26.09.2017 Aufrufe

DIG MAG 1_2017_5777

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Medien<br />

Abgelehnter Antisemitismus-Beitrag<br />

Armutszeugnis für ARTE<br />

Der öffentlich­rechtliche Fernsehsender ARTE lehnt die Ausstrahlung einer filmischen<br />

Doku mentation über Antisemitismus in Europa entgegen seiner ursprünglichen<br />

Zusage ab. Er wirft den Autoren formale Verstöße vor, doch es spricht erheblich mehr<br />

dafür, dass die Entscheidung politisch motiviert ist. Dem Sender passt offenkundig<br />

die Aussage des Films nicht.<br />

Als Mahmud Abbas im Juni des vergangenen Jahres vor<br />

dem europäischen Parlament eine Rede hält, behauptet<br />

darin, es gebe in Israel Rabbiner, die die israelische<br />

Regierung aufgefordert hätten, das Trinkwasser im Westjordanland<br />

zu vergiften, um Palästinenser zu töten. Das sei eine »klare<br />

Anstiftung zum Massenmord am palästinensischen Volk«. Es<br />

ist die uralte antisemitische Lüge von den Juden als Brunnenvergiftern.<br />

Die Abgeordneten erheben sich gleichwohl am Ende<br />

der Ansprache und spenden dem Palästinenserpräsidenten<br />

minutenlang Beifall.<br />

Jürgen Elsässer, Chefredakteur der Querfront­Zeitschrift Compact,<br />

zieht derweil auf einer Kundgebung vor dem Berliner<br />

Hauptbahnhof gegen »das internationale Finanzkapital« sowie<br />

»die Wall Street« vom Leder und ruft seinen Anhängern zu:<br />

»Wir müssen uns wehren sowohl gegen die Islamisierung wie<br />

gegen die Israelisierung und vor allem gegen die Amerikanisierung!«<br />

Linksradikale Demonstranten nennen den jüdischen Staat unterdessen<br />

ein »Konstrukt des Imperialismus« und klagen gleichzeitig<br />

darüber, man dürfe »wegen des Hitler­Hintergrunds«<br />

nichts gegen Israel sagen, weil man sonst sofort als Antisemit<br />

bezeichnet werde. Eine ältere evangelische Friedensaktivistin<br />

wirft den Israelis ein »Hineinsteigern in die Opferpsyche« vor<br />

und behauptet, sie täten heute »etwas Ähnliches wie das, was<br />

ihnen selber widerfahren ist«, verhielten sich also wie weiland<br />

die Nazis gegenüber den Juden.<br />

Dem Antisemitismus auf den Grund gegangen<br />

All das und noch sehr viel mehr dokumentiert der 90­minütige<br />

Film »Auserwählt und ausgegrenzt – der Hass auf Juden in<br />

Europa«, die Autoren Joachim Schroeder und Sophie Hafner<br />

von der Film­ und Fernsehproduktionsgesellschaft Preview<br />

Production aus München sind dafür viele tausend Kilometer<br />

durch Deutschland, Frankreich, Israel und den Gazastreifen<br />

gefahren. Sie zeigen aber nicht nur an ausgewählten Beispielen<br />

und Protagonisten eindringlich, wie virulent und wirkungsmächtig<br />

der Antisemitismus in beinahe allen politischen Lagern<br />

und Strömungen ist und welche unterschiedlichen Formen er<br />

annehmen kann, sondern sie ordnen ihn auch ein und zu, geschichtlich<br />

wie aktuell. Dazu dienen ihnen historische Aufnahmen<br />

genauso wie zahlreiche Interviews, die sie mit renommierten<br />

Experten geführt haben, beispielsweise mit der Linguistin<br />

Monika Schwarz­Frisel.<br />

Darüber hinaus gehen Schroeder und Hafner in Gaza der Frage<br />

nach, was genau eigentlich mit dem vielen Geld geschieht,<br />

über das die UNRWA, das Palästinenserhilfswerk der Vereinten<br />

Nationen, verfügt. Sie zeigen, dass es etlichen NGOs im Nahen<br />

Osten weniger um humanitäre Hilfe geht als vielmehr um die<br />

Dämonisierung und Delegitimierung des einzigen jüdischen<br />

Staates. Sie lassen aber auch palästinensische Studentinnen<br />

und Studenten aus dem Gazastreifen zu Wort kommen, die sich<br />

überraschend klar gegen die Hamas und deren Antisemitismus<br />

positionieren. All das widerspricht fundamental den landläufigen<br />

Gewissheiten, die »israelkritische« Europäer in Bezug<br />

auf die Tätigkeit humanitärer Organisationen einerseits und<br />

hinsichtlich der Palästinenser andererseits zu haben glauben.<br />

Joachim Schroeder und Sophie Hafner ist eine herausragende<br />

Dokumentation gelungen, die dem Hass gegen Juden buchstäblich<br />

auf den Grund geht. Dabei arbeiten sie in ihrem Film<br />

überzeugend heraus, dass der moderne Antisemitismus längst<br />

nicht nur in umgekippten Grabsteinen auf jüdischen Friedhöfen<br />

und in körperlichen Angriffen auf Juden zum Ausdruck kommt.<br />

Sondern dass er im Hass auf den jüdischen Staat, im Antizionismus<br />

also, eine mittlerweile noch populärere und gesellschaftsfähigere<br />

Variante gefunden hat, die sowohl bei Linksradikalen<br />

als auch bei Rechtsextremisten sowie bei Islamisten und in der<br />

bürgerlichen Mitte beheimatet ist.<br />

Wenn man an dem Film überhaupt etwas bemängeln kann,<br />

dann vielleicht, dass er bisweilen ein allzu atemberaubendes<br />

Tempo vorlegt und es nicht immer leicht ist, die immense Fülle<br />

und Dichte an Informationen, Schauplätzen, Blickwinkeln und<br />

Gesprächspartnern zu verarbeiten. Das aber ist nicht die Kritik<br />

von ARTE, jenem öffentlich­rechtlichen Sender, für den Schroeder<br />

und Hafner ihr Werk produziert haben – und der sich nun<br />

entgegen seiner Zusage weigert, die Dokumentation auszustrahlen.<br />

Zur Begründung heißt es in einem kurzen Schreiben<br />

des ARTE­Programmdirektors Alain Le Diberder vom 27. Februar<br />

dieses Jahres, der Film entspreche »in wesentlichen Punkten«<br />

nicht dem von der Programmkonferenz des deutsch­französischen<br />

Senders genehmigten Projekt.<br />

46 | <strong>DIG</strong> <strong>MAG</strong>AZIN Nr. 1 <strong>2017</strong>/<strong>5777</strong>

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!