zds#45
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DIE ZEITSCHRIFT<br />
DER STRASSE<br />
Das Bremer Straßenmagazin<br />
Ausgabe 45<br />
www.zeitschrift-der-strasse.de<br />
2,50 EURO<br />
1,30 € für den Verkäufer<br />
HUMBOLDT<br />
STRASSE<br />
WIE EINE<br />
VERTREIBUNG<br />
MEINE STRASSE,<br />
MEIN STOLZ<br />
SPUR DER<br />
STEINE<br />
DER TRAUM<br />
DES PASTORS<br />
Hohe Mieten drängen<br />
Normalverdiener aus<br />
dem Viertel<br />
Anwohner kämpfen<br />
gegen den Asphalt<br />
vor ihrer Haustür<br />
Neun Stolpersteine<br />
erinnern an die Opfer<br />
der Nazis<br />
Konvertiten sind im<br />
Iran bedroht. Wegen<br />
eines Bibelkreises
EDITORIAL | 3<br />
Etwas teurer,<br />
noch erlesener<br />
Liebe Leserinnen<br />
und Leser,<br />
schön, dass Sie sich eine Zeitschrift der Straße gekauft haben! Vielleicht<br />
haben Sie dabei gestutzt: Unser Magazin ist etwas teurer geworden. Und<br />
nicht dicker. Aber wir können Ihnen das erklären! Tun wir natürlich<br />
auch, in aller gebotenen Ausführlichkeit: auf den Seiten 28 und 29.<br />
Dafür bekommen Sie jetzt ein paar Geschichten aus der Humboldtstraße,<br />
die Sie sonst noch nirgendwo gelesen haben! Zum Beispiel haben<br />
wir einen wunderbaren Künstler entdeckt, der dort sein Atelier hat, aber<br />
völlig zu Unrecht noch nie irgendwo ausgestellt wurde: Fabian Schulze<br />
(Seite 14). Außerdem haben wir uns in der Friedensgemeinde mit einem<br />
Iraner getroffen, der in seiner alten Heimat vom Tod bedroht ist – weil<br />
er Bibelkurse besucht. Jetzt hat er erstmals mit einer Journalistin gesprochen<br />
(Seite 24). Schon früher wurden AnwohnerInnen der Humboldtstraße<br />
verfolgt. Die Stolpersteine erinnern deshalb an sie. Aber wer<br />
waren diese Menschen eigentlich? (Seite 20).<br />
Weil diese Ausgabe im Viertel spielt, ist auch seine Gentrifizierung<br />
ein Thema für uns – also die schleichende Verdrängung einkommensschwächerer<br />
BewohnerInnen durch die Aufwertung der östlichen Vorstadt<br />
(Seite 8). Und dann klären wir noch die Frage, was die Menschen<br />
dort bewegt, wenn vor ihrer Haustüre plötzlich die Straße aufgerissen<br />
wird (Seite 12).<br />
Viel Vergnügen wünschen<br />
Jan Zier, Philipp Jarke<br />
und das ganze Team der Zeitschrift der Straße<br />
Die Zeitschrift der Straße<br />
Foto Titelseite: Jasmin Bojahr<br />
Seite 2: Ann-Kathrin Just<br />
ist das Bremer Straßenmagazin – ein gemeinsames Projekt von<br />
Studierenden, JournalistInnen, sozial Engagierten, StreetworkerInnen,<br />
HochschullehrerInnen und von Menschen,<br />
die von Wohnungslosigkeit und Armut bedroht oder betroffen<br />
sind. Herausgegeben wird sie vom Verein für Innere Mission in<br />
Bremen. Die Zeitschrift der Straße Wird auf der Straße verkauft,<br />
die Hälfte des Verkaufserlöses geht an die VerkäuferInnen.<br />
Jede Ausgabe widmet sich einem anderen Ort in Bremen und<br />
erzählt Geschichten von der Straße.
DIE ORIGINALEN<br />
Das ist Bremens Visitenkarte! Wenn Sie mit<br />
Bremen zu tun haben, hier leben, hier Ihren<br />
Firmensitz haben, dann kommen Sie an dem<br />
Klassiker der Bremenkalender wohl nicht vorbei<br />
… Und bestimmt werden Sie kaum etwas<br />
Originelleres verschenken können!<br />
„Da nich’ für“, sagt der Bremer, wenn er was<br />
prima gemacht hat und er noch nicht einmal<br />
ein Dankeschön erwartet. „Da nich’ für“, sagt<br />
auch unser Premium-Kalender zu allen, die ihn<br />
in die Hand bekommen. Da sehen Sie die<br />
Wesermetropole von einer anderen Seite.<br />
Inhalt<br />
06 Zahlen & Fakten<br />
08 Auf Dauer wie eine Vertreibung<br />
Hohe Mieten drängen Normalverdiener<br />
aus dem Viertel<br />
Die ganz neuen Stadtansichten werden mit<br />
frechem Strich gezeigt, mit all dem witzigen<br />
Drumherum, das detailverliebt in jeder Ecke<br />
steckt. So kennen Sie die Doell Kalender. Je<br />
mehr die Stadt sich verändert, desto frischer<br />
weht auch hier der Wind.<br />
12 Meine Straße, mein Stolz<br />
Zwei AnwohnerInnen kämpfen<br />
gegen den Asphalt vor ihrer<br />
Haustür<br />
08<br />
14 Fotostrecke<br />
Filigrane Kunst<br />
20 Steine, die an Leben erinnern<br />
In der Humboldtstraße liegen<br />
neun Stolpersteine. Jeder von<br />
ihnen steht für eine einzigartige<br />
Biografie<br />
24 Der Traum des Pastors<br />
Wer in den Bibelkreis der Friedensgemeinde<br />
kommt, dem droht zu<br />
Hause im Iran der Tod<br />
12<br />
20<br />
14<br />
26<br />
Beste Zeiten<br />
Verlagsgesellschaft mbH<br />
Oskar-Schulze-Straße 12<br />
28832 Achim<br />
Tel 0421 - 168 45 45<br />
Fax 0421 - 20 53 94 95<br />
info@beste-zeiten.de<br />
www.beste-zeiten.de<br />
26 Hauptsache Werder<br />
Auch für Fußball ist in der Friedensgemeinde<br />
Platz. Der Glaube an Gott ist<br />
dabei nicht so wichtig<br />
28 Warum wir teurer werden<br />
Die Zeitschrift der Straße kostet nun 2,50<br />
Euro. Das hilft den VerkäuferInnen –<br />
und schafft einen Job<br />
24<br />
31 Impressum<br />
Illustration:<br />
Anna-Lena Klütz ist freie Künstlerin und freut<br />
sich, wenn aus einer scheinbar nichtssagenden<br />
Straße ein Bild voller spannender Einblicke wird.
6 | zahlEN & Fakten<br />
HUMBOLDT<br />
STRASSE<br />
885 Meter lange Fahrradstraße in der Östlichen<br />
Vorstadt zwischen dem Klinikum Bremen-Mitte<br />
und der Straße Am Dobben<br />
1907<br />
2016<br />
Recherche & Text: Jan Zier, Philipp Jarke<br />
Fotos: M. Haertel (1907), Philipp Jarke (2016)<br />
Beginn der Bebauung: 1860<br />
Umwidmung in eine Fahrradstraße: 2014<br />
Zahl der RadfahrerInnen pro Tag: 5.400<br />
Zahl der Nebenstraßen: 12<br />
Zahl der Humboldtstraßen in ganz<br />
Deutschland: 343<br />
Platz in der Rangliste der häufigsten deutschen<br />
Straßennamen: 233<br />
Fertigstellung der Friedenskirche: 1870<br />
Begründung für ihren Bau: Kampf gegen den<br />
„christlichen und sittlichen Verfall“ im<br />
proletarischen Milieu der Vorstadt<br />
Höhe des großen Kirchturms, in Metern: 45<br />
Abbruch des Kirchturms: 1939<br />
Umsatz des hier beheimateten Carsharing-<br />
Anbieters pro Jahr, in Millionen Euro: 22,4<br />
Zahl seiner KundInnen, in Deutschland: 56.000<br />
Zahl seiner Autos, in Deutschland: 1.300<br />
Zahl der Beratungsgespräche im Kinderschutz-Zentrum,<br />
pro Jahr: über 2.500<br />
Alter des Bremer Kinderschutz-Zentrums, in<br />
Jahren: 35<br />
Alter des lokalen Beerdigungsinstituts, in Jahren:<br />
149<br />
Todestag des in Hausnummer 67 wohnenden<br />
Künstlers Gerhard Schlüter: 17. Februar 1998<br />
Kosten des teuersten Gerichtes im koreanischen<br />
Restaurant, pro Person, in Euro: 18,90<br />
Eintrittspreis der örtlichen Sauna, für Herren<br />
und Paare, in Euro: 17<br />
Gebühr für die hier ausleihbare Drehorgel, pro<br />
Tag, in Euro: 59,50<br />
Preis der derzeit günstigsten hier vermittelten<br />
Immobilie in Schweden, in Euro: 35.600<br />
Zahl der im Gesundheitsamt gemeldeten Fälle<br />
von HIV, im Jahr 2015: 43<br />
Zahl der im Gesundheitsamt registrierten Fälle<br />
von Syphilis, im Jahr 2015: 49<br />
Zahl der im Amt bekannten Fälle von Hepatitis C,<br />
im Jahr 2015, pro 100.000 Einwohner: 1,28<br />
Jenseits des Dobbengrabens, neben den größeren<br />
Pagentorner Gehöften, lagen bis zur Industrialisierung<br />
etliche kleine sogenannte Kohlhökerstellen,<br />
an denen Kleinbauern Gemüse anpflanzten.<br />
Die Kohlhökerstraße im Viertel, obgleich diesseits<br />
des Dobbens gelegen, erinnert heute an jene Tage,<br />
die ein Ende hatten, als Mitte des 19. Jahrhunderts<br />
die Eisenbahntrasse und das Krankenhaus vor<br />
den östlichen Toren der Stadt gebaut wurden. Das<br />
Gebiet zwischen Altstadt und Krankenhaus sollte<br />
zeitgleich erschlossen werden, um Wohnraum für<br />
die wachsende Bevölkerung zu schaffen.<br />
Mit der Humboldtstraße, angelegt zwischen<br />
1858 und 1860, hatte der damalige<br />
Baudirektor Alexander Schröder ganz große<br />
Pläne: Zentrum des neuen Stadtteils sollte sie<br />
werden, eine breite Prachtstraße mit einem großzügigen<br />
Platz in der Mitte als Treffpunkt und<br />
Ort zum Flanieren. Doch der Einfluss reicher<br />
Bremer Kaufleute war größer als der politische<br />
Wille: Die Kaufleute wollten ihr Geld mit Häusern<br />
mehren, breite Alleen mit weiten Plätzen waren also<br />
unattraktiv. Stattdessen durften sie das Land<br />
in großem Stil aufkaufen und die Straßen nach<br />
eigenem Ermessen anlegen und bebauen, sofern<br />
sie sich an die Bauordnung hielten, die Hinterhöfe,<br />
Mietskasernen und enge Gänge verbot.<br />
Die Humboldtstraße wurde so zu einer reinen<br />
Wohnstraße, immerhin beidseitig dicht mit<br />
Ulmen bepflanzt. Was heute wieder dem Zeitgeist<br />
entspricht und für seine gesundheitsfördernde<br />
Wirkung bekannt ist, stieß damals so<br />
manchem übel auf. Im Frühjahr 1895 sandte<br />
jemand einen wütenden Leserbrief an die Bremer<br />
Nachrichten: „In der baumbestandenen Humboldt-<br />
und der Bismarckstraße, welche auf dem fetten<br />
Gemüselandboden der früheren Gemarkung<br />
Fehrfeld angelegt wurden, konnte sich der Wuchs<br />
der dortigen Alleebäume ungemein kräftig entwickeln.<br />
Weit mehr als die Anwohner der Straße<br />
es wünschten, wuchs die rasch aufstrebende<br />
Ulme den Häusern über den Kopf und raubte<br />
ihnen Sonnenschein, Licht, Luft und Aussicht.<br />
Kein Wunder, dass Sommers unter dem großen<br />
grünen Sonnenfang dieser sonst so schönen<br />
Straßen eine gedrückte Stimmung herrschte!“
8 | REPORT<br />
Auf Dauer<br />
wie eine<br />
Vertreibung<br />
Gestiegene Mieten haben das Viertel grundlegend verändert..<br />
.Und viele der Menschen verdrängt,.<br />
die es erst wieder attraktiv gemacht haben.<br />
Text: Frauke Kuffel<br />
Fotos: Ann-Kathrin Just<br />
Die Humboldtstraße muss man sich mittlerweile leisten können.<br />
In den letzten zehn Jahren hat sich die Humboldtstraße<br />
gewaltig verändert. Vorher, erinnert sich<br />
Michael, waren die Fassaden eher grau, auf vielen<br />
Garagentoren prangten Graffitis. Die sind mittlerweile<br />
verschwunden. Dafür, erzählt er, steht mal<br />
hier, mal da ein Baugerüst und markiert einen<br />
weiteren Schritt des Wandels, den die Humboldtstraße<br />
und seine BewohnerInnen erleben.<br />
Sieben Jahre lang wohnte Michael, 54 Jahre alt<br />
und Gitarrist einer deutschen Punkband, zur Miete<br />
in einem Haus am westlichen Ende der Straße.<br />
Als der Eigentümer starb, übernahm dessen Frau<br />
die Vermietung. Die Miete blieb niedrig und das<br />
Haus renovierungsbedürftig, mit rostigen Balkonen<br />
und Wasserleitungen aus Blei. Als voriges<br />
Jahr das Haus verkauft werden sollte, erhielten zunächst<br />
Michaels Nachbarn, eine Familie mit Kindern,<br />
den Zuschlag. Schließlich wurde das Haus<br />
aber anderweitig verkauft – zu einem höheren<br />
Preis. „Das war schon merkwürdig“, sagt Michael.<br />
Und hatte Folgen: Die neuen Eigentümer erhöhten<br />
nach einem Jahr die Mieten, später meldeten sie<br />
Eigenbedarf an und kündigten den drei Mietparteien,<br />
da das alte Haus renoviert werden sollte. Wie<br />
viele Altbremer Häuser in der Humboldtstraße.<br />
Man könne zwar nicht von einer radikalen<br />
Entwicklung sprechen, sagt Bernd Klingbeil-Jahr,<br />
Pastor der Friedensgemeinde, „aber auf Dauer<br />
wirkt das natürlich wie eine Vertreibung“. Klingbeil-Jahr<br />
beobachtet den Wandel rund um die<br />
Friedenskirche genau. „Früher haben hier mehr<br />
Familien mit Kindern und mehr ältere Menschen<br />
gewohnt“, sagt er. Seine Gemeinde ist groß und<br />
wächst sogar, aber nur, weil viele Menschen aus anderen<br />
Stadt- und Ortsteilen der Friedensgemeinde<br />
beitreten. Ohne ortsfremde Mitglieder würde die<br />
Gemeinde seit etwa zwölf Jahren schrumpfen –<br />
seit immer mehr wohlhabende Doppelverdiener<br />
ohne Kinder in dem Quartier wohnen, die sich die<br />
hohen Mieten problemlos leisten können.<br />
„Gentrifizierung“ nennen Stadtsoziologen den<br />
strukturellen Wandel von innenstadtnahen, anfangs<br />
oft heruntergekommenen Wohngebieten, die<br />
zunächst KünstlerInnen und Studierende anziehen,<br />
bevor sie zu bürgerlichen Quartieren werden.<br />
Dabei steigen die Mieten und Grundstückspreise<br />
rasant, wodurch Menschen mit geringem Einkommen<br />
vertrieben werden.<br />
Hellena Harttung, die Leiterin des Ortsamts<br />
Mitte/Östliche Vorstadt, sieht die Entwicklung des<br />
Viertels positiv: „Der Stadtteil hat sich gemausert“,<br />
sagt sie. Früher sei die Gegend sehr viel verkommener<br />
gewesen, und die Humboldtstraße, in der<br />
mal der Straßenstrich gewesen war, sei mittlerweile<br />
eine attraktive Fahrradstraße. Viele Häuser würden<br />
nach und nach modernisiert – und dadurch<br />
wahrscheinlich auch teurer. Dieser Prozess sei im<br />
Stadtteil fraglos im Gange.<br />
Mit seinen vielen Lokalen und der guten Infrastruktur<br />
ist das Viertel ein attraktiver Wohnraum,<br />
was natürlich auch zu Konflikten führt. Doch<br />
Harttung meint: „Stadt ist Bewegung und muss in<br />
Bewegung bleiben.“ Auch die Lokale konnten nur<br />
durch Veränderung entstehen, und genau die
REPORT | 11<br />
Der Grünen-Politiker Robert Bücking, früher Leiter des Ortsamts Mitte/Östliche Vorstadt, hält die Entwicklung<br />
der Hauspreise im Viertel für eine Blase.<br />
ist auch wichtig für die Stadt. Wünschenswert und<br />
erstrebenswert bleibe, dass es weiterhin eine soziale<br />
Durchmischung gebe und Orte für Menschen,<br />
die sich die hohen Mietpreise nicht leisten können.<br />
Kai-Ole Hausen, Referent für Infrastrukturpolitik<br />
der Arbeitnehmerkammer, sagt, die Veränderung<br />
des sozialen Milieus im Viertel sei normal,<br />
auch in der Humboldtstraße. Doch durch die Enge<br />
auf dem Bremer Wohnungsmarkt liefe dieser Prozess<br />
schneller ab. Er schätzt den aktuellen Wohnraumleerstand<br />
in Bremen auf unter ein Prozent,<br />
optimal für einen funktionierenden Wohnungsmarkt<br />
seien aber vier Prozent. Daher würden<br />
selbst Wohnungen, die in einem schlimmen Zustand<br />
sind, schnell weitervermietet.<br />
„Gentrifizierung ist böse, aber keine Gentrifizierung<br />
ist noch böser“, sagt Robert Bücking, der<br />
20 Jahre lang das Ortsamt im Viertel leitete. Das<br />
Grundproblem ist laut Bücking, dass Stadtteile<br />
teurer werden, und das auf Kosten derer, die dazu<br />
beigetragen haben, den Stadtteil attraktiver zu machen.<br />
Das Viertel war lange ein Stadtteil mit billigem<br />
Wohnraum, der jedoch auch enorm runtergekommen<br />
war. Durch die Gründung der Universität<br />
im Jahr 1971 wurde das Viertel belebt, viele junge<br />
und politisch aktive Menschen zogen in das Quartier,<br />
es entstanden neue Lokale. Die alten Häuser<br />
dienten zunächst als Wohngemeinschaften junger<br />
Leute, später zogen Familien und Einzelpersonen<br />
ein. Viele der Altbremer Häuser waren damals<br />
recht günstig zu kaufen und sind mittlerweile<br />
von den Eigentümern saniert worden. Steigende<br />
Mieten waren die Folge. „Die Menschen, die dort<br />
wohnen, sind nun andere“, sagt Bücking. „Das ist<br />
Die Hauspreise<br />
empfindet Bücking<br />
als wahnsinnig<br />
schade, aber für die Häuser ist das gut.“ Die Preise<br />
allerdings, die derzeit für Häuser im Viertel verlangt<br />
werden, empfindet er als wahnsinnig. „Die<br />
Häuser sind die Preise nicht wert“, sagt er. „Für<br />
die Stadt ist das nicht gesund und brutal unsozial.“<br />
Möglichkeiten, diese Prozesse aufzuhalten, gibt<br />
es, sagt Kai-Ole Hausen. „Diese sind aber gering<br />
und werden in Bremen zum Teil aufgrund fehlender<br />
politischer Mehrheiten nicht umgesetzt.“ Da<br />
wäre die Mietpreisbremse, die dafür sorgen soll,<br />
dass neu vermietete Wohnungen maximal zehn<br />
Prozent teurer als vergleichbare Wohnungen sein<br />
dürfen. Die Umsetzung ist schwierig, da Bremen<br />
keinen Mietspiegel hat. NeumieterInnen müssten<br />
deshalb ein Gutachten zahlen, um von der Regelung<br />
zu profitieren. Eine andere Möglichkeit wäre<br />
eine „soziale Erhaltungsverordnung“, wie sie in<br />
Hamburg angewendet wird. In Wohngebieten mit<br />
starkem Verdrängungsdruck müssen Modernisierungen<br />
von Mietwohnungen und deren Umwandlung<br />
in Eigentumswohnungen vom Bezirksamt<br />
genehmigt werden. So soll verhindert werden, dass<br />
Mieter mit geringem Einkommen verdrängt werden.<br />
Der dritte Punkt, den Hausen anbringt, sind<br />
Sozialwohnungen: Anfang der 1990er-Jahre gab<br />
es davon in Bremen etwa 70.000, heute sind es nur<br />
noch rund 15.000.<br />
Am östlichen Ende der Humboldtstraße wird<br />
in den nächsten Jahren das neue Hulsberg-Viertel<br />
gebaut. Auf dem südlichen Teil des Klinikums Bremen-Mitte<br />
werden 1.100 Wohnungen entstehen,<br />
davon knapp ein Drittel Sozialwohnungen. Doch<br />
auch diese werden nur für begrenzte Zeit günstig<br />
zu mieten sein, sagt der ehemalige Ortsamtsleiter<br />
Bücking. Nach Ablauf einer Frist könnten die Eigentümer<br />
die Mieten erhöhen.<br />
Michael hatte das Glück, in der Humboldtstraße<br />
eine andere Wohnung zu finden, über dem Rum<br />
Bumper’s, einer alteingesessenen, linksalternativen<br />
Kneipe. Sein derzeitiger Vermieter legt Wert<br />
darauf, dass die MieterInnen der Wohnungen sich<br />
mit dem gelegentlichen Lärm aus dem Rum Bumper’s<br />
arrangieren. Diese Solidarität mit den Lokalbetreibern<br />
ist nicht selbstverständlich. Mit dem<br />
Bürgertum hielt auch ein ausgeprägtes Ruhebedürfnis<br />
im Viertel Einzug, mittlerweile müssen die<br />
Gastronomen strengere Auflagen erfüllen: Außentische<br />
dürfen nur noch bis 23 Uhr genutzt werden,<br />
und auch die Zahl der Konzerte in Kneipen wird<br />
strenger reglementiert.<br />
Michael, dessen Plattensammlung mit der<br />
eines Plattengeschäftes gut mithalten kann,<br />
kommt mit dem Lärm aus dem Rum Bumper’s gut<br />
zurecht. Er wundert sich vielmehr, warum Leute<br />
in ein Viertel ziehen, in dem viel los ist, sich dann<br />
aber über Lärm und zu viel Trubel beschweren.<br />
Frauke Kuffel studiert Materielle Kultur<br />
in Oldenburg und war kürzlich ein halbes<br />
Jahr auf Wohnungssuche. Jetzt wohnt sie<br />
in einer tollen WG in der Neustadt.<br />
Ann-Kathrin Just ist Fotografin und<br />
konnte sich bisher die Mieten im Viertel<br />
nicht leisten.<br />
Anzeige
12 | BERICHT<br />
Valeska Stach und Robin Quaas wollen das alte Pflaster der Ritterstraße zurück.<br />
Meine Straße,<br />
mein Stolz<br />
Wie zwei AnwohnerInnen gegen<br />
den Asphalt vor ihrer Haustür kämpfen<br />
Text: Eva Przybyla<br />
Fotos: Jasmin Bojahr<br />
Valeska Stach und Robin Quaas wollen keinen Asphalt.<br />
Jedenfalls nicht in ihrer Ritterstraße! Der<br />
Flickenteppich aus marodem Pflasterstein und darübergeklebten<br />
Teerstreifen wurde im Dezember<br />
aufgerissen – damit die Wasserleitungen erneuert<br />
werden können. „Sie haben gerade angefangen zu<br />
asphaltieren“, sagt Stach am Telefon, mit leiser<br />
Stimme, als wir uns erstmals verabreden.<br />
Bis dahin haben sich die beiden schon monatelang<br />
engagiert, zusammen mit 16 anderen AnwohnerInnen.<br />
Sichtbarstes Zeichen: Zwei Banner,<br />
die quer über der Ritterstraße hängen: „Vielfalt<br />
statt Asphalt“. Einer schaukelt noch immer über<br />
der geteerten Straße im Wind. Dahinter lässt ein<br />
mächtiger Bagger seinen Zweischalengreifer immer<br />
wieder geradezu performativ in der Luft kreisen,<br />
während wir Fotos machen. Und die nächste<br />
Asphaltierung kommt bestimmt: im März.<br />
„Die Ritterstraße bloggt. Eine Straße findet<br />
sich zusammen, weil wir Wünsche haben zur Wiederherstellung<br />
nach der Kanalsanierung.“ Das ist<br />
der Titel des Blogs ihrer Bürgerinitiative. Quaas<br />
hat, gemeinsam mit den anderen, aus diesen<br />
Wünschen einen Plan ausgearbeitet und im Stadtteil-Parlament<br />
vorgestellt. Er ist dafür prädestiniert:<br />
Der 37-Jährige, der aus dem Bremer Umland<br />
kommt, ist Architekt. Seit jener Sitzung hat die<br />
Ritterstraße viel Aufmerksamkeit bekommen. Am<br />
Ende hat der Beirat mehrheitlich für eine Pflasterung<br />
gestimmt – und der Bürgerinitiative recht gegeben.<br />
Dennoch wird jetzt asphaltiert.<br />
Die Frage „Steine oder Teer“, im Viertel wird<br />
sie seit Jahren immer wieder heftig debattiert.<br />
Pflaster ist schön anzusehen und gehört traditionell<br />
zum Stadtteil dazu, sagen die einen. Es ist laut,<br />
gefährlich und ein Ärgernis für jene, die im Rollstuhl<br />
sitzen, sagen die anderen. Doch für Quaas<br />
und Stach ist es das erste Mal, dass sie sich politisch<br />
engagieren. Sie haben Papiertüten mit Pflastersteinen<br />
bedruckt, kleine Lakritzpflastersteine<br />
in Auftrag gegeben und viel über Baustellen recherchiert,<br />
gemessen und gerechnet. „Bremen hat<br />
unglaublich viele Pflastersteine, die andernorts<br />
ausgegraben werden“, sagt Quaas. „Das ist bester<br />
Stein aus Granit oder schwedischem Sandstein.“<br />
Quaas ist in seinem Element: „Das sind 9.000 Quadratmeter<br />
an Material, nach unserer Recherche.“<br />
Die genaue Auskunft darüber werde ihnen aber<br />
verwehrt, sagt er – und die Ritterstraße bekommt<br />
die unzerstörbaren Steine aus Granit trotzdem<br />
nicht. Quaas kann sich das nur so erklären: „Alles<br />
eine politische Entscheidung.“<br />
Die Behörde widerspricht: „Hier wird asphaltiert,<br />
um Barrierefreiheit und Verkehrssicherheit<br />
zu gewährleisten“, sagt Jens Tittmann, der Sprecher<br />
des grünen Bausenators. Außerdem sei Asphalt<br />
leiser als Pflasterstein. „Und Lärm macht<br />
krank!“ Zudem kosten Pflastersteine doppelt so<br />
Eva Przybyla studiert Komplexes<br />
Entscheiden an der Universität<br />
Bremen und radelt am<br />
liebsten auf der asphaltierten<br />
Straße.<br />
viel wie Asphalt. Und wenn sie dann auch noch<br />
barrierefrei sein sollen, sogar das Vierfache. „Wieso<br />
kommen Menschen in einer Stadt mit Haushaltsnotlage<br />
auf die Idee, das teuerste Pflaster<br />
Deutschlands zu fordern?“, fragt Tittmann.<br />
Kunststudentin Valeska Stach ist aus Berlin in<br />
die Ritterstraße gezogen – und war gleich mittendrin:<br />
„Dass die Nachbarn zusammenkommen, danach<br />
habe ich gesucht“, sagt die 23-Jährige. Als die<br />
Pflastersteindebatte aufkam, machte sie mit. Ihre<br />
Initiative drehe sich aber nicht nur um die Ritterstraße,<br />
sagt Stach – ihr gehe es um die Interessen<br />
aller Menschen. Quaas auch: „Es geht uns um<br />
die zukunftsgerichtete Stadtgestaltung.“ Und um<br />
die Ermächtigung des Bürgers. Sein Vorbild: der<br />
Aktionskünstler Joseph Beuys. Ob der wirklich Interesse<br />
an einer auf Konservierung ausgerichteten<br />
Bürgerinitiative gehabt hätte? Quaas bejaht energisch.<br />
„Wir sind innovativ, weil sich bei uns Anwohner<br />
zusammenschließen.“ Eine Vernetzung<br />
mit anderen Bürgerinitiativen gebe es aber nicht.<br />
Dabei hat die Initiative in der Ritterstraße eine<br />
lange Tradition: Sie wurde bereits 1982 gegründet<br />
und erstritt eine Verkehrsberuhigung. Die dazu<br />
aufgestellten Blumenkübel mussten kürzlich entsorgt<br />
werden: Sie waren voll mit dem Urin der Passanten.<br />
Doch ohne Pflanzen und Steine, befürchten<br />
Stach und Quaas, sei ihre Ritterstraße keine<br />
touristische Attraktion mehr. Und verkomme womöglich<br />
zu einem Schleichweg für Autos. Zur Not,<br />
sagten die AnwohnerInnen dem Weser-Kurier,<br />
würden sie ihre Pflastersteine selbst bezahlen.<br />
Doch dafür gibt es keine Erlaubnis vom Amt. Also<br />
bleibt es wohl bei der geplanten Gedenktafel für<br />
die Pflastersteine. Sie soll bald aufgestellt werden.<br />
Und mahnend auf den Asphalt hinweisen.<br />
Jasmin Bojahr studiert Freie<br />
Kunst in Bremen und mag die<br />
Räume zwischen den Pflastersteinen,<br />
durch die die Natur<br />
atmen kann.
14 | FOTOstrecke<br />
Filigrane<br />
Kunst<br />
Fotos: Lena Möhler<br />
Text: Jan Zier<br />
Seine Werke sind nicht für die Ewigkeit geschaffen<br />
– ganz im Gegenteil: Die meisten der Sachen,<br />
die Fabian Schulze konstruiert, fallen relativ leicht<br />
auseinander. Das nervt ihn zwar ein wenig, aber<br />
eben nur ein wenig: Seine „Leichtbauweise“, wie<br />
er sie nennt, „lässt immer die Möglichkeit offen,<br />
etwas zu ändern“. Und auf keinen Fall sollen seine<br />
Apparate zu kompliziert werden: „Wenn etwas<br />
auch einfach geht, warum nicht?“<br />
Öffentlich ausgestellt hat der 27-Jährige, der an der<br />
Hochschule für Künste Bremen Integriertes Design<br />
studiert, seine Objekte noch nie. Und verkauft<br />
auch nicht. Sie stehen alle noch in seiner kleinen<br />
Wohnung in der Humboldtstraße, die zugleich sein<br />
Atelier ist. Sie ist voller Ideen – und Sachen, die er<br />
mal auf Flohmärkten findet und mal von seinen<br />
Freunden gebracht bekommt. Manchmal bringen<br />
sie viel zu viel.
FOTOstrecke | 17<br />
Der Plotter<br />
Die Fotos waren früher mal schwarz-weiß, Fabian Schulze hat sie mit<br />
einem selbst gebauten Plotter gedruckt und nachkoloriert. Das Gerät<br />
hängt in seinem Wohnzimmer an der Wand – und ist so leicht konstruiert,<br />
dass es nahezu beliebig große Bilder zeichnen kann. Seine Linien<br />
sind sehr fein und absolut regelmäßig.<br />
Der Kassettenrekorderdrucker<br />
In einen alten Kassettenrekorder hat Fabian Schulze eine Papierrolle mit<br />
Thermopapier eingebaut. Und so ist aus dem Gerät nun eine Art Polaroidkamera<br />
geworden, die etwas streifige Fotos in Schwarz-Weiß druckt.<br />
Man kann sie einfach abreißen.
18 | Fotostrecke<br />
Mit brennender Vernunft<br />
Diese Tischplatte ist eine alte Filmrolle, in der mal Beatrix<br />
Schwehms Filmessay „Mit brennender Vernunft“ von 1993<br />
lag, die Beine sind Kupferrohre, wie es sie in jedem Baumarkt<br />
gibt – und die mit Kabelbindern aneinander befestigt sind.<br />
Lilli<br />
Die Lichtpuppe heißt Lilli; sie sitzt in der Ecke, auf dem<br />
Sofa. Wie eine Puppe eben. Inspiriert ist diese Arbeit von einem<br />
kleinen Mädchen aus Fabian Schulzes Bekanntenkreis.<br />
„Eigentlich heißt sie Lilli, die Zweite. Aber ich will vergessen,<br />
dass es eine Erste gab.“<br />
Lena Möhler ist freie Fotografin<br />
und fand es sehr erfrischend und<br />
inspirierend, einen Tag mit dem<br />
kreativen Studenten zu verbringen.
20 | PortRÄT<br />
Steine, die an<br />
Leben erinnern<br />
In der Humboldtstraße liegen mittlerweile<br />
neun Stolpersteine. Jeder von ihnen steht<br />
für eine einzigartige Biografie<br />
Die Messingplatten vor Haus Nummer 10 sind unter Laub<br />
begraben. Die Blätter am Rand des Gehwegs müssen erst zur<br />
Seite gefegt werden, um die Stolpersteine überhaupt zu sehen.<br />
Fünf sind es insgesamt, jeder zehn mal zehn Zentimeter groß.<br />
Sie erinnern an jene Menschen, die hier einst lebten und während<br />
des Zweiten Weltkriegs von den Nationalsozialisten ermordet<br />
wurden: Elisabeth Schwabe, Nina Idzkowska, Henny<br />
Warschauer sowie ihre Söhne Walter und Kurt.<br />
Auf der anderen Straßenseite, vor dem Haus Nummer 5,<br />
liegen drei weitere Gedenktafeln. Sie erinnern an Aron und<br />
Gerda Orbach sowie ihre Tochter Marion-Dorrit. Noch etwas<br />
schwieriger zu finden ist der neunte Stolperstein, der in der<br />
Humboldtstraße verlegt wurde. Vor dem Haus Nummer 183<br />
erinnert er an Käthe Utesch.<br />
Die Stolpersteine sind ein Projekt des Künstlers Gunter<br />
Demnig, das 1992 begann. Inzwischen gibt es die Steine in 19<br />
europäischen Ländern – insgesamt über 56.000. Jeder einzelne<br />
erinnert an einen Menschen, der Opfer des Nationalsozialismus<br />
wurde. Doch die Messingtafeln erinnern nicht nur an<br />
die Menschen, sondern an die Leben, die diese geführt haben.<br />
Vor jeder Verlegung wird die Biografie der Person, der ein Stolperstein<br />
gewidmet ist, intensiv recherchiert.<br />
Nach Bremen kamen die Stolpersteine 2003, dank der<br />
Landeszentrale für politische Bildung. Seither wurden in<br />
Bremen 662 Stolpersteine verlegt. „Zentral ist die Frage, wo<br />
die Opfer gelebt haben“, sagt Barbara Johr. „60 Prozent der<br />
Adressen stimmen nicht mehr – etwa weil die Hausnummer<br />
oder der Straßenname geändert wurde.“ Zwölf Jahre lang<br />
Text: Jördis Früchtenicht<br />
Fotos: Norbert Schmacke
22 | pORTRÄT<br />
leitete Johr das Projekt, seit dem vergangenen Jahr<br />
engagiert sie sich ehrenamtlich im Initiativkreis<br />
Stolpersteine Bremen. Landeszentrale und Initiativkreis<br />
sind zusammen mit dem Verein „Erinnern<br />
für die Zukunft“ in Bremen zuständig. Die nötige<br />
Recherche wird ehrenamtlich betrieben. Wichtige<br />
Quellen sind neben Einwohnermeldekarten auch<br />
Entschädigungsakten, die im Staatsarchiv liegen.<br />
„Wenn allerdings die ganze Familie ermordet<br />
wurde, gibt es keine Entschädigungsakten, da niemand<br />
Forderungen stellen konnte“, sagt Johr.<br />
Neben der Biografie der Opfer werde auch<br />
nach Angehörigen gesucht. „Wir wollen die Steine<br />
nicht gegen ihren Wunsch verlegen“, erklärt Johr.<br />
„Wenn wir Familienmitglieder finden, reisen diese<br />
auch häufig zur Verlegung an – bei einer weitverzweigten<br />
Familie kamen die Verwandten aus<br />
Tokio, Israel und England nach Bremen.“<br />
Mit der Recherche entstehen Biografien, Einblicke<br />
in das Leben der Opfer. Elisabeth Schwabe,<br />
geboren am 21. September 1892, lebte seit 1921 mit<br />
ihren Eltern in der Humboldtstraße 10. Das Haus<br />
gehörte ihrem Vater. Nach dessen Tod 1938 erbte<br />
sie es, zusammen mit drei weiteren Immobilien.<br />
1939 musste sie verkaufen. Da war es bereits ein<br />
sogenanntes „Judenhaus“ – so nannte man Häuser<br />
jüdischer Eigentümer, in die jüdische MieterInnen<br />
zwangsweise eingewiesen wurden.<br />
Jutta Lehmann* lebt seit mittlerweile fünf<br />
Jahren in der Humboldtstraße. Sie hat sich vor<br />
allem mit der Geschichte des „Judenhauses“ auseinandergesetzt:<br />
„Ich wollte wissen, wer dort untergebracht<br />
war. Es waren viele Menschen. Mich<br />
interessiert, wer noch so hier in der Straße gelebt<br />
hat.“ Auch im Alltag wird sie an die Stolpersteine<br />
erinnert. „Man sieht immer wieder Leute, die<br />
stehenbleiben und die Steine betrachten“, erzählt<br />
Lehmann.<br />
Henny Warschauer, geboren am 2. März 1884,<br />
und ihre Söhne Walter, geboren am 19. Dezember<br />
1921, und Kurt, geboren am 30. Dezember 1924,<br />
zogen 1936 in die Humboldtstraße 10. Henny Warschauers<br />
Ehemann Jakob war 1929 verstorben.<br />
Nach dem Tod ihres Mannes führte sie sein Geschäft,<br />
einen Fahrrad- und Nähmaschinenhandel,<br />
weiter. In der NSDAP-Broschüre „Auch dich geht<br />
es an“ von 1935, die im Staatsarchiv liegt, wird zum<br />
Boykott jüdischer Geschäfte aufgerufen – auch<br />
Henny Warschauers Laden ist darin aufgeführt.<br />
Sie musste das Geschäft im September 1936 schließen.<br />
Doch auch danach war sie weiter mit dem Verkauf<br />
gebrauchter Fahrräder und Nähmaschinen<br />
beschäftigt. Dies lässt sich aus einem Polizeidokument<br />
von 1938 schließen, in dem notiert ist, dass<br />
Henny Warschauer aufgefordert wurde, ein „Trödlerbuch“<br />
zu führen. Der Hausstand der Warschauers<br />
wurde nach ihrer Deportation versteigert. Das<br />
geht aus den Entschädigungsakten hervor – zu den<br />
versteigerten Gegenständen gehörten neben Möbeln<br />
auch ein Gasherd, Geschirr, Kleiderbügel und<br />
Wäsche. Der gesamte Hausrat, so steht es im Protokoll<br />
der Auktion, wurde für 1.031,25 Reichsmark<br />
verkauft. Den Erlös erhielt das Deutsche Reich.<br />
Nina Idzkowska, geboren am 12. November<br />
1904 in Polen, zog 1928 von Königsberg nach<br />
Bremen. Auf einer Einwohnermeldekarte ist ihr<br />
Beruf als „Bardame“ angegeben. Ab 1941 lebte sie<br />
ebenfalls in der Humboldtstraße 10. Zusammen<br />
mit den anderen BewohnerInnen wurde sie am<br />
18. November 1941 in das Ghetto Minsk deportiert.<br />
Dort ermordeten die Nazis alle fünf.<br />
Auch Jutta Lehmanns Nachbarn, Paul Schulz*,<br />
fallen immer wieder Menschen auf, die sich die<br />
Steine anschauen. Er lebt seit zwei Jahren in der<br />
Humboldtstraße. „Das ist eigentlich lang genug,<br />
um sich mit dem Thema zu beschäftigen“, sagt<br />
Schulz. „Ich weiß, dass es die Stolpersteine gibt,<br />
habe mich selbst aber noch nicht damit auseinandergesetzt“,<br />
räumt er ein. „Ehrlich gesagt ist es<br />
verrückt, dass ich das noch nicht gemacht habe.<br />
Vielleicht ist das ein Anstoß, es jetzt doch zu tun.“<br />
In 19 Ländern liegen über 56.000 Stolpersteine, neun davon in der Humboldtstraße.<br />
Auch die BewohnerInnen der Humboldtstraße<br />
5 wurden im November 1941 deportiert und in<br />
Minsk ermordet: Aron, geboren am 10. Februar<br />
1885, Gerda, geboren am 3. April 1895, und Marion-Dorrit<br />
Orbach, geboren am 13. Juni 1927. Die<br />
Eltern heirateten 1926, sie waren vermutlich vermögend.<br />
Aron Orbach war als Kaufmann in der<br />
Textilbranche tätig, seine Frau brachte Aktien<br />
mit in die Ehe. Im Juli 1935 zog die Familie in die<br />
Humboldtstraße 5, 1941 wurde sie in ein Haus in<br />
der Contrescarpe eingewiesen. In der Entschädigungsakte<br />
ist eine „Hingabe an Wertpapieren an<br />
Zahlungs statt“ aufgeführt – dabei handelt es sich<br />
um die „Judenvermögensabgabe“, eine willkürliche<br />
Sonderabgabe, die deutsche Juden in der Zeit<br />
des Nationalsozialismus zahlen mussten, die durch<br />
die Übertragung von Aktien 1938 beglichen wurde.<br />
Nach ihrer Deportation wurde das restliche<br />
Vermögen der Familie 1942 eingezogen und floss<br />
– wie der Erlös der Versteigerung des Hausstands<br />
der Warschauers – an das Deutsche Reich.<br />
Über das Leben Käthe Uteschs aus Haus Nummer<br />
183 ist heute nur noch wenig bekannt. Die am<br />
31. Juli 1899 geborene Frau war seit 1925 in zweiter<br />
Ehe mit dem Lehrer Georg Utesch verheiratet.<br />
1940 zeigten sich bei ihr Anzeichen einer psychischen<br />
Erkrankung. Von 1940 bis 1943 war sie in<br />
der Bremer Nervenklinik untergebracht. Nach<br />
deren Bombardierung wurde Käthe Utesch mit<br />
anderen Patienten am 9. Dezember 1943 in die<br />
Anstalt Meseritz-Obrawalde gebracht, wo sie am<br />
17. Dezember 1943 verstarb. Die Anstalt im heutigen<br />
Polen wurde während des Nationalsozialismus<br />
für die systematische Ermordung kranker<br />
Menschen genutzt. Allein zwischen 1943 und 1945<br />
wurden dort über 10.000 Menschen getötet.<br />
* Name von der Redaktion geändert.<br />
Jördis Früchtenicht studiert Medienkultur. Sie war bei<br />
der Recherche besonders von der tief gehenden Suche<br />
des Initiativkreises Stolpersteine nach den Biografien der<br />
Opfer beeindruckt.<br />
Die Stolpersteine bremsen das eigene Tempo, wenn man<br />
sie denn Zeile für Zeile liest. Norbert Schmacke hat diese<br />
Erfahrung erneut gemacht, als er mit der Kamera in dieser<br />
wunderschönen Allee unterwegs war.
Der Traum<br />
des Pastors<br />
Wer in den Bibelkreis in der Friedensgemeinde<br />
kommt, dem droht zu Hause im Iran der Tod.<br />
Reza Yazdi zum Beispiel<br />
Reza Yazdi* kommt aus dem Iran und ist überzeugter<br />
Christ. Zurückkehren kann er nicht. Denn<br />
er hat sich taufen lassen. Wer Muslim war und zum<br />
Christentum konvertiert ist, dem droht im Iran die<br />
Todesstrafe. Seit über einem Jahr lebt Yazdi nun in<br />
Deutschland. Er hofft, dass er seine Familie nachholen<br />
kann. Und darauf, dass ihn im Iran niemand<br />
mit christlichen Aktivitäten in Zusammenhang<br />
bringt. Ansonsten würden seine Verwandten und<br />
Freunde verfolgt, sagt Yazdi. Deshalb redet er auch<br />
nicht über sein Engagement im Iran. Deshalb will<br />
er auch seinen Namen nicht in der Zeitung lesen.<br />
Er erwähnt nur kurz, dass er an einer iranischen<br />
Universität mit anderen christlichen Studierenden<br />
entdeckt wurde. Mehr könne er nicht sagen.<br />
Es ist das erste Mal überhaupt mit der Presse<br />
spricht. „Es gab schon viele Anfragen von Journalisten“,<br />
sagt Pastor Bernd Klingbeil-Jahr von der<br />
Friedensgemeinde, aber Reza Yazdi wollte nie mit<br />
ihnen reden, bis heute. Die Gemeinde bietet einen<br />
Bibelkreis für iranische ChristInnen an. Auch<br />
Reza Yazdi geht dorthin. Wir dürfen nicht mit rein.<br />
Ungefähr 30 Personen sitzen an den Tischen im<br />
Café Pax verteilt und lauschen aufmerksam der<br />
Pastorin Ulrike Hardow. Alle wollen anonym bleiben:<br />
Die Angst vor Verfolgung ist groß.<br />
Reza Yazdi ist Ende 20, sein Händedruck<br />
warm, Schädel und Gesicht sind frisch rasiert. Er<br />
lächelt, sucht bestimmt und freundlich den Blickkontakt.<br />
Nichts ist davon zu spüren, dass er seine<br />
Familie im Iran zurücklassen musste. „Du kannst<br />
als Christ deinen Glauben heimlich im Iran praktizieren“,<br />
sagt Yazdi, „aber du hast immer Angst.<br />
Du kannst auf keinen Fall konvertieren.“ Ein weicher,<br />
rollender Akzent mischt sich in sein nahezu<br />
makelloses Deutsch. In nur einem Jahr hat er das<br />
nötige Sprachniveau für eine Ausbildung absolviert.<br />
Er arbeitet heute in einem IT-Unternehmen.<br />
Schon früh kam er mit dem Christentum in<br />
Berührung. Die Staatsreligion des Islam war dabei<br />
kein schwerwiegendes Hindernis, auch wenn<br />
seine Eltern Muslime sind. Denn sie sind – wie die<br />
Mehrheit der Muslime im Iran – sehr liberal: Sie<br />
trinken Alkohol und gehen fast nie in die Moschee.<br />
Dazu ist ihnen der Koran eher ein Rätsel: „Viele<br />
Iraner verstehen den Koran überhaupt nicht,<br />
weil er auf Arabisch ist“, sagt Yazdi – und im Iran<br />
spricht man Farsi. Seine Mutter verstehe nicht<br />
einmal die Suren, die sie betet. „Es gibt den Islam<br />
im Iran, aber es nicht klar, was das ist.“ Für seine<br />
Eltern sei es wohl eher eine gängige Ethik, mit der<br />
sie aufgewachsen sind, als ein überzeugter Glaube.<br />
Vielleicht gerade deshalb verunsicherte sie das Interesse<br />
ihres Sohns für das Christentum. „Am Anfang<br />
hatten wir viele Diskussionen“, sagt er.<br />
Am Christentum faszinierte Yazdi besonders<br />
Jesus: „Ich habe in Jesus den gefunden, dem ich<br />
nachfolgen möchte. Das ist mein Herzgefühl. Jesus<br />
war sehr liberal, er hat die Gesellschaft nicht getrennt.<br />
Er hat immer über Vergebung gesprochen.<br />
Das brauchen wir eigentlich in meinem Land.<br />
Wenn du jemanden im Iran tötest, wirst du auch<br />
getötet. Dort geht es um Rache. Vergeben und ein<br />
gutes Herz haben, das sind die Themen, die kannst<br />
du im Islam nicht so deutlich finden“, sagt er. Schon<br />
im Iran hat er viel zum Christentum gelesen – soweit<br />
es ging. Damit war er nicht allein. „Viele im<br />
Iran wussten einiges über das Christentum“, sagt<br />
Yazdi. In Bremen seien viele jedoch Anfänger und<br />
hätten keine Nachweise über ihre christliche Glaubenspraxis<br />
in ihrem Herkunftsland.<br />
Genau aus diesem Grund stehen iranische<br />
ChristInnen in Deutschland häufig unter einem<br />
Generalverdacht: Sie könnten ja einfach zum<br />
Christentum konvertieren, um ein solides Abschiebehindernis<br />
zu schaffen. Denn ChristInnen darf<br />
Deutschland nicht in den Iran abschieben. Und<br />
zur Taufe gehört nicht viel: Man muss sich nur<br />
in einer christlichen Gemeinde anmelden, an der<br />
Taufzeremonie teilnehmen. Schon ist man Christ.<br />
Doch das reicht den deutschen Gerichten nicht<br />
mehr. Mittlerweile müssen IranerInnen hieb- und<br />
ORTSTERMIN | 25<br />
stichfeste Beweise für ihren Glauben erbringen,<br />
sagt Pastor Klingbeil-Jahr. Unter anderem dafür<br />
gibt es den Bibelkreis der Friedensgemeinde im<br />
Viertel. Am Ende des Kurses stellt Klingbeil-Jahr<br />
bei Bedarf eine Art Teilnahmebestätigung aus. Bei<br />
neuen ChristInnen wie Reza Yazdi verfasst er auch<br />
mal einen Brief für die Behörden und bestätigt sein<br />
ehrenamtliches Engagement in der Gemeinde.<br />
Bereits 200 IranerInnen wurden in den vergangenen<br />
zwei Jahren in der Friedensgemeinde<br />
getauft. Die Entscheidung dazu würde jedoch im<br />
Bibelkreis sorgfältig vorbereitet, sagt der Pastor.<br />
Er versucht in dem Kurs, sensibel auf die TeilnehmerInnen<br />
und ihre Hintergründe einzugehen. Dafür<br />
behandelt er auch Bibelpassagen, in denen es<br />
um Flucht und Vertreibung geht. Und davon gibt<br />
es viele. Auch in der Weihnachtsgeschichte: „Gott<br />
zeigt sich in Jesus, einem schutzlosen Kind, dessen<br />
Eltern geflüchtet sind“, sagt der Pastor. „Es ist eure<br />
Geschichte!“, sagt er den IranerInnen. „Aber das<br />
verwundert viele“, erzählt er. Denn häufig wäre<br />
Gott für die iranischen Geflüchteten eher ein zorniger<br />
alter Mann mit Rauschebart. Ob dieses Bild<br />
aus dem Islam komme? „Nein, das ist Hollywood“,<br />
sagt Klingbeil-Jahr.<br />
Generell seien die IranerInnen im wöchentlichen<br />
Bibelkurs recht diskussionsfreudig,<br />
sagt der Pastor. Reza Yazdi übersetzt dort und<br />
manchmal auch im Gottesdienst. Während unseres<br />
Gesprächs schaut er immer wieder unruhig<br />
durch die Glastür, hinüber zu seinem<br />
Bibelkreis: „Die Leute warten auf mich“, sagt<br />
er, lächelt – und verabschiedet sich. Gearbeitet<br />
wird zweisprachig, mit schwarzen, gebundenen<br />
Bibelausgaben in Farsi. Für den Pastor geht es in<br />
der christlichen Exegese der Texte stets auch um<br />
Freiheit und tolerantes Zusammenleben. Sein Gesicht<br />
nimmt einen träumerischen Ausdruck an:<br />
„Schon in der Bibel heißt es, dass einst im neuen<br />
Jerusalem Menschen aller Sprachen und Herkünfte<br />
friedlich zusammenleben werden.“<br />
Das funktioniert auch im Viertel nicht immer.<br />
Neben Bernd Klingbeil-Jahr hängt das Plakat der<br />
Theatervorstellung der „10 Gebote“, die 2003 in der<br />
Friedensgemeinde stattfand. Damals demonstrierten<br />
Menschen vor der Kirche gegen das Stück über<br />
einen dunkelhäutigen Flüchtling, der in Deutschland<br />
Schutz sucht. Die Aufführung fand unter<br />
Polizeischutz statt, wie auch die im vergangenen<br />
November aufgeführte „Messe für den Frieden“<br />
mit einem Muezzin.<br />
Vorher bekam der Pastor rund hundert Droh-<br />
Mails.<br />
* Name von der Redaktion geändert.<br />
Text: Eva Przybyla<br />
Fotos: Hartmuth Bendig<br />
In den vergangenen zwei Jahren wurden 200 Iranerinnen und Iraner in der Friedensgemeinde getauft. Zur Vorbereitung<br />
besuchten sie den Bibelkreis der Friedensgemeinde, der Bibelausgaben in Farsi bereitstellt.
26 | ORTSTERMIN<br />
Hauptsache<br />
Werder<br />
Auch für Fußball ist in der Friedensgemeinde<br />
Platz. Ob die Zuschauer sich auch für Gott<br />
interessieren, ist nicht so wichtig<br />
Wenn Werder spielt, riecht der Saal der Friedensgemeinde nach Knoblauch und<br />
Frikadellen. Bier gibt es auch, getrunken wird es aber meist alkoholfrei.<br />
26. November 2016, Tag des Nord-Derbys in der<br />
Fußball-Bundesliga der Männer: Werder Bremen<br />
gegen den Hamburger Sportverein. Der Saal der<br />
Friedensgemeinde ist gesteckt voll. Mit seiner Sauberkeit<br />
und der mit Wohnzimmerstrahlern durchsetzten<br />
Decke erinnert er an die Unschuld einer<br />
Schulaula. Zwei Leinwände haben sie aufgestellt,<br />
dazu Beamer, es riecht nach Knoblauch und den<br />
Frikadellen, die es am Eingang mit Senf zu kaufen<br />
gibt. 500 Menschen kommen wohl zu jedem Werderspiel<br />
hierher.<br />
Es könnte ein gewöhnliches Public-Viewing zu<br />
WM- oder EM-Zeiten sein. Doch etwas ist anders.<br />
In den Stuhlreihen sitzen allerlei Familien zusam-<br />
men, neben Freundesgruppen alter Männer, die<br />
artig auf die Leinwand schauen. Alkohol fließt hier<br />
kaum: In den Kühlschränken des „Café Pax”, dem<br />
Herzstück des Gemeindezentrums in der Humboldtstraße,<br />
liegt zwar das eine oder andere Beck’s,<br />
daneben gibt es aber auch gleich drei alkoholfreie<br />
Biere. Auch gepöbelt wird eher leise – so, dass nur<br />
der Sitznachbar es hört. Erst gegen Ende der Partie,<br />
als Werder nur noch defensiv spielt, um das<br />
Unentschieden über die Zeit zu retten, wird das<br />
Murren lauter.<br />
Auf einer Skala von eins (eigentlich HSV-Fan)<br />
bis zehn (Werder-Ultra) ordnen sich die befragten<br />
Gäste bei 7 bis 8 ein. In eine konventionelle<br />
Fan-Kneipe im Umkreis wollen sie trotzdem nicht.<br />
„Ich finde es einfach schöner ohne Alkohol“, sagt<br />
eine Pensionistin. Fast alle sind regelmäßig hier, in<br />
den Gottesdienst gehen sie aber nicht. „Das macht<br />
nichts“, sagt Pastor Bernd Klingbeil-Jahr dazu, der<br />
nach dem Spiel eine Zigarette im grünen Innenhof<br />
raucht. Kinder und Jugendliche schauen neugierig<br />
zu ihm herüber. Die Friedensgemeinde will ein<br />
entspannter Treffpunkt für Menschen jeden Alters<br />
und egal welcher Herkunft sein, ganz ohne prätentiöses<br />
Multikulti oder aufgesetzte Herzlichkeit.<br />
„Hier wird nicht missioniert“, sagt Klingbeil-Jahr.<br />
Gerade deshalb wird sein Traum vom goldenen Jerusalem<br />
hier vielleicht ein Stück weit wahr.<br />
Eva Przybyla studiert Komplexes Entscheiden<br />
an der Universität Bremen und<br />
ist Atheistin.<br />
Hartmuth Bendig war 40 Jahre lang Sozialarbeiter<br />
in Bremen. In der Friedensgemeinde<br />
probt er seit rund 20 Jahren mit<br />
der Bremer Chorwerkstatt.
Warum wir teurer werden<br />
Die Zeitschrift der Straße kostet jetzt 50 Cent mehr.<br />
Das hilft den VerkäuferInnen auf der Straße – und schafft<br />
einen neuen Arbeitsplatz<br />
Text: Michael Vogel<br />
sechs Jahren! Ihre Aufgabe ist es unter anderem,<br />
VerkäuferInnen an ihren Standorten aufzusuchen,<br />
dort auch mit LadeninhaberInnen zu sprechen,<br />
Konflikte zu lösen und für ein gutes Miteinander<br />
zu sorgen. Petra Kettler verstärkt außerdem das<br />
16-köpfige, bisher rein ehrenamtliche Vertriebsteam,<br />
das Tag für Tag das Büro am Laufen hält,<br />
Hefte ausgibt, Geld einsammelt, Abrechnungen erstellt<br />
und für die VerkäuferInnen immer warmen<br />
Kaffee und ein offenes Ohr bereithält.<br />
Abschließend haben wir noch eine kleine Bitte<br />
an Sie: Die Preiserhöhung hat manche unserer<br />
VerkäuferInnen sehr verunsichert. Sie befürchten<br />
nämlich, nun weniger Hefte zu verkaufen als<br />
bisher - und auch den Verlust von Trinkgeld. Das<br />
Leben hat vielen von ihnen allen Grund gegeben,<br />
misstrauisch und verunsichert zu sein. Zeigen Sie<br />
ihnen deshalb jetzt umso deutlicher Ihre Solidarität,<br />
indem Sie die Zeitschrift der Straße regelmäßig<br />
kaufen.<br />
Sie haben es gemerkt: Die Zeitschrift der Straße<br />
ist 50 Cent teurer geworden. Seit Bremens Straßenmagazin<br />
vor genau sechs Jahren erstmals<br />
erschien, ist dies die erste Preiserhöhung. In der<br />
Zwischenzeit ist vieles teurer geworden: Heute<br />
kriegen Sie für 2,50 Euro einen großen Kaffee bei<br />
McDonald’s oder ein Beck’s in der Kneipe an der<br />
Ecke. Das Einzelticket für Bus oder Straßenbahn<br />
kostet mit 2,75 Euro mittlerweile schon mehr als<br />
die Zeitschrift der Straße. Für ein Micky-Maus-Heft<br />
zahlen Sie 3,50 Euro und für ein Päckchen Zigaretten<br />
im Schnitt 5,80 Euro.<br />
Der Grund für den höheren Preis der Zeitschrift<br />
der Straße sind aber nicht etwa höhere Redaktions-,<br />
Papier-, Druck- oder Lagerkosten, denn die sind,<br />
pro Heft gerechnet, sogar leicht gefallen – weil die<br />
verkaufte Auflage gestiegen ist. Und Verwaltungskosten<br />
haben wir ohnehin fast keine.<br />
Vielmehr haben wir den Preis erhöht, um der<br />
sozialen Mission der Zeitschrift der Straße besser<br />
gerecht zu werden. Vom neuen Verkaufspreis von<br />
2,50 Euro bekommen die VerkäuferInnen künftig<br />
1,30 Euro, also 20 Cent mehr als bisher. Damit<br />
möchten wir den Straßenverkauf ein bisschen<br />
lohnender machen, der eine mühsame, körperlich<br />
anstrengende und oft frustrierende Arbeit ist. Die<br />
Betonung liegt auf Arbeit. Das ist uns wichtig. Um<br />
auf den neuen gesetzlichen Mindeststundenlohn<br />
von 8,84 Euro zu kommen, müssen die StraßenverkäuferInnen<br />
durch die Preiserhöhung künftig<br />
nicht mehr acht, sondern weniger als sieben Hefte<br />
pro Stunde verkaufen. Realistisch ist das für die<br />
meisten noch immer nicht, denn das entspricht<br />
einem verkauften Heft alle neun Minuten. Doch<br />
mit dem Trinkgeld, das viele Menschen den VerkäuferInnen<br />
zusätzlich in die Hand drücken,<br />
können sie sich dem gesetzlichen Mindestlohn zumindest<br />
nähern.<br />
Die übrigen 30 Cent aus der Preiserhöhung<br />
verwenden wir zur Finanzierung einer halben<br />
Stelle, mit der wir die Betreuung unserer rund 80<br />
VerkäuferInnen auf der Straße verbessern wollen.<br />
Wenn auch weiterhin mindestens 75.000 Hefte im<br />
Jahr verkauft werden, dann reichen die zusätzlichen<br />
Einnahmen von 22.500 Euro knapp aus, um<br />
daraus die halbe Stelle zu bezahlen.<br />
Im Vertrauen darauf, dass Ihnen die Zeitschrift<br />
der Straße auch 2,50 Euro wert ist, worin uns eine<br />
Umfrage unter den LeserInnen im letzten Sommer<br />
bestärkt hat, haben wir die halbe Stelle bereits<br />
zum 1. Januar besetzt. Petra Kettler ist nun die<br />
erste Angestellte der Zeitschrift der Straße – nach<br />
2,- Euro<br />
Alter<br />
Verkaufspreis<br />
+0,20 Euro<br />
Zusätzlicher Erlös für<br />
StraßenverkäuferInnen<br />
+0,30 Euro<br />
Finanzierung der neuen<br />
VerkäuferInnenbetreuung<br />
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Leitung: Philipp Jarke, Jan Zier<br />
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Hartmuth Bendig, Jasmin Bojahr, M. Haertel,<br />
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Bildredaktion: Jan Zier<br />
Anneke Geller, Janine Hamann,<br />
Pia Homann, Birte Strauss<br />
Leitung: Prof. Dr. Wolfgang Lukas<br />
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Naumann, Hauke Redemann, Michael Risch,<br />
Eva-Maria Schade, Sonja Schnurre, Eva<br />
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Dorothea Teckemeyer, Diethard von Wehren,<br />
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Koordination: Petra Kettler<br />
Leitung: Rüdiger Mantei, Reinhard „Cäsar“ Spöring<br />
vertrieb@zeitschrift-der-strasse.de<br />
Bertold Reetz, Prof. Dr. Dr. Michael Vogel<br />
Gestaltung Fabian Horst, Janina Freistedt<br />
Ottavo Oblimar, Glen Swart<br />
Lektorat Textgärtnerei, Am Dobben 51, 28203 Bremen<br />
V. i. S. d. P. Philipp Jarke & Jan Zier / Anzeigen: Michael Vogel<br />
Druck<br />
BerlinDruck GmbH + Co KG, Achim<br />
Papier<br />
Circleoffset White,<br />
ausgezeichnet mit dem Blauen<br />
Umweltengel und dem EU-Ecolabel<br />
Erscheint zehnmal jährlich<br />
Auflage 8.000<br />
Gerichtsstand<br />
& Erfüllungsort Bremen<br />
ISSN 2192-7324<br />
Mitglied im International Network of Street Papers (INSP).<br />
Gefördert durch den Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft.<br />
Die Redaktion übernimmt keine Haftung für unverlangt eingesandte<br />
Manuskripte, Fotos und Illustrationen. Die Zeitschrift der Straße und<br />
alle in ihr enthaltenen Beiträge sind urheberrechtlich geschützt. Mit<br />
Ausnahme der gesetzlich zugelassenen Fälle ist eine Verwertung ohne<br />
Einwilligung des Verlages strafbar. Alle Anbieter von Beiträgen, Fotos<br />
und Illustrationen stimmen der Nutzung in den Ausgaben der<br />
Zeitschrift der Straße im Internet, auf DVD sowie in Datenbanken zu.<br />
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Wir gehen im<br />
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und treffen neue<br />
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