuchen in der Familie erhält sie ein Gesamtbild<br />

der Gründe, wie es in der Familie läuft.<br />

Jugendliche reagieren auf Ursachen und können<br />

so zu Symptomträgern werden. Dies kann z. B.<br />

Überbehütung (eine kontrollierende Grundhaltung<br />

der Eltern) sein oder eine «Nichterziehung»<br />

aufgrund einer Überforderung der Eltern.<br />

Jugendliche reagieren darauf. Sie werden nicht<br />

mit negativem Verhalten geboren. Vermutlich<br />

fühlen sich Jugendliche bei Frau Garibovic<br />

erstmals verstanden. Auch ihre Aussage,<br />

Therapien und stationäe Heimaufenthalte<br />

abzubrechen, kann sinnvoll sein. Gerade bei<br />

Heimaufenthalten wird oft mit Repressionen<br />

therapiert. Dabei lernen die Jugendlichen ausser<br />

Gehorsam nicht viel.<br />

Mit folgenden Aussagen von Frau Garibovic<br />

bin ich nicht einverstanden. Sie sagt, dass bei<br />

99 Prozent in den Familien die Hierarchie nicht<br />

stimme. Dabei meint sie wohl, wer das Sagen<br />

hat. Selbstverständlich tragen die Eltern die<br />

Kö nen Sie das konkretisieren?<br />

Albanien haben eine andere<br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Oktober <strong>2<strong>01</strong>6</strong> 35<br />

Sefika Garibovic hat<br />

ihr Büro in Zug, doch<br />

meistens besucht sie<br />

die Familien Zuhaue.<br />

Verantwortung für die Erziehung. Aus meiner<br />

Sicht sind jedoch alle Familienmitglieder als<br />

Menschen gleichwertig, nicht aber gleichberechtigt.<br />

Die andere Aussage ist, dass Eltern konsequent<br />

Grenzen setzen müssten und zur<br />

Verantwortung der Eltern auch gehöre, die<br />

Kinder auf das Leben vorzubereiten, damit sie<br />

ein gesundes Selbstvertrauen entwickeln können<br />

und lernen, selbständig zu werden, so Frau<br />

Garibovic. Dies wird mit konsequentem<br />

Grenzensetzen der Eltern nicht erreicht und ist<br />

somit ein Widerspruch. Vielmehr sollen<br />

Jugendliche in den Lösungsprozess, was letztlich<br />

Grenzensetzen ist, eingebunden werden, z. B.<br />

wann Hausaufgaben machen, um welche Zeit ins<br />

Bett gehen, um welche Zeit nach dem Ausgang<br />

zu Hause sein. So werden unterschiedliche<br />

Bedürfnisse der Eltern und Jugendlichen<br />

diskutiert und wird gemeinsam nach Lösungen<br />

gesucht. Selbstverständlich müssen die Eltern<br />

mit den Lösungsvorschlägen der Jugendlichen<br />

einverstanden sein. Das heisst, gemeinsam<br />

Grenzen setzen. So können die Jugendlichen<br />

dahinterstehen und lernen in der Diskussion<br />

auch die Bedürfnisse der Eltern kennen. Das ist<br />

aus meiner Sicht Vorbereitung auf das Leben<br />

und nicht autoritäres Grenzensetzen. Selbstverständlich<br />

müssen Eltern in Notsituationen<br />

durchgreifen, wenn es nicht anders geht.<br />

In einem Familienklima, in dem sich alle<br />

verstanden, angenommen und geliebt fühlen, in<br />

dem sich alle in gegenseitigem Respekt<br />

begegnen, sind die Chancen am grössten, dass<br />

unsere Jugendlichen lebensfähig werden. Sie<br />

lernen so altersgerecht Verantwortung für sich<br />

und die Mitmenschen zu übernehmen.<br />

Dieter Gehrig, Aesch (per Mail)<br />

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den sie am ersten «Grosseltern»-Bastelnachmittag<br />

verziert und bemalt hat. (S. 32)<br />

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Sefika Garibovic hat<br />

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Leserbriefe<br />

«Weiter so,<br />

Frau Garibovic!»<br />

(«Eltern müssen konsequent<br />

Grenzen setzen», Heft 10/<strong>2<strong>01</strong>6</strong>)<br />

Monatsinterview<br />

«Eltern müssen konsequent<br />

Grenzen setzen»<br />

Viele Mütter und Väter sind heute verunsichert und kommen ihrer Verantwortung<br />

als Eltern nicht nach, sagt Sefika Garibovic, Expertin für die Nacherziehung<br />

schwieriger Jugendlicher. Die Pädagogin über die Scha tenseiten der Abklärung,<br />

konsequente Erziehung und warum Kinder Hierarchien brauchen.<br />

Ein unscheinbares Bürogebäude in<br />

der Zuger Bahnhofstra se. Dri ter<br />

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ö fnet die Tür: rote Hose, wei se<br />

Bluse, schwarze High H els. Die<br />

Frisur sitzt perfekt, die Augen<br />

strahlen. Eine Figur wie aus einem<br />

Film. Da n klingelt ihr Handy. Eine<br />

entschuldigende Geste in Richtung<br />

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krank? Hast du getrunken?» . «Das<br />

Leben ist kein Wunschkonzert.» .<br />

«Es wäre gut, we n du heute Mi tag<br />

kommen würdest.» …<br />

Wir sind mi ten im Thema.<br />

Frau Garibovic, war das ein Klient von<br />

Ihnen? Was fehlt ihm oder ihr?<br />

Es ist ein 17-jähriges Mädchen. Sie<br />

trinkt, nimmt Drogen, ist in den<br />

letzten Jahren von diversen Schulen<br />

geflogen, hat in verschiedenen Heimen<br />

und sogar auf der Stra se gelebt.<br />

Sie hat ihren Körper verkauft, um<br />

sich den Stoff finanzieren zu kö nen.<br />

Interview: Evelin Hartma n Bilder: Herbert Zimmerma n / 13 Photo<br />

Vor ein p ar Monaten sind ihre<br />

Eltern, gut situiert, mit ihr zu mir<br />

gekommen. Ich so l jetzt das reparieren,<br />

wa sie jahrelang kapu t ge -<br />

Harte Worte, aber für Sie Ihr täglich<br />

Brot. Was sind das für Kinder, mit<br />

E sind austherapierte Kinder und<br />

Jugendliche. Manchmal aus fremden<br />

Kulturen, aber zwei Dri tel stammen<br />

aus Schweizer Familien. Sie waren<br />

bei Psychologen, Psychiatern und<br />

Pädagogen. Sie waren stationiert,<br />

platziert, manche haben zahlreiche<br />

Heimaufenthalte hinter sich. Sie fliegen<br />

von der Schule, tyra nisieren<br />

«Nirgendwo wird<br />

so viel Geld mit<br />

Kindern verdient<br />

wie hierzulande.»<br />

ihre Familien, Lehrer, manche nehmen<br />

Drogen oder werden sogar kriminell.<br />

Diese jungen Menschen finden<br />

ihren Platz nicht; nicht bei sich<br />

selber, nicht in der Familie, nicht in<br />

der Gese lschaft.<br />

Oft erhalte ich von Sozialämtern, der<br />

KESB, Gemeinden oder der Jugendanwaltschaft<br />

den Auftrag. Manchmal<br />

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Zuerst einmal bestehe ich darauf,<br />

chen werden. Da n gehe ich in die<br />

Familie. Ich wi l sehen, wie das Kind<br />

lebt, wie die Familie miteinander<br />

umgeht. Das ka n auch schon mal<br />

unangemeldet um 2 Uhr in der<br />

Um zu sehen, ob der Jugendliche zu<br />

Hause oder unterwegs ist, ob Vater<br />

oder Mu ter betrunken sind.<br />

Genau, das ist viel aufschlu sreicher<br />

als die meterhohen Do siers zu lesen,<br />

die auf meinem Schreibtisch landen.<br />

Und was gar nichts bringt, ist die<br />

Kinder au schlie slich in meine<br />

Sprechstunde kommen zu la sen:<br />

«So, wir haben 45 Minuten Zeit, jetzt<br />

erzähl mal.» Zu Begi n rede ich.<br />

Ve raten Sie uns ihr Rezept?<br />

Es gibt kein Rezept. Meine Aufgabe<br />

liegt darin, zu dekodieren, wo die<br />

Probleme liegen, und nicht beim<br />

Kind die Fehler zu suchen. Ich bin<br />

für diese Kinder da, mit meinem<br />

ganzen pädagogischen, nacherzieherischen<br />

und therapeutischen Wissen<br />

und vor a lem von ganzem Herzen.<br />

Sie dürfen mich immer anrufen,<br />

nachts, am Wochenende und in den<br />

Ferien. Viele sagen mir: Endlich<br />

fühlt sich jemand wirklich zuständig<br />

und benimmt sich auch so.<br />

Können Sie das konkretisieren?<br />

Ein Beispiel: Farid und Adelina aus<br />

Albanien haben eine andere<br />

da s a le Therapien sofort abgebro- ><br />

34 Oktober <strong>2<strong>01</strong>6</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Oktober <strong>2<strong>01</strong>6</strong> 35<br />

Guten Tag Frau Garibovic<br />

Dieser Artikel ist mit Abstand das Beste, was ich in den letzten<br />

Monaten in Sachen «Erziehung» gelesen habe. Ich bin selber<br />

Primarlehrerin (mit einem kleinen Teilzeitpensum) und Mutter<br />

dreier Kinder im Alter von 6, 7 und 8 Jahren. Wenn die Hierarchie<br />

(die Eltern stehen über dem Kind) stimmt, Grenzen konsequent<br />

gesetzt werden und angemessen Zeit und Anteilnahme in die<br />

Beziehung zu den Kindern investiert werden, dann gelingt das<br />

Erziehen viel müheloser. Das ist jedenfalls meine Erfahrung.<br />

Mit diesen Ansichten stehe ich aber oft alleine da. Viele<br />

Mütter/Väter lassen sich von ihren Kindern bereits im Kleinkindalter<br />

komplett bestimmen und wollen die guten Kollegen sein.<br />

Auch in Schwierigkeiten werden allzu oft schnell Medikamente<br />

eingesetzt. Ich kenne ein Ehepaar, das Probleme mit ihren beiden<br />

Kindern hat. Beide bekommen jetzt Ritalin, der eine mit <strong>12</strong>, dazu<br />

noch Antidepressiva. Die Abklärungen des Psychologen wurden<br />

ohne Augenschein in der Familie vorgenommen. Die Eltern sind<br />

fein raus und müssen nichts ändern. Ich finde das fahrlässig.<br />

In der Schule sind solche Abklärungen bald Routine. Auch in<br />

der Schule, an der ich unterrichte, sehe ich etliche emotional<br />

verwahrloste Schüler/innen (Sechstklässler), deren Eltern beide<br />

gut dotierte Jobs haben, aber kaum Zeit für ihre Sprösslinge. Gerne<br />

schieben solche Eltern die Verantwortung der Schule ab.<br />

Ich finde es mutig, dass Sie sich so klar äussern. Es ist eine<br />

grosse Chance, dass Eltern durch Sie ermutigt werden, wieder<br />

mehr Leit- und Vorbildfunktion/Hierarchie zu übernehmen und<br />

nicht zuletzt die Prioritäten, auch in Sachen Zeit und Zuwendung,<br />

neu zu setzen. Viele Eltern überfordern ihre Kinder, indem sie in<br />

allem Selbstverantwortung verlangen, diese aber nicht vorleben.<br />

Dies ist nicht zuletzt eine Folge von zahlreichen Ratgebern, die<br />

uns jahrelang eine «Kuschelerziehung» gepredigt haben, die<br />

Auseinandersetzungen und Spannungen aus dem Wege geht.<br />

Darum: Weiter so, liebe Frau Garibovic! Und viel Kraft für die<br />

wichtigen Resozialisierungen, auch im Sinne einer lebenswerten<br />

Zukunft all dieser Kinder und Jugendlichen!<br />

B. Meier (per Mail)<br />

Siewerdtstrasse 7<br />

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Erziehung & Schule<br />

«Léni, bitte bleib!»<br />

Sie war ein lebenslustiges, ein starkes Kind. Dann kam<br />

der Tag, an dem Léni wegen Halsschmerzen zum Arzt<br />

musste. Seine Diagnose war unvorstellbar: Krebs.<br />

Es begann eine unerträgliche Leidensgeschichte.<br />

Ihre Mutter erzählt. Text: Léda Forgó Bilder: Charlotte Schreiber, privat<br />

Léni (l.) und ihre<br />

Schwester Finnja.<br />

Trotz der schweren<br />

Krankheit haben die<br />

Zwillinge ihre Nähe<br />

zueinander nicht<br />

verloren.<br />

72 72 <br />

Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>7 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Erziehung & Schule<br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>773


Erziehung & Schule<br />

«Mama, ich kann dich nicht<br />

hören.» Der Tumor hatte Lénis<br />

Gehörgänge verschlossen.<br />

Es begann mit einer Erkältung.<br />

Ich dachte, meine<br />

Tochter Léni, damals elf,<br />

habe eine Nebenhöhlenentzündung.<br />

Wir gingen<br />

zu unserem Hausarzt. Doch als er in<br />

Lénis Hals blickte, wich ihm alle Farbe<br />

aus dem Gesicht. Er schickte uns<br />

umgehend in die Uniklinik Kiel. Ich<br />

fuhr nach Hause, packte Léni eine<br />

Tasche und gabelte ihre Zwillingsschwester<br />

Finnja auf. Ihren Bruder<br />

Artúr, damals zwölf, rissen wir aus<br />

dem Badminton-Training.<br />

Im Krankenhaus wurde ein Arzt<br />

nach dem anderen ins Behandlungszimmer<br />

gerufen. Sie standen um<br />

Léni herum, die ihren Mund nichts<br />

ahnend aufriss. Der Versuch, ein<br />

MRT zu machen, misslang. Léni<br />

schaffte es nicht, ruhig in der Röhre<br />

zu liegen. Sie rang nach Luft. Gegen<br />

drei Uhr nachts kam Léni endlich auf<br />

ein Zimmer. Als ich mit Artúr kurz<br />

allein war, sah er mich an und fragte:<br />

«Hat Léni Krebs?» «Wie kannst du<br />

so etwas sagen», antwortete ich, fühlte<br />

aber keine Empörung. Schliesslich<br />

Die langen Haare zu verlieren, war schlimm für Léni.<br />

Deshalb bekam sie ständig Mützen geschenkt. Am Ende<br />

ihrer Behandlung besass sie an die fünfzig Exemplare.<br />

Diese Mütze war ihr Lieblingsstück. Sie war ein Geschenk<br />

ihrer Mutter.<br />

sprach er nur aus, was niemand auch<br />

nur zu denken wagte.<br />

Wir blieben im Krankenhaus.<br />

Zehn Tage vergingen. Der Oberarzt<br />

vermutete, dass es ein gutartiges<br />

Fi brom sei. Doch die Gewebeentnahme<br />

wurde dreimal verschoben.<br />

Das Gewebe könne stark bluten, man<br />

brauche spezielle Geräte und ein<br />

grosses Ärzteteam.<br />

Léni schlief immer mehr, ihr<br />

Gesicht begann sich zu verformen.<br />

Eines Tages zog ein Ozeanschiff an<br />

unserem Fenster vorbei. Ich zeigte es<br />

ihr, aber ihr Blick blieb unbeteiligt.<br />

Sie drehte den Kopf zu mir und sagte<br />

beinahe sanft: «Mama, ich kann<br />

dich nicht hören.» Der Tumor hatte<br />

ihre Gehörgänge verschlossen.<br />

Ich schrie nach Ärzten<br />

Schliesslich wurde eine Gewebeprobe<br />

entnommen, es dauerte Stunden.<br />

Als ich endlich zu Léni durfte, schrie<br />

sie vor Schmerzen und blutete aus<br />

Mund und Ohren. Ich dachte, ich<br />

würde all ihre Weintöne kennen. Ihre<br />

tierhaften Laute und meine Ohn-<br />

Diese Maske musste Léni während der Bestrahlung in<br />

Essen tragen. Sie sass so eng, dass sie die Augen nicht<br />

öffnen konnte. Die Abdrücke liessen sie hinterher<br />

oft aussehen wie Spider-Man. Durch die Strahlen war<br />

die Maske radioaktiv. Deshalb konnte Léni sie erst<br />

ein Jahr später aus der Klinik abholen. Als Andenken.<br />

macht waren unerträglich. Ich schrie<br />

nach Ärzten und Schmerzmitteln<br />

und merkte, wie ich selbst weinte.<br />

Ich dachte, ich würde es nicht aushalten,<br />

mein Kind so leiden zu sehen.<br />

Ich hatte ihr ein schönes Leben versprochen.<br />

Ich habe sie betrogen.<br />

Wir mussten auf die Kinderstation<br />

umziehen. Am Eingang stand<br />

«Onkologie», doch ich dachte nicht<br />

daran, dass das etwas mit Léni zu tun<br />

haben könnte. Als ich begann, unsere<br />

Taschen zu verstauen, strömte<br />

eine Horde von Ärzten herein. Einer<br />

von ihnen begrüsste uns etwas förmlich.<br />

Sein zweiter Satz lautete: «Wie<br />

Sie wissen, hat Ihr Kind ein bösartiges,<br />

schnell wachsendes Sarkom.»<br />

Nein, das hatte uns bis dahin niemand<br />

gesagt. Ich schrie auf und fiel<br />

auf die Knie. Ich habe keine Bilder<br />

von den nächsten Sekunden, ich<br />

weiss nur, dass ich nach Luft rang.<br />

Verzweiflung wirbelte in mir, Ohnmacht,<br />

Übelkeit, Unglaube.<br />

Lénis Weinen unterbrach diesen<br />

Zustand. «Mama, was ist, was ist?»,<br />

fragte sie. Mein Hinfallen und<br />

Geschrei beängstigten sie. Ich nahm<br />

ihre Hand und lächelte gefasst.<br />

«Alles wird gut, alles wird gut!»<br />

Etwas anderes fiel mir nicht >>><br />

74 Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>7 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Erziehung & Schule<br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>775


1<br />

Momentaufnahmen: Léni<br />

und ihre Schwester Finnja vor<br />

Beginn der Krebserkrankung<br />

(Bild 1 und 2), während der<br />

Bestrahlung (Bild 3), nach<br />

Abschluss der Behandlung<br />

(Bild 4) und heute mit ihrer<br />

Mutter (Bild 5).<br />

>>> ein. Was hätte ich auch sagen<br />

sollen? Schätzchen, du hast Krebs,<br />

aber alles paletti? Léni kannte Krebs<br />

nur aus Filmen, in denen die glatzköpfigen<br />

Kinder am Ende starben.<br />

Krebs war in ihrem Kinderkopf<br />

gleich Tod. Und ehrlich gesagt: in<br />

meinem Erwachsenenkopf auch. In<br />

mir wirbelte eine Panik, die kein<br />

Ventil hatte.<br />

3<br />

2<br />

Ich wollte für Léni stark sein<br />

Niemand sagte mir, dass mein Kind<br />

gesund werden würde. Das Bedauern<br />

in den Blicken der Ärzte konnte<br />

ich kaum ertragen. Meine Gedanken<br />

drehten sich heftig, wie durcheinandergeratene<br />

Uhrzeiger. Das Einzige,<br />

was mir Kontur gab, war, dass ich<br />

vor und für Léni stark sein wollte.<br />

Der Tumor war riesig und mit<br />

der Halsschlagader verwachsen.<br />

Deshalb konnten die Ärzte ihn nicht<br />

operativ entfernen. Léni sollte für<br />

ein Jahr ins Krankenhaus. Neun<br />

Chemoblöcke, dreissig Bestrah-<br />

5<br />

4<br />

«Die Chancen auf<br />

eine Heilung stehen<br />

heute sehr gut»<br />

Rund 220 Kinder erkranken<br />

hierzulande pro Jahr an Krebs. Die<br />

meisten von ihnen an Leukämie. Im<br />

Gegensatz zu früher können Ärzte<br />

wie Felix Niggli diesen Kindern aber<br />

eine gute Prognose stellen.<br />

Interview: Evelin Hartmann<br />

Herr Niggli welche Krebsformen kommen<br />

bei Kindern neben Leukämien ebenfalls<br />

häufig vor?<br />

Hirntumore sowie der Lymphdrüsenkrebs.<br />

Gelegentlich kommen Kinder<br />

bereits mit einem Tumor auf die Welt.<br />

Die meisten Dia gnosen werden zwischen<br />

dem zweiten und sechsten<br />

Lebensjahr gestellt.<br />

76 Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>7 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Erziehung & Schule<br />

lungseinheiten, um das fortgeschrittene<br />

Stadium des bösartigen Tumors<br />

zu bekämpfen. Meine Mutter kam<br />

aus Ungarn, um sich um Finnja und<br />

Artúr zu kümmern. Léni erstickte<br />

zweimal knapp wegen einer Infusion,<br />

auf die sie allergisch reagierte.<br />

Auch einen der Chemowirkstoffe<br />

vertrug sie nicht und fiel ins Koma.<br />

Statt der üblichen zehn Prozent ihres<br />

Körpergewichtes verlor sie mehr als<br />

ein Drittel. Schliesslich konnte sie<br />

nicht mehr stehen. Sie verlor ihre<br />

langen Haare und ging nicht mehr<br />

raus. Andere Kinder mit Glatze<br />

wollte sie nicht sehen. Sie verlor ihr<br />

Lächeln, auch die Spässchen der Stationsclowns<br />

munterten sie nicht auf.<br />

Ich hätte wahrscheinlich längst<br />

vergessen, wie Léni einmal aussah,<br />

hätte sie keine gesunde Zwillingsschwester<br />

gehabt. Schliesslich war es<br />

mittlerweile Alltag für mich, dass ich<br />

Kinder mit Glatze sah. Ich fand<br />

sogar, dass man die eigentliche<br />

Schönheit eines Menschen erst erbli­<br />

cken kann, wenn man ihn ohne all<br />

die Kaschierungen wie Brauen,<br />

Wimpern und Haarsträhnen be ­<br />

trachtet. Dann trat die Zwillingsschwester<br />

durch die Tür, und dieser<br />

Kontrast erschlug mich jedes Mal.<br />

Ein kerngesundes und ein todkrankes<br />

Kind aus einem Ei.<br />

Ich hätte meine Seele verloren<br />

Wenn Finnja über ihren Alltag<br />

berichtete, erschrak ich fast über die<br />

Normalität und ihre fehlende Vorstellung<br />

davon, in welcher Welt sich<br />

ihre kranke Zwillingsschwester<br />

befand. Gleichzeitig hatte ich Angst,<br />

dass die beiden ihre magische Nähe<br />

zueinander verlieren könnten.<br />

«In den ersten Wochen war es<br />

für Léni lebenswichtig, dass<br />

ihre Mitschüler sie besuchten.»<br />

In den ersten Wochen war es für Léni<br />

lebenswichtig, dass ihre Mitschüler<br />

und Lehrer sie besuchten und Briefe<br />

schrieben. Irgendwann wurde die<br />

Schlucht zu gross zwischen dem<br />

todkranken Kind und denen, für die<br />

der Alltag weiterging. Dieser<br />

schmerzhafte Vorgang war Lénis<br />

Emanzipation. Im Angesicht des<br />

Todes verschieben sich die Prioritäten.<br />

Irgendwann wurde es ihr sogar<br />

egal, wenn man sie auf der Strasse<br />

anglotzte, und sie beschwichtigte<br />

mich, wenn ich vor Wut kochte. Einmal<br />

zischte ich einen Jungen an, der<br />

uns in einem Kaufhaus anstarrte:<br />

«Schämst du dich nicht, so zu glotzen?»<br />

>>><br />

Warum erkranken Kinder an Krebs?<br />

In den überwiegenden Fällen kennen<br />

wir die Ursache nicht. Studien haben<br />

gezeigt, dass bei Kindern mit angeborenen<br />

Fehlbildungen oder Syndromen<br />

gewisse Tumore häufiger auftreten. Kinder<br />

etwa mit Trisomie 21, auch bekannt<br />

als Downsyndrom, entwickeln häufiger<br />

Leukämie. Da scheint es einen Zusammenhang<br />

mit den Genveränderungen<br />

zu geben. Es gibt auch Anzeichen dafür,<br />

dass zum Beispiel Infektionserreger bei<br />

der Entstehung einer Leukämie mitverantwortlich<br />

sein können, insbesondere<br />

wenn eine entsprechende genetische<br />

Vorbelastung vorhanden ist.<br />

Aber das heisst jetzt nicht, dass Eltern bei<br />

jedem Infekt, an dem ihr Kind erkrankt,<br />

Angst haben müssen?<br />

Natürlich nicht. So etwas kommt sehr<br />

selten vor. Es braucht eben diese genetische<br />

Vorbelastung. Und wie gesagt: Bei<br />

den anderen Krebsformen kennen wir<br />

die Ursachen schlichtweg nicht.<br />

Wie hoch sind die Heilungschancen bei<br />

Krebs bei Kindern?<br />

Sehr hoch. Die Rate liegt bei 75 bis 80<br />

Prozent, bei Erwachsenen liegt sie zum<br />

Vergleich nur bei 50 bis 60 Prozent; das<br />

hängt aber stark von der Krebsart ab.<br />

Warum stehen die Heilungschancen bei<br />

Kindern so viel besser?<br />

Tumore, an denen Kinder erkranken,<br />

sind zwar sehr aggressiv und wachsen<br />

schnell, reagieren aber sehr gut auf Therapien.<br />

Mehrheitlich wenden wir bei<br />

Kindern medikamentöse, sogenannte<br />

Chemotherapien an, gefolgt von Operationen<br />

und Strahlentherapien. Die<br />

Therapie dauert oft ein bis zwei Jahre.<br />

Leiden Kinder nach der Therapie oder als<br />

Erwachsene an Folgeschäden?<br />

Das kommt leider immer wieder vor.<br />

Manche Medikamente verursachen<br />

Hörschädigungen oder Herzbeschwerden,<br />

da sie den Herzmuskel schwächen.<br />

Andere Kinder leiden unter Entwicklungsverzögerungen,<br />

bedingt durch die<br />

Bestrahlung etwa bei Hirntumoren.<br />

Oder sie erkranken im Erwachsenenalter<br />

erneut an Krebs. Trotzdem bleibt<br />

festzuhalten: Die Heilungschancen sind<br />

heute aufgrund der Forschung sehr gut.<br />

Noch Anfang der 1950er-Jahre ist jedes<br />

Kind, das an Leukämie erkrankt ist, auch<br />

daran gestorben.<br />

Felix Niggli<br />

Prof. Dr. med., ist Abteilungsleiter Onkologie<br />

am Kinderspital Zürich und stellvertretender<br />

Klinikdirektor Medizin.<br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>777


Erziehung & Schule<br />

>>> Die Krankheit riss nicht nur<br />

ein glückliches Kind aus einer gefühlt<br />

vollkommenen Kindheit, sondern<br />

auch mich aus meinem Beruf als<br />

Schriftstellerin. Nach der Diagnose<br />

sagte ich alle Aufträge ab. Zügig wurde<br />

ich ersetzt, ich wurde vergessen,<br />

schien mir. Plötzlich wirkten ausgedachte<br />

Geschichten absurd und<br />

unwichtig, während meine Tochter<br />

um ihr Leben rang. Es ist doch von<br />

der Natur so gedacht, dass Eltern<br />

keinen einzigen Tag ohne ihre Kinder<br />

sein sollten. Sondern ihre Kinder<br />

irgendwann ohne die Eltern. Wäre<br />

Léni gestorben, hätte ich meine Seele<br />

verloren.<br />

Ein Begreifen war unmöglich<br />

Der einzige Ort, der eine Realität<br />

besass, war für mich die Kinderkrebsstation.<br />

Verabredungen draussen,<br />

Termine, was man anzog, all das<br />

wurde unerheblich. Jeglicher Konsumwunsch<br />

war ausgelöscht. Auch<br />

Parameter der Normalität, wie Höflichkeiten<br />

oder das Beantworten von<br />

Briefen. Relevant war allein, was in<br />

Lénis Körper vorging und was Ärzte<br />

und Krankenschwestern darüber<br />

«Die Krankheit riss ein glückliches<br />

Kind aus einer gefühlt<br />

vollkommenen Kindheit.»<br />

berichteten. Es gibt keine Obsession,<br />

die einen mehr einnehmen kann, als<br />

der Wahn, dass das Kind leben muss.<br />

Es ist ein Instinkt, und er ist viel stärker<br />

als der selbsterhaltende Lebenstrieb.<br />

Auf der Kinderkrebsstation<br />

reichten Blicke, um zu wissen, dass<br />

in den anderen Müttern das Gleiche<br />

vorging.<br />

Wir, die von Kinderkrebs Betroffenen,<br />

waren statistisch gesehen eine<br />

schmale Randgruppe, Extremfälle,<br />

kaum existent. Ich redete nicht gerne<br />

mit «Gesunden». Die Normalität<br />

verschloss ihre Türen vor uns. Dafür<br />

betraten wir eine Dimension, die nur<br />

wir kannten, die am besten auch niemand<br />

kennen sollte. Ich sah in den<br />

Blicken der Nichtbetroffenen die<br />

Mauern, die ein Begreifen unmöglich<br />

machten. Und ehrlich gesagt, ich<br />

verstand sie. Denn ich konnte mich<br />

genau daran erinnern, wie ich zuvor<br />

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solche Schicksale wahrgenommen<br />

hatte. Als tragisch. Und nachher vergass<br />

ich schnell.<br />

Léni war mit ihren Kräften am Ende<br />

Léni ging es rasch viel besser.<br />

Eines Morgens sagte sie: «Mama,<br />

ich glaube, der Krebs ist weg.»<br />

Wir begannen eine sechswöchige<br />

Protonentherapie in Essen, der Tipp<br />

eines Freundes. Wir waren froh,<br />

einen Platz erhalten zu haben, doch<br />

Léni war mit ihrer Leidensfähigkeit<br />

und ihren Kräften am Ende. Sie wollte<br />

nicht mehr und war dabei, sich<br />

aufzugeben. Ich spürte, dass ihr<br />

Leben nur noch am seidenen Faden<br />

hing. «Wenn du nicht mehr mitmachst,<br />

kann ich auch nicht», sagte<br />

ich zu ihr. «Ich kann nicht nichts tun<br />

und zuschauen, wie du stirbst.»<br />

Dann weinten wir, und sie bat mich,<br />

zu bleiben. Und sie blieb auch.<br />

In Essen wurde die Chemotherapie<br />

wegen Lénis schlechten Zustandes<br />

erst einmal ausgesetzt, dafür begannen<br />

die Ärzte mit der Bestrahlung.<br />

Die Nebenwirkungen traten erst<br />

später auf und fielen insgesamt milder<br />

aus als die von der Chemo; so<br />

konnte sich Léni erholen. Ihr ging es<br />

rasch viel besser, und nach einigen<br />

Wochen war sie in einem unverhofft<br />

guten Zustand. Eines Morgens sagte<br />

sie: «Mama, ich glaube, der Krebs ist<br />

weg.»<br />

Nun. Wir durften überleben, aber<br />

wir freuten uns still. Wir haben Kinder<br />

um uns herum sterben sehen.<br />

Kinder, die uns nahestanden und mit<br />

denen wir viele Tage in einem Zimmer<br />

verbrachten. Denen wir in ihren<br />

intimsten Augenblicken des Leidens<br />

zusahen und sie uns. Das Bewusstsein,<br />

wieder gesund zu sein, lässt uns<br />

heute alle Probleme relativieren. Es<br />

fühlt sich fast an wie ein schlechtes<br />

Gewissen, dass wir dieses unverschämte<br />

Glück hatten. Das Glück,<br />

leben zu dürfen.<br />

Léni war einst das grösste und<br />

rundeste Kind. Jetzt ist sie am kleinsten<br />

und zartesten. Seit fast zwei Jahren<br />

ist sie keinen Millimeter mehr<br />

gewachsen. Keiner weiss, ob sie das<br />

noch aufholen wird. Finnja, >>><br />

Immer da, wo Zahlen sind.<br />

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Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>779<br />

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Erziehung & Schule<br />

Oft sagt Léni: «Ich will<br />

sein wie früher.»<br />

Das bricht mir das Herz.<br />

Seit ihrer<br />

Krankheit hat<br />

Léni Locken.<br />

>>> ihre Schwester, ist jetzt einen<br />

Kopf grösser. Léni war vor dem<br />

Krebs ein muskulöses Kind, unermüdlich<br />

und stark. Die Muskeln<br />

haben sich nach einem Jahr Liegen<br />

zurückgebildet, sie hat Sehnenverkürzungen<br />

und Knochenschmerzen<br />

und fehlende Reflexe in den Beinen.<br />

Sie fällt häufig hin und stürzt und<br />

stösst sich. Die Erschöpfung überwältigt<br />

sie nach den kürzesten Strecken.<br />

Sie ist nah am Wasser gebaut,<br />

ganz anders als früher, und leicht<br />

reizbar. Oft kommt sie heulend aus<br />

der Schule und sagt: «Ich will sein<br />

wie früher.» Das bricht mir das Herz.<br />

Doch die Chemikalien, die in<br />

Lénis Körper gepumpt wurden,<br />

haben ihr auch ein Geschenk hinterlassen:<br />

Locken. Viele Freundinnen<br />

sind närrisch nach ihren Haaren,<br />

und mich macht es glücklich, dass<br />

sie das offensichtlich geniesst.<br />

Lénis Geschwister haben in den<br />

Monaten meiner Abwesenheit einen<br />

riesigen Entwicklungsschub ge ­<br />

macht. Sie haben in dieser Zeit ge ­<br />

lernt, die Mutter zu entbehren. Das<br />

hat sie auch ein wenig hart gemacht.<br />

Manchmal haben sie etwas Misstrauisches<br />

in ihrem Blick und etwas<br />

Distanziertes in der Stimme. Ihre<br />

Umarmungen sind beherrschter, als<br />

wären sie nur eine Höflichkeit, als<br />

würde ihr Körper mir mitteilen wollen,<br />

dass sie auch ohne mich klarkommen<br />

würden. Auf der anderen<br />

Seite haben wir alle zusammen oft<br />

eine Innigkeit, die früher in der<br />

Intensität nicht da war. Wir geniessen<br />

das Zusammensein miteinander<br />

als etwas Besonderes.<br />

Auch ich habe mich verändert<br />

Auch ich habe mich in der Zeit der<br />

Krankheit verändert. Dass ich lange<br />

nicht mehr gelacht hatte, fiel mir erst<br />

auf, als ich beim Lachen meine Muskeln<br />

spürte, weil ich sie so lange<br />

nicht mehr gebraucht hatte. Für fast<br />

zwei Jahre habe ich die Musik komplett<br />

verloren. Mittlerweile kann ich<br />

mir kurze Musikstücke anhören,<br />

aber das Schwelgen in selbstvergessenen<br />

Träumereien ist für mich<br />

nicht mehr vorstellbar. Ich bin sehr<br />

vorsichtig geworden. Ich beobachte<br />

Léni unablässig. Eine Epoche der<br />

Wahrhaftigkeit hat für mich begonnen,<br />

in der ich mir viel weniger vormachen<br />

kann. Zu Kompromissen<br />

bin ich nicht mehr bereit. Entweder<br />

muss etwas hundertprozentig stimmen,<br />

oder ich nehme Abstand. Literatur,<br />

mein früherer Lebensinhalt,<br />

ist für mich mittlerweile weniger<br />

wert, als gut zu leben. Meinen Kindern<br />

etwas bieten zu können – Freude<br />

und Unbeschwertheit. Ich erwarte<br />

keine Entscheidungshilfe mehr<br />

von aussen. Ich muss die Lösung<br />

selbst finden. Ich bin in diesen<br />

Monaten komplett ergraut. Auf meinem<br />

Gesicht haben sich markante<br />

Züge der Selbstbeherrschung niedergelassen.<br />

Ich habe ein vermehrtes<br />

Bedürfnis, mich aus der Gegenwart<br />

auszuklinken. Bücher oder Filme<br />

sichern mir das nötige untrübbare<br />

tägliche Glück.<br />

Léni sagt, es wäre leichter gewesen,<br />

zu sterben. Aber sie wusste, dass<br />

sie mich untröstlich zurückgelassen<br />

hätte. Und Finnja. Und Nagyi, ihre<br />

Grossmutter. Das erklärt sie so simpel,<br />

und dann lebt und lacht und<br />

denkt und träumt und liebt sie weiter,<br />

als wäre nichts geschehen. Das ist<br />

das Gute an Kindern: Sie halten keinen<br />

Augenblick länger fest als nötig.<br />

Nur ich trotte dem Schock immer<br />

noch hinterher.<br />

>>><br />

Léda Forgó<br />

ist eine bekannte Schriftstellerin («Der<br />

Körper meines Bruders», «Vom Ausbleiben<br />

der Schönheit»). Die gebürtige Ungarin<br />

lebt mit ihren Zwillingen in Hamburg.<br />

80 Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>7 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Erziehung & Schule<br />

Die Familie nicht dem<br />

Schicksal überlassen<br />

Schicksalsschläge, die zu einer Erwerbsunfähigkeit oder gar zum Tod führen, sind an Leid<br />

oft kaum zu übertreffen. Als Folge davon können Geldsorgen die Familie zusätzlich belasten.<br />

Deshalb ist es wichtig, sich auch mit unangenehmen Ereignissen auseinanderzusetzen.<br />

Das 3-Säulen-Prinzip der Schweiz gewährleistet nicht nur die<br />

finanzielle Vorsorge für die Zeit nach der Pensionierung. Sie ist<br />

auch eine Risikoabsicherung im Todesfall oder bei invaliditätsbedingter<br />

Erwerbsunfähigkeit. Wie hoch die Unterstützungsleistungen<br />

ausfallen, ist nicht leicht zu überblicken, da mehrere,<br />

unterschiedliche Sozialwerke möglicherweise Leistungserbringer<br />

sind. Aus demselben Grund ist es auch wichtig, diese Leistungen<br />

aufeinander abzustimmen, um beispielsweise Überversicherungen<br />

zu vermeiden.<br />

Bei Erwerbsunfähigkeit<br />

Familien mit Kindern werden im 3-Säulen-Prinzip besonders<br />

berücksichtigt. Bei voraussichtlich dauernder Erwerbsunfähigkeit<br />

wird aus der ersten Säule (IV) eine Invalidenrente ausbezahlt.<br />

Sofern Kinder (bis zum 18. bzw. 25. Lebensjahr, wenn in Ausbildung)<br />

vorhanden sind, wird zudem eine Kinderrente (40% der<br />

IV-Rente pro Kind) geleistet. Die Leistungen der 2. Säule (BVG)<br />

lassen sich nicht pauschal beziffern, denn die einzelnen Pensionskassen<br />

decken häufig weit mehr als das BVG-Obligatorium<br />

ab. Trotzdem ergeben sich gerade bei krankheitsbedingter<br />

Erwerbsunfähigkeit im Gegensatz zu einem Unfall oft grössere<br />

Lücken. Die obligatorische Unfallversicherung (UVG) versichert<br />

aktuell maximal ein Bruttosalär von CHF 148’200.–. Bei höheren<br />

Einkommen stellt sich die Frage, ob die Pensionskasse diese<br />

Lohnbestandteile bei Unfall mitversichert oder der Arbeitgeber<br />

eine Unfallzusatzversicherung (UVG-Z) abgeschlossen hat.<br />

Die 3. Säule dient zur Deckung von Vorsorgelücken, die durch<br />

die 1. und die 2. Säule nicht abgedeckt sind. Zum Beispiel<br />

können Lücken aus einer Erwerbsunfähigkeit durch den Abschluss<br />

einer Erwerbsunfähigkeitsrente oder eines Invaliditätskapitals<br />

aufgefangen werden.<br />

Bei Todesfall<br />

Bei Todesfall erhält eine Ehefrau mit Kindern aus der 1. Säule<br />

(AHV) eine lebenslange Witwenrente. Ohne Kinder gilt das nur,<br />

wenn die Hinterbliebene mindestens 45 Jahre alt ist und das<br />

Paar mindestens fünf Jahre verheiratet war. Witwer indessen erhalten<br />

eine Witwerrente nur, solange Kinder unter 18 Jahren zu<br />

betreuen sind. Sofern Kinder (bis zum 18. bzw. 25. Lebensjahr,<br />

wenn in Ausbildung) vorhanden sind, wird für diese zudem eine<br />

Waisenrente geleistet. Die detaillierten Leistungen der 2. Säule<br />

müssen individuell dem Pensionskassenausweis und -reglement<br />

entnommen werden. Wenn Säule 1 und 2 einen Todesfall finanziell<br />

nur ungenügend abdecken, empfiehlt sich in der 3. Säule<br />

der Abschluss einer Todesfallrisikoversicherung (Lebensversicherung).<br />

Ein Vorteil hier: Bei Policen, die im Rahmen der Säule<br />

3a abgeschlossen werden, lassen sich die Prämien bis zu einem<br />

Maximalbetrag vom steuerbaren Einkommen abziehen.<br />

Weitere Informationen zum Schweizer Vorsorgesystem<br />

sowie zur Finanzplanung finden Sie unter folgendem Link:<br />

credit-suisse.com/ratgeber<br />

Haben Sie Fragen zu diesem Thema?<br />

Wir stehen Ihnen dabei kompetent zur Seite. Rufen Sie uns an: 0844 200 111* oder<br />

vereinbaren Sie auch online ein Beratungsgespräch unter credit-suisse.com/vorsorgeberatung<br />

*Wir sind von Montag bis Freitag gerne für Sie da. Bitte beachten Sie, dass Telefongespräche aufgezeichnet werden können. Bei Ihrem Anruf gehen wir davon aus, dass Sie mit dieser Geschäftspraxis<br />

einverstanden sind.


Ernährung & Gesundheit<br />

Allergien auf<br />

dem Vormarsch<br />

Ob Pollen, Wespen, Nüsse oder Milben – immer mehr Kinder entwickeln eine Allergie.<br />

So wehrt sich ihr Immunsystem. Manchmal wächst sich eine Überempfindlichkeit aus,<br />

doch oft bleibt sie ein Leben lang. Text: Petra Seeburger<br />

Bild: Juice Images / Alamy Stock Photo<br />

Laura ist allergisch gegen<br />

Eier. «Es war dramatisch,<br />

als sie das erste Mal re ­<br />

agierte», erzählt die Mutter<br />

der knapp Zweijährigen.<br />

Sie habe ihr mit etwa einem<br />

Jahr das erste Mal Gemüsebrei mit<br />

gekochtem Ei gegeben, was die Kleine<br />

ohne Probleme gegessen habe.<br />

Beim Wickeln habe sie dann rote<br />

Flecken gesehen. «Da Laura aber<br />

eine Neurodermitis hat, habe ich<br />

mir nicht viel dabei gedacht», sagt<br />

Sarah Meier*. Wenig später habe das<br />

Mädchen im Schwall erbrochen.<br />

«Von oben bis unten war sie feuerrot,<br />

überall waren Quaddeln», erinnert<br />

sich die Mutter.<br />

Zusammen mit ihrem Mann fuhr<br />

sie in den Kindernotfall. Laura be ­<br />

kam Medikamente und wurde überwacht,<br />

bis die Symptome zurückgingen.<br />

Später habe ein A l lergologe die<br />

Eierallergie bestätigt. «Laura reagiert<br />

auf kleinste Mengen», sagt Sarah<br />

Meier. Das Leben der jungen Fami­<br />

lie sei komplizierter geworden. Auswärts<br />

essen oder reisen sei schwierig.<br />

«Man glaubt nicht, wo es überall<br />

Eier drin hat!», so Sarah Meier.<br />

Allergien nehmen zu. Eine neuere<br />

Arbeit, die im «New England<br />

Je früher ein Kind Viren<br />

und Bakterien ausgesetzt ist,<br />

desto besser.<br />

82 Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>7 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Journal of Medicine» erschienen ist,<br />

besagt, dass sich Allergien gegen<br />

Erdnüsse in den letzten zehn Jahren<br />

verdoppelten. Und gemäss Erhebungen<br />

wird in 20 Jahren jeder zweite<br />

Europäer an einer Allergie leiden.<br />

Dabei können viele Substanzen<br />

Überempfindlichkeiten auslösen.<br />

Das Immunsystem im<br />

Abwehrmodus<br />

«Eine Allergie ist nichts anderes als<br />

eine Fehlleistung des Immunsystems»,<br />

erklärt Peter Schmid-Grendelmeier,<br />

Leiter der Allergiestation<br />

der Dermatologischen Klinik am<br />

Universitätsspital Zürich. Bei einer<br />

allergischen Reaktion funktioniere<br />

das Immunsystem zu gut: Es reagiere<br />

überempfindlich auf an sich harmlose<br />

Stoffe und bekämpfe sie.<br />

Bei der Entstehung einer Allergie<br />

spielen genetische Komponenten<br />

eine Rolle. «Leidet der Vater oder<br />

die Mutter an einer Allergie, liegt<br />

das Risiko für die Nachkommen bei<br />

30 Prozent. Sind beide Eltern betroffen,<br />

kann dieses bis auf 70 Prozent<br />

steigen», betont Peter Schmid-Grendelmeier.<br />

Dazu komme die Hygiene-<br />

Hypothese: Gemäss Studien haben<br />

Kinder, die auf einem Bauernhof<br />

aufwachsen oder früh Kontakte mit<br />

Gleichaltrigen haben, weniger Al -<br />

lergien.<br />

Je früher und häufiger also Kleinkinder<br />

Bakterien und Viren ausgesetzt<br />

sind, desto besser für die Entwicklung<br />

ihres Immunsystems. Weil<br />

Kinder heute in einer hygienischen,<br />

also keimarmen Umgebung leben,<br />

reagiert ihr Abwehrsystem vermehrt<br />

gegen ungefährliche Substanzen.<br />

Laut Kinderpneumologe Alexander<br />

Möller spielt bei der Entstehung<br />

von Asthma ebenfalls die Vielfalt<br />

der Erreger eine Rolle, denen Kinder<br />

und ihre Mütter ausgesetzt sind;<br />

dazu gehörten auch die Nahrungsmittel<br />

für Kleinkinder.<br />

Viele ungeklärte Ansätze<br />

Es gibt viele Erklärungsversuche,<br />

warum Allergien zunehmen. «Im<br />

Moment hat die Allergieforschung<br />

zunehmend die Ernährung und das<br />

Mikrobiom – also die Darmflora – im<br />

Fokus», erklärt Peter Schmid-Grendelmeier.<br />

Im Darm leben Millionen<br />

Bakterien von etwa 1400 verschiedenen<br />

Arten. «Das Mikrobiom beeinflusst<br />

das Immunsystem, die Ernährung<br />

wiederum das Mikrobiom»,<br />

betont der Allergiefachmann.<br />

Dieser neue, noch nicht vollständig<br />

geklärte Ansatz hat laut Alexander<br />

Möller gerade bei Kindern eine<br />

hohe Relevanz, denn die Säuglinge<br />

kommen «steril» zur Welt. «Die<br />

Besiedlung der Darmflora beginnt<br />

erst nach der Geburt.» Hier sei da -<br />

her die Art und Weise, wie das<br />

Mi krobiom aufgebaut werde beziehungsweise<br />

welches Gleichgewicht<br />

oder eben Ungleichgewicht in der<br />

Darmflora herrsche, relevant.<br />

Ebenfalls diskutiert wird die Frage,<br />

ob eine frühe Antibiotikagabe<br />

das Allergierisiko erhöht. Denn eine<br />

neue Studie weist darauf hin, dass<br />

Antibiotika in den ersten zwei Le -<br />

bensjahren die Darmflora nachhaltig<br />

beeinträchtigen und damit das<br />

Immunsystem beeinflussen können.<br />

Psychische und physische Faktoren<br />

können zwar je nach Alter eine<br />

Rolle spielen, bei Kindern sind es<br />

aber vor allem Umweltfaktoren. Ein<br />

grosser Risikofaktor sei, wenn Kinder<br />

Tabakrauch ausgesetzt seien.<br />

Dies vor allem in der Schwangerschaft,<br />

im Mutterleib, betont Alexander<br />

Möller.<br />

Suche nach Allergieauslösern<br />

Eine vererbte Neigung zu Allergien<br />

kann sich als Heuschnupfen, Asthma,<br />

Nahrungsmittelallergie oder<br />

Neurodermitis zeigen. Betroffene<br />

Kinder können aus einer Allergieform<br />

«herauswachsen», danach aber<br />

an der nächsten Allergieform erkranken:<br />

zuerst die Neurodermitis,<br />

dann das Asthma und später der<br />

Heuschnupfen.<br />

Die Abfolge dieser drei atopischen<br />

Erkrankungen (das sind Al -<br />

lergien, bei denen das Immunsystem<br />

Leiden beide Eltern an<br />

Allergien, liegt das Risiko für<br />

die Kinder bei 70 Prozent.<br />

binnen Sekunden oder Minuten auf<br />

das Allergen reagiert) während der<br />

Kindheit wird oft als «Allergiekarriere»<br />

bezeichnet. Pollen, Tierhaare,<br />

Nahrungsmittel, Hausstaubmilben<br />

und Insektengifte sind die häufigsten<br />

Allergene.<br />

Für die Diagnose sind die Familiengeschichte<br />

und die Vorgeschichte<br />

in Sachen Allergien relevant. «Es<br />

geht darum, herauszufinden, was die<br />

Allergie ausgelöst hat», sagt Schmid-<br />

Grendelmeier. «Welche Symptome<br />

zeigten sich und was könnte in Zu -<br />

sammenhang mit dem Allergen stehen?»<br />

Ferner ist die Form der<br />

Beschwerden aufschlussreich: >>><br />

Risiko allergischer Schock<br />

Bestimmte Allergene können einen<br />

lebensbedrohlichen allergischen Schock<br />

auslösen. Allergiker tragen deshalb immer<br />

Notfallsets mit sich. Typische Symptome:<br />

pelziges Gefühl im Mundbereich mit Juckreiz,<br />

Atemnot bis zum schweren Asthma-Anfall,<br />

Hautrötung, Quaddelbildung, Erbrechen,<br />

Schwindel, Herzrasen und Blutdruckabfall bis<br />

hin zum Kollaps. Dies ist oft charakteristisch<br />

bei Wespen- oder Bienengiftallergien.<br />

Forschungsprojekt Exhalomics –<br />

frühe Diagnose und Prävention von<br />

Asthma bei Kindern<br />

Asthma ist die häufigste im Kindesalter<br />

auftretende chronische Erkrankung. Eine<br />

Diagnose im Vorschulalter ist jedoch fast<br />

unmöglich, weshalb viele Kinder nicht<br />

ausreichend behandelt werden. Im Rahmen<br />

des Forschungsprojekts «Zurich Exhalomics»<br />

suchen Forscher des Kinderspitals Zürich nach<br />

spezifischen Biomarkern, um eine<br />

Früherkennung von Asthma zu ermöglichen.<br />

Weitere Informationen auf www.aha.ch<br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>783


Ernährung & Gesundheit<br />

Allergikerkinder sollen nicht<br />

ausgegrenzt werden, sondern ein<br />

normales Leben führen können.<br />

>>> Sind diese anfallartig, saisonal<br />

miss, wenn diese leiden. «Es braucht<br />

oder ortsgebunden? So beginnt<br />

die Suche nach dem Allergen.<br />

Weiter gibt es dafür verschiedene<br />

Tests: Hauttests, bei denen verschiedene<br />

Allergene auf die Haut getropft<br />

oder in einem Pflaster aufgetragen<br />

werden. «Je nach vermutetem Allergen<br />

wählen wir die Untersuchungsart.»<br />

Mittels Blutanalysen werden<br />

Antikörper bestimmt, zudem gibt es<br />

intranasale (in der Nase angewendete)<br />

oder inhalative Provokationstests.<br />

«Bei Verdacht auf Asthma wird<br />

ein Lungenfunktionstest durchgeführt»,<br />

sagt Alexander Möller. Dabei<br />

atmen die Kinder in ein Messgerät,<br />

das die Menge der ein- und ausgeatmeten<br />

Luft pro Zeiteinheit misst.<br />

eine klare Diagnose und bei einer<br />

Leistungseinschränkung müssen wir<br />

behandeln.» Asthma wachse sich<br />

dazu oft bis zum Schulalter aus.<br />

Eine Therapie, die an den Ursachen<br />

ansetze, so Professor Schmid-<br />

Grendelmeier, sei die Desensibilisierung.<br />

«Oft starten wir im Schulalter<br />

damit», sagt er. Die Behandlung<br />

kann per Spritze verabreicht werden,<br />

eine Variante mit Tabletten<br />

oder Tropfen ist auch möglich und<br />

gerade bei Kindern beliebt. Die<br />

Langzeiteffekte sind laut beiden<br />

Ärzten sehr gut.<br />

Neuere Arbeiten zeigen auch,<br />

dass ein Kontakt im Kleinkindalter<br />

mit möglichen allergieauslösenden<br />

Substanzen wie Erdnussbutter das<br />

Allergierisiko drastisch senkt. Wichtig<br />

finden beide Ärzte, dass betroffene<br />

Kinder und ihre Eltern geschult<br />

werden. Peter Schmid-Grendelmeier<br />

appelliert dazu auch an die Lehrerschaft:<br />

«Allergikerkinder sollen<br />

nicht ausgegrenzt werden, sondern<br />

ein normales Leben führen können!»<br />

Alle Betreuungspersonen<br />

müssen hier Verantwortung übernehmen.<br />

Reaktion eindämmen und Toleranz<br />

erhöhen<br />

Bei der Behandlung einer Allergie<br />

geht es zum einen darum, Allergene<br />

(Substanzen, die eine allergische<br />

Reaktion auslösen können) zu<br />

vermeiden und die Betroffenen für<br />

Notfallsituationen zu schulen. Bei<br />

manchen Allergien braucht es Medikamente,<br />

die Antihistaminika oder<br />

Kortison enthalten. Diese reduzieren<br />

zwar die allergische Reaktion,<br />

bekämpfen aber nicht deren Ursachen.<br />

«Bei Asthma braucht es oft einen<br />

kortisonhaltigen Inhalationsspray»,<br />

sagt Möller, da die Kinder bei den<br />

Anfällen zu wenig Sauerstoff be -<br />

kommen, was gesundheitliche Folgen<br />

hat. Der Pulvernebel verteile<br />

den Wirkstoff in den Atemwegen.<br />

Da die Dosen im Mikro- und Nanobereich<br />

liegen, müssen sich Eltern<br />

nicht vor den Nebenwirkungen des<br />

Kortisons fürchten, sagt Möller. Für<br />

ihn, der viele Kinder mit Asthma<br />

betreut, gebe es keinen Kompro-<br />

>>><br />

* Name geändert<br />

Petra Seeburger<br />

ist Intensivpflegefachfrau, Journalistin und<br />

Kommunikationsspezialistin. Sie arbeitet<br />

seit über 30 Jahren im Gesundheitswesen.<br />

Allergien – eine Übersicht<br />

Ursachen haben und sind oft Symptom einer<br />

allergischen Reaktion; typisch ist etwa die<br />

Neurodermitis.<br />

Heuschnupfen ist eine allergische Reaktion<br />

auf Pollen und steht in Zusammenhang mit<br />

der Blühphase von Bäumen und Getreide. Die<br />

Schleimhäute der Nase und Augen jucken und<br />

schwellen an. Folgerisiko ist das allergische<br />

Asthma.<br />

Hausstaubmilbenallergie: Die Ausscheidungen<br />

von Milben können Schnupfen oder Asthma<br />

auslösen.<br />

Nahrungsmittelunverträglichkeiten entwickeln<br />

Kinder oft bei Milchprodukten, Eiern, Getreide,<br />

Fisch oder Obst.<br />

Als Überempfindlichkeit auf die Proteine im<br />

Latex zeigt sich eine Latexallergie.<br />

Tierallergien richten sich meist gegen Katzen,<br />

Hunde, Pferde und Nagetiere.<br />

Auslöser einer Medikamentenallergie sind<br />

meist Antibiotika, Schmerzmittel, Mittel gegen<br />

Krampfanfälle und Beruhigungsmittel.<br />

Allergene sind die häufigsten Auslöser von<br />

Asthma bronchiale, etwa Pollen, Tierhaare,<br />

Hausstaubmilben oder Schimmelpilze.<br />

Viele Kinder leiden an einer Sonnenallergie.<br />

Die Allergie zeigt sich als Pusteln oder<br />

Bläschen, nachdem die Haut der Sonne<br />

ausgesetzt war.<br />

Allergien vorbeugen<br />

Babys so lange wie möglich stillen, am besten<br />

vier bis sechs Monate.<br />

Alternativ bei Hochrisikokindern in den ersten<br />

vier bis sechs Monaten hypoallergene Nahrung<br />

geben.<br />

Ab vier Monaten möglichst vielfältige Beikost<br />

geben.<br />

Aufhören, Babyutensilien wie Schoppen oder<br />

Schnuller zu sterilisieren.<br />

Alles vermeiden, was eine Allergie fördern<br />

kann, vor allem Rauchen!<br />

In Hochrisikofamilien keine Haustiere halten.<br />

Kuscheltiere regelmässig waschen.<br />

Kinder so früh wie möglich mit Bakterien<br />

und Viren in Kontakt bringen (Kinderkrippe,<br />

Krabbel-, Spielgruppe, Bauernhofbesuche).<br />

Ortswechsel in der Pollensaison.<br />

Zurückhaltung mit dem Einsatz von Antibiotika<br />

wird empfohlen.<br />

Kinder mit Asthma gegen Keuchhusten und<br />

Pneumokokken impfen lassen.<br />

84 Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>7 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


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Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>785


Ernährung & Gesundheit<br />

Suppen sind die neuen Top-Sattmacher unter den leichten Mahlzeiten. Am besten kocht<br />

man sie aus frischen Zutaten. Das geht schnell und einfach. Text: Regula Thut Borner<br />

Suppen passen eigentlich<br />

immer: als schneller Familienzmittag<br />

oder leichtes<br />

Abendessen nach einem<br />

anstrengenden Arbeitstag.<br />

In verschiedenen Experimenten<br />

konnte nachgewiesen werden, dass<br />

Suppen nachweislich den Hunger<br />

reduzieren. So fanden Forscher heraus,<br />

dass ein aus einzelnen Lebensmitteln<br />

bestehendes Gericht, zu<br />

dem ein Glas Wasser getrunken<br />

wird, weniger gut sättigt als dieselben<br />

Zutaten zu einer Suppe gekocht.<br />

Der Grund: Die Suppe verweilt länger<br />

im Magen. Und: Enthält sie<br />

Fleisch, Fisch, Milch oder Käse,<br />

kann die Sättigung noch verbessert<br />

beziehungsweise verlängert werden.<br />

Magendehnung unterdrückt<br />

Hungergefühl<br />

Wird der Magen gefüllt, messen spezielle<br />

Rezeptoren die Ausdehnung<br />

der Magenwand. Je nach Dehnung<br />

wird in der Folge die Ausschüttung<br />

des Hungerhormons Ghrelin reguliert.<br />

Das heisst, je grösser die Dehnung<br />

ist, desto weniger Ghrelin wird<br />

produziert. Die in der Mahlzeit enthaltenen<br />

Nährstoffe haben auf diesen<br />

Vorgang keinen Einfluss. Die<br />

Unterdrückung des Hungers darf<br />

jedoch nicht mit Sättigung verwechselt<br />

werden. Sättigung entsteht erst<br />

während der eigentlichen Verdau-<br />

86 Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>7 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


ung im Dünn- und Dickdarm. Trinkt<br />

man etwa ein Glas Wasser, erzeugt<br />

das zwar eine Magendehnung, welche<br />

das Hungerhormon unterdrückt.<br />

Dieser Effekt hält jedoch nur wenige<br />

Minuten an, da der Magen nichts zu<br />

verdauen hat.<br />

Die Suppe muss Nährstoffe<br />

enthalten<br />

Damit die Suppe lange im Magen<br />

verbleibt, muss sie Nährstoffe enthalten,<br />

die auch dort vorverarbeitet<br />

werden. Besteht sie nur aus fettfreier<br />

Bouillon mit etwas Gemüse, entleert<br />

sich der Magen schnell wieder.<br />

Der hungerstillende Effekt ist kurz.<br />

Suppe: perfekte<br />

Familienmahlzeit<br />

bei knappem<br />

Zeitbudget.<br />

Das Gemüse liefert zwar Nahrungsfasern,<br />

mit deren Hilfe der Hunger<br />

kurzfristig unterdrückt wird, aber<br />

sie erzeugen während des Verdauungsvorgangs<br />

kein Sättigungsgefühl.<br />

Die Verweildauer der Suppe im<br />

Magen wird vor allem durch ihren<br />

Gehalt an Fett und Eiweiss verlängert.<br />

Komplexe Kohlenhydrate wie<br />

Hülsenfrüchte, Vollkornteigwaren<br />

oder Vollreis führen dagegen erst in<br />

der nachfolgenden Verdauung zu<br />

einem andauernden Sättigungsgefühl.<br />

Die lange Verweildauer im<br />

Magen und das gute Sättigungsgefühl<br />

durch die anschliessende Verdauung<br />

machen die Suppe zu einem<br />

idealen Sattmacher.<br />

Vortag hat, zum Beispiel Linsen,<br />

Vollkornpasta, Reis oder Kartoffeln,<br />

kann diese für die Suppe verwenden.<br />

Oder man nimmt Hülsenfrüchte<br />

oder Mais aus der Dose zu Hilfe. Die<br />

Eiweissbeilagen kann man zufügen<br />

und kurz mitziehen lassen, etwa<br />

Pouletstreifen, gekochtes Siedfleisch,<br />

Fischfilets oder Wienerli.<br />

Wird die Suppe püriert, kann<br />

man sie in Tellern anrichten und mit<br />

Hüttenkäse, pochierten Eiern, ge -<br />

räucherten Forellen- oder Felchenfilets<br />

garnieren. Manche Suppen<br />

schmecken besonders gut, wenn das<br />

Gemüse in Milch gekocht wird, etwa<br />

Blumenkohl und Sellerie. Auch<br />

etwas Crème fraîche und frische<br />

Kräuter geben der Suppe einen<br />

guten Geschmack. Raffinierte Beilagen<br />

zu einer Gemüsesuppe sind<br />

kleine Käsetoasts oder frisches Vollkornbrot<br />

mit Kräuterquark.<br />

Clevere Resteverwertung<br />

In der Schweiz werden pro Person<br />

täglich rund 320 Gramm meist einwandfreie<br />

Lebensmittel weggeworfen.<br />

In einem Vierpersonenhaushalt<br />

entspricht dies fast einer ganzen<br />

Mahlzeit. Das ist völlig unnötig,<br />

denn fast alles, was im Kühlschrank,<br />

in der Brotschublade oder von anderen<br />

Mahlzeiten übrig bleibt, kann<br />

man in eine Suppe verwandeln oder<br />

als Beigabe dazu servieren. Umgekehrt<br />

kann man aus frischen Zutaten<br />

die doppelte Menge zubereiten und<br />

einen Teil tiefkühlen. Das lohnt sich<br />

vor allem bei Saisonzutaten wie<br />

Sommertomaten oder Kürbis.<br />

Eine gute Suppe braucht<br />

nicht viel<br />

Wenn es schnell gehen muss beim Kochen,<br />

kann man improvisieren. Aus fast allem,<br />

was Kühlschrank und Vorratskasten hergeben,<br />

lässt sich eine feine Suppe machen.<br />

Gemüse: gehört fast immer in die<br />

Suppe.<br />

Eiweiss als Hungerstopper: Zu jeder<br />

Suppe gehört eine Portion Eiweiss in<br />

Form von Käse, Eiern, Fleisch oder Fisch.<br />

Hülsenfrüchte und Vollkorn: Ist der<br />

Hunger gross, lässt sich die Suppe<br />

mit Hülsenfrüchten, Pasta, Reis oder<br />

Kartoffeln anreichern. Auch ein Stück<br />

Vollkornbrot dazu schmeckt gut.<br />

Geschmacksverstärker: Rahm, Crème<br />

fraîche, Pesto, Butterflocken, Nussöl<br />

oder frische Kräuter geben der Suppe<br />

immer wieder einen neuen Geschmack.<br />

Bilder: Fotolia, ZVG<br />

Gemüse und Milchprodukte passen<br />

immer<br />

Die Basis für eine gesunde Suppe ist<br />

Gemüse. Ist kein frisches Grünzeug<br />

zur Hand, kann man auch zu Tiefkühlgemüse<br />

greifen. Dazu Gemüseoder<br />

Fleischbouillon. Wer Reste vom<br />

Regula Thut Borner<br />

ist dipl. Ernährungsberaterin HF und<br />

Projektleiterin Fachbereich Ernährung<br />

bei Swissmilk.<br />

ernaehrungsberatung@swissmilk.ch<br />

www.swissmilk.ch<br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>787


Digital & Medial<br />

Mein Kind wird im Netz gemobbt –<br />

und acht weitere Elternsorgen<br />

Hand aufs Herz: Wer von Ihnen weiss wirklich, was Ihr Kind da die ganze Zeit am Smartphone macht?<br />

Und wie oft haben Sie sich schon gesorgt, ob das Ihrem Kind schaden könnte? Wir nehmen die neue<br />

JAMES-Studie zur Mediennutzung von Jugendlichen zum Anlass, um auf die häufigsten Elternsorgen<br />

einmal statistisch zu antworten. Manches wird sie beruhigen. Text: Bianca Fritz<br />

SORGE 1 Mein Kind hängt nur noch<br />

am Handy und vernachlässigt alles<br />

andere.<br />

Tatsächlich zeigt die gerade neu<br />

erschienene JAMES-Studie, dass die<br />

Schweizer Jugendlichen heute<br />

25 Prozent mehr Zeit online verbringen<br />

als vor zwei Jahren. Die befragten<br />

<strong>12</strong>- bis 19-Jährigen sind nach<br />

eigenen Angaben unter der Woche<br />

im Schnitt 2,5 Stunden und am<br />

Wochenende 3 Stunden und 40<br />

Minuten pro Tag online.<br />

Eine Erklärung für den Anstieg<br />

ist, dass das Internet fast überall mit<br />

dabei ist: 99 Prozent der Jugendlichen<br />

besitzen ein Handy und geben<br />

an, es täglich oder mehrmals in der<br />

Woche zu benutzen. Schon ein Drittel<br />

der Jugendlichen hat monatlich<br />

mehr als 5 Gigabyte mobiles Internet<br />

zur Verfügung, kann also überall<br />

und immer online sein. Da Jugendliche<br />

aber nicht immer online sind,<br />

wenn sie am Handy sitzen, liegt die<br />

selbst eingeschätzte Nutzungszeit<br />

der Jugendlichen sogar noch höher:<br />

nämlich bei 3,5 Stunden pro Tag<br />

unter der Woche und 4,5 Stunden<br />

am Wochenende.<br />

Spannend ist aber: Die Häufigkeit<br />

der Freizeitaktivitäten ohne Medien<br />

nimmt trotzdem nicht ab. Jugendliche<br />

treffen genauso oft Freunde wie<br />

früher, gehen zum Sport, ruhen aus,<br />

kümmern sich um Haustiere und<br />

machen Musik. Sie tun also das eine<br />

immer mehr, lassen aber gleichzeitig<br />

das andere nicht bleiben.<br />

Zudem vermischen sich Online<br />

und Offline immer mehr, und so<br />

wird auch die Selbsteinschätzung<br />

der Onlinezeit immer schwieriger.<br />

Gilt Freunde treffen als nichtmediale<br />

Tätigkeit, wenn man sich zwischendurch<br />

über ein Youtube-Video<br />

austauscht und dort reinschaut?<br />

SORGE 2 Mein Kind gibt zu viel von<br />

sich preis.<br />

Vermutlich nicht. Jugendliche sind<br />

zunehmend zögerlich, was das Veröffentlichen<br />

persönlicher Inhalte<br />

be trifft. Erinnern Sie sich an You-<br />

Now? Die Plattform, die Livestreams<br />

mit Chat aus dem Kinderzimmer<br />

heraus ermöglicht und Eltern damit<br />

in Angst und Schrecken versetzt hat?<br />

Die JAMES-Studie hat dieses Jahr<br />

erstmals gefragt, wer diese Möglichkeit<br />

nutzt. Gerade zwei Prozent der<br />

Jugendlichen tun dies regelmässig,<br />

sieben Prozent mindestens einmal<br />

im Monat. Auch Blogs, Podcasts und<br />

Dass Fremde vor Ihrer Tür stehen,<br />

ist unwahrscheinlich. Jugendliche<br />

geben selten den Wohnort preis.<br />

Wikipedia-Beiträge werden von<br />

Jugendlichen nur sehr selten erstellt.<br />

Etwas häufiger laden Sie Musik oder<br />

Sound-Dateien ins Internet (etwa 15<br />

Prozent tun dies monatlich) oder<br />

beteiligen sich an Foren. Lediglich<br />

Fotos und Videos werden von<br />

Jugendlichen wirklich regelmässig<br />

ins Internet geladen. Aber auch hier<br />

sind die Zahlen kleiner, als viele vermuten:<br />

11 Prozent der Jugendlichen<br />

machen dies mehrmals die Woche,<br />

39 Prozent mindestens einmal im<br />

Monat.<br />

Es fällt auf, dass die häufigsten<br />

Tätigkeiten von Jugendlichen in den<br />

sozialen Netzwerken passive Tätigkeiten<br />

sind: Fotos und Profile ansehen<br />

und «liken». Oder dass sie in<br />

einem eher privaten Rahmen stattfinden<br />

(chatten und Nachrichten<br />

versenden). 61 Prozent geben an,<br />

dass sie in sozialen Netzwerken vor<br />

allem Fotos posten, bei den Videos<br />

sind es nur 23 Prozent. Ein beruhi-<br />

Bild: Bill Cheyrou / Alamy Stock Photo<br />

88 Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>7 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Zählt<br />

«gemeinsam<br />

Handyvideos»<br />

schauen noch<br />

als «Freunde<br />

treffen»?<br />

gender Fakt: Dass plötzlich Fremde<br />

vor Ihrer Türe stehen, ist sehr un ­<br />

wahrscheinlich. Nur 15 Prozent der<br />

befragten Jugendlichen geben ihren<br />

echten Wohnort in einem sozialen<br />

Netzwerk preis. Noch weniger, nämlich<br />

8 Prozent, ihre Telefonnummer.<br />

SORGE 3 Mein Kind blickt bei den<br />

komplizierten Privatsphäreeinstellungen<br />

von Facebook nicht durch.<br />

Stimmt. Und das ist mit ein Grund,<br />

warum viele Jugendliche ihre Bilder<br />

und Nachrichten lieber auf Plattformen<br />

teilen, bei denen sie besser kontrollieren<br />

können, wer diese sehen<br />

kann. Auf Instagram etwa ist der<br />

Account schnell auf privat gestellt,<br />

Jugendliche wechseln von<br />

Facebook zu vermeintlich<br />

privateren Netzwerken.<br />

und auf WhatsApp und Snapchat<br />

bestimmen die Jugendlichen selbst,<br />

wer der Empfänger ihres Bildes ist.<br />

Mit diesem Wechsel zu privateren<br />

Netzwerken findet aber auch<br />

eine leichte Abnahme der Sorge um<br />

die eigene Privatsphäre statt. Heute<br />

geben 74 Prozent der Jugendlichen<br />

an, dass sie ihre Privatsphäre schützen.<br />

20<strong>12</strong> waren es noch 84 Prozent.<br />

Umso wichtiger ist also, dass Sie mit<br />

Ihrem Kind darüber sprechen, dass<br />

jedes digitale Foto im Internet geteilt<br />

werden kann. Auch jenes, das vertrauensvoll<br />

einem Freund über<br />

WhatsApp geschickt wurde.<br />

SORGE 4 Mein Kind lernt im Internet<br />

Pädophile kennen.<br />

Dass einer Online-Bekanntschaft ein<br />

reales Treffen folgt, ist längst keine<br />

Seltenheit mehr: 41 Prozent der<br />

Jugendlichen haben das schon erlebt.<br />

Das Treffen an sich muss keine<br />

Gefahr darstellen, wenn man sich an<br />

bestimmte Regeln hält, zum Beispiel<br />

an einen öffentlichen Platz geht und<br />

einen Elternteil mitnimmt. So können<br />

aus Bekanntschaften im Internet<br />

echte Freundschaften werden – oder<br />

gar Liebe.<br />

Die Kehrseite der leichten Kontaktaufnahme<br />

im Netz: Ein Viertel<br />

der Jugendlichen hat bereits erlebt,<br />

dass sie im Internet unerwünscht<br />

und mit sexuellen Absichten angesprochen<br />

wurden – man nennt das<br />

im Fachjargon Cybergrooming.<br />

Mädchen sind mit 34 Prozent deutlich<br />

häufiger betroffen als Jungen<br />

(17 Prozent).<br />

SORGE 5 Mein Kind wird im Netz<br />

gemobbt.<br />

Da das Internet ein wichtiger Ort für<br />

Jugendliche ist, um zu kommunizieren,<br />

findet hier – ähnlich wie im<br />

Klassenzimmer – auch Mobbing<br />

statt. Das Problem mit Stu dien über<br />

Cybermobbing ist, dass es >>><br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>789


Ihr Kind zockt intensiv?<br />

Die Statistik macht Hoffnung,<br />

dass dies nur eine Phase ist.<br />

>>> keine allgemeingültige Definition<br />

von Cybermobbing gibt. Ge ­<br />

hört ein «Boah, bist du hässlich»<br />

unter einem Facebook-Foto schon<br />

in die Kategorie Mobbing, oder ist<br />

das einfach der Umgangston unter<br />

Jugendlichen übertragen ins Netz?<br />

Die JAMES-Studie behilft sich,<br />

indem sie zwei Fragen stellt: Auf die<br />

erste antwortet etwa ein Fünftel der<br />

Ju gendlichen, es sei schon einmal<br />

vorgekommen, dass jemand sie im<br />

In ternet habe fertigmachen wollen.<br />

Auf die etwas spezifischere Frage, ob<br />

schon einmal Falsches oder Belei ­<br />

digendes über sie im Internet verbreitet<br />

worden sei, antworten noch<br />

<strong>12</strong> Prozent mit Ja.<br />

Das Fiese am Mobbing im Internet<br />

im Vergleich zum «normalen»<br />

Mobbing ist, dass es keine Rückzugsorte<br />

gibt. Es hört nicht auf,<br />

wenn der Jugendliche nach Hause<br />

kommt. Und dass der Jugendliche<br />

nicht wissen kann, wie viele zu ­<br />

schauen und mitlesen, ist eine be ­<br />

sonders grosse Belastung für ihn.<br />

SORGE 6 Mein Kind kommt im Netz<br />

automatisch mit Gewalt- und Pornografie<br />

in Berührung.<br />

Sollten Sie einen Sohn im Teenageralter<br />

haben, so ist die Wahrscheinlichkeit,<br />

dass er sich auf dem<br />

Handy oder Computer Pornofilme<br />

ansieht, tatsächlich sehr hoch. Rund<br />

drei Viertel geben an, dass dies schon<br />

vorgekommen sei. Bei den Mädchen<br />

ist es gerade einmal ein Fünftel der<br />

Befragten, die dies zugeben.<br />

Auch das Verschicken und Empfangen<br />

von Pornografie aufs Handy<br />

ist eher Jungensache. Einzig bei der<br />

Frage nach dem Sexting, also dem<br />

Verschicken von aufreizenden Fotos<br />

und Videos von sich selbst, sind Jungen<br />

und Mädchen etwa gleichauf:<br />

10 Prozent der Mädchen und 11<br />

Prozent der Jungen sagen, dass sie<br />

das schon gemacht haben.<br />

Bei Videos mit Gewaltdarstellungen<br />

ist der Unterschied zwischen<br />

den Geschlechtern weniger gross als<br />

bei der Pornografie. Rund zwei Drittel<br />

der Schweizer Jugendlichen sa ­<br />

gen, dass sie so etwas schon gesehen<br />

haben. 76 Prozent sind es bei den<br />

Jungen und 53 bei den Mädchen.<br />

SORGE 7 Mein Kind verlernt in sozialen<br />

Netzwerken, was wahre Freundschaft<br />

bedeutet. Es sammelt nur noch<br />

Follower.<br />

Im Vergleich zu 2<strong>01</strong>4 hat die Zahl<br />

der Kontakte von Jugendlichen im<br />

Netz leicht zugenommen: Auf Facebook<br />

haben Jugendliche im Schnitt<br />

427 Freunde, auf Instagram 531 –<br />

dort heissen sie Follower, und eine<br />

Kontaktannahme bedeutet nicht,<br />

dass man sich gegenseitig folgt.<br />

Ob Jugendliche diese Kontakte<br />

mit echten Freunden verwechseln,<br />

kann aus einer statistischen Studie<br />

wie der JAMES-Studie nicht direkt<br />

herausgelesen werden. Es fällt je ­<br />

doch auf, dass im Netzwerk Snapchat,<br />

wo tendenziell Persönlicheres<br />

geteilt wird, die Freundesanzahl viel<br />

niedriger ist: Sie liegt bei 154 Kontakten.<br />

Da die Teilfreudigkeit in<br />

offeneren sozialen Netzwerken<br />

einem Abwärtstrend unterliegt (siehe<br />

Sorge 2), kann man also davon<br />

ausgehen, dass die Jugendlichen ein<br />

Bewusstsein dafür haben, wer zum<br />

engeren Freundeskreis gehört und<br />

wem man demzufolge auch mehr<br />

von sich preisgeben möchte.<br />

SORGE 8 Mein Kind nutzt die Kommunikationsmöglichkeiten<br />

im Netz<br />

gar nicht. Es spielt ja nur Computerspiele.<br />

Und vereinsamt dabei.<br />

Während viele Eltern selbst Facebook,<br />

WhatsApp und Co. nutzen,<br />

sind Games für sie ein Buch mit sieben<br />

Siegeln. Daher wissen sie auch<br />

nicht, dass viele Online-Games eine<br />

Chatfunktion mitbringen. Die Kommunikation<br />

dort birgt dieselben<br />

Chancen und Risiken wie Chats in<br />

sozialen Netzwerken oder öffentlichen<br />

Chatrooms.<br />

Rein statistisch ist Gamen gemäss<br />

JAMES-Studie eher ein Jungen-<br />

Ding: 91 Prozent der Jungen spielen<br />

Videogames, 42 Prozent der Mädchen.<br />

Im Schnitt verbringen die Kids<br />

damit ein bis zwei Stunden pro Tag.<br />

Einen möglicherweise beruhigenden<br />

Fakt hält die JAMES-Studie<br />

auch noch parat: Die Intensität des<br />

Gamens lässt mit zunehmendem<br />

Alter der Befragten nach.<br />

SORGE 9 Mein Kind tappt mit dem<br />

Handy in die Schuldenfalle.<br />

Zumindest statistisch kann das nicht<br />

bestätigt werden. Bei der Hälfte der<br />

Befragten liegt die Handyrechnung<br />

zwischen 20 und 55 Franken im<br />

Monat. Zusammen mit den Ausreissern<br />

nach oben oder unten kommt<br />

man auf durchschnittliche Handykosten<br />

von 39 Franken pro Monat.<br />

Das sind nur zwei Franken mehr als<br />

2<strong>01</strong>4, und das, obwohl Jugendliche<br />

länger online sind als damals.<br />

Mit zunehmendem Alter haben<br />

immer mehr Jugendliche ein Abonnement<br />

mit unlimitiertem Datenvolumen,<br />

so dass Ende Monat keine<br />

bösen Überraschungen auf sie zu ­<br />

kommen. Zudem telefonieren sie<br />

immer weniger und schreiben weniger<br />

SMS. Ein hohes Datenvolumen<br />

allein deckt also meist schon all ihre<br />

Bedürfnisse ab.<br />

>>><br />

Einen Überblick über die Ergebnisse<br />

der JAMES-Studie gibt Swisscom<br />

als Partner der Studie auf Seite 92.<br />

Bianca Fritz<br />

ist im Schnitt pro Tag 2 Stunden und<br />

15 Minuten am Smartphone – und<br />

erstaunt, dass sie damit noch unter dem<br />

Durchschnitt der Jugendlichen liegt.<br />

90 Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>7 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Digital & Medial<br />

«Mama?»<br />

«Warte kurz. Ich muss mich konzentrieren. Nicht ansprechen.»<br />

«Warum nicht? Vergisst du dann was? Mama? MAMA!»<br />

Argh.<br />

Tweet von @flummimum<br />

Chatten,<br />

basteln,<br />

tippen lernen<br />

Altersgerechte Mitmach- und<br />

Lernangebote für Kinder<br />

im Internet unter:<br />

www.klick-tipps.net/<br />

mitmachseiten<br />

Russische Väter erlauben am meisten<br />

Russische Kinder gehen am frühesten online. Schon mit 8 Jahren und 7 Monaten erlauben<br />

ihnen die Eltern ein eigenes Profil in sozialen Netzwerken. Zum Vergleich: Kinder in Deutschland<br />

dürfen mit 10 Jahren und 7 Monaten, britische mit 10 Jahren und 8 Monaten soziale<br />

Medien nutzen, während sich amerikanische mit 10 Jahren und 5 Monaten ein eigenes Profil<br />

anlegen. Das hat ein Softwareunternehmen in einer repräsentativen Vergleichsumfrage in<br />

mehreren Nationen herausgefunden. Das erste Smartphone halten russische Kinder schon<br />

mit 7 Jahren und 2 Monaten in den Händen. In den USA sind die Kinder mit 9 Jahren und<br />

10 Monaten am ältesten, Deutschland und Grossbritannien liegen dazwischen. Generell sind<br />

die Väter laut der Studie etwas milder in der Erziehung und lassen ihre Kinder ein Jahr<br />

früher die digitale Welt erkunden, als es die Mütter tun.<br />

Ideenwettbewerb BugnPlay<br />

Bugnplay ist ein Medien- und Roboterwettbewerb für alle<br />

zwischen 8 und 20 Jahren. Wer mitmachen will, reicht sein<br />

Projekt oder seine gute Idee ein und entwickelt sie während<br />

zwei Monaten weiter. Ob Roboter, Trickfilm, Handykrimi,<br />

Computerspiel, eine Poesiemaschine, eine Soundcollage<br />

oder eine Mischung aus allem – der Fantasie sind keine<br />

Grenzen gesetzt, solange sie mit digitalen Medien und<br />

neuen Technologien zu tun hat. Zu gewinnen gibt es bis zu<br />

1500 Franken in bar. Im Bild sind übrigens die Gewinner<br />

aus dem diesjährigen Wettbewerb. Die Anmeldung ist bis<br />

am 31. Januar möglich auf bugnplay.ch.<br />

Schräge Märchen<br />

Was passiert, wenn sich die drei Königssöhne Otto,<br />

Otto und Otto in dasselbe Mädchen verlieben? Ganz<br />

klar: Sie wählt Prinz Otto! Diese CD wird Ihnen das<br />

breiteste Hörbuchlächeln aller Zeiten aufs Gesicht zaubern.<br />

Denn die Abwandlungen bekannter Märchen,<br />

die wilden Reime und die verqueren neuen Geschichten<br />

begeistern nicht nur die eigentliche Zielgruppe –<br />

sondern auch deren Eltern. Für die älteren Zuhörer<br />

hält Autor Paul Maar feinsinnigen Humor und ausgeklügelte<br />

Wortspiele parat. Ein grosser Spass ab 6 Jahren,<br />

mit dem Sie unter dem Weihnachtsbaum nichts<br />

falsch machen können.<br />

Paul Maar: Schiefe<br />

Märchen und schräge<br />

Geschichten.<br />

Oetinger Audio, <strong>2<strong>01</strong>6</strong>.<br />

142 Minuten auf 2 CDs,<br />

etwa 19 Franken<br />

Bilder: ZVG<br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>791


Digital & Medial<br />

Was Jugendliche<br />

online treiben<br />

Wie lange surfen Teenager heute im<br />

Internet? Welche Online-Dienste nutzen sie und<br />

wie steht es um das Thema Sicherheit?<br />

Antworten gibt nun die JAMES-Studie <strong>2<strong>01</strong>6</strong>.<br />

Text: Michael In Albon<br />

Bild: Swisscom<br />

Alle zwei Jahre werden<br />

in der Schweiz über<br />

1000 Jugendliche zwischen<br />

<strong>12</strong> und 19 Jahren<br />

zu ihrem Medienverhalten<br />

befragt. Die Ergebnisse der<br />

aktuellen JAMES-Studie (Jugend,<br />

Aktivitäten, Medien – Erhebung<br />

Schweiz) liegen nun vor. Demnach<br />

sind Jugendliche erstmals seit Be -<br />

ginn der Studie im Jahr 2<strong>01</strong>0 häufiger<br />

online: unter der Woche täglich<br />

2,5 Stunden und am Wochenende<br />

3 Stunden und 40 Minuten – Tag für<br />

Tag eine halbe Stunde mehr als 20<strong>12</strong><br />

und 2<strong>01</strong>4.<br />

YouTube ist das neue Fernsehen<br />

YouTube ist bei unseren Kindern mit<br />

Abstand die beliebteste Website. 75<br />

Prozent der befragten Jugendlichen<br />

können einen «Lieblings-You tube-<br />

Star» nennen – in der Deutschschweiz<br />

etwa Bianca Heinicke von<br />

BibisBeautyPalace, in der Romandie<br />

den Comedian Cyprien und im Tessin<br />

den Gamer St3pNy.<br />

Bild und Video gewinnen<br />

Von den 16- bis 19-Jährigen sind drei<br />

von vier auf Facebook präsent. <strong>12</strong>-<br />

bis 15-Jährige interessieren sich we -<br />

niger für Facebook, sie sind lieber<br />

auf Instagram und Snapchat unterwegs<br />

– Plattformen für Bilder und<br />

Videos. Diese sind die grossen Ge -<br />

winner seit 2<strong>01</strong>4. Es wächst also eine<br />

neue Nutzergeneration heran. Trotzdem:<br />

Facebook bleibt weiterhin stark<br />

positioniert, da Instagram, neben<br />

WhatsApp, zum Konzern gehört.<br />

Jungs gamen, Mädchen werden<br />

angemacht<br />

Mädchen und Jungen verhalten sich<br />

unterschiedlich. Das erstaunt erst<br />

einmal wenig. Schauen wir genauer<br />

hin: Jungen gehen mit Online-Daten<br />

freizügiger um und geben Geschlecht,<br />

Hobbys oder Wohnort öfter<br />

preis. Das hat vielleicht auch damit<br />

zu tun, dass Mädchen häufiger<br />

Erfahrungen mit unerwünschten<br />

digitalen Kontaktaufnahmen ma -<br />

chen und deshalb zurückhaltender<br />

sind. Jungen kommen öfter mit Pornografie<br />

in Kontakt – aktiv und passiv.<br />

Und Jungen gamen fünf Mal<br />

häufiger als Mädchen – 64 gegenüber<br />

<strong>12</strong> Prozent. Auffällig und für Eltern<br />

beruhigend ist, dass Gamen als Freizeitbeschäftigung<br />

mit dem Alter ab -<br />

nimmt. Aufhorchen lässt hingegen,<br />

dass sogenannte Shootergames auch<br />

bei Jugendlichen unter 16 Jahren<br />

sehr beliebt sind – obwohl diese<br />

Spiele oft erst ab 16 oder 18 Jahren<br />

freigegeben sind.<br />

Alle sind mobil<br />

98 Prozent besitzen ein Smartphone,<br />

fast jeder Zweite eine mobile Spielkonsole<br />

und 39 Prozent ein eigenes<br />

Tablet. Das ist mit ein Grund, wes-<br />

halb Jugendliche Online-Zeit zum<br />

grössten Teil auf mobilen Geräten<br />

verbringen. 87 Prozent greifen mobil<br />

auf soziale Netzwerke zu, 78 Prozent<br />

schauen sich mobil Videos an, und<br />

91 Prozent surfen mobil im Internet.<br />

Mit dem mobilen Zugriff lässt sich<br />

wohl auch der Anstieg an Online-<br />

Zeit begründen.<br />

Die Ergebnisse der aktuellen Studie<br />

ermahnen uns Eltern einmal<br />

mehr, eine neue erzieherische Rolle<br />

zu übernehmen: Wir sind gehalten,<br />

uns auf die virtuelle Realität unserer<br />

Kinder einzulassen. Wie in der realen<br />

Welt sind auch in der digitalen<br />

Welt Anleitung und Begleitung<br />

gefragt.<br />

Michael In Albon<br />

Michael In Albon ist Beauftragter<br />

Jugendmedienschutz und Experte<br />

Medienkompetenz von Swisscom.<br />

Seit 2<strong>01</strong>0 führen die Zürcher Hochschule für<br />

Angewandte Wissenschaften ZHAW und Swisscom alle<br />

zwei Jahre die JAMES-Studie durch. JAMES steht für<br />

«Jugend, Aktivitäten, Medien – Erhebung Schweiz».<br />

swisscom.ch/james<br />

92 Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>7 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Das Kinderbuch mit Gian und Giachen.<br />

Und vielen Kinderbuch-Vorteilen. Jetzt erhältlich<br />

im Buchhandel und auf graubuenden.ch/kinderbuch<br />

Exklusiver Kinderbuch-Vorteil:<br />

20 % Rabatt auf Skipässe<br />

Gratis: 1 Tag Skischule<br />

für 1 Kind


Unser Wochenende …<br />

Text: Leo Truniger<br />

in Basel<br />

Schanzenstrasse<br />

Rhein<br />

Kleinbasel<br />

Mittlere Brücke<br />

Mo bis Fr. 13.30 bis 19, Sa/So <strong>12</strong> bis 19 Uhr. Kosten Fr 5.– bis<br />

Fr. 15.–. www.baslerweihnacht.ch > Weihnachtsmarkt<br />

Martinsturm: bis 23. Dezember, Mo bis Fr, Fr. 5.– pro Person,<br />

Einlass bis 17.30 Uhr. www.baslermuenster.ch<br />

Wunschbuch, Rathaus, Marktplatz 9, Innenhof, bis 6. Januar<br />

2<strong>01</strong>7. www.wunschbuch.ch<br />

Schützengraben<br />

Spalentor<br />

Steinegraben<br />

Altstadt<br />

Rathaus<br />

Weihnachtshaus<br />

Wanner<br />

Erleben …<br />

Motel One<br />

Barfüsserplatz<br />

Rheingasse<br />

Museum der Kulturen<br />

Basler Münster<br />

Spielzeug Welten Museum<br />

Wettsteinbrücke<br />

… Um sich der Stadt ein wenig anzunähern, empfiehlt sich<br />

gerade in Basel eine Stadtführung. Es gibt sie zu verschiedenen<br />

Themen, zurzeit natürlich auch zur Basler Weihnacht,<br />

und sie sind auch für Ihre Kinder interessant. Spielerischer<br />

geht es im Märchenwald auf dem Münsterplatz zu, wo sich<br />

Kinder, Jugendliche und auch Erwachsene verzaubern lassen:<br />

Sie verzieren Lebkuchen, lauschen Geschichten, ziehen<br />

Kerzen, fahren mit der Kindereisenbahn oder wärmen sich<br />

einfach die Hände am Feuer. Und wenn Sie schon gerade hier<br />

sind: Im Münster gibt es täglich um 16 Uhr interessante<br />

Kurzführungen (30 Minuten) für die ganze Familie, und<br />

danach können Sie über die beleuchteten Stufen hinauf auf<br />

den Martinsturm steigen. Soll der Tag noch eine besinnliche<br />

Note erhalten, finden Sie im Innenhof des Rathauses ein<br />

öffentliches Wunschbuch, in dem jedermann sein Anliegen<br />

und seine Hoffnungen verewigen kann – das Buch wird im<br />

Staatsarchiv für die Nachwelt aufbewahrt.<br />

Stadtführungen: www.basel.com > Stadtführungen<br />

Märchenwald: Robi-Spiel-Aktionen, bis 22. Dezember,<br />

… Weihnachten ist auch die Zeit der wohlriechenden Gewürze<br />

und Ingredienzen. Über die Herkunft, Geschichte und<br />

Bedeutung von Anis, Ingwer, Zimt, Vanille und Kardamom oder<br />

Orangeat erzählt die Ausstellung Himmlische Düfte aus<br />

aller Welt im Museum der Kulturen. Was Anfang des<br />

20. Jahrhunderts aus dem schlichten, nur mit Äpfeln, Nüssen<br />

und Backwaren behängten Gabenbaum für Kinder geworden<br />

ist, zeigt das Spielzeug Welten Museum mit den Weihnachtsbäumen<br />

zum Träumen: ein üppig und extravagant<br />

behängter Baum als Renommierstück für Erwachsene, mit<br />

Dresdner Pappe, Sebnitzer Watte, viktorianischem Schmuck,<br />

Glas, Glimmer und Glitter. Anregungen, wie Sie den Weihnachtsbaum<br />

schmücken könnten, finden Sie, übrigens das<br />

ganze Jahr über, im Weihnachtshaus Wanner. Johann<br />

Wanner zählt zu den grössten Herstellern und Händlern von<br />

handgefertigtem Christbaumschmuck.<br />

Museum der Kulturen, Münsterplatz 20, bis 8. Januar 2<strong>01</strong>7,<br />

Di bis So von 10 bis 17 Uhr (Mo geschlossen). Eintritt:<br />

Erwach sene Fr. 16.–, Kinder unter 13 gratis, bis 20 Jahre Fr. 5.–.<br />

www.mkb.ch<br />

Spielzeug Welten Museum Basel, Steinenvorstadt 1, bis<br />

<strong>12</strong>. Februar 2<strong>01</strong>7, offen im Dezember täglich von 10 bis 18 Uhr<br />

(24. <strong>12</strong>. bis 16 Uhr, 25. <strong>12</strong>. geschlossen). Eintritt: Fr. 7.–,<br />

Kinder bis 16 Jahre gratis (nur in Begleitung Erwachsener).<br />

www.swmb.museum > Veranstaltungen<br />

Johann Wanner, Spalenberg 14. Offen ganzjährig, im Advent:<br />

Mo bis Fr 9.30 bis 18.30, Sa 10 bis 17, So 10 bis 15 Uhr.<br />

www.johannwanner.ch<br />

Geniessen …<br />

… Die Basler sind stolz auf ihren Weihnachtsmarkt. Und<br />

wenn Sie dort sind, werden Sie verstehen warum. Die<br />

Mischung aus Kunsthandwerk, Gaumenfreuden und Raritäten<br />

aller Art in winterlich-weihnachtlichem Schmuck und Duft<br />

sorgt für eine spezielle Atmosphäre. Auf dem Markt vom<br />

94 Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>7 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


Service<br />

Auf dem<br />

Barfüsserplatz,<br />

im Innenhof des<br />

Rathauses, auf<br />

dem Münsterplatz<br />

oder wo auch<br />

immer – Basel zeigt<br />

sich weihnachtlich.<br />

Bilder: Basel Tourismus<br />

Barfüsserplatz bis zum Münsterplatz versuchen fast<br />

zweihundert Anbieter in Mini-Holzchalets, Sie mit Exklusivem,<br />

Alltäglichem und Feinem für sich selber oder zum Verschenken<br />

zu verlocken.<br />

Bis 23. Dezember, täglich 11 bis 20.30 Uhr; am 23. <strong>12</strong>. auf dem<br />

Münsterplatz bis 18, auf dem Barfüsserplatz bis 20 Uhr.<br />

www.baslerweihnacht.ch<br />

… Einen eher kulinarischen Weihnachtsmarkt finden Sie nach<br />

einem Spaziergang über die Mittlere Brücke im Kleinbasel.<br />

Im Advent wird dort die Rheingasse, eine der ältesten<br />

Strassen Basels, zur Adväntsgass im Glaibasel mit allerlei<br />

Spezialitäten. Kinder kommen mit Spielaktionen im Märliwald<br />

im Glaibasel auf ihre Rechnung, und im Circuswagen können<br />

sie Geschichtenerzählern und Musikanten zuhören und sich<br />

auf Überraschungen freuen.<br />

Adväntsgass, bis 23. Dezember, 18 bis 21.30 Uhr; Märliwald und<br />

Circuswagen: Mi bis Fr, 13.30 bis 19 Uhr, Sa/So 11 bis 19 Uhr.<br />

www.advaentsgass.ch, www.rheingasse.ch<br />

Übernachten …<br />

… In den grossen, familienfreundlichen Zimmern des Hotels<br />

Spalentor am Rand der Altstadt finden Sie die nötige Ruhe<br />

und Entspannung nach einem ereignisreichen Tag. Manche<br />

kindgerechte Extras und ein spezielles Angebot für Familien<br />

erwarten Sie.<br />

Hotel Spalentor, Schönbeinstrasse 1, Telefon: 061 262 26 26,<br />

Preisbeispiel Familypackage: ab Fr. 260.–.<br />

www.hotelspalentor.ch<br />

… Möchten Sie mitten im weihnachtlichen Geschehen<br />

übernachten? Direkt beim Barfüsserplatz befindet sich seit<br />

einem halben Jahr das Motel One. In diesem Design Hotel<br />

finden Sie auch Familienzimmer.<br />

Motel One: Barfüssergasse 16, Telefon 061 226 22 00.<br />

Preisbeispiel Familienzimmer (Kinder bis <strong>12</strong> Jahre kostenlos):<br />

ab Fr. 134.–. www.motel-one.com<br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>795


Service<br />

Vielen Dank<br />

Finanzpartner<br />

Dr. iur. Ellen Ringier<br />

Walter Haefner Stiftung<br />

an die Partner und Sponsoren der Stiftung Elternsein:<br />

Hauptsponsoren<br />

Credit Suisse AG<br />

Rozalia Stiftung<br />

UBS AG<br />

Heftsponsor<br />

UBS AG<br />

Impressum<br />

16. Jahrgang. Erscheint 10-mal jährlich<br />

Herausgeber<br />

Stiftung Elternsein,<br />

Seehofstrasse 6, 8008 Zürich<br />

www.elternsein.ch<br />

Präsidentin des Stiftungsrates:<br />

Dr. Ellen Ringier, ellen@ringier.ch,<br />

Tel. 044 400 33 11<br />

(Stiftung Elternsein)<br />

Geschäftsführer: Thomas Schlickenrieder,<br />

ts@fritzundfraenzi.ch, Tel. 044 261 <strong>01</strong> <strong>01</strong><br />

Redaktion<br />

redaktion@fritzundfraenzi.ch<br />

Chefredaktor: Nik Niethammer,<br />

n.niethammer@fritzundfraenzi.ch<br />

Verlag<br />

Fritz+Fränzi,<br />

Dufourstrasse 97, 8008 Zürich,<br />

Tel. 044 277 72 62,<br />

info@fritzundfraenzi.ch,<br />

verlag@fritzundfraenzi.ch,<br />

www.fritzundfraenzi.ch<br />

Business Development & Marketing<br />

Leiter: Tobias Winterberg,<br />

t.winterberg@fritzundfraenzi.ch<br />

Anzeigen<br />

Administration: Dominique Binder,<br />

d.binder@fritzundfraenzi.ch,<br />

Tel. 044 277 72 62<br />

Art Direction/Produktion<br />

Partner & Partner, Winterthur<br />

Bildredaktion<br />

13 Photo AG, Zürich<br />

Korrektorat<br />

Brunner AG, Kriens<br />

Auflage<br />

(WEMF/SW-beglaubigt 2<strong>01</strong>5)<br />

total verbreitet 103 920<br />

davon verkauft 17 206<br />

Preis<br />

Jahresabonnement Fr. 68.–<br />

Einzelausgabe Fr. 7.50<br />

iPad pro Ausgabe Fr. 3.–<br />

Abo-Service<br />

Galledia Verlag AG Berneck<br />

Tel. 0800 814 813, Fax 058 344 92 54<br />

abo.fritzundfraenzi@galledia.ch<br />

Für Spenden<br />

Stiftung Elternsein, 8008 Zürich<br />

Postkonto 87-447004-3<br />

IBAN: CH40 0900 0000 8744 7004 3<br />

Inhaltspartner<br />

Institut für Familienforschung und -beratung<br />

der Universität Freiburg / Dachverband Lehrerinnen<br />

und Lehrer Schweiz / Verband Schulleiterinnen und<br />

Schulleiter Schweiz / Jacobs Foundation / Forum<br />

Bildung / Elternnotruf / Pro Juventute /<br />

Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik<br />

Zürich / Schweizerisches Institut für Kinderund<br />

Jugendmedien<br />

Stiftungspartner<br />

Pro Familia Schweiz / Pädagogische Hochschule<br />

Zürich / Marie-Meierhofer-Institut für das Kind /<br />

Schule und Elternhaus Schweiz / Schweizerischer<br />

Verband alleinerziehender Mütter und Väter<br />

SVAMV / Kinderlobby Schweiz / kibesuisse Verband<br />

Kinderbetreuung Schweiz<br />

Weihnachtsmarkt<br />

Münsterplatz & Barfüsserplatz<br />

Täglich 11 – 20.30 Uhr<br />

24. November –<br />

23. Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong><br />

www.baslerweihnacht.ch<br />

#BaslerWeihnacht<br />

BaslerWeihnacht<br />

Shopping Night<br />

24. November <strong>2<strong>01</strong>6</strong> bis 22 Uhr<br />

Verkaufsoffene Sonntage<br />

11. & 18. Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong>, 13 – 18 Uhr


Buchtipps<br />

Treu begleiten<br />

sie uns beim<br />

Lesen des<br />

Buches: die<br />

Vogelvignetten<br />

von Katja<br />

Spitzer.<br />

Dazwischen: Ich<br />

Madina in Julya<br />

Rabinowichs<br />

beeindruckendem<br />

Jugendroman<br />

fühlt sich<br />

zerrissen:<br />

zwischen Kind<br />

und Erwachsenen, Eltern und<br />

Schule, der Asylunterkunft und dem<br />

Zuhause ihrer Freundin.<br />

Hanser, <strong>2<strong>01</strong>6</strong>, Fr. 22.90,<br />

ab 14 Jahren<br />

Neu anfangen: in einer anderen Schule,<br />

einer neuen Stadt, in einem fremden Land.<br />

Das ist nicht leicht. In der Kinderund<br />

Jugendliteratur wird dieser schwierige<br />

Prozess mit viel Verständnis begleitet.<br />

Ankommen braucht Zeit<br />

Marie fühlt sich wie ein Vogel,<br />

der aus dem Nest gefallen ist.<br />

Nusret und<br />

die Kuh<br />

Eine Kuh<br />

nimmt<br />

Nusret mit<br />

nach<br />

Deutschland. Als er Freunde<br />

gefunden hat, schickt er sie zurück<br />

zu den Grosseltern in den Kosovo.<br />

Ein warmherziges, fröhlich<br />

illustriertes Bilderbuch über ein<br />

selbstbestimmtes Ankommen.<br />

Tulipan, <strong>2<strong>01</strong>6</strong>, Fr. 26.90,<br />

ab 5 Jahren<br />

Bilder: ZVG<br />

In kürzester Zeit würde Marie<br />

in Münde neue Freundinnen<br />

finden, hatte die Lehrerin ihr<br />

zum Abschied versprochen.<br />

Aber jetzt sitzt die Elfjährige<br />

mit ihrem Bruder, der Mutter und<br />

deren neuem Freund im Auto, fährt<br />

350 Kilometer von ihrem alten<br />

Zuhause weg in das neue Dorf und<br />

beginnt zu zweifeln. Was, wenn sie<br />

doch keine Freundinnen findet?<br />

In ihrem neuen Kinderroman<br />

spürt die Zürcher Autorin Katja<br />

Alves den Unsicherheiten eines<br />

Mädchens nach, das gegen seinen<br />

Willen verpflanzt wird. Und dies in<br />

einem Alter, in dem die Akzeptanz<br />

durch andere das Wichtigste überhaupt<br />

ist. Da eckt Marie schon an,<br />

weil ihre Mutter als Künstlerin öfter<br />

mal einen Overall trägt. Sie gerät in<br />

der neuen Schule mitten in die<br />

Hackordnungskämpfe einer Mädchengruppe,<br />

die sie zu Beginn noch<br />

nicht durchschauen kann.<br />

Das ist schwierig. Zum Glück hat<br />

Marie die Vögel, die sie beobachtet<br />

und deren Verhalten – wie durch<br />

kleine Kapitelmottos veranschaulicht<br />

wird – gar nicht so anders ist<br />

wie jenes der Menschen. Und zum<br />

Glück gibt es auch Leute wie den<br />

Nachbarsjungen Björn oder die<br />

Französischlehrerin, die zu Marie<br />

halten und ihr zu verstehen geben,<br />

dass man sich unguten Dynamiken<br />

auch entziehen kann und das<br />

Anderssein leben darf.<br />

Einfühlsam und die Gefühlswelt<br />

der Vorpubertät ernst nehmend,<br />

erzählt Katja Alves so vom Ankommen,<br />

das seine Zeit braucht.<br />

Katja Alves:<br />

Marie und der<br />

Vogelsommer.<br />

Beltz & Gelberg,<br />

<strong>2<strong>01</strong>6</strong>, Fr. 17.90,<br />

ab 10 Jahren<br />

Heimliche<br />

Freundin<br />

Was für ein<br />

Geheimnis birgt<br />

das Haus, in das<br />

Henriette mit ihrer<br />

Mutter gezogen<br />

ist? Mit Hilfe der<br />

älteren Nachbarn kommt sie der<br />

Sache auf die Spur – und findet<br />

Freunde am neuen Ort.<br />

Urachhaus, 2<strong>01</strong>5, Fr. 19.90,<br />

ab 9 Jahren<br />

Verfasst von Elisabeth Eggenberger,<br />

Mitarbeiterin des Schweizerischen<br />

Instituts für Kinder- und<br />

Jugendmedien SIKJM.<br />

Auf www.sikjm.ch sind weitere<br />

Buchempfehlungen zu finden.<br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>797


Eine Frage – drei Meinungen<br />

Neulich fragte mich unser sechsjähriger Sohn: «Mama, wird mein<br />

Schnäbi auch mal so gross wie das vom Papi?» Mir fiel keine wirklich gute<br />

Antwort ein, und so wechselte ich das Thema. Wie hätten Sie reagiert?<br />

Nora, 35, Grindelwald<br />

Nicole Althaus<br />

Ich habe keinen Sohn.<br />

Aber als meine ältere<br />

Tochter mich gefragt hat,<br />

ob ihre Brüste dereinst<br />

auch so klein würden wie<br />

meine, antwortete ich, dass<br />

ich das so genau nicht<br />

wisse, dass ich aber<br />

überzeugt sei, dass sie<br />

exakt die Brüste bekommen werde, die am besten<br />

zu ihrem Körper passten.<br />

Tonia von Gunten<br />

An Ihrer Stelle hätte ich mich<br />

über die spannende Frage<br />

gefreut! Bei dem<br />

natürlichsten Thema der<br />

Welt wäre ich drangeblieben:<br />

«Ja, ja, dein Schnäbi wird<br />

gross! Man kann auch Penis<br />

sagen, und der wächst bei<br />

allen Jungs. Bei den Mädchen<br />

dagegen wachsen die Brüste.» Wenn Ihnen das<br />

Sprechen über Aufklärung und Sexualität schwerfällt,<br />

besorgen Sie sich ein paar gute Aufklärungsbücher für<br />

Kinder. Ansonsten wird sich Ihr Sohn die Infos<br />

anderswo holen.<br />

Meine Buchtipps: «Wohin will Willi» von<br />

Allan Nicholas, Lappan Verlag. «Mein erstes<br />

Aufklärungsbuch», Loewe Verlag.<br />

Peter Schneider<br />

Ich hätte ihm vom grossen<br />

Wunder der sogenannten<br />

«Erektion» erzählt, welches<br />

sich bei Männern ab<br />

30 Jahren in manchen<br />

Vollmondnächten ereignet,<br />

und dass, wenn das Wunder<br />

einmal ausbleiben sollte,<br />

es im sogenannten Internet<br />

mannigfache Wundermittel gebe, welche ... Just<br />

kidding, of course. Mit seinem sechsjährigen Sohn<br />

über Penislängen zu reden, ist nicht jederfraus Sache.<br />

Was ich aber nicht verstehe, ist, warum Sie nicht<br />

einfach «Ja, klar» geantwortet haben.<br />

Nicole Althaus, 47, ist Kolumnistin, Autorin und<br />

Mitglied der Chefredaktion der «NZZ am Sonntag».<br />

Zuvor war sie Chefredaktorin von «wir eltern» und<br />

hat den Mamablog auf «Tagesanzeiger.ch» initiiert<br />

und geleitet. Nicole Althaus ist Mutter von zwei<br />

Kindern, 16 und <strong>12</strong>.<br />

Tonia von Gunten, 42, ist Elterncoach, Pädagogin<br />

und Buchautorin. Sie leitet elternpower.ch, ein<br />

Programm, das frische Energie in die Familien<br />

bringen und Eltern in ihrer Beziehungskompetenz<br />

stärken möchte. Tonia von Gunten ist verheiratet<br />

und Mutter von zwei Kindern, 9 und 6.<br />

Peter Schneider, 58, ist praktizierender<br />

Psychoanalytiker, Autor und SRF-Satiriker («Die<br />

andere Presseschau»). Er lehrt als Privatdozent<br />

für klinische Psychologie an der Uni Zürich und<br />

ist Professor für Entwicklungspsychologie an<br />

der Uni Bremen. Peter Schneider ist Vater eines<br />

erwachsenen Sohnes.<br />

Haben Sie auch eine Frage?<br />

Schreiben Sie eine E-Mail an:<br />

redaktion@fritzundfraenzi.ch<br />

Bilder: Anne Gabriel-Jürgens / 13 Photo, Pino Stranieri, HO<br />

98 Dezember <strong>2<strong>01</strong>6</strong> / Januar 2<strong>01</strong>7 Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi


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