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DIG MAG 1_2017_5777

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Erster Zionistenkongress<br />

»In Basel habe ich den Judenstaat gegründet.<br />

Wenn ich das heute laut sagte, würde mir ein<br />

universelles Gelächter antworten. Vielleicht in<br />

fünf Jahren, jedenfalls in fünfzig wird es Jeder<br />

einsehen.«<br />

Tagebucheintrag von Theodor Herzl 1897<br />

des Judentums in Verbindung gebracht werden, sondern sah<br />

sich im nordischen Europa verankert.Programmatisch änderte<br />

er seinen Namen von Süd­feld in Nord­au. 1880 ließ er sich als<br />

Arzt in Paris nieder und begann, kulturkritische Schriften zu<br />

verfassen. Seine Conventionellen Lügen der Kulturmenschheit<br />

(1883) wurden in fünfzehn Sprachen übersetzt und lösten eine<br />

europaweit ausgetragene Kontroverse aus. Sein 1892 erschienenes<br />

Buch Entartung setzte nicht nur einen später vielfach<br />

missbrauchten Begriff in die Welt, sondern war die Grundlage<br />

heftiger Auseinandersetzungen über den Charakter der Moderne<br />

und die Gefahren des heranbrechenden neuen Jahrhunderts.<br />

Nordau war HerzIs Mann. In ihm hatte er seinen prominenten<br />

Mitstreiter gefunden. Die beiden kannten sich schon vor dem<br />

Erscheinen von Herzls Judenstaat, und als dieser erschien,<br />

verstand Nordau sofort, was Herzl bewegte. »Erst das Anwachsen<br />

des Antisemitismus weckte in mir das Bewusstsein meiner<br />

Pflichten gegenüber meinem Volke und die Initiative fiel meinem<br />

teuren Freunde Herzl zu, zu dem ich in Paris in sehr nahe<br />

Beziehungen trat. Er wies mir den Weg zur Erfüllung meiner<br />

Pflichten gegenüber meinem Volke«, schrieb Nordau in einer<br />

Rückschau auf sein Leben an seinem sechzigsten Geburtstag.<br />

Als der Zionistenkongress vom 29. bis 31. August 1897 in Basel<br />

zusammentraf, maß Herzl Nordaus Präsenz besondere Bedeutung<br />

zu. Hier stand ein in ganz Europa respektierter Schriftsteller<br />

vor den etwa zweihundert Delegierten, die zumeist aus<br />

dem Zarenreich kamen und Jiddisch sprachen. Auch wenn viele<br />

von ihnen Anwälte, Ärzte und Intellektuelle waren, blieben sie<br />

für Herzl doch Ostjuden. Mit Nordau dagegen ließ sich Staat<br />

machen. Umso enttäuschter war Herzl, als Nordau zur Eröffnung<br />

in einem hellen Anzug erschien: »Einer meiner ersten<br />

Ausführungsgedanken schon vor Monaten war es, dass man<br />

im Frack u. weisser Halsbinde zur Eröffnungssitzung kommen<br />

müsse. Das bewährte sich ausgezeichnet. Die Feiertagskleider<br />

machen die meisten Menschen steif. Aus dieser Steifheit entstand<br />

sofort ein gemessener Ton – den sie in hellen Sommeru.<br />

Reisekleidern vielleicht nicht gehabt hätten – u. ich ermangelte<br />

nicht, diesen Ton noch ins Feierliche zu steigern. Nordau<br />

war am ersten Tag in der Redingote erschienen u. wollte<br />

durchaus nicht heimgehen u. den Frack nehmen. Ich zog ihn<br />

bei Seite, bat ihn, es mir zu Liebe zu thun … Nach einer Viertelstunde<br />

kam er im Frack wieder.« Herzl wusste genau, worum es<br />

bei solchen Kleinigkeiten ging: Die in Paris, Wien und München<br />

verlachte Bewegung musste Respekt erheischen. So änderte er<br />

in letzter Minute das ursprünglich vorgesehene Tagungslokal,<br />

das sich als verrauchter Bierkeller herausstellte, und mietete<br />

stattdessen das Stadtkasino. Ein würdiger Ort war – ebenso wie<br />

feste Kleidervorschriften – die Voraussetzung dafür, der Welt zu<br />

beweisen, dass es sich um eine ernstzunehmende Bewegung<br />

handelte.<br />

Das Baseler Programm<br />

Der Kongress verabschiedete das sogenannte Baseler Programm,<br />

dessen Kernpunkt lautet: »Der Zionismus erstrebt die<br />

Schaffung einer öffentlich­rechtlich gesicherten Heimstätte<br />

in Palästina für diejenigen Juden, die sich nicht anderswo<br />

assimilieren können oder wollen.« Die politische Umsetzung<br />

von Herzls Schrift Der Judenstaat war also von Anfang an recht<br />

vage. Herzl nahm sowohl Rücksicht auf die Interessen des<br />

osmanischen Sultans, der einem unabhängigen jüdischen Staat<br />

niemals zugestimmt hätte, wie auch auf die assimilierungswilligen<br />

Juden, denen er nicht vorschreiben wollte, ihre Heimat zu<br />

verlassen. Ob das endgültige Ziel ein unabhängiger Staat oder<br />

eine autonome jüdische Region innerhalb des Osmanischen<br />

Reichs sein sollte, ließen die Kongressteilnehmer bewusst offen.<br />

Diese Formulierung erlaubte zumindest die Interpretation, dass<br />

das Ziel des Zionismus die Erlangung einer rechtlichen Grundlage<br />

war, die es erlaubte, große Flächen des Landes zu erwerben<br />

und weitgehende Autonomierechte zu erhalten.<br />

16 | <strong>DIG</strong> <strong>MAG</strong>AZIN Nr. 1 <strong>2017</strong>/<strong>5777</strong>

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