Berner Kulturagenda 2017 N° 26
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6. – 12. Juli <strong>2017</strong> Anzeiger Region Bern 25<br />
3<br />
Legende aus dem Meer<br />
TICKETS<br />
Wie zu Luthers Zeiten<br />
Der Stradivari-Cellist Christian Poltéra besucht die Musikfestwoche<br />
Meiringen, die unter dem Thema «Wellen» ein<br />
breites Programm bietet.<br />
Als die Fähre im Rio de la Plata untergeht,<br />
denkt Amadeo Baldovino nur an<br />
seine Mara. Der Musiker packt hastig<br />
das Stradivari-Cello ein, das nach<br />
einem ehemaligen Besitzer benannt ist,<br />
rennt mit dem Koffer an Deck und<br />
springt in ein Rettungsboot. Im Eifer<br />
des Gefechts geht das Cello über Bord.<br />
Nach einer quälenden Nacht im Ungewissen<br />
kommt am Morgen nach dem<br />
Schiffsunglück die Erlösung: «Die Stradivari<br />
wurde gerettet!», liest Baldovino<br />
in der Zeitung. In La Plata identifiziert<br />
er die Einzelteile als die Mara. Doch sie<br />
ist nicht tot, sondern erklingt nach<br />
einer Restaurierung wieder – angeblich<br />
noch schöner als vorher.<br />
Das legendäre Cello von 1711 aus<br />
einer speziell brillanten Phase des italienischen<br />
Geigenbaumeisters Stradivari<br />
steht an der Musikfestwoche<br />
Meiringen im Mittelpunkt. Der Zürcher<br />
Cellist Christian Poltéra eröffnet<br />
sie in der Michaeliskirche mit Werken<br />
von Bach, Telemann und Haydn, begleitet<br />
von der Camerata Zürich.<br />
Poltéra, der seit fünf Jahren auf der über<br />
300-jährigen Mara spielt und deren alten<br />
Klang erforscht, darf den «Goldenen<br />
Bogen» nach Hause nehmen. Die<br />
Geigenbauschule Brienz, Partner der<br />
Musikfestwoche, vergibt den Preis für<br />
«herausragende Leistungen in der Förderung<br />
der Streichinstrumente».<br />
Mit Wasserspritzern<br />
Die extravagante Geschichte der<br />
Mara aus der Perspektive des Cellos<br />
erzählt der Autor Wolf Wondratschek<br />
im Kino Brienz, mit Soundtrack von<br />
Poltéra und der japanischen Pianistin<br />
Hiroko Sakagami.<br />
Auf den «Wellen», dem Leitmotiv<br />
der Musikfestwoche, und ihrem künstlerischen<br />
Leiter Patrick Demenga,<br />
surft das Publikum zu sehr verschiedenen<br />
Kompositionen und Formationen.<br />
Dabei begegnet es auch drei Frauen,<br />
die in der Musikgeschichte hohe<br />
Wellen schlugen («With Amy Beach @<br />
the beach»).<br />
Mit echtem Wasser bringt der Medienkünstler<br />
Alexander Lauterwasser<br />
in einem Wasserkraftwerk von Oberhasli<br />
Klangbilder zum Schimmern:<br />
Nach der Mara wieder so ein mystischer<br />
Anblick.<br />
Céline Graf<br />
Diverse Orte, Meiringen und Umgebung.<br />
Eröffnung: Michaeliskirche,<br />
Meiringen. Fr., 7.7., 19.30 Uhr<br />
Veranstaltungen bis 15.7.<br />
www.musikfestwoche-meiringen.ch<br />
Wir verlosen 3x2 Tickets für «With<br />
Amy Beach @the beach» am Mi.,<br />
12.7., 19.30 Uhr: tickets@bka.ch<br />
Auf Schloss Köniz halten mit «Köniz 1517» das Spätmittelalter<br />
und die Renaissance Einzug. Das Familienfest vereint<br />
Ritterspiele, Reformationsdiskurse und Konzerte.<br />
Mittelalter- und Renaissance-Begeisterte<br />
können drei Tage fechten und<br />
tafeln, pilgern und handwerkeln,<br />
musizieren und tanzen wie zu Luthers<br />
Zeiten. Zum 500-Jahr-Jubiläum der<br />
Reformation veranstalten die Gemeinde<br />
und die Kirchgemeinde Köniz das<br />
Familienfest «Köniz 1517».<br />
Die Company of Saynt George, ein<br />
Spätmittelalterverein mit Sitz in der<br />
Schweiz, verwandelt das Gelände rund<br />
um das Schloss Köniz in ein Burgunderlager<br />
aus dem 15. Jahrhundert.<br />
Familienhöhepunkte sind auch die<br />
Schriftworkshops des Schulmuseums<br />
Bern, das Figurentheater über Till<br />
Eulenspiegel oder die Verkleidungsecke<br />
von Konzert Theater Bern.<br />
Zum Diskurs anregen wollen die<br />
Ausstellung «Re-Formation» in der<br />
Galerie Chornhuus und das Streitgespräch<br />
«Auf den Spuren von Luther,<br />
Zwingli, Calvin und Co.». Zum Lauschen<br />
verführt das Konzert des Collegiums<br />
Vocale mit Orgel, zum Wippen<br />
der Balkanfolk des Quartetts<br />
Musique en Route. Céline Graf<br />
Schloss und Kirche, Köniz<br />
Fr., 7. bis So., 9.7.<br />
www.koeniz1517.ch<br />
Company of Saynt George<br />
In Rüstung durch die Reformation am Familienfest «Köniz 1517».<br />
Anleitung zum Kunstwerk<br />
Unfertige Kunstwerke im Moment der Brüchigkeit: Die<br />
Stadtgalerie Bern füllt ihr «Sommerfenster» dieses Jahr mit<br />
der Ausstellung «Argument Place».<br />
Sagenumwobenes Instrument: Christian Poltéra spielt seit fünf Jahren auf dem Stradivari-Cello Mara.<br />
Nikolaj Lund<br />
Ein ungewöhnliches Versprechen gibt<br />
die «Sommerfenster»-Ausstellung in<br />
der Stadtgalerie: Ausgestellt werden<br />
keine fixfertigen Kunstwerke. Stattdessen<br />
zeigt die Ausstellung «Argument<br />
Place» beispielsweise Nikolaus<br />
Gansterers Arbeit «Objects Yet To Become».<br />
Das Werk des Österreichers<br />
besteht aus einer Serie von Anleitungen,<br />
die es den Besuchenden erlaubt,<br />
selbst das geplante Kunstwerk zu realisieren.<br />
Das Thema gewählt hat Nina Rieben,<br />
Assistentin der Stadtgalerie und<br />
Kuratorin dieser Ausstellung, da sie an<br />
Kunstwerken Momente der Brüchigkeit<br />
interessieren. Sie fügt an: «Wir<br />
zeigen keine abgeschlossenen Behauptungen,<br />
sondern stellen Fragen<br />
und öffnen den Raum für Formen der<br />
Poesie und des Humors.»<br />
Vertreten sind vorwiegend in Bern<br />
arbeitende Künstlerinnen und Künstler<br />
wie beispielsweise die Fotografin<br />
Tamara Janes oder der Videokünstler<br />
Remy Erismann. Oder Ines Marita<br />
Schärer, die sich in ihren Arbeiten mit<br />
dem Nicht-Sichtbaren beschäftigt.<br />
Sowie Werke des Duos Lutz &<br />
Guggisberg, denen Pipilotti Rist<br />
attestiert, dass sie «sehr ernsthaft an<br />
vergeistigten, nutzlosen, aber lebenswichtigen<br />
Produkten» arbeiten. Eröffnet<br />
wird die Ausstellung mit der Performance<br />
«Tat, Wahrheit und Kindheit<br />
III» von Sarah Elena Müller, die ebenfalls<br />
in Bern lebt und arbeitet.<br />
Sina Kloter<br />
Stadtgalerie, Bern. Vernissage: Do.,<br />
6.7., 18 Uhr. Ausstellung bis 22.7.<br />
www.stadtgalerie.ch<br />
Pegelstand<br />
Kolumne<br />
von Sibylle Heiniger<br />
Wie jedes Jahr, nachdem ich mich das<br />
erste Mal in der Aare treiben liess, holte<br />
mich das Gefühl der Sattheit ein. Ich<br />
bin es satt, in stickigen Proberäumen<br />
zu sitzen. Jede Sitzung dauert zu lange.<br />
Ich mag es nicht mehr, die Ausdünstung<br />
des Sitznachbarn im Theater<br />
einzuatmen, das Husten und die<br />
Kommentare der hinteren Reihe in die<br />
Inszenierung zu integrieren. Ich bin es<br />
satt, zwischen Tür und Angel organisatorischen<br />
Kleinkram zu klären,<br />
bevor alle in die Sommerpause abhuschen.<br />
Sommerpause. Ich will vor<br />
allem eines: Pause von geschlossenen<br />
Räumen. Erst recht von denen, für die<br />
ich Eintritt bezahlen muss. Denn zur<br />
Sommerpause kommt ein Loch auf<br />
meinem Konto hinzu. Produktionen<br />
sind abgeschlossen, aber der Lohn<br />
nicht ausbezahlt. Bis dahin kann es<br />
dauern, weil eben: «Sommerpause!»<br />
Ich freue mich auf den <strong>Berner</strong> Sommer<br />
draussen. Hier einem Konzert<br />
«Wieso fällt es so schwer,<br />
dieses Sommerpausenleben<br />
ganzjährig einzuführen?<br />
Städtisch verordnet.»<br />
lauschen, nach dem Schwumm in der<br />
Aare mit den Lieben in einem der Bäder<br />
plaudernd verweilen, in den von<br />
der Kornhausbibliothek aufgestellten<br />
Bücherschränken schmökern, durch<br />
die Altstadt flanieren und die Touristen<br />
vor dem Zytglogge begaffen. Oder<br />
eines der Festivals unter freiem Himmel<br />
besuchen. Und das alles (fast) gratis<br />
oder mit freiwilliger Gabe an die<br />
Kollekte.<br />
Und ich frage mich, warum es so<br />
schwer fällt, dieses Sommerpausenleben<br />
ganzjährig einzuführen. Städtisch<br />
verordnet. Gut, auf das Wetter<br />
haben wir immer noch keinen Einfluss.<br />
Aber wie wäre es mit mehr kostenfreien<br />
Angeboten? Zum Beispiel<br />
einem gratis Museumstag pro Woche<br />
oder ab und zu einem gratis Hallenbadtag.<br />
Oder einem geheizten Begegnungsraum<br />
auf dem Waisenhausplatz<br />
ohne Konsumzwang. Passt doch wunderbar<br />
zum definierten Ziel der Kulturstrategie,<br />
mehr Partizipation am <strong>Berner</strong><br />
(Kultur)Leben zu ermöglichen.<br />
Mein Konto wird nach der Sommerpause<br />
wieder gedeckt sein. Und der<br />
Graus vor geschlossenen Räumen ist<br />
dann auch vergessen.<br />
Sibylle Heiniger ist Regisseurin, Produzentin<br />
und Vorstandsmitglied von<br />
ACT Bern, dem Berufsverband der freien<br />
Theaterschaffenden. Sie liebt die Aare<br />
(vor allem im Sommer) und gute Bücher<br />
(immer).<br />
Illustration: Rodja Galli, a259