DIG MAG 1_2017_5777
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Medien<br />
Abgelehnter Antisemitismus-Beitrag<br />
Armutszeugnis für ARTE<br />
Der öffentlichrechtliche Fernsehsender ARTE lehnt die Ausstrahlung einer filmischen<br />
Doku mentation über Antisemitismus in Europa entgegen seiner ursprünglichen<br />
Zusage ab. Er wirft den Autoren formale Verstöße vor, doch es spricht erheblich mehr<br />
dafür, dass die Entscheidung politisch motiviert ist. Dem Sender passt offenkundig<br />
die Aussage des Films nicht.<br />
Als Mahmud Abbas im Juni des vergangenen Jahres vor<br />
dem europäischen Parlament eine Rede hält, behauptet<br />
darin, es gebe in Israel Rabbiner, die die israelische<br />
Regierung aufgefordert hätten, das Trinkwasser im Westjordanland<br />
zu vergiften, um Palästinenser zu töten. Das sei eine »klare<br />
Anstiftung zum Massenmord am palästinensischen Volk«. Es<br />
ist die uralte antisemitische Lüge von den Juden als Brunnenvergiftern.<br />
Die Abgeordneten erheben sich gleichwohl am Ende<br />
der Ansprache und spenden dem Palästinenserpräsidenten<br />
minutenlang Beifall.<br />
Jürgen Elsässer, Chefredakteur der QuerfrontZeitschrift Compact,<br />
zieht derweil auf einer Kundgebung vor dem Berliner<br />
Hauptbahnhof gegen »das internationale Finanzkapital« sowie<br />
»die Wall Street« vom Leder und ruft seinen Anhängern zu:<br />
»Wir müssen uns wehren sowohl gegen die Islamisierung wie<br />
gegen die Israelisierung und vor allem gegen die Amerikanisierung!«<br />
Linksradikale Demonstranten nennen den jüdischen Staat unterdessen<br />
ein »Konstrukt des Imperialismus« und klagen gleichzeitig<br />
darüber, man dürfe »wegen des HitlerHintergrunds«<br />
nichts gegen Israel sagen, weil man sonst sofort als Antisemit<br />
bezeichnet werde. Eine ältere evangelische Friedensaktivistin<br />
wirft den Israelis ein »Hineinsteigern in die Opferpsyche« vor<br />
und behauptet, sie täten heute »etwas Ähnliches wie das, was<br />
ihnen selber widerfahren ist«, verhielten sich also wie weiland<br />
die Nazis gegenüber den Juden.<br />
Dem Antisemitismus auf den Grund gegangen<br />
All das und noch sehr viel mehr dokumentiert der 90minütige<br />
Film »Auserwählt und ausgegrenzt – der Hass auf Juden in<br />
Europa«, die Autoren Joachim Schroeder und Sophie Hafner<br />
von der Film und Fernsehproduktionsgesellschaft Preview<br />
Production aus München sind dafür viele tausend Kilometer<br />
durch Deutschland, Frankreich, Israel und den Gazastreifen<br />
gefahren. Sie zeigen aber nicht nur an ausgewählten Beispielen<br />
und Protagonisten eindringlich, wie virulent und wirkungsmächtig<br />
der Antisemitismus in beinahe allen politischen Lagern<br />
und Strömungen ist und welche unterschiedlichen Formen er<br />
annehmen kann, sondern sie ordnen ihn auch ein und zu, geschichtlich<br />
wie aktuell. Dazu dienen ihnen historische Aufnahmen<br />
genauso wie zahlreiche Interviews, die sie mit renommierten<br />
Experten geführt haben, beispielsweise mit der Linguistin<br />
Monika SchwarzFrisel.<br />
Darüber hinaus gehen Schroeder und Hafner in Gaza der Frage<br />
nach, was genau eigentlich mit dem vielen Geld geschieht,<br />
über das die UNRWA, das Palästinenserhilfswerk der Vereinten<br />
Nationen, verfügt. Sie zeigen, dass es etlichen NGOs im Nahen<br />
Osten weniger um humanitäre Hilfe geht als vielmehr um die<br />
Dämonisierung und Delegitimierung des einzigen jüdischen<br />
Staates. Sie lassen aber auch palästinensische Studentinnen<br />
und Studenten aus dem Gazastreifen zu Wort kommen, die sich<br />
überraschend klar gegen die Hamas und deren Antisemitismus<br />
positionieren. All das widerspricht fundamental den landläufigen<br />
Gewissheiten, die »israelkritische« Europäer in Bezug<br />
auf die Tätigkeit humanitärer Organisationen einerseits und<br />
hinsichtlich der Palästinenser andererseits zu haben glauben.<br />
Joachim Schroeder und Sophie Hafner ist eine herausragende<br />
Dokumentation gelungen, die dem Hass gegen Juden buchstäblich<br />
auf den Grund geht. Dabei arbeiten sie in ihrem Film<br />
überzeugend heraus, dass der moderne Antisemitismus längst<br />
nicht nur in umgekippten Grabsteinen auf jüdischen Friedhöfen<br />
und in körperlichen Angriffen auf Juden zum Ausdruck kommt.<br />
Sondern dass er im Hass auf den jüdischen Staat, im Antizionismus<br />
also, eine mittlerweile noch populärere und gesellschaftsfähigere<br />
Variante gefunden hat, die sowohl bei Linksradikalen<br />
als auch bei Rechtsextremisten sowie bei Islamisten und in der<br />
bürgerlichen Mitte beheimatet ist.<br />
Wenn man an dem Film überhaupt etwas bemängeln kann,<br />
dann vielleicht, dass er bisweilen ein allzu atemberaubendes<br />
Tempo vorlegt und es nicht immer leicht ist, die immense Fülle<br />
und Dichte an Informationen, Schauplätzen, Blickwinkeln und<br />
Gesprächspartnern zu verarbeiten. Das aber ist nicht die Kritik<br />
von ARTE, jenem öffentlichrechtlichen Sender, für den Schroeder<br />
und Hafner ihr Werk produziert haben – und der sich nun<br />
entgegen seiner Zusage weigert, die Dokumentation auszustrahlen.<br />
Zur Begründung heißt es in einem kurzen Schreiben<br />
des ARTEProgrammdirektors Alain Le Diberder vom 27. Februar<br />
dieses Jahres, der Film entspreche »in wesentlichen Punkten«<br />
nicht dem von der Programmkonferenz des deutschfranzösischen<br />
Senders genehmigten Projekt.<br />
46 | <strong>DIG</strong> <strong>MAG</strong>AZIN Nr. 1 <strong>2017</strong>/<strong>5777</strong>