Leosˇ Janáč ek (um 1924)
10 des byzantinischen Kaisers im 9. Jahrhundert nach Mähren kamen, um sich in dieser Region der Pflege des Kirchengesetzes und der slawischen Sprache zu widmen. Um das Slawische notieren zu können, entwickelten sie eine spezielle, vom griechischen Alphabet abgeleitete Schrift, die sogenannte „Glagoliza“. Der Begriff „glagolitisch“ bezieht sich also strenggenommen auf diese altslawische Schrift, nicht auf den altslawischen Text. Dass Janáč ek seinem Werk den Titel „Glagolská msˇe“ gegeben hat, wird in der Literatur meist als Nachlässigkeit des Komponisten gedeutet. Jüngere Forschungen ergaben jedoch, dass man zu Beginn des 20. Jahrhunderts unter „glagolitisch“ auch den Kulturraum verstand, in dem der slawische Messtext verbreitet war. Immerhin gab es zu jener Zeit eine Reihe von slawischen Komponisten, die ihre Messvertonungen mit dem Zusatz „glagolitisch“ versehen haben. Patriotisches Werk Der altslawische Text entsprach so ganz Janáč eks nationaler Gesinnung. Wie er in einem Interview darlegte, ist seine Messe ein patriotisches, kein religiöses Bekenntnis. Eine Hommage an die noch junge tschechische Republik, die 1918 gegründet worden war: „Ich wollte hier den Glauben an die Gewissheit der Nation nicht auf religiöser, sondern auf der sittlichen, felsenfesten Grundlage festhalten, die Gott zum Zeugen anruft.“ Keine andere Sichtweise lässt er gelten. Die Bemerkung eines Brünner Kritikers, das Werk zeuge von dem festen Glauben eines alten Mannes, ärgerte Janáč ek so sehr, dass er dem Autor kurz und bündig erwiderte: „Weder Greis, noch gläubig“. Bruch mit der Tradition Bewusst verzichtet Janáč ek auf alles, was bislang typisch für geistliche Kompositionen war: fugierte und imitatorische Stimmfüh- WWW.MPHIL.DE rung, tonmalerische Wortausdeutung und ausschweifende Melismatik. Auch wenn er sich von musikalischen Traditionen abwendet, um etwas ganz Eigenes, Ursprüngliches zu schaffen, so trägt er doch den liturgischen Gegebenheiten Rechnung. So will es die slawische Überlieferung, dass die Messe mit einer fanfarenartigen Intrada beginnt und schließt, und auch das Orgelsolo nach dem „Agnus Dei“ entspringt der gottesdienstlichen Praxis. Neben dem Chor und den Vokalsolisten, deren Stimmen ganz syllabisch aus dem Sprachduktus entwickelt sind, kommt dem Orchester als Träger der musikalischen Stimmung eine große Bedeutung zu. Motiv als Keimzelle Charakteristisch für Janáč eks ausgereiften Stil ist, dass er mit kleinteiligen Motiven arbeitet. Diese Motive verwendet er auf mehreren Ebenen. Sie bestimmen die melodische Gestalt der Themen, gleichzeitig werden sie rhythmisch variiert und verändert als ostinate Begleitfiguren eingesetzt. Kurz, prägnant und straff organisiert – dadurch erhält seine Musik eine ungeheure dramatische Schlagkraft. Die einzelnen Motive sind in ihren Intervallstrukturen miteinander verwandt, und doch bildet jedes für sich ein eigenständiges Element. Bereits in der Einleitung setzt Janáč ek diese Technik wirkungsvoll ein. Aus den markanten Fanfarenrufen der Hörner und Trompeten, die diesen Satz eröffnen, leitet er die lebhaften, ostinaten Achtelfiguren der Streicher ab, die den klanglichen Teppich der Introduktion bilden. Das Fanfarenthema ist übrigens eine Reminiszenz an Smetanas Oper „Libusˇe“ und an seine eigene „Sinfonietta“, die Janáč ek kurz vor der Messe komponiert hat. Jener eben beschriebene Kompositionsstil zieht sich durch alle Sätze, angefangen vom „Kyrie“ und „Gloria“ über das „Credo“, „Sanctus“ und „Agnus Dei“ bis hin zu dem abschließenden Orgelsolo und der Intrada.