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fragte, ob es möglich sei, den Grabstein selber zu<br />

gestalten. «Alles ist möglich», gab Nicole Nydegger<br />

zur Antwort und liess die Familie mitarbeiten, von<br />

den Zeichnungen über das Anfertigen des Modells<br />

bis zur eigentlichen Arbeit am Stein, «so dass nun<br />

ihre eigenen Schläge ebenfalls im Stein drin sind.<br />

Das machte sie glücklich.»<br />

Und dass ihre Kunden die Werkstatt glücklich<br />

– oder mindestens glücklicher – verlassen, ist ihr<br />

ein tiefes Anliegen.<br />

«HEY ERWIN, HILF MIR MAL»<br />

Mit diesem Anspruch verbunden ist sehr viel Zeit:<br />

Nicole Nydegger schenkt jedem einzelnen ihrer<br />

Kunden die Zeit, die er braucht. Dies gilt auch<br />

bei der Wahl und beim Entwerfen des Grabsteins.<br />

Wenn jemand zu ihr in die Werkstatt kommt und<br />

vollkommen ratlos ist, was für einen Stein er haben<br />

möchte, ist dies für sie das Schönste: «Dann kann<br />

ich die Leute führen. Viele wissen gar nicht, was<br />

für Möglichkeiten es gibt, dass man zum Beispiel<br />

auch mit ganz einfachen Mitteln etwas Schönes,<br />

Harmonisches, Herzliches schaffen kann.»<br />

Der Stein, den sie gestaltet, muss den Verstorbenen<br />

widerspiegeln: Dies ist für sie oberstes Gebot.<br />

Jeder ihrer Grabsteine ist Resultat der intensiven<br />

persönlichen Auseinandersetzung mit der Familie<br />

des Verstorbenen. Und einer grossen Portion Intuition.<br />

Wenn es zwischendurch mal klemmt bei<br />

der Arbeit am Stein, wird der Verstorbene auch<br />

einmal direkt und unkompliziert um Rat gefragt:<br />

«Hey Erwin, hilf mir mal, wie hättest du es gern?»<br />

Und dann fliesst die Arbeit wieder.<br />

Bei aller Liebe zu den Menschen: Bestellt man<br />

einen Stein bei ihr, hinter dem sie als Künstlerin<br />

nicht stehen kann, lehnt sie den Auftrag ab. Ebenso,<br />

wenn sie das Gefühl hat, ein anderer Bildhauer<br />

sei für eine bestimmte Arbeit berufener als sie.<br />

Dann schickt sie die Leute zum geeigneten Kollegen<br />

weiter. Gelegentlich reagiert der Betreffende<br />

mit ungläubiger Rückfrage: «Was, und du willst<br />

dafür kein Geld, nichts?» Nicole Nydegger zuckt<br />

die Achseln. «Es hat doch für alle genug», sagt<br />

sie. «Ich gönne auch meinen Kollegen die Arbeit.<br />

Umso mehr, wenn jemand etwas viel besser kann<br />

als ich.»<br />

WENDEPUNKT<br />

Die Werkstatttüre öffnet sich. Malerin Thara, nebenberufliche<br />

Lebensretterin und Skulpturensammlerin,<br />

kommt herein, einen marmormen<br />

Engelsflügel im Arm. Vor fünf Jahren hat Thara<br />

Nicole Nydegger eines kalten Januar-Morgens in<br />

bedenklichem Zustand vorgefunden und unverzüglich<br />

zum Arzt spediert. Diagnose: Herzinfarkt.<br />

Zum Dank für ihren Rettungsdienst erhält sie seither<br />

jedes Jahr eine Skulptur geschenkt. In diesem<br />

Jahr, zum Fünfjahres-Jubiläum, wünschte sie sich<br />

einen Engelsflügel, den sie nun für das Fotoshooting<br />

zur Verfügung stellt.<br />

Nicole Nydegger nimmt den Flügel entgegen<br />

und klettert auf einen Schemel, um sich fotografieren<br />

zu lassen. «Die geflügelte Bildhauerin», scherzt<br />

sie aus dem Rahmen an der Wand herunter.<br />

Der Herzinfarkt hat weder Spuren noch bleibende<br />

Schäden hinterlassen. Er markiert dennoch<br />

einen Wendepunkt im Leben der damals 37-jährigen<br />

Bildhauerin. Seither nimmt sie es etwas ruhiger.<br />

Dreizehn- oder vierzehnstündige Arbeitstage,<br />

zuvor die Regel, gibt es nur noch in Ausnahmefällen.<br />

Sie sagt nicht mehr ganz so schnell «Ja»,<br />

wenn sie um Mitarbeit angefragt wird, und lehnt zu<br />

anstrengende Aufträge auch ab. Oder entwickelt<br />

neue Lösungen. Familiengräber beispielsweise<br />

teilt sie auf: Anstelle eines einzigen schweren Ungetüms<br />

komponiert sie ein luftig-leichtes Ensemble<br />

aus drei Einzelsteinen in einem Radius. «Dies<br />

sieht dann auch ein bisschen speziell aus», sagt<br />

sie, «das gefällt den Leuten.»<br />

STEINBILDHAUERIN AUS LEIDENSCHAFT<br />

Nicole Nydegger lebt ihren Beruf mit Leidenschaft.<br />

«Als Bildhauerin hat man so grosse Freiheit – auch<br />

mentale Freiheit. Man kann das machen, was einem<br />

selber gefällt. Das ist das Schönste an unserem<br />

Beruf.» Ihre Freiheit als selbstständige Künstlerin<br />

würde sie um nichts in der Welt hergeben.<br />

A propos Kunst: Früher sind in ihrem Atelier<br />

auch immer wieder freie Arbeiten entstanden,<br />

Skulpturen und Kunstobjekte. Ein Motiv, das sie<br />

seit ihrer Lehrzeit begleitet, ist die Spirale, ihr<br />

«Energie-Kringel», wie sie es nennt, vorzugsweise<br />

Der nydeggersche «Energie-Kringel»<br />

ziert viele<br />

ihrer Kunstobjekte. Hier:<br />

Flusssteine.<br />

02/17<br />

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