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APRIL 2017<br />
<strong>HABER</strong><br />
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INTEGRATION / SPRACHE - 9<br />
© Nurith_Wagner-Strauss<br />
Mehrsprachigkeit ist ein Mehrwert – und kein Grund für Scham<br />
Eltern müssen zu ihrer Zweisprachigkeit stehen, egal wie<br />
der öffentliche Diskurs gerade gepolt ist<br />
Mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung<br />
ist mehrsprachig. Das heißt, im<br />
Alltag und im Berufsleben wird mehr<br />
als eine Sprache verwendet. Wie die<br />
jeweiligen Nationen mit ihrer Mehrsprachigkeit<br />
umgehen, ist jedoch<br />
sehr unterschiedlich.<br />
Ein mächtiges Instrument<br />
Sprache prägt Persönlichkeit und<br />
Entwicklung eines Kindes ab dem<br />
Moment, an dem es hören kann.<br />
Sprache hat auch eine tiefe kulturelle<br />
Dimension – sie vermittelt<br />
Werte, Traditionen und Wahrnehmungen<br />
für die Codes der Gesellschaft,<br />
in der man sozialisiert wird.<br />
Sprache formt die Identität. Sie kann<br />
in positiver wie auch in negativer<br />
Weise genutzt werden, um Interessen<br />
durchzusetzen. Seit der Französischen<br />
Revolution herrscht in<br />
Europa die Idee "Eine Nation – eine<br />
Sprache". Die Bevölkerung soll eine<br />
homogene, nationale Identität entwickeln.<br />
Dies hat allerdings nie<br />
der Realität entsprochen. Erst die<br />
Europäische Union versucht, einen<br />
Sinneswandel herbeizuführen.<br />
Ringen um Anerkennung<br />
Regionale Minderheitensprachen<br />
haben es generell schwer, neben<br />
einer großen, anerkannten Sprachgruppe<br />
gesellschaftliche Akzeptanz<br />
zu erlangen. Weltweit tragen nur<br />
wenige Länder ihrer autochthonen<br />
Mehrsprachigkeit Rechnung. Ein absolutes<br />
Vorzeigeland ist Bolivien, das<br />
seit 2009 neben Spanisch noch<br />
weitere 36 indigene Sprachen als<br />
Amtssprachen führt. Länder wie<br />
Österreich ringen sich bis zu einer regionalen<br />
Anerkennung der Minderheitensprachen<br />
durch. Wobei die<br />
Streitfrage, ob Slowenisch in der<br />
Kärntner Landesverfassung vorkommen<br />
soll oder nicht – die Kärntner<br />
ÖVP wollte jüngst die Erwähnung<br />
dieser autochthonen Gruppe verhindern<br />
–, zeigt, wie schwer es für<br />
kleine Sprachgruppen ist, ihr kulturelles<br />
und sprachliches Gut zu<br />
bewahren. Obwohl die Europäische<br />
Union auf die Anerkennung und Förderung<br />
der Mehrsprachigkeit pocht,<br />
haben sich Mitglieder wie Griechenland<br />
nicht dazu durchgerungen, die<br />
Kommende Termine für Eltern:<br />
Ich erziehe mein Kind mehrsprachig - wie es mir gelingt: Samstag, 27.05.2017, 10.00 - 14.00 Uhr<br />
Mehrsprachige Erziehung von Geburt an: Freitag, 23.06.2017, 10.00 - 14.00 Uhr<br />
Musiktheater-Produktion: LIEBE HOCH 16<br />
mit türkischen und österreichischen Künstlern<br />
Die türkische Rapperin Esra Özmen<br />
und mehrere andere türkische Künstler<br />
wirken gemeinsam mit österreichischen<br />
Künstlern bei der Musiktheater-Produktion<br />
LIEBE HOCH 16<br />
mit, die im Rahmen des WIR SIND<br />
WIEN.FESTIVALS 2017 am 7. Juni im<br />
Hof vom Museumsquartier Premiere<br />
haben wird.<br />
Eine Voraufführung findet am 2. Juni<br />
am Volkertmarkt statt, weitere Vorstellungen<br />
gibt es am Columbusplatz,<br />
Yppenplatz, Wallensteinplatz und am<br />
Floridsdorfer Markt.<br />
Die türkisch-österreichische Lovestory<br />
LIEBE HOCH 16 spielt am Brunnenmarkt<br />
in Ottakring. Die Lyrics kommen<br />
von Austropop-Legende Wilfried, die<br />
Story und Dialoge von Shooting Star<br />
Ibrahim Amir, die Raps von Esra<br />
Özmen. Und die Musik komponiert<br />
„5/8erl in Ehr´n“-Soundmagier Clemens<br />
Wenger, der auch in der Band<br />
mitspielt.<br />
Und das andere „5/8erl in Ehr´n“-Mitglied,<br />
Robert Slivovsky, steht als Kommissar<br />
Pospischil auf der Bühne und<br />
passt auf, dass die türkisch-österreichische<br />
Liaison zwischen den Liebenden<br />
aus zwei verfeindeten Fleischhauer-Familien<br />
nicht wie bei Shakespeare, sondern<br />
mit einem Happy End ausklingt.<br />
Esra Özmen und eine authentische Besetzung<br />
bei der türkischen wie auch<br />
bei der österreichischen Fleischhauer-<br />
Familie sollen auch eine ungewöhnliche<br />
Publikumsliaison befördern:<br />
Junge und alte Fans des Austropop,<br />
von Mag. Zwetelina Ortega<br />
Sprachen ihrer Minderheiten anzuerkennen.<br />
Und auch die Ablehnung<br />
des Slowenischen in Kärnten spricht<br />
nicht für einen europäischen, versöhnlichen<br />
Geist, der Vielfalt gutheißt,<br />
geschweige denn fördert.<br />
Zur Sprache stehen<br />
Vermittelt die Mehrheitsgesellschaft<br />
das Motto "Mehr Wert ist, was wir<br />
sprechen, und weniger, was ihr<br />
sprecht", wird eine Sprache systematisch<br />
und gesellschaftlich unterdrückt,<br />
lehnen die Mitglieder einer<br />
Volksgruppe nicht selten ihre eigene<br />
Sprache ab. Die Sprache wird als Hindernis<br />
im sozialen Aufstieg gesehen.<br />
Die damit verbundenen Assoziationen<br />
sind "regional, veraltet, unattraktiv,<br />
beschämend". Vor allem<br />
junge Menschen kehren den regionalen<br />
Sprachen den Rücken zu. In<br />
der burgenländisch-kroatischen Kindergruppe,<br />
die ich betreue, beobachte<br />
ich, wie widersprüchlich die<br />
Eltern mit ihrer Zweisprachigkeit umgehen.<br />
Sie sprechen oft nur Deutsch<br />
mit ihren Kindern und hoffen, dass<br />
diese Burgenländisch-Kroatisch in<br />
der bilingualen Kindergruppe<br />
lernen. Was Eltern damit jedoch<br />
signalisieren, ist, nicht zu<br />
100 Prozent zu dieser Sprache<br />
zu stehen.<br />
Muttersprachen und<br />
ihr Image<br />
Wie steht es um die Muttersprachen,<br />
die durch Migration<br />
nach Österreich gelangt sind?<br />
Wie ist ihr Image? Es gibt viele<br />
Aspekte, die Ressentiments<br />
schüren. Eine entscheidende<br />
Rolle spielt der Status der<br />
Sprecher. Um mit Robert Walser<br />
zu sprechen: "Money rules<br />
the world." Ist die Gruppe<br />
der Sprecher wirtschaftlich<br />
stark, hat ihre Sprache gesellschaftlich<br />
hohe Anerkennung.<br />
Übt die Sprechergruppe<br />
jedoch niederqualifizierte<br />
und schlecht<br />
bezahlte Jobs aus, ist sie<br />
wirtschaftlich schwach, so<br />
hat ihre Sprache ein<br />
schlechtes Image in der Gesellschaft.<br />
Diese Situation<br />
ist in allen Einwanderungsgesellschaften<br />
ähnlich, die<br />
Sprachen sind auswechselbar.<br />
Das muss aber nicht so<br />
sein. Auch hier wäre eine<br />
gezielte Migrations- und<br />
Sprachenpolitik gefragt, die<br />
dieser Entwicklung entgegensteuert.<br />
In Österreich<br />
hat sich in den vergangenen<br />
zwei Jahrzehnten einiges<br />
getan. Muttersprachenunterricht<br />
ist seit 1992 Teil des<br />
österreichischen Schulwesens.<br />
Es gibt Projekte, die<br />
sich um die gesellschaftliche<br />
Eingliederung der neu zugewanderten<br />
Menschen bemühen,<br />
zum Beispiel "Start<br />
Wien" seit 2008. Trotzdem<br />
haben sich festgefahrene<br />
Bilder und Sichtweisen nicht<br />
aufgelöst. In meinen Workshops erzählen<br />
Eltern oft, wie unwohl sie sich<br />
fühlen, in der Öffentlichkeit mit<br />
ihren Kindern in ihrer nichtdeutschen<br />
Muttersprache zu sprechen.<br />
Manchmal geht es sogar so weit,<br />
dass sie nur in den eigenen vier Wänden<br />
mit dem Kind in ihrer Muttersprache<br />
sprechen und "draußen"<br />
auf Deutsch. Aber was verdeutlichen<br />
Eltern damit ihrem Kind? Genau<br />
die gleiche Scham, die ihnen die<br />
Mehrheitsgesellschaft aufzwingt.<br />
Unzuverlässige Politik<br />
Ich rate Eltern, die Beziehung zur<br />
eigenen Sprache zu reflektieren.<br />
Woher kommt die Scham, und<br />
womit oder mit wem hat sie zu tun?<br />
des Wiener Blues, der türkischen Rapper-Szene,<br />
der Operette, des Musicals,<br />
türkischer Traditions- und Schlagermusik<br />
werden sich in ihrer Welt - eben<br />
auf einem Wiener Platz - wiederfinden<br />
und ihren HeldInnen auf der Bühne zujubeln.<br />
Mit einem Wort: Möge wirklich<br />
GANZ Wien im Publikum vertreten<br />
sein, egal ob mit, ohne Migrationsoder<br />
sonst irgendeinem Hintergrund!<br />
Termine Sommer 2017:<br />
• 02. Juni 2017, Volkertmarkt Voraufführung<br />
• 07. Juni 2017, Museumsquartier /<br />
Hof Premiere<br />
• 10. Juni 2017, Columbusplatz<br />
• 16. Juni 2017, Yppenplatz<br />
• 20. Juni 2017, Wallensteinplatz<br />
• 21. Juni 2017, Floridsdorfer Markt<br />
Zur Autorin:<br />
Mag. Zwetelina Ortega ist Sprachwissenschaftlerin, Autorin<br />
und Expertin für Mehrsprachigkeit. Sie ist Gründerin des<br />
Beratungszentrums Linguamulti - mehrsprachige Erziehung<br />
und kreative Sprachförderung (www.linguamulti.at).<br />
Dort bietet sie individuelle Beratung und Workshops für<br />
mehrsprachige Erziehung an und arbeitet mit Eltern,<br />
PädagogInnen und Kindern. Ortega ist mit Bulgarisch,<br />
Spanisch und Deutsch aufgewachsen. In diesen drei<br />
Sprachen verfasst sie auch ihre literarischen Texte. 2012<br />
erschien der Gedichtband "Aз und tú" (Edition Yara).<br />
Sie war Dozentin an der Universität Wien und leitet unter<br />
anderem Fortbildungen an der Pädagogischen Hochschule<br />
Wien, dem Landesinstitut für Schule in Bremen etc.<br />
Kontakt: z.ortega@linguamulti.at oder +436769669775<br />
So kann man sie am ehesten<br />
überwinden, denn wenn das Kind<br />
die Familiensprache erben soll,<br />
braucht es die Rückendeckung der<br />
Eltern, um den Gegenwind der<br />
Gesellschaft zu überstehen. Und<br />
den wird es leider früh genug<br />
spüren. Um den sprachlichen und<br />
kulturellen Reichtum, der ihm zusteht,<br />
zu erlangen, braucht es die<br />
elterliche Konsequenz, tagtäglich<br />
den Alltag in einer weiteren Sprache<br />
zu bewältigen, und vor allem, dass<br />
die Familie zu ihrer Zweisprachigkeit<br />
steht, egal wie der öffentliche<br />
Diskurs gerade gepolt ist, denn<br />
auf die Sprachenpolitik ist dabei<br />
wirklich kein Verlass.<br />
Ursprünglich erschienen am 21.02.2017, www.derstandard.at<br />
Beratungszentrum Linguamulti - mehrsprachige Erziehung und kreative Sprachförderung,<br />
Beratung und Workshops für mehrsprachige Erziehung<br />
Therapiezentrum Gersthof, Klostergasse 31-33, 1180 Wien<br />
Kontakt: z.ortega@linguamulti.at oder +436769669775, www.linguamulti.at<br />
© Magdalena Possert