KuS 2017-3
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DIE STEINBRANCHE IN DER ROMANDIE<br />
03 | <strong>2017</strong>
Ausgewiesene Fachleute<br />
mit ausgezeichneten Referenzen<br />
empfehlen sich<br />
für Renovationen<br />
und Restaurierungsarbeiten<br />
Roland E. Schmitt AG<br />
Natursteine – Restaurationen<br />
9011 St. Gallen, 9100 Herisau und<br />
9642 Ebnat-Kappel<br />
Telefon 071 353 90 00<br />
Fax 071 353 90 01<br />
www.schmitt-naturstein.ch<br />
Kirche Trogen; Kirche Gossau; Kirche Abtwil; Kirche Linsebühl, Haus zum<br />
Tannenbaum, Herisau; SBG St. Gallen und Oceanic, St. Gallen; Kirche<br />
Amriswil; Kirche Romanshorn; Kirche Niederuzwil; Kirche Sennwald;<br />
Kirche Mogelsberg; Kirche Nesslau; Kirche Andwil; Apotheke Hausmann,<br />
St. Gallen; Sparad, St. Gallen; Haus Museums strasse 1, St. Gallen; Kirche<br />
Ricken; Kirche Bazenheid; Goldschmied Wipf, Wil; Stadtkirche Wil; Kirche<br />
Flums; Kirche Mels; Kirche Oberegg innen; Kath. Kirche, Bütschwil; Kath.<br />
Kirche St. Otmar, St. Gallen.<br />
Kopie Georgs-, Chälbli- und Neugassbrunnen St. Gallen.<br />
Sandsteinlieferungen in Blöcken, Platten oder gesägt und gefräste<br />
Stücke aus dem Steinbruch Lochmüli in Teufen.<br />
Burla Brunnen: AG Lessoc FR, Part-Dieu bei Bulle; Brunnen Vucheret und du Port,<br />
Natursteinarbeiten, Restaurierungen, Estavayer-le-Lac; Font bei Estavayer; Altstadtbrunnen Murten; St.Johannsen,<br />
Kalkputze Kalksteinbrunnen 1632. Ringmauern Murten: Hexenturm; St.Johannsen:<br />
Prehlstrasse 20<br />
3280 Murten Scheibentor, Turm und Westfassade Kirche; Murten, Bubenbergfigur von<br />
Telefon 026 670 24 35 1955 von Willy Burla und Freiburg, Staatswappen Kanzlei, in Zusammenarbeit<br />
mit Tobias Hotz th-conservations; Murten Deutsche Kirche, Chorboden;<br />
Rathaus Murten, Bubenbergfigur 1856 von Niklaus Kessler; Primarschulhaus<br />
Murten, Stockgurt; Yverdon, Giebelfeld Ancienne Poste und Collège Place<br />
d’Armes; Freiburg, Bildhauerarbeiten Place Petit Paradis 1; Bildhauerarbeiten<br />
Château de Neuchâtel.<br />
Andreas Aeschbach<br />
Bildhauerei Steinrestaurationen<br />
Rain 42<br />
5000 Aarau<br />
Telefon 062 822 93 53<br />
Restaurationsarbeiten<br />
denkmalgeschützter Objekte<br />
wie Kirchen, Bürgerhäuser,<br />
Schlösser, sowie Skulpturen<br />
und Brunnen<br />
Figur von Hans Trudel<br />
Restauriert: A. Aeschbach<br />
FACHGERECHTE RESTAURIERUNGEN<br />
UNSERE AUFGABE
Inhalt<br />
Editorial<br />
DIE STEINBRANCHE IN DER ROMANDIE<br />
4 Die Steinbranche in der Romandie<br />
8 André Vuille: Einer für (fast) alle Fälle<br />
12 Der Zwiebelmarmor von Saillon<br />
HISTORISCHE FRIEDHÖFE<br />
16 Historische Friedhöfe<br />
FRIEDHOF<br />
20 QZ-Wettbewerb 2016<br />
LITERATUR<br />
24 Die Praxis der Baustelle um 1900<br />
STATEMENTS IN STEIN<br />
25 Gut behütete Preisträger<br />
VERBÄNDE / BRANCHEN-INFO<br />
26 Restaurierung Berner Münster<br />
26 Der NVS im Landesmuseum<br />
27 Naturstein-Seminar Brunnen<br />
28 Heiliggeistkirche und Burgerspital<br />
28 Sommerversammlung VSBS<br />
28 Was geschieht mit Wettsteins Steinhaus?<br />
29 Ein Brunnen für Gross-Bellinzona<br />
AGENDA<br />
30 Ausstellungen / Fachmessen / Verbandstermine<br />
LIEBE LESERIN<br />
LIEBER LESER<br />
Für diese Ausgabe waren wir in der Romandie unterwegs.<br />
Was bewegt die Steinbranche jenseits der<br />
Sprachgrenze? In welchen Bereichen sind die welschen<br />
Berufskolleginnen und -kollegen tätig? Mit welchen<br />
Schwierigkeiten haben sie zu kämpfen, und wie<br />
gehen sie mit ihnen um?<br />
Der Haupteindruck, den<br />
die Gespräche mit Vertretern<br />
der Branche hinterlassen<br />
haben, lässt<br />
sich kurz und knapp zusammenfassen:<br />
Je weniger Leute, desto grösser die<br />
Herausforderungen – und desto einfallsreicher die<br />
Lösungsansätze. Die Romands parieren Widrigkeiten<br />
mit Findigkeit und Pragmatismus. Für manche Probleme,<br />
mit denen auch die Steinbranche der Deutschschweiz<br />
gegenwärtig ringt, hält die Romandie erprobte<br />
Rezepte bereit. Ein verstärkter Austausch könnte<br />
sich lohnen.<br />
Ein zweiter Schwerpunkt sind Friedhöfe: Wir stellen<br />
Ihnen das ICOMOS-Projekt «Historische Friedhöfe»<br />
vor, dessen Ziel die Bewahrung der schweizerischen<br />
Friedhofkultur ist. Und wir lassen die im Herbst 2016<br />
mit einem QZ ausgezeichneten Grabsteine noch einmal<br />
Revue passieren – vier vollkommen unterschiedliche<br />
Arbeiten, jede ausgesprochen charaktervoll.<br />
TITELBILD<br />
Eingang der Stiftskirche Neuchâtel (Collégiale de<br />
Neuchâtel). Gelber Kalkstein aus Hauterive<br />
(pierre jaune de Neuchâtel). Siehe auch Beitrag<br />
auf Seiten 4-7.<br />
(Foto: Franziska Mitterecker)<br />
Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre!<br />
Franziska Mitterecker, Redaktorin «Kunst und Stein»<br />
03/17<br />
3
Die Steinbranche in der Romandie<br />
DIE STEINBRANCHE<br />
IN DER ROMANDIE<br />
WIE IST DIE STEINBRANCHE IN DER ROMANDIE ORGANISIERT? MIT WELCHEN SCHWIERIGKEITEN HAT SIE ZU<br />
KÄMPFEN? WIE SIEHT ES MIT DEM NACHWUCHS AUS? UND WIE STELLT SICH DIE ROMANDIE ZUM THEMA BERUFS-<br />
BILDUNG? «KUNST UND STEIN» BESUCHTE JEAN-RENÉ KAISER, VORSTANDSMITGLIED DES WELSCHEN NATUR-<br />
STEINVERBANDS ARMP, IN SEINER MARBRERIE IN DELÉMONT.<br />
Interview und Fotos: Franziska Mitterecker<br />
«Kunst und Stein»: Herr Kaiser, Sie sind seit<br />
vielen Jahren Vorstandsmitglied der Association<br />
romande des métiers de la pierre (ARMP)<br />
– was tut Ihr Verband für die Steinberufe?<br />
Jean-René Kaiser: Die ARMP hat zwei Hauptaufgaben:<br />
Sie organisiert die Berufsbildung,<br />
und sie überwacht die Einhaltung der Charta,<br />
die eine Gruppe unserer Steinmetze für die<br />
Sanierung und Restaurierung von Denkmälern<br />
erarbeitet hat, und die von allen Kantonen der<br />
Romandie unterzeichnet wurde. Die einhellige<br />
Anerkennung der Charta ist ihre grosse Stärke<br />
– allerdings konnten die vorgesehenen Kontrollen<br />
nach dem Ausfall unseres einzigen Experten<br />
seit einigen Monaten nicht mehr durchgeführt<br />
werden. Dies ist symptomatisch für die<br />
Situation unseres Berufsstandes: Es fehlt uns<br />
an Leuten. Wenn jemand ausfällt, ist Ersatz<br />
nicht leicht zu finden.<br />
Nur ungefähr ein Drittel der in der Steinbranche<br />
tätigen Betriebe sind Mitglied der ARMP<br />
– weshalb sind die anderen nicht dabei?<br />
Der Hauptgrund ist meiner Ansicht nach der<br />
Mitgliederbeitrag. Dazu kommt, dass sich die<br />
Leute nicht engagieren wollen – schon gar<br />
nicht ehrenamtlich. Die Arbeit für den Verband<br />
wird finanziell kaum oder gar nicht entschädigt.<br />
Der Vorstand beispielsweise erhält nichts.<br />
Das schränkt unsere Möglichkeiten sehr ein.<br />
4 03/17
Die Steinbranche in der Romandie<br />
DIE ROMANDIE IN FARBEN<br />
Noch vor 100 Jahren gab es in der Westschweiz, insbesondere im Jura, eine enorme Dichte an<br />
Steinbrüchen. Graugrüner Mittelland-Sandstein und gelblich-weisser Jura-Kalkstein: Der lokale<br />
oder regionale Bruch gab ganzen Städten seine Farbe. Dezentes Graugrün in Fribourg (linkes Bild),<br />
extravagantes Gelb in Neuchâtel (rechtes Bild): Die Couleur der Kulisse sorgt dafür, dass man stets<br />
weiss, in welcher geologischen Zone man sich befindet.<br />
Von der ehemals grossen Zahl an Steinbrüchen sind heute in der Romandie für den Bereich<br />
Naturstein gerade noch neun aktiv (zwei davon im Grenzbereich zur Deutschschweiz).<br />
Ein System, das sich hauptsächlich auf ehrenamtliches<br />
Engagement stützen muss, kommt<br />
schnell an seine Grenzen.<br />
In welchen Bereichen sind die Betriebe der<br />
ARMP hauptsächlich tätig?<br />
Wir haben, vereinfacht gesagt, zwei Lager: Auf<br />
der einen Seite überwiegend traditionell arbeitende<br />
Steinmetze, die vor allem im Bereich<br />
Renovation und Restaurierung tätig sind; auf<br />
der anderen modern ausgerichtete Marmoristen-Betriebe,<br />
welche Fassaden, Badezimmer,<br />
Küchenabdeckungen, Plattenbeläge etc. herstellen.<br />
Hier treffen vielfach auch verschiedene<br />
Haltungen und Sichtweisen aufeinander. Das<br />
wichtigste Ziel der ARMP ist es, diese Sichtweisen<br />
zu integrieren und innerhalb des Verbands<br />
Einigkeit zu stiften und zu erhalten. Das ist nicht<br />
immer einfach.<br />
Wie ist die Auftragslage für Betriebe der<br />
Steinbranche in der Romandie?<br />
Durchschnittlich. Die Marmoristen spüren seit<br />
ungefähr Mitte des letzten Jahres eine leichte<br />
Baisse. Der Preisdruck durch das nahe Ausland<br />
ist sehr gross. Vor allem im Bereich der Küchenabdeckungen<br />
gibt es Schwankungen im<br />
Auftragsvolumen. Der Baubereich ist stabiler.<br />
Wie sieht es mit der Konkurrenzfähigkeit von<br />
schweizerischen Offerten gegenüber solchen<br />
aus dem Ausland aus?<br />
Die Schweiz ist immer teurer als das Ausland.<br />
Wir können die Preise nicht beliebig senken,<br />
wir sind hier bereits auf dem tiefstmöglichen<br />
DIE ROMANDIE IN ZAHLEN<br />
Mitglieder ARMP: 31<br />
Anzahl Lehrverhältnisse<br />
(über alle Lehrjahre): 19<br />
Steinmetz (tailleur de pierre): 12<br />
Marmorist (marbrier): 6<br />
Steinwerker (marbrier du bâtiment): 1<br />
Anzahl aktiver Steinbrüche: 9<br />
Kalkstein: 5<br />
Sandstein: 4<br />
Niveau angekommen. Wir versuchen, in der<br />
Fabrikation Lösungen zu entwickeln, zum Beispiel<br />
über neue Maschinen und Technologien.<br />
Wir selber arbeiten in unserem Betrieb zum<br />
Beispiel seit kurzem mit einer Wasserstrahlschneidmaschine<br />
5 AX und sind dabei, Methoden<br />
zu entwickeln, die uns neue Einsatzgebiete<br />
eröffnen werden. Wir hoffen, etwas Neues, Anderes<br />
anbieten zu können, vor allem im Bereich<br />
Grabmal. Allgemein wird der Einsatz moderner<br />
Technologien unserer Branche ermöglichen,<br />
Nischen zu besetzen. Voraussetzung ist natürlich,<br />
dass ein Betrieb über die Mittel verfügt,<br />
die für solche Investitionen erforderlich sind.<br />
Kleinbetriebe oder Betriebe, die überwiegend<br />
Restaurierungen machen, können oder wollen<br />
nicht in neue Maschinen investieren.<br />
Woher beziehen Sie Ihre Materialien?<br />
Ausschliesslich aus dem Ausland, über Frankreich<br />
oder Italien. Wir verarbeiten sehr viel<br />
schwarzen Granit. Für die Marmoristen-Betriebe<br />
spielen heutzutage aber auch neue Materialien<br />
wie Keramik eine immer grössere Rolle.<br />
Naturstein scheint der zeitgenössischen Architektur<br />
etwas abhanden gekommen zu sein…<br />
Ja, die Architekten haben gegenwärtig Mühe,<br />
Naturstein in ihre Entwürfe miteinzubeziehen.<br />
Das ist bei uns nicht anders als in der Deutschschweiz.<br />
Im Fassadenbereich findet sich hin<br />
und wieder noch Naturstein, sonst dominieren<br />
Beton und künstliche Materialien. Sogar steinerne<br />
Plattenbeläge sind heute vielfach durch<br />
synthetische Böden ersetzt. Aber das ist, denke<br />
ich, eine Mode und wird vorübergehen.<br />
Wie viele aktive Steinbrüche gibt es noch in<br />
der Romandie?<br />
Sehr wenige. Abbau für die Bearbeitung durch<br />
Steinmetze oder Marmoristen wird kaum noch<br />
betrieben. In der Region Fribourg sind noch<br />
einige Sandstein-Brüche in Betrieb, die Steine<br />
werden überwiegend für Restaurierungen<br />
verwendet. Einige weitere Steinbrüche findet<br />
man in der Region Martigny: Salvan, Evolène,<br />
Collonges. Alle Steinbrüche der Romandie sind<br />
Kleinanlagen mit nur wenigen Mitarbeitern.<br />
03/17<br />
5
Die Steinbranche in der Romandie<br />
Bereich morderne<br />
Marmoristen-Betriebe:<br />
Der Genfer Hauptbahnhof<br />
Cornavin, Einweihung des<br />
Neubaus September 2014.<br />
Granit «Madura Gold»,<br />
Marbrerie: Mardeco SA,<br />
Crassier.<br />
(Foto: Guy Perrenoud)<br />
Thema Berufsbildung: In der Deutschschweiz<br />
ist das Angebot an Lehrstellen in den Steinberufen<br />
zur Zeit grösser als die Nachfrage – wie<br />
sieht es in der Romandie aus?<br />
Gleiches Problem wie überall. Einige Steinmetzbetriebe<br />
haben gerade ausreichend<br />
Lehrlinge. Aber bei den Marmoristen fehlt der<br />
Nachwuchs. Etwas anders geartet ist das Problem<br />
beim Beruf Steinbildhauer: Wir haben<br />
in der Romandie keinen einzigen Lehrbetrieb<br />
für Steinbildhauer. Wer diesen Beruf erlernen<br />
möchte, muss in die Deutschschweiz oder ins<br />
Ausland gehen.<br />
Wie beurteilen Sie die gegenwärtigen Bemühungen,<br />
die Ausbildung für alle Steinberufe<br />
zusammenzufassen und ein einziges Ausbildungszentrum<br />
für die ganze Schweiz zu<br />
schaffen?<br />
Dies ist nicht nur ein angesichts der Situation<br />
unumgänglicher Schritt, er birgt auch grosses<br />
Potential. Ein einziger Ausbildungsort bedeutet<br />
ein grösseres Volumen an Lernenden. Dass<br />
damit Mehrsprachigkeit verbunden ist, halte<br />
ich für kein Hindernis, im Gegenteil. Die Mehrsprachigkeit<br />
ist ein Problem der Alten, nicht<br />
der Jungen. Die Alten sprechen sehr gerne für<br />
die Jungen und behaupten zum Beispiel, die<br />
wollen keine Fremdsprache lernen, die können<br />
das nicht. Aber das ist nicht wahr. Ich sehe<br />
das selber mit meinem Sohn, oder auch mit<br />
anderen Lehrlingen. Die Jungen sind sehr offen<br />
für Neues und gehen unverkrampft und<br />
selbstverständlich an Herausforderungen heran.<br />
Und schliesslich: Wir reden hier von einem<br />
Handwerksberuf. Ob man das Eisen auf Französisch<br />
oder auf Deutsch ansetzt, ist dem Stein<br />
einerlei.<br />
Sehen Sie eine Gefahr, dass Wissen verloren<br />
geht, wenn aus vier Berufen einer gemacht<br />
wird?<br />
Nein. Die Romandie hat mit dem Marmoristen<br />
bereits ein praktikables Modell für eine allgemeine<br />
Grundausbildung in den Steinberufen:<br />
Der Marmorist ist ein Generalist, er macht mehr<br />
oder weniger alles im Bereich Naturstein, aber<br />
«DIE MEHRSPRACHIG-<br />
KEIT IST EIN PROBLEM<br />
DER ALTEN»<br />
ohne sich zu spezialisieren. Er fertigt einerseits<br />
beispielsweise Küchenabdeckungen an, führt<br />
aber auch einfache Verzierungen an Grabsteinen<br />
aus, einfache Figuren wie Ranken oder eine<br />
Rose etwa, oder auch die Gravur von Schriften<br />
– künstlerisch anspruchsvolle Skulpturen<br />
oder Ornamente hingegen bleiben Domäne<br />
des Steinbildhauers. Die Ausbildung zum Marmoristen<br />
schafft also eine Grundlage, auf der<br />
sich aufbauen lässt, und von der ausgehend<br />
6 03/17
Bereich Renovation und Restaurierung:<br />
Stiftskirche Neuchâtel (Collégiale de Neuchâtel): Die<br />
Natursteinarbeiten an der Aussenfassade wurden 2013<br />
abgeschlossen (Consortium Muttner-James-Facchinetti-<br />
Zuttion); das Innere der Kirche wird zur Zeit restauriert.<br />
Gelber Kalkstein aus Hauterive (pierre jaune de Neuchâtel).<br />
Die Steinbranche in der Romandie<br />
die Spezialisierung zum Steinmetz oder zum<br />
Steinbildhauer möglich ist. Welchen Weg auch<br />
immer wir bei der Grundbildung schliesslich<br />
gehen werden: Unerlässlich ist, dass wir im<br />
Anschluss Weiterbildungsmöglichkeiten anbieten<br />
können.<br />
Wie wollen Sie junge Leute für eine Ausbildung<br />
in einem Steinberuf gewinnen?<br />
Hier haben wir tatsächlich Schwierigkeiten.<br />
Um aktiv Nachwuchs zu rekrutieren, müssten<br />
wir an Berufsmessen teilnehmen – aber kleine<br />
Betriebe, kleine Verbände haben nicht die Mittel,<br />
weder finanziell noch personell, sich hier<br />
wirkungsvoll zu engagieren. Vom Staat erhalten<br />
wir praktisch keine Unterstützung. Aber<br />
der gleiche Staat, der sich für handwerkliche<br />
Berufe kaum interessiert, investiert grosszügig<br />
in die Rekrutierung etwa von Polizisten und<br />
Zollbeamten. Diese Ungleichbehandlung finde<br />
ich nicht richtig. Der Staat hilft uns auch viel zu<br />
wenig mit der – sehr teuren – Übersetzung der<br />
Dokumente.<br />
Sie haben die Weiterbildung angesprochen:<br />
Wie sieht es in dieser Hinsicht in der Romandie<br />
aus?<br />
In der Romandie gibt es nichts. Und wir sind<br />
rein zahlenmässig schlicht nicht in der Lage,<br />
allein eine Weiterbildung zu stemmen.<br />
Der Weiterbildungslehrgang «Handwerker/in<br />
der Denkmalpflege» ist gesamtschweizerisch.<br />
Allerdings nur in der Theorie; bisher sind alle<br />
Bemühungen, die Romandie miteinzubeziehen,<br />
gescheitert. Woran liegt das?<br />
Wir haben im Verband nicht genügend Kandidaten<br />
für den Lehrgang finden können. Ohne<br />
die Beteiligung weiterer Berufsverbände ist<br />
die Durchführung nicht möglich. Wir haben in<br />
dieser Sache mit den Malern, Maurern, Schreinern<br />
und Zimmerleuten Kontakt aufgenommen,<br />
aber es scheint, dass auf ihrer Seite kein<br />
grosses Interesse besteht. Im Augenblick sind<br />
wir hier an einem toten Punkt angelangt.<br />
Romandie und Deutschschweiz – wie ist der<br />
Austausch zwischen den Steinberufen über<br />
die Sprachgrenze hinweg?<br />
Es gibt einen Austausch, wenn es um die Berufsbildung<br />
geht. Abgesehen davon kommt es<br />
nur sporadisch und punktuell zu gemeinsamen<br />
Aktivitäten. Das liegt natürlich vor allem an der<br />
sprachlichen Barriere – es gibt bei uns im Verband<br />
nicht viele Leute, die Deutsch sprechen.<br />
Spüren Sie Gegensätze zwischen der Romandie<br />
und der Deutschschweiz?<br />
Wir hatten einige Differenzen im Zusammenhang<br />
mit der letzten Berufsbildungs-Revision.<br />
Die Deutschschweiz hat Druck ausgeübt, um<br />
die Marmoristen-Ausbildung von vier Jahren<br />
auf drei Jahre zurückzustufen. Im Grossen und<br />
«WEITERBILDUNGS-<br />
MÖGLICHKEITEN SIND<br />
UNERLÄSSLICH»<br />
Ganzen haben wir aber dennoch gut zusammengearbeitet.<br />
Ich habe auch immer das Gefühl<br />
gehabt, dass wir uns in unserem Beruf – in<br />
der Haltung, in den allgemeinen Ideen über<br />
unseren Beruf – recht nahe stehen.<br />
Wie schätzen Sie die Zukunft der Steinberufe<br />
ein?<br />
Im Bereich Renovation/Restaurierung wird es<br />
immer Arbeit geben, denke ich. Das Wichtige ist<br />
die Ausbildung. Die Jungen, die ich in unserer<br />
Branche sehe und erlebe, sind sehr motiviert.<br />
Wenn wir sie gut ausgebildet auf den Weg schicken<br />
können, werden sie im Beruf bestehen<br />
und ihn weitertragen.<br />
Jean-René Kaiser, langjähriges<br />
Vorstandsmitglied der<br />
Association romande des<br />
métiers de la pierre ARMP,<br />
ist ausgebildeter Steinbildhauer<br />
und Inhaber der<br />
Marbrerie Kaiser SA in Delémont.<br />
Der Betrieb beschäftigt<br />
13 Mitarbeitende und ist<br />
in den Bereichen Grabmal,<br />
Küchenabdeckungen und<br />
Bau tätig.<br />
03/17<br />
7
Die Steinbranche in der Romandie<br />
André Vuille bei den Vorbereitungen zur Demontage des stark beschädigten Brunnens «Fontaine du Mai» in Saint-Ursanne.<br />
EINER FÜR (FAST) ALLE FÄLLE<br />
WIE LEBT ES SICH ALS SELBSTÄNDIGER BILDHAUER UND STEINMETZ IM KANTON JURA,<br />
JENEM KLEINEN LANDESZIPFEL IM NORDWESTEN, DEN VIELE DEUTSCHSCHWEIZER NUR<br />
OBERFLÄCHLICH BIS GAR NICHT KENNEN? OFFENBAR GANZ GUT, WIE EIN BESUCH BEI<br />
ANDRÉ VUILLE IN GLOVELIER ZEIGT.<br />
Robert Stadler<br />
Auf dem Arbeitstisch seiner kleinen Werkstatt am<br />
Dorfrand von Glovelier liegt das, was bei vielen<br />
anderen Grabmalschaffenden in der Romandie<br />
heute schon fast die Norm ist: ein industriell vorgefertigtes<br />
poliertes Grabmal, das dem Bildhauer<br />
für individuelle künstlerische Gestaltung nur noch<br />
wenig Spielraum lässt. Tatsächlich erschöpfen<br />
sich auch manche von André Vuilles Grabmalaufträgen<br />
darin, anhand einer Zeichnung oder einer<br />
Schablone ein einfaches Ornament – etwa ein<br />
Kreuz, eine Rose oder eine Ähre – in den Stein zu<br />
gravieren, dazu den Namen sowie natürlich das<br />
Geburts- und das Todesjahr des Verstorbenen. Zu<br />
solch eher einfachen Routinearbeiten kommt der<br />
53-jährige Bildhauer und Steinmetz ohne aktives<br />
Suchen. Nicht etwa, weil er sich dafür zu schade<br />
wäre, keineswegs. Nur möchte er nicht zu jenen<br />
gehören, welche die Lokalzeitung gezielt nach<br />
Todesanzeigen durchkämmen, um möglichst als<br />
erste mit den Angehörigen von Verstorbenen in<br />
Kontakt zu treten und einen «Beratungstermin»<br />
mit ihnen zu vereinbaren. «Das mag ich nicht,<br />
ich bin kein Hausierer», sagt er dazu. Werde er<br />
dagegen persönlich angefragt (meist von Leuten<br />
aus seinem eigenen Dorf oder Bekanntenkreis),<br />
übernehme er auch solch anspruchslose Arbeiten<br />
gerne. «Mir ist alles recht, solange es aus Stein<br />
ist», sagt er. «Das kann eine Küchenabdeckung,<br />
8 03/17
Gesamtansicht der «Fontaine du Mai».<br />
André Vuille in seinem Atelier in Glovelier. (Fotos: Robert Stadler)<br />
ein Fussboden, eine Trockenmauer, eine Skulptur<br />
oder eben ein Grabmal sein. Ich verstehe mich als<br />
Steinhandwerker von A bis Z. Wer hier, im dünn<br />
besiedelten Jura, als selbstständiger Berufsmann<br />
Erfolg haben will, darf nicht wählerisch sein.»<br />
LEHRE IN DER DEUTSCHSCHWEIZ<br />
André Vuille verfügt über eine solide Ausbildung<br />
und eine langjährige, breitgefächerte Berufserfahrung.<br />
Geboren und aufgewachsen in La Chaux-de<br />
Fonds, machte er als 15-Jähriger eine Schnupperlehre<br />
in einem Steinmetzbetrieb, wo er sich<br />
für das Arbeiten am und mit dem Stein von allem<br />
Anfang an begeistern liess. Seine Lehre zunächst<br />
als Steinmetz, dann als Steinbildhauer absolvierte<br />
er 1980 bis 1984 im Natursteinbetrieb der Bargetzi<br />
& Biberstein AG in Solothurn. Der damalige berufsbedingte<br />
Aufenthalt in der Deutschschweiz hat ihn<br />
auch in kultureller und sprachlicher Hinsicht weitergebracht.<br />
André Vuille versteht seither die unterschiedlichen<br />
Lebensweisen in den beiden Landesteilen<br />
besser. Er spricht gut Schweizerdeutsch,<br />
wenn auch mit unverkennbar welschem Akzent.<br />
BAUFÜHRER AUF DEM TOUR DE MORON<br />
Nach der Lehre war André Vuille in verschiedenen<br />
Steinverarbeitungsbetrieben im Laufental und<br />
im Kanton Jura tätig, ehe er sich 1994 in Glovelier,<br />
einem heute 1200 Bewohner zählenden Bauern-<br />
und Industriedorf westlich des jurassischen<br />
Hauptortes Delémont, selbstständig machte.<br />
Parallel dazu bildete er sich an der IFFP in Neuenburg<br />
zum Fachlehrer weiter und unterrichtet<br />
seit inzwischen dreizehn Jahren nebenberuflich<br />
eine Berufswahlklasse in Moutier in den Fächern<br />
Der Friedhof von Glovelier; rechts ein von André Vuille für einen Schreiner gestaltetes<br />
Grabmal mit Kreuz und stilisierten Hobelspänen. Material: Laufener Kalkstein, dritte Bank.<br />
03/17<br />
9
Die Steinbranche in der Romandie<br />
Mineralkunde und Angewandtes Rechnen. Sein organisatorisches<br />
und didaktisches Geschick unter<br />
Beweis stellen konnte er erstmals beim Bau des<br />
«Tour de Moron» auf dem gleichnamigen Berg im<br />
Berner Jura. Der von Architekt Mario Botta ohne<br />
Honorar entworfene 30 Meter hohe Aussichtsturm<br />
entstand in den Jahren 2000 bis 2004 im Rahmen<br />
eines in der Schweiz bisher wohl einmaligen Berufsbildungsprojekts.<br />
Insgesamt 700 Berufsschüler<br />
hauptsächlich aus der Romandie, aber auch<br />
aus anderen Landesteilen, arbeiteten während<br />
fast fünf Jahren an diesem Bauwerk. In jeweils<br />
zweiwöchigen Praxiskursen unterrichtete André<br />
Vuille damals die angehenden Berufsleute an<br />
Ort und Stelle in der fachgerechten Bearbeitung<br />
von Naturstein. Für Mauern, Treppenstufen und<br />
Brüstungen des eleganten Turms wurden auf dem<br />
Moron insgesamt 1000 Tonnen Kalkstein verbaut.<br />
Noch heute erinnert sich André Vuille gerne und<br />
mit berechtigtem Stolz an diese aussergewöhnliche<br />
und anspruchsvolle Aufgabe.<br />
Der von Mario Botta entworfene Aussichtsturm Tour de Moron ist eines<br />
der elegantesten neueren Steinbauwerke in der Romandie.<br />
Hier wurden rund tausend Tonnen Kalkstein verbaut.<br />
(Foto: Pierre Bona, Wikipedia)<br />
RESTAURIERUNGEN IN SAINT-URSANNE<br />
Einen Schwerpunkt seiner heutigen Tätigkeit bilden<br />
Restaurierungen und Renovationen. Für die<br />
Planung und Ausführung entsprechender Aufträge<br />
ist er in jüngster Zeit wiederholt beigezogen worden.<br />
Im vier Autokilometer von Glovelier entfernten<br />
historischen Städtchen Saint-Ursanne am Doubs<br />
fühlt sich André Vuille besonders wohl. Vor einem<br />
Jahr hat er dort zusammen mit Partnern die aus<br />
dem 17. Jahrhundert stammende Kalksteinbrücke<br />
Pont Saint-Jean restauriert («Kunst und Stein» wird<br />
darüber in einem separaten Beitrag in der nächsten<br />
Ausgabe noch ausführlicher berichten).<br />
Ein weiterer bedeutender Auftrag in Saint-<br />
Ursanne kam vor wenigen Wochen dazu. Zusammen<br />
mit dem Bildhauer Heinz Lehmann, Leuzigen,<br />
hat André Vuille den Zuschlag für die Restaurierung<br />
der vier historischen Kalkstein-Stadtbrunnen<br />
erhalten. Das Projekt basiert auf einer Dokumentation<br />
mit Interventionsempfehlung und<br />
einem Offertbeschrieb von Daniel und Sabine<br />
Burla von der Burla AG, Murten, die das Vorhaben<br />
als Experten begleiten. Der grösste der<br />
Brunnen, die Fontaine du Mai, wurde Mitte Mai<br />
<strong>2017</strong> sorgfältig demontiert und wird gegenwärtig<br />
im Natursteinbetrieb Tschudin AG, Liesberg,<br />
instand gestellt. Die drei weiteren Brunnen werden<br />
dagegen etwas später an Ort und Stelle restauriert.<br />
10 03/17
Alles für den Stein<br />
Hartmetallwerkzeuge<br />
Stahlwerkzeuge<br />
MIT WEITERBILDUNG IN DIE ZUKUNFT<br />
Die Arbeit an historischen Objekten erfordert<br />
nebst handwerklichem Geschick vor allem auch<br />
denkmalpflegerisches Verständnis sowie ein entsprechendes<br />
arbeitstechnisches Know-how, das<br />
über die normalen Berufskenntnisse eines Bildhauers<br />
oder Steinmetzen hinausreicht. Zusammen<br />
mit 46 anderen Berufsleuten aus verschiedenen<br />
Sparten hat sich André Vuille deshalb – als<br />
einziger welscher Teilnehmer – zum neuesten<br />
Weiterbildungslehrgang «Handwerker/in in der<br />
Denkmalpflege» angemeldet, der inzwischen seit<br />
drei Monaten läuft. Vuille ist überzeugt, dass ihn<br />
Presslufthammer<br />
Diamantschleifteller<br />
Diamantschleifstifte<br />
Diamanttrennscheiben<br />
Klebstoffe/Polyester/ Epoxy, Imprägnierungsmittel,<br />
Pflege- und Reinigunsprodukte<br />
André Vuille macht gelegentlich auch freie Arbeiten. Hier ein<br />
handwerklich ab Foto direkt in Stein umgesetztes Gesichtsrelief.<br />
Material: Cenia-Kalkstein.<br />
diese Fortbildung beruflich weiter voranbringen<br />
und ihm neue Möglichkeiten eröffnen wird.<br />
«Die ersten Jahre meiner Selbstständigkeit waren<br />
recht hart», erinnert sich André Vuille im Rückblick<br />
auf die vergangenen 23 Jahre. «Um vor allem<br />
von öffentlichen Auftraggebern ernst genommen<br />
zu werden, muss man sich zuerst einmal einen gewissen<br />
Namen erarbeiten. Vielleicht war ich diesbezüglich<br />
in der Vergangenheit auch etwas zu diskret,<br />
habe zu wenig Werbung für mich gemacht.»<br />
Inzwischen ist André Vuille in seiner Region bekannter<br />
und blickt seiner weiteren beruflichen und<br />
geschäftlichen Zukunft mit Zuversicht entgegen.<br />
«Stein ist für mich ein natürliches, lebendes Material<br />
mit weiterhin grossem Potenzial», schwärmt<br />
er beim Abschied unseres Besuchs. «Das Arbeiten<br />
mit Stein bedeutet mir sehr, sehr viel. Ich möchte<br />
mit nichts und niemandem tauschen.»<br />
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03/17<br />
11
Die Steinbranche in der Romandie<br />
Panel mit Musterplatten von verschiedenen<br />
Saillon-Marmorsorten. (Bilder: zvg.)<br />
DER ZWIEBELMARMOR<br />
VON SAILLON<br />
SAILLON IM UNTERWALLIS IST BEKANNT UNTER ANDEREM FÜR SEINEN GLASFENSTER-<br />
SKULPTURENWEG, SEINE THERMALBÄDER UND DEN KLEINSTEN REBBERG DER SCHWEIZ.<br />
FAST VERGESSEN IST HEUTE DAGEGEN DER CIPOLIN DE SAILLON, EIN MARMOR, DER EINST<br />
IN ALLE WELT EXPORTIERT WURDE.<br />
Danielle Decrouez, Andreas Ebert, Karl Ramseyer, Henri Thurre<br />
Der Name Cipolin, hergeleitet aus dem italienischen<br />
Begriff cipollino, der seinerseits von cipolla<br />
(= Zwiebel) abstammt, bezeichnet einen<br />
Marmor-Typ mit dünnen Serpentinadern, die an<br />
eine Zwiebelschale erinnern. In der Praxis wird<br />
der Begriff für alle Marmore verwendet, die eine<br />
Zwiebelstruktur zeigen. Diese Struktur trifft auch<br />
für den Marmor von Saillon zu, obwohl hier keine<br />
Serpentinit-Adern vorhanden sind.<br />
ENTDECKUNG IM 19. JAHRHUNDERT<br />
Die Lagerstätten des antiken Cipolin auf der<br />
griechischen Insel Euböa und von weiteren Vorkommen<br />
in Afrika sind schon seit Jahrhunderten<br />
erschöpft. Im 19. Jahrhundert konnte daher<br />
für Restaurierungen ausschliesslich Material von<br />
ehemaligen römischen oder afrikanischen Bauwerken<br />
wiederverwendet werden. Diese kleinen<br />
Vorkommen schränkten die Nutzung des antiken<br />
Cipolin stark ein. Die unerwartete Entdeckung des<br />
Cipolin von Saillon im Jahre 1874 durch Jean-Louis<br />
Parisod kam daher gelegen.<br />
Von einem zeitgenössischen Geologen wurde<br />
das Walliser Material im Jahr 1883 folgendermassen<br />
beschrieben:<br />
«Der Cipolin zeigt sich (...) bestehend aus regelmässigen<br />
und parallelen kleinen Bändern von<br />
weissem, violettem und grünem Kalkstein. Wenn<br />
die Lagen leicht wellig sind und der Cipolin quer zu<br />
den Lagen geschnitten wird, erscheint er gebän-<br />
12 03/17
GEOLOGISCHER ÜBERBLICK<br />
dert. Wird er längs zur Bänderung getrennt zeigt er<br />
eine Fläche mit Moiré, dessen Glanz umso stärker<br />
sein wird, je deutlicher und kräftiger die Grundfarben<br />
sind. Dies ist, was Cipolin Grand Antique<br />
genannt wurde, und er ist sicher derjenige, dessen<br />
Aussehen am bemerkenswerten ist.»<br />
CIPOLIN UND ANDERE SORTEN<br />
Folgende Marmorvarietäten wurden einst in den<br />
Steinbrüchen von Saillon abgebaut:<br />
• Cipolin vert moderne: hellgrüner Grund von<br />
dunkelgrünen Adern durchzogen<br />
• Cipolin grand antique: weisser Grund mit gebänderten<br />
welligen grünen und violetten Adern<br />
• Cipolin antique rubané: gleichwertig den<br />
antiken Cipolinen von Euböa, Griechenland<br />
• Ein dunkelvioletter Marmor und ein gebänderter<br />
perlgrauer Marmor, meist sehr klüftig<br />
• Ein milchig weisser Bildhauer-Marmor mit seltenen<br />
grauen Adern<br />
• Ein gelblichweisser Marmor, meist mit schwarzen<br />
Bändern durchzogen<br />
• Portor Suisse oder Turquin de Saillon: Ein<br />
graublauer Marmor mit gelben und weisslichen<br />
Adern.<br />
Generell wurden die Marmore von Saillon<br />
hauptsächlich für dekorative Innenanwendungen<br />
in repräsentativen Gebäuden verwendet. Mit Ausnahme<br />
der Cipolin-Varietäten waren sie für die<br />
Herstellung von Skulpturen zu brüchig und für eine<br />
Anwendung im Freien zu porös.<br />
Der nördliche Teil des Gemeindegebietes von Saillon liegt auf dem kristallinen<br />
Gebirge von Fully und der Morcles-Decke mit den Saillon-Marmoren,<br />
der südliche Teil dagegen auf den Quartärgesteinen des Rhonetals.<br />
Die Morcles-Decke, wie auch die anderen helvetischen Decken,<br />
besteht aus mesozoischen und tertiären Sedimenten mariner Herkunft<br />
(hauptsächlich Kalke und Mergel). Der Ablagerungsraum dieser Sedimente<br />
lag zwischen zwei Hochzonen, dem späteren Mont-Blanc-Massiv<br />
(innerer Teil) und dem späteren Aiguilles Rouges-Arpille-Fully-Massiv.<br />
Während der alpinen Kollision wurden die Gesteinsschichten über zehn<br />
Kilometer nach Nordwesten auf das Aiguilles Rouges-Massiv überschoben<br />
und bilden heute eine riesige liegende Falte. Die anschliessende<br />
Hebung und Verwitterung haben die Morcles-Decke von ihrer Wurzel getrennt<br />
und durch Erosion von überlagernden Gesteinsserien freigelegt.<br />
GESCHICHTE DES MARMORABBAUS IN SAILLON<br />
Marmore wurden in Saillon erstmals um 1832/1833<br />
entdeckt. Schon 1834 eröffnete Jean-David Abetel<br />
aus Belmont, Kanton Waadt, einen Steinbruch, wo<br />
weisser Marmor und der Turquin abgebaut wurden.<br />
Nach fünf Jahren wurde der Betrieb versteigert,<br />
der Abbau eingestellt. Zwischen 1840 und<br />
Ein grosser Cipolinblock,<br />
bereit zum Abtransport<br />
nach Saxon. Das Bild<br />
stammt aus dem Jahr 1924.<br />
03/17<br />
13
Die Steinbranche in der Romandie<br />
Saillon, oberer Steinbruch mit Zugangsstollen.<br />
Kirchenkanzel aus «Cipolin rubané» in Bex, Kanton Waadt.<br />
1872 erwähnen die Archive einen Verein und zwei<br />
Gesellschaften. Die Entdeckung des Cipolin im<br />
Jahre 1874 durch Jean-Marc Louis Parisod führte<br />
zum Abbau noch im gleichen Jahr. Der Name des<br />
Entdeckers findet sich zwischen 1872 und 1880 in<br />
Dokumenten eines Vereins, zweier Aktiengesellschaften<br />
und einer offenen Handelsgesellschaft.<br />
Von 1880 bis 1959 erfolgte der Abbau unter unterschiedlichsten<br />
juristischen Gesellschaftsformen<br />
und Eigentümern. Einige dieser Firmen existierten<br />
oftmals weniger als ein Jahr. Der private Marmorhandel<br />
von Paul Gay (Saillon) war als einziger<br />
über mehrere Jahrzehnte (1927-1957) aktiv. In den<br />
Jahren 1922 und 1923 versuchte auch die damals<br />
europaweit tätige Gruppe Merbes-Spirimont-Henraux<br />
mit Gesellschaften in Deutschland, Belgien,<br />
Frankreich, Grossbritannien, Italien, Holland und<br />
Russland in Saillon Marmor abzubauen, allerdings<br />
ohne Erfolg. Die letzten zwei Aktiengesellschaften<br />
vor dem Ende des Abbaus in Saillon waren<br />
Carrières Lathion S. A. Nendaz (1959-1970) und<br />
Carrière et garage Lathion S. (1970-1981). Nach<br />
fünf Jahren ohne Tätigkeit entfiel die Konzession<br />
und der Marmorabbau wurde eingestellt. Im Laufe<br />
der Zeit wurde an vier Stellen abgebaut. Jene Abbaustelle,<br />
die vom Rhonetal aus sichtbar ist, war<br />
zwischen 1873 und 1927 in Betrieb.<br />
STREIKS UND SCHÜSSE<br />
Für den Marmorabbau verpflichteten die genannten<br />
Unternehmen meist Arbeiter aus Norditalien,<br />
Savoyen, dem Aostatal und dem Chablais (Kanton<br />
Waadt). Die Sicherheit in den Steinbrüchen war<br />
früher schlecht und die Löhne oftmals sehr gering.<br />
So bekundeten die Arbeiter gelegentlich ihre Unzufriedenheit,<br />
traten in den Streik oder feuerten<br />
gar Schüsse ab. Unfälle wurden offiziell erst ab<br />
1898 gezählt, als ein im Jahre 1877 erlassenes<br />
Gesetz auch in den Werken von Saillon angewendet<br />
werden musste. Ein erster erfasster tödlicher<br />
Unfall ereignete sich am 26. März 1898, als Maurice<br />
Chabloz, ein 34-jähriger Arbeiter, ums Leben kam.<br />
WELTWEITE VERBREITUNG<br />
Der Cipolin von Saillon hat schon vor mehr als hundert<br />
Jahren eine erstaunlich grosse Verbreitung<br />
gefunden. So wurde er unter anderem in Newport<br />
(Rhode Island, USA) für den Kamin, für die Wände<br />
des Billardzimmers und für die Säulenbasis des<br />
Esszimmers im The Breakers Mansion, einem im<br />
italienischen Renaissance-Stil 1893-1895 erbauten<br />
Schloss mit 70 Zimmern, verwendet. Weitere<br />
Anwendungen der Marmore von Saillon sind bekannt<br />
von der Kathedrale von Aachen, der Opera<br />
Garnier in Paris, der Kirche Notre-Dame de la<br />
Consolation in Paris, der Basilika von Fourvière in<br />
Lyon und für weitere Baudenkmäler in Frankreich,<br />
Grossbritannien und natürlich der Schweiz.<br />
Die 1913 erbaute Eingangshalle der Privatbank<br />
Clariden Leu an der Zürcher Bahnhofstrasse weist<br />
fünfzehn monolithische Säulen aus Cipolin auf.<br />
Der Marmor wurde auch in den Wandelhallen des<br />
Bundeshauses in Bern verwendet. In der Roman-<br />
14 03/17
WALLISER STEINE UND STEINBRÜCHE<br />
Wer sich umfassend über Walliser Steinbrüche<br />
und ihre Gesteine informieren möchte,<br />
erhält mit dem kürzlich erschienenen Sachbuch<br />
«Roches et Carrières du Valais» beste<br />
Gelegenheit dazu. Im 317 Seiten umfassenden<br />
Hauptteil werden detailliert rund 60<br />
Beispiele der insgesamt ca. 500 inventarisierten<br />
Steinbrüche (historische und noch in<br />
Betrieb stehende) aus sämtlichen Regionen<br />
des weitläufigen Gebirgskantons beschrieben<br />
und mit zahlreichen Fotos, Zeichnungen,<br />
Karten und Tabellen illustriert. Weitere<br />
Buchkapitel befassen mit der Walliser Geologie<br />
und den vorkommenden Gesteinen,<br />
den Abbautechniken und mit ökonomischen<br />
Aspekten. Dazu kommen Porträts von Künstlern<br />
und Handwerkern, die mit den im Wallis<br />
abgebauten Gesteinen arbeiten. (sta)<br />
EIN STATEMENT VON<br />
LILIAN H. ZÜRCHER ZUR<br />
GEPLANTEN REVISION<br />
DER BERUFSBILDUNG:<br />
«Carrières du Valais», Autoren: Daniel A. Kissling,<br />
Michel Dalaloye, Hans-Rudolf Pfeifer, 464 Seiten,<br />
französisch, 230 x 290 mm, gebunden, Herausgeber:<br />
Éditions Monographic, ISBN 978-2-88341-238-5, 89 Fr.<br />
die und besonders im Wallis sind Cipolin und andere<br />
Marmore von Saillon weit verbreitet, so unter<br />
anderem in den Kirchen von Bex (siehe Bild Seite<br />
14 unten), Chamoson, Haut-Nendaz, Leukerbad,<br />
Leuk, Naters, Noës, Savièse, in der Basilika Saint-<br />
Maurice, der Kapelle Notre-Dame des Champs in<br />
Ecône, der Kapelle von Mâche, dem Hospiz auf<br />
dem Grand-Saint-Bernard, und als Material von<br />
zahlreichen Grabmälern, sowie in privaten und<br />
öffentlichen Gebäuden.<br />
Kürzlich sind weitere bedeutende Anwendungen<br />
dieses Marmors entdeckt worden: in der Villa des Architekten<br />
Josef Loos in Prag sowie in zwei wichtigen<br />
katholischen Kirchen in den USA, nämlich der Basilika<br />
der Unbefleckten Empfängnis in Washington<br />
und der Basilika Santa Maria in Minneapolis.<br />
Dieser Text ist eine gekürzte und für die spezifischen Bedürfnisse<br />
unserer Leserschaft überarbeitete Fassung eines wissenschaftlichen<br />
Beitrages, erschienen zuerst in der Zeitschrift<br />
«Schweizer Strahler» (Herausgeber: Schweiz. Vereinigung der<br />
Strahler, Mineralien- und Fossiliensammler; www.svsmf.ch).<br />
«Kunst und Stein» dankt der Redaktion und den Autoren für<br />
die Möglichkeit des Nachdrucks. (Bearbeitung: sta)<br />
Die Autoren:<br />
• Dr. Danielle Decrouez, Geologin, Contamine sur Arve,<br />
Frankreich<br />
• Dr. Andreas Ebert, Geologe, Liestal<br />
• Dr. Karl Ramseyer, Professor, Institut für Geologie der<br />
Universität Bern, Bern.<br />
• Henri Thurre, Präsident der Association des amis du marbre<br />
de Saillon, Saillon<br />
03/17<br />
15
Historische Friedhöfe<br />
HISTORISCHE FRIEDHÖFE<br />
DIE FRIEDHOFKULTUR IN DER SCHWEIZ IST GEFÄHRDET. BEDEUTENDE HISTORISCHE<br />
GRABMÄLER VERSCHWINDEN SPURLOS, ALTE FRIEDHOFANLAGEN WERDEN VOLLSTÄNDIG<br />
UMGESTALTET UND VERLIEREN IHREN CHARAKTER, NEUE BESTATTUNGSFORMEN<br />
FÜHREN ZU EINER VERARMUNG, VIELFACH AUCH PROFANIERUNG DER GRABSTÄTTEN.<br />
DIESEN ENTWICKLUNGEN WILL DIE ICOMOS-ARBEITSGRUPPE «HISTORISCHE FRIEDHÖFE»<br />
ENTGEGENWIRKEN.<br />
Franziska Mitterecker<br />
Der gesellschaftliche Wandel der letzten Jahrzehnte<br />
hat vor unseren Friedhöfen nicht Halt gemacht.<br />
Über die Auswirkungen mag man sich in einigen Belangen<br />
streiten können – was beispielsweise für die<br />
einen geschmackliche Entgleisung und Kitsch ist,<br />
ist für andere Ausdruck eines veränderten Zeitgeistes,<br />
den sie zu akzeptieren bereit sind –, unübersehbar<br />
ist jedoch der mit dem Wandel einhergehende<br />
Verlust. Dies beginnt ganz handfest bei der Zahl der<br />
Grabsteine: Gemeinschaftsgräber und grabsteinlose<br />
Urnengräber auf der einen Seite, die Räumung<br />
alter Grabfelder, ohne dass neue angelegt werden,<br />
auf der anderen haben zu einer Dezimierung individueller<br />
Grabmale geführt. Dies wiederum hat Konsequenzen<br />
für die Friedhofsgestaltung. Auf letztere<br />
wirkt sich auch die heutige Einstellung der Bevölkerung<br />
im Umgang mit dem Tod aus – während<br />
Friedhöfe früher in erster Linie Orte der Erinnerung<br />
und Besinnung waren, fungieren sie heute mehr<br />
und mehr als Picknick-, Freizeit- und Spielplätze.<br />
Die Schweiz zählt mehr als 3000 Friedhöfe. Viele<br />
sind von grosser kulturhistorischer und denkmalpflegerischer<br />
Bedeutung. Angesichts der akuten<br />
Gefahr, dass bedeutendes Kulturgut, vom Einzelgrabmal<br />
bis zur ganzen Friedhofsanlage, unwiederbringlich<br />
verlorengeht, wurde die ICOMOS-<br />
Arbeitsgruppe «Historische Friedhöfe» ins Leben<br />
gerufen, welche im Januar <strong>2017</strong> unter der Leitung<br />
der Archäologin und Althistorikerin Lambrini Koutoussaki<br />
offiziell ihre Arbeit aufnahm.<br />
16 03/17
Ausschnitt aus dem Museumsgrabfeld des Schosshaldenfriedhofs<br />
in Bern. (Fotos: Franziska Mitterecker)<br />
Was genau soll nun aber als «historischer»<br />
Friedhof gelten? Kunst und Stein hat sich für einen<br />
Augenschein vor Ort mit Arbeitsgruppenleiterin<br />
Lambrini Koutoussaki auf dem Berner Schosshalden-Friedhof<br />
getroffen. Mit dabei waren Steinbildhauerin<br />
Sabine Burla, welche die Arbeitsgruppe<br />
in Fragen der Konservierung und Restaurierung<br />
von steinernen Grabmälern berät, und Alois Zuber,<br />
Projektleiter bei Stadtgrün Bern sowie Mitglied der<br />
ICOMOS-Arbeitsgruppe «Gartendenkmalpflege».<br />
ICOMOS<br />
ICOMOS, der Internationale Rat für Denkmäler<br />
und historische Stätten, ist eine Unterorganisation<br />
der UNESCO. Sie wurde 1965 in<br />
Warschau gegründet, ein Jahr später erfolgte<br />
die Gründung der Landesgruppe ICOMOS<br />
Suisse.<br />
ICOMOS setzt sich für die Bewahrung des<br />
materiellen Kulturerbes ein. Dazu gehören<br />
bedeutende Einzelobjekte oder Objektensembles,<br />
historische Orts- und Stadtbilder<br />
wie auch ganze Kulturlandschaften. Die<br />
ehrenamtlich arbeitenden Mitglieder von<br />
ICOMOS sind unabhängige Fachleute aus<br />
den Bereichen Architektur, Archäologie und<br />
Bauforschung, Denkmalpflege, Geschichtswissenschaft,<br />
Konservierung und Restaurierung.<br />
Ihre Empfehlungen liefern Grundlagen<br />
für Entscheidungsträger und sollen die breite<br />
Öffentlichkeit für die Anliegen des Kulturgüterschutzes<br />
sensibilisieren.<br />
Für die Bearbeitung besonders dringlicher<br />
Themen, spezieller Objektgruppen, vernachlässigter<br />
oder auch unbequemer Fragestellungen<br />
setzt ICOMOS Suisse nationale<br />
Arbeitsgruppen ein. Gegenwärtig aktiv sind<br />
die Arbeitsgruppen «Gartendenkmalpflege»,<br />
«Historische Friedhöfe», «Historische Hotels<br />
& Restaurants» und «System & Serie».<br />
«Kunst und Stein»: Frau Koutoussaki, welche<br />
Kriterien muss ein Friedhof erfüllen, um als<br />
«historisch» oder als «historisch bedeutend»<br />
eingestuft zu werden?<br />
Lambrini Koutoussaki: Unsere Arbeitsgruppe<br />
ist gegenwärtig dabei, diese Kriterien zu definieren.<br />
Historische, architektonische und künstlerische<br />
Aspekte spielen natürlich eine zentrale<br />
Rolle, uns interessiert aber auch das Gesamtkonzept<br />
einer Friedhofsanlage. Auch Details wie<br />
technische Einrichtungen werden berücksichtigt.<br />
Sehr wichtig ist schliesslich, wie sich ein<br />
Friedhof entwickelt hat. Wie hat sich beispielsweise<br />
seine Lage relativ zum Dorf oder zur Stadt<br />
– intra muros, extra muros – seit der Zeit seiner<br />
Gründung verändert? Wie ist man bei allfälligen<br />
Friedhofserweiterungen oder Umbauten vorgegangen?<br />
Nicht ganz einig sind wir uns, wie der<br />
Alterswert zu gewichten ist – kann beispielsweise<br />
ein Friedhof, der erst in den 1970er Jahren erbaut<br />
wurde, als historisch gelten, oder müssen<br />
wir weiter zurückgehen? Ist die Festlegung einer<br />
Altersgrenze überhaupt sinnvoll, oder schränkt<br />
sie den Spielraum zu sehr ein? Hier sind die Diskussionen<br />
noch im Gange.<br />
Der Schosshalden-Friedhof wurde 1877 angelegt,<br />
damit dürfte er von diesen Diskussionen<br />
nicht betroffen sein – Herr Zuber, wenn Sie an<br />
die genannten Kriterien denken: Was macht<br />
diesen Friedhof zu einem «historischen»<br />
Friedhof?<br />
Alois Zuber: Das ist sicher einmal die Gesamtkonzeption<br />
der schützenswerten Friedhofanlage.<br />
Diese besteht aus dem ursprünglichen<br />
Teil von 1877 und einer gartenhistorisch bedeutenden<br />
Erweiterung aus den 1950er Jahren.<br />
Auch sind verschiedene Bauten im Bauinventar<br />
der Stadt Bern als erhaltenswert erfasst.<br />
Und schliesslich sind die meisten Abteilungen<br />
03/17<br />
17
Bild rechts: Grabmal im<br />
Museumsgrabfeld des<br />
Schosshaldenfriedhofs.<br />
Im horizontalen Balken<br />
durchgehend mit einer<br />
Reliefschrift versehen.<br />
Mutet in seiner Blockhaftigkeit<br />
wie ein uraltes<br />
Wegkreuz an.<br />
des Friedhofs in ihrer originalen Grundstruktur<br />
erhalten; die ursprüngliche Atmosphäre ist<br />
auch heute noch spürbar. Des weiteren finden<br />
Sie über den Friedhof verteilt zahlreiche Einzelgrabmale<br />
und Skulpturen von hohem künstlerischem<br />
und historischem Wert.<br />
Wie nehmen Sie hier in Bern die Gefährdung<br />
der Friedhofskultur wahr?<br />
AZ: Der gesellschaftliche Wandel bringt grosse<br />
Herausforderungen mit sich. Mit diesen müssen<br />
wir irgendwie umgehen. Was mich persönlich<br />
in diesem Zusammenhang am meisten beschäftigt,<br />
ist die Grabmalkultur als solche. Was<br />
ist heute noch ein gutes Grabmal, ein schönes<br />
Grabmal? Welche Freiheiten hat man da, und<br />
wie lassen sich die zum Teil haarsträubenden<br />
Auswüchse, die einem heute auf Friedhöfen<br />
begegnen, bremsen?<br />
Sabine Burla: Dies ist effektiv ein grosses Problem.<br />
Hier trifft der Unverstand der Leute auf<br />
Unvermögen, Gleichgültigkeit oder schlicht<br />
wirtschaftliche Prioritäten der Grabsteinhändler<br />
und -hersteller. Wenn ein Kunde mit<br />
einer Idee kommt, zum Beispiel unbedingt ein<br />
Herz haben möchte, dann fehlt gewissen Leuten<br />
in den Betrieben heute das Gespür; sie<br />
sind nicht in der Lage, das Thema Herz in eine<br />
dezente und ausgewogene Form zu bringen.<br />
Hier könnten aber Friedhofsreglemente einen<br />
Rahmen setzen – meiner Ansicht nach sollten<br />
Reglemente so konzipiert sein, dass sie<br />
die schlimmsten Auswüchse verhindern und<br />
zugleich den Bildhauer dazu führen, eine gute<br />
Arbeit zu machen.<br />
Ein Szenario: Sie haben ein Ensemble von<br />
künstlerisch wertvollen Gräbern. Die Frist<br />
läuft ab, das Grabfeld muss geräumt werden.<br />
Haben Sie Möglichkeiten, das Ensemble als<br />
ganzes oder zumindest einzelne Grabmale zu<br />
erhalten?<br />
AZ: Bei Reihengräbern können wir das Ensemble<br />
nicht an Ort und Stelle halten. Wir haben<br />
aber für die Stadtberner Friedhöfe eine<br />
Grabmalkommission – Frau Burla ist in dieser<br />
Kommission –, welche wertvolle Grabmale<br />
prämiert und kennzeichnet. Wenn man die abräumen<br />
muss, können sie auf unser «Museumsgrabfeld»<br />
gezügelt werden. Dieses wird zwar im<br />
Augenblick noch etwas stiefmütterlich behandelt,<br />
aber es ermöglicht uns jedenfalls, auch<br />
Einzelgrabsteine zu bewahren. Wesentlich<br />
18 03/17
Historische Friedhöfe<br />
DER SCHOSSHALDENFRIEDHOF<br />
Der mit der Erweiterung von 1925 einhergehende<br />
Neuentwurf der Friedhofsanlage<br />
Schosshalden machte aus dem zuvor ländlichen<br />
und zeittypischen Friedhof eine Anlage<br />
von nationaler Bedeutung. Verschiedenartige<br />
Baumalleen bilden Haupt- und Nebenachsen<br />
in einem neubarocken, axialsymmetrischen<br />
System. Auch die Erweiterung des Friedhofs<br />
um den sogenannten «Waldfriedhof» in den<br />
1950er Jahren, welcher durch den Gartengestalter<br />
Franz Vogel senior entworfen wurde,<br />
zählt zu den bedeutendsten Friedhofsschöpfungen<br />
der deutschen Schweiz vor 1960. Der<br />
Schosshaldenfriedhof wurde bereits 2007 von<br />
der ICOMOS-Arbeitsgruppe «Gartendenkmalpflege»<br />
in der Liste der historischen Gärten<br />
und Anlagen erfasst und ist auch im ISOS<br />
(Bundesinventar der schützenswerten Ortsbilder<br />
der Schweiz von nationaler Bedeutung)<br />
des Kantons Bern aufgeführt.<br />
einfacher ist die Sache mit Familiengräbern.<br />
Wertvolle Familiengräber werden nicht abgeräumt,<br />
auch wenn die Frist abläuft. Dies halte<br />
ich für sehr wichtig; aus meiner Sicht tragen sie<br />
wesentlich zur Atmosphäre auf dem Friedhof<br />
bei. Darüber hinaus haben wir alle wertvollen<br />
Familiengrabstellen in einem Inventar erfasst.<br />
Kommt es dennoch vor, dass beim Abräumen<br />
Wertvolles verloren geht?<br />
SB: Nein. Die Grabmalkommission ist bemüht,<br />
alles Wertvolle herauszulesen. Wenn allerdings<br />
ein an sich gutes Grabmal bereits in sehr ähnlicher<br />
Form auf dem Museumsgrabfeld vorhanden<br />
ist, behalten wir es nicht.<br />
Was passiert mit einem als erhaltenswert eingestuften<br />
Grabmal, das am Zerfallen ist?<br />
SB: Wenn die Grabmalkommission einen Restaurierungsbedarf<br />
feststellt, empfehlen wir<br />
die entsprechenden Massnahmen. Die Ausführung<br />
wird von Stadtgrün Bern in Auftrag<br />
gegeben.<br />
Frau Koutoussaki, erklärtes Ziel Ihrer Arbeitsgruppe<br />
ist die Erhaltung der Schweizer Friedhofkultur<br />
– mit welchen Massnahmen wollen<br />
Sie dieses Ziel erreichen?<br />
LK: Unser erster Schritt ist die Inventarisierung<br />
und Beschreibung der historisch wertvollen<br />
Friedhöfe. Dabei werden auch spezifische<br />
Probleme untersucht – zum Beispiel im Zusammenhang<br />
mit Konservierung und Restaurierung<br />
steinerner Grabmale. Hier ziehen wir<br />
externe Fachleute bei. Über die Ergebnisse unserer<br />
Untersuchungen werden wir regelmässig<br />
durch die Publikation von Fachartikeln informieren;<br />
das fertige Inventar soll schliesslich<br />
einer breiten Öffentlichkeit vorgestellt werden.<br />
Kann ICOMOS Friedhöfe unter Schutz stellen?<br />
LK: Nein. ICOMOS hat nicht die Befugnis, Vorschriften<br />
zu erlassen. Aber wir geben Empfehlungen<br />
ab.<br />
Wie gehen Sie vor bei der Erfassung der Friedhöfe?<br />
LK: Zuerst prüfen wir, was bereits vorhanden<br />
ist – Inventare, Dokumentationen, Archivalien.<br />
In den grossen Städten sind die Friedhöfe<br />
meist sehr gut dokumentiert, ihre Geschichte<br />
lässt sich gut rekonstruieren. An anderen Orten<br />
existiert fast gar nichts, hier müssen wir quasi<br />
bei Null beginnen. Da sind wir natürlich sehr<br />
froh über Hinweise seitens der Verantwortlichen,<br />
sei dies die lokale Grabmalkommission,<br />
die Friedhofsverwaltung oder die Gemeinde.<br />
Die Verantwortlichen wurden bzw. werden in<br />
einem Schreiben über unsere Arbeitsgruppe<br />
unterrichtet und um Rückmeldung gebeten.<br />
Wenn wir über einen potentiell wertvollen<br />
Friedhof informiert werden, gehen wir hin und<br />
untersuchen ihn vor Ort.<br />
Wie ist die bisherige Resonanz auf die Arbeitsgruppe<br />
«Historische Friedhöfe»?<br />
LK: Das Interesse ist gross, was mich sehr freut.<br />
Ich habe bereits mehr als 150 E-Mails bekommen,<br />
seit bekannt wurde, dass wir die Arbeit<br />
aufgenommen haben. Zum Beispiel haben<br />
mir mehrere Behörden, aber auch Bürger von<br />
verschiedenen Gemeinden geschrieben und<br />
«ihre» Friedhöfe für unser Inventar angemeldet.<br />
Für mich ist es wichtig, dass wir all diese<br />
Kontakte aufnehmen und pflegen. Wir sind auf<br />
die Unterstützung der Gemeinden angewiesen.<br />
Kontakt und Informationen:<br />
Lambrini Koutoussaki,<br />
Tel.: +41 26 322 39 89,<br />
E-Mail: friedhoefe@icomos.ch,<br />
www.icomos.ch<br />
03/17<br />
19
Friedhof<br />
QZ-WETTBEWERB 2016<br />
Eva Oertli<br />
Die fünf Mal, die jedes Jury-Mitglied beim QZ-Wettbewerb<br />
mit von der Partie ist, bin ich immer wieder<br />
neugierig und freudig nach Bülach an den grossen<br />
Tisch in Ueli Gantners Atelier gereist. Immer gespannt,<br />
was er uns diesmal wieder aufgetischt hat.<br />
Interessant und lebhaft waren die Diskussionen<br />
fast immer. Fünf eigenständige Ansichten, die<br />
keineswegs immer übereinstimmten, sich aber in<br />
ihrer Beurteilung der ausgezeichneten Arbeiten<br />
mehrheitlich schnell fanden. Und wie Ueli an<br />
QZ-Präsentationen vor dem VSBS schon mehrfach<br />
betont hat: Man kann auch aus den nicht in jeder<br />
Hinsicht herausragenden Arbeiten viel lernen.<br />
Die letztjährige Jurierung war im Gegensatz<br />
zu den vorgängigen nur ein «Halbtagesjob».<br />
Die Eingaben für ein QZ widerspiegeln offenbar<br />
die Rückläufigkeit des traditionellen Grabzeichens.<br />
Doch ist es sehr erfreulich zu sehen, dass es<br />
einzelnen Berufskollegen immer wieder gelingt,<br />
künstlerisch und inhaltlich wertvolle Steine zu realisieren<br />
und damit unseren Berufsstand und die<br />
Grabkultur würdig zu repräsentieren.<br />
Zu hoffen ist, dass die QZ-Auszeichnungen hierzu<br />
weiterhin einen zusätzlichen Ansporn geben<br />
können.<br />
INTERAKTION<br />
Bildhauer: Beat Veyre, Steffisburg<br />
Material: Diabas / handwerklich mehrfach<br />
Grösse: 45 x 40 x 40 cm<br />
Standort: Schosshaldenfriedhof Bern<br />
Fotos: QZ-Wettbewerb des VSBS 2016<br />
Das kubische Grabzeichen steht über Eck. Der<br />
Kieselstein liegt stellvertretend für den unter tragischen<br />
Umständen verstorbenen jungen Mann.<br />
Die Aufsicht des Kubus weist neben den ausgelösten<br />
Wellen, die für Erinnerungen stehen, eine<br />
kreuz und quer fein strukturierte Fläche auf, die<br />
rechts über die Ecke in die Seiten nach unten ausläuft.<br />
Diese filigrane Bearbeitung, in der Wirkung<br />
übereinander liegenden Buchstaben gleich, steht<br />
für Abschiedsbriefe und Fragen an den Verstorbenen.<br />
Die unbeschriebenen Flächen können von<br />
den Hinterbliebenen symbolisch erweitert werden.<br />
Die geschliffenen, dunklen Flächen kontrastieren<br />
schön mit den fein eingeritzten Zeichen.<br />
Die Beschriftung ist schlicht, aber lebendig gestaltet<br />
und lockert die Fläche angenehm auf. Das<br />
Grabzeichen in dieser über Eck stehenden Form<br />
strahlt Ruhe und Abgeschlossenheit aus, ist aber<br />
trotzdem sicher eine wohltuende Auflockerung<br />
auf dem Grabfeld.<br />
20 03/17
Friedhof<br />
MISTELN<br />
Bildhauer: Daniel Isler, Münchwilen<br />
Material: Labrador / handwerklich<br />
Grösse: 115 x 52 x 15 cm<br />
Standort: Friedhof Dussnang<br />
Dieses Motiv steht für einen Menschen, der einen<br />
engen Bezug zur Naturheilkunde hatte.<br />
Der Mistelzweig hatte schon in der germanischen<br />
Mythologie symbolische Bedeutung. In den<br />
Asterix-Comics sind die Beeren Bestandteil eines<br />
Zaubertranks, wir küssen uns zur Weihnachtszeit<br />
unter aufgehängten Zweigen und in der alternativen<br />
Medizin wird Misteln eine antikarzinogene<br />
Wirkung nachgesagt.<br />
Diese anmutige, dekorative Pflanze ist ein<br />
Schmarotzer, sie ernährt sich auf Kosten ihres<br />
Wirtes. Mit dem ausgeschnittenen Aststück, das<br />
etwas ausgelaugt und verdorrt wirkt, ist diese<br />
Aussage treffend umgesetzt. Die Mistel ist sehr<br />
schön und lebendig eingefügt, sie scheint sich,<br />
im Gegensatz zu ihrem «Gastgeber», sehr wohl zu<br />
fühlen. Der angedeutete Sockel ist mit viel Gespür<br />
von Hand gehauen.<br />
Ein sehr stimmiges Grabzeichen, in seiner Erscheinung<br />
schlicht und zeitlos, mit Sensibilität und<br />
grossem handwerklichen Können ausgeführt.<br />
DER NATURMENSCH<br />
Bildhauer: Daniel Isler, Münchwilen<br />
Material: Andeer / Bruchroh, eingefräst<br />
Grösse: 100 x 40 x 18 cm<br />
Standort: Friedhof Dussnang<br />
Der Verstorbene war eine sehr naturverbundene<br />
Person. Er war ein Sammler und hatte alles geschichtet<br />
und geordnet aufbewahrt.<br />
Die verschieden abgesetzten Schichtungen<br />
wirken spielerisch, nehmen dem Grabzeichen die<br />
monolithische Schwere und suggerieren die fortlaufend<br />
wachsende Ablage einer grossen Sammlerleidenschaft.<br />
Die einfache, ruhige Inschrift ist gut gegliedert<br />
und schön eingeteilt.<br />
03/17<br />
21
Friedhof<br />
KREUZMOTIV<br />
Bildhauer: Daniel Isler, Münchwilen<br />
Material: Cristallina Marmor / handwerklich fein<br />
Grösse: 120 x 40 x 16 cm<br />
Standort: Friedhof Sirnach<br />
Die verstorbene Italienerin war eine gläubige Frau.<br />
Das Kreuz war deshalb sicher das Wunsch-Motiv<br />
der Familie.<br />
Die Umsetzung ist grafisch gut und spannend<br />
gestaltet. Die rechtsseitige Ausrichtung und die<br />
lebendige Gliederung der Durchbrüche nehmen<br />
dem Motiv Dominanz und Symbolschwere. Die<br />
Ausschnitte könnten auch als Nischen für Lebensabschnitte<br />
der Verstorbenen gedeutet werden.<br />
Die ausgeschnittenen Stücke wiederholen sich<br />
symbolisch auf dem Grab.<br />
Die Inschrift wirkt sehr unbeschwert und spontan.<br />
Mit wunderbarer Leichtigkeit und Können<br />
ausgeführt.<br />
Daniel Isler ist mit dieser Arbeit eine eigenständige,<br />
gut gelöste Interpretation des beliebten und<br />
sehr gängigen Kreuzmotivs gelungen.<br />
Die Autorin war bis 2016 Mitglied der QZ-Jury des VSBS. Sie<br />
ist Steinbildhauerin und führt in Ennenda / GL ein eigenes<br />
Atelier.<br />
DAS VSBS QUALITÄTSZEICHEN<br />
Die vier präsentierten Grabmale wurden beim<br />
Qualitätszeichen-Wettbewerb 2016 mit einem<br />
Qualitätszeichen ausgezeichnet.<br />
Der Verband Schweizer Bildhauer- und<br />
Steinmetzmeister VSBS führt jedes Jahr einen<br />
Qualitätszeichen-Wettbewerb durch. Mit diesem<br />
Wettbewerb will der VSBS hervorragende<br />
Arbeiten im Bereich des handwerklichen und<br />
künstlerischen Grabmalschaffens fördern und<br />
ein breiteres Publikum für Qualität sensibilisieren.<br />
Teilnahmeberechtigt sind Grabmalschaffende<br />
aus dem In- und Ausland. Für weitere<br />
Informationen siehe www.vsbs.ch / QZ-Wettbewerb.<br />
22 03/17
Schweizer Jurakalksteine<br />
Gebr. Schweizer Thomann AG • Baselstrasse Jurakalksteine<br />
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Baerlocher_Anzeigenserie_188x128mm.qxd 04.02.2011 16:07 Uhr Seite 3<br />
Massive Werksteine und<br />
filigrane Maßwerke.<br />
Graugrün und homogen.<br />
Ein Stein wie der andere.<br />
RorschacherSandstein<br />
EIN SCHWEIZER NATURWERTSTEIN ®<br />
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03/17<br />
23
Literatur<br />
DIE PRAXIS DER BAUSTELLE UM 1900<br />
Das Bauwesen des späten 19. Jahrhunderts<br />
war geprägt von den Innovationen<br />
der industriellen Revolution und neuen<br />
wissenschaftlichen Erkenntnissen. Die<br />
Grenzen des Machbaren wurden ausgelotet<br />
und mittels neuer Techniken und<br />
Erfindungen gesprengt, der Stolz auf die<br />
eigene Grandiosität wurde verewigt in immer<br />
grösseren und spektakuläreren Bauten.<br />
Forth Bridge, Eiffelturm, Freiheitsstatue,<br />
Gotthard-Tunnel – allerorts wurden<br />
Rekorde gebrochen und neue Massstäbe<br />
gesetzt. Über Konzeption und Bau dieser<br />
monumentalen Prestigeprojekte sind wir<br />
durch unzählige Publikationen sehr gut<br />
unterrichtet.<br />
Wie aber sah der Arbeitsalltag auf einer<br />
gewöhnlichen Baustelle, sagen wir, für<br />
ein durchschnittliches städtisches Verwaltungsgebäude,<br />
aus? Wie standen sich hier<br />
altbewährte, traditionell-handwerkliche<br />
Methoden und Modernisierungen gegenüber?<br />
Welche Auswirkungen hatten Formalisierungsprozesse,<br />
beispielsweise Gesetzgebung,<br />
Normierungsbestrebungen oder<br />
Konventionen über Materialqualitäten?<br />
Welche neuen Materialien, Produkte, Geräte<br />
und Maschinen wurden auf der Baustelle<br />
eingesetzt? Welche Praktiken waren allgemein<br />
verbreitet, welche kamen neu hinzu,<br />
welche verschwanden? Und schliesslich:<br />
Wer waren die Akteure auf der Baustelle?<br />
Wer hatte das Sagen, wer war wann und<br />
wo in welcher Funktion tätig?<br />
Auf diese Fragen konnte man bisher<br />
in der wissenschaftlichen Literatur kaum<br />
Antworten finden. Diese Lücke schliesst<br />
Christoph Rauhut mit seinem im Frühling<br />
<strong>2017</strong> bei Chronos erschienenen Werk «Die<br />
Praxis der Baustelle um 1900. Das Zürcher<br />
Stadthaus».<br />
DIE BAUGESCHICHTE DES ZÜRCHER<br />
STADTHAUSES<br />
Anhand des Zürcher Stadthauses, erbaut<br />
von 1898 bis 1901 – Architekt war übrigens<br />
kein Geringerer als Gustav Gull – auf<br />
dem Gelände der ehemaligen Fraumünster-Abtei,<br />
untersucht Rauhut die obigen<br />
Themenkomplexe.<br />
Die Quellenlage für den Bau des Zürcher<br />
Stadthauses sei «ausserordentlich<br />
gut», liest man zu Beginn. Dies erlaubt<br />
dem Autor, die Baugeschichte sowohl<br />
in grosser Breite als auch mit Detailtiefe<br />
nachzuzeichnen. Entsprechend umfangreich<br />
ist sein Werk: 383 grossformatige<br />
Seiten beleuchten die Baustelle aus allen<br />
erdenklichen Blickwinkeln. Der interessierte<br />
Leser wird informiert über<br />
geschichtliche Hintergründe ebenso<br />
wie über die sozialen Bedingungen der<br />
Handwerker und die Entwicklung der verschiedenen<br />
Bauberufe; er erfährt, wie die<br />
damalige Vergabepraxis auf öffentlichen<br />
Baustellen war, wie Betriebe organisiert<br />
und welche Gewerke für welche Arbeiten<br />
zuständig waren; er liest von der Technisierung<br />
der Gebäude – sanitäre Anlagen<br />
beispielsweise waren um 1900 noch<br />
keineswegs eine Selbstverständlichkeit<br />
– und vom Ausbau der Städtetechnik;<br />
er kann Bauhandwerkern bei der Arbeit<br />
über die Schulter schauen, ihre Methoden<br />
untersuchen, die verwendeten Materialien<br />
begutachten.<br />
STEIN AM STADTHAUS<br />
Eine zentrale Gruppe beim Bau des Stadthauses<br />
waren die Steinarbeiter. Ihnen sind<br />
mehrere Kapitel in jeweils unterschiedlichem<br />
Kontext gewidmet. Dargestellt<br />
werden unter anderem zeitgenössische<br />
Arbeitsformen, Hierarchien – der Bildhauer<br />
galt mehr als der Steinmetz, unter<br />
den Bildhauern wiederum der schöpferische<br />
Künstler mehr als der ausführende<br />
«Baudekorateur» –, Art und Herkunft der<br />
verwendeten Steine und Wechselwirkungen<br />
zwischen Steinbrüchen einerseits,<br />
Praktiken auf der Baustelle andererseits.<br />
Eine besonders prominente Rolle<br />
spielten die Bildhauer. Obwohl das neue<br />
Stadthaus nach dem Willen der Stadtväter<br />
«keinesfalls ein selbstdarstellerischer<br />
Prunkbau» werden sollte, sondern<br />
«primär ein Zweckbau», weist das fertige<br />
Gebäude «ein reichhaltiges Oeuvre<br />
von Bauornamentik und -dekorationen»<br />
auf. Ausgewählte Bildhauerarbeiten –<br />
geschmückte Türgewände und Giebel,<br />
Fassadenornamente, Skulpturen, Säulenkapitelle<br />
– werden im umfangreichen<br />
Katalog am Ende des Buches beschrieben<br />
und durch Fotografien, Skizzen und<br />
Pläne repräsentiert.<br />
Insgesamt: ein gründlich recherchiertes,<br />
inhaltsreiches und gut lesbar verfasstes<br />
Werk, das im Übrigen auch optisch<br />
eine Freude ist: grosszügig bebildert, sehr<br />
sorgfältig und schön gestaltet, Papier und<br />
Druck in tadelloser Qualität. Schön, wenn<br />
sich ein Verlag sowohl bei der Wahl seiner<br />
Autoren wie auch bei der Gestaltung der<br />
Bücher solche Mühe gibt. (fmi)<br />
ZUM AUTOR<br />
Dr. Christoph Rauhut war nach Abschluss<br />
seines Architekturstudiums von 2009 bis<br />
2015 als wissenschaftlicher Mitarbeiter<br />
am Institut für Denkmalpflege und Bauforschung<br />
der ETH Zürich tätig, wo er sich<br />
insbesondere mit Baukonstruktion und<br />
Konstruktionswissen im 19./20. Jahrhundert<br />
befasste. Gegenwärtig ist er Referent<br />
für das Deutsche Nationalkomitee<br />
für Denkmalschutz in Berlin.<br />
Christoph Rauhut: Die Praxis der Baustelle um<br />
1900. Das Zürcher Stadthaus, Zürich <strong>2017</strong>. Gebunden,<br />
440 Seiten, 182 Abb. s/w, 63 Farbabb. ISBN:<br />
978-3-0340-1334-5, CHF 68.00. www.chronosverlag.ch.<br />
24 03/17
Statements in Stein<br />
GUT BEHÜTETE PREISTRÄGER<br />
«Den Steinbildhauern geht es ausgezeichnet, sie<br />
ziehen jeden Tag einen neuen Hut an» – ein Spruch,<br />
der Steinbildhauermeister und Jurymitglied Alois<br />
Herger die Idee für die Form der Trophäe eingab,<br />
mit welcher die Gewinner des Haupt- und Nachwuchspreises<br />
des Wettbewerbs «Statements in<br />
Stein» an der Ausstellungs-Vernissage am 21. Oktober<br />
<strong>2017</strong> geehrt werden sollen.<br />
Die Kopfbedeckung, als Schutz vor Steinstaub<br />
traditionelles Accessoire in der Garderobe von<br />
Steinbildhauern und Steinmetzen, ist über ihren<br />
praktischen Nutzen hinaus auch in vielfacher Weise<br />
symbolträchtig. So wie durchlauchten Häuptern<br />
zum Zeichen ihrer Majestät eine Krone aufgesetzt<br />
wird, so soll auch die Verleihung der Preistrophäe für<br />
die kreativen Köpfe, die in ihrer jeweiligen Kategorie<br />
das überzeugendste Statement in Stein erdacht und<br />
gestaltet haben, gleichsam eine Krönung darstellen.<br />
WESHALB EIN FALTHUT?<br />
Dass die Krone als Falthut daherkommt, ist August<br />
Kuster Senior zu verdanken. Dieser pflegte seine<br />
Lehrlinge in Einführungskursen (heute überbetriebliche<br />
Kurse) gelegentlich mit einem Stapel<br />
Zeitungen zu überraschen und leitete sie an, für jeden<br />
einzelnen Lehrlingskopf massgefertigte Hüte<br />
zu falten. Einer dieser Lehrlinge war Alois Herger,<br />
und er erinnert sich nicht nur an die Anleitung<br />
zur Grössenanpassung der Hüte, sondern insbesondere<br />
auch an den Appell, den August Kuster<br />
während der Faltarbeit an die jungen Steinbildhauer<br />
und Steinmetze richtete: mit einem täglich<br />
neu gefertigten Hut für eine gepflegte Erscheinung<br />
zu sorgen und mit frischem Kopf stets qualitativ<br />
hochstehende Arbeit zu verrichten.<br />
Alois Herger, heute selber ÜK-Instruktor, gibt<br />
die kusterschen Falt- und Lebens-Anleitungen an<br />
seine eigenen Lernenden weiter. Auf dass weder<br />
die Falttechnik noch die Symbolik des Falthuts in<br />
Vergessenheit geraten. Mögen die Gewinner des<br />
Preises AFFENZÜNFTIG ihre Trophäe mit Stolz tragen!<br />
(zvg / fmi)<br />
Die vom VSBS in Zusammenarbeit mit der Schule für Gestaltung<br />
Bern und Biel (SfGB-B) organisierte Ausstellung<br />
«Statements in Stein» findet vom 21. Oktober bis 17. November<br />
<strong>2017</strong> am Standort Bern der SfGB-B statt. Sechzehn<br />
Berufsleute und sieben Lernende präsentieren ihre Werke.<br />
In beiden Kategorien wird für die beste Arbeit der Preis AF-<br />
FENZÜNFTIG verliehen, welcher von der Stadtberner Zunft<br />
zum Affen gestiftet wird.<br />
Prototyp der Preistrophäe<br />
AFFENZÜNFTIG: gefalteter<br />
Bildhauerhut, hier standesgemäss<br />
platziert auf einer<br />
Büste des römischen<br />
Kaisers Augustus.<br />
(Foto: Andreas Reber)<br />
Feldeck 6<br />
2502 Biel/Bienne<br />
www.breguet-lettres.ch<br />
tel 032 341 24 43<br />
fax 032 342 50 27<br />
info@breguet-lettres.ch<br />
03/17<br />
25
Verbände / Branchen-Info<br />
WER – WO – WAS<br />
RESTAURIERUNG BERNER MÜNSTER<br />
Aufnahme der Musterachse im Chorgewölbe.<br />
Deutlich erkennbar der Unterschied zwischen<br />
gereinigten und ungereinigten Stellen.<br />
(Foto: Nick Brändli)<br />
Vor genau 500 Jahren, im Jahr 1517, wurde<br />
der Bau des Münsterchors vollendet.<br />
Nun wird er erstmals seit seiner Erbauung<br />
als Ganzes restauriert. Seit 2014 sind die<br />
Arbeiten am «himmlischen Hof», wie das<br />
Chorgewölbe seit dem 20. Jahrhundert<br />
genannt wird, im Gange. Sie umfassen in<br />
erster Linie die vorsichtige Reinigung der<br />
Flächen, Gewölberippen und Bildhauerarbeiten;<br />
Restauratorinnen und Steinmetze<br />
der Münsterbauhütte gehen dem<br />
Schmutz von 500 Jahren gemeinsam an<br />
den Kragen.<br />
Eine Entdeckung von kunsthistorisch<br />
grosser Bedeutung war, dass die prachtvolle<br />
farbige Fassung der 87 Skulpturen,<br />
welche die Schlusssteine des Rautengewölbes<br />
zieren, beinahe vollständig im<br />
Originalzustand erhalten ist. Dies macht<br />
den Berner Münsterchor zu einem der europaweit<br />
wertvollsten Zeitzeugen spätmittelalterlicher<br />
Bildplastik.<br />
Die Restaurierung des Münsterchors<br />
soll im Jubiläumsjahr <strong>2017</strong> abgeschlossen<br />
werden. Ab Juli sollen die Gerüste<br />
allmählich abgebaut werden; vor dem<br />
endgültigen Abbau wird in der zweiten<br />
Jahreshälfte eine Gerüstplattform auf<br />
halber Höhe der Öffentlichkeit ermöglichen,<br />
das Chorgewölbe aus der Nähe zu<br />
besichtigen. Aber auch nach der Einweihungsfeier<br />
des restaurierten Chors am 18.<br />
November <strong>2017</strong> wird der himmlische Hof<br />
für die Irdischen unmittelbar greifbar bleiben.<br />
Möglich macht dies ein neues online-<br />
Angebot der Berner Münster-Stiftung: Im<br />
«interaktiven Chorgewölbe» können alle<br />
Heiligenfiguren per Mausklick dreidimensional<br />
auf den Bildschirm geholt werden.<br />
Auch der Münsterturm ist derzeit noch<br />
eingerüstet. Bei den Arbeiten am Turm<br />
geht es vor allem um statische Ertüchtigung<br />
und Ausbau der Haustechnik.<br />
Soeben abgeschlossen wurde die Abspannung<br />
des Turmhelms, eine wichtige<br />
Massnahme, durch welche die Widerstandskraft<br />
des Münsterturms gegen<br />
Sturmböen und Erdbeben erhöht wurde.<br />
Bis Ende <strong>2017</strong> sollen auch diese Arbeiten<br />
abgeschlossen und die letzten Gerüste<br />
abgebaut sein. Bei guter Pflege und Überwachung<br />
sollten daraufhin für eine Generation<br />
keine festen Turmgerüste mehr<br />
nötig sein. (fmi)<br />
Restaurierung des Turmhelms.<br />
(Foto: Berner Münster-Stiftung)<br />
DER NVS IM LANDESMUSEUM<br />
(Foto: Robert Stadler)<br />
Der Naturstein-Verband Schweiz (NVS)<br />
hat sich am 30. März in Zürich zu seiner<br />
ordentlichen Jahresversammlung <strong>2017</strong><br />
getroffen. Geschäftsführer Jürg Depierraz<br />
orientierte die rund 60 Teilnehmerinnen<br />
und Teilnehmer unter anderem<br />
ausführlich über die geplanten Neuerungen<br />
in der beruflichen Grundbildung der<br />
Steinberufe, welche in den kommenden<br />
Jahren die gesamte schweizerische Steinbranche<br />
stark beschäftigen dürfte (siehe<br />
dazu Berichte und Interviews in «Kunst<br />
und Stein» 6/2016 sowie 1 und 2/<strong>2017</strong>).<br />
Der NVS steht finanziell gesund da. Die<br />
Jahresrechnung 2016 schloss ausgeglichen<br />
ab. Sämtliche statutarischen Geschäfte<br />
wurden einstimmig genehmigt.<br />
Martin Müller von der Breitenstein AG,<br />
Zug, trat nach neunjähriger Tätigkeit aus<br />
dem Vorstand zurück. Die Versammlung<br />
dankte ihm für sein grosses Engagement<br />
mit herzlichem Applaus. Ein Ersatz für Müller<br />
soll an der nächsten Jahresversammlung<br />
gewählt werden. Den Abschluss der<br />
diesjährigen Versammlung bildete eine<br />
fachkundige Führung durch das kürzlich<br />
mit einem modernen Neubau erweiterte<br />
Schweizerische Landesmuseum (Bild).<br />
Dem NVS gehören gegenwärtig über 80<br />
Mitglieder an. Nebst Steinbruchbetrieben<br />
und Verarbeitungswerken sind dies auch<br />
Handels-, Verleger-, Versetz-, Unterhaltsund<br />
Instandsetzungsbetriebe sowie Experten<br />
und Fachplaner. (sta)<br />
26 03/17
Verbände / Branchen-Info<br />
NATURSTEIN-SEMINAR BRUNNEN<br />
Am 20./21. April fand im Waldstätterhof<br />
in Brunnen die jährliche Tagung des Verbands<br />
Schweizerischer Pflästerermeister<br />
statt. Auf die Teilnehmer wartete ein<br />
vielgestaltiges Programm. Thematischer<br />
Schwerpunkt des ersten Tages war die<br />
Rolle, die das Pflästererhandwerk in der<br />
Denkmalpflege spielt – oder spielen sollte.<br />
Gastreferent Michael P. Fritz, Kunsthistoriker<br />
und Dozent für Architektur an der<br />
Hochschule für Technik und Architektur in<br />
Fribourg, wies in seinem Vortrag auf die<br />
grosse Bedeutung hin, die der Pflästerer<br />
für den Erhalt denkmalpflegerisch sensibler<br />
Zonen des öffentlichen Raums hat.<br />
Der Pflästerer, zuständig für die Strassendecke,<br />
für die Zwischenräume, für «das<br />
Leere zwischen den Denkmälern» und damit<br />
für einen Bereich, über den Denkmalpfleger<br />
wie Architekten in der Regel nur<br />
rudimentär, wenn überhaupt, Bescheid<br />
wissen, könne mit seinem Fachwissen<br />
entscheidend dazu beitragen, dass eine<br />
Sanierung in einer qualitativen Aufwertung<br />
mündet. Damit er hierzu in der Lage<br />
sei, müsse er aber nicht nur sein Handwerk<br />
gut verstehen, sondern sich auch<br />
einbringen können. «Wenn ein Architekt<br />
eine Idee hat, und der Pflästerer für sich<br />
denkt, das ist Quatsch, aber ich mache es,<br />
ich werde bezahlt – das ist nicht die richtige<br />
Einstellung. Der Pflästerer sollte mitdenken,<br />
den Architekten auf Widersprüche<br />
hinweisen und seine Argumente mit<br />
Referenzbeispielen belegen können.» Das<br />
nötige Hintergrundwissen in Theorie und<br />
Praxis vermittle der interdisziplinär angelegte<br />
Lehrgang «Handwerker/in in der<br />
Denkmalpflege». Anhand von Fallbeispielen<br />
erläuterte Michael P. Fritz mögliche<br />
Tagungszentrum Seehotel Waldstätterhof<br />
in Brunnen. (Foto: Franziska Mitterecker)<br />
Einsatzgebiete für als Handwerker in der<br />
Denkmalpflege ausgebildete Pflästerer:<br />
Schadensanalysen, Beratungen, Erarbeitung<br />
von Sanierungskonzepten sowie deren<br />
Umsetzung, Erstellen von Dokumentationen,<br />
Unterhalts- und Pflegeplänen.<br />
Kapuzinerkloster Altdorf<br />
Auf die Theorie folgte die Praxis: Christian<br />
Bauer, der erste und bis anhin einzige<br />
Pflästerer, der den Lehrgang «Handwerker/in<br />
in der Denkmalpflege» erfolgreich<br />
abgeschlossen hat, legte anhand seiner<br />
Abschlussarbeit anschaulich dar, wie sich<br />
für ihn der Umgang mit einem historisch<br />
bedeutungsvollen Objekt, von der ersten<br />
Ortsbegehung bis zum abschliessenden<br />
Unterhaltsplan, im Einzelnen gestaltet.<br />
Sein Untersuchungsobjekt war der gepflästerte<br />
Vorplatz des ehemaligen Kapuzinerklosters<br />
in Altdorf. Das Kloster, 1581<br />
erbaut, war das erste Kapuzinerkloster<br />
nördlich der Alpen und bis zum Auszug<br />
der letzten Mönche im Jahr 2009 als solches<br />
aktiv. Heute wird es für Hochzeiten<br />
und kulturelle Anlässe genutzt. Der Verbindungsweg<br />
zwischen Kloster und Kirche<br />
Altdorf war bereits Ende des 16. Jahrhunderts<br />
gepflästert und ist im Inventar<br />
historischer Verkehrswege der Schweiz<br />
als Objekt von nationaler Bedeutung aufgeführt.<br />
Der Klostervorplatz ist integraler<br />
Teil dieses gepflästerten Weges – und er<br />
trägt deutliche Spuren seiner langen Geschichte:<br />
Lose, gekippte und kaputte Steine,<br />
Kluften, Senkungen, ausgewaschene<br />
Vorplatz des Kapuzinerklosters<br />
in Altdorf.<br />
Überwiegend Wildpflästerung<br />
aus regionalem<br />
Quarzsandstein<br />
(Altdorfer Sandstein).<br />
(Foto: Christian Bauer)<br />
Fugen und stark humoses Bettungsmaterial<br />
gefährden nicht nur die Pflästerung in<br />
ihrem Bestand, sondern auch nicht mehr<br />
ganz trittfeste Wanderer oder die Knöchel<br />
absatzbewehrter Hochzeitsgäste. Christian<br />
Bauer schilderte das anspruchsvolle<br />
Vorgehen beim Ausarbeiten eines Sanierungskonzepts,<br />
welches sowohl den historischen<br />
Bestand möglichst umfassend<br />
bewahrt als auch heutigen Ansprüchen<br />
an Sicherheit und Komfort Genüge tut.<br />
Workshop, Justitia und Gestaltung<br />
Nach dem Mittagessen wurden die Themen<br />
des Vormittags in einem Workshop<br />
verarbeitet: In Kleingruppen entwarfen<br />
die Teilnehmer ihre eigenen Sanierungskonzepte<br />
für die Altstadt von St. Ursanne<br />
(JU), wo im Rahmen der notwendigen<br />
Erneuerung von Abwasser- und Kanalisationsanlagen<br />
mehr als 9000m 2 alte<br />
Pflästerungen zerstört werden müssen.<br />
Die grosse Bandbreite der präsentierten<br />
Vorschläge ebenso wie die resultierende<br />
lebhafte Diskussion widerspiegelte die<br />
Komplexität der Problemstellung.<br />
Weitere Referate der Tagung behandelten<br />
rechtliche Fragen – wie geht man<br />
vor beim Inkasso von Forderungen? –,<br />
stellten die überarbeitete NPK 222 vor –<br />
welche Vorteile bieten die Neuerungen?<br />
–, und befassten sich mit der Auswahl<br />
von Steinen und gestalterischen Themen.<br />
Berufsleute wie Gäste traten den Heimweg<br />
am Freitag-Nachmittag um viele Anregungen<br />
bereichert an. (fmi)<br />
03/17<br />
27
Verbände / Branchen-Info<br />
HEILIGGEISTKIRCHE UND<br />
BURGERSPITAL<br />
Eine neue Publikation aus der Reihe<br />
«Schweizerische Kunstführer», herausgegeben<br />
von der Gesellschaft für Schweizerische<br />
Kunstgeschichte GSK, widmet sich<br />
den beiden symbolträchtigen Repräsentativbauten<br />
beim Berner Hauptbahnhof,<br />
die der reiche und mächtige Stadtstaat<br />
Bern in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts<br />
mit grossem Aufwand – das Unternehmen<br />
kostete einen Haufen Geld, Nerven<br />
und Personal – errichten liess.<br />
Autor Jan Straub gelingt auf knappem<br />
Raum – rund 60 Seiten umfasst der Führer<br />
– ein informativer, breit angelegter und<br />
nicht zuletzt äusserst kurzweiliger Überblick<br />
über Geschichte und Architektur der<br />
Heiliggeistkirche und des Burgerspitals.<br />
Die sehr schöne Auswahl an Plänen und<br />
Zeichnungen, historischen und aktuellen<br />
Fotografien bringt einem anschaulich<br />
nahe, weshalb die beiden Geschwisterbauten<br />
bis weit in das 19. Jahrhundert<br />
als «schönste Gebäude der Stadt» galten.<br />
Jan Straub: Die Heiliggeistkirche und das Burgerspital<br />
in Bern, Bern <strong>2017</strong>. 64 Seiten, 109 Abb. ISBN:<br />
978-3-03797-302-8, CHF 17.00. www.gsk.ch.<br />
SOMMERVERSAMMLUNG VSBS<br />
Am 26./27. August <strong>2017</strong> lädt der VSBS<br />
zur alljährlichen Sommerversammlung.<br />
Für die Organisation zuständig ist diesmal<br />
der Regionalverband Nord, der ein<br />
abwechslungsreiches Programm zusammengestellt<br />
hat, auf welches wir Ihnen<br />
hier einen kleinen Vorgeschmack geben<br />
möchten.<br />
Der erste Tag steht im Zeichen des<br />
Mittelalters: Die Gäste werden im Ritterhaus<br />
Bubikon zur Tafel geladen. Nebst<br />
Schmaus und Trank sorgen Musik und<br />
Spiele für ritterliche Sinnesfreuden.<br />
Darin eingebettet finden die eigentliche<br />
Versammlung und die Präsentation der<br />
Ergebnisse des diesjährigen Qualitätszeichen-Wettbewerbs<br />
statt.<br />
Ritterhaus Bubikon, Luftperspektive und<br />
Rittersaal. (Foto: Ritterhausgesellschaft Bubikon)<br />
Am Sonntag geht es zuerst aufs Wasser:<br />
Eine malerisch-nostalgische Zürichseefahrt<br />
mit dem Ledischiff führt zum<br />
Steinbruch Kuster in Nuolen. Bei schönem<br />
Wetter wird nach der Besichtigung<br />
des Steinbruchs im Bruch gegrillt: Mit den<br />
Bildhauerwürsten «Steinhauerli» wird die<br />
Sommerversammlung standesgemäss<br />
beschlossen.<br />
Der Regionalverband Nord freut sich<br />
auf das zahlreiche Erscheinen der Mitglieder<br />
des VSBS. Als Besonderheit sind diesmal<br />
auch Kinder herzlich willkommen!<br />
WAS GESCHIEHT MIT<br />
WETTSTEINS STEINHAUS?<br />
Der im Jahr 2009 verstorbene Steinbildhauer<br />
Dieter Wettstein hat der Nachwelt<br />
ein einzigartiges kunsthandwerkliches<br />
Erbe hinterlassen. Neben seinem einstigen<br />
Atelier «Waldsiedelei» am Rande<br />
des Kalksteinbruchs Lägern in Steinmaur<br />
(Kanton Zürich) warten noch heute<br />
etwa vierhundert kunstvoll bearbeitete<br />
Werksteine darauf, zu einem massiven<br />
Steinhaus von ansehlicher Grösse zusammengefügt<br />
und dann passend genutzt zu<br />
werden. Jetzt hat sich unter dem Namen<br />
«Vermächtnis Dieter Wettstein» ein Verein<br />
mit Sitz in Steinmaur gebildet, der sich<br />
genau dieses Ziel setzt. Die in mehrjähriger<br />
Arbeit geschaffenen Werksteine<br />
des eigenwilligen Künstlers sollen einer<br />
breiteren Öffentlichkeit bekannt gemacht<br />
und der Aufbau und die Nutzung des Natursteinhauses<br />
gefördert werden. Dazu<br />
will man in den kommenden Monaten<br />
Kontakte mit Gemeinden, Verbänden,<br />
kulturellen Institutionen, Unternehmen<br />
oder auch Privaten knüpfen.<br />
Vereinspräsident ist der Publizist und<br />
Kommunikationsberater Yves Schumacher<br />
(Zürich), Vizepräsidentin Lolo<br />
Bachmann-Wettstein (Neftenbach), eine<br />
Schwester von Dieter Wettstein. In einer<br />
ersten Phase möchte sich der Verein mit<br />
zusätzlichen Mitgliedern eine breitete<br />
Basis schaffen. Bereits gehören ihm eine<br />
Reihe von Steinbildhauern und Kulturschaffenden<br />
an. (sta)<br />
Kontakt:<br />
yves.schumacher@ysc.ch, Tel. 044 991 14 14 oder<br />
bachstein@bluewin.ch, Tel. 079 783 39 02<br />
(Foto: Robert Stadler)<br />
28 03/17
Verbände / Branchen-Info<br />
EIN BRUNNEN FÜR<br />
GROSS-BELLINZONA<br />
Im April <strong>2017</strong> ist die Fusion von zwölf<br />
Vorortsgemeinden mit der Stadt Bellinzona<br />
offiziell besiegelt worden. Zum<br />
gleichen Zeitpunkt haben die Aziende<br />
Municipalizzate di Bellinzona (die städtischen<br />
Werksbetriebe) ihren neuen Sitz<br />
mit Informationszentrum an der Piazza<br />
del Sole eröffnet.<br />
Zur Feier der Entstehung von «Gross-<br />
Bellinzona» mit jetzt über 40 000 Einwohnern<br />
entstand auf diesem städtischen<br />
Aussenraum ein neuer Brunnen<br />
in Form des stilisierten Stadtwappens.<br />
Dieses zeigt die Schlange der Visconti,<br />
dem Emblem jener mächtigen lombardischen<br />
Familie, die in der wechselvollen<br />
Geschichte der Tessiner Hauptstadt eine<br />
wichtige Rolle gespielt hat. Der monolithische<br />
Brunnen ist ca. 210 x 160 x 80 cm<br />
gross. Entworfen hat ihn der Bildhauer<br />
Luca Marcionelli, Bellinzona, ausgeführt<br />
wurde er im Werk der Ongaro & Co SA in<br />
Cresciano. Die Grundform wurde auf modernsten<br />
CNC-gesteuerten Fräsen aus einem<br />
grossen Gneisblock geschnitten, für<br />
die handwerklich gespitzten Oberflächen<br />
sorgten werkseigene Steinmetze.<br />
Die Planung und Herstellung von Brunnen<br />
aus Tessiner Gneis ist für die Firma<br />
Ongaro ein wichtiges, wenn auch nur<br />
eines von vielen Betätigungsfeldern. Ein<br />
weiteres kürzlich realisiertes Objekt ist<br />
beispielsweise der neue, rund 20 Tonnen<br />
schwere Marktbrunnen in Kloten mit Abmessungen<br />
von 540 x 220 x 67 cm. (sta)<br />
(Fotos: zvg.)<br />
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03/17<br />
29
Rubriktitel<br />
Agenda<br />
AGENDA<br />
AUSSTELLUNGEN / SYMPOSIEN<br />
10.06.-18.06.<strong>2017</strong> 23. Internationales<br />
Bildhauer-Symposium Sur En<br />
«Phantasie und Realität»<br />
Bis 02.07.<strong>2017</strong><br />
Bis 02.07.<strong>2017</strong><br />
www.art-engiadina.com<br />
Glückliches Arabien?<br />
Mythos und Realität im Reich der<br />
Königin von Saba<br />
Antikenmuseum Basel<br />
www.antikenmuseumbasel.ch<br />
Reliefs und Objekte – Ueli Gantner<br />
Stiftung für konkrete Kunst Roland Phleps,<br />
Freiburg-Zähringen<br />
www.stiftung-konkrete-kunst.de<br />
Bis 16.07.<strong>2017</strong> documenta 14<br />
Athen, Griechenland<br />
Bis 16.07.<strong>2017</strong><br />
www.documenta.de<br />
Osiris<br />
Das versunkene Geheimnis Ägyptens<br />
Museum Rietberg, Zürich<br />
www.rietberg.ch<br />
16.07.-23.07.<strong>2017</strong> 13. Internationales<br />
Bildhauersymposium Davos<br />
«Das Labyrinth der Freiheit»<br />
www.sculpturesummer.com<br />
Bis 16.08.<strong>2017</strong> Skulpturenausstellung –<br />
Ursula Rutishauer<br />
Werke in Cristallina-Marmor<br />
Cevio TI, Innenhof des Museums di Vallmaggia<br />
Bis 20.08.<strong>2017</strong><br />
www.bildhauerschule.ch / Ausstellungen<br />
Twannberg-Meteorit<br />
Jäger des verlorenen Schatzes<br />
Naturhistorisches Museum Bern<br />
www.museen-bern.ch<br />
10.06.-03.09.<strong>2017</strong> Gasträume <strong>2017</strong><br />
Kunst auf öffentlichen Plätzen Zürichs<br />
Zürich<br />
www.stadt-zuerich.ch/gastraeume<br />
10.06.-17.09.<strong>2017</strong> documenta 14<br />
Kassel, Deutschland<br />
Bis 23.09.<strong>2017</strong><br />
Bis 04.11.<strong>2017</strong><br />
Bis 26.11.<strong>2017</strong><br />
FACHMESSEN<br />
www.documenta.de<br />
Skulptur- und Fotoausstellung<br />
Kunst-Schaugarten Klopfstein, Samstagern<br />
www.klopfsteingaerten.ch<br />
5. Skulpturenausstellung mit<br />
19 Künstlerinnen und Künstlern<br />
Jedlitschka Gallery, Zürich<br />
www.jedlitschka-gallery.ch<br />
57. Biennale Arte<br />
«VIVA ARTE VIVA»<br />
Giardini Arsenale, Venedig<br />
www.labiennale.org<br />
27.09. -30.09.<strong>2017</strong> Marmo+Mac <strong>2017</strong><br />
52. Int. Messe für Stein, Design und Technologie<br />
Messegelände Verona<br />
VERBANDSTERMINE<br />
www.marmomacc.com<br />
26.08.-27.08.<strong>2017</strong> Sommerversammlung VSBS<br />
Bubikon<br />
Melden Sie Ihre Veranstaltungen an f.mitterecker@bluewin.ch<br />
oder an vsbs@vsbs.ch<br />
IMPRESSUM<br />
JUNI <strong>2017</strong> – 62. JAHRGANG<br />
Erscheint 6 Mal jährlich<br />
Herausgegeber: Verband Schweizer<br />
Bildhauer- und Steinmetzmeister VSBS<br />
ISBN 0023-5458<br />
REDAKTION / LAYOUT<br />
Franziska Mitterecker<br />
Dohlenweg 4, 8050 Zürich<br />
Tel. 079 194 88 78<br />
f.mitterecker@bluewin.ch<br />
Tobias Stadler (Layout)<br />
VERLAG<br />
Geschäftsstelle VSBS<br />
Fachzeitschrift «Kunst+Stein»<br />
Birkenweg 38<br />
CH-3123 Belp, Tel. 031 819 08 20<br />
Fax 031 819 08 21, www.vsbs.ch<br />
ANZEIGENVERKAUF<br />
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Talgut-Zentrum 14, Postfach 219,<br />
CH–3063 Ittigen, Tel. 031 382 11 80,<br />
whulliger@inmedia.ch, www.inmedia.ch<br />
ABONNEMENTE UND SERVICE<br />
Adressänderungen, Anfragen über<br />
Abonnemente oder Zustell probleme<br />
bitte an folgene Adresse melden:<br />
Abonnementsdienst Kunst+Stein,<br />
Industriestr. 37, CH-3178 Bösingen,<br />
Tel. 031 740 97 82<br />
DRUCK<br />
Länggass Druck AG Bern, www.ldb.ch<br />
Länggassstrasse 65, CH-3000 Bern 9<br />
Tel. 031 307 75 75, Fax 031 307 75 80<br />
JAHRESABONNEMENT<br />
VSBS-Mitglieder: CHF 85.—<br />
Nichtmitglieder: CHF 91.—<br />
Einzelnummer: CHF 16.—<br />
und Versandkosten<br />
VORSCHAU<br />
Die nächste Ausgabe «Kunst und Stein»<br />
erscheint am 31. Juli <strong>2017</strong><br />
zum Thema «Mauern und Brücken».<br />
Redaktionsschluss: 10. Juli <strong>2017</strong><br />
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