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Rundbrief der Emmausgemeinschaft - Ausgabe 04|17

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Thema | 11<br />

Bürgern gewährt, von innen her, aus <strong>der</strong><br />

moralischen Substanz des einzelnen und<br />

<strong>der</strong> Homogenität <strong>der</strong> Gesellschaft, reguliert.“<br />

An<strong>der</strong>erseits kann er diese Regulierung<br />

aus eigener Kraft nicht garantieren,<br />

ohne zugleich seinen freiheitlichen Anspruch<br />

aufzugeben und Zwang auszuüben.<br />

Vielleicht ist das nicht weiter schlimm.<br />

Denn die allermeisten Menschen verstehen<br />

ohnehin intuitiv, dass sie geben sollten,<br />

was sie sich von an<strong>der</strong>en wünschen.<br />

Die „Goldene Regel“ kennen folglich alle<br />

Hochreligionen.<br />

Warum tut das dann nicht jede/r?<br />

Meines Erachtens liegt es am Vertrauen.<br />

Verbreitet ist nämlich die Sorge, dass –<br />

selbst wenn ich mich an Regeln halte –<br />

an<strong>der</strong>e genau das nicht tun. „Man müsste<br />

einfach allen Menschen vertrauen können<br />

…“ – bis dahin sorge ich sicherheitshalber<br />

dafür, dass ich stets leicht im Vorteil bin.<br />

Genau das erleben alle Menschen annähernd<br />

gleich: ein Schwanken zwischen<br />

Vertrauen und Misstrauen, ein Ringen um<br />

Vertrauenswürdigkeit.<br />

„You are entering a neighbourhood<br />

watchzone“ – „Sie betreten eine Zone, in<br />

<strong>der</strong> Nachbarn aufeinan<strong>der</strong> aufpassen“,<br />

war an <strong>der</strong> Nebenstraße zum Haus meiner<br />

Schwiegereltern in Oklahoma City/<br />

USA zu lesen. Als Warnung für alle, die<br />

Böses im Schilde führen. – Ein schönes<br />

Beispiel für eine funktionierende Zivilgesellschaft.<br />

Ja, Menschen vertrauen einan<strong>der</strong> gerne<br />

und mit schönen Resultaten. Vor allem<br />

dort, wo hohe soziale Kontrolle ausgeübt<br />

wird, wo man einan<strong>der</strong> kennt und am Leben<br />

<strong>der</strong> Nachbarn Anteil nimmt. Anonymität<br />

hingegen zerstört die Bereitschaft <strong>der</strong><br />

Menschen zu Einfühlung und Kooperation.<br />

Auch Reichtum scheint zu isolieren und<br />

Angst zu för<strong>der</strong>n. Reiche bauen eher<br />

hohe Mauern und statten ihre Anwesen<br />

mit Kameras aus. Sie verlassen sich nicht<br />

auf aufmerksame Nachbarn, fürchten geradezu<br />

<strong>der</strong>en Neid.<br />

Könnte unser relativer Reichtum vielleicht<br />

mit ein Grund sein für die Zunahme depressiver<br />

Erkrankungen in den letzten<br />

Jahrzehnten?<br />

Wir sind voller Angst und voller Sehnsucht<br />

nach Geborgenheit und ringen um<br />

Vertrauen. Hier sind „Begegnungszonen“<br />

hilfreich: Gemeinsam pflanzen, tanzen,<br />

kochen, mit Kin<strong>der</strong>n spielen, lachen, freiwillige<br />

Arbeit leisten … und bei Streit das<br />

Gemeinsame suchen.<br />

Unlängst im Großraumabteil eines überfüllten<br />

Schnellzugs – eine einzige multikulturelle<br />

Begegnungszone. Ein junger<br />

Mann mit „offensichtlichem Migrationshintergrund“<br />

bemerkt den älteren Mitbürger,<br />

erhebt sich sofort und überlässt<br />

ihm seinen Platz. Die teils studentisch<br />

aussehenden, in ihre Smartphones und<br />

Tabletts vertieften „offensichtlichen ÖsterreicherInnen“<br />

hingegen bleiben sitzen.<br />

Es war keine Frage, wer in dem Waggon<br />

am ehesten etwas für den Zusammenhalt<br />

<strong>der</strong> Gemeinschaft geleistet und somit einem<br />

geglückten Mensch-Sein entsprochen<br />

hatte.<br />

Genau darum geht es! Um die kleinen<br />

Dinge, die in Summe das gute Leben ausmachen.<br />

Walter Steindl leitet das<br />

Emmaus-Wohnheim am Kalvarienberg<br />

in St. Pölten.

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