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DIG MAG 1_2017_5777

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Portrait<br />

Arbeiteranwalt und Hitlers Feind<br />

Die Bundesgeschäftsstelle der <strong>DIG</strong> ist Ende letzten Jahres in die Littenstraße umgezogen.<br />

Der Straßenname erinnert an den Berliner Rechtsanwalt Hans Litten, der als »Arbeiter­<br />

Anwalt« stadtbekannt wurde. 1931 zog er sich durch eine strenge Zeugenbefragung die<br />

persönliche Feindschaft Adolf Hitlers zu. 1933 in Haft genommen, nahm sich Hans Litten<br />

nach fünfjährigen Qualen 1938 im Konzentrationslager Dachau das Leben.<br />

H<br />

ans Achim Litten wurde am 19. Juni 1903 in Halle an<br />

der Saale als Ältester von drei Söhnen geboren. Er<br />

entstammte einer angesehenen Königsberger Familie.<br />

Der Großvater väterlicherseits war Vorsteher der jüdischen<br />

Gemeinde in Königsberg gewesen, die Mutter Irmgard Litten<br />

kam aus einer gebildeten Pastoren­ und Professorenfamilie.<br />

Die emotionale und intellektuelle Nähe zur Mutter prägte<br />

Hans persönliche Haltung, seine Unbeugsamkeit, wie seine<br />

politischen Anschauungen und weckte sein Interesse an Kunst,<br />

Musik und Literatur. Dass er trotz seiner musischen Begabung<br />

und seines Wunsches, Kunstgeschichte zu studieren, Anfang<br />

der Zwanziger Jahre ein Studium der Rechtswissenschaft in<br />

Berlin und München aufnahm, ging auf den Einfluss des Vaters<br />

zurück.<br />

Nach seinem Jurastudium ließ sich Hans Litten 1928 mit dem<br />

sozial engagierten, der KPD nahestehenden Rechtsanwalt Ludwig<br />

Barbasch in einer gemeinsamen Anwaltskanzlei in Berlin<br />

nieder. Bereits einer seiner ersten Prozesse erregte Aufsehen<br />

und zeichnete den weiteren Lebensweg als »Arbeiter­Anwalt«<br />

vor. Er vertrat Arbeiter, die im März 1921 wegen organisierten<br />

Widerstandes gegen den vom preußischen Innenminister Carl<br />

Severing (SPD) befohlenen Polizeieinmarsch in die mitteldeutschen<br />

Industrieorte zu langjährigen Zuchthausstrafen verurteilt<br />

worden sind. Bei einigen gelang ihm eine Anerkennung als<br />

politische Täter. Über seinen Sozietätskollegen Barbasch hatte<br />

er Kontakt zur Roten Hilfe – einer von Wilhelm Pieck und Clara<br />

Zetkin gegründeten Selbsthilfeorganisation, die insbesondere<br />

in Zeiten von Streik und Arbeitslosigkeit sowohl notleidende<br />

Arbeiterfamilien unterstützte als auch Rechtsschutz und Verteidigung<br />

für Arbeiter anbot, die wegen ihrer politischen Aktivitäten<br />

oder Überzeugungen angeklagt wurden. Auch Hans Litten<br />

übernahm Mandate der Roten Hilfe.<br />

Unmittelbar nach dem Reichstagsbrand verhaftet<br />

Durch seine Prozessführung gelang es ihm, die Planmäßigkeit<br />

der NS­Gewalt aufzuzeigen. 1931 befragte er im »Edenpalast­<br />

Prozess« Adolf Hitler als Zeugen vor Gericht und trieb ihn dabei<br />

so in die Enge, dass er sich dessen persönliche Feindschaft<br />

zuzog. Unmittelbar nach dem Reichstagsbrand wurde Hans<br />

Litten am 28. Februar 1933 in »Schutzhaft« genommen. Er kam<br />

als politischer Gefangener ins KZ und mußte den roten Winkel<br />

tragen, und erst später, als die Nazis herausfanden, dass er jüdischer<br />

Abstammung war, kam er in Dachau in den »Judenblock«.<br />

Als seine Mutter ihn dort das letzte Mal besuchen durfte, trug<br />

er den gelben Stern. »Beim Abschied blickte er mich mit einem<br />

unendlich liebevollen und traurigen Lächeln an. Er wusste, dass<br />

wir uns nicht mehr wiedersehen würden«, erinnerte sie sich in<br />

ihrem Buch »Eine Mutter kämpft gegen Hitler«. Mithäftlinge<br />

bestätigten später, dass Hans Litten inzwischen einem geistigen<br />

Wahn verfallen war und von den Wachmannschaften<br />

immer wieder brutal misshandelt wurde. »Fünf Jahre Haft sind<br />

genug«, argumentierte Litten gegenüber seinen Leidensgenossen.<br />

Am 5. Februar 1938, kurz nach Mitternacht, setzte er seinem<br />

Leben durch Strangulation ein Ende.<br />

In Ost­Berlin wurde 1951 die Neue Friedrichsstraße nach Hans<br />

Litten umbenannt. Eine Gedenktafel erinnerte scheinbar ohne<br />

Parteinahme an den »unerschrockenen Kämpfer für Menschlichkeit<br />

und Frieden«. Doch Litten diente der DDR­Staatsführung<br />

auch als Vorbild für ihre späteren »Volksrichter«, und schon sehr<br />

bald verfälschte man das Bild des unbequemen Anwalts und<br />

verdrehte seine Vita, bis sich der parteikritische Marxist passgenau<br />

in das kommunistische Weltbild der DDR fügte.<br />

Hans Litten (Mitte) im Kriminalgericht Berlin-Moabit am<br />

25. August 1932, nachdem er wegen angeblicher kommunistischer<br />

Propaganda von einer Verhandlung ausgeschlossen wurde.<br />

Foto: ullstein bild<br />

In der alten Bundesrepublik wurde die Erinnerung an Litten fast<br />

vollständig verdrängt. Seine marxistischen Ideale widersprachen<br />

der hier herrschenden antikommunistischen Ideologie.<br />

Über Littens jüdische Wurzeln schwieg man sich in beiden<br />

Teilen Deutschlands 60 Jahre lang aus. Zu unbequem war die<br />

Mahnung an den deutschen Völkermord, die in seiner Person<br />

lebendig blieb. Stattdessen gab es Versuche, Litten einen abstrakten<br />

christlichen Humanismus zu unterstellen, der sowohl<br />

dazu diente, Litten zu entpolitisieren als auch seine aktiv gelebte<br />

Verwurzelung in der deutsch­jüdischen Kultur zu verleugnen.<br />

Katrin Oraizer<br />

<strong>DIG</strong> Bundesgeschäftsstelle<br />

28 | <strong>DIG</strong> <strong>MAG</strong>AZIN Nr. 1 <strong>2017</strong>/<strong>5777</strong>

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