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Alter

Credit Suisse bulletin, 2000/06

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Fremden festmacht. Das führt einerseits<br />

zu Fremdenfeindlichkeit und andererseits<br />

zur Idealisierung des Fremden», meint<br />

Verena Tobler, Ethnologin und Dozentin<br />

an der Hochschule für Soziale Arbeit in<br />

Zürich. Tobler nennt dieses Phänomen<br />

das «Grass-Is-Greener-Syndrom», die Vorstellung<br />

also, das Gras sei grüner auf Nachbars<br />

Wiese, anderswo sei alles besser.<br />

Es wäre naiv, zu meinen, in der Vergangenheit<br />

sei in unserer Gesellschaft<br />

alles besser gewesen: Die Alten wurden<br />

früher keineswegs nur geachtet, geehrt<br />

und gehätschelt, wie es heute gerne dargestellt<br />

wird. Aber, so Verena Tobler, « sie<br />

standen in einer Welt, in der sie persönlich<br />

eine grössere Bedeutung hatten, als das<br />

heute der Fall ist ». In einer Gesellschaft,<br />

wo Prestige vorwiegend mit materiellem<br />

Besitz verbunden wird und nicht unbedingt<br />

mit fortschreitendem <strong>Alter</strong> und Lebenserfahrung,<br />

haben alte Menschen, die nicht<br />

mehr am Erwerbsleben teilnehmen, zunehmend<br />

einen schweren Stand.<br />

« Ehre deinen Vater und deine Mutter »:<br />

Dieses biblische Gebot steht heute nicht<br />

mehr im Vordergrund in einer Gesellschaft,<br />

in der die Generationen ihren eigenen<br />

Interessen nachgehen und vielfach voneinander<br />

getrennte Leben führen. In einfachen<br />

Kleingesellschaften, wie sie in<br />

Afrika noch heute anzutreffen sind, haben<br />

alte Menschen generell noch einen höheren<br />

Status, denn sie erfüllen wichtige soziale<br />

Rollen.<br />

Ohne Alte geht nichts<br />

Afrika gilt als der Kontinent, wo alte Menschen,<br />

und insbesondere alte Männer,<br />

mehr als irgendwo sonst respektiert und<br />

geschätzt werden. Verena Tobler arbeitete<br />

lange für die UNO und verschiedene<br />

internationale Hilfswerke. Während ihrer<br />

Arbeit hat Verena Tobler den Alltag alter<br />

Menschen in Afrika beobachten können:<br />

«Im ländlichen Kamerun ist es der Älteste,<br />

der das Land verteilt. In vielen Dörfern<br />

haben die Alten noch das Sagen, als<br />

Würdenträger machen sie Beratungen,<br />

übernehmen Steuerungsfunktionen religiöser,<br />

wirtschaftlicher und sozialer Art.»<br />

Zwischen Westafrika und Europa liegen<br />

Tausende von Kilometern und unzählige<br />

kulturelle Unterschiede. Hamady Lam lebt<br />

seit fünf Jahren in der Schweiz und ist mit<br />

einer Schweizerin verheiratet. Er hat Mühe<br />

damit, wie manche Schweizer mit älteren<br />

Menschen umgehen. In seiner Heimat ist<br />

es selbstverständlich, dass in einer Familie<br />

verschiedene Generationen miteinander<br />

leben. Schockierend an der Schweiz<br />

findet er, dass viele alte Menschen in<br />

<strong>Alter</strong>sheimen leben: « Wenn man einen<br />

Alten ins <strong>Alter</strong>sheim steckt, weil man keine<br />

Zeit für ihn hat, bringt man ihn um.<br />

Alte Leute sind doch keine Tiere, die man<br />

einsperrt. Sogar mit Hunden geht man in<br />

der Stadt spazieren.»<br />

Der Zerfall von traditionellen Werten,<br />

den Hamady Lam anprangert, hat aber als<br />

Folge der Modernisierung auch in Afrika<br />

Fuss gefasst. Problematisch ist dies vor<br />

allem, weil die <strong>Alter</strong>svorsorge vielerorts<br />

Hamady Lam, Senegal<br />

«Grosseltern sind wie<br />

grosse Bäume voller Äste,<br />

Blätter und Blumen.<br />

Sie beschützen dich.»<br />

18 CREDIT SUISSE BULLETIN 6 |00

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