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Berlin-Brandenburgisches Handwerk 5 I <strong>2017</strong> Betriebinformation I 15<br />
Was macht eigentlich ein Thermometermacher?<br />
Wo liegen die<br />
Marktnischen im Orgelbauerhandwerk<br />
und warum müssen Metallgestalter<br />
auch Entdecker sein? Allen gemein<br />
ist: Sie gehören zu den sogenannten<br />
seltenen Handwerken mit ganz eigenen<br />
Attributen: Sie sind oft Einzelkämpfer<br />
oder Kleinunternehmer mit wenigen<br />
Angestellten. Sie bringen ein hohes Maß<br />
an Leidenschaft für ihren Beruf mit. Und:<br />
Die Qualität ihrer Arbeit kann durch<br />
keine Maschine ersetzt werden.<br />
Einer von ihnen ist der gelernte Orgelbauer<br />
Andreas Hermert. Ein Tafelklavier<br />
aus dem Jahr 1855 steht gerade in der<br />
Friedenauer Werkstatt und wird von ihm<br />
in geduldiger Feinarbeit langsam wieder<br />
zu dem gemacht, was es einmal war.<br />
Hermert bessert gerade die Gewinde der<br />
Beine aus, die herausgebrochen sind.<br />
„Der Fuß des Tafelklaviers kann nicht auf<br />
der Drechselbank eingespannt werden,<br />
weil er nach 150 bis 170 Jahren natürlich<br />
nicht mehr ganz gerade ist und sich<br />
daher nicht mehr zentrisch dreht“, erklärt<br />
der 54-Jährige. Also muss das Gewinde<br />
per Hand nachgeschnitzt werden.<br />
Auch ein Cembalo, das er selbst vor 13<br />
Jahren für einen Sammler mit der größten<br />
Cembalo-Sammlung der Welt gebaut<br />
hat, muss fachmännisch repariert werden.<br />
Es hat in den vergangenen Jahren<br />
in einem Zimmer mit Fußbodenheizung<br />
gestanden. Dadurch haben sich Risse im<br />
Holz gebildet. Andreas Hermert schließt<br />
die Risse gerade mit Haut- und Knochenleim.<br />
„Bei den Schäden handelt es sich<br />
nur um einfache Trockenschäden, die<br />
kann ich reparieren, und das Instrument<br />
hört sich danach immer noch gut an.“<br />
Clavichorde, Cembali, Virginale,<br />
Spinette – und Terpodien<br />
Hermert restauriert, repariert, reinigt<br />
und stimmt nicht nur die historischen<br />
Instrumente, sondern er baut sie auch:<br />
Cembali, Spinette, Virginale und Clavichorde<br />
– alles Unikate. „Kein Instrument<br />
baue ich zweimal, jedes ist individuell,<br />
entweder der Nachbau eines historischen<br />
Instruments oder der Bau nach eigenen<br />
geeignetes Massivholz auf dem Sperrmüll<br />
findet. „Wenn das Holz einer alten<br />
Küche oder eines anderen Möbelstücks<br />
60 bis 70 Jahre alt ist, dann ist es schon<br />
gut abgelagert und trocken und daher<br />
auch hervorragend für Restaurierungen<br />
und Reparaturen bei Musikinstrumenten<br />
geeignet“, sagt der Spezialist. Neben<br />
dem Holz benötigt Hermert für seine<br />
Arbeit auch Federn, Schweinsborsten<br />
und Ziegenhaut-Pergament. Die Federn<br />
und Schweinsborsten verwendet er<br />
für die Mechanik eines Cembalos, das<br />
Ziegenhaut-Pergament braucht er für alle<br />
Instrumente. Daraus macht er Verzierungen<br />
wie Rosetten in den Schalllöchern.<br />
Bei der Restaurierung zieht Andreas<br />
Hermert noch weitere Fachleute hinzu.<br />
Eine Möbelrestauratorin, die bei ihm<br />
mit in der Werkstatt arbeitet, macht die<br />
Schellackpolitur. Eine frühere Kollegin<br />
hat einen Teil der Mechanik restauriert.<br />
Sie wird später, wenn alles wieder<br />
zusammengebaut ist, die Mechanik<br />
einrichten. Dann sind auch die Klavier-<br />
Hämmerchen wieder zurück aus der<br />
Pariser Spezialfirma, wo die Filze erneuert<br />
werden. „Diese Firma kennt sich mit der<br />
Verarbeitung von Filzen aus, wie man es<br />
im 19. Jahrhundert bei den Hammerklavieren<br />
gemacht hat“, sagt Hermert. Dafür<br />
lohne sich die Mühe, alles fachgerecht<br />
zu verpacken und den weiten Weg nach<br />
Paris zu schicken.<br />
Anlässlich der Europäischen Tage des Kunsthandwerks im April öffnete Andreas Hermert seine<br />
Werkstatt und begeisterte Besucher mit Vorführungen. <br />
Foto: Sarkandy<br />
Entwürfen.“ Im vergangenen Jahr hat<br />
Hermert fünf Clavichorde gebaut. An<br />
jedem sitzt er 150 bis 320 Stunden.<br />
Das eine Mal handelte es sich um den<br />
Nachbau eines Originals, das andere<br />
Mal um die Realisierung von speziellen<br />
Kundenwünschen: bei der Holzart, dem<br />
Profil oder der Anzahl der Oktaven.<br />
Das Holz, das er für die Restaurierung<br />
und den Bau der Instrumente benötigt,<br />
nimmt er grundsätzlich aus seinem<br />
eigenen Holzlager. Dann weiß er<br />
wenigstens, dass das Holz ausreichend<br />
abgelagert und damit trocken genug für<br />
die Musikinstrumente ist. Je jünger das<br />
Holz ist, desto größer ist die Gefahr, dass<br />
es sich noch verzieht. Für ein Musikinstrument<br />
wäre das eine Katastrophe.<br />
Es kann sogar passieren, dass Hermert<br />
Stimmwirbel und Scharniere aus Messing<br />
oder Eisen fertigt er ebenfalls selbst an.<br />
Es gibt nicht viele Clavichordbauer in<br />
Deutschland – und schon gar nicht in<br />
Berlin. Sechs Orgel- und Harmoniumbau-<br />
Betriebe ergibt die Suche in der Handwerksrolle.<br />
Auch wenn Andreas Hermert<br />
vor über dreißig Jahren seine Lehre zum<br />
Orgelbauer als Geselle abgeschlossen hat<br />
und in den Jahren danach viele Orgeln<br />
restauriert, gereinigt und gestimmt hat,<br />
ist er heute kein klassischer Orgelbauer<br />
mehr, sondern mittlerweile ein international<br />
anerkannter Spezialist für Clavichorde.<br />
Seine Kunden sind Berufsmusiker,<br />
Museen und Liebhaber. Clavichordbauer<br />
Fortsetzung auf Seite 16