Kaiserlich erleben, Ausgabe 4/2016
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ERLEBEN 9<br />
Traditionelle Handarbeit in den Wintermonaten:<br />
Mit viel Fingerspitzengefühl und hochwertigen (Natur-)Materialien<br />
fertigt Marlies Fischer (r.) aus Amoltern ihre Strohschuhe.<br />
wie früher auch von den Feldern<br />
vor Ort. In die Blätter flicht die<br />
Winzerin Naturbast, um es zu<br />
verstärken. Je nach Schuhgröße<br />
wird es ein 15 bis 18 Meter langer<br />
Zopf. Ansonsten benötigt sie<br />
für die Strohschuhe nicht mehr<br />
viel. Die Leisten, die den Schuhen<br />
ihre Größe und typische<br />
Formung geben, hat Fischer<br />
schon vor Jahrzehnten von einem<br />
Schuhmacher erworben.<br />
Ein Innenstoff aus Wolle und<br />
Kaschmir sorgt für die entsprechende<br />
Wärme. Früher hat<br />
man zur Fütterung auch gerne<br />
einfach ein paar ausgediente<br />
Socken oder auch Jackenärmel<br />
verwendet. Mit Zwirn und einer<br />
großen gebogenen Nadel näht<br />
Marlies Fischer den Strohzopf<br />
auf. Gegen Ende klebt sie eine<br />
Gummisohle unten auf, die sie<br />
mit einigen Stichen Garn noch<br />
zusätzlich befestigt. Ganz zum<br />
Schluss näht sie den Einschlupf<br />
fest und bearbeitet ihn.<br />
Was sich nach viel Arbeit anhört,<br />
kostet auch richtig Zeit:<br />
„12 bis 15 Stunden sitze ich<br />
schon an ein Paar Schuhen –<br />
das hängt natürlich auch von<br />
der Größe ab.“ Für ein Paar<br />
Strohschuhe verlangt sie deshalb<br />
65 Euro aufwärts. Und das<br />
ist noch sehr preiswert, wenn<br />
man die Qualität und den Arbeitseinsatz<br />
berücksichtigt.<br />
„Bei mir ist der Reparaturdienst<br />
inbegriffen“, erklärt uns Marlies<br />
Fischer und fügt lachend hinzu:<br />
„weil ohnehin kaum etwas<br />
kaputtgeht.“ Die Schuhe ihres<br />
Mannes, erzählt sie uns, halten<br />
jetzt schon seit 20 Jahren. Auch<br />
spezielle Anfertigungen, zum<br />
Beispiel Keilabsätze, sind für sie<br />
kein Problem.<br />
Doch wie ist Marlies Fischer<br />
eigentlich zu ihrem außergewöhnlichen<br />
Hobby gekom-<br />
Für ein Paar<br />
braucht sie bis<br />
zu 15 Stunden<br />
men? „Ich hatte<br />
früher immer<br />
kalte Füße. Die<br />
Patentante meines<br />
Mannes hat mir gezeigt, wie<br />
man Strohschuhe herstellt.“ Die<br />
Tante war damals die einzige<br />
Frau in dem kleinen Winzerdorf,<br />
die das Handwerk noch<br />
beherrschte. Das war vor fast<br />
40 Jahren. Dann ergab sich eins<br />
ums andere. Erst fertigte Marlies<br />
Fischer ein Paar für Mann und<br />
Sohn an, dann wollten plötzlich<br />
auch Verwandte und Freunde<br />
und schließlich wurde auch<br />
über die Ortsgrenzen hinweg<br />
bekannt, dass in Amoltern eine<br />
Expertin in Sachen Strohschuhe<br />
wohnt. In der Zwischenzeit<br />
hat sie nicht nur<br />
Kunden im direkten Umland,<br />
wie Narren oder Menschen, die<br />
ein außergewöhnliches Weihnachtsgeschenk<br />
suchen, sondern<br />
auch im Ausland: in Venezuela,<br />
auf den Bahamas und<br />
in Sydney. Sogar die Münchner<br />
Staatsoper bestellte für die Oper<br />
„Fidelio“ zwei Paar aus dem Kaiserstuhl.<br />
Jetzt sind wir aber neugierig<br />
geworden. Das müssen ja<br />
wirklich außergewöhnliche<br />
Schuhe sein, die<br />
sich so einer Beliebtheit<br />
erfreuen.<br />
Und schon<br />
trägt Marlies Fischer einige<br />
fertige Paare herbei: „Schlupfen<br />
Sie doch einfach mal hinein.“ So<br />
stapfen wir mit unseren Strohschuhen<br />
durch die große Wohnküche<br />
und müssen zugeben:<br />
Sie fühlen sich tatsächlich sehr<br />
bequem, warm und unheimlich<br />
leicht an.<br />
Wer von Marlies Fischer<br />
ein Paar Strohschuhe bestellen<br />
möchte, sollte rechtzeitig<br />
Kontakt aufnehmen. Nach der<br />
Weinlese, ab Oktober, fängt sie<br />
mit der Arbeit an. Spätestens im<br />
Mai, wenn draußen die Arbeit<br />
in den Reben wieder anzieht, ist<br />
– zumindest was die Strohschuhe<br />
angeht – Sommerpause. Mit<br />
vier bis sechs Wochen Wartezeit<br />
muss man rechnen. Wer für die<br />
Fastnacht ein Paar benötigt,<br />
sollte deshalb möglichst schon<br />
im Herbst anfragen.<br />
Irgendwann, wenn sie selbst<br />
keine Strohschuhe mehr herstellen<br />
kann, möchte Marlies<br />
Fischer Kurse geben. Um das alte<br />
Wissen weiterzugeben. Vielleicht<br />
wird es dann am Kaiserstuhl<br />
wieder mehr Menschen geben,<br />
die das Handwerk beherrschen.<br />
Für uns wird es jetzt Zeit für<br />
den Aufbruch. Marlies Fischer<br />
bringt uns noch zur Tür. Ach<br />
so, ihre Strohschuhe müssen<br />
wir davor noch ausziehen. Schade<br />
eigentlich. Wir hatten uns<br />
schon so an die wohlige Wärme<br />
gewöhnt.<br />
• Freya Pietsch<br />
KONTAKT:<br />
Marlies Fischer, <br />
Dorfstraße 28, <br />
79346 Endingen-Amoltern,<br />
Tel. 0 76 42/92 59 38,<br />
www.strohschuhe-amoltern.de<br />
<strong>Kaiserlich</strong> <strong>erleben</strong> · 04/<strong>2016</strong>