KuS 2017-2_GzD_klein
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fragte, ob es möglich sei, den Grabstein selber zu<br />
gestalten. «Alles ist möglich», gab Nicole Nydegger<br />
zur Antwort und liess die Familie mitarbeiten, von<br />
den Zeichnungen über das Anfertigen des Modells<br />
bis zur eigentlichen Arbeit am Stein, «so dass nun<br />
ihre eigenen Schläge ebenfalls im Stein drin sind.<br />
Das machte sie glücklich.»<br />
Und dass ihre Kunden die Werkstatt glücklich<br />
– oder mindestens glücklicher – verlassen, ist ihr<br />
ein tiefes Anliegen.<br />
«HEY ERWIN, HILF MIR MAL»<br />
Mit diesem Anspruch verbunden ist sehr viel Zeit:<br />
Nicole Nydegger schenkt jedem einzelnen ihrer<br />
Kunden die Zeit, die er braucht. Dies gilt auch<br />
bei der Wahl und beim Entwerfen des Grabsteins.<br />
Wenn jemand zu ihr in die Werkstatt kommt und<br />
vollkommen ratlos ist, was für einen Stein er haben<br />
möchte, ist dies für sie das Schönste: «Dann kann<br />
ich die Leute führen. Viele wissen gar nicht, was<br />
für Möglichkeiten es gibt, dass man zum Beispiel<br />
auch mit ganz einfachen Mitteln etwas Schönes,<br />
Harmonisches, Herzliches schaffen kann.»<br />
Der Stein, den sie gestaltet, muss den Verstorbenen<br />
widerspiegeln: Dies ist für sie oberstes Gebot.<br />
Jeder ihrer Grabsteine ist Resultat der intensiven<br />
persönlichen Auseinandersetzung mit der Familie<br />
des Verstorbenen. Und einer grossen Portion Intuition.<br />
Wenn es zwischendurch mal klemmt bei<br />
der Arbeit am Stein, wird der Verstorbene auch<br />
einmal direkt und unkompliziert um Rat gefragt:<br />
«Hey Erwin, hilf mir mal, wie hättest du es gern?»<br />
Und dann fliesst die Arbeit wieder.<br />
Bei aller Liebe zu den Menschen: Bestellt man<br />
einen Stein bei ihr, hinter dem sie als Künstlerin<br />
nicht stehen kann, lehnt sie den Auftrag ab. Ebenso,<br />
wenn sie das Gefühl hat, ein anderer Bildhauer<br />
sei für eine bestimmte Arbeit berufener als sie.<br />
Dann schickt sie die Leute zum geeigneten Kollegen<br />
weiter. Gelegentlich reagiert der Betreffende<br />
mit ungläubiger Rückfrage: «Was, und du willst<br />
dafür kein Geld, nichts?» Nicole Nydegger zuckt<br />
die Achseln. «Es hat doch für alle genug», sagt<br />
sie. «Ich gönne auch meinen Kollegen die Arbeit.<br />
Umso mehr, wenn jemand etwas viel besser kann<br />
als ich.»<br />
WENDEPUNKT<br />
Die Werkstatttüre öffnet sich. Malerin Thara, nebenberufliche<br />
Lebensretterin und Skulpturensammlerin,<br />
kommt herein, einen marmormen<br />
Engelsflügel im Arm. Vor fünf Jahren hat Thara<br />
Nicole Nydegger eines kalten Januar-Morgens in<br />
bedenklichem Zustand vorgefunden und unverzüglich<br />
zum Arzt spediert. Diagnose: Herzinfarkt.<br />
Zum Dank für ihren Rettungsdienst erhält sie seither<br />
jedes Jahr eine Skulptur geschenkt. In diesem<br />
Jahr, zum Fünfjahres-Jubiläum, wünschte sie sich<br />
einen Engelsflügel, den sie nun für das Fotoshooting<br />
zur Verfügung stellt.<br />
Nicole Nydegger nimmt den Flügel entgegen<br />
und klettert auf einen Schemel, um sich fotografieren<br />
zu lassen. «Die geflügelte Bildhauerin», scherzt<br />
sie aus dem Rahmen an der Wand herunter.<br />
Der Herzinfarkt hat weder Spuren noch bleibende<br />
Schäden hinterlassen. Er markiert dennoch<br />
einen Wendepunkt im Leben der damals 37-jährigen<br />
Bildhauerin. Seither nimmt sie es etwas ruhiger.<br />
Dreizehn- oder vierzehnstündige Arbeitstage,<br />
zuvor die Regel, gibt es nur noch in Ausnahmefällen.<br />
Sie sagt nicht mehr ganz so schnell «Ja»,<br />
wenn sie um Mitarbeit angefragt wird, und lehnt zu<br />
anstrengende Aufträge auch ab. Oder entwickelt<br />
neue Lösungen. Familiengräber beispielsweise<br />
teilt sie auf: Anstelle eines einzigen schweren Ungetüms<br />
komponiert sie ein luftig-leichtes Ensemble<br />
aus drei Einzelsteinen in einem Radius. «Dies<br />
sieht dann auch ein bisschen speziell aus», sagt<br />
sie, «das gefällt den Leuten.»<br />
STEINBILDHAUERIN AUS LEIDENSCHAFT<br />
Nicole Nydegger lebt ihren Beruf mit Leidenschaft.<br />
«Als Bildhauerin hat man so grosse Freiheit – auch<br />
mentale Freiheit. Man kann das machen, was einem<br />
selber gefällt. Das ist das Schönste an unserem<br />
Beruf.» Ihre Freiheit als selbstständige Künstlerin<br />
würde sie um nichts in der Welt hergeben.<br />
A propos Kunst: Früher sind in ihrem Atelier<br />
auch immer wieder freie Arbeiten entstanden,<br />
Skulpturen und Kunstobjekte. Ein Motiv, das sie<br />
seit ihrer Lehrzeit begleitet, ist die Spirale, ihr<br />
«Energie-Kringel», wie sie es nennt, vorzugsweise<br />
Der nydeggersche «Energie-Kringel»<br />
ziert viele<br />
ihrer Kunstobjekte. Hier:<br />
Flusssteine.<br />
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