KLAUS RONNEBERGER Was ist URBANITÄT? Eine AUSEINANDERSETZUNG mit Manfred Russos Buch PROJEKT STADT <strong>Urbanität</strong>, öffentlicher Raum, Utopie, Ideengeschichte, Straße Seit 2002 veröffentlicht Manfred Russo in <strong>dérive</strong> eine Artikelserie zur Geschichte der <strong>Urbanität</strong>. Nun ist ein Großteil seiner Texte als voluminöses Buch bei dem renommierten Birkhäuser Verlag erschienen. Wie der Autor in der Einleitung hervorhebt, erfreut sich der Begriff <strong>Urbanität</strong> seit Jahrzehnten sowohl in der Akademie wie im Feuilleton großer Beliebtheit <strong>und</strong> ist Gegenstand zahlreicher wissenschaftlicher <strong>und</strong> kulturpolitischer Diskussionen. Dabei geht es auch um die jeweilige hegemoniale Definition des Städtischen, was den sozialen Zusammenhang von Städtebau, Planungspolitik <strong>und</strong> Lebensweisen anbetrifft. Angesichts der Bedeutung dieses Diskurses erlaubt sich der Rezensent das übliche Format einer Buchbesprechung zu überschreiten. Klaus Ronneberger — Was ist URBANITÄT? Eine AUSEINANDERSETZUNG mit Manfred Russos Buch PROJEKT STADT. 47
Besprechungen Wunschmaschine Gemeindebau Robert Temel Im Wohnbau sieht es mit theoretisch f<strong>und</strong>ierten <strong>und</strong> gleichzeitig praxisorientierten Reformvorschlägen schlecht aus: ExpertInnen liefern häufig minimale Detaillösungsansätze <strong>für</strong> Auswüchse, die dann im parteipolitischen Gleichgewicht des Schreckens versanden. Andererseits gibt es Entwicklungsideen, denen man leider das mangelnde Wissen über Rahmenbedingungen <strong>und</strong> Praxis des heutigen Wohnbaus sofort ansieht. Andreas Rumpfhuber versucht mit seinem Band Wunschmaschine Wohnanlage, basierend auf seiner Arbeit im Rahmen des Roland-Rainer-Forschungsstipendiums, einen Vorschlag zu machen, der diesem Dilemma entkommt. Sein Beitrag ist theoretisch f<strong>und</strong>iert, er baut unter anderem auf seine Forschung zum Thema Raum <strong>und</strong> Arbeitswelt auf, <strong>und</strong> zieht aus diesem F<strong>und</strong>ament praktische Konsequenzen. Er nützt sein Thema, die Wiener Großwohnanlagen der 1950er bis 1980er Jahre, <strong>für</strong> eine generelle Diskussion zur Weiterentwicklung des Wiener sozialen Wohnbaus. Es gab in diesem Sektor, der bis heute vom Mythos des Roten Wien zehrt, auch in der jüngeren Vergangenheit zweifellos wichtige Neuerungen: Vor etwa zwanzig Jahren wurde das Fördersystem mit Bauträgerwettbewerb <strong>und</strong> Gr<strong>und</strong>stücksbeirat eingeführt, welches einerseits als Liberalisierung bezeichnet werden kann, andererseits aber hinsichtlich Qualitätssteigerung, Preisbeschränkung <strong>und</strong> Bodenpolitik durchaus erfolgreich war. Vor acht Jahren wurde die soziale Nachhaltigkeit als neues Kriterium <strong>für</strong> den geförderten Wohnbau eingeführt. Und seit Kurzem gibt es ein umfangreiches Programm <strong>für</strong> besonders preiswerte Wohnungen, die Smart-Wohnungen, um die Zielgruppe in Richtung niedrige Einkommen zu erweitern. Im Gemeinderats-Wahlkampf 2015 wurde sogar ein Neubeginn des Gemeindebaus, also des kommunalen Wohnungsneubaus angekündigt, den es in Wien seit fast 15 Jahren nicht mehr gibt. Doch das Potenzial <strong>für</strong> Innovation ist nach wie vor enorm: Wichtige Themen des Wohnbaus, die in Wien in einzelnen Pilotprojekten behandelt, aber nicht zum Standard wurden, sind etwa Nutzungsmischung, Wohnen <strong>und</strong> Arbeiten, hochwertiger öffentlicher Raum, neue Mobilitätsmodelle, eine Vielfalt von Wohnbautypen <strong>und</strong> Akteuren <strong>und</strong> Akteurinnen sowie Selbstorganisation <strong>und</strong> Aneignung, man könnte generell sagen: sozialer Städtebau statt allein sozialer Wohnbau. Rumpfhubers Studie beschäftigt sich mit dem Wiener Wohnbau dazwischen – zwischen dem Roten Wien der 1920er Jahre <strong>und</strong> der Phase der Liberalisierung seit den 1990er Jahren, begleitet von einer gewissen Refokussierung auf die soziale Frage in der jüngsten Zeit. Sein Ansatz ist es, nicht die überkommene <strong>und</strong> nach wie vor gültige Perspektive einzunehmen, nach der Wohnsiedlungen allein Orte des Wohnens, der Hausarbeit <strong>und</strong> der Freizeit sind, sondern sie zu Orten des Wohnens <strong>und</strong> Arbeitens zu transformieren, um so <strong>Urbanität</strong> statt bloß ein »Bild von <strong>Urbanität</strong>« herzustellen. Das ist <strong>für</strong> einen neuen sozialen Städtebau Wiener Prägung sicher die richtige Strategie – aktuelle städtebauliche Ansätze argumentieren heute oft, dass die Konzentration auf das Wohnen problematisch sei, imaginieren aber als Alternative Orte der Freizeit, die von den Leitbildern der Moderne nicht weit entfernt sind (Rumpfhuber: »Club Med ohne Animation«). Sein Ansatz geht von einer Integration von Wohnen <strong>und</strong> Arbeiten in der »Stadt nach der Arbeit« aus, setzt dabei allerdings vorrangig auf leicht verträgliche Kreativ- <strong>und</strong> Wissensarbeit, die ins »wohnliche« Umfeld passt – dieser Sektor wächst zweifellos, ein solcher Fokus greift aber gerade angesichts der aktuellen Debatte über die Rückkehr der Produktion in die Stadt etwas zu kurz. Als wichtige Qualität, als »Luxus« der Wohnanlagen identifiziert Rumpfhuber die umfangreichen Grünräume, die allerdings durch ihren Charakter als Abstandsgrün ihr Potenzial vergeuden. Wichtige Verfügungsmasse <strong>für</strong> eine Weiterentwicklung sind weiters die großflächigen, ebenerdigen Parkplätze. In seinem Ansatz werden, um Fläche freizumachen, Pkws in Parktürmen gesammelt, die bei Veränderung des Mobilitätsverhaltens rückgebaut werden können. Rumpfhuber bezieht sich in seiner Studie vielfach auf die aktuellen kleinen, innovativen Ansätze im Wohnbau, die meist nicht von den großen <strong>und</strong> politiknahen Akteuren kommen, etwa Baugemeinschaften, Coworking Spaces, Planungspartizipation <strong>und</strong> die Belebung der Erdgeschoßzone. Diese sind zweifellos alle nicht so einflussreich, dass sie zu einer gr<strong>und</strong>legenden Veränderung des Wiener Wohnbausystems werden können – aber dass er auf sie einen leicht despektierlichen Blick wirft, in dem man durchaus eine Widerspiegelung der Ablehnung des selbstorganisierten, genossenschaftlichen Siedlungsbaus im Wien der 1920er Jahre durch die städtische Sozialdemokratie sehen kann, haben sie nicht verdient. So wird in der Studie mehrfach behauptet, die Wiener Baugemeinschaften würden vorrangig einer Mehrwertproduktion <strong>für</strong> die jeweilige Gruppe dienen – dabei wird übersehen, dass gerade die Wiener Baugemeinschaften, im Unterschied etwa zu Deutschland, meist auf Gemeinschaftseigentum basieren <strong>und</strong> damit eine Rendite aus der Immobilie generell ausschließen – im Unterschied zur üblichen Form des Wiener geförderten Mietwohnungsbaus, wo heute durch die Vorgabe des Mietkaufs die Privatisierung der geförderten Wohnungen durchaus üblich ist. Auch wenn man Rumpfhuber recht geben muss, dass diese reformistischen Ansätze 53