STIMMEN 2017 Programmheft
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Interview mit Blick Bassy<br />
Und die Arrangements sind sehr intim geblieben.<br />
Bassy: Das stimmt. Mir kam es auf Folgendes an: Wir leben<br />
in einer Zeit, in der wahnsinnig viel Informationen in Endlosschleife<br />
um uns herumschwirren, Internet, die Timeline<br />
auf Facebook, auf Twitter. Ich traf die Entscheidung,<br />
dass ich nun Musik mit sehr wenig Information machen<br />
will, meine Stimme und ihre Emotionen sollen im Vordergrund<br />
stehen, die Geschichten, die ich erzähle. Denn alle<br />
Themen in diesen Liedern kreisen ja um die Überlieferung,<br />
mündliche Weitergabe. Ich singe in Bassa, eine Sprache,<br />
die nicht viele Menschen verstehen, also muss ich auf<br />
Elemente zurückgreifen, die diese Emotionen transportieren<br />
können. Es hat sich herausgestellt, dass das Cello<br />
und die Posaune das gut können, als ich sie dann einmal<br />
ausgewählt hatte. Ich wollte auch, dass mich diese<br />
Klangfarben ein wenig in die Vergangenheit<br />
von Skip James zurückführen.<br />
Blues mit Cello und Posaune ist ja<br />
nicht gerade alltäglich ...<br />
Bassy: Der Blues steckt ja auch<br />
eher in den Geschichten, nicht in<br />
der Zusammenstellung der Instrumente.<br />
Es sollten Chansons<br />
werden und keine Bluestitel. Die<br />
Chansons haben mich auf die<br />
Spur der Instrumente gebracht.<br />
In einem Stück zum Beispiel dachte<br />
ich an einen Zug, der losfährt und<br />
vorher seufzt, in einem anderen an eine<br />
Rinderherde, die sich langsam fortbewegt,<br />
ein ganz ähnliches Geräusch wie die Züge.<br />
Deshalb habe ich dann auch die Posaune dazu geholt.<br />
Der Blues sollte nur in den Empfindungen, den Melodien<br />
wohnen.<br />
Würden Sie Bassa als eine Sprache bezeichnen, der die<br />
Musik schon innewohnt?<br />
»Ich traf die<br />
Entscheidung,<br />
dass ich nun<br />
Musik mit sehr<br />
wenig Information<br />
machen will«<br />
Bassy: Ich glaube, dass jede Sprache musikalisch werden kann,<br />
das hängt davon ab, wie man sie behandelt. Vor 15, 20 Jahren<br />
haben noch alle kamerunischen Künstler auf Douala gesungen,<br />
auch die aus anderen Ethnien, denn sie dachten, ihre eigenen<br />
Sprachen seien nicht musikalisch. Doch mit meiner ersten<br />
Band haben wir das Tabu gebrochen, jeder Sänger hat in seiner<br />
Muttersprache etwas zum Repertoire beigetragen.<br />
39<br />
Sie singen mit einem sehr hohen Falsett. Haben Sie<br />
dafür eine spezielle Technik entwickelt?<br />
Bassy: Nein, aber ich trainiere meine Stimme mindestens<br />
zwei Stunden pro Tag. Die Stimme ist ein Instrument,<br />
und jeder Musiker weiß, dass man täglich auf seinem Instrument<br />
üben muss. Was erschwerend hinzukommt, ist,<br />
die Stimme ist Teil unseres Körpers und wird beeinflusst<br />
durch unsere Laune, unsere Erschöpfung, unseren körperlichen<br />
Zustand.<br />
Eines Ihrer schönsten Lieder trägt den lustigen Titel<br />
„Kiki“, ist das ein Kinderlied?<br />
Bassy: Es erinnert mich an die Lieder aus meinem Dorf,<br />
an einen alten Mann, der durch unsere Region zog<br />
und zur Gitarre sang. Der hatte Melodien, die<br />
ein bisschen so waren wie die von „Kiki“. Ich<br />
versuche da ein Bild davon zu zeichnen,<br />
wie die afrikanische Gesellschaft funktionierte.<br />
Der Papa kümmerte sich um<br />
den Schutz der Kinder, die Mama um<br />
die Erziehung, und der Opa hat ein<br />
Auge drauf gehabt, ob dieses Zusammenspiel<br />
funktionierte oder nicht.<br />
Was ich in diesem Chanson sagen<br />
möchte: Wenn wir Fortschritte erzielen<br />
möchten, dann müssen wir<br />
uns auf dieses Modell berufen und es<br />
auf heute übertragen. Doch viele Afrikaner<br />
versuchen, das westliche Modell<br />
zu imitieren, obwohl das nicht unbedingt<br />
mit unserem Umfeld, unserer Perspektive<br />
harmoniert. Ich denke, wir müssen auch schauen,<br />
wie unsere Vorfahren gelebt haben, um eine Entwicklung<br />
der jetzigen Gesellschaft zu erreichen.<br />
Ihr dramatischster Chanson nennt sich „Ndél“ – wovon<br />
sprechen Sie da?<br />
Bassy: Ich appelliere an die afrikanischen Gesellschaften. Ich<br />
sage: Wenn du heute deinen Weg sauber machst, ihn unterhältst,<br />
wirst du jedes Mal, wenn du wiederkommst, schneller<br />
voranschreiten können. Wenn du ihn vernachlässigst, werden<br />
Bäume und Unkraut darauf wachsen. Man erntet nur das, was<br />
man gesät hat. Wenn wir also eine Welt aufbauen möchten,<br />
dann müssen wir Positives tun. Was ich in Afrika, aber auch in<br />
Europa sehe, das sind Politiker, die nur an ihre eigene Karriere<br />
und Zukunft denken. Jede Karte, die wir auf den Tisch legen,<br />
kann verheerende Konsequenzen nach sich ziehen, kann junge<br />
Leute dem Terrorismus in die Arme treiben und unumkehrbare<br />
Dinge verursachen.<br />
Das Interview führte Stefan Franzen