CARTE BLANCHE: ERWIN W. HERI Déjà Vu Erwin W. Heri, Chief Financial Officer, « Credit Suisse Financial Services Als jüngerer Analyst hatte ich verschiedentlich die Gelegenheit, mit meinem grossväterlichen Freund André Kostolany, dem grossen Finanzexperten, die Ereignisse an den Finanzmärkten zu diskutieren. Ich fand diese Diskussionen ausserordentlich befruchtend, und zwar nicht deswegen, weil man daraus irgendwelche heissen Tipps hätte verwenden können – die hatte er nämlich entgegen anders lautender Vermutungen nie wirklich gegeben, dazu war er schlichtweg zu intelligent. Mich faszinierte vielmehr sein tief schürfendes historisches Wissen, sein reicher Fundus an Erfahrungen. Mehr als einmal hat er mir zu bedenken gegeben: ‹ Mein lieber Freund, das haben wir in den letzten 50 Jahren doch schon ein paar Mal gesehen. › Inzwischen analysiere ich die Finanzmärkte seit über 20 Jahren und stelle ein ähnliches Phänomen fest. Wenn immer wir Übertreibungen an den Finanzmärkten erleben, gibt es unzählige ‹ Gurus ›, die einem klar machen wollen, dass ‹ ... wir jetzt halt in einer anderen Welt leben und die fundamentalanalytischen Ansätze der Finanzmarkttheorie jetzt nicht mehr gelten ›. Dass sich die Finanzmarktpreise – und ich rede hier von den Aktienkursen, vom Goldpreis, den Währungen, den Zinsen usw. – nicht in schön sinusförmigen Kurven bewegen, ist bekannt. Ebenso, dass sie dabei gelegentlich gewaltige Bocksprünge vollbringen. Die theoretische Finanzmarktanalyse liefert einen ganzen Strauss interessanter Erklärungsansätze für das erratische Verhalten solcher Kurse und für die Funktionsweise der Märkte. In diesen Theorien finden sich auch interessante Ansätze zur Erklärung von so genannten ‹ Bubbles › – offensichtlichen Preisverirrungen, die einen bestimmten Kurs weit von einem fundamental gerechtfertigten Niveau ‹ wegschleudern ›. Solche Situationen laufen dann immer nach dem gleichen Muster ab: Man findet die eine Gruppe von Analysten, die einem weismachen will, dass sich die Welt verändert habe und die gängigen Theorien nicht mehr gültig seien. Die andere Gruppe sagt, die Finanzmärkte seien eh ein rational nicht erfassbares Gebilde; da könnten halt auch irrationale Preise entstehen. Beides ist falsch. Und wenn der neue Bundespräsident Leuenberger in einem Interview mit der NZZ zum Jahreswechsel bemerkt ‹... für mich ist die Börse ein nach irrationalen Kriterien funktionierendes Casino ›, dann stimmt das nicht nur nachdenklich. Man würde sich eigentlich wünschen, dass sich ein Bundespräsident bezüglich eines Wirtschaftssektors, der einen relevanten Beitrag zum Sozialprodukt liefert, etwas kompetenter äussert. Aber das ist ein anderes Thema. Einmal mehr haben wir vor rund einem Jahr einen solchen ‹ Bubble › am Aktienmarkt gesehen. Viele Technologietitel haben Bewertungsniveaus angenommen, die manchem Beobachter absurd erschienen. Viele haben sich auch entsprechend geäussert. Aber ein unbändiger Optimismus hat die Aktienbewertungen in immer höhere Sphären katapultiert, bis halt die Blase geplatzt ist. Auch hier haben uns nicht wenige Beobachter einbläuen wollen, dass bei der neuen Technologie ein Preis/Gewinn-Verhältnis von über 100 zu den ‹ Rules of the Game › gehören. Haben wir nicht das Gleiche schon für den japanischen Aktienmarkt gehört, als der Nikkei bei 40 000 stand – oder für die Analyse der Währungen, als der Dollar im Jahre 1985 in Richtung drei Franken davonmarschierte ? In jedem dieser Fälle haben wir eine Korrektur in Richtung fundamental gerechtfertigter Niveaus gesehen. Ähnlich einem Gummiband wirken die Fundamentalvariablen immer auf die Finanzmarktpreise ein und erzwingen über kurz oder lang immer wieder eine Korrektur ungerechtfertigter Übertreibungen. Das war immer so und wird auch immer so bleiben. Und einige von uns werden auch bei der nächsten Übertreibung unseren jüngeren Kollegen wieder sagen: ‹... mein lieber Freund, das haben wir in den letzten 50 Jahren doch schon ein paar Mal gesehen ›. Manchmal hilft es eben auch an den modernen Finanzmärkten, wenn wir ein » wenig die Historie zu Rate ziehen. Fotos: Pia Zanetti, Muriel Lässer
Mit dabei, wenn die Börse in New York in einen neuen Tag startet. Credit Suisse First Boston, Zürich, 15.15 Uhr.