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2006-04

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Inhaltsübersicht:<br />

Aus der Redaktion<br />

Seite<br />

Aus der Redaktion 03<br />

Die Kraft der Stille <strong>04</strong><br />

Die Weihnachtskrippe 06<br />

Weihnachtsplätzchen! Knusprig – zart? 08<br />

Perspektiven 10<br />

Ein Stück Lebenshilfe 12<br />

Ein Mensch wird 80 16<br />

Hübbelbummler (wird geändert!) 18<br />

Die Fußgängerin um die Obernau 22<br />

Der Reiter und der Bodensee 23<br />

Der etwas andere Laden 25<br />

Auf einmal ist der Alltag Nebensache 26<br />

Aus dem Seniorenbeirat 32<br />

Marias Krimi 33<br />

Gedächtnistraining 34<br />

Portrait: Rotraud Ewert 36<br />

Liebe(s):Spiele(n) 38<br />

Mobilität im Alter 40<br />

Eine Reise durch den Norden Irans 42<br />

Mit warmer oder kalter Hand 44<br />

Oawwerschdatt – Kaufhof – Oawweres Schloss 45<br />

Das Frauenbild der 50er Jahre 46<br />

Wieder einmal nichts passiert 49<br />

Das fiel uns auf…/ Lösungen / Impressum / Zu guter Letzt 50<br />

Mit großer Freude stellen wir Ihnen heute unsere Geburtstagsausgabe vor. Im Innenteil ist<br />

eine 48-seitige Sonderausgabe eingeheftet, die die 20-jährige Entwicklung der Siegener<br />

Seniorenzeitung verdeutlicht. Den neuen durchblick haben wir um acht auf 52 Seiten erweitert,<br />

insgesamt umfasst dieses Heft also 100 Seiten! Wie angekündigt beträgt erstmals<br />

seit Bestehen des durchblick die Auflage mehr als 10 000 Exemplare.<br />

Für das Geburtstags-Titelbild haben die 20 Macher des durchblick, Redakteure und<br />

Mitarbeiter, der Siegener Fotokünstlerin Rita Petri Modell gestanden. In dieser Riege fehlt<br />

lediglich unsere Organisationsleiterin Helga Siebel-Achenbach, sie war zwischen Festlegung<br />

und Ausführung des Fototermins unerreichbar, wie vom Erdboden verschluckt.<br />

Eingesprungen ist dafür Matz, (aufmerksame Betrachter werden schon das Kindergesicht<br />

im Titelfoto entdeckt haben) er war zufällig anwesend und hat „als Hauptdarsteller einiger<br />

‚Zu-guter-Letzt’-Beiträge ja auch einen besonderen Bezug zum durchblick,“ wie Rita Petri<br />

anmerkt.<br />

Die Redaktion wünscht allen Leserinnen und Lesern besinnliche Weihnachtstage, einen<br />

„guten Rutsch“ und ein frohes neues Jahr.<br />

Ihnen nun viel Freude beim Lesen des neuen durchblick.<br />

Titelfoto: Rita Petri/Reiner Olesch<br />

durchblick 4/<strong>2006</strong> 3


Zur Adventszeit<br />

Die Kraft der Stille<br />

dankbare Geste, ein überraschender<br />

Telefonanruf, ein fröhlicher Brief und<br />

vieles mehr. Sie ist also das Tor zu einer<br />

Wirklichkeit, in der wir uns erneuern<br />

können und gleichzeitig auch das<br />

Tor, durch das Andere uns erreichen<br />

können.<br />

Benediktinerkloster Maria Laach<br />

Wir leben in einer lauten und unruhiger Welt. Tempo<br />

und Lärm prägen unseren Alltag. Es scheint, als<br />

wäre es kaum noch möglich, Ruhe und Stille zu finden.<br />

Ruhe, Stille sind Fremdwörter unserer Zeit geworden.<br />

Sie stehen gegen den heutigen Trend.<br />

Hetze, Lärm, Lautstärke ist angesagt. Hetze, Stress,<br />

Wettkampf im Berufsleben. Hetze und Lärm auf den<br />

Straßen. Hetze in der eigenen Wohnung – im Alltag. Lautstärke<br />

vor allem bei der Jugend, auf den Straßen, Discotheken,<br />

im Haus. Das Laute, Lärmende ist zu einer Haltung<br />

geworden. Ist die Stille befreiend oder beklemmend? Bedeutet<br />

die Stille nicht das Fehlen von Kommunikation und<br />

Tätigkeit, von Leistung und Fortschritt, von Leben schlechthin?<br />

Nein, die Stille ist etwas Unentbehrliches für den Menschen,<br />

der seine Seele, seinen Geist und auch seinen Körper<br />

gesund erhalten will. Wenn wir die Stille nicht mehr<br />

finden, verlieren wir uns. Sie ist das Atemholen der Seele,<br />

die Kraftquelle zum Leben. In der Stille wohnen die Freuden<br />

des Lebens, die wir vor lauter Hetze verloren haben.<br />

Aus ihr wachsen die kleinen Aufmerksamkeiten, die viel<br />

weniger Zeit brauchen als wir meinen, ein verständnisvolles<br />

Zuhören, ein gutes Wort, ein freundliches Gesicht, eine<br />

Ich habe in diesem Sommer das<br />

Kloster Maria Laach besucht. Die Klosteranlage<br />

liegt inmitten grüner Wälder,<br />

Wiesen und Felder nahe dem größten<br />

Eifelsee Laach. Die Abtei zählt heute<br />

56 Mönche und wird nach der im Jahre<br />

529 verfassten Klosterregel St. Benedikts<br />

von einem Abt geleitet. Wer<br />

aus dem Lärm und der Hetze der Straße<br />

in ein Kloster tritt, sollte meiner<br />

Meinung nach eine geheimnisvolle Stille<br />

empfinden. Erst mal war ich enttäuscht.<br />

Ich musste erleben, wie ein<br />

Kloster auch als Unternehmen funktioniert.<br />

Am Eingang der Klosteranlage<br />

stehen mehrere Läden mit einem reichen<br />

Angebot von Obstbrände, Kräuterschnäpse,<br />

Bio-Produkte, Lebensmittel,<br />

Kunsthandwerke und Andachtsgegenstände,<br />

alles Erzeugnisse der Mönche.<br />

Schließlich ist das Wirken der Mönche<br />

nach der bekannten Devise „Ora et labora“,<br />

„Bete und arbeite“, vom Gebet<br />

und von der Arbeit geprägt. Auch die Klöster stehen im<br />

Wandlungsprozess der Geschichte. Von den Klöstern des<br />

frühen Mittelalters strömten Bildung und Kultur ins Land.<br />

Heute sieht der Tagesablauf der Mönche ganz anders aus.<br />

Seelsorge, Wissenschaft und Kunst, Obst- und Gartenbau,<br />

Arbeit in den Werkstätten, in einem Buch- und Kunstverlag,<br />

einigen Kunstwerkstätten und in einer gut besuchten<br />

Buch- und Kunsthandlung füllen den Tag der Mönche aus.<br />

Dabei werden sie von zahlreichen Laienkräften in ihrem<br />

vielfachen Bemühen unterstützt. Für viele Dienste in Kirche<br />

und Gesellschaft werden sie in Anspruch genommen.<br />

Als ich dann weiter ging, den Klostergarten besuchte und<br />

vor der Klosterkirche stand, änderten sich meine Gefühle<br />

und Eindrücke. Der wunderschön angelegte Klostergarten<br />

mit Blumen und Kräuter ist ein spürbarer Ort der Stille und<br />

Erholung.Teresa von Avila (1515–1585, Mystikerin, Heilige)spricht<br />

auch von der „Grünkraft des Lebens“. Die Farben<br />

des Gartens lassen den Menschen zur Entspannung<br />

kommen und schenken ihm Kraft für den Alltag.<br />

Ein Blick auf den Außenbau der Klosterkirche zeigt ein<br />

klares romanisches Baugefüge, eine dreischiffige, doppelchörige<br />

Basilika mit zwei Querhäusern, überhöht ➤<br />

4 durchblick 4/<strong>2006</strong>


Zur Adventszeit<br />

von sechs Türmen. Betritt man das Innere<br />

der Abteikirche wird man von der<br />

„königlichen Halle“ umfangen. Der<br />

Raum hat etwas Bezwingendes und<br />

vermittelt einen ehrwürdig-feierlichen<br />

Eindruck. Nachdem ich die Innenausstattung<br />

der Kirche bewundert habe,<br />

bin ich in einen Nebenraum gegangen,<br />

der der Anbetung und stillen Einkehr<br />

dient. Hier wollte ich Stille erleben,<br />

musste aber feststellen, dass das nicht<br />

so einfach ist. Denn kaum entsteht die<br />

Stille, so füllt sie sich mit Gedanken,<br />

es kamen Sorgen auf und meine Gedanken<br />

kreisten um alle möglichen<br />

Dinge herum. Ich musste feststellen,<br />

dass es mir an innerer Disziplin mangelte,<br />

die eine Ruhe des Geistes hervorbringt.<br />

Allmählich beruhigten und<br />

klärten sich meine Gedanken und<br />

Emotionen. Es geschah eine Verwandlung,<br />

die beunruhigende, beklemmende<br />

und bedrängende Stille wurde beruhigend,<br />

erholsam, tröstend, stärkend.<br />

Die Gedanken sortierten sich und kamen<br />

ins richtige Verhältnis.<br />

„Je größer das Maß an Ruhe in unserem<br />

Geist, je größer unser geistiger<br />

Frieden, desto eher werden wir ein glückliches<br />

und freudvolles Leben genießen<br />

können“. (Der XIV. Dalai Lama)<br />

Stille kann man nicht nur im „Haus Gottes“ erleben. Es<br />

gibt viele Möglichkeiten, einen geeigneten Weg zu inneren,<br />

Ruhe zu finden, zum sich-Niederlassen, zum Pausemachen,<br />

wo wir die Spannung des Tages an uns und in uns lockern,<br />

ganz bewusst jeden Muskel hängen lassen, von der Stirn bis<br />

zur Fußspitze, alles loslassen. Mit jedem Ausatmen fällt etwas<br />

mehr von uns ab und mit jedem Einatmen werden wir<br />

offener für Neues. Je mehr wir loslassen können, desto<br />

mehr können wir zulassen und ganz allmählich werden wir<br />

dabei gelassener und ruhiger. Was in der Stille auf uns einwirkt,<br />

das wirkt sich auch auf uns aus, und auf andere um<br />

uns herum.<br />

Gewächshaus, das zum Klostergarten der Abtei gehört<br />

Eine Möglichkeit, vollkommen in sich zu versinken, zu<br />

Gelassenheit und zu sich selbst zu finden, ist die Meditation.<br />

Sie blickt auf eine Jahrtausende alte Geschichte in<br />

fernöstlichen Kulturen zurück, aber auch in den großen<br />

abendländischen Religionen wird sie praktiziert. Meditierten<br />

die Menschen einst vor allem mit dem spirituellen Ziel,<br />

sich einem höheren Wesen (Gott) anzunähern, einen höheren<br />

Bewusstseinszustand zu erreichen und Erleuchtung zu<br />

erlangen, so sind „moderne“ Meditationsziele viel greifbarer.<br />

Der moderne, stressgeplagte Mensch sucht in der Meditation<br />

eine Zuflucht, eine Oase der Ruhe, oder auch Seelenfrieden<br />

und Stabilität für seine Psyche. Andere versinken<br />

in sich um stressbedingte Beschwerden loszuwerden.<br />

Die heilsame Kraft der Meditation wird heute in der Psychotherapie<br />

genutzt um Geist, Seele und Körper in Einklang<br />

zu bringen.<br />

Lebensfeste und Jahresfeste bieten uns eine andere<br />

Möglichkeit zur Ruhe, zu sich selbst zu kommen, zurückzukehren<br />

zur Stille, zur Quelle ihrer Kraft. Wir stehen kurz<br />

vor der Adventzeit. Advent sagt man, sei die stillste Zeit im<br />

Jahr. Es ist die Zeit der Besinnung, der Vorfreude auf das<br />

Fest der Geburt Christi. Für viele Menschen ist die Weihnachtszeit<br />

eine hektische Zeit. Man muss laufen um Geschenke<br />

zu kaufen, den Tannenbaum besorgen, Einkäufe<br />

für das Festessen machen und hat man das beisammen, beginnt<br />

die Hektik zu Hause. Wünschenswert wäre es, wenn<br />

wir uns mehr Zeit nehmen würden, zum Nachdenken über<br />

sich selbst und über die Umwelt, über die großen Zusammenhänge<br />

in Geschichte und Kultur, dann würden wir auch<br />

zur Ruhe kommen und das Weihnachtsfest mit Besinnung,<br />

Frieden und Freude erleben.<br />

Dorothea Istock<br />

durchblick 4/<strong>2006</strong> 5


Weihnachtliches<br />

„Und sie gingen hin und fanden das Kind in der Krippe“<br />

Die Weihnachtskrippe<br />

Weihnachtsfest wurden sie festlich gekleidet und als Christuskind<br />

in eine Krippe gelegt. Dazu wurden Wiegenlieder<br />

gesungen, um das Jesukind in den Schlaf zu wiegen.<br />

„Da droben auf dem Berge, da wehet der Wind, da sitzet<br />

Maria und wieget ihr Kind.“<br />

Seit den Tagen des heiligen Franziskus haben die Menschen<br />

nicht aufgehört, Krippen aufzustellen. Jede Zeit und<br />

jede Epoche hat ihre eigenen Vorlieben für die Gestaltung<br />

der biblischen Szenen gefunden. Mit viel Phantasie und<br />

künstlerischem Geschick wurde und wird das Wunder der<br />

Weihnacht den Menschen vor Augen geführt.<br />

Dorothea Istock<br />

Die Weihnachtskrippe, die Darstellung der Geschichten<br />

von der Geburt Jesu, gehört für viele zu den unentbehrlichen<br />

Bestandteilen des Christfestes.<br />

Die erste Weihnachtskrippe stand im Jahre 1225 in einer<br />

Höhle bei Greccio in den Sabiner Bergen. Der heilige<br />

Franziskus von Assisi hatte zu einer Futterkrippe Ochs und<br />

Esel gestellt. Er verkündete den Bettlern dieser Gegend die<br />

Weihnachtsbotschaft und wollte ihnen zeigen, dass auch<br />

der menschgewordene Gottessohn arm und mittellos war.<br />

Das Bild der Krippe mit Maria, Joseph, die Hirten mit ihrer<br />

Herde und die Engel hat seinen Ursprung im Text des<br />

Lukasevangeliums, nach dem Matthäusevangelium ergänzen<br />

die drei Weisen und die Sterne das Krippenbild. Der<br />

Ochse und der Esel, die dazugehören, kommen in den beiden<br />

Evangelien nicht vor und sind wahrscheinlich auf die<br />

erste aufgestellte Krippe von Assisi zurückzuführen.<br />

Eine andere Wurzel hat der Krippenbrauch im Kindleinwiegen,<br />

das in vielen Frauenklöstern üblich war. Den<br />

aus reichen Familien stammenden Töchtern gab man als<br />

Trost für die Entsagung im Kloster „Trösterlein“ mit. Zum<br />

Lassen Sie Ihren<br />

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Aus einem Weihnachtsbuch von Paul Weismantel<br />

möchte ich eine Geschichte über Ochs und Esel wiedergeben.<br />

Ochs und Esel.<br />

An keiner Krippe dürfen wir fehlen. Wir gehören einfach<br />

dazu. Bereits im Alten Testament werden wir ausdrücklich<br />

erwähnt. Wir haben unseren Stammplatz ganz<br />

vorn. Wir sind einfach nicht wegzudenken. Wir werden zusammen<br />

genannt und zusammen an die Krippe gestellt, obwohl<br />

wir doch zwei ganz verschiedene und je eigenständige<br />

Wesen sind. Wir stehen gleichberechtigt nebeneinander,<br />

ohne dass man uns einfach gleich machen könnte.<br />

Als Esel bin ich schon noch ein bischen tiefer mit dem<br />

Jesuskind verbunden, nicht erst seit der Dichter Waggerl die<br />

Geschichte über mein störrisches Wesen geschrieben hat,<br />

sondern von der Heilsgeschichte her. Ich darf das Kind und<br />

seine Mutter nach Ägypten tragen, wenn sie vor dem<br />

machtgierigen Herodes fliehen müssen. Ich werde den<br />

Herrn am Palmsonntag bei seinem Einzug in Jerusalem auf<br />

meinem Rücken trage. So bin ich gleichsam sein Lieblingsgefährt.<br />

Ja, ich lebe mit ihm auf Tuchfühlung.<br />

Wie gedankenlos die Menschen doch manchmal daherreden,<br />

wenn sie unsere beiden Namen als Schimpfwörter<br />

gebrauchen. Dabei tun wir keinem von ihnen auch nur das<br />

Geringste zu Leide. Im Gegenteil, wir dienen ihnen. Aber<br />

so ist es eben, wer anderen nützt, wird auch leicht ausgenützt.<br />

Und Dankbarkeit ist überhaupt für viele heute eher<br />

eine vergessene Tugend.<br />

Wir sind dankbar für unseren Platz an der Krippe. Er gefällt<br />

uns. Es ist ein schöner Platz, eine Ehrenplatz gewissermaßen.<br />

Ehre jedoch zuerst dem Schöpfer des Himmels<br />

und der Erde, der Tiere und der Menschen.<br />

Dorothea Istock<br />

6 durchblick 4/<strong>2006</strong>


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durchblick 4/<strong>2006</strong> 7


Weihnachtliches<br />

Weihnachtsplätzchen! Knusprig – zart?<br />

Von wegen! Na ja – es waren meine ersten und gerochen<br />

haben sie richtig gut. Auch ihr Aussehen hätte preisgekrönt<br />

werden können …. wenn, ja wenn. Also erst einmal der<br />

Reihe nach.<br />

Jung verheiratet, erste Wohnung, erste Weihnacht! Was<br />

lag da näher, als auch die ersten Plätzchen zum Fest zu machen.<br />

Meine kleine Küche wurde für das große Backfestival<br />

vorbereitet. Platz geschaffen für Schüsseln und Töpfe,<br />

Gläser und Näpfe. Dann ich mitten drin! Steif gestärktes<br />

Halbschürzchen, hochroten Kopf voller Ideen, wie die<br />

süßen Leckereien dekoriert werden sollten. Backeuphorie<br />

pur!<br />

Also an die Arbeit. Wie war das doch noch? Ein Rührteig<br />

war flüssig, ein Plätzchenteig fest, sodass man ihn ausrollen<br />

konnte. Nun, das lag doch auf der Hand, Rührteig<br />

machen und dann so viel Mehl hinein, bis er fest war. Prima,<br />

es klappte wie am Schnürchen. Dann Teig ausrollen<br />

und nun kam das Schönste: Plätzchen ausstechen. Weil ich<br />

noch keinen Herd mit Backofen besaß, hatte ich mir vom<br />

nahen Bäcker ein großes – ein sehr großes – Blech geholt.<br />

Das fettete ich nun ein, und nach einigen Stunden harter,<br />

mehliger Arbeit lagen sie da, die prächtigsten Weihnachtsplätzchen,<br />

die ich je gesehen hatte! Ich strich mir das Mehl<br />

von der Stirn. Da sollten sie nur alle staunen, alle die da<br />

glaubten, ich sei für so was nicht geeignet. Ihre Vorurteile<br />

müssten sie gründlich revidieren müssen, wenn sie erst das<br />

hier gesehen und probiert hätten. Ich sah mich bereits, wie<br />

ich mit einem Michelin-Stern gekürt, nur noch mit den<br />

großen Köchen an den Herden der Welt stand. Zurück in<br />

meine Küche! Da lagen sie nun, die Kränzchen und Sternchen,<br />

die Zöpfe und Engel, die Tannenbäume und Nikoläuse,<br />

verziert mit Nüssen, braunem Zucker, Schokolade<br />

und Marzipan. Alle fein ausgerichtet, in Reih und Glied, alle<br />

im gleichen Abstand. Dieses Kuchenblech war ein<br />

Kunstobjekt. Es hätte in den Louvre gehört – oder noch besser<br />

– in das Museum of Modern Art. Stattdessen deckte ich<br />

es fein säuberlich mit Handtüchern ab und schleppte (ja es<br />

war eben keine leichte Kunst), also ich schleppte es zum<br />

Bäcker, damit es dort im vorgeheizten Ofen zu dem unvergleichlichen<br />

Backwerk würde, wozu ich es auserkoren hatte.<br />

Zu Hause brachte ich dann meine Küche wieder in ihren<br />

ursprünglichen Zustand zurück. Wischte die Mehlspuren<br />

von den Stühlen, Fegte den Zucker vom Tisch und kratzte<br />

rosa und weißes Marzipan von den Schranktüren ab. Die<br />

Schokoladen und Kakaoflecken auf dem Fußoden würden<br />

wohl mit Gottes Hilfe und Meister Proper mit der Zeit verschwinden.<br />

Dann kam das Größte. Ich holte meine Prachtstücke<br />

vom Bäcker ab. Ein Korb, ausgelegt mit frischen Handtüchern,<br />

sollte den Lohn der Arbeit aufnehmen. Mensch,<br />

war ich stolz, als der Bäckermeister vorsichtig, damit auch<br />

nicht eines der zauberhaften Dinger Schaden nahm, dieselben<br />

vom Blech in den Korb gleiten ließ.<br />

Im Laden bezahlte ich dreißig Pfennig Backlohn und ich<br />

wartete nur auf den Moment, in dem es sich ergab, und ich<br />

der Bäckersfrau großzügig und mit Gönnermiene an- ➤<br />

8 durchblick 4/<strong>2006</strong>


Weihnachtliches<br />

Sie wurden nicht mürbe, nicht Ostern, und auch nicht zu<br />

Pfingsten.<br />

bot, doch ruhig mal eines meiner ersten Weihnachtsplätzchen<br />

zu probieren. Dankend und lachend nahm sie an, griff<br />

in den Korb und nahm einen mit rosa Marzipan verzierten<br />

Engel heraus. Sie biss zu und das Lachen erstarb ihr wortwörtlich<br />

auf den Lippen. Sie biss erneut, aber ihre Zähne<br />

klappten auf das Gebäck wie auf eine Betonplatte. Erneut<br />

griff sie in den Korb. Ein Kringel mit braunem Zucker aber<br />

bot denselben Widerstand wie der Engel. Erst jetzt begriff<br />

ich, was da passierte. Hastig griff ich in den Korb, aber auch<br />

meine Zähne erlagen dem Kampf mit einem niedlichen<br />

Weihnachtsbäumchen, verziert mit silbernen Perlchen. Wie<br />

aus weiter Ferne hörte ich die Worte der Bäckersfrau:<br />

„Mein Gott, Frau Göbel, was ist denn da passiert?“ Ja, eher<br />

hätte ich eine Antwort auf die Frage gehabt, warum der Nil<br />

jedes Jahr Hochwasser führt. Hierzu wusste ich nichts zu<br />

sagen. Tränen rannen über meine Wangen und benetzten<br />

meine Betonplätzchen. „Haben Sie denn kein Kochbuch,<br />

oder warum haben Sie nicht mit Ihrer Mutter über das Rezept<br />

gesprochen?“ wurde ich weiter gefragt. Meine Antwort<br />

war so simpel wie entwaffnend: „Ich dachte, so was<br />

könnte man doch einfach … als Frau!“ Nun hatte auch die<br />

Bäckersfrau Tränen in den Augen, immerhin war ich erst<br />

19! Sie gab mir noch eine große Blechdose und meinte, da<br />

drinnen würden die Plätzchen unter Umständen bis Weihnachten<br />

noch mürbe. Sie wurden nicht mürbe, nicht Weihnachten,<br />

nicht Ostern, und als ich sie Pfingsten einer Nachbarin<br />

vermachte, die sich Hühner hielt, mussten sie noch<br />

im Mixer zerkleinert werden, um als Hühnerfutter endlich<br />

ein nahrhaftes Ende zu finden.<br />

Inge Göbel<br />

durchblick 4/<strong>2006</strong> 9


Gesellschaft<br />

Perspektiven<br />

Ob Katharina im Jahr 2024 das Abitur macht, kann niemand vorhersagen.<br />

Ob Katharina im Jahr 2024 das Abitur macht, kann niemand<br />

vorhersagen. Aber die Fachleute im Statistischen<br />

Bundesamt (Wiesbaden) gehen davon aus, dass sie den<br />

Sommer des Jahres 2088 erlebt. Dann hat die Kleine ein<br />

Alter von 82 Jahren erreicht und das entspricht der prognostizierten<br />

Lebenserwartung für Mädchen des Jahrgangs<br />

<strong>2006</strong>.<br />

Dank besserer Lebensbedingungen und großer Fortschritte<br />

in der Medizin ist die Lebenserwartung den letzten<br />

130 Jahren erheblich angestiegen. Für die Vorausberechnung<br />

wird davon ausgegangen,<br />

dass sie auch weiter, allerdings<br />

langsamer als in der<br />

Vergangenheit, zunehmen<br />

wird. Das ist die eine Seite<br />

des demographischen Wandels.<br />

Gleichzeitig gibt es<br />

immer weniger Frauen und<br />

Männer, die sich für Kinder entscheiden. Wir werden also<br />

weniger und älter. Bevölkerungsvorausberechnungen zeigen,<br />

wie sich die Bevölkerung zahlenmäßig und in ihrem<br />

Altersaufbau entwickelt. Naturgemäß werden die Voraussagen<br />

unsicherer, je weiter sie in die Zukunft weisen. Andererseits<br />

verlaufen demographische Prozesse sozusagen in<br />

„langen Wellen“. Daher ist ausgeschlossen, dass ein rascher<br />

Wiederanstieg der Geburtenrate auf zwei Kinder pro<br />

Glücklicherweise sind viele Ältere nicht<br />

einfach nur an sich selbst interessiert,<br />

sondern haben ein starkes Interesse an<br />

ihren Kindern und Enkeln.<br />

Frau in den nächsten Jahrzehnten die<br />

Alterung und den gleichzeitigen Bevölkerungsschwund<br />

noch abwenden<br />

könnte.<br />

In Zahlen: Die Geburtenziffer je<br />

Frau verharrt seit drei Jahrzehnten bei<br />

knapp 1,4 Kindern. Die Statistiker<br />

schreiben diese Zahl zunächst fort und<br />

gehen davon aus, dass auch in absehbarer<br />

Zukunft 100 Frauen insgesamt<br />

weniger als 140 Kinder zur Welt bringen.<br />

Bedauerlicherweise handelt es<br />

sich dabei nur um etwa 70 Mädchen.<br />

Schließlich zeigt sich in einer weiteren<br />

Generation, dass den jetzt lebenden<br />

100 Frauen nur 30 bis 35 Enkelinnen<br />

gegenüberstehen.<br />

Beginnend mit dem Geburtsjahrgang<br />

1960 wird demnach ein Drittel<br />

der deutschen Bevölkerung enkellos<br />

sterben. Ein weiteres Achtel wird allenfalls<br />

ein Enkelkind haben. Bei den<br />

Jüngeren werden diese Anteile noch<br />

höher sein. Damit ist für annähernd die<br />

Hälfte der Bevölkerung so gut wie<br />

gewiss, dass sie in der nächsten, spätestens aber in der<br />

übernächsten Generation keine Nachkommen mehr haben<br />

wird. Verwandtschaftliche Beziehungen schwinden rapide.<br />

Familie im engeren oder weiteren Verständnis kann daher<br />

vielen auch keinen Lebenssinn mehr geben. In den Kommunen<br />

wird sich der demographische Wandel auf nahezu<br />

alle Handlungsfelder auswirken. Vielfach lassen sich bereits<br />

heute rückläufige Einwohnerzahlen feststellen. Die<br />

Altersstruktur der Bevölkerung wird sich zudem schon in<br />

wenigen Jahren gravierend verändern. Flankiert werden<br />

diese Entwicklungen von defizitären Haushalten; denn die<br />

Schere zwischen Einnahmen<br />

und Ausgaben geht<br />

immer weiter auseinander.<br />

Die Kluft zwischen dem<br />

Wunsch, den aktuellen Umfang<br />

und die hohe Qualität<br />

kommunaler Dienstleistungen<br />

und Infrastruktur aufrechtzuerhalten,<br />

und den finanziellen Möglichkeiten wird<br />

von Tag zu Tag größer. Zunehmend wird dies auch in Kommunal-<br />

und Kreisverwaltungen erkannt und es werden<br />

Fachleute beauftragt, entsprechende Zusammenhänge ressortübergreifend<br />

zu vermitteln. Eine besondere Herausforderung<br />

liegt darin, die Wahrnehmung nicht auf negative<br />

Angst-Szenarien zu beschränken, vielmehr kann der demographische<br />

Wandel auch als Chance für Innovati-<br />

10 durchblick 4/<strong>2006</strong><br />


Gesellschaft<br />

on in Kommunen begriffen werden. Vor diesem Hintergrund<br />

ist es notwendig, eine Gesamtstrategie zur Gestaltung<br />

des demographischen Wandels zu erarbeiten. Die zukunftsfähige<br />

Gestaltung von Kommunen glückt nur dann,<br />

wenn Bürger, Wirtschaft und Verbände von der Politik aktiv<br />

in die Entscheidungsprozesse einbezogen werden. Gemeinsam<br />

sollten sie Verantwortungsgemeinschaften bilden,<br />

in denen jeder Akteur mit seinen Interessen, Ressourcen<br />

und Möglichkeiten beteiligt ist und für das Gemeinwesen<br />

Verantwortung trägt.<br />

Über allem steht die Bereitschaft, auch unangenehme<br />

Wahrheiten zu verkünden. Und das ohne Rücksicht auf bestimmte<br />

Wählergruppen. Es muss zum Beispiel erwähnt<br />

werden, dass die jetzt ältere Generation im Durchschnitt<br />

über weitaus größere finanzielle Handlungsmöglichkeiten<br />

verfügt, als vor und nach ihr jede Generation hatte oder<br />

erwarten kann. Aber es gibt in unserer Gesellschaft eine zunehmende<br />

Altenmacht. Das heißt, rund ein Drittel der<br />

Wahlberechtigten ist bereits über 60 Jahre alt und Ältere gehen<br />

häufiger zur Wahl als Jüngere. Mit dieser Wählergruppe<br />

will sich keine Partei anlegen.<br />

Glücklicherweise sind viele Ältere nicht einfach nur an<br />

sich selbst interessiert, sondern haben ein starkes Interesse<br />

Rebecca Schneider und Mechthild Wienkamp haben keinen<br />

Generationenkonflikt.<br />

an ihren Kindern und Enkeln. Es gibt demnach starke Solidaritätsbeziehungen,<br />

die ein mögliches Konfliktpotenzial<br />

zwischen den Generationen verringern. Es ist zu hoffen,<br />

dass die Medien und die politischen Akteure alles unterlassen,<br />

was zu unnötigen Polarisierungen führen könnte.<br />

Erich Kerkhoff<br />

… wo man zu Hause ist.<br />

„Haus an der Weiß“<br />

Senioren-Wohn- und -Pflegeheim<br />

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durchblick 4/<strong>2006</strong> 11


Gesellschaft<br />

Ein Stück Lebenshilfe<br />

Jede Menge Senioren-Paten für junge Leute gesucht<br />

Schülerinnen und Schüler der Geschwister-Scholl-Schule werden von Schulrektor<br />

i. R. Ekkhard Bieneck liebevoll betreut und angeleitet.<br />

Menschen helfen Menschen – Uta Fiedler (bbz) startete<br />

tolles Projekt an Schwelle von Schule zum Beruf<br />

Michael zum Beispiel. 18 Jahre alt. Die Eltern kennt er<br />

nicht. Das Leben hält viele Schattenplätze für ihn bereit.<br />

Sonne – das ist etwas ganz Besonderes: dort, in Michaels<br />

Welt, wo das Klima rau ist. Ein Jahr ist Michael alt, als er<br />

zu einer Pflegefamilie kommt. 13 Jahre bleibt er da. Dann<br />

zieht er aus. Zunächst in eine Wohngruppe. Später in eine<br />

kleine Wohnung. Im Frühjahr <strong>2006</strong> lernt er Uta Fiedler kennen.<br />

Die Leiterin der „Servicestelle Übergang Schule/Beruf“<br />

im Berufsbildungszentrum (bbz) der Siegener Industrie-<br />

und Handelskammer (IHK). Und ihr erzählt er, wie<br />

sehr er sich gewünscht habe, adoptiert zu werden – von der<br />

Pflegefamilie. Denn: „Ich wollte gerne richtig dazugehören.“<br />

Das klappte nicht. Und deshalb packte er auch<br />

bei der Pflegefamilie die Koffer. Wie gesagt, das Leben<br />

hält viele Schattenplätze für Michael bereit. Uta Fiedler:<br />

„Er möchte einfach dazugehören.“ Zum Alltag und zum<br />

Sonntag, zum Leben, zur Welt.<br />

Oder Lisa: 15 Jahre alt. Ihr Vater kommt mit ihr über<br />

die Hügel Siebenbürgens nach Deutschland. Lisa ist gerade<br />

mal zwölf Monate alt, als es auf den Treck von Ost nach<br />

West geht. Was mit ihrer Mutter passiert ist, weiß Lisa<br />

nicht. Alles ist offen. Nebulös. In Deutschland lebt Lisa<br />

zunächst beim Vater. Manchmal bei der Großmutter. Und<br />

dann: Großmutter stirbt eines Tages. Der Vater gerät aus<br />

dem Gleichgewicht – samt Lisa. Sie kommt in eine Wohngruppe.<br />

Und Maik geht es auch nicht viel besser. 16 Jahre alt ist<br />

er. Seine Eltern stehen in strammem Schichtdienst. Unge-<br />

regeltes Leben. Und: Eltern nicht da,<br />

wenn man sie braucht. Dazu: Maik<br />

muss sich um seine Geschwister kümmern,<br />

wenn er nach Haus kommt. Da<br />

geht die Post ab. Ruhe findet Maik<br />

kaum. Der Weg zu sich selbst? Pustekuchen!<br />

Nicht in Sicht.<br />

Michael, Lisa und Maik haben eines<br />

gemeinsam: Das geregelte Leben<br />

hat ihnen rasch Lebewohl gesagt.<br />

Oder: Es hat sie gar nicht erst begrüßt.<br />

Ein flüchtiger Abschied. Ein Hauch.<br />

Überhastet und in Eile, ohne Zeit sie zu<br />

lehren, wie man es anstellt, beide Beine<br />

fest auf den Boden zu kriegen.<br />

Michael, Lisa und Maik bekommen<br />

ein onduliertes Weltbild. Ohne Fittiche<br />

ist das alles zugig, klamm, schutzlos.<br />

Der Asphalt ist rau auf diesen Pfaden<br />

des Lebens.<br />

Uta Fiedler weiß: „Derartige Lebensgeschichten<br />

kommen nicht vereinzelt<br />

daher. Es gibt Tausende davon<br />

im Kreis Siegen-Wittgenstein. Sie kennt die Szene, kennt<br />

die Probleme. Denn: „Viele habe ich seit dem 1. Februar<br />

dieses Jahres kennengelernt.“ Seit dieser Zeit leitet sie nämlich<br />

die Servicestelle „Übergang Schule/Beruf im bbz der<br />

IHK Siegen.“ Keine leichte Aufgabe. Immerhin beinhaltet<br />

das die Betreuung von 28 Gesamt-, Haupt- und Förderschulen<br />

im Kreis Siegen-Wittgenstein. Wichtigstes Thema:<br />

Das breite Feld der Berufsvorbereitung.<br />

Uta Fiedler, selbst Mutter, ist eigentlich ins viel zitierte<br />

kalte Wasser gesprungen. Die engagierte junge Frau erzählt:<br />

„Angefangen habe ich, indem ich mich mit den Lehrern<br />

der Schulen zusammengesetzt und die spezifischen<br />

Probleme der Jugendlichen an jeder einzelnen Schule erörtert<br />

habe.“ In diesen Gesprächen hat Uta Fiedler viel gelernt.<br />

Und fast alle Situationsberichte haben sie nachdenklich<br />

gemacht. Zugleich aber auch einen Energieschub<br />

ausgelöst. Sie hat die Dinge angepackt.<br />

Uta Fiedler fühlt sich zur Stunde Null unwissend, denn:<br />

„Bis zu diesem Zeitpunkt wusste ich nicht, dass viele Kinder<br />

hier im Siegerland aufwachsen ohne regelmäßige<br />

Mahlzeiten, ohne gelernt zu haben, dass man sich zu verschiedenen<br />

Anlässen unterschiedlich kleidet oder benimmt.“<br />

Deshalb: „Diese Informationen habe ich als Vertreterin<br />

der Servicestelle zunächst einmal in mich<br />

aufgenommen und strukturiert.“ Heraus kommt dies: Die<br />

kompetente Frau organisiert verschiedene Projekte. So<br />

richtig aus dem Leben gegriffene Aktionen stehen an. Beispielsweise:<br />

Berufsvorbereitung über diverse Praktika.<br />

Aber es geht auch um „Klamotten“. Das Angebot umfasst<br />

nämlich auch einen „Wettbewerb für Bekleidungs-<br />

12 durchblick 4/<strong>2006</strong><br />


outfit“. Das bedeutet jetzt nicht, derart messerscharfe Bügelfalten<br />

zu tragen, dass man damit die runterhängende<br />

Tischdecke einschneidet, aber ein gewisser Ordnungsfaktor<br />

sollte schon sein.<br />

Wie benimmt man sich eigentlich richtig? Wer’s wissen<br />

will, kann es bitteschön erfahren: Eine Knigge-Unterrichtsreihe<br />

befindet sich zur Zeit in der Erprobungsphase.<br />

Erste Forschritte sind zu verzeichnen. Und da geht noch einiges<br />

mehr. Guter Umgang macht Freunde. Eines haben die<br />

jungen Menschen schon kapiert: Benimm-Defizite schaffen<br />

keine Freunde. Stoffel oder Rüpel sind einsam wie<br />

Waldläufer. Uta Fiedler hat die Sache mit dem Knigge-Pauken<br />

gemeinsam mit Lehrern erarbeitet.<br />

Beileibe kein einfaches Unterfangen: Weil der Knigge<br />

kompliziert ist und die Jugendlichen nicht einfach sind.<br />

Das Prestigeduell Knack-Jeans gegen Bundfaltenhose ist<br />

angepfiffen. Und wie geht es aus? Wird schon werden.<br />

Schritt für Schritt. Mit rasanten Wandlungen rechnet hier<br />

niemand. Uta Fiedler: „Die Jugendlichen sind nicht einfach.<br />

Natürlich haben wir es hier auch mit jenen Jugendlichen<br />

zu tun, die sich nicht benehmen können, die wenig Respekt<br />

vor dem Alter haben oder durch Piercings auffallen.“<br />

Das ist die eine Seite der Erfahrung. Jetzt die andere: „Aber<br />

ich habe bei meiner Arbeit auch festgestellt, dass viele dieser<br />

Kinder und Jugendlichen einfach nur jemanden brauchen,<br />

der sie an die Hand nimmt und ihnen zeigt, wie der<br />

Weg in die Zukunft aussehen kann.“ Ein bisschen Liebe.<br />

Das Teilhabenlassen am Erfahrungsschatz der sogenannten<br />

Silberlocken-Generation.<br />

Zumindest der Weg in die berufliche Zukunft ist auch<br />

nicht mehr der, der er einst war. Die Expertin: „Das Erkennen<br />

dieser Wege ist nicht mehr so wie früher. Damals<br />

beispielsweise bat ein Vater den ortsansässigen<br />

Schreiner, den Filius auszubilden.<br />

Und in den meisten Fällen<br />

klappte das dann auch.“ Die guten alten<br />

Zeiten. Und heute? „Und heute“,<br />

sagt Uta Fiedler, „bewerben sich bis zu<br />

100 Jugendliche auf ein und dieselbe<br />

Lehrstelle. Zwangsläufig gehen viele<br />

leer aus.“ Wenn die Lehrstelle zur<br />

Leerstelle wird, ist guter Rat teuer. Uta<br />

Fiedler: „Das führt zur Frustration und<br />

Irritation bei den Jugendlichen. Sie sehen<br />

oft nicht mehr, wie sie ihre Chancen<br />

verbessern können. Und die Eltern<br />

sehen das auch oft nicht, wenn diese<br />

sich überhaupt darum kümmern.“<br />

Bestritten werden die Projekte vorwiegend<br />

aus Mitteln des Landes und<br />

Gesellschaft<br />

auch das bbz schießt zu. Aber: Das<br />

Geld für soziale Angelegenheiten liegt<br />

in knapper Kiste. Deshalb ist Uta Fiedler<br />

auf Hilfe aus dem ehrenamtlichen<br />

Bereich angewiesen. Ohne ein zukünftiges<br />

derartiges Engagement sind oben geschilderte Weiterbildungsmaßnahmen<br />

nicht dauerhaft zu gewährleisten.<br />

Die Initiatorin macht sich da nichts vor: „Nur auf einer soliden<br />

ehrenamtlichen Basis hat unser Projekt Bestand.“ Es<br />

müsse doch zu machen sein, dass bald an jeder Schule, sagen<br />

wir mal, fünf bis sechs Seniorinnen oder Senioren tätig<br />

werden, die Hilfe zur Selbsthilfe geben. Müssen beileibe<br />

nicht nur pensionierte Lehrer sein. Da kann jede oder jeder<br />

mitmachen. Bisschen Grundvoraussetzung sollte jedoch<br />

schon vorhanden sein, wie: Selbstvertrauen, gesunder Menschenverstand,<br />

Bildung (in erster Linie Herzensbildung),<br />

soziales Engagement. Motto: Gestandene Leute nehmen<br />

schwache an die Hand.<br />

Also: Paten sind gefragt. Die gehen natürlich nicht völlig<br />

unvorbereitet auf die Sache los. Uta Fiedler: „Wir werden<br />

einen Einführungskurs organisieren.“ Ein Kurs der ersten<br />

Schritte. Dabei in erster Linie wichtig: „Das Anpassen<br />

der unterschiedlichen Sprachebenen.“ Damit wird ein unbefangener<br />

Helfer (es sei denn, er ist Lehrer und an einiges<br />

gewöhnt) auf Anhieb konfrontiert. So ist die Bezeichnung<br />

„Grufti“ für eine Seniorin oder einen Senior nicht unbedingt<br />

bös’ gemeint, aber in jedem Fall ausgesprochen gewöhnungsbedürftig.<br />

Und „da gehen mir die Schuhe auf“<br />

bedeutet nicht, dass einem die Treter gleich von den Socken<br />

rutschen, sondern will sagen: Da bin ich aber platt, erstaunt,<br />

konfus, begeistert!<br />

Hauptaufgabe also das Heranführen des Klientels an eine<br />

gepflegte Sprache, oder ihr zumindest die Spitzen der<br />

Verrohung abschneiden. Auch Alltagsfragen wie: Warum<br />

wähle ich? Warum sollte ich die Tageszeitung lesen? Wie<br />

sitze ich ordentlich? Wie benehme ich mich richtig? Wie<br />

fülle ich dieses oder jenes Formular aus? Wie esse ich richtig?<br />

Fragen, die für viele lapidar klingen, gar albern ➤<br />

Die engagierten Bürger Eberhard Schnutz und Friedel Burk (beide hinten) stellten<br />

sich als Zeitzeugen zur Verfügung und berichteten von der „guten alten<br />

Zeit“. War sie wirklich so gut? Das wollten die Zuhörerinnen und Zuhörer genau<br />

wissen.<br />

durchblick 4/<strong>2006</strong> 13


Gesellschaft<br />

Programm nicht nur finanziell machbar<br />

wird, sondern auch zukunftsorientiert<br />

auf eine breitere Basis gestellt<br />

werden kann. Als Dauerbrenner.<br />

Um es noch einmal klipp und klar<br />

zu sagen: Aus den betroffenen jungen<br />

Menschen sollen keine Musterknaben<br />

oder Supergirls werden, die mit Fussel-<br />

Rollbürsten in der Jacke herumlaufen,<br />

steif vor Arbeitseifer sind, Haltungsschäden<br />

vom Schuheputzen bekommen,<br />

und jeden Tag so viel Ordnung<br />

schaffen als ständen sie vor einer<br />

Haushaltsauflösung. Nein, nein. So ist<br />

das nicht gedacht. Aber aufzeigen, was<br />

wo und wann angebracht ist, das geht<br />

völlig in Ordnung. Oder sich mit ihnen<br />

über Piercing oder Haargel (Opa nennt<br />

es Pomade) unterhalten, auch das ist in<br />

Ordnung. Aber, jetzt Abziehbildchen,<br />

Sammeltassen, Manschettenknöpfe<br />

(Oberhemden-Piercing) oder Mittelscheitel<br />

als Alternativen anbieten, das<br />

haut nicht hin! Ja, aber was dann? Ja,<br />

spontan fällt mir da auch nichts ein,<br />

aber das wird schon noch. Bin mir<br />

sicher.<br />

Dieter Gerst<br />

Projekt-Initiatorin Uta Fiedler mit Schülerinnen und Schülern der Kindelsberg-<br />

Schule und der Haardter-Berg-Schule.<br />

oder selbstverständlich. Uta Fiedler: „Für die jungen Menschen,<br />

die wir ansprechen wollen, sind sie jedoch enorm<br />

wichtig.“ In vielen Fällen wird in gewisser Weise das Elternhaus<br />

nachgeholt. Denn das war oft nachlässig. Oft unfähig.<br />

Oft gar nicht vorhanden.<br />

Doch nicht nur die Theorie wird großgeschrieben. Auch<br />

in der Praxis soll sich etwas tun. Gedacht ist an einen Schulgarten,<br />

der gehegt und gepflegt wird. Praktische Grundlage<br />

für: Natur, Landschaft, Umweltschutz usw. Na ja, es gibt<br />

da so vieles, was organisiert werden kann. Quasi können<br />

alle Lebensbereiche angesprochen und behandelt werden.<br />

Probleme sind halt nicht an bestimmte Sparten gebunden,<br />

sondern sind mal hier, mal da und kommen unerwartet.<br />

Ein Projekt läuft schon. Ekkhard Bieneck, pensionierter<br />

Rektor der Geschwister-Scholl-Hauptschule, betreut bereits<br />

mehrere Schülerinnen und Schüler ehrenamtlich. Und<br />

die Sache läuft gut. An dieser Schule stellten sich übrigens<br />

auch die beiden engagierten Bürger Eberhard Schnutz und<br />

Friedel Burk als Zeitzeugen zur Verfügung.<br />

Zurzeit werden bereits sechs Förderschulen, drei Gesamtschulen<br />

und 19 Hauptschulen von Uta Fiedler betreut.<br />

Da geht es in erster Linie um das Fach „Lernen“. Alles andere,<br />

wie praktische Lebenshilfe usw., ist noch nicht komplett.<br />

So, und jetzt müssen die Ehrenamtler her, damit das<br />

Wer wird Pate?<br />

Jugendliche, die einen Paten suchen und Seniorinnen sowie<br />

Senioren, die Paten werden möchten, treffen sich und lernen sich kennen.<br />

Uta Fiedler: „Die Jugendlichen und Paten wählen sich gegenseitig<br />

nach Sympathie aus und berichten, welche Erwartungen sie hegen.<br />

Die Paten werden nicht allein gelassen, sondern werden von Profis unterstützt.“<br />

Pate kann jeder werden, der Interesse an Problemen Jugendlicher<br />

hat und sich ehrenamtlich engagieren möchte.<br />

Nicht nur die Berufsvorbereitung und die Lehrstellensuche sind<br />

vordergründig, sondern auch die Unterstützung während der Schulzeit.<br />

In vielen Hauptschschulen gibt es schon Schularbeitenhilfen, die aber<br />

nicht ausreichen, da es an ehrenamtlichen Helfern fehlt, die bereit sind,<br />

derartige Maßnahmen zu organisieren. Uta Fiedler: „Ich bin mir sicher,<br />

dass es viele fitte Seniorinnen und Senioren gibt, die in Rechtschreibung,<br />

Rechnen oder sogar Englisch Hilfestellung geben können.<br />

Außerdem wissen sie, wie man sich kleidet, benimmt und bei Firmen<br />

auftritt.“<br />

Also: Wer macht mit? Bitte melden bei Uta Fiedler, bbz der IHK,<br />

Birlenbacher Hütte 10, in 57078 Siegen, Telefon: 0271/8 90 57 21, oder<br />

Anruf in der durchblick-Redaktion, Telefon: 02 71/6 16 47<br />

14 durchblick 4/<strong>2006</strong>


(Montag - freitag) je<br />

Auf Wunsch werden alle Gerichte<br />

püriert oder das Fleisch geschnitten.<br />

Essen ist mehr als bloße Nahrungsaufnahme.<br />

Wir sehen darin ein Stück Lebensqualität, auf das<br />

Siesichtäglichfreuenkönnen.<br />

In unserer Großküche kochen wir daher noch<br />

frisch und vitaminschonend. Mit Gemüsen,<br />

Fleisch aus gesicherter Herkunft und weiteren<br />

leckeren Zutaten.<br />

Es werden Produkte der<br />

Firma Apetito in folgenden<br />

Zusammenstellungen angeboten:<br />

Samstag/Sonntag<br />

7-Tage-Paket<br />

10 Teile frisches Obst der<br />

Saison<br />

Stellen Sie Ihr Menü „à la carte“ mit<br />

verschiedenen schmackhaften Beilagen<br />

zusammen.NatürlichgehörtaucheinNachtisch<br />

dazu. Wenn Sie möchten, können Sie auch<br />

langfristig planen. Unseren Speiseplan erstellen<br />

wir für einen ganzen Monat.<br />

bieten wir Ihnen an:<br />

Vollkost,<br />

Schonkost,<br />

Zuckerdiät,<br />

Vegetarische Kost,<br />

Muslimische Kost.<br />

Kurzfristige Bestellungen oder Absagen<br />

berücksichtigen wir bis 8.00 Uhr des Liefertages.<br />

Sie gehen mit Ihrer Bestellung keine langfristige<br />

Bindung ein.<br />

Ihre Ansprechpartner:<br />

Ulrike Müller<br />

Tel. 027 37 / 505-160<br />

Werner Stenzel<br />

Tel. 027 37 / 505-161<br />

Fax 02 371 / 3386-240<br />

AWO-Kreisverband<br />

Siegen-Wittgenstein/Olpe<br />

-WerkstattDeuz-<br />

Weiherdamm 3<br />

57250 Netphen<br />

durchblick 4/<strong>2006</strong> 15


Alter<br />

Ein Mensch wird 80<br />

Der Beruf als Gymnasiallehrer führte<br />

ihn – im Anschluss an eine vorherige<br />

Tätigkeit in Meschede – 1958 nach<br />

Siegen, wo er bis 1989 am Fürst-Johann-Moritz-Gymansium<br />

unterrichtete.<br />

In seiner freien Zeit war Adalbert<br />

Knoche lange Jahre in kirchlichen<br />

Gremien – hier vor allem in der Eine-<br />

Welt-Arbeit – aber auch in Initiativen<br />

engagiert, außerdem als Siegener<br />

Stadtführer usw. usw. Besondere Anerkennung<br />

verdient seine langjährige<br />

ehrenamtliche Tätigkeit im Weidenauer<br />

St.-Marien-Alten- und Pflegeheim.<br />

Beiläufig erwähnt er dazu: „Das mache<br />

ich nur an drei Tagen in der Woche,<br />

jeweils für eine oder eineinhalb Stunden.“<br />

Adalbert Knoche<br />

Das Alter eines Menschen ist nicht ohne die dazugehörige<br />

Lebensgeschichte zu verstehen. Oft ist (oder war)<br />

diese historischen Abläufen unterworfen, sie hat aber auch<br />

einen familiären und beruflichen Hintergrund. Letztlich<br />

zeigt die Lebensgeschichte eines alten Menschen, welche<br />

Werte ihn getragen haben – vor allem, wenn er diese in der<br />

nachberuflichen und nachfamiliären Lebenszeit ausprägt.<br />

Denn dann beginnt eine neue Freiheitsgeschichte.<br />

Ende November vollendet Adalbert Knoche sein 80. Lebensjahr<br />

- nach einer Bekanntschaft von ca. 35 Jahren<br />

sehe ich ihn jetzt nur noch selten. Aber wenn ich von ihm<br />

höre oder an ihn denke, dann geschieht dies mit großer<br />

Sympathie und Dankbarkeit. Adalbert ist für mich ein<br />

Mensch, dessen gelungenes Altern beispielhaft ist, der die<br />

damit verbundene Aufgabe beherzt und verantwortlich<br />

wahrnimmt. Mit diesem Bild verbinde ich die beste Mischung<br />

aus Menschlichkeit, Humor, Engagementbereitschaft,<br />

Mut und auch Bescheidenheit.<br />

Adalbert Knoche ist seit 51 Jahren verheiratet, Vater<br />

von fünf Kindern und Großvater von acht Enkelkindern.<br />

Immerhin jetzt schon mehr als 16<br />

Jahre. Und der Einsatz summiert sich<br />

in dieser Zeit auf ca. 3.200 Stunden. Kein<br />

Wunder, dass eine sonst sehr schweigsame<br />

Heimbewohnerin ihm sagte: „Herr<br />

Knoche, Sie sind unentbehrlich!“<br />

Das sehe ich auch so.<br />

Erich Kerkhoff<br />

Adalbert Knoche,<br />

der Opa<br />

Immer, wenn ich zu meinen Großeltern<br />

gehe, hat mein Opa schon irgendetwas<br />

mit mir vor. Oft spielen wir miteinander,<br />

manchmal gehen wir auch zum Minigolf. Auf<br />

jeden Fall kommt nie Langeweile auf. Als ich mal das Einmaleins<br />

üben musste, war ich zufällig an diesem Wochenende<br />

bei meinen Großeltern. Ich ging mit meinem Opa<br />

durch den Wald und er fragte mich ab. Zum Ansporn versprach<br />

er mir ein großes Eis, wenn ich das Einmaleins erlernt<br />

hätte. Wir übten während des Spaziergangs, und ich<br />

bekam nachher das Eis. So macht mit meinem Opa sogar<br />

die Schule Spaß.<br />

Christoph Diehl, 14 Jahre<br />

Adalbert Knoche als Kollege<br />

Als ich vor 34 Jahren als junge Kollegin ans Fürst-Johann-Moritz-Gymnasium<br />

kam, war Adalbert Knoche nur<br />

ein Kollege in einem mir unübersehbar groß erscheinenden<br />

Kollegium. Schon bald jedoch lernte ich seine Qualitäten<br />

kennen und schätzen:<br />

Besonders als Fachkollegin in Religion bewunderte ich<br />

ihn für seine Ideen (z. B. besuchte er mit den Religionsgruppen,<br />

mit denen er den Islam im Unterricht be- ➤<br />

16 durchblick 4/<strong>2006</strong>


Alter<br />

sprach, die nahe gelegene Moschee), und ich schmunzelte<br />

über seine manchmal etwas unkonventionellen pädagogischen<br />

Methoden.<br />

Bei den regelmäßigen Treffen unseres Religionslehrerkreises<br />

erlebte ich Adalbert immer als fachkundigen Kollegen,<br />

der die Gespräche oft durch seinen Humor und zugleich<br />

durch seine Ernsthaftigkeit, mit der er sich mit<br />

religiösen und theologischen Fragen auseinandersetzte, bereicherte.<br />

Bei ihm finde ich Menschlichkeit, Ideenreichtum und<br />

einen Sinn für tiefsinnigen Humor, gepaart mit großem sozialem<br />

Engagement, besonders in seiner Kirchengemeinde<br />

St. Joseph.<br />

Helena Kassel<br />

Adalbert Knoche, der Gärtner<br />

Ein steiles Grundstück zum Norden hin – wo andere nur<br />

noch einen Rasen und ein paar Zierpflanzen halten, dort hat<br />

Adalbert Knoche einen großen Gemüsegarten. Von Frühjahr<br />

bis Herbst verbringt er manche Stunde auf den terrassenförmig<br />

angelegten Beeten. Mit Geduld zieht er im<br />

Gewächshaus aus den Samen die unterschiedlichsten Pflanzen.<br />

Sein unermüdlicher Einsatz sorgt für reiches Wachstum<br />

von Salaten und Kohlrabi, Kartoffeln, Tomaten,<br />

Johannis- und Stachelbeeren usw. So ist Frische und Abwechslung<br />

in der Knoche’schen Küche garantiert. Blumen<br />

aller Arten sorgen für Farbenpracht im Garten und auf dem<br />

Wohnzimmertisch. Der gute Kompost, mit Liebe aufgesetzt,<br />

lässt manches zu rekordverdächtiger Größe heranwachsen.<br />

Noch im letzten Jahr waren Knoches Zucchini in<br />

einer hiesigen Lokalzeitung abgebildet, während es in<br />

früheren Jahren einer seiner Kürbisse sogar bis in ein überregionales<br />

Magazin geschafft hat. Diese Erfolge widerlegen<br />

eindrucksvoll den Spruch von den dümmsten Bauern<br />

und den dicksten Kartoffeln … Dorothee Diehl<br />

Adalbert Knoche als<br />

Eine-Welt-Engagierter<br />

Neben anderen war es entscheidend Adalbert Knoche,<br />

der 1972 dafür plädierte, dass die Pfarrgemeinde neben den<br />

großen Kollekten Misereor, Missio und Adveniat sich noch<br />

an einer anderen Stelle engagierte. Dieser Beschluss des<br />

Pfarrgemeinderates von St. Joseph mündete in eine bis heute<br />

bestehende Aktion, verbunden mit den anderen Gemeinden<br />

im Pfarrverband (heute Pastoralverbund)..<br />

Und natürlich war Adalbert Knoche Mitglied im Eine–<br />

Welt-Kreis dieser Gemeindegruppe, die bis heute insgesamt<br />

neun verschiedene Projekte mit einer Summe von ca.<br />

300.000 Euro unterstützt hat.<br />

Adalbert Knoche lag sehr viel daran, zielgerichtet zu arbeiten.<br />

So hat der Eine-Welt-Kreis zusammen mit ihm die<br />

Kriterien formuliert, nach denen immer wieder neue Projekte<br />

vorgeschlagen und ausgewählt wurden, nachdem das<br />

laufende Projekt in den Gemeinden gut bekannt und der zugesagte<br />

Spendenbetrag eingegangen war. Es mussten Projekte<br />

aus den unterschiedlichen Bereichen kirchlicher Arbeit<br />

sein – pastorale, soziale, medizinische Aufgaben, auch<br />

Katastrophenhilfe. Der persönliche Kontakt zuerst über<br />

Briefe, dann auch Besuche waren ihm wichtig für eine<br />

wirkliche partnerschaftliche Beziehung zwischen den Menschen<br />

in den jungen Kirchen und unseren katholischen Gemeinden<br />

hier im Siegerland. Die ausländischen Freunde<br />

waren stets auch bei Familie Knoche zu Besuch.<br />

Bei den Hungermärschen, die der Kreis einmal im Jahr<br />

durchführt, ist A. Knoche noch immer selbst mitgelaufen<br />

und zwar mit einer der längsten Sponsorenlisten. Es geht<br />

aber letztlich nicht um die finanzielle Seite, so wichtig sie<br />

in der Entwicklungshilfe auch sein mag, betonte A. Knoche<br />

bei dieser Arbeit immer wieder: Es ist die tiefe Überzeugung,<br />

dass in der „Einen Welt“ für uns hier in Deutschland<br />

und Europa eine Verantwortung liegt, die wir in<br />

christlichem Geist annehmen und ausfüllen müssen.<br />

Willi Zeumer<br />

Herr Knoche – ehrenamtlicher<br />

Mitarbeiter im Marienheim<br />

Herr Knoche besucht das Marienheim (Alten- und Pflegeheim)<br />

dreimal in der Woche und wir Mitarbeiter können<br />

sagen: „Welch ein Glück!“ Er kommt morgens in den<br />

Wohnbereich III und hilft einigen Bewohnern. Diese freuen<br />

sich sehr, denn Herr Knoche bringt nicht nur das Frühstück,<br />

er bringt auch Zeit für ein Gespräch und viel Geduld<br />

mit. Sehr umsichtig<br />

und einfühlsam sitzt<br />

er eine Weile bei<br />

einzelnen Bewohnern,<br />

reicht ihnen das Essen,<br />

spricht mit ihnen<br />

und hört ihnen zu.<br />

Wo uns die Zeit<br />

davonläuft, findet er<br />

immer noch etwas<br />

davon. Herr Knoche<br />

hat eine jeden einzelnen<br />

Menschen sehr<br />

wertschätzende Art,<br />

die ihm schon so manche<br />

Tür zum Herzen<br />

geöffnet hat. Seine<br />

Gelassenheit und die<br />

Ruhe, die er ausstrahlt,<br />

machen ihn für uns<br />

und für die Bewohner<br />

zu einem wertvollen<br />

und gern gesehenen<br />

Gast.<br />

Angelika Fichtner<br />

SERVICE-CENTER<br />

D-M Kfz.-Technik<br />

H. J. Dittmann – D. Michel GbR<br />

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57078 Siegen<br />

Telefon: 02 71 /3 03 98 09<br />

Fax: 02 71 /3 03 98 11<br />

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durchblick 4/<strong>2006</strong> 17


Siegen<br />

„Fahrt doch in die Oberstadt“<br />

Hübbelbummler: Die rollende Verbindung zwischen Burg und Bär<br />

Ein Riesenvergnügen ist eine Fahrt mit dem nostalgischen Gefährt nicht nur, aber ganz besonders für Kinder.<br />

... Hoch auf dem gelben Wagen erleben begeisterte<br />

Siegener seit Ende September mit kurzer Unterbrechung<br />

ihre Stadt in ganzer Schönheit von oben.<br />

„Das ist wie bei Stadtrundfahrten im Sight-Seeing-Bus“,<br />

sagt eine junge Frau mit hessischem Akzent beim Einstieg<br />

in das attraktive, doppelstöckige Gefährt auf dem Bahnhofsvorplatz.<br />

„Aber dieser Bus mit dem komischen Namen<br />

gefällt mir viel besser.“ Fahrer Horst Kuhn im beinahe historischen,<br />

nostalgischen Kostüm erklärt, was inzwischen<br />

auch Zugereiste begriffen<br />

haben: „Hübbel heißt Berg,<br />

und bummeln muss der Bus<br />

auch, so wie der gebaut ist.“<br />

Vor dem Aufstieg beginnt<br />

unter den herbeigeströmten<br />

Fahrgästen ein sanftes Gedrängel.<br />

Jeder will nach<br />

oben. Das ist so, wie überhaupt<br />

im Leben. Es dauert<br />

ein Weilchen, bis der Schaffner<br />

zur Glocke greift um die<br />

Fahrt einzuläuten. Fahrer<br />

Horst Kuhn mahnt zum Aufbruch. Die Zeiten müssen eingehalten<br />

werden. Wenn das hohe, kastenförmige und nicht<br />

gerade schmalbrüstige Gefährt mit Gegenverkehr konfrontiert<br />

wird, muss präzise manövriert werden. Dann wird es<br />

eng, auch mit der Zeit.<br />

Ganz besonders die Kinder, die ihre Begeisterung hier<br />

lautstark zeigen dürfen, finden die in einem nostalgischen<br />

Heut kommt der Hübbelbus<br />

Freut sich die Miss<br />

Ob-er-aber-übern-Oberstadtbezirk<br />

Oder-aber-übern-Unterstadtbezirk<br />

Oder-aber-überhaupt nicht kommt<br />

Ist nicht gewiss<br />

Faltblatt der VWS angekündigte „Reise in die Vergangenheit“<br />

einfach „super“. Ein Knirps will vom Schaffner wissen,<br />

ob er den Bus auch steuern kann. Nein, das kann er<br />

nicht. Dazu braucht er den Omnibus-Führerschein, aber<br />

den haben zurzeit nur die drei Fahrer und eine blondbezopfte<br />

Fahrerin der VWS, die vorläufig den gelben Wagen<br />

führen. Das Schaffner-Team, zwei Herren und zwei Damen<br />

im schicken, nostalgischen Outfit, haben ihren Job über Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen<br />

bekommen. „Wenn die Sache<br />

so gut weiterläuft, können wir später von der VWS<br />

übernommen werden und<br />

den Schein noch machen“,<br />

erklärt der Schaffner, der<br />

gerade einer mit Taschen<br />

beladenen Frau den Weg zu<br />

einem seitlichen Fensterplatz<br />

bahnt. „Die sind alle<br />

so freundlich und immer<br />

gut gelaunt“, lobt ein älterer<br />

Herr. „Das ist in den normalen<br />

Linienbussen nicht<br />

immer so.“ Aber, dass unter<br />

vielen Zeitgenossen nicht<br />

alle nett sein können, sieht er ein; das sei auch normal.<br />

„Wie lange gibt es Euch und den Bus denn noch?“ Das<br />

möchten zwei Schwestern wissen, die in den Schlosspark<br />

wollen. Fahrer Horst Kuhn klärt auf: „Mich gibt es hoffentlich<br />

noch lange, aber der Bus wird ausgewechselt.“ Der<br />

Name bleibt, so wie die Uniformen und das ganze dazu passende<br />

Ambiente. Was dann kommt, heißt weiter Hüb- ➤<br />

18 durchblick 4/<strong>2006</strong>


Siegen<br />

belbummler und bietet mit stilvoll zeitgenössischer Einrichtung<br />

von anno 1900 ebenfalls nostalgischen Charme,<br />

wie der Doppelstöcker, gepaart mit sehr viel mehr Komfort.<br />

Das war von Anfang an geplant, aber die Lieferung hat<br />

sich verzögert, deshalb der Glücksgriff nach der rollenden<br />

Touristenattraktion, die sonst auf Messen und in Freizeitparks<br />

herumfährt; aber etwas ganz Besonderes ist der<br />

Nachfolger wohl auch.<br />

Bei einer nächsten Fahrt am anderen Tag mit gewechselter<br />

Besatzung steigt eine Japanerin mit den ersten Gästen<br />

ein. Schaffner Roland Brosius spricht mit ihr englisch,<br />

ganz perfekt, aber Hübbelbummler kann er nicht wörtlich<br />

übersetzen. Er ist gern auf Rädern unterwegs. Die erste<br />

Fahrt mit Fahrer Horst Kuhn war voll besetzt, es war Nachmittag,<br />

vormittags sind die Kinder in der Schule. Da ist für<br />

den „durchblick“ noch mehr Zeit für Fragen an die Fahrgäste:<br />

„Wir fahren jetzt nur noch zum Einkaufen“, sagt ein<br />

älteres Ehepaar. „Der Weg hoch hinauf zur Marburger<br />

Straße oder zum Wochenmarkt und dann mit schweren Taschen<br />

zurück, das ging nicht mehr.“<br />

„Na, dann können wir ja bald auf dem Weihnachtsmarkt<br />

am Unteren Schloss eine Runde auf der Eisbahn drehen,<br />

so etwas gibt es doch diesmal da“, neckt sie ihr Mann.<br />

Viele genießen das Vergnügen als reine Rundfahrt mit<br />

toller Aussicht und ganz besonderer Atmosphäre. „Man<br />

meint, man wäre nicht in Siegen, sondern in der Großstadt“,<br />

lautet ein Kommentar, der nicht weiter gedeutet wird. Die<br />

Frage: „Wie lange wird denn der neue Hübbelbummler<br />

bleiben“, verweist Roland der Schaffner an den Vorgesetzten<br />

bei der VWS.<br />

„Geh nicht in die Oberstadt, mach’s wie Deine Brüder“,<br />

diesen Refrain aus einem der frühen Texte des gesellschaftskritischen<br />

Barden und Liedermachers Franz Joseph<br />

Degenhardt könnte, auf Siegen bezogen, aktualisiert werden,<br />

etwa so: „Fahr doch in die Oberstadt, mach’s wie Deine<br />

Brüder; die fahr’n mit dem Hübbelbummler gern und<br />

immer wieder.“ Gern und oft fuhren bereits um 1910 unsere<br />

Vorfahren mit der „elektrischen Oberstadtbahn“ den<br />

Berg rauf und wieder runter. Es war schon ein Glücksgriff<br />

in die vollgepackte Truhe der Siegener Vergangenheit, als<br />

Petra Hof-Jacobs und Horst Kuhn beim Abfertigen der<br />

Fahrgäste.<br />

die Gesellschaft für Stadtmarketing gemeinsam mit den<br />

Verkehrsbetrieben nach einer Denkpause herausholte, was<br />

im Ansatz schon vor vielen Jahren – auch vom durchblick<br />

– ins Gespräch gebracht worden war.<br />

Auf dem informativen Faltprospekt mit Fahrplan, der<br />

beim Fahrer zu haben ist, prangt das Bild des erwarteten<br />

Transportmittels, das demnächst über den Siegberg rollt.<br />

Im Text wird mitgeteilt: „Der Hübbelbummler ähnelt<br />

den berühmten Cable-Cars aus San Franzisko und damit<br />

auch ein wenig der historischen Siegener Oberstadtbahn<br />

von 1910.“ Unser Fotovergleich beweist: Da ist was dran.<br />

Das Projekt ist angerollt. Die Sparkasse und andere<br />

großzügige Sponsoren machten es möglich.<br />

Was jetzt hier passiert, das ist viel mehr, als die Entlastung<br />

für müde Füße. Der vor längerer Zeit gestartete, kurze<br />

Versuch, den „Hübbel“ mit einem ganz normalen Kleinbus<br />

zu erobern, setzte sich nicht durch. Jetzt sieht das<br />

anders aus. Bus und Bürger bummeln nämlich jetzt gemeinsam.<br />

Sie fahren ein Stückchen langsam und gemütlich<br />

bergauf, und die Fahrgäste können auf Kurzstrecken mehrfach<br />

aus- und einsteigen und weiter bummeln. Sie können<br />

die Schaufenster der meist durch Jahre vertrauten, individuell<br />

geprägten Geschäfte der Einzelhändler auf der Fahrt<br />

in breitem Spektrum bewundern und ihr ausgewähltes Ziel<br />

auf kurzer Strecke erreichen. Lohnende Ziele bieten ➤<br />

Die elektrische Oberstadtbahn fuhr<br />

von 1910 bis 1914.<br />

Die „Hübbelbummler-Zwischenlösung“.<br />

So soll die neue Siegener „Oberstadtbahn“<br />

aussehen.<br />

durchblick 4/<strong>2006</strong> 19


Siegen<br />

Unter der Nikolaikirche: Der Marktplatz mit besonderem Flair.<br />

sich in großer Zahl: Das Obere Schloss mit seinen Kostbarkeiten<br />

aus bewahrter Vergangenheit, der Marktplatz mit<br />

besonderem Flair und individuelle kleine Lokale und<br />

Straßencafés oder die angrenzende Altstadtidylle sind da<br />

im Angebot. Die Kultur boomt demnächst im Krönchen-<br />

Center, auf dem historischen Boden, der schon im Mittelalter<br />

Handelszentrum für unsere Vorfahren war. Hier empfiehlt<br />

sich ein Abstecher in reizvolles Neuland: Kurz vor der<br />

Vollendung steht da das Krönchencenter, der neue Treffpunkt<br />

für Bildung und Kultur in der Oberstadt, ein bisschen<br />

so wie bisher das Haus Seel, aber„ein bisschen viel größer“.<br />

Unter anderem gibt es dort für Bildungshungrige bei „KulturSiegen“<br />

Volkshochschule, Stadtarchiv und Stadtbibliothek<br />

mit Lesecafé. Für den Appetit auf Gaumenfreuden<br />

sorgt unter anderem die Firma Dornseifer mit einem<br />

Großangebot an Feinkost. Die Eröffnung des Feinkostgeschäfts<br />

ist schon für Ende November geplant.Von der Marburger<br />

Straße, über Schusswende und Kölner Tor geht die<br />

Fahrt vorbei am „Berliner Bären“ wieder zurück zum Sieg<br />

Carré. Der graue „Beton-Teddy“ ist nach Meinung von drei<br />

Studentinnen „ganz schön hässlich“, aber als Geschenk<br />

„des Partnerbezirks Spandau“ durchaus liebenswert. Am<br />

zentralen Omnibusbahnhof (ZOB) ist beim Abschied vom<br />

Bummlerteam Erfreuliches zu erfahren: „Die meisten kommen<br />

immer wieder. Es gibt schon viele Stammkunden, man<br />

kennt sich inzwischen.“ Da lässt sich nur sagen: „Glück<br />

auf“, auch wenn das zweite Gefährt keine Treppe nach oben<br />

hat. Aufwärts, den Hübbel hoch, geht es auf alle Fälle.<br />

Die Reaktion der Geschäftsleute auf die belebenden<br />

Veränderungen stellt der durchblick nach einer weiteren<br />

Gewöhnungszeit in der nächsten Ausgabe vor.<br />

Kurz notiert ein erster Eindruck: Die Sprecherin der<br />

Marburger Straße, Barbara Zöllner, versichert: „Das Klagelied<br />

über das Veröden der Oberstadt, das öffentlich immer<br />

noch in der Welt ist, hat für uns längst die negative Aussage<br />

verloren. Wir haben mit der Vielzahl der kleinen ➤<br />

Nach dem Ziel befragt, was die Initiatoren bewogen<br />

hat, den Verkehr in der Obertstadt wie einst in der<br />

Vergangenheit wieder aufleben zu lassen, stellte<br />

Betriebsleiter Krumm das Projekt anschaulich vor:<br />

Eine Belebung der Oberstadt mit neuem Anreiz sei<br />

von der VWS und der Gesellschaft für Stadtmarketing<br />

– auch im Hinblick auf die Neugestaltung mit<br />

dem Sieg Carré – als nicht mehr aufschiebbar erkannt<br />

worden. Dabei habe das Vorbild aus der Historie, die<br />

Straße auf den Siegberg befahrbar zu machen, Pate<br />

gestanden. Die wegen Lieferschwierigkeiten eingetretene<br />

Verzögerung habe man mit der doppelstöckigen<br />

Touristenattraktion ausgeglichen, die sofort ihre<br />

Fangemeinde gehabt habe. Mit dem nostalgischen<br />

Ambiente und den Panoramafenstern sei ein anhaltender<br />

Erfolg durch die Zustimmung der Bürger zu<br />

erwarten. Das gelte ebenso für den zweiten, bequemeren<br />

und gleichfalls außergewöhnlichen „Hübbelbummler“,<br />

mit dessen Ankunft demnächst gerechnet<br />

wird.<br />

„Mit dem Personal sind wir sehr zufrieden“, stellte<br />

der Betriebsleiter fest. Die vier als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme<br />

eingestellten Schaffner und Schaffnerinnen<br />

seien im Einführungskurs über Besonderheiten<br />

der Oberstadt informiert worden. Der Zukunftswunsch:<br />

„Wir hoffen sehr, dass wir die Leute<br />

übernehmen können. Wenn das erste Probejahr erfolgreich<br />

beendet ist und die Bürger das Projekt angenommen<br />

haben, dann ist eine Dauer von acht Jahren<br />

angepeilt.“ Die Möglichkeiten der Umschulung<br />

des Schaffner-Teams mit Omnibusführerschein zu<br />

fahren sei schon in Einzelheiten angedacht. Eine Aufstockung<br />

des Personals ist auch ohne Doppelstöcker<br />

geplant. Darauf wird sich eingestellt. Krumm verweist<br />

in diesem Zusammenhang auf Guido Buchborn<br />

vom Modehaus Schulze in Bürbach. Der Leiter der<br />

Herrenmode-Abteilung sorgt im Auftrag des nun<br />

auch im Sieg Carré eröffneten Geschäfts für den weiteren<br />

Bestand des schmuckhaften Outfits der Bummler-<br />

Belegschaft. Alle Kostüme wurden von ihm selbst<br />

entworfen, angelehnt an preußische Vorbilder und<br />

auch auf Damenmaß zugeschnitten.<br />

Krumm<br />

20 durchblick 4/<strong>2006</strong>


Siegen<br />

und weitgehend alteingesessenen Fachgeschäfte wieder ein<br />

Stammpublikum.“ Der Auszug vieler Einzelhändler in die<br />

Unterstadt habe dazu geführt, dass Befürchtungen zunächst<br />

berechtigt schienen. Das sei vorbei. Dazu erklärt Harald<br />

Hahn, Geschäftsführer der Immobilien- und Standortgemeinschaft<br />

Oberstadt (ISG): „Nach der Eröffnung der City-<br />

Galerie hatten wir zunächst etwa 35 Leerstände. Jetzt stehen<br />

noch fünf Läden leer, und wir können uns über neue<br />

und ins Bild passende Zuzüge freuen.“<br />

Das Lied von der sterbenden Oberstadt hat auch für den<br />

ISG-Geschäftsführer keine Gültigkeit mehr. Der Frust beim<br />

Start der City-Galerie scheint endgültig überwunden und<br />

die zahlreichen Attraktionen mit dem Krönchen-Center,<br />

dem Weihnachtsmarkt am Unteren Schloss und vielen umgesetzten<br />

neuen Ideen stimmen weiterhin positiv.<br />

Der Hübbelbummler wird von Frank Nowak vom „Vinum“<br />

als „Vorzeige-Werbekampagne“, aber doch mit Sympathie<br />

betrachtet. Viele nutzen die Chance, für einen Euro<br />

ihre Ziele schneller, bequemer und unterhaltsamer zu erreichen,<br />

als bisher zu Fuß oder mit dem eigenen Wagen und<br />

vorprogrammierten Parkplatzproblemen. Die neue Siegener<br />

Oberstadtbahn, die vermutlich für lange Zeit vor den<br />

Fenstern der Geschäfte am „Hübbel“ auf sich aufmerksam<br />

macht, wird bald ein rollender Bestandteil zwischen Nassauer<br />

Burg und Berliner Bär werden.<br />

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durchblick 4/<strong>2006</strong> 21


Geschichten<br />

Der Reiter und der Bodensee<br />

(Die Fußgängerin und die Obernautalsperre)<br />

Die Obernautalsperre, ein Paradies für Spaziergänger.<br />

Ich sitze da und schaue auf meine Terrasse. Melancholie<br />

trübt meinen Blick. Meine Hortensien zeigen morbide<br />

Farben und Formen – sie werden sich durch nichts Blühendes<br />

mehr ersetzen lassen – mein Bambus ringt mit der Entscheidung,<br />

ob er weiterleben oder sich ergeben soll. Das<br />

unbeschreibliche Farbenspiel des Herbstes gehört vorerst<br />

der Vergangenheit an, der große Teil des Laubes modert in<br />

einem hässlichen Braun zu meinen Füßen. Tote Natur, oberflächlich<br />

gesehen.<br />

Zwangsläufig eilen meine Gedanken voraus, dem Winter<br />

entgegen. Je älter ich werde, um so drohender baut sich<br />

dieser unerbittliche Geselle vor mir auf. Ich spüre schon<br />

seine Kälte und beginne zu frösteln.<br />

„Als ich noch im Flügelkleide“ habe ich den Winter geliebt,<br />

den Schisport in vollen Zügen genossen. Vielleicht<br />

hat sich an meinen Empfindungen etwas verändert, weil<br />

ich, die ich mich schon im Herbst meines Lebens befinde,<br />

meinen eigenen Winter näherkommen sehe.<br />

Er nimmt mir das Gefühl der körperlichen und geistigen<br />

Freiheit. Die luftigen Kleider werden eingemottet. Das<br />

Gewicht des schweren Wintermantels lastet schon auf meinen<br />

Schultern, ich fühle mich gefangen. Die Füße in Stiefel<br />

gezwängt, die Hände tief in den Taschen vergraben.<br />

Sonne war schon immer mein Lebenselexier, ich habe<br />

Zeit „verschwendet“, um in ihr zu sein: Sie hat schon auch<br />

für mich eine erotische Komponente. Ich habe mich meistens<br />

im Sommer verliebt, und auch der ganz großen Liebe<br />

meines Lebens begegnete ich in der warmen Jahreszeit.<br />

Der November ist oft Vorgeplänkel des dräuenden Winters.<br />

Ich erinnere mich an einen ungewöhnlich warmen<br />

Sonnentag. Es lag schon Schnee. Eine Freundin war umgezogen<br />

und wollte ihren Einzug in ihre neue Wohnung feierlich<br />

mit mir begehen. Wir saßen bei Kaffee und Kuchen<br />

am festlich gedeckten Tisch, auf dem auch eine Kerze nicht<br />

fehlen durfte. Sie trug dort, wo sie in den Leuchter mündet,<br />

ein Kränzchen aus Kunststoff, ein begehrtes Accessoir in<br />

der damaligen Zeit. Ich schlug einen Spaziergang an die<br />

Obernau vor, meine Freundin zierte sich, sie läuft nicht gerne,<br />

willigte aber ein. Unsere Füße stampften durch den sich<br />

in Auflösung befindlichen Schnee. Es gibt die kleine und<br />

die große Runde, die man drehen kann. Sie wollte sich<br />

drücken und den kürzeren Weg einschlagen. Ich bestand auf<br />

der erweiterten Version.<br />

Wir hatten etwa die Hälfte der 10 km langen Strecke<br />

zurückgelegt, als sie abrupt stehen blieb, die Hand aufs<br />

Herz gepresst, und mit versagender Stimme die bange Frage<br />

an mich stellte: „Hast du die Kerze gelöscht?“ Ich konnte<br />

mich nicht an eine derartige Handlung meinerseits erinnern.<br />

Sie wusste genau, dass sie es nicht getan hatte. Uns<br />

war der Kerzenschimmer bei dem hellen Sonnenschein<br />

nicht aufgefallen. Sie stöhnte und jammerte: „Jetzt brennt<br />

die Wohnung ab, das ganze Haus, und ich bin gerade ➤<br />

22 durchblick 4/<strong>2006</strong>


Geschichten<br />

Der Reiter und der Bodensee<br />

Von Gustav Schwab<br />

Der Reiter reitet durchs helle Tal<br />

Auf Schneefeld schimmert der Sonne Strahl.<br />

Er trabet im Schweiß durch den kalten Schnee.<br />

Er will noch heut an den Bodensee.<br />

Noch heut mit dem Pferd in den sicheren Kahn,<br />

will drüben landen vor Nacht noch an.<br />

Auf schlimmem Weg über Dorn und Stein,<br />

er braust auf rüstigem Ross feldein.<br />

Aus den Bergen heraus, ins ebene Land,<br />

das sieht er den Schnee sich dehnen wie Sand.<br />

Weit hinter ihm schwinden Dorf und Stadt,<br />

der Weg wird eben, die Bahn wird glatt.<br />

In weiter Fläche kein Bühl, kein Haus,<br />

die Bäume gingen, die Felsen, aus.<br />

So fliegt er hin, eine Meil und zwei,<br />

er hört in den Lüften der Schneegans Schrei,<br />

es flattert das Wasserhuhn empor,<br />

nicht andern Laut vernimmt sein Ohr,<br />

kein Wandersmann sein Auge schaut,<br />

der ihm den rechten Pfad vertraut.<br />

Fort geht’s, wie auf Samt, auf dem weichen Schnee,<br />

wann rauscht das Wasser, wann glänzt der See?<br />

Da bricht der Abend, der frühe, herein,<br />

von Lichtern blinket ein ferner Schein.<br />

Es hebt aus dem Nebel sich Baum an Baum,<br />

und Hügel schließen den weiten Raum.<br />

Er spürt auf dem Boden Stein und Dorn,<br />

dem Rosse gibt er den scharfen Sporn.<br />

Und Hunde bellen empor am Pferd,<br />

und es winkt im Dorf ihm der warme Herd.<br />

Die Maid, sie staunet den Reiter an:<br />

„Der See liegt hinter dir und der Kahn,<br />

und deckt ihn die Rinde von Eis nicht zu,<br />

ich spräch, aus dem Nachen stiegest du.“<br />

Der Fremde schaudert, er atmet schwer:<br />

„Dort hinten die Ebene, die ritt ich her!“<br />

Da recket die Magd die Arm in die Höh:<br />

„Herr Gott, so rittest du über den See!<br />

An den Schlund, an die Tiefe bodenlos,<br />

hat gepocht des rasenden Hufes Stoß!<br />

Und unter dir zürnten die Wasser nicht,<br />

nicht krachte hinunter die Rinde dicht?<br />

Und du wurdest nicht die Speise der stummen Brut?<br />

Der hungrigen Hecht‘ in der kalten Flut?“<br />

Sie rufet das Dorf herbei zu der Mär,<br />

es stellten die Knaben sich um ihn her,<br />

die Mütter, die Greise, sie sammeln sich:<br />

„Glückseliger Mann, ja segne dich!<br />

Herein zum Ofen, zum dampfenden Tisch,<br />

brich mit uns das Brot und iss vom Fisch!“<br />

Der Reiter erstarret auf seinem Pferd,<br />

er hat nur das erste Wort gehört.<br />

Es stocket sein Herz, es sträubt sich sein Haar,<br />

dicht hinter ihm grinst noch die grause Gefahr.<br />

Es sieht sein Blick nur den grässlichen Schlund,<br />

sein Geist versinkt in den schwarzen Grund.<br />

Im Ohr ihm donnerts wie krachend Eis,<br />

wie die Well umrieselt ihn kalter Schweiß.<br />

Da seufzt er, da sinkt er vom Roß herab,<br />

da ward ihm am Ufer ein trockenes Grab.<br />

„Willkommen am Fenster, Mägdelein,<br />

an den See, an den See, wie weit mags sein?“<br />

durchblick 4/<strong>2006</strong> 23


Geschichten<br />

erst dort eingezogen. Oh, mein Herz, mein Herz!“ Die Dramatik<br />

des Augenblicks erschloss sich mir erst ganz allmählich.<br />

Ich versuchte, zu beruhigen: „Üblicherweise brennt<br />

die Kerze doch nieder und erlischt.“ Sie konterte: „Aber das<br />

Kränzchen, das Kränzchen“, – der Blick- und Flammenfang.<br />

Die Tragikomik der Situation war durch nichts zu überbieten.<br />

Hier ein Mensch, zur Salzsäule erstarrt, von dem ich<br />

nicht wusste, ob er diesen Tag überleben würde oder nicht,<br />

dort die Flammen, die aus dem Dachstuhl züngelten. Was<br />

tun? Ihr Jammern wurde eindringlicher, keine menschliche<br />

Seele außer uns weit und breit. Ich<br />

kannte sie schon lange und musste die<br />

Situation abschätzen. Herzbeschwerden<br />

hatte sie vorher noch nie geäußert.<br />

Ich traf meine Entscheidung. Am Ausgangspunkt<br />

unserer verhängnisvollen<br />

Wanderung gab es ein Restaurant. Ich<br />

hätte telefonieren können, doch sie vertraute<br />

mir noch an, dass keiner ihrer<br />

Söhne an dem Tag zu erreichen war.<br />

Ich startete den Lauf meines Lebens<br />

als Mittler zwischen zwei Welten, im<br />

Verbund mit tausend Unwägbarkeiten.<br />

Weniger zünftig gekleidet als elegant,<br />

versuchte ich, auf glatter Bahn, die<br />

restliche Strecke zurückzulegen. Eine Ballade tauchte entfernt<br />

in meiner Erinnerung auf: „Der Reiter und der Bodensee“,<br />

von Gustav Schwab. Der Text war mir nicht mehr<br />

so recht geläufig. Dennoch spürte ich noch recht deutlich<br />

die ihr innewohnende Dramatik, die meiner eigenen Situation<br />

so ähnlich war.<br />

Ob der sengenden Sonne war ich innerhalb kürzester<br />

Zeit in Schweiß gebadet. Den Spaziergängern, denen ich<br />

vereinzelt begegnete und die, im Vergleich zu mir, den Eindruck<br />

machten, als würden sie sich nur die Füße vertreten,<br />

muss ich wie eine Erscheinung vorgekommen sein. Ich flog<br />

und floh dahin und erinnerte sicherlich an eine der früheren<br />

Souffragetten, die ich von alten Werbeplakaten kenne.<br />

Die Bäume, die ich streifte, schienen mich zu verhöhnen.<br />

Ein Hotelbrand schlich sich in meine Gedanken, den ich<br />

vor langen Jahren auf Korsika durchlebte. Auch hier war<br />

Kunststoff der fatale Zünder. Ein Kurzschluss an einem<br />

Kabel im Flur hatte die Plastikverkleidung der Wände entflammt.<br />

Der daraus resultierende Schwelbrand machte es<br />

unmöglich, das Zimmer mittels Tür zu verlassen. Ich stand<br />

hinter dem schweren Store des Fensters und wartete in Todesangst<br />

auf die Feuerwehr. Es dauerte, da sie zuerst vor<br />

dem Gebäude ihre Leitern anlegten, bis sie begriffen, dass<br />

der Hotelbrand sich im hinteren Gebäude des Hotels abspielte.<br />

Ich erreichte mein am Start geparktes Auto und fuhr in<br />

Richtung Geisweid. Dank der fast täglichen dramatischen<br />

Abläufe während meines beruflichen Daseins war ich sehr<br />

gefasst. Ich tat, was ich konnte.<br />

Als ich mich dem Domizil näherte, meinen durchdringenden<br />

Blick in die Ferne gebohrt, bot sich mir kein Flammenmeer<br />

dar. Ich verspürte Erleichterung und stürzte nach<br />

oben. Die Wohnungstür zierte eine Glasscheibe und ich erkannte,<br />

dass die Flamme der Kerze sich besagtem Kränzchen<br />

gefährlich näherte. Diesen Teil der Katastrophe vermochte<br />

ich abzuwenden. Aber was war mit der drohenden<br />

Ohnmacht an den Ufern der Obernau. Das Telefon klingelte.<br />

Es war meine Freundin. Sie hatte den sicheren Hafen<br />

in Gestalt des Restaurants erreicht. Ich glaube, sie hat<br />

in ihrer Wohnung nie wieder eine Kerze angezündet.<br />

Erika Krumm<br />

24 durchblick 4/<strong>2006</strong>


Geschichten<br />

Der Reiter und der Bodensee<br />

Von Gustav Schwab<br />

Der Reiter reitet durchs helle Tal<br />

Auf Schneefeld schimmert der Sonne Strahl.<br />

Er trabet im Schweiß durch den kalten Schnee.<br />

Er will noch heut an den Bodensee.<br />

Noch heut mit dem Pferd in den sicheren Kahn,<br />

will drüben landen vor Nacht noch an.<br />

Auf schlimmem Weg über Dorn und Stein,<br />

er braust auf rüstigem Ross feldein.<br />

Aus den Bergen heraus, ins ebene Land,<br />

das sieht er den Schnee sich dehnen wie Sand.<br />

Weit hinter ihm schwinden Dorf und Stadt,<br />

der Weg wird eben, die Bahn wird glatt.<br />

In weiter Fläche kein Bühl, kein Haus,<br />

die Bäume gingen, die Felsen, aus.<br />

So fliegt er hin, eine Meil und zwei,<br />

er hört in den Lüften der Schneegans Schrei,<br />

es flattert das Wasserhuhn empor,<br />

nicht andern Laut vernimmt sein Ohr,<br />

kein Wandersmann sein Auge schaut,<br />

der ihm den rechten Pfad vertraut.<br />

Fort geht’s, wie auf Samt, auf dem weichen Schnee,<br />

wann rauscht das Wasser, wann glänzt der See?<br />

Da bricht der Abend, der frühe, herein,<br />

von Lichtern blinket ein ferner Schein.<br />

Es hebt aus dem Nebel sich Baum an Baum,<br />

und Hügel schließen den weiten Raum.<br />

Er spürt auf dem Boden Stein und Dorn,<br />

dem Rosse gibt er den scharfen Sporn.<br />

Und Hunde bellen empor am Pferd,<br />

und es winkt im Dorf ihm der warme Herd.<br />

Die Maid, sie staunet den Reiter an:<br />

„Der See liegt hinter dir und der Kahn,<br />

und deckt ihn die Rinde von Eis nicht zu,<br />

ich spräch, aus dem Nachen stiegest du.“<br />

Der Fremde schaudert, er atmet schwer:<br />

„Dort hinten die Ebene, die ritt ich her!“<br />

Da recket die Magd die Arm in die Höh:<br />

„Herr Gott, so rittest du über den See!<br />

An den Schlund, an die Tiefe bodenlos,<br />

hat gepocht des rasenden Hufes Stoß!<br />

Und unter dir zürnten die Wasser nicht,<br />

nicht krachte hinunter die Rinde dicht?<br />

Und du wurdest nicht die Speise der stummen Brut?<br />

Der hungrigen Hecht‘ in der kalten Flut?“<br />

Sie rufet das Dorf herbei zu der Mär,<br />

es stellten die Knaben sich um ihn her,<br />

die Mütter, die Greise, sie sammeln sich:<br />

„Glückseliger Mann, ja segne dich!<br />

Herein zum Ofen, zum dampfenden Tisch,<br />

brich mit uns das Brot und iss vom Fisch!“<br />

Der Reiter erstarret auf seinem Pferd,<br />

er hat nur das erste Wort gehört.<br />

Es stocket sein Herz, es sträubt sich sein Haar,<br />

dicht hinter ihm grinst noch die grause Gefahr.<br />

Es sieht sein Blick nur den grässlichen Schlund,<br />

sein Geist versinkt in den schwarzen Grund.<br />

Im Ohr ihm donnerts wie krachend Eis,<br />

wie die Well umrieselt ihn kalter Schweiß.<br />

Da seufzt er, da sinkt er vom Roß herab,<br />

da ward ihm am Ufer ein trockenes Grab.<br />

„Willkommen am Fenster, Mägdelein,<br />

an den See, an den See, wie weit mags sein?“<br />

durchblick 4/<strong>2006</strong> 23


Gesellschaft<br />

Wir sind verpflichtet,<br />

uns für die strukturellen<br />

Veränderungen<br />

einzusetzen, die<br />

einem gerechten und<br />

menschlicherem Leben<br />

den Weg ebnen.<br />

Ungerechte soziale<br />

Strukturen sind die<br />

Wurzel aller Gewalt.<br />

Oscar Romero<br />

Der etwas andere Laden<br />

(nicht reden – fair handeln)<br />

Seit neun Jahren<br />

engagiere ich mich im<br />

Eine-Welt-Laden – St.<br />

Michael, in Siegen. Ich<br />

betrachte es nach wie<br />

vor als eine sinnvolle<br />

Aufgabe und fühle mich<br />

sehr wohl und gut aufgehoben<br />

in einem Team<br />

von etwa 16 ehrenamtlichen<br />

Mitarbeitern. Noch immer beeindruckt mich der hohe<br />

Einsatz, die Motivation, der fürsorgliche Umgang mit<br />

den Mitmenschen, der Umwelt und mit ihren eigenen finanziellen<br />

Ressourcen. Sie sind mir Weggefährten.<br />

Neben dem Verkauf von Lebensmitteln, Lederwaren, Schmuck und Holzspielzeug, steht im<br />

Eine-Welt-Laden – St. Michael auch eine Bücher- und Medienausleihe zur Verfügung<br />

Es stehen uns angenehme Räumlichkeiten zur Verfügung,<br />

die in die St.-Michaels-Kirche integriert sind.<br />

Unsere Buch- und Medienausleihe ist sensationell bestückt.<br />

Sie umfasst alle Bereiche der Eine-Welt-Thematik:<br />

Fairer Handel, Kinder in der Welt, Frieden und Gerechtigkeit,<br />

Globalisierung.<br />

Es stehen Videos, Dias, CD’s, DVD’s zur Verfügung.<br />

Ein gemütlicher Leseraum lädt zum Verweilen ein. Das<br />

Ausleihen der Materialien ist kostenlos.<br />

Was machen wir?<br />

Faire Produkte verkaufen, Projekte aufbauen und<br />

begleiten. Mit Öffentlichkeitsarbeit über den fairen Handel<br />

informieren, Unterrichts- und Internetmaterialien bereitstellen.<br />

Was wollen wir?<br />

Mit Informations- und Bildungsarbeit die Sensibilität<br />

für bestehende ungerechte Verhältnisse verstärken, Partnerschaften<br />

fördern, die dazu beitragen, dass beide Partner<br />

die Lebenssituation, die Kultur und die Wertevorstellungen<br />

des jeweils anderen besser verstehen und dass sie voneinander<br />

lernen.<br />

Welches sind unsere Produkte?<br />

Honig, Kaffee, Tee, Wein, Brotaufstrich in reichhaltiger<br />

Auswahl – aus exotischen Ländern – mit speziellem Aroma<br />

und Geschmack, Musikinstrumente, Holzspielzeug, Lederwaren,<br />

echter Schmuck, Kinderbücher, eine aparte Auswahl<br />

an Papierwaren.<br />

In der Vorweihnachtszeit: Kalender „Der andere Advent“,<br />

Bio-Adventskalender mit Schoko-Spekulatius, Bio-<br />

Nikoläuse und Bio-Weihnachtsmänner.<br />

Die Produkte der Entwicklungsländer sind nicht zum<br />

Schnäppchenpreis zu haben. Aber ist Geiz auch geil, wenn<br />

es um die Not in der Welt geht?<br />

Unsere Einkäufe tätigen wir bei der Gepa, der Gesellschaft<br />

zur Förderung der Partnerschaft mit der sogenannten<br />

Dritten Welt. Diese GmbH hat sich dem fairen Handel<br />

verpflichtet. Kriterien des fairen Handels sind:<br />

Arbeitsrechtliche und ökologische Mindeststandards,<br />

Verbot der Zwangs- und Kinderarbeit, Gesunde Arbeitsbedingungen,<br />

Demokratisch kontrollierte Organisationen,<br />

Unabhängige Gewerkschaften, Gewährung von Sozialleistungen.<br />

Die Gepa fördert dies durch Zahlung fester Preise,<br />

Beratung bei der Produktentwicklung, Aufbau von langfristigen<br />

Handelsbeziehungen, Förderung ökologischer<br />

Produktionsmethoden.<br />

Schauen sie einfach mal vorbei. Sie werden von reizenden<br />

Menschen empfangen und beraten:<br />

montags bis freitags von 16.30–18.30<br />

sonntags nach dem Gottesdienst in der St.-Michaels-<br />

Kirche. Oder, vielleicht, hätten sie sogar Lust, in unserem<br />

Team mitzuwirken?<br />

Erika Krumm<br />

durchblick 4/<strong>2006</strong> 25


Wie alles begann<br />

Seinen Anfang nahm alles bei einer Routineuntersuchung<br />

im Krankenhaus und der Aussage des Professors:<br />

„Sie müssen operiert werden, Frau Freundt. Ihr Aneurysma<br />

an der Aorta hat sich vergrößert und es besteht die Gefahr,<br />

dass es reißt und sie innerlich verbluten. Ich habe sie<br />

bereits kurzfristig in Bad Oeynhausen zur Operation angemeldet.“<br />

Annette, meine Frau, die vor zweieinhalb Jahren einen<br />

Herzinfarkt erlitten hatte, und ich, wussten von dieser Erweiterung<br />

der Hauptschlagader unmittelbar am Herzen.<br />

Aber, so alle bisherigen ärztlichen Aussagen, bestand kein<br />

Grund zu Besorgnis, solange sich dieses Aneurysma nicht<br />

weiter ausdehnt. Warum sollte es auch? Der Blutdruck ist<br />

normal, der Alltag auch. Keine besonderen Vorkommnisse.<br />

Die regelmäßig durchgeführten Kontrolluntersuchungen<br />

bestätigten dies. Alles im grünen Bereich. Der Alltagstrott<br />

kann weitergehen wie bisher nach jeder Kontrolle.<br />

So dachten wir. Ein großer Irrtum. Diesmal kam alles anders.<br />

Das, was wir beide bisher gut verdrängt glaubten, jeder<br />

für sich aber unausgesprochen wohl doch immer schon<br />

befürchtet hatte, war plötzlich eingetreten. Eine nicht ganz<br />

ungefährliche Herzoperation, bei der der ausgedehnte und<br />

beschädigte Teil der Aorta herausgeschnitten und durch ein<br />

Kunststoffteil ersetzt wird, war<br />

nun unumgänglich. Mit diesem<br />

Tatbestand konfrontiert, gerieten<br />

wir in einen, in unserer Ehe<br />

bisher nicht erprobten Ausnahmezustand<br />

und die Gefühle begannen<br />

mit uns Achterbahn zu<br />

fahren und bewegten sich zwischen<br />

Zuversicht und Niedergeschlagenheit.<br />

Nachstehend der<br />

Versuch, diese ungewollte, nicht<br />

alltägliche Grenzerfahrung in<br />

ihren einzelnen Phasen ein wenig<br />

nachzuzeichnen.<br />

Phase 1 – Rege<br />

Betriebsamkeit<br />

Nach der Auflösung eines<br />

schockähnlichen Zustandes und<br />

der Erkenntnis, dass wohl kein<br />

Weg an dieser Operation vorbeiführt,<br />

es sei denn, wir riskieren<br />

ihr Leben, entwickelte meine<br />

Frau eine rege Betriebsamkeit.<br />

Was musste, aus ihrer Sicht, vor<br />

so einer großen Operation nicht<br />

alles bedacht und noch erledigt<br />

werden. Man weiß ja nie. Also,<br />

Gesundheit<br />

Auf einmal ist der Alltag Nebensache<br />

Wenn der Lebenspartner plötzlich schlapp macht<br />

Während der Zeit der Operation und des Wartens<br />

sah ich diesen Baum im Kurpark. Auch bei ihm war<br />

ein Eingriff notwendig, damit der Lebenssaft weiter<br />

in ihm fließen konnte.<br />

ein Plan musste her, in dem alles notiert wurde, was vorher<br />

noch zu tun war. Alles wurde durchforstet. Angefangen bei<br />

notwendigen Haushaltsaufgaben, über die Gartenpflege,<br />

bis hin zu der Frage: Und wer versorgt eigentlich den großen<br />

Hund, die uns zugelaufene Katze und die „Liebeskummer-<br />

Hasen“, ein Überbleibsel unserer jüngsten Tochter, bevor<br />

sie auszog. Alle erforderlichen Aufgaben und Pflichten<br />

wurden gleichmäßig auf die Familienmitglieder verteilt,<br />

die, und dies erwies sich jetzt als Vorteil, alle in Siegen und<br />

Umgebung wohnen. Neben diesen haushalterischen Aufgaben<br />

wurden aber auch ihre „Nebentätigkeiten“ und ehrenamtlichen<br />

Aufgaben auf ihren Istzustand überprüft und,<br />

falls erforderlich, auf einen aktuellen Stand gebracht. Sie<br />

telefonierte mit Gott und der Welt, saß stundenlang an<br />

ihrem PC, buchte noch nicht erfasste Belege in unterschiedlichen<br />

Buchführungen und erstellte Steuererklärungen.<br />

Dem Finanzamt wurde auch noch ein Besuch abgestattet.<br />

Es gab viel zu tun, die Zeit wurde knapp. Der Tag<br />

der Abreise rückte immer näher, die innere Unruhe wuchs<br />

und mit ihr die Angst.<br />

Angst, wovor? Jetzt, nachdem die Operation glücklich<br />

überstanden ist, gesteht mir meine Frau, sie hatte große<br />

Angst, sie würde „alles“ nie mehr wiedersehen. Ihre große<br />

Familie, ihre Kinder und Enkelkinder, ihren schönen Garten,<br />

die Tiere, Freunde und Bekannte,<br />

all das eben, was ihr<br />

wichtig und wertvoll ist und<br />

ihrem Leben einen Sinn gibt.<br />

Natürlich auch mich. Sie hatte,<br />

unbemerkt von mir, heimlich<br />

Abschied genommen von „allem<br />

und allen“.<br />

Ich selbst unterstützte meine<br />

Frau in ihren Aktivitäten, so gut<br />

ich konnte. Meine Sorge um sie<br />

versuchte ich auf eine andere<br />

Art zu bewältigen. Information<br />

ist alles, dachte ich. Also habe<br />

ich im Internet recherchiert und<br />

mich ausführlich über die Methoden<br />

und Risiken der anstehenden<br />

Operation informiert.<br />

Auch über die Klinik selbst und<br />

den von ihr veröffentlichten<br />

Qualitäts- und Leistungskatalog.<br />

Was ich dort alles erfuhr, war<br />

alles andere als aufbauend und<br />

steigerte nicht gerade meine Zuversicht.<br />

Was bei so einer Operation<br />

nicht alles passieren kann.<br />

Ach du meine Güte. Da ➤<br />

26 durchblick 4/<strong>2006</strong>


kann einem ja Angst und Bange werden. Nur nichts meiner<br />

Frau sagen. Was sie nicht weiß, macht sie nicht heiß, lautete<br />

meine Devise ihr gegenüber. Sie hatte sich, seit sie von<br />

der Notwendigkeit der Operation wusste, in meinen Augen<br />

ohnehin schon etwas verändert. Trotz ihrer regen Betriebsamkeit<br />

wirkte sie irgendwie nachdenklicher und stiller als<br />

sonst. Ich beobachtete sie, wie sie des Öfteren in sich versunken<br />

und allein auf ihrem Lieblingsplatz unserer Terrasse<br />

saß. Heute weiß ich warum.<br />

Phase 2 – Abschied von zu Hause<br />

Beide versuchten wir, die Zunahme der inneren Anspannung<br />

dem anderen gegenüber nicht anmerken zu lassen.<br />

Letzte Reisevorbereitungen wurden getroffen. Reisevorbereitungen<br />

der besonderen Art, wie ich feststellte, denn<br />

es ist ja schon ein Unterschied, ob ich einen bunten Urlaubskoffer<br />

oder einen tristen Krankenhauskoffer packe.<br />

Da ich mich entschlossen hatte, während der Zeit des Krankenhausaufenthaltes<br />

bei meiner<br />

Frau in Bad Oeynhausen zu<br />

bleiben, musste noch ein geeignetes<br />

Quartier gefunden werden.<br />

Schließlich waren alle Vorbereitungen<br />

getroffen, der Tag<br />

der Abreise, es war ein Freitag,<br />

war gekommen. Tags zuvor hatten unsere Kinder noch ein<br />

gemeinsames „Abschiedskaffeetrinken“ auf unserer Terrasse<br />

organisiert. Es konnte losgehen. Mit vielen guten<br />

Wünschen im Gepäck und gestärkt durch die Gewissheit,<br />

dass uns viele fürsorgliche Gedanken und fürsprechende<br />

Gebete der Familie, unserer Freunde, Bekannten und Nachbarn<br />

begleiten, fuhren wir los. Während der Fahrt spürten<br />

wir, wie die Gefühlsspannung weiter wuchs. Jetzt, nachdem<br />

alle Vorbereitungen abgeschlossen und keine ablenkenden<br />

Tätigkeiten mehr zu erledigen waren, fokussierten sich unsere<br />

Gedanken mehr und mehr auf die bevorstehende Operation.<br />

Ganz besonders bei meiner Frau. Sie saß still neben<br />

mir. Ihr Blick war, fast starr, nur nach vorne gerichtet. Nicht<br />

wie sonst üblich, lebhaft und mit erklärenden Kommentaren<br />

versehen auf die an uns vorübereilende Landschaft. Es<br />

schien, als habe sie ihre äußere Wahrnehmung bewusst eingeschränkt,<br />

sich „Scheuklappen“ aufgesetzt und die Einstellung<br />

eingenommen, wenn denn diese Operation schon<br />

sein muss, dann bitte schön so schnell wie möglich. Am besten<br />

morgen schon, dann hab ich’s hinter mir. Einfach Augen<br />

zu und durch. Als wenn das so einfach wäre. Schließlicht<br />

können wir in solch schwierigen Situationen unsere<br />

von Angst durchtränkten Gedanken nicht einfach ausschalten<br />

wie das Licht einer Lampe mit einem Lichtschalter.<br />

Wie heißt es so treffend in einem alten Volkslied: „Die<br />

Gedanken sind frei, wer kann sie erhaschen, sie fliegen vorbei<br />

wie nächtliche Schatten …“<br />

Phase 3 – Aufnahme in der Klinik<br />

In der Klinik angekommen, durchliefen wir die übliche<br />

Prozedur einer Anmeldung: zuerst langes Warten und<br />

Gesundheit<br />

Angst, „alles“ nie mehr<br />

wiederzusehen<br />

anschließend viele Formulare unterschreiben. Ein „Zivi“<br />

führte uns auf die Station mit dem urlaubsträchtigen Namen<br />

„Toskana“. Dort hingen wunderschöne Bilder und<br />

Gemälde aus der Toskana. Sicherlich haben sich die Verantwortlichen<br />

bei der Namensgebung etwas gedacht, denn<br />

jedes Zimmer hat neben einer Zimmernummer zusätzlich<br />

den klangvollen Namen eines toskanischen Urlaubsortes.<br />

Meine Frau bekam das Zimmer „Viareggio“, der Name einer<br />

Hafenstadt, die in den Reiseführern als größtes Seebad<br />

und Perle der Versilia bezeichnet wird, eine italienische<br />

Küstenlandschaft am Fuß der dem Apennin vorgelagerten<br />

Apuanischen Alpen. Ein wunderschöner Urlaubsort. Nur<br />

leider hatten wir so gar keine Urlaubsstimmung.<br />

Nachdem wir die Koffer ausgepackt und das „Viareggio“<br />

so gemütlich wie eben möglich eingerichtet hatten,<br />

setzten wir uns auf die zum Zimmer gehörige kleine Terrasse<br />

und warteten auf die Dinge, die da kommen würden.<br />

Und sie kamen – und das nicht zu<br />

knapp. Zunächst bekamen wir<br />

die Information, dass meine Frau<br />

nur bis zum Operationstag in<br />

diesem Zimmer bleiben könne,<br />

mit der Begründung, dass während<br />

des Operationstages und<br />

dem anschließenden Aufenthalt auf der Intensivstation die<br />

Zimmer nicht unbenutzt bleiben dürften. Optimierung der<br />

Zimmerbelegung nennt man das wohl. Während für meine<br />

Frau die ersten Untersuchungen anstanden, suchte ich mein<br />

eigenes Quartier in Bad Oeynhausen auf. Es war eine Privatpension<br />

direkt am Kurpark gelegen, ca. 2 km von der<br />

Klinik entfernt. Für mich als guter Fußgänger kein Problem,<br />

obwohl es Tage gab, an denen ich bis zu 15 km Wegstrecke<br />

zurückgelegt habe.<br />

Es war später Nachmittag. Alle Voruntersuchungen waren<br />

für diesen Tag abgeschlossen.<br />

Die Unterlagen und Formulare, die wir bei der Anmeldung<br />

und beim Eintreffen auf der Station bekommen hatten,<br />

lagen auf dem Tisch. Wir lasen alle Informationen ausführlich<br />

durch. Angefangen bei der Bedienung des Telefons<br />

und des Fernsehapparates bis hin zur Benutzung der hauseigenen<br />

Bibliothek. Noch vor meiner Frau las ich das über<br />

6-seitige gelbe Informationsblatt über die Risiken und Nebenwirkungen<br />

der anstehenden Operation. In ihm fand ich<br />

alle Informationen, die ich mir im Vorfeld aus dem Internet<br />

besorgt hatte, bestätigt. Um meine Frau nicht noch mehr<br />

zu verängstigen, versuchte ich ihr gegenüber die Risiken so<br />

gut es ging zu bagatellisieren, nach dem Motto, da stehen<br />

halt die üblichen Risiken, die eine Narkose und OP mit sich<br />

bringen kann. Das Dumme war nur, sie musste dieses Info-<br />

Blatt zwecks Einwilligung vor der Operation unterschreiben<br />

und es ist ihre Art, alles genau zu lesen, bevor sie etwas<br />

unterschreibt. Was also sollte ich tun? Die Entscheidung<br />

hierüber wurde mir schnell abgenommen. Durch wen? ➤<br />

durchblick 4/<strong>2006</strong> 27


Phase 4 – Das unheilvolle Aufklärungsgespräch<br />

Durch eine noch relativ junge, gertenschlanke und, so<br />

mein späterer Eindruck, sehr ehrgeizige Stationsärztin. Als<br />

sie ins Zimmer trat und sich vorstellte, wirke sie erschöpft<br />

und überarbeitet. Hat wohl eine harte Woche hinter sich<br />

dachte ich noch, als sie ihre Untersuchung bei meiner Frau<br />

mit der Bemerkung begann: „20 Kilo weniger, Frau<br />

Freundt, wären für die OP sicher günstiger, denn da müssten<br />

wir uns nicht durch so viel durcharbeiten.“ Das saß.<br />

Meine Frau und auch ich waren im Moment völlig konsterniert<br />

und unfähig entsprechend zu reagieren. Dass meine<br />

Frau kein Idealgewicht auf die Waage bringt und ein paar<br />

Kilo weniger nicht schaden könnten, wussten wir ja. Aber<br />

die zu vielen Kilos auf diese Art und in dieser seelisch angespannten<br />

Situation vorgehalten zu bekommen, war schon<br />

starker Tobak. Aber damit nicht genug. Auf einem Besucherstuhl<br />

sitzend, ihre Beine übereinandergeschlagen, begann<br />

sie, das 6-seitige Info-Blatt<br />

über die Risiken und Nebenwirkungen<br />

der Operation Punkt für<br />

Punkt ausführlich zu erläutern.<br />

Diese Erläuterungen waren aus<br />

rechtlicher Sicht gesehen zwar<br />

völlig korrekt, aber sie machten<br />

all meine Bemühungen, meiner<br />

Frau etwas von ihrer Angst zu<br />

nehmen, mit einem Schlag zunichte.<br />

Sie bekam alles zu hören,<br />

was als mögliche Folgen eintreten könnte. Angefangen bei<br />

dem Risiko, während der OP einen Schlaganfall zu bekommen,<br />

über die Gefahr einer späteren Querschnittslähmung<br />

durch eine mögliche Schädigungen des Rückenmarks in<br />

Folge von Durchblutungsstörungen, bis hin zu der Aussage,<br />

dass während der Operation für einige Minuten alle Maschinen,<br />

auch die Herz-Lungen-Maschine, ausgeschaltet<br />

werden müssten, um das Aneurysma zu beseitigen. Ein absoluter<br />

Herz- und Kreislaufstillstand. „Sie sind während<br />

dieser Zeit dann quasi tot, Frau Freundt“, so ihre nüchternmedizinische<br />

Aussage. Sachlich korrekt machte sie hinter<br />

jedem besprochenen Punkt, also auch hinter diesem, einen<br />

großen Kringel. Thema abgehakt. Und meine Frau? Ich<br />

sehe sie heute noch auf der Bettkante sitzen. Ihr ohnehin<br />

schon etwas blasses Gesicht war noch eine Spur blasser geworden<br />

als sie sagte: „Sie machen mir aber viel Mut, Frau<br />

Doktor.“ Ohne auf diese angsterfüllte Aussage in irgendeiner<br />

Form zu reagieren, bat sie meine Frau am Ende ihrer<br />

Ausführungen, dieses, in allen Punkten nun abgehakte Info-Blatt,<br />

zwecks Einverständnis bis zur Operation zu unterschreiben.<br />

Die Operation würde am kommenden Dienstag,<br />

also erst in vier Tagen durchgeführt. Mit dieser Aussage<br />

und den Ampullen des vorher abgenommen Blutes unterm<br />

Arm, verschwand sie mit wehendem weißen Kittel aus dem<br />

Zimmer. Und meine Frau? Sie saß auf ihrer Bettkante wie<br />

ein begossener Pudel. „Mir ist kalt“, sagte sie. Kein Wunder.<br />

Über sie hatte die junge Ärztin soeben einen Kübel kalter,<br />

nackter und nicht gerade erbaulicher Informationen<br />

Gesundheit<br />

Zur Ablenkung eine Stadtrundfahrt mit dem Wolkenschieber<br />

ausgeschüttet, dabei aber vergessen, ihr ein „seelisches<br />

Handtuch“ zu reichen, mit dem sie ihre durchnässte Seele<br />

ein klein wenig trocknen und wärmen konnte. Ihr erster<br />

Kommentar, den Blick dabei vor sich auf den Boden gerichtet:<br />

„Ich will nicht operiert werden, lass uns wieder<br />

nach Hause fahren.“ Und ich? Mir waren ja all diese Risiken<br />

und Nebenwirkungen bekannt. Aber dass meine Frau<br />

sie auf diese Art und Weise nun doch noch erfahren musste,<br />

machte mich wütend. Zunächst versuchte ich sie wieder<br />

ein wenig zu beruhigen, mit wenig Erfolg. Das wiederum<br />

machte mich noch wütender. Was sollte ich tun? Mit<br />

meiner Frau wieder nach Hause fahren und darauf hoffen,<br />

dass das Aneurysma noch lange halten würde? Eine riskante<br />

Entscheidung. Nach einiger Zeit entschloss ich mich,<br />

dieses Aufklärungsgespräch nicht einfach so hinzunehmen.<br />

Ich ging ins Ärzte- und Stationszimmer. Die junge Ärztin<br />

war schon nach Hause gegangen. Das war mir egal, ich beschwerte<br />

mich trotzdem und<br />

machte meiner Wut gegenüber<br />

dem anwesenden Personal in einer<br />

angemessenen Form Luft.<br />

Mit allem Nachruck wies ich<br />

darauf hin, was dieses Gespräch<br />

bei meiner Frau psychisch angerichtet<br />

hatte. Sie brauche, so<br />

meine auffordernde Bitte, nun<br />

dringend eine „seelische Aufbauspritze“,<br />

um ihr Einverständnis<br />

für diese Operation überhaupt zu geben. Mit dem Empfinden,<br />

wenigstens etwas getan zu haben, ging ich zurück<br />

ins „Viareggio“ und versuchte weiter, so gut es ging, meiner<br />

Frau ihre Angst etwas zu nehmen. Es war schon spät<br />

am Abend als ich mich von ihr, ungern und einem bedrückenden<br />

Gefühl der Hilflosigkeit, verabschiedete und<br />

mein Quartier aufsuchte. Ich schlief sehr unruhig. Meine<br />

Beschwerde vom Vortage zeigte Wirkung, denn als ich am<br />

darauf folgenden Tag, es war Samstag, ins Zimmer kam,<br />

erzählte mir meine Frau, dass die Ärztin schon früh bei ihr<br />

gewesen sei und sie in den Arm genommen hätte, um sie<br />

zu beruhigen und ihr Mut zuzusprechen. Sie habe ihr daraufhin<br />

ihre Patientenverfügung gegeben, die wir vorsorglich<br />

mitgenommen hatten. In ihr ist ausführlich beschrieben,<br />

welche medizinischen Maßnahmen in welchen<br />

Situationen noch getan werden sollen und welche nicht.<br />

Spätestens nach dem Lesen dieser Patientenverfügung hat<br />

die junge Ärztin wohl begriffen, in welch einer seelischen<br />

Verfassung meine Frau war, denn von diesem Zeitpunkt an<br />

war ihr Verhalten, wie soll ich sagen, besorgt-herzlich. Als<br />

medizinische Maßnahme verordnete sie ein Beruhigungsmittel.<br />

„Wenn ich diese Tabletten nicht bekommen hätte,<br />

wäre ich wahrscheinlich heimlich fortgelaufen“, sagt sie<br />

heute.<br />

Phase 5 – Die lange Zeit des Wartens,<br />

ein intensives Wochenende<br />

Bei der Chefvisite am selben Morgen bestätigte der Professor<br />

den Operationstermin für den kommenden<br />

28 durchblick 4/<strong>2006</strong><br />


Gesundheit<br />

Dienstag. Er werde die Operation selbst vornehmen. War<br />

das nun gut oder eher besorgt zu deuten? Ich entschloss<br />

mich für die erste Variante. Wie dem auch sei, es war Wochenende<br />

und es standen keine medizinischen Untersuchungen<br />

an. Vor uns lagen drei lange Tage des Wartens und<br />

der Ungewissheit.<br />

Andachtsraum der Klinik, war das nicht möglich. Vielleicht<br />

hilft ja beten? Aber, so unsere gemeinsame Auffassung, ist<br />

Gott keine Instanz, deren Ratschluss wir beeinflussen können.<br />

Gott ist nicht manipulierbar, kein Erfüllungsgehilfe<br />

des Menschen und schon gar nicht der liebenswerte Weihnachtsmann,<br />

der uns unsere Wünsche erfüllt.<br />

Wie verbringt man diese Zeit? Die Zeit vor einer so<br />

schwierigen Operation, deren Ausgang die gemeinsame<br />

Zukunft gravierend verändern kann? Es könnten ja unsere<br />

letzten gemeinsamen Stunden sein, wer weiß? Wie sollten<br />

wir sie gestalten?<br />

Eine schwierige Frage. Vielleicht ist es ja gut, nicht so<br />

genau darüber nachzudenken, geschweige denn, ausführlich<br />

darüber zu reden. Einfach versuchen, uns abzulenken<br />

und die Zeit bis Dienstag irgendwie „totschlagen“? Oder ist<br />

es besser, offen über unsere Situation, alle Eventualitäten,<br />

unsere Gefühle und Ängste zu sprechen und diese Zeit nutzen,<br />

einmal Rückblick zu halten auf den nun fast 50-jährigen<br />

gemeinsamen Lebensweg mit einer hoffentlich nur vorläufigen<br />

Zwischenbilanz? Wir taten beides, uns ablenken<br />

und viel miteinander reden. Schließlich gab es ja genügend<br />

Gesprächsstoff, bei einem fast halben Jahrhundert gemeinsam<br />

gestalteter Lebensjahre. Da kommt schon einiges zusammen<br />

an Höhen und Tiefen, an guten und schlechten<br />

Zeiten, an schicksalhaften Ereignissen, die unsere ganze<br />

Kraft forderten, aber auch an vielen schönen, glücklichen<br />

Tagen und Stunden zu denen<br />

ganz besonders die Geburten<br />

unserer vier gesunden Kinder<br />

zählen. Wir kamen überein, unsere<br />

Ehe und unsere Liebe mit<br />

einem alten Haus zu vergleichen,<br />

das über die Jahrzehnte<br />

hinweg den vielen äußeren Umwelteinflüssen<br />

getrotzt und dabei<br />

einige Risse und schadhafte<br />

Stellen an der Fassade davongetragen<br />

hat, dass der Kern und die<br />

Substanz aber noch gut erhalten<br />

ist.<br />

Was blieb, war unsere Angst.<br />

Bei meiner Frau war es die<br />

Angst, die Operation nicht zu<br />

überleben und bei mir die große<br />

Sorge, dass sie irreversible Schäden<br />

davontragen würde. Was<br />

konnte helfen, unsere Angst zu<br />

mildern? Vielleicht sollten wir<br />

eine Kerze anzünden? Ein Ritual,<br />

das meine Frau zu Hause immer<br />

dann vollzieht, wenn ein<br />

Familienmitglied eine schwierige<br />

Prüfung oder Zeit zu bestehen<br />

hat. Hier, im ökumenischen<br />

Der Kurpark in Bad Oeynhausen: wunderschöne<br />

Blumenrabatte und ein herrlicher, alter Baumbestand.<br />

Das Einzige, was wir uns erhofften, war, dass wir die<br />

Kraft besitzen würden, diese schwierige Lebenszeit gemeinsam<br />

zu bewältigen. Außerdem: Es gab in der Klinik<br />

wesentlich schlimmere Schicksale als das unsere. Ich denke<br />

dabei nur an meinen zufälligen Besuch auf der Kinderstation<br />

während meine Frau schlief. Ich sehe heute noch die<br />

Tränen junger Eltern und höre heute noch das Schreien der<br />

kleinen Patienten mit angeborenem Herzfehler, die um ihr<br />

gerade erst begonnenes Leben kämpften. Sie wirkten so<br />

zerbrechlich und völlig verloren in einer Umgebung, in der<br />

es nur große, medizinische Geräte zu geben schien. Bei<br />

diesem Anblick drängte sich mir, wieder einmal mehr, die<br />

nicht zu beantwortende Theodizee-Frage auf, die Frage nach<br />

der Unvereinbarkeit der Existenz eines gütigen Gottes und<br />

dem unsäglichen Leid auf dieser Erde. Wo ist der barmherzige<br />

Gott inmitten dieses Leids völlig unschuldiger Kinder<br />

und verzweifelter Eltern? Nein, so mein vielleicht etwas<br />

naiv wirkender Gedanke, wenn es eine Hilfe Gottes<br />

überhaupt geben sollte, dann hatten andere Menschen vor<br />

uns einen Anspruch darauf.<br />

Die Einnahme des Beruhigungsmittels<br />

versetzte meine<br />

Frau in einen zunehmend lethargisch,<br />

apathischen Zustand. Ich<br />

hatte des Gefühl, als würde die<br />

Dosis langsam erhöht, denn je<br />

näher der Zeitpunkt der OP<br />

kam, umso eingeschränkter wurde<br />

ihre Wahrnehmung und ihr<br />

Interesse für die Dinge um sie<br />

herum. Hatten wir am Sonntag,<br />

um uns abzulenken, noch eine<br />

ausführliche Stadtrundfahrt mit<br />

dem bekannten „Wolkenschieber“<br />

durch Bad Oeynhausen gemacht,<br />

so fixierten sich unsere<br />

Gedanken am Montag mehr<br />

und mehr auf die bevorstehende<br />

Operation und ihre eventuellen<br />

Folgen.<br />

Verstärkt wurden diese<br />

noch, als der Narkosearzt kam,<br />

um mit meiner Frau die notwendigen<br />

Narkosemaßnahmen<br />

zu besprechen. Ganz im Gegensatz<br />

zum Aufklärungsgespräch<br />

der jungen Stationsärztin verlief<br />

dieses Gespräch in einer ➤<br />

durchblick 4/<strong>2006</strong> 29


Gesundheit<br />

Der Jordansprudel im Kurpark, ein Ort der Entspannung.<br />

sachlich offenen, aber sehr beruhigenden<br />

Atmosphäre. „Sie<br />

haben mir etwas von meiner<br />

Angst genommen Herr Doktor“,<br />

war die Aussage meiner<br />

Frau am Ende des Gespräches.<br />

Für den Rest des Tages<br />

und des Abends blieben wir<br />

allein. Auch wenn meine Frau,<br />

durch die Medikamente verursacht,<br />

äußerlich ruhig wirkte,<br />

spürte ich ihre zunehmende<br />

innere Anspannung. Was konnte<br />

ich jetzt noch für sie tun?<br />

Nichts mehr. Nur noch da sitzen,<br />

bei ihr sein und warten,<br />

dass die Zeit vergeht. Den<br />

Partner leiden zu sehen und,<br />

wie in meinem Fall, ihm seine<br />

Angst nicht nehmen zu können,<br />

die eigene ohnmächtige<br />

Hilflosigkeit zu spüren und<br />

akzeptieren zu müssen, ist<br />

eine Situation, die nur sehr<br />

schwer auszuhalten ist. Jeder,<br />

der diese Erfahrung schon einmal<br />

machen musste, wird<br />

meine, auf wen auch immer<br />

gerichtete, ohnmächtige Wut,<br />

verstehen können. Zum Glück<br />

hat meine Frau an diese Stunden<br />

nur noch sehr schwache<br />

Erinnerungen. Das Einzige, an<br />

was sie sich noch gut erinnern<br />

kann ist, dass sie mir gesagt<br />

hat, sie liebe mich noch immer.<br />

Dass ihr dabei Tränen über das Gesicht liefen, hat sie<br />

vergessen. Damit hat sich ihr Wunsch fast erfüllt, den sie<br />

vorher geäußert hatte: „Ich möchte von der Operation und<br />

allem Drum und Dran nichts mitbekommen, nur nach der<br />

Operation einfach wieder aufwachen und dich ‚anbegucken‘<br />

(ein Ausspruch aus ihrer Kindheit von einem ihrer<br />

Vettern, als er etwas Bestimmtes gerne noch einmal sehen<br />

wollte)“. Erst mit einem zusätzlichen Schlafmittel, es war<br />

schon fast Mitternacht, schlief sie endlich ein. Als ich aus<br />

dem Zimmer ging und noch einen letzten Blick auf meine<br />

Frau warf, hatte ich nur den einen bedrückenden Gedanken:<br />

Wie werde ich sie wiedersehen?<br />

Auf dem Fußweg in meine Pension fiel mir der Anruf<br />

meiner Tochter Katharina vom Nachmittag wieder ein. Sie<br />

hatte mir mitgeteilt, dass Herr „A“, den ich im Rahmen<br />

meiner Hospizarbeit in den letzten Monaten seines Lebens<br />

begleiten durfte und den auch meine Frau kennengelernt<br />

hatte, ganz plötzlich gestorben sei. Vor meiner Abreise nach<br />

Bad Oeynhausen hatte ich noch mit ihm gesprochen und<br />

mich von ihm verabschiedet. Dass es ein Abschied für immer<br />

sein würde, daran habe<br />

ich, trotz seiner schweren<br />

Krankheit, nicht gedacht. Eine<br />

traurige Nachricht, die<br />

meine ohnehin schon gedrückte<br />

Stimmung noch verstärkte.<br />

Phase 6 – Der Tag der<br />

Entscheidung<br />

Es war Dienstag, der alles<br />

entscheidende Operationstag.<br />

Von der Stationsärztin hatte<br />

ich erfahren, dass meine Frau<br />

im Laufe des Vormittags, vermutlich<br />

„in der zweiten Staffel“<br />

dran käme. Wie sich das<br />

anhörte. Aber kein Wunder,<br />

bei täglich durchschnittlich<br />

15 Herzoperationen in 6 Operationssälen.<br />

Da kommt der<br />

Eindruck von „Fließbandarbeit“<br />

auf. Ich würde nach der<br />

OP direkt aus dem Operationssaal<br />

heraus auf meinem<br />

Handy angerufen und über<br />

den Ausgang der OP informiert.<br />

Was also konnte ich<br />

tun? Nichts. Nur warten. Und<br />

wo? Außerhalb der Klinik,<br />

denn das „Viareggio“ mussten<br />

wir ja tags zuvor wieder<br />

räumen. Am besten spazieren<br />

gehen. Gott sei Dank hat Bad<br />

Oeynhausen einen wunderschönen<br />

Kurpark mit einem<br />

herrlichen Baumbestand. Das Wetter spielte auch mit. Was<br />

aber so gar nicht zu diesen guten äußeren Bedingungen<br />

passte, war meine Stimmung. Mein Blick war mehr nach<br />

innen gerichtet. Wen wundert’s?<br />

Was mir während dieser Zeit des Wartens nicht alles so<br />

durch den Kopf ging. Es tauchten Fragen auf, die ich mir<br />

im alltäglichen Leben so noch nie gestellt hatte. Was mache<br />

ich, wenn, was tue ich, falls …, alles hypothetische Fragen,<br />

auf die ich in diesem Moment überhaupt keine Antwort<br />

zu geben wusste. In meinem Kopf herrschte ein<br />

ziemliches Durcheinander, in dem sich immer wieder der<br />

eine Gedanke durchsetzte: Hoffentlich geht alles gut. Aufgeschreckt<br />

aus meinen wirren Gedanken wurde ich, als<br />

plötzlich mein Handy klingelte. Ach du lieber Gott, schoss<br />

es mir durch den Kopf, es ist doch noch viel zu früh, die<br />

OP kann doch noch gar nicht vorbei sein, ist etwas Unvorhergesehenes<br />

passiert? Aufgeregt suchte ich in meinen Taschen<br />

nach dem Handy. „Guten Morgen Eberhard, hier ist<br />

Friedhelm, wollte Dir nur sagen, dass alle Redaktionsmitglieder<br />

des „durchblick“ in Gedanken bei Euch sind.“<br />

30 durchblick 4/<strong>2006</strong><br />


Aufatmen. Gleichzeitig überkam mich ein wohltuendes<br />

Gefühl der Dankbarkeit und Freude über diesen Anruf, dem<br />

später noch weitere folgen sollten. Zu erleben und zu<br />

spüren, dass die Gedanken anderer Menschen einen in<br />

solch schwierigen Augenblicken fürsorglich begleiten, ist<br />

eine wunderbare Erfahrung.<br />

Am späten Vormittag kam unser ältester Sohn Michael,<br />

um mit mir gemeinsam die Zeit des Wartens zu verbringen.<br />

Trotz seines beruflich sehr engen Terminkalenders war es<br />

für ihn überhaupt keine Frage gewesen, seinem Vater an<br />

diesem Tag Beistand zu leisten. Natürlich hatten wir uns<br />

viel zu erzählen und ich spürte sein Bemühen, mich auf andere<br />

Gedanken zu bringen. Es wurde Nachmittag. Für mich<br />

verging die Zeit wie im Schneckentempo. Immer wieder<br />

warf ich einen Blick auf mein Handy, ob es auch eingeschaltet<br />

und empfangsbereit war. Langsam müssten sie ja<br />

mal aus dem OP anrufen. Hoffentlich ist nichts passiert.<br />

Meine Unruhe wuchs von Minute zu Minute. Wir saßen gerade<br />

in der Cafeteria, als mein Handy ertönte. Ich sprang<br />

auf und während ich aus der Caféteria mehr stürzte als ging,<br />

meldete ich mich mit Namen. „Sind Sie der Mann von Annette<br />

Freundt …“ Der Empfang war schlecht. Ich stellte<br />

mich ganz dicht an ein<br />

Fenster hinter einen<br />

großen Blumenkübel.<br />

„Ich kann Sie so<br />

schlecht verstehen, können<br />

Sie bitte noch einmal<br />

wiederholen“, so<br />

meine aufgeregte Bitte.<br />

„Ich wollte Entwarnung<br />

geben, Herr<br />

Freundt, die Operation<br />

war nicht leicht und<br />

ein hartes Stück Arbeit.<br />

Sie hat über vier<br />

Stunden gedauert, aber<br />

sie ist gut verlaufen.<br />

Ihre Frau kommt jetzt<br />

auf die Intensivstation,<br />

wo sie morgen<br />

früh mit ihr telefonieren<br />

und sie am Nachmittag<br />

besuchen können.“<br />

Plumps, ich glaube die vorbeigehenden Leute im<br />

Flur müssen es gehört haben, als der riesengroße Stein von<br />

meinem Herzen fiel. Mein Sohn war mir gefolgt. Er war<br />

natürlich der Erste, der diese „frohe Botschaft“ erfuhr. Sofort<br />

haben wir gemeinsam diese gute Nachricht per Handy<br />

oder SMS weitergegeben. So richtig erleichtert war ich allerdings<br />

erst, als ich am folgenden Tag, zusammen mit meiner<br />

Tochter Angelika, die mit dem Zug angereist war, meine<br />

Frau auf der Intensivstation besuchen und wir uns davon<br />

überzeugen konnten, dass keine der befürchteten Nebenwirkungen<br />

eingetreten waren. Für meine Frau, so sagt sie<br />

heute, war es ein sehr beglückender Augenblick, als ich<br />

Gesundheit<br />

„um die Ecke bog“ und sie mich wieder „anbegucken“<br />

konnte. Nach nur einem eintägigen Aufenthalt auf der Intensivstation<br />

kam sie zurück auf die Station ins Zimmer<br />

„Montalcino“, ein schmuckes Bergdorf in der Toskana. Für<br />

mich war es ein symbolisches Zeichen, dass es nun wieder<br />

„bergauf“ gehen sollte. In den darauf folgenden Tagen bekam<br />

sie täglich Besuch. Unsere Kinder hatten gemeinsam<br />

einen Besuchsplan aufgestellt und festgelegt, wann wer die<br />

Mama besucht und wer sich um den leicht angeschlagenen<br />

Papa kümmert. Als nächstes kam unser Sohn Hubertus, spät<br />

am Abend und völlig übermüdet. Er hatte stundenlang auf<br />

der Autobahn im Stau gestanden. Es folgte tags darauf unsere<br />

„Jüngste“, Katharina, die ihren 30. Geburtstag leider<br />

ohne ihre Mama feiern musste. In dieser Zeit des Hoffens<br />

und Bangens haben meine Frau und ich dankbar erfahren<br />

dürfen, was es bedeutet, Kinder zu haben, die auch in<br />

schwierigen Stunden helfend an unserer Seite stehen.<br />

Was bleibt?<br />

In der Zwischenzeit sind zwei Monate vergangen. In eine<br />

REHA wollte meine Frau nicht. Sie hatte nach der erfolgreichen<br />

OP nur einen Wunsch, so schnell wie möglich<br />

wieder nach Hause<br />

zu kommen. Deshalb<br />

strahlte sie auch über<br />

das ganze Gesicht, als<br />

ihr der Professor beim<br />

Abschlussgespräch<br />

ein neu entwickeltes<br />

und über zwölf Wochen<br />

dauerndes, ambulantes<br />

REHA-Programm<br />

empfahl, das sie bei<br />

uns zu Hause, unter<br />

regelmäßiger ärztlicher<br />

Kontrolle, durchführen<br />

konnte. Natürlich<br />

stimmte sie sofort zu.<br />

Während ich diese<br />

letzten Zeile schreibe,<br />

es ist ein wunderschöner<br />

Herbsttag, sitzt sie<br />

(wieder) still und in Gedanken<br />

versunken auf<br />

ihrem Lieblingsplatz unserer Terrasse. Auf meine Frage, ob<br />

es ihr gut geht, antwortet sie: „Ich kann es immer noch<br />

nicht so richtig glauben, wieder hier zu sein, aber ich genieße<br />

dankbar und glücklich jeden Augenblick.“ Nun, der<br />

Alltag hat uns wieder, er ist und bleibt wie er ist, Alltag<br />

eben. Bei meiner Frau und mir aber hat sich etwas verändert,<br />

hat diese Operation nicht nur körperliche Spuren hinterlassen.<br />

Der Blickwinkel auf unser gemeinsames Leben<br />

ist ein anderer geworden und bei dem Gedanken, dass sie<br />

während der OP für einige Minuten klinisch tot gewesen<br />

ist, läuft uns heute noch ein Schauer über den Rücken.<br />

Eberhard Freundt<br />

Schon an der Eingangstür ein herzliches Willkommen. Glücklich und<br />

dankbar, wieder zu Hause zu sein.<br />

durchblick 4/<strong>2006</strong> 31


Es war ein interessantes Völkchen, das Ende September<br />

mit dem Flugzeug aus Leeds nach Siegen kam: Zwölf Senioren<br />

und Seniorinnen – zwei mussten einen Tag vor der<br />

Abreise wegen Krankheit absagen – von „Morley Elderly<br />

Action“, die aus Anlass der 40-jährigen Partnerschaft zwischen<br />

den beiden Städten zusammen mit einer offiziellen<br />

Delegation und Schülergruppen aus drei englischen Schulen<br />

nach Siegen gekommen waren. Da war dabei der temperamentvolle<br />

und musikalische Patrick, der gleich nach<br />

der Ankunft im Haus Herbstzeitlos mit der Gitarre alle zum<br />

Mitsingen animierte. Oder John, der weitgereiste Professor,<br />

der in einem Gemisch aus Englisch und Deutsch die Gruppe<br />

unterhielt und sich auch als Gesangssolist betätigte.<br />

Nicht zu vergessen die imposante Heather, die sowohl von<br />

ihrem äußeren Habitus her als auch von ihrem Auftreten –<br />

sie war wohl früher Opernsängerin – in der Erinnerung<br />

bleibt. Typisch Englisch, denkt man als Deutscher, ein bisschen<br />

spleenig und verschroben, aber liebenswert.<br />

Wie man überhaupt sagen muss, dass von Anfang an eine<br />

große Harmonie zwischen den englischen Gästen und<br />

ihren deutschen Gasteltern und den weiteren Betreuern<br />

herrschte. Es war ein buntes Programm geplant, von Gruppenbegegnungen,<br />

wie einer 60er-Jahre-Party, bis zu Besichtigungen,<br />

z. B. der Mensa der Universität Siegen.<br />

Im Rahmen der Jubiläumsfeierlichkeiten wurde das<br />

neue Buch „… und samstags in die Zinkbadewanne“ präsentiert.<br />

Darin berichten Zeitzeugen aus ihrem Leben<br />

während der Kriegs- und Nachkriegszeit. Das Besondere<br />

daran ist, dass die Erinnerungen sowohl von deutschen als<br />

Aus dem Seniorenbeirat<br />

Deutsch-Englische Partnerschaft<br />

Besuch einer englischen Seniorengruppe in Siegen<br />

auch von englischen Senioren und Seniorinnen stammen.<br />

Deshalb ist das Buch auch in den beiden Sprachen gedruckt<br />

worden.<br />

Einer der Höhepunkte war der Festakt aus Anlass der<br />

40jährigen Partnerschaft in der Aula der Bertha-von-Suttner-Gesamtschule,<br />

an dem auch die Bürgermeister von<br />

Leeds und Morley teilnahmen. Bob Gettings, der Bürgermeister<br />

des 1974 eingemeindeten Stadtteils Morley, ist auf<br />

englischer Seite einer der Pioniere der Städtepartnerschaft<br />

und hat maßgeblich dazu beigetragen, Vorurteile der ehemaligen<br />

Kriegsgegner diesseits und jenseits des Kanals abzubauen.<br />

Eine abwechslungsreiche Revue über Ereignisse<br />

der letzten vier Jahrzehnte wurde gekonnt von Schülern<br />

der Oberstufe der Gesamtschule dargeboten, wobei sich<br />

besonders die älteren deutschen und englischen Gäste auf<br />

Anhieb angesprochen fühlten. Als Seniorteilnehmer der<br />

Veranstaltung hat mich das harmonische Miteinander von<br />

Alt und Jung beeindruckt, was auch in besonderem Maße<br />

im Anschluss an das offizielle Programm beim Buffet deutlich<br />

wurde.<br />

Aber im Rahmen des Austausches wurde auch über die<br />

Situation der älteren Menschen in beiden Ländern nachgedacht.<br />

So gab es eine Veranstaltung mit dem Thema „Leben<br />

im Alter“, die von der Europareferentin Annette Scholl<br />

vom Kuratorium deutsche Altershilfe moderiert wurde. So<br />

wurde im Rahmen dieser Veranstaltung festgestellt, dass<br />

die Mehrheit der älteren Menschen in England in eigenen<br />

Häusern wohnt und eine Unterstützung dabei stärker als in<br />

Deutschland verbreitet ist. Eine Wohnanpassung für das<br />

Leben im Alter hat dort<br />

eine längere Tradition.<br />

Es gibt in größerem Umfang<br />

haushaltsbezogene<br />

Hilfen mit grundpflegerischen<br />

Elementen, die<br />

bei uns allerdings in letzter<br />

Zeit auch forciert<br />

werden. Weit verbreitet<br />

sind auch Verpflegungsküchen,<br />

die bis nachmittags<br />

geöffnet haben. Bei<br />

uns setzt sich wohl mehr<br />

eine Belieferung älterer<br />

Menschen mit Essen<br />

durch, das sog. „Essen<br />

auf Rädern“.<br />

Die Besucher aus Leeds verstanden es zu feiern.<br />

In Deutschland nehmen<br />

wir eine Unterscheidung<br />

zwischen sozialen<br />

und gesundheitsbe- ➤<br />

32 durchblick 4/<strong>2006</strong>


Aus dem Seniorenbeirat<br />

zogenen Diensten vor, wofür dann auch ganz unterschiedliche<br />

staatliche Stellen oder freie Träger wie Diakonie oder<br />

Caritas zuständig sind. In Großbritannien ist die soziale Betreuung<br />

im Zuständigkeitsbereich der Kommunen; die gesundheitsbezogenen<br />

Dienste werden durch Health Services<br />

(Gesundheitsdienste) wahrgenommen. Bei den englischen<br />

Senioren wird viel Eigeninitiative erwartet, und tatsächlich<br />

gibt es dort wohl auch eine stärkere Bereitschaft, sich zu<br />

engagieren. Spezifische rechtliche Grundlagen für Hilfe im<br />

Alter sind kaum vorhanden. Es gibt sog. „Care Manager“,<br />

die die Notwendigkeit von Hilfe prüfen und dann ein entsprechendes<br />

Hilfepaket bei den Gemeinden „einkaufen“.<br />

Bei uns gibt es viele unterschiedliche Vorschriften und<br />

Sozialgesetze des Bundes und der Länder und im offenen<br />

Seniorenbereich viele freiwillige Leistungen.<br />

Viele Fragen blieben aus Zeitmangel leider offen, deutlich<br />

wurde aber, dass in beiden Ländern Senioren und Seniorinnen<br />

so weit wie möglich nach einem selbstbestimmten<br />

Leben im Alter streben. Dabei ist Eigeninitiative<br />

erforderlich, aber ohne Hilfe des Staates und anderer Stellen<br />

geht es nicht. Ich denke, auch die christlichen Kirchen<br />

haben hier noch ein reiches Betätigungsfeld.<br />

Horst Mahle<br />

Marias Krimi<br />

Späte Rache<br />

„Hast Du Lust, eine reiche Witwe zu<br />

heiraten und mit ihr hier in der Villa zu<br />

wohnen?“ Karl Mertens sah die zierliche<br />

blonde Frau, die ihm diese Frage stellte,<br />

fassungslos an. Susanne Keller war zwar<br />

außergewöhnlich reich, seit sie die Villa in<br />

der Burgunderstraße bezogen hatte, aber<br />

Witwe war sie nicht. Hugo Keller, der ihr<br />

angetraute Ehemann, war noch quicklebendig,<br />

obwohl es sicher manchen gab, der<br />

den skrupellosen Firmenchef gern ins Jenseits<br />

befördert hätte. Das galt vor allem für<br />

dessen Chauffeur Karl Mertens, der ihm<br />

einen Platz in der Hölle gern persönlich<br />

besorgt hätte. Susannes Hinweis auf ihren<br />

bevorstehenden Witwenstand ließ bei ihm<br />

Hoffnung aufkommen. „Nun sag es schon,“<br />

drängelte er, wie stellst Du Dir das vor?“<br />

Susanne entwickelte ihren Plan ganz präzise:<br />

„Das Ganze muss nach einem Einbruch<br />

aussehen, Hugo schläft wie ein Bär, wenn er ein<br />

Schlafmittel genommen hat. Du zerschlägst die Scheibe<br />

der Verandatür, steigst ein und stellst fest, ob er in seinem<br />

Bett liegt und schläft. Dann bringst Du die Knarre in<br />

Anschlag, zielst und schießt. Ich werde, bevor die Polizei<br />

kommt, einiges an Schmuck verstreuen und angeben, dass<br />

der Dieb und Mörder mit ein par Steinchen geflüchtet ist.“<br />

Hier meldete Mertens Zweifel an: „Wer soll das denn bezeugen,<br />

und welche Rolle spielst Du dabei?“ Die Antwort<br />

kam ohne Denkpause: „Ich bin die Augenzeugin. Ich werde<br />

sagen, dass ich noch wach war und geschrieen habe und<br />

dass Hugo dann auf den Kerl losgerannt ist, der sofort geschossen<br />

hat und dann in Panik verschwunden ist.“ Die<br />

Zweifel des Chauffeurs waren gebannt. Der Traum, demnächst<br />

im Fond hinter dem Fahrer zu sitzen, natürlich mit<br />

Susanne, war wieder nähergerückt. Die Frau des Chefs war<br />

für Mertens ebenso schön wie undurchschaubar. Schon als<br />

junges Mädchen hatte sie seine Träume beschäftigt und<br />

auch sein Boss war ganz versessen darauf, sie für sich zu<br />

gewinnen. Aber sie war verlobt mit dem Lehrer Thomas<br />

Rickers und hatte nur Augen für ihn.<br />

Keiner begriff damals, dass Susanne vor Ende des Trauerjahrs<br />

den allgemein unbeliebten Hugo Keller heiratete.<br />

Ihre Verzweiflung schien echt, als sie den Verlobten identifizieren<br />

musste, den man tot im Straßengraben gefunden<br />

hatte, überfahren von einem Wagen, den niemand gesehen<br />

hatte. Nun, anscheinend war ihr das Geld doch sehr wichtig.<br />

Aber das störte Mertens nicht. Bald würden sie beide<br />

Geld genug haben, wenn ihr Plan klappte. Und dann wäre<br />

auch sein Umzug aus dem Gartenhaus in die Villa fällig.<br />

„Also, Schätzchen, wann steigt die Sache?“ fragte Mertens<br />

drängend. Susanne hatte bereits terminiert. „Samstag<br />

nach Mitternacht. Wenn der Schuss gefallen ist, verschwindest<br />

Du schnell in den Garten und kommst unbemerkt<br />

in Deine Wohnung. Ich schreie dann wirklich ganz<br />

laut und alarmiere die Polizei.“<br />

➤<br />

durchblick 4/<strong>2006</strong> 33


Aus dem Seniorenbeirat<br />

zogenen Diensten vor, wofür dann auch ganz unterschiedliche<br />

staatliche Stellen oder freie Träger wie Diakonie oder<br />

Caritas zuständig sind. In Großbritannien ist die soziale Betreuung<br />

im Zuständigkeitsbereich der Kommunen; die gesundheitsbezogenen<br />

Dienste werden durch Health Services<br />

(Gesundheitsdienste) wahrgenommen. Bei den englischen<br />

Senioren wird viel Eigeninitiative erwartet, und tatsächlich<br />

gibt es dort wohl auch eine stärkere Bereitschaft, sich zu<br />

engagieren. Spezifische rechtliche Grundlagen für Hilfe im<br />

Alter sind kaum vorhanden. Es gibt sog. „Care Manager“,<br />

die die Notwendigkeit von Hilfe prüfen und dann ein entsprechendes<br />

Hilfepaket bei den Gemeinden „einkaufen“.<br />

Bei uns gibt es viele unterschiedliche Vorschriften und<br />

Sozialgesetze des Bundes und der Länder und im offenen<br />

Seniorenbereich viele freiwillige Leistungen.<br />

Viele Fragen blieben aus Zeitmangel leider offen, deutlich<br />

wurde aber, dass in beiden Ländern Senioren und Seniorinnen<br />

so weit wie möglich nach einem selbstbestimmten<br />

Leben im Alter streben. Dabei ist Eigeninitiative<br />

erforderlich, aber ohne Hilfe des Staates und anderer Stellen<br />

geht es nicht. Ich denke, auch die christlichen Kirchen<br />

haben hier noch ein reiches Betätigungsfeld.<br />

Horst Mahle<br />

Marias Krimi<br />

Späte Rache<br />

„Hast Du Lust, eine reiche Witwe zu<br />

heiraten und mit ihr hier in der Villa zu<br />

wohnen?“ Karl Mertens sah die zierliche<br />

blonde Frau, die ihm diese Frage stellte,<br />

fassungslos an. Susanne Keller war zwar<br />

außergewöhnlich reich, seit sie die Villa in<br />

der Burgunderstraße bezogen hatte, aber<br />

Witwe war sie nicht. Hugo Keller, der ihr<br />

angetraute Ehemann, war noch quicklebendig,<br />

obwohl es sicher manchen gab, der<br />

den skrupellosen Firmenchef gern ins Jenseits<br />

befördert hätte. Das galt vor allem für<br />

dessen Chauffeur Karl Mertens, der ihm<br />

einen Platz in der Hölle gern persönlich<br />

besorgt hätte. Susannes Hinweis auf ihren<br />

bevorstehenden Witwenstand ließ bei ihm<br />

Hoffnung aufkommen. „Nun sag es schon,“<br />

drängelte er, wie stellst Du Dir das vor?“<br />

Susanne entwickelte ihren Plan ganz präzise:<br />

„Das Ganze muss nach einem Einbruch<br />

aussehen, Hugo schläft wie ein Bär, wenn er ein<br />

Schlafmittel genommen hat. Du zerschlägst die Scheibe<br />

der Verandatür, steigst ein und stellst fest, ob er in seinem<br />

Bett liegt und schläft. Dann bringst Du die Knarre in<br />

Anschlag, zielst und schießt. Ich werde, bevor die Polizei<br />

kommt, einiges an Schmuck verstreuen und angeben, dass<br />

der Dieb und Mörder mit ein par Steinchen geflüchtet ist.“<br />

Hier meldete Mertens Zweifel an: „Wer soll das denn bezeugen,<br />

und welche Rolle spielst Du dabei?“ Die Antwort<br />

kam ohne Denkpause: „Ich bin die Augenzeugin. Ich werde<br />

sagen, dass ich noch wach war und geschrieen habe und<br />

dass Hugo dann auf den Kerl losgerannt ist, der sofort geschossen<br />

hat und dann in Panik verschwunden ist.“ Die<br />

Zweifel des Chauffeurs waren gebannt. Der Traum, demnächst<br />

im Fond hinter dem Fahrer zu sitzen, natürlich mit<br />

Susanne, war wieder nähergerückt. Die Frau des Chefs war<br />

für Mertens ebenso schön wie undurchschaubar. Schon als<br />

junges Mädchen hatte sie seine Träume beschäftigt und<br />

auch sein Boss war ganz versessen darauf, sie für sich zu<br />

gewinnen. Aber sie war verlobt mit dem Lehrer Thomas<br />

Rickers und hatte nur Augen für ihn.<br />

Keiner begriff damals, dass Susanne vor Ende des Trauerjahrs<br />

den allgemein unbeliebten Hugo Keller heiratete.<br />

Ihre Verzweiflung schien echt, als sie den Verlobten identifizieren<br />

musste, den man tot im Straßengraben gefunden<br />

hatte, überfahren von einem Wagen, den niemand gesehen<br />

hatte. Nun, anscheinend war ihr das Geld doch sehr wichtig.<br />

Aber das störte Mertens nicht. Bald würden sie beide<br />

Geld genug haben, wenn ihr Plan klappte. Und dann wäre<br />

auch sein Umzug aus dem Gartenhaus in die Villa fällig.<br />

„Also, Schätzchen, wann steigt die Sache?“ fragte Mertens<br />

drängend. Susanne hatte bereits terminiert. „Samstag<br />

nach Mitternacht. Wenn der Schuss gefallen ist, verschwindest<br />

Du schnell in den Garten und kommst unbemerkt<br />

in Deine Wohnung. Ich schreie dann wirklich ganz<br />

laut und alarmiere die Polizei.“<br />

➤<br />

durchblick 4/<strong>2006</strong> 33


Marias Krimi<br />

Hugo Keller war daran gewöhnt, dass seine Frau wenig<br />

mit ihm sprach. Aber das störte ihn nicht. Im Gespräch hatte<br />

er nie den Weg zu ihr gesucht. Sie war seine Frau geworden,<br />

und das genügte. Aber am Samstag fiel ihm doch<br />

auf, dass sie völlig stumm blieb und ihn nur mit großen Augen<br />

ansah.<br />

Abends nach dem Tee wurde Hugo Keller schnell müde<br />

und zog sich zurück.<br />

Mertens schlich sich um Mitternacht vom Gartenhaus<br />

zur Verandatür der Villa.<br />

Der Gedanke, den Mann zu beseitigen, nach dessen<br />

Pfeife er bisher zu tanzen hatte, stimmte ihn fast fröhlich.<br />

Mit dem Revolverknauf schlug er die Verandascheibe ein.<br />

Als alles still blieb, griff er zur Klinke und gelangte durch<br />

das große Wohnzimmer und den Flur zur angelehnten<br />

Schlafzimmertür. Er richtete den Lichtkegel der Taschenlampe<br />

auf die reglose Gestalt im Bett, zog den Revolver<br />

und drückte drei Mal ab.<br />

Plötzlich bewegte sich der Schaukelstuhl in der Ecke<br />

hinter dem Bett. Erleichtert atmete Mertens auf, als er die<br />

Gestalt erkannte, die langsam auf ihn zu kam. Es war Susanne.<br />

Sie nahm ihm den Revolver aus der Hand und sagte<br />

mit einer Stimme, die ihm plötzlich Angst einflößte:<br />

„Bravo! Jetzt habt ihr Euer Urteil. Für Dich dauert die Strafe<br />

wohl nur lebenslänglich, für Deinen Chef etwas länger.“<br />

Sie deutete auf den Toten, der ohne ein letztes Wort die<br />

irdische Welt verlassen hatte, und fuhr fort: „Jetzt muss ich<br />

Dir noch etwas erzählen: In wenigen Minuten wird die<br />

Polizei hier sein und Dich festnehmen. Sie werden sich beeilen.<br />

Ich habe ihnen gesagt, dass Du mich auch umbringen<br />

willst.“<br />

Während Mertens sie ungläubig ansah, spielte Susanne<br />

lässig mit der Waffe. „Auf diesen Moment habe ich über<br />

zwei Jahre gewartet, Du erinnerst Dich doch noch an Thomas<br />

Rickers. Oh, und ob Du Dich an ihn erinnerst. Ich habe<br />

nie einen anderen Mann geliebt.“ Mit gnadenloser Stimme<br />

fuhr Susanne fort: „Am Abend vor seinem Tod haben<br />

wir lange zusammen getanzt. Dann brachte er mich nach<br />

Hause. Ich blieb am Tor stehen und sah ihm nach. Da hörte<br />

ich einen Wagen langsam anrollen. Ein Sportcabriolet.<br />

Du saßest am Steuer. Neben Dir Hugo Keller, der Mann,<br />

der mich so aufdringlich verfolgte. Erinnerst Du Dich jetzt?<br />

Er sagte zu Dir: Da vorn geht der verdammte Kerl, der mir<br />

im Weg ist. Los, gib Gas und leg ihn um. Morgen kriegst<br />

Du einen Tausender. Jedes Wort konnte ich verstehen. Der<br />

Motor heulte auf. Ich rannte hinter dem Wagen her. Als ich<br />

Thomas Rickers fand, war er schon tot. In dieser Nacht habe<br />

ich mir geschworen, ihn zu rächen. Kein Gericht hätte mir<br />

geglaubt. Ich musste mir schon etwas einfallen lassen, um<br />

Euch beide zu erledigen. Er ist tot, Du bist ein Doppelmörder<br />

und ich bin befreit.“ Susanne beendete die Rede als Zeugin<br />

ihrer Mord-Anklage. „Oh, es hat geklingelt. Du hast doch<br />

nichts dagegen, dass ich den Kommissar hereinlasse“?<br />

Maria Anspach<br />

Gedächtnistraining<br />

Musikinstrumente<br />

Sehen Sie sich die Muskinstrumente genau an und versuchen Sie,<br />

sich deren Namen und ihre Lage im Raster einzuprägen. Danach prägen<br />

Sie sich auch die kleinen Zeichnungen ein und merken sich diese<br />

am besten mit einem Hinweis oder einer kleinen Geschichte, z. B.<br />

das Klavier hat Räder, damit man es wegrollen kann, der Flügel steht<br />

bei reichen Leuten in einem großen Haus usw.<br />

Füllwörter zum Jahresende<br />

Dies sind meine Wünsche zum Jahresende.<br />

Wie sie lauten? Ganz einfach: Füllwörter einsetzen und die markierte<br />

Spalte von oben nach unten lesen.<br />

Beispiel: Sommer – Wind – Schatten<br />

Sommerwind<br />

Windschatten<br />

Lösung: ……………………………………<br />

34 durchblick 4/<strong>2006</strong>


Marias Krimi<br />

Hugo Keller war daran gewöhnt, dass seine Frau wenig<br />

mit ihm sprach. Aber das störte ihn nicht. Im Gespräch hatte<br />

er nie den Weg zu ihr gesucht. Sie war seine Frau geworden,<br />

und das genügte. Aber am Samstag fiel ihm doch<br />

auf, dass sie völlig stumm blieb und ihn nur mit großen Augen<br />

ansah.<br />

Abends nach dem Tee wurde Hugo Keller schnell müde<br />

und zog sich zurück.<br />

Mertens schlich sich um Mitternacht vom Gartenhaus<br />

zur Verandatür der Villa.<br />

Der Gedanke, den Mann zu beseitigen, nach dessen<br />

Pfeife er bisher zu tanzen hatte, stimmte ihn fast fröhlich.<br />

Mit dem Revolverknauf schlug er die Verandascheibe ein.<br />

Als alles still blieb, griff er zur Klinke und gelangte durch<br />

das große Wohnzimmer und den Flur zur angelehnten<br />

Schlafzimmertür. Er richtete den Lichtkegel der Taschenlampe<br />

auf die reglose Gestalt im Bett, zog den Revolver<br />

und drückte drei Mal ab.<br />

Plötzlich bewegte sich der Schaukelstuhl in der Ecke<br />

hinter dem Bett. Erleichtert atmete Mertens auf, als er die<br />

Gestalt erkannte, die langsam auf ihn zu kam. Es war Susanne.<br />

Sie nahm ihm den Revolver aus der Hand und sagte<br />

mit einer Stimme, die ihm plötzlich Angst einflößte:<br />

„Bravo! Jetzt habt ihr Euer Urteil. Für Dich dauert die Strafe<br />

wohl nur lebenslänglich, für Deinen Chef etwas länger.“<br />

Sie deutete auf den Toten, der ohne ein letztes Wort die<br />

irdische Welt verlassen hatte, und fuhr fort: „Jetzt muss ich<br />

Dir noch etwas erzählen: In wenigen Minuten wird die<br />

Polizei hier sein und Dich festnehmen. Sie werden sich beeilen.<br />

Ich habe ihnen gesagt, dass Du mich auch umbringen<br />

willst.“<br />

Während Mertens sie ungläubig ansah, spielte Susanne<br />

lässig mit der Waffe. „Auf diesen Moment habe ich über<br />

zwei Jahre gewartet, Du erinnerst Dich doch noch an Thomas<br />

Rickers. Oh, und ob Du Dich an ihn erinnerst. Ich habe<br />

nie einen anderen Mann geliebt.“ Mit gnadenloser Stimme<br />

fuhr Susanne fort: „Am Abend vor seinem Tod haben<br />

wir lange zusammen getanzt. Dann brachte er mich nach<br />

Hause. Ich blieb am Tor stehen und sah ihm nach. Da hörte<br />

ich einen Wagen langsam anrollen. Ein Sportcabriolet.<br />

Du saßest am Steuer. Neben Dir Hugo Keller, der Mann,<br />

der mich so aufdringlich verfolgte. Erinnerst Du Dich jetzt?<br />

Er sagte zu Dir: Da vorn geht der verdammte Kerl, der mir<br />

im Weg ist. Los, gib Gas und leg ihn um. Morgen kriegst<br />

Du einen Tausender. Jedes Wort konnte ich verstehen. Der<br />

Motor heulte auf. Ich rannte hinter dem Wagen her. Als ich<br />

Thomas Rickers fand, war er schon tot. In dieser Nacht habe<br />

ich mir geschworen, ihn zu rächen. Kein Gericht hätte mir<br />

geglaubt. Ich musste mir schon etwas einfallen lassen, um<br />

Euch beide zu erledigen. Er ist tot, Du bist ein Doppelmörder<br />

und ich bin befreit.“ Susanne beendete die Rede als Zeugin<br />

ihrer Mord-Anklage. „Oh, es hat geklingelt. Du hast doch<br />

nichts dagegen, dass ich den Kommissar hereinlasse“?<br />

Maria Anspach<br />

Gedächtnistraining<br />

Musikinstrumente<br />

Sehen Sie sich die Muskinstrumente genau an und versuchen Sie,<br />

sich deren Namen und ihre Lage im Raster einzuprägen. Danach prägen<br />

Sie sich auch die kleinen Zeichnungen ein und merken sich diese<br />

am besten mit einem Hinweis oder einer kleinen Geschichte, z. B.<br />

das Klavier hat Räder, damit man es wegrollen kann, der Flügel steht<br />

bei reichen Leuten in einem großen Haus usw.<br />

Füllwörter zum Jahresende<br />

Dies sind meine Wünsche zum Jahresende.<br />

Wie sie lauten? Ganz einfach: Füllwörter einsetzen und die markierte<br />

Spalte von oben nach unten lesen.<br />

Beispiel: Sommer – Wind – Schatten<br />

Sommerwind<br />

Windschatten<br />

Lösung: ……………………………………<br />

34 durchblick 4/<strong>2006</strong>


Gedächtnistraining<br />

Assoziationen<br />

Hindenken auf einen Begriff<br />

Beispiel: Königin – Schleuder – emsig – summen<br />

Lösung: Biene<br />

1. Fluss – Zähne – Holz – Pfeiler …………………………………<br />

2. Fußgänger – Straße – Markierung – Tier ………………………<br />

3. Zwinger – Elbe – Stadt – Frauenkirche …………………………<br />

4. Schokolade – Engerling – Lied – Frühling ……………………<br />

5. Inserat – Zeitung – Polizei – Strafzettel ………………………<br />

6. Schenkel – Mittelpunkt – Kreis – Kasten ………………………<br />

7. Leinwand – Film – Orgel – Schlange …………………………<br />

8. Muschel – Perle – tauchen – schlürfen …………………………<br />

9. Statue – Einwanderer – Fackel – New York ……………………<br />

10. Stuttgart – September – Bierzelt – Riesenrad …………………<br />

11. Abgaben – Lenkrad – Einkommen – Finanzamt ………………<br />

12. Sensation – Titelseite – Meldung – wichtig ……………………<br />

13. Applaus – Eintritt – Fans – Theater……………………………<br />

14. Erzählen – Grimm – vorlesen – Buch…………………………<br />

15. Kopf – Gummi – Nagel – Eisen…………………………………<br />

Das große Weihnachtsrätsel<br />

1. Es gibt fünf Häuser in je einer anderen Farbe.<br />

2. In jedem Haus wohnt eine Familie.<br />

3. Jede Familie bevorzugt einen anderen Weihnachtsschmuck am Haus<br />

oder im Vorgarten, isst am liebsten eine Sorte von Weihnachtsplätzchen<br />

und hat ein Lieblings-Weihnachtslied.<br />

4. Jede Familie heißt anders, keine Familie hat den gleichen Weihnachtsschmuck,<br />

das gleiche Lieblingsplätzchen oder dasselbe Lieblingslied.<br />

FRAGE: Welche Familie singt am liebsten „Stille Nacht“?<br />

Lösung: ………………………………<br />

Ihre Hinweise:<br />

Familie Hansen wohnt im roten Haus.<br />

Familie Schmitz singt „O du fröhliche“ und hat einen Plastikschneemann<br />

im Vorgarten.<br />

Familie Müller hat einen Leucht-Engel im Vorgarten.<br />

Das weiße Haus steht links vom grünen Haus.<br />

Die Familie im weißen Haus hat einen wunderbaren Türkranz.<br />

Die Familie, die gerne Berliner Brot isst, singt „es ist ein Ros’ entsprungen“.<br />

Die Familie im mittleren Haus hat einen geschmückten Tannenbaum<br />

im Vorgarten.<br />

Die Familie im gelben Haus isst gerne Spritzgebäck.<br />

Familie Meier wohnt im ersten Haus.<br />

Die Familie, die Zimtsterne bevorzugt, lebt neben der, die „O Tannenbaum“<br />

singt.<br />

Die Familie, die „Tochter Zion“ singt, wohnt neben der Familie, die<br />

Spritzgebäck isst.<br />

Die Familie, die Gewürzplätzchen mag, hat nur einen Nachbarn.<br />

Familie Meier wohnt neben dem blauen Haus.<br />

Familie Beckmann mag am liebsten Nussmakronen und singt nicht<br />

„O Tannenbaum“.<br />

Die Familie, die Zimtsterne mag, hat Nachbarn mit Lichterketten in<br />

allen Fenstern.<br />

Der Plastikschneemann steht vor dem grünen Haus.<br />

Die Familie, die Berliner Brot isst, wohnt nicht im weißen Haus.<br />

Rätselhaftes<br />

1. a) Ich bin hervorragend.<br />

b) Nur weil ich Löcher habe, muss ich noch lange nicht kaputt<br />

sein.<br />

c) Mein Bein hat kein Knie, und auf meinem Rücken kann ich<br />

nicht liegen<br />

d) Mit meinen Flügeln kann ich nicht fliegen.<br />

e) Oft muss ich eine Brille tragen.<br />

f) Ich rieche gut.<br />

g) Gelegentlich sollte ich geputzt werden.<br />

Lösung: ………………………<br />

2. a) Wenn man mich benutzt, nehme ich ab, bleibe aber gleich groß.<br />

b) Auf mir kann es ganz schön bunt zugehen.<br />

c) Zu Hause braucht man mich nicht.<br />

d) Oft benutzt man mich in einer Zelle, aber nicht im Gefängnis.<br />

e) Kein Kleingeld? Mit mir kein Problem.<br />

f) Ich liege oft neben der Scheckkarte.<br />

Lösung: ………………………<br />

3. a) Ich habe eine eigene Insel.<br />

b) Ich werde als beweglich angesehen.<br />

c) Die Leute sagen, ich sei froh.<br />

d) Meine Glocken läuten nicht.<br />

e) Vor mir fällt jedes Huhn in Stress.<br />

f) Meine Eier sind berühmt.<br />

Lösung: ………………………<br />

4. a) Wer mich beseitigt, hat etwas zu verbergen.<br />

b) Wer mich nehmen will, braucht ein Kissen.<br />

c) Wer geht, lässt mich meist zurück.<br />

d) Ich werde oft fotografiert.<br />

e) Man braucht 10 von mir für einen Satz.<br />

f) Ich bin einer der Gründe, warum man Handschuhe anzieht.<br />

g) Ich bin ein Beweis.<br />

Lösung: ………………………<br />

5. a) Ich werde sozusagen im Fluge gewonnen.<br />

b) Kleine Tiere schwärmen für mich.<br />

c) Ich bin essbar und werde niemals schecht.<br />

d) Mein Zimmer hat sechs Ecken.<br />

e) Man nennt mich oft in Verbindung mit Tau.<br />

f) Ich bin wirklich ein bäriges Vergnügen.<br />

Lösung: ………………………<br />

6. a) Mein Schlag ist gefürchtet.<br />

b) Ich bin leicht zu erschüttern.<br />

c) Ich besitze einen Stamm und bestehe aus Zellen.<br />

d) Vor der Wäsche bin ich eine wahre Folter.<br />

e) Wenn ich blute, geht es um Leben und Tod.<br />

f) Mich sollte man immer benutzen.<br />

Lösung: ………………………<br />

durchblick 4/<strong>2006</strong> 35


Portrait<br />

Rotraud Ewert<br />

Rotraud Ewert ist im Oktober siebzig geworden, und ein<br />

Rückblick auf die vergangenen Jahrzehnte ist so interessant,<br />

so heiter und lebendig wie die ganze Frau. „Ich kenne<br />

mich mit der Aufzucht von Nerzen, Bibern und Waschbären<br />

aus, das habe ich damals in Ostberlin gelernt“, erzählt<br />

sie, nach ihrem beruflichen Werdegang befragt, dessen Verlauf<br />

vom Krieg und seinen Folgen geprägt war. Zwei Jahre<br />

vor Kriegsende wurde ihr Vater, der – als Polizist unter<br />

Hitler – wegen Äußerungen gegen das Nazi-Regime denunziert<br />

worden war, als „politisch unzuverlässig“ aus dem<br />

Polizeidienst entlassen. Er suchte, um drohenden Konsequenzen<br />

zu entgehen, mit Familie einen Neuanfang in<br />

Fürstenwalde, im Osten von Berlin, der später sowjetisch<br />

besetzten Zone. Dort machte er sich mit einer kleinen Pelztierfarm<br />

selbstständig, in der seine 14-jährige Tochter zur<br />

Pelztierzüchterin ausgebildet wurde.<br />

Nach der Flucht der Familie nach Westberlin 1953 musste<br />

die im Beruf gerade „sattelfest“ gewordene Pelztierzüchterin<br />

umsatteln: „Einen derart ausgefallenen Beruf gab<br />

es da noch nicht.“ Sie wechselte nahtlos über von der Farm<br />

zur Fabrik und wurde Autogenschweißerin.<br />

Da boten sich für die meisten „West-Frauen“ ungewohnte<br />

Arbeitsbedingungen bei dem Lärm der großen Maschinen<br />

und dem gleißenden Licht am Schweißbrenner.<br />

Heute kann die Fachfrau jungen Auszubildenden zeigen,<br />

wie metallische Einzelteile – zum Beispiel wie damals bei<br />

Electrolux –, Aggregate für Kühlschränke in Industriebetrieben<br />

im Akkord zusammengeschweißt werden. Dabei<br />

staunt die Fachfrau ein bisschen über die oft bauchfreie<br />

Mode am Arbeitsplatz: „Der als Blaumann populär gewordene<br />

Arbeitsanzug mit Latzhose, dazu Lederhandschuhe,<br />

Schweißerbrille mit dicken Gläsern, Gehörschutz gegen<br />

den Lärm und Schuhe mit Stahlkappen, war da weniger<br />

sexy, aber sinnvoller.“<br />

Das Schweißen lernte Rotraud Ewert in der Akkumulatorenfabrik<br />

in Hagen. Durch den wechselvollen beruflichen<br />

Werdegang des Vaters landete die Tochter über Hamburg,<br />

Hagen, Weidenau und Netphen in der Siegener Firma<br />

Siegas, später Electrolux, heute Dometica. Als Mitglied der<br />

IG Metall wurde die früh gewerkschaftlich engagierte Frau<br />

1965 in den Betriebsrat der Firma Electrolux gewählt. Sie<br />

vertrat die Anliegen der 145 Frauen, die dort damals an drei<br />

Fließbändern arbeiteten. „Frauen können ebenso gut schweißen<br />

wie Männer“, sagt sie, „aber sie werden bis heute nicht<br />

ebenso gut bezahlt. Dass das anders wird, dafür habe ich<br />

immer gekämpft.“<br />

Bei einer Ansprache zum Geburtstag der Jubilarin hob<br />

die stellvertretende Kulturausschussvorsitzende Traute Fries<br />

im Oktober hervor, dass ihre Weggefährtin im Arbeitsleben<br />

als Seniorin selbst wunderbare Seniorenarbeit geleistet habe.<br />

Sie hatte über viele Jahre die ehrenamtliche Betreuung<br />

eines alten Mannes übernommen, der bis zu seinem Tod im<br />

94. Lebensjahr noch Fürsorge und Lebensqualität erfahren<br />

konnte.<br />

Wer im Siegener Kulturleben zu Hause ist, der kennt<br />

auch die temperamentvolle Hobbyfotografin, die mit flottem<br />

Schritt, die Kamera im Griff, Jagd auf lohnende Motive<br />

macht. Sie tut viel für ihr Hobby: „Ich habe Kisten und<br />

Alben zum Stapeln“, sagt sie. Da ist eine bunte Auswahl<br />

aus dem Siegener Kulturleben zusammengekommen.<br />

Eine Ausstellung<br />

dürfte sich lohnen.<br />

Rotraud Ewert wechselte von der Pelztierzüchterin in den damals für Frauen<br />

ungewöhnlichen Beruf einer Autogenschweißerin an der Kondensator-Wickelmaschine.<br />

In der „durchblick“-Buchreihe<br />

„… und samstags in die Zinkbadewanne“<br />

gibt Rotraud Ewert unter anderem<br />

amüsante Einblicke in ihre<br />

zeitgemäße Erziehung zu Beginn<br />

des 20. Jahrhunderts, zum Beispiel<br />

in Sachen Aufklärung: „Mein Vater<br />

hat mal zu mir gesagt: Wenn Du mit<br />

einem Jungen ins Bett gehst und<br />

kommst mit einen dicken Bauch nach<br />

Hause, dann steht der Koffer vor der<br />

Tür. Das hat viel Unwohlsein bei mir<br />

ausgelöst, weil ich nicht wusste, was<br />

er meinte.“ Sie erinnert sich: „Aufklärung<br />

gab es damals nicht. Ich<br />

weiß noch, dass ich mir ein Lexikon<br />

herausgesucht und in Bildtafeln angeguckt<br />

habe, wie eine Frau so ➤<br />

36 durchblick 4/<strong>2006</strong>


zusammengesetzt ist, oder ein Mann. Aber damit hat man<br />

wirklich nicht viel lernen können über Beziehungen zwischen<br />

Mann und Frau.“<br />

Wenn Rotraud Ewert erzählt, entstehen facettenreiche<br />

Bilder mit farbigen Konturen aus den vergangenen Jahrzehnten:<br />

Ihr Vater als einstiger Berliner Schupo hatte in der späteren<br />

DDR keine Perspektive. Er machte sich selbstständig<br />

mit der Pelztierfarm. Seine Tochter blickt zurück auf eine<br />

schöne Kindheit in ihrem<br />

Elternhaus an der<br />

Spree: „Aber dass ich<br />

im Arbeiter- und Bauernstaat<br />

nicht weiter<br />

auf der Schule bleiben<br />

durfte, weil mein Vater<br />

kein Bauer und kein<br />

Arbeiter war, das war schlimm und machte mich sehr traurig.“<br />

Erinnerungen an das Kriegsende und die Zeit danach<br />

unter sowjetischer Besatzung sind dann viel schlimmer:<br />

„Schöne Erlebnisse gab es aber auch.“ Es sind Kindereindrücke<br />

zwischen Kasernentor und Panjewagen.<br />

Nach dem Schulabschluss und der Lehrzeit auf der Farm<br />

war es dann 1953 wieder der Druck eines Regimes, der zum<br />

Aufbruch zwang. Das bleibt bis heute für die 70-Jährige unvergessen:<br />

„Die SED verlangte unter Drohungen mit der<br />

Pistole Spitzeldienste von meinem Vater.“ Nach abenteuerlichen<br />

Umwegen und dem Einsatz der Gruppierung „freiheitliche<br />

Juristen“ in West-Berlin gelang eine Aufnahme<br />

des Vaters im Auffanglager für politische Flüchtlinge, die<br />

den damals „neuen Bundesländern“ zugewiesen wurden.<br />

Von nun an ging’s bergauf: Die junge Bürgerin des Landes<br />

Nordrhein-Westfalen, die mit Eltern und zwei Geschwistern<br />

in Hagen blieb, hatte ein vorrangiges Ziel: „Ich<br />

wollte so schnell wie möglich Arbeit haben.“<br />

Das wurde in der Akkumulatorenfabrik in Hagen-Haspe<br />

möglich, wo die Ausbildung zur Schweißerin integriert<br />

war. An gleichen Lohn für Männer und Frauen war damals<br />

noch nicht zu denken, auch bei absolut ebenbürtiger Leistung.<br />

Ein Unterschied wurde bei der Ausführung der Tätigkeit<br />

vorgeschrieben. Da blieb auch viel Heiteres im Gedächtnis:<br />

„Frauen sollten (der Röcke wegen) nicht wie<br />

Affen an den Regalen hochkrabbeln, um die Aggregate runterzuholen.<br />

Die eingeführten Latzhosen erübrigten später<br />

das Verbot.“ Wieder war es dann der Beruf des Vaters, der<br />

einen Wechsel von Wohnung und Arbeitsstelle erforderte.<br />

Dem einstigen „Schupo“ aus Berlin wurde die Möglichkeit<br />

geboten, wieder bei der Polizei zu arbeiten, diesmal im Siegener<br />

Raum.<br />

Portrait<br />

An gleichen Lohn für Männer und Frauen<br />

war damals noch nicht zu denken,<br />

auch bei absolut ebenbürtiger Leistung.<br />

sich: „Viele kannten ihn, die stellten Weihnachten immer<br />

kleine Fläschchen oder Päckchen auf das Podest, die er<br />

dann mit zur Leitstelle brachte.“ Im Dezember 1955 wurde<br />

eine Wohnung auf dem Giersberg bezogen. 14 Tage später<br />

begann für die inzwischen 19-Jährige der erste Arbeitstag<br />

bei der Firma Siegas – Wilhelm Loh KG in Weidenau.<br />

Da wurde Umdenken notwendig für bundesdeutsche<br />

Neubürger. Rotraud Ewert erinnert sich: „Bei der Lohnzahlung<br />

habe ich protestiert. Ich wollte wissen, warum es<br />

hier 98 Pfennig gab,<br />

statt 1,28 Mark in der<br />

Hagener Fabrik mit<br />

dem gleichen Arbeitsangebot.<br />

Das war doch<br />

dasselbe Bundesland.“<br />

Gleichberechtigung<br />

im Arbeitsleben blieb<br />

über 40 Jahre ihr angestrebtes Ziel. Im Ruhestand und bei<br />

den Senioren ist da nichts mehr zu erkämpfen. Da macht<br />

der Einsatz mit gleicher Kraft für Mann und Frau ihr Freude.<br />

Was denkt sie über das Alter? Sie ist 70 Jahre alt, sportlich<br />

durchtrainiert, aktiv bei Wandersport und Volkstanz<br />

und dazu noch mit Kopf und Herz „ein bisschen weise“,<br />

aber so etwas würde sie niemals zugeben. Was soll’s? Sie<br />

sagt: „In mir drin hat sich eigentlich nicht viel geändert –<br />

und das Leben ist immer noch schön.“<br />

Maria Anspach<br />

Mancher Weidenauer kann sich vielleicht noch an den<br />

beliebten Polizisten mit weißer Mütze und weißen Handschuhen<br />

erinnern, der an der Kreuzung Haardter Brücke auf<br />

rundem Podest den Verkehr regelte. Seine Tochter entsinnt<br />

Rotraud Ewert: „In mir drin hat sich nicht viel geändert –<br />

und das Leben ist immer noch schön.“<br />

durchblick 4/<strong>2006</strong> 37


Kultur<br />

Liebe(s):Spiele(n)<br />

Ein intergeneratives<br />

Theaterprojekt des SENiorenTHEatersSIEgen<br />

zusammen mit theaterbegeisterten<br />

jungen Menschen<br />

in der Ausstellung<br />

„Loveletters vom Lennestrand<br />

– Liebe im Sauerland“<br />

in den Museen<br />

der Stadt Lüdenscheid.<br />

„Dialog zwischen zwei Generationen“, auf Initiative des Instituts für Bildung und Kultur,<br />

Remscheid<br />

Kann sich ein historisches<br />

Museum mit der Liebe<br />

beschäftigen? Es kann,<br />

wie die Ausstellung der<br />

Museen der Stadt Lüdenscheid<br />

mit dem augenzwinkernden<br />

Titel „Loveletters<br />

vom Lennestrand –<br />

Liebe im Sauerland“ bewies.<br />

Denn die Liebe hinterlässt<br />

Spuren im Alltag<br />

der Liebespaare, darunter<br />

auch viele gegenständliche<br />

Spuren – und die lassen<br />

sich in einem Museum präsentieren: Liebesbriefe, Fotos,<br />

Andenken u. v. m. Die Kuratorin Michaela Ernst, die<br />

diese Ausstellung mit viel Liebe zum Detail zusammengestellt<br />

hatte, orientierte sich an der Chronologie der Liebe.<br />

Der Rundgang erstreckte sich über die erste Phase des Kennenlernens,<br />

eines Klassenzimmers und einer Tanzschule.<br />

Von hier aus führte er über das Verliebtsein, die Sexualität<br />

und die Ehe bis zur Trennung und endete wieder beim Kennenlernen.<br />

Eingebunden in das landesweite Projekt „MehrKultur55+“,<br />

einer Initiative des Instituts für Bildung und Kultur<br />

in Remscheid, die zum Ziel hatte, den „Dialog zwischen<br />

den Generationen“ zu fördern sowie der Unterstützung des<br />

Servicebüros der Kulturregion Südwestfalen, wurde die<br />

Idee entwickelt, SpielerInnen unterschiedlicher Generationen<br />

zusammenzubringen.<br />

Seit längerer Zeit probte das SENiorenTHEaterSIEgen<br />

biografischen Szenen zum Thema „Liebe“ – mein erster<br />

Kuss, meine erste große Liebe, Hochzeit usw. Erinnerungen<br />

von unermesslich großem persönlichen Wert! Der Besuch<br />

der Ausstellung in Lüdenscheid zündete die Idee, die<br />

Spielszenen in der Ausstellung zu präsentieren: Die Ausstellungsräume<br />

als Spielräume zu nutzen, sie durch biografische<br />

Szenen lebendig werden zu lassen.<br />

Und dann die Frage: Gibt es Unterschiede zwischen<br />

dem „Liebesleben“ der jüngeren Generation zu dem der älteren?<br />

Und wie sieht das aus? Ist man/frau heute schneller<br />

bei der „Sache“, ist das gut/schlecht und wer beurteilt das?<br />

Auf der Suche nach Antworten haben uns junge Menschen<br />

geholfen. Spiel- und theaterbegeistert und mit großem<br />

Engagement waren sie dabei: Bianca, Eva, Kristina,<br />

Lena, Franziska und Markus. Die Jüngste gerade mal 12 mit<br />

Spielerfahrungen aus Kindergarten und Schule, der Älteste,<br />

28, schon bühnenerprobt. In kleinen und größeren Workshops<br />

wurde geprobt: Liebeserfahrungen von damals und<br />

heute nachgespürt, unerfüllte Sehnsüchte und Schmerzen<br />

wurden beweint, über glückliche Tage gelacht. Die Perspektiven<br />

der Älteren an Erinnerungen hängend, zurückgewandt,<br />

der Blick der Jüngeren nach vorn: So stell’ich mir<br />

meine Hochzeit vor …<br />

Wir mischten Jung und Alt, Erfahrungen und Erwartungen,<br />

probten biografische Szenen und platzierten sie in<br />

dem historischen Ambiente der Ausstellung. Mit viel<br />

Charme und sprühender Spielfreude belebte die gemischte<br />

Theatergruppe die Räume des Museums.<br />

Im Klassenzimmer, wo Walter Irma immer an den Zöpfen<br />

zog, weil er sie gerne mochte, und die Lehrerin noch<br />

mit dem Stöckchen auf die Finger schlug, begann der<br />

Rundgang für das Publikum. Franziska (12), die die Rolle<br />

der gestrengen Lehrerin übernahm, wollte das nicht wahrhaben:<br />

„Meine Lehrerin sammelt die Zettelchen („Liebesbriefchen“),<br />

die ich schreibe, immer ein und dann liest sie<br />

selbst in der Pause!“<br />

➤<br />

38 durchblick 4/<strong>2006</strong>


Kultur<br />

Eine der wenigen Möglichkeiten sich kennenzulernen –<br />

jedenfalls früher – war die Tanzstunde. Erst nach ausführlichem<br />

Unterricht in Sachen Etikette (gerade sitzen! lächeln!<br />

nur reden, wenn man (frau!) angesprochen wird!<br />

Beine nebeneinander stellen! Hände locker im Schoß!)<br />

durften sich die Geschlechter unter den strengen Augen der<br />

Tanzlehrerin begegnen. Und dann die Hoffnungen und<br />

Befürchtungen: „Hoffentlich kommt nicht der mit den<br />

Pickeln!“ „Die Blonde gefällt mir!“ Bis hin zum ersten<br />

„Aua!“ infolge der Tolpatschigkeit des Tanzpartners. So<br />

gespielt und erlebt von den Älteren. Das wandelten die Jungen<br />

in einen Abend in der Disco um und präsentierten ihre<br />

Erfahrungen im Kennenlernen. „Er“ protzt mit seinem neuen<br />

„Schlitten“, spendiert Getränke und baggert die Mädchen<br />

an. Die Auserwählte ist sich schnell mit ihm einig und<br />

lässt sich von der Freundin noch mit einem Kondom für den<br />

Fall der Fälle versorgen.<br />

Im „Hausball“ von damals zwischen Cocktailsesseln,<br />

Nierentisch, Käseigel und Erdbeerbowle wollte Mutter<br />

Schifferdecker ihre heiratsfähigen Kinder standesgemäß<br />

unter die Haube bringen.<br />

Erotisch knisternd war die Spannung beim Picknick am<br />

See, denn früher konnte man sich nur draußen miteinander<br />

vergnügen.<br />

Sich-Kennenlernen kann man auch per Anzeige in der<br />

Zeitung – jedenfalls früher. Da gab es über die „Herren der<br />

Schöpfung“ und ihre wunderlichen Verhaltensweisen das<br />

eine oder andere mehr oder weniger Amüsante zu berichten.<br />

Heute eröffnet der Chat-Room im Internet den jungen<br />

Leuten ganz andere Möglichkeiten.<br />

In einem weiteren Ausstellungsraum stickte die Oma<br />

wie früher in die Weißwäsche Monogramme, bewundert<br />

von der Enkelin über so viel Fleiß<br />

und Mühe, wo man das Ganze doch<br />

viel trendiger in den einschlägigen<br />

Läden kaufen kann!<br />

Die Realität einer heiß ersehnten Hochzeitsnacht ließ<br />

die Besucher schnell ernüchtern. Es ist wie bei den Königskindern:<br />

Das Wasser war viel zu tief! Deshalb trennte<br />

man sich nach langer Zeit von Bett und Tisch – aber auch<br />

die Jüngeren können schon von schmerzhaften Erfahrungen<br />

berichten: Er war mit der anderen zusammen: „Und<br />

jetzt? Wie soll es jetzt weitergehen?“<br />

Zum guten Schluss noch der Liebesbrief von damals:<br />

„… Ich möchte Sie einmal fragen, ob wir nicht Kameraden<br />

werden können...“ Und die prompte Antwort von heute per<br />

SMS: lassmatreffn! Hdgdl! (Hab dich ganz doll lieb!)<br />

Den letzten Tag der Ausstellung krönte die Inszenierung<br />

des Stückes „Der Krämerskorb“ von Hans Sachs,<br />

inszeniert mit SpielerInnen aus drei Generationen, die die<br />

Frage „Wie führe ich eine gute Ehe?“ aus den unterschiedlichsten<br />

Blickwinkeln thematisierten. Des Rätsels<br />

Lösung: „Einer trage des anderen Last!“<br />

Die Ausstellung „Loveletters vom Lennestrand“ wandert<br />

zzt. nach Menden und dann nach Iserlohn. Ende 2007<br />

wird sie von Frau Dr. Corinna Nauck ins Museum Wilnsdorf<br />

übernommen – bestimmt wieder mit biografischen<br />

Szenen!<br />

Ein ganz besonderer Dank gilt Frau Barbara Lambrecht-<br />

Schadeberg, die dieses Projekt finanziell großzügig unterstützt<br />

hat, Michaela Ernst vom Museum in Lüdenscheid,<br />

die uns tatkräftig und engagiert zur Seite stand, Hans-Adolf<br />

Müller vom Servicebüro Kulturregion Südwestfalen, der<br />

die Fäden in der Hand behielt, und dem IBK in Remscheid,<br />

das den Anstoß zu diesem Projekt gab.<br />

Beate Gräbener<br />

„Eigner Herd ist Goldes wert!“<br />

predigte die Oma am alten Kohleherd<br />

und schrubbte und wienerte,<br />

denn er ist ja der Stolz einer jeden<br />

Hausfrau! Zur Zeit der Jahrhundertwende<br />

schilderte sie all die Mühsalen<br />

des Kochens, Einweckens, Waschens<br />

und Backens, während die<br />

voll berufstätige Jüngere heute vor<br />

lauter Fit- und Wellnessterminen<br />

ihre komplett technisierte Küche gar<br />

nicht mehr richtig zu nutzen weiß –<br />

da sind selbst 10 Minuten für die<br />

Zubereitung eines Mikrowellengerichts<br />

schon zu lang!<br />

Wir mischten Jung und Alt, Erfahrungen und Erwartungen.<br />

durchblick 4/<strong>2006</strong> 39


In den letzten Artikeln ging<br />

es mir darum, verschiedene Bilder<br />

von dem aufzuzeigen, was<br />

Alter ausmacht. Dabei habe<br />

ich mich hauptsächlich mit Altersbildern<br />

beschäftigt, die ein<br />

gewisses Maß an Wohlstand,<br />

Beweglichkeit, Vermögen in<br />

finanzieller Hinsicht oder aufgrund<br />

von beruflichen Fähigkeiten<br />

darstellen.<br />

Natürlich ist das allein noch<br />

nicht ein vollständiges Bild<br />

von dem, was Alter ausmacht.<br />

Noch keinen Blick habe ich<br />

damit auf jene geworfen, die weniger wohlhabend sind, die<br />

in Armut leben, die behindert sind. Dazu komme ich auch<br />

heute nicht – denn bei der Arbeit mit den Altersbildern begegnete<br />

mir ein weiterer Aspekt von Mobilität. Er begegnete<br />

mir, als ich meinen Kindern neugierig über die Schultern<br />

schaute, als sie ihre Mobilität am Computer weiter<br />

ausbauten. Im Grundsatz bin ich ja eher skeptisch, wenn ich<br />

sie am Computer sitzen sehe. Ich habe gelernt, dass ich<br />

Altersbilder<br />

Mobilität im Alter<br />

Neue (oder nicht mehr ganz so neue) Wege im Internet<br />

Die Internetseite des „durchblick“<br />

KNEBEL<br />

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nicht danach fragen sollte,<br />

was sie denn ‚dort’ schon wieder<br />

treiben (führt zu sofortigem<br />

Augenverdrehen oder<br />

lässt wirklich jede Stimmung<br />

sofort noch mal um mindestens<br />

20 Grad fallen).<br />

Aber beim letzten Blick<br />

über deren Schultern habe ich<br />

etwas gelernt! Haben Sie schon<br />

einmal etwas von openBC gehört,<br />

oder von facebook, oder,<br />

um eine dritte Form zu nennen:<br />

Myface? Kennengelernt<br />

habe ich diese Begriffe aus dem<br />

Internetzeitalter in den letzten – sagen wir mal acht Wochen.<br />

Zuerst bei einer Gruppe, die hier am entferntesten<br />

scheint: den eigenen Kindern (denn in der Regel darf ich<br />

ihnen nicht zuschauen, wenn sie am Bildschirm sitzen;<br />

auch die scheinbar simpelsten Sachen unterliegen offensichtlich<br />

höchster Geheimhaltungsstufe).<br />

Als nächstes, einmal aufmerksam geworden, bei jüngeren<br />

Arbeitskollegen, die ich auf einer Fortbildung kennengelernt<br />

habe.<br />

Es handelt sich um ein Gebiet im Internet, bei dem es<br />

darum geht, sich Netzwerke aufzubauen, in Kontakt mit<br />

Leuten mit den gleichen Hobbies oder Interessen zu treten.<br />

Es geht darum, sich selbst darzustellen, von sich zu berichten,<br />

Bilder von sich zu veröffentlichen, Meinungen auszutauschen.<br />

Nicht zuletzt geht es darum, Menschen mit<br />

ähnlichen Interessen kennenzulernen. Und diese Menschen<br />

können im selben Ort – sie können aber auch am anderen<br />

Ende der Welt wohnen. Was mich überraschte: es ist kostenlos,<br />

wenn man einmal davon absieht, dass man einen<br />

Computer braucht und einen Internetanschluss. Faszinierend<br />

ist, dass diese Angebote tatsächlich ohne zusätzliche<br />

Kosten sehr viel bieten. Ein Problem ist, dass einige dieser<br />

Angebote Englischkenntnisse erfordern – doch zeigt sich<br />

schnell, dass dies nicht eine zwingende Voraussetzung ist<br />

(es erleichtert allerdings die ersten Schritte wesentlich).<br />

Wenn Sie einen Computer zur Hand haben, dann öffnen<br />

Sie das Programm, mit dem Sie üblicherweise ins Internet<br />

gehen und geben beispielsweise folgende Adresse ein:<br />

www.openBC.de. Sie befinden sich jetzt auf einer Internetseite,<br />

die deutschsprachig ist. Melden Sie sich dort an<br />

(im Internetzeitalter sagt man dazu: lassen Sie sich registrieren).<br />

Sofort habe Sie die Möglichkeit, Menschen zu finden,<br />

die ähnliche Hobbys haben wie Sie. Und Sie können<br />

sich dort ebenfalls eine Seite einrichten, ihre Interes- ➤<br />

40 durchblick 4/<strong>2006</strong>


Altersbilder<br />

sen dort eintragen, nach anderen Menschen suchen, die<br />

gleiche Hobbys haben, diesen kurze Briefe schreiben, in<br />

einen Austausch mit ihnen treten.<br />

Versuchen Sie einmal die folgende Adresse:<br />

www.myface.com. Nun befinden Sie sich auf einer allerdings<br />

leider nur auf englisch geführten Seite. Sie müssen<br />

sich ebenfalls anmelden, können dann in einem nächsten<br />

Schritt ebenfalls ihre Interessensgebiete eintragen lassen –<br />

und können wieder nach Menschen suchen, die ähnliche<br />

Interessen haben.<br />

Eine dritte Adresse noch: www.facebook.com. Es handelt<br />

sich ebenfalls um ein englischsprachiges Angebot.<br />

Ich habe diese Seiten anfangs nur aus Neugierde durchgeblättert.<br />

Und ich war überrascht, wie differenziert sich<br />

dort Menschen (sogar mit eigenem Bild) darstellen. Manche<br />

Seiten enthalten umfangreiche Fotoalben, Tagebucheintragungen,<br />

Stellungnahmen zu bestimmten Themen.<br />

Man kann besuchte Schulen oder Universitäten oder Arbeitsstellen<br />

angeben, wenn man beispielsweise hofft, so<br />

frühere Bekannte zu finden. Ein Beispiel: Ich gebe in<br />

openBC als Suchbegriff Theater ein, weil ich mich eben für<br />

Theaterarbeit und Schauspiel interessiere. Aber auch, weil<br />

ich mich auf diesem Gebiet etwas auskenne und gerne überprüfen<br />

möchte, ob dort wirklich auch Leute zu finden sind,<br />

die ebenfalls dieses Interesse haben. Und ich staune nicht<br />

schlecht, dass ich über vierzig Namen aufrufen kann – und<br />

auf Menschen stoße, die ausgewiesene Kenntnisse haben,<br />

sogar eigene Projekte darstellen. Manche laden dazu ein,<br />

mit Ihnen einen fachlichen Austausch zu führen. Über ihre<br />

E-Mail-Adresse kann ich direkt mit ihnen in Kontakt treten.<br />

Was mich zudem erstaunt: Ich finde darunter sowohl<br />

Menschen um die 30 wie auch welche um die 60 Jahre. Drei<br />

wohnen sogar in Siegen-Wittgenstein. Und dazu muss ich<br />

nicht reisen oder kompliziert recherchieren! Und, denke ich<br />

auf einmal, dies ist doch eine ideale Möglichkeit, den eigenen<br />

Bekanntenkreis gezielt zu erweitern. Dies ist eine<br />

hervorragende Möglichkeit, andere Menschen mit gleichen<br />

Interessen zu finden. Genau hierzu nutzen unsere Kinder<br />

den Computer zunehmend. Natürlich gehe ich davon aus,<br />

dass sie auch gerne Computerspiele spielen, wenn sie am<br />

Computer sitzen. Aber sie machen mehr damit. Sie bauen<br />

sich eigene Internetseiten (oft kostenlos), sie treten in einen<br />

kostengünstigen Kontakt mit Jugendlichen aus anderen<br />

Ländern und Kontinenten (wesentlich billiger als jedes<br />

Telefongespräch auch nur in die Nachbargemeinde). Die<br />

jüngeren Kollegen, von denen ich oben berichtete, tauschen<br />

sich über fachliche Themen aus. Berichten über ihren Arbeitsalltag.<br />

Laden sich zu Seminaren ein (manches mag eine<br />

geschickte Art der Werbung sein – doch denke ich, dass<br />

hier der Nutzen die Nachteile überwiegt). Ich habe auch<br />

mitbekommen, dass man sich mitteilt, wenn irgendwo eine<br />

interessante Stelle frei wird, von der man denkt, dass der<br />

Kontaktpartner sich dort gerne bewerben möchte (und ich<br />

habe erlebt, dass jemand sich um solch eine Stelle beworben<br />

hat und sie bekam). Hier begegnet mir eine mir neue<br />

Art von Mobilität – die aus meiner Sicht weit über das hinaus<br />

geht, was ich bisher kennengelernt habe. Sie bietet gezielt<br />

die Möglichkeit, freie Netzwerke zu bilden und einen<br />

Informationsaustausch zu gestalten, der weit über die bisherigen<br />

Möglichkeiten hinausgeht; zumindest weit hinaus<br />

für die meisten Menschen. Und unsere Jugend ist zunehmend<br />

in der Lage, dieses Neue kreativ zu gestalten und für<br />

sich zu nutzen.<br />

Matthias Kraus<br />

durchblick 4/<strong>2006</strong> 41


Die Absicht, den Iran zu bereisen, rief angesichts der politischen<br />

Lage in meiner Umgebung Unverständnis, ja sogar<br />

Entsetzen hervor. Aber da ich auf früheren Reisen das<br />

Land besucht und festgestellt hatte, dass die Bevölkerung<br />

freundlich und gastlich ist, sah ich keinen Grund, die Reise<br />

abzusagen. Es stellte sich aber heraus, dass sich andere<br />

vor etwaigen Feindseligkeiten fürchteten. So bestand unsere<br />

Gruppe nur aus drei Reisenden, außer mir fand sich nur<br />

noch ein Ehepaar am Treffpunkt ein, auch sie reiseerfahrene<br />

Leute. Damit gestaltete sich unsere Reise fast wie ein<br />

Privatunternehmen. Unser Fahrer, ein liebenswürdiger junger<br />

Mann, hatte zwar von der Geschichte und Kunst seines<br />

Landes wenig Ahnung, aber er zeigte uns Dinge, die wir<br />

mit einer großen Gruppe nicht gesehen hätten. Er fuhr uns<br />

dreitausend Kilometer sicher in einem Landrover durch den<br />

Norden Irans, von der türkischen Grenze – am Kaspischen<br />

Meer entlang – bis in die Nähe der afghanischen Grenze.<br />

Wir starteten in Teheran, einer Stadt von gigantischen<br />

Ausmaßen mit brausendem Verkehr – kein Wunder bei einem<br />

Preis für Benzin von 8 Cent und für Diesel von 2 Cent<br />

– und fuhren zunächst in den Nordwesten. Dieser Teil des<br />

Iran ist hauptsächlich von Aserbeidjanern und Kurden bewohnt,<br />

beides Volksgruppen mit<br />

eigener Sprache. Die Perser, deren<br />

Sprache, das Farsi, die Amtssprache<br />

ist, bilden nur 50 % der Bevölkerung.<br />

Wir kamen bald an einem<br />

Menschenauflauf vorbei und<br />

erfuhren, dass eine kurdische Hochzeit<br />

stattfand. Als wir uns neugierig<br />

näherten, wurden wir freundlich<br />

eingeladen, an den Festlichkeiten<br />

teilzunehmen, wir mussten mittanzen<br />

und wurden in die Häuser geführt.<br />

Als Erstes wurde uns Tee<br />

angeboten. Leider waren die auf<br />

einem Spieß bratenden Hammel<br />

noch nicht gar, und unser Fahrer<br />

drängte zur Weiterfahrt. Eine Verständigung<br />

stieß wegen der Sprachschwierigkeiten<br />

schnell an Grenzen.<br />

Die Frauen der Kurden sind<br />

bunt gekleidet und nicht verschleiert,<br />

ein schöner Gegensatz zu dem<br />

traurigen Schwarz der Perserinnen.<br />

Das nächste Ziel war Tabriz, eine<br />

Millionenstadt im äußersten<br />

Westen. Die Blaue Moschee, ein<br />

herrlicher Bau, ist leider schon vor<br />

langer Zeit durch ein Erdbeben<br />

Leserbeitrag<br />

Eine Reise durch den Norden Irans<br />

Von Marie Mildner<br />

Frau Loos und Marie Mildner vor dem Heiligtum<br />

der Schiiten in Mashads<br />

zerstört worden, aber die Wiederherstellung der blauen<br />

Fliesenwände geht gut voran. An der Grenze zu Armenien<br />

besuchten wir eine wohlerhaltene christliche Kirche, wo<br />

einmal im Jahr die Armenier aus dem Iran und der ganzen<br />

Welt ein großes Fest feiern. Beeindruckend waren immer<br />

wieder die abwechslungsreichen Landschaften, weite Ebenen<br />

in wechselnden Farben und hohe Berge bis zu 5000<br />

Metern, auf denen bis in den Sommer hinein Schnee liegt.<br />

Nachdem wir das Elborzgebirge überquert hatten, an dessen<br />

Nordhängen sich große Laub- und Nadelwälder ausbreiten,<br />

durchfuhren wir die Küstenebene des Kaspischen<br />

Meeres, wo Tee und Reis – die Hauptnahrung der Iraner –<br />

angebaut werden. Das Meer ist ungeheuer fischreich, dort<br />

wird der Stör gefangen, aus dem man den Kaviar gewinnt,<br />

und eine Bootsfahrt durch die Lagune von Bandar Anzali<br />

führte uns durch die Nistgebiete von zahlreichen Wasservögeln.<br />

Dann ging es wieder über das Gebirge, unversehens<br />

gerieten wir aus einem fast subtropischen Klima in Nebel<br />

und Schnee. Überall haben wir uns in einheimischen Lokalen,<br />

oft auch in Garküchen am Wegesrand, verpflegt und<br />

dabei die Küche Irans kennengelernt. Die wenigen Fünf-<br />

Sterne-Hotels, in denen wir übernachteten, waren fast langweilig,<br />

die kleinen Gasthöfe einfach, aber sauber.<br />

Auf der Südseite des Gebirges<br />

fuhren wir am Rand der großen<br />

Wüste auf den Spuren der ehemaligen<br />

Seidenstraße, links und<br />

rechts der Straße lagen zahlreiche,<br />

meist verfallene Karawansereien.<br />

Auch die kleinen Städte auf der<br />

Route wirkten so, als ob gleich eine<br />

Karawane auftauchen würde. Wir<br />

besuchten in Nishapur das Mausoleuem<br />

von Omar Kayam, dem<br />

Dichter und Philosophen aus dem<br />

11. Jahrhundert. In einer schönen<br />

Gartenanlage gelegen, etwas abseits<br />

der Hauptstraße, befindet sich<br />

die Ruinenstadt Tus, die schon<br />

in achämenidischer und sassanidischer<br />

Zeit bestand. Dort ist der<br />

größte Dichter Persiens, der Schöpfer<br />

des Königsepos Shahnahmeh,<br />

begraben. Anlässlich seines 1000.<br />

Geburtstags wurde 1934 ein herrliches<br />

Mausoleum geschaffen, das<br />

in einem großen Garten mit zahlreichen<br />

Wasserbecken liegt. Es<br />

wird ständig von vielen Menschen<br />

aus allen Teilen Persiens besucht,<br />

die den großen Dichter verehren,<br />

so wie die Iraner auch zu den ➤<br />

42 durchblick 4/<strong>2006</strong>


Leserbeitrag<br />

Grabstätten ihrer anderen Dichter,<br />

Hafiz und Saadi, in Schiraz<br />

pilgern. Diese Mausoleen werden<br />

vor allem von Brautpaaren<br />

besucht, die in Andacht an den<br />

Särgen ihrer Dichter verharren.<br />

Der Iran hat ja bekanntlich eine<br />

lange Geschichte, die bis in die<br />

Vorzeit zurückreicht, und die<br />

Kunst und Wissenschaft, die um<br />

die Jahrtausendwende ihren<br />

Höhepunkt erreichten, haben<br />

das Abendland befruchtet und<br />

bereichert.<br />

Ein Höhepunkt der Reise war<br />

der Besuch Mashads, der zweitgrößten<br />

Stadt Irans im äußersten<br />

Osten, nicht weit von der Grenze<br />

Afghanistans. Nach der heiligen<br />

Stadt Ghom südlich von<br />

Teheran ist sie der wichtigste Pilgerort<br />

der Schiiten. Selbst Pilger<br />

aus Afghanistan und dem Irak<br />

sind dort anzutreffen. Im Zentrum<br />

befindet sich eine riesige theker Farid al-Din Attar<br />

Mausoleum für den mystischen Dichter und Apo-<br />

Anlage von Moscheen und Medresen,<br />

das Allerheiligste ist das Grab des Iman Reza, der<br />

große Verehrung genießt. Wir waren erstaunt, dass man uns<br />

den Eintritt in den heiligen Bezirk erlaubte, natürlich angetan<br />

mit dem Schador, einem überaus unbequemen Kleidungsstück,<br />

das nur Frauen tragen müssen und in dem wir<br />

uns ständig verhedderten. Außerhalb der Moscheen genügte<br />

das Tragen eines Kopftuchs und Kleidung, die Beine und<br />

Arme bedeckt. In das Allerheiligsten kamen wir nicht hinein,<br />

aber der Anblick der goldgeschmückten Gebäude war<br />

schon ein Erlebnis. Es werden noch ständig neue Moscheen<br />

gebaut, an keinem Ort der islamischen Welt ist mir die<br />

Macht dieses Glaubens so bewusst geworden.<br />

Meine Mitreisenden, mit denen ich so viel gesehen und<br />

mit denen ich viel gelacht hatte, kehrten nach Deutschland<br />

zurück. Ich selbst flog für 5 Tage nach Isfahan, der wunderschönen<br />

Stadt am Rande der<br />

Wüste, und besuchte noch einmal<br />

die Moscheen und Gärten,<br />

die diese Stadt so sehenswert<br />

machen. Ich besuchte Freunde<br />

und erlebte die Gastfreundschaft<br />

dieser Menschen, die sich<br />

über einen Besuch aus Deutschland<br />

freuten. Von den Spannungen,<br />

die zwischen dem Iran und<br />

der EU und den USA durch die<br />

Absicht der Iraner entstanden<br />

sind, die Urananreicherung und<br />

damit die Möglichkeit zum Bau<br />

einer Atombombe voranzutreiben,<br />

war wenig zu merken. Die<br />

Menschen dort sind mit der<br />

Bewältigung ihres schwierigen<br />

Alltags beschäftigt. Vor allem<br />

die Jugend beklagt sich über<br />

den Mangel an Perspektiven<br />

und die strenge Aufsicht der<br />

Mullahs. Mögen die Wirrungen<br />

der Politik nicht verhindern,<br />

dass noch viele Menschen dieses<br />

interessante Land besuchen.<br />

Die Rückfahrt nach Teheran ging per Zug vor sich, für<br />

die 900 Kilometer lange Strecke bezahlten wir 12 Euro. Ich,<br />

die ich hinreichende Erfahrungen mit russischen Zügen gemacht<br />

hatte, war angenehm enttäuscht. Die Wagen nebst sanitären<br />

Anlagen waren blitzsauber, das Personal freundlich<br />

und hilfsbereit. Der Zug hielt abends und morgens zu den<br />

Gebetszeiten an einem Bahnhof, um den Menschen Zeit zur<br />

Verrichtung ihrer Gebete zu geben. In Teheran besichtigten<br />

wir einige der zahlreichen Museen und die Altstadt, die abgerissen<br />

werden soll, um neuen hässlichen Hochhäusern<br />

Platz zu machen. Teheran ist kein Ort, an dem man sich<br />

gern aufhält.<br />

durchblick 4/<strong>2006</strong> 43


Glaubt man den Statistikern, werden in den kommenden<br />

Jahren erhebliche Vermögenswerte, vor allem in Form<br />

von Haus und Hof, an die nächste Generation vererbt. Wer<br />

nur ein wenig die in der Presse wiedergegebenen Diskussionen<br />

um Erbschaftssteuern und die höchstrichterlichen<br />

Urteile der letzten Jahre verfolgt hat, ahnt, dass auch der<br />

Staat seinen Teil von diesem Vermögen beanspruchen will.<br />

Erbschaftssteuer ist das Zauberwort und man muss in Zeiten<br />

wie diesen kein Prophet sein, wenn man voraussagt,<br />

dass sie sich in den nächsten Jahren sicherlich nicht vermindern<br />

wird.<br />

Da es steuerlich weitgehend keinen Unterschied macht,<br />

ob ich zu Lebzeiten etwas verschenke oder beim Tod vererbe,<br />

scheint Eile geboten, um einer Erhöhung der Erbschafts-<br />

und Schenkungssteuer zuvorzukommen. Noch bestehen<br />

für die Abkömmlinge und Ehepartner relativ hohe<br />

Freibeträge, so dass weitergegebenes Vermögen, das diese<br />

nicht überschreitet, steuerfrei bleibt. Noch wird auch das<br />

eigengenutzte Eigenheim steuerlich bevorzugt, da es nur etwa<br />

mit der Hälfte seines Verkaufswertes in die steuerliche<br />

Berechnung einfließt.<br />

Wer jedoch nur auf die Steuerersparnis, ein Zauberwort<br />

auch für den Steuerpflichtigen, starrt, der überblickt nicht<br />

einmal ein Zehntel der Überlegungen, die bei der Frage, ob<br />

und wann ich Vermögenswerte an die nächste Generation<br />

weitergebe, anzustellen sind. Insbesondere die Frage, ob<br />

ich zu Lebzeiten – mit warmer Hand, wie der Siegerländer<br />

sagt – oder erst bei meinem Tod – mit kalter Hand – die<br />

kommende Generation bedenke, will wohl, und zwar nicht<br />

allein anhand steuerlicher Überlegungen, bedacht sein.<br />

Dabei sind es gerade steuerliche Fragen, die den Ausgangspunkt<br />

einer Diskussion um die Weitergabe zu Lebzeiten<br />

bilden. Der Sohn/die Tochter wollen sich im elterlichen<br />

Haus einrichten, es renovieren, erweitern – ah-, drah-,<br />

on ümbaue. – Investitionen können aber nur dann steuerlich<br />

nutzbar gemacht werden, wenn sie dem eigenen Eigentum<br />

zugute kommen. Die Eltern als Rentner haben aber<br />

weder die flüssigen Mittel noch steuerliche Vorteile. Die<br />

Kinder können beides jedoch in die Waagschale werfen.<br />

Also heißt das Motto: Umschreibung auf das Kind!<br />

Aber Vorsicht: Mit der Umschreibung des Eigentums<br />

geht auch die Machtstellung des Übergebers verloren. Das<br />

Haus teilt jetzt das Schicksal des Kindes und wird von seinen<br />

Entscheidungen beeinflusst. Das Kind kann das Haus<br />

verkaufen, verpfänden, vermieten. Das Kind kann infolge<br />

von Arbeitslosigkeit oder Krankheit in finanzielle Schwierigkeiten<br />

kommen, so dass der Staat (Hartz IV als Stichwort)<br />

oder Gläubiger direkt oder indirekt Zugriff nehmen<br />

können.<br />

Was etwa, wenn das Kind vor mir verstirbt? Was, wenn<br />

seine Ehe geschieden wird? Absicherungen sind gefragt.<br />

Leserbeitrag<br />

Mit warmer Hand oder mit kalter Hand<br />

oder: Wie gebe ich Vermögen an die jüngere Generation weiter<br />

Das lebenslange, unentgeltliche Wohnungsrecht etwa. Das<br />

sichert den Senior jedoch nur, wenn nicht Geldgeber mit<br />

hohen Beträgen (Grundschuld, Hypothek) im Grundbuch<br />

vor diesem Wohnungsrecht eingetragen sind. Gut in Erinnerung<br />

ist mir noch die 86-jährige Großmutter, die ihr Haus<br />

vor Jahren der Enkelin übertragen hatte. Natürlich hatte sie<br />

deren Bitten immer wieder entsprochen und Grundschulden<br />

für Banken den Grundbuchvorrang vor ihrem Wohnungsrecht<br />

eingeräumt. Ergebnis: Das Haus wurde<br />

zwangsversteigert, das Wohnungsrecht gelöscht, ein Geldbetrag,<br />

der als Ersatz hätte gezahlt werden können, stand<br />

nicht mehr zur Verfügung, weil die Banken vorrangig Anspruch<br />

auf den Versteigerungserlös hatten. Die alte Frau<br />

musste in eine Mietwohnung ziehen.<br />

Stirbt mein Kind vor mir, werden dessen Erben Eigentümer<br />

des Hauses. Geschieht dies in jungen Jahren, ist<br />

es wahrscheinlich, dass die Schwiegertochter/der Schwiegersohn<br />

erneut heiraten und mit der Zeit „fremde“ Personen<br />

Eigentümer „meines“ Hauses sind.<br />

Nach meinem Gefühl bleibt das Haus mir,<br />

auch wenn ich es an mein Kind übergeben habe. Auch<br />

das ist bei meiner Entscheidung, Eigentum aufzugeben, zu<br />

berücksichtigen. Ich kann Vermögen nicht weitergeben und<br />

zugleich bestimmen, wo es langgeht. Wem daran gelegen<br />

ist, bis zum Schluss das Sagen zu haben, der vererbt und<br />

gibt nicht zu Lebzeiten weiter.<br />

Was ist mit den Geschwistern?<br />

Eine weitere Frage, die sich dem Älteren stellt, da er die<br />

Kinder, die das Haus nicht erhalten, ja nicht zu kurz kommen<br />

lassen will. Familienrat ist das Stichwort. Jeder sollte<br />

seine Vorstellungen offen äußern. Es hilft nicht weiter,<br />

wenn aus falsch verstandenem Schamgefühl (man könnte<br />

ja denken, ich misstraue ihm) die möglichen Probleme (bei<br />

uns passiert so etwa nicht) unter dem Teppich gekehrt und<br />

nicht offen angesprochen werden. Klar ist auch, dass jeder<br />

aus „seiner Hose heraus“ argumentiert. ‚Der kriegt das<br />

Haus und ich soll nur mit so einem kleinen Betrag abgefunden<br />

werden?‘ ‚Mit dem Haus habe ich aber auch die Verantwortung<br />

dafür, laufende Kosten und zukünftige Reparaturen’,<br />

so zwei der häufig vertretenen Standpunkte. Und<br />

ich ergänze beispielhaft anstelle des Hausübernehmers:<br />

‚Wer muss sich denn um die Eltern kümmern, wenn etwas<br />

passiert? Ich, weil ich am Nächsten dran bin?‘ Das lässt sich<br />

unter Umständen in Geld überhaupt nicht ausdrücken. Ja,<br />

sprechen Sie auch über solche Konsequenzen!<br />

Und darüber sollten sich alle Beteiligten klar sein: Es<br />

gibt keine absolute Gerechtigkeit.<br />

Der spitze Bleistift<br />

darf nicht ausgepackt werden, der dicke Daumen ist gefragt.<br />

Wer meint, durch pingeliges Rechnen es allen ➤<br />

44 durchblick 4/<strong>2006</strong>


Leserbeitrag<br />

recht machen zu können, irrt. Und wenn der Familienrat<br />

sich nicht einigen kann, dann entscheide ich. Denn rechtlich<br />

kann mir keins meiner Kinder dreinreden. Meiner Entscheidung<br />

haben sich alle zu fügen. Pflichtteilsrechte – die<br />

im Siegerland immer mal wieder ins Spiel gebracht werden<br />

– haben bei der Übertragung keine Bedeutung (möglicherweise<br />

beim Tod des Übergebers innerhalb von 10 Jahren<br />

ab Übergabe, aber nicht jetzt).<br />

Die 10-Jahres-Frist<br />

spielt auch bei der Frage eine Rolle, ob im Falle der Inanspruchnahme<br />

von Sozialhilfe bei Alten- und Heimunterbringung<br />

des Seniors der Staat (Sozialamt) auf den Wert<br />

eines Wohnungsrechts oder sogar auf den Wert der Übertragung<br />

gegenüber dem Übernehmer Zugriff nehmen kann.<br />

Hier ist sorgfältiges Überlegen und sorgfältige Beratung bei<br />

der Abfassung der Verträge gefragt, damit (noch) bestehende<br />

Möglichkeiten genutzt werden.<br />

Die hier angedeuteten Probleme werden ergänzt durch<br />

Fragen der Übernahme von<br />

Pflegeverpflichtungen,<br />

Nutzungs-(Nießbrauchs-)rechten und den Möglichkeiten,<br />

das übergebene Objekt unter bestimmten Voraussetzungen<br />

wieder auch dem Senior zurückübertragen zu können.<br />

Wer also die Frage, mit warmer oder kalter Hand geben,<br />

für sich beantworten will, sollte sich in Ruhe und mit Sachverstand<br />

auf deren Beantwortung vorbereiten.<br />

Michael Kringe, Wilnsdorf, Rechtsanwalt und Notar<br />

Oawwerschdatt – Kaufhof – Oawweres Schloss<br />

Min Fadder, d’r Schulze Robert,<br />

geboarn 1900, am 5. Mäjj, hadde det<br />

Schnirerhandwerk geloart. En d’r Marbuerjerschdrose<br />

kom hä zor Wält, ferbrochde<br />

sin Jogendzitt en d’r Oawwerschdatt<br />

on sin Läwe lang woar foar<br />

än en besonnere Aziungsponkt det<br />

„Oawwere Schloss“ en Seje.<br />

Och beroflech bleb hä met d’r Oawwerschdatt<br />

ferbonne. Bim „Botze Benner“<br />

en d’r Kölner Schdrose, bim<br />

„Schneider Wibbel“ Am Kölner Tor,<br />

da en de drissicher Joarn – on foar allem<br />

awer de lätzde 20 Joarn hadde hä<br />

em „Kaufhof“ als Schnirer gearbt. Nur<br />

ain Usszitt gobet fa 1938 bes 1945,<br />

do arbde hä bi d’r „Wehrmacht“, bi de<br />

57-ern om Hairebearch.<br />

Domols wuern Schomacher on<br />

Schnirer als Ziwielisde bi d’r „Wehrmacht“<br />

engeschdallt. On zo dä Zitt lesen<br />

sech altemo hochrangige Offeziere uss de bäsde Milidärschdoffe<br />

ear „Ussgoa-Uniforme“ priwat afeardijje. So<br />

och en jonger Offezier uss Bayern, dä en sinner Fräjjzitt<br />

molde. Sin Familje läbde of nem groase Buernshof on hä<br />

woll da dä Afeardigungsbriss met „Nadueralien“ begliche.<br />

Awer min Fadder säde zo äm:<br />

„En nä, Jong!“ „Du molst m’r no ner ale Postkade det<br />

‚Oawwere Schloss fa Seje‘ on ech ‚baue‘ d’r dofoar en ‚Ussgo’azoch‘.<br />

Ech woll schoa emmer emo os Schloss en<br />

‚Oel‘ ha“.<br />

On of ogeande Wis erfellde sech so 1940 sin Wonsch.<br />

Dat „Ölbild“ ewerschdonn zwo Bombea’greffe. Dä Ma –<br />

H. Schabal – dä dat Bild gemolt hät, ferlor sin Läwe en<br />

Russland.<br />

Gerda Greis<br />

Am Bahnhof 4–12 · 57072 Siegen<br />

Telefon 02 71/ 2 38 08 74<br />

Montag–Freitag 6.30 – 19.30 Uhr<br />

Samstag 7.30 – 18.00 Uhr<br />

Sonntag 8.00 – 18.00 Uhr<br />

durchblick 4/<strong>2006</strong> 45


Leserbeitrag<br />

recht machen zu können, irrt. Und wenn der Familienrat<br />

sich nicht einigen kann, dann entscheide ich. Denn rechtlich<br />

kann mir keins meiner Kinder dreinreden. Meiner Entscheidung<br />

haben sich alle zu fügen. Pflichtteilsrechte – die<br />

im Siegerland immer mal wieder ins Spiel gebracht werden<br />

– haben bei der Übertragung keine Bedeutung (möglicherweise<br />

beim Tod des Übergebers innerhalb von 10 Jahren<br />

ab Übergabe, aber nicht jetzt).<br />

Die 10-Jahres-Frist<br />

spielt auch bei der Frage eine Rolle, ob im Falle der Inanspruchnahme<br />

von Sozialhilfe bei Alten- und Heimunterbringung<br />

des Seniors der Staat (Sozialamt) auf den Wert<br />

eines Wohnungsrechts oder sogar auf den Wert der Übertragung<br />

gegenüber dem Übernehmer Zugriff nehmen kann.<br />

Hier ist sorgfältiges Überlegen und sorgfältige Beratung bei<br />

der Abfassung der Verträge gefragt, damit (noch) bestehende<br />

Möglichkeiten genutzt werden.<br />

Die hier angedeuteten Probleme werden ergänzt durch<br />

Fragen der Übernahme von<br />

Pflegeverpflichtungen,<br />

Nutzungs-(Nießbrauchs-)rechten und den Möglichkeiten,<br />

das übergebene Objekt unter bestimmten Voraussetzungen<br />

wieder auch dem Senior zurückübertragen zu können.<br />

Wer also die Frage, mit warmer oder kalter Hand geben,<br />

für sich beantworten will, sollte sich in Ruhe und mit Sachverstand<br />

auf deren Beantwortung vorbereiten.<br />

Michael Kringe, Wilnsdorf, Rechtsanwalt und Notar<br />

Oawwerschdatt – Kaufhof – Oawweres Schloss<br />

Min Fadder, d’r Schulze Robert,<br />

geboarn 1900, am 5. Mäjj, hadde det<br />

Schnirerhandwerk geloart. En d’r Marbuerjerschdrose<br />

kom hä zor Wält, ferbrochde<br />

sin Jogendzitt en d’r Oawwerschdatt<br />

on sin Läwe lang woar foar<br />

än en besonnere Aziungsponkt det<br />

„Oawwere Schloss“ en Seje.<br />

Och beroflech bleb hä met d’r Oawwerschdatt<br />

ferbonne. Bim „Botze Benner“<br />

en d’r Kölner Schdrose, bim<br />

„Schneider Wibbel“ Am Kölner Tor,<br />

da en de drissicher Joarn – on foar allem<br />

awer de lätzde 20 Joarn hadde hä<br />

em „Kaufhof“ als Schnirer gearbt. Nur<br />

ain Usszitt gobet fa 1938 bes 1945,<br />

do arbde hä bi d’r „Wehrmacht“, bi de<br />

57-ern om Hairebearch.<br />

Domols wuern Schomacher on<br />

Schnirer als Ziwielisde bi d’r „Wehrmacht“<br />

engeschdallt. On zo dä Zitt lesen<br />

sech altemo hochrangige Offeziere uss de bäsde Milidärschdoffe<br />

ear „Ussgoa-Uniforme“ priwat afeardijje. So<br />

och en jonger Offezier uss Bayern, dä en sinner Fräjjzitt<br />

molde. Sin Familje läbde of nem groase Buernshof on hä<br />

woll da dä Afeardigungsbriss met „Nadueralien“ begliche.<br />

Awer min Fadder säde zo äm:<br />

„En nä, Jong!“ „Du molst m’r no ner ale Postkade det<br />

‚Oawwere Schloss fa Seje‘ on ech ‚baue‘ d’r dofoar en ‚Ussgo’azoch‘.<br />

Ech woll schoa emmer emo os Schloss en<br />

‚Oel‘ ha“.<br />

On of ogeande Wis erfellde sech so 1940 sin Wonsch.<br />

Dat „Ölbild“ ewerschdonn zwo Bombea’greffe. Dä Ma –<br />

H. Schabal – dä dat Bild gemolt hät, ferlor sin Läwe en<br />

Russland.<br />

Gerda Greis<br />

Am Bahnhof 4–12 · 57072 Siegen<br />

Telefon 02 71/ 2 38 08 74<br />

Montag–Freitag 6.30 – 19.30 Uhr<br />

Samstag 7.30 – 18.00 Uhr<br />

Sonntag 8.00 – 18.00 Uhr<br />

durchblick 4/<strong>2006</strong> 45


Mit viel Schwung in Mode,<br />

Musik und Design begann die junge<br />

Bundesrepublik, doch das Frauen-<br />

und Familienbild war ein sehr<br />

wertekonservatives. In den letzten<br />

Kriegsjahren mussten die Frauen<br />

die Arbeitskraft der Männer in der<br />

Produktion und in der Leitung von<br />

Firmen ersetzten. Diese Berufsfelder<br />

gaben viele wieder für die aus<br />

dem Krieg zurückgekehrten Männer<br />

frei. Ganz anders dagegen lief<br />

es in den Anfängen der ehemaligen<br />

DDR.<br />

Axel Schildt, Professor für neuere<br />

Geschichte an der Universität<br />

Hamburg, schreibt in einer Arbeit<br />

über die Sozial- und Kulturgeschichte<br />

über die 50er Jahre: „Die<br />

Verschränkung von dynamischer<br />

Moderne (Automobilboom, Massentourismus,<br />

Fernsehgesellschaft usw.) und das Zurücktasten<br />

zum Altvertrauten (z. B. hinsichtlich autoritärer Wertmuster<br />

in Ehe, Familie und Schule) lässt die Gründerjahre<br />

der Bundesrepublik zu einer faszinierenden Zeit werden.“<br />

Leben und Wohnen in den<br />

fünfziger Jahren<br />

Im Grundgesetz der Bundesrepublik stand zwar im Mai<br />

1949 in Artikel 3 des Grundgesetztes, dass Frauen und<br />

Männer gleichberechtigt seien. Doch das Bürgerliche Gesetzbuch<br />

(BGB) erkannte die Gleichberechtigung der Frauen<br />

keineswegs an. Der Mann hatte Anfang der 50er Jahre<br />

Wiederaufbau der 50er Jahre – Sozialer Wohnungsbau<br />

wurde durch familienpolitische Gesetze stark gefördert –<br />

Lindenbergsiedlung in Siegen Anfang der 60er Jahre.<br />

(Bild: Foto Loos, Weidenau)<br />

Leserbeitrag<br />

Das Frauenbild der 50er Jahre<br />

Im Petticoat am Nierentisch<br />

Dr. F-J. Würmeling, erster Bundesminister<br />

für Familienfragen im Kabinett<br />

Adenauer (1953–1962)<br />

die totale Verfügungsgewalt über seine<br />

Frau. Er bestimmte in der Ehe den<br />

Wohnort und nur er entschied über<br />

Erziehungsfragen der Kinder, er war<br />

allein für die Regelung der Finanzen<br />

zuständig und konnte Verträge, die die<br />

Frau geschlossen hatte, einfach kündigen.<br />

Die Frau ihrerseits war verpflichtet,<br />

die Hausarbeit zu verrichten und<br />

den Anweisungen ihres Mannes zu folgen.<br />

Erst ab 1. Juli 1958, mit der Reform<br />

des BGB, wurde der Frau die<br />

volle Vertragsberechtigung eingeräumt<br />

und ihr die Berechtigung zur Erwerbsarbeit<br />

eingeräumt. Willy Brandt sagte<br />

einmal im Rückblick zu dieser Zeit:<br />

„Die Emanzipation kam voran wie eine<br />

Schnecke auf Glatteis.“<br />

1949 fehlten in der BRD bedingt<br />

durch Kriegsschäden fünf bis sechs<br />

Millionen Wohnungen. Nach dem ersten<br />

Wohnungsbaugesetz vom 24. April 1950 wurden bis<br />

1956 zwei Millionen Wohneinheiten im Sozialen Wohnungsbau<br />

erstellt. Bei einer Durchschnittsgröße von 50 qm<br />

bestanden sie aus zweieinhalb Zimmern, Küche und Bad.<br />

Das zweite Wohnungsbaugesetz vom 27. Juni 1956 stellte<br />

die Eigentumsförderung und damit den Bau von Ein- und<br />

Zweifamilienhäusern in den Mittelpunkt der Wohnungsbaupolitik.<br />

Die Enge der Wohnung bedingte eine neue<br />

Raumnutzung. Statt der Wohnküche wurde nach schwedischem<br />

Vorbild die Einbauküche entwickelt.<br />

Eine ganz neue Bedeutung gewann im Laufe der fünfziger<br />

Jahre die Ausstattung mit Elektrogeräten. Ein Kühlschrank<br />

stand ganz oben auf der Wunschliste der Familien.<br />

Noch 1958 waren nur 21 % aller Haushalte damit ausgestattet.<br />

1953 hatten erst 3,5 % aller Haushalte eine Waschmaschine.<br />

Die Kochwäsche wurde einmal in der Woche auf<br />

dem Herd ausgekocht, von Hand gespült, ausgewrungen<br />

und zum Trocknen aufgehängt. Nach und nach wurde die<br />

Reinigung der Böden mit Bohnermaschinen und Staubsaugern<br />

bewältigt. Einen Hauch von Luxus versprachen<br />

Küchengeräte wie Mixer, Allesschneider, Toaster und<br />

Tischgrills.<br />

Slogan aus der Werbung der<br />

50er Jahre:<br />

„Für dich wasch ich perfekt“<br />

Viele dieser Wünsche versprach natürlich die Werbung<br />

den Frauen zu erfüllen: Artikel wie Haushaltgeräte oder<br />

Wasch- und Schönheitsmittel wurden auffällig oft von<br />

Männern für Frauen angepriesen, um ihnen die Hausarbeit<br />

zu erleichtern oder sie für sie attraktiver werden zu lassen.<br />

Aussage einer Frau in einer Waschmittelwerbung: „Für<br />

dich wasch ich perfekt.“ … Oder für Geschirrspül-<br />

46 durchblick 4/<strong>2006</strong><br />


mittel: „Gleich habe ich Zeit für dich.“ Große Freude äußerte<br />

auch eine Frau über eine Jenaer-Glasschüssel am Weihnachtsabend:<br />

„Wie schön, das habe ich mir gewünscht!“<br />

Frauen wurde u. a. auch suggeriert, dass sie müde, energielos<br />

und unlustig seien (Frauengold). So konnte man das<br />

Selbstvertrauen, das sie sich nach 1945 mühsam erarbeitet<br />

hatten, wieder zerstören.<br />

Durch die aus der Kriegsgefangenschaft heimgekehrten<br />

Männer, die auf den Arbeitsmarkt drängten, wurden die<br />

Frauen wieder in die traditionelle Rolle der Hausfrau entsandt.<br />

Der Anteil der berufstätigen, verheirateten Frauen<br />

betrug Anfang der 50er Jahre ca. 25 %. Laut einer Umfrage<br />

des Instituts für Demoskopie Allensbach wollten Ende<br />

der fünfziger Jahre 60 % der Bundesbürger das „Doppelverdienertum“<br />

verboten wissen, um die „Verwahrlosung“<br />

des den durch die Tränen der „Schlüsselkinder“ erkauften<br />

Elternluxus zu beseitigen. In der Zeitschrift Constanze (eine<br />

der 3 größten Frauenzeitschriften in den 50er), Ausgabe<br />

Juli 1953, beschreibt eine Frau ihre Wünsche so: „Ich<br />

sehe die Aufgabe einer Frau nicht in einem Beruf. Genügt<br />

es nicht, dass schon viele Männer Sklaven ihres Berufes geworden<br />

sind? Ich sehne mich danach, aus meinem Beruf<br />

auszuscheiden, in dem die Uhr den Lebensrhythmus angibt,<br />

um nur Frau und Mutter zu sein.“ Die intakte Kleinfamilie<br />

war das gesellschaftspolitsche Ideal.<br />

Der erste Bundesminister für Familienfragen<br />

im Kabinett Adenauer, Dr.<br />

Franz-Josef Würmeling, selbst Vater<br />

von fünf Kindern, schrieb 1961 unter<br />

der Überschrift ,,Familien – Gabe und<br />

Aufgabe“: „Nichts führt so schnell zum<br />

Niedergang eines Volkes wie Kinderarmut<br />

und damit der Schwächung der heranwachsenden<br />

Generation. Außerdem<br />

sind Millionen innerlich gesunder Familien<br />

und rechtschaffen erzogene Kinder<br />

als Sicherung gegen die drohende<br />

Gefahr der kinderreichen Völker des<br />

Ostens mindestens so wichtig wie alle<br />

militärische Sicherung.“<br />

,,… und du, Frau an der Werkbank“<br />

Die DDR in den 50er Jahren<br />

Ganz anders verlief dagegen das<br />

Leben für die Frauen Anfang der 50er<br />

Jahre in der DDR. Der Drang der Frauen<br />

in die Erwerbstätigkeit war unverkennbar.<br />

Der Umstand, dass die Männer<br />

nach dem Krieg fehlten, versetzte<br />

die Frauen in die Lage, in sogenannten<br />

Männerberufen Beschäftigung zu suchen.<br />

Damit wurde an die Praxis der<br />

letzten Kriegsjahre angeknüpft. Aber<br />

Leserbeitrag<br />

Die intakte Kleinfamilie war das Ideal der Werbung in den<br />

50er Jahren.<br />

die Frauen hatten unter den Bedingungen<br />

des Dritten Reiches eine ganze Reihe<br />

negative Erfahrungen gesammelt:<br />

Unterbezahlung, mangelhafte Schulbildung<br />

und Berufsausbildung und schlechte Aufstiegsmöglichkeiten.<br />

Eine der ersten Forderungen der spontan<br />

sich bildenden Frauenausschüsse lautete daher: gleicher<br />

Lohn für gleiche Arbeit. 1950 erließ man ein Gesetz, in dem<br />

für die Frau die volle Gleichberechtigung festgelegt wurde<br />

und sie durch eine Eheschließung nicht daran gehindert<br />

werden durfte, einen Beruf auszuüben. Das Verhältnis von<br />

Mann und Frau zum Haushalt bestand überwiegend in der<br />

Tatsache, dass der Mann der Frau die Hausarbeit er- ➤<br />

„Der Idealtyp der Frau in der jungen DDR: intelligent, praktisch, flink, kameradschaftlich<br />

und von fortschrittlichem Geiste beseelt“ (Quelle: „Die Frau von<br />

heute“, 8/1949)<br />

durchblick 4/<strong>2006</strong> 47


Leserbeitrag<br />

leichterte, indem er technische Haushaltsgeräte anschaffte.<br />

Ina Merkel schreibt 1990 in ihrem Buch über das Leben der<br />

Frauen in den 50er Jahren (… und du, Frau an der Werkbank):<br />

„Die berufstätige Frau selbst fällt in zwei unabhängig<br />

voneinander existierende Wesen auseinander. Hier ist<br />

sie sachbezogen, kompetent, selbstbewusst und fordernd –<br />

dort der dienstbare, aufopferungsvolle, selbst verleugnende<br />

Hausgeist.“ In den Betrieben wurden 1952 Frauenförderpläne<br />

aufgestellt. Sie mussten konkrete Maßnahmen<br />

über die Einbeziehung von Frauen an der Produktion enthalten:<br />

z. B. die fachliche Qualifizierung von Ungelernten<br />

zu Angelernten, von Angelernten zu Facharbeiterinnen<br />

und Meisterinnen. Die planmäßige Entwicklung von Frauen<br />

und Mädchen für leitende Funktionen in Staat und Wirtschaft,<br />

durch Delegation an die Fach- und Technischen<br />

Hochschulen. Und die konsequente Durchsetzung des Prinzips:<br />

gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Seit Gründung der<br />

DDR am 7. 10. 1949 wurde die außerhäusliche Betreuung<br />

von Vorschul- und Schulkindern staatlich gefördert. 1989<br />

lagen die Betreuungsquoten für Krippen bei 80 %, für<br />

Kindergärten bei 95 %. Die Krippen waren von 6.00 Uhr bis<br />

18.00 Uhr geöffnet.<br />

Was trug Frau am Nierentisch?<br />

Die Lust an Mode war nach den Kriegsjahren wieder erwacht.<br />

1950 verwendete der durchschnittliche Haushalt<br />

13 %, 1953 sogar 14,7 % des Einkommens für Kleidung.<br />

Neue, preiswerte und zudem noch pflegeleichte Stoffe aus<br />

Kunst- und Mikrofasern wie Perlon, Dralon und Trevira<br />

kamen auf den Markt. Eine sensationelle Neuheit war die<br />

Einführung von Perlonstrümpfen für Damen. Die Damenmode<br />

der fünfziger Jahre hatte zwei Hauptrichtungen: Dominant<br />

war die schmale Linie, daneben gab es die jugendlich<br />

beschwingte Form. In jedem Fall war die Taille sehr<br />

eng, was eine entsprechende Unterkleidung nötig machte.<br />

Im Falle der schwingenden Linie trug man den Petticoat aus<br />

volanartig gerafftem Perlontüll, der in mehreren Lagen übereinander<br />

verarbeitet war und dafür sorgte, dass der Rock<br />

wippte.<br />

Christiane Luke<br />

Hintergrund: Familienpolitische Maßnahmen<br />

der BRD in den 50er Jahren<br />

• 1953 Gründung des Familienministeriums<br />

• 1953 Steuerfreibeträge für das dritte und jedes weitere Kind<br />

• 1954 25,00 DM Kindergeld für das dritte und jedes weitere Kind<br />

• 1956 Förderung beim Bau von Familieneigenheimen<br />

• 1956 Familiengerechte Wohnungsgrößen im<br />

Sozialen Wohnungsbau<br />

• 1956 Fahrpreisermäßigung für kinderreiche Familien<br />

bei der Bundesbahn<br />

48 durchblick 4/<strong>2006</strong>


Blickst Du zurück am Jahresende<br />

und lässt die Monde rückwärts gehen,<br />

reibst Du verzweifelt Dir die Hände.<br />

Da sollte doch viel mehr geschehn.<br />

Du hatt’s Dir so viel vorgenommen,<br />

die Vorsätz’ standen auf Papier.<br />

Doch Eins, Zwei, Drei, wars Jahr zeronnen,<br />

da kannst Du schließlich nichts dafür.<br />

Du wolltest 20 Pfund verlieren,<br />

na ja – auch 10 hätten’s getan.<br />

Mit täglich Joggen und trainieren<br />

so fing’s im Jänner ganz gut an.<br />

Doch als es schneite ohne Pause,<br />

und Dir der Wind blies ins Gesicht,<br />

da bliebst Du letztlich gern zu Hause<br />

auch dieser Vorsatz wurde nichts.<br />

Wie war das mit den Zigaretten?<br />

Von 30 runter nur auf 10?<br />

Da wolltest Du sogar drauf wetten,<br />

auch das sollte in die Hose gehen.<br />

Na, eines halt ich Dir zugute,<br />

das Lesen fingst Du wirklich an,<br />

doch’s Lesezeichen in dem Buche<br />

hängt noch bei Seite 90 dran.<br />

Die Tante Lies wollst Du besuchen,<br />

seit sie jetzt im Seniorenheim.<br />

Gesellschaft<br />

Wieder einmal nichts passiert<br />

Von Inge Göbel<br />

Mit Blumen und mit Streuselkuchen.<br />

Bis heut’ warst nicht dort, oh nein.<br />

Der Englischkurs, im März begonnen,<br />

in den Du voll Elan gestiegen,<br />

im Juno war auch der zerronnen,<br />

die teuren Bücher blieben liegen.<br />

Den Garten wolltst Du umgestalten<br />

und einen hübschen Fischteich bau’n,<br />

jedoch auch dort blieb es beim Alten.<br />

Du sagst, wir werden später schau’n!<br />

Ja, später, später, nur nicht heute,<br />

so klingt ein altes Sprichwort schon.<br />

Das sagen alle faulen Leute,<br />

doch wer nichts schafft kriegt keinen Lohn.<br />

Oh ja, ich könnt noch viel erzählen,<br />

was dieses Jahr noch liegen blieb,<br />

doch will ich Dich nicht weiter quälen.<br />

Dir waren halt andre Sachen lieb.<br />

Ein neues Jahr mit vielen Tagen<br />

steht bald vor Dir in voller Pracht,<br />

und im Dezember werd’ ich fragen,<br />

was diesmal Du daraus gemacht.<br />

Ein guter Vorsatz ist das Erste,<br />

wie’s weitergeht bleibt meistens offen,<br />

ihn einzuhalten ist das Schwerste,<br />

doch woll’n wir mal das Beste hoffen!<br />

durchblick 4/<strong>2006</strong> 49


Leserbriefe/Impressum<br />

Uns fiel auf …<br />

… dass Menschen im Rollstuhl attraktiv sind<br />

In Hannover fand ein Modelwettbewerb für behinderte<br />

Menschen im Rollstuhl statt. Es war dort die einhellige<br />

Meinung, dass sich niemand verstecken muss, der ein Handicap<br />

hat.<br />

… dass man auch sein Leben auf den Weltmeeren verbringen<br />

kann<br />

Wenn man genügend Kleingeld besitzt, kann man sich auf<br />

dem „Kahn der Millionäre“ ein Apartment für 1 bis über<br />

6 Mill. Euro kaufen und den Rest seines Lebens auf See zubringen.<br />

Der Chef der Management-Gesellschaft erklärte<br />

dazu: „Es ist nicht für jedermann erschwinglich.“<br />

… dass die weltberühmte Mona Lisa krank gewesen<br />

sein soll<br />

Der Medizin-Professor Jan Dequeker von der Universität<br />

Löwen behauptet, dass der frühe Tod der Mona Lisa durch<br />

eine erbliche Stoffwechselkrankheit bewirkt wurde. Außerdem<br />

hat er noch weitere 220 Personen berühmter Gemälde<br />

diagnostiziert. Er sagt selber dazu: „Mein Hobby ist ein wenig<br />

aus dem Ruder gelaufen.“<br />

Lösungen von Seite 34 Gedächtnistraining<br />

Musikinstrumente: Was ist in Bild 2 zu sehen? Was zeigt Bild 4?<br />

Welches Spielzeug liegt neben der Mundharmonika? Unter welcher<br />

Nummer ist der Flügel zu sehen? Was erkennt man auf dem Bild unter<br />

der Trompete? Was ist in Bild 3 abgebildet? Welches Instrument<br />

ist auf dem letzten Bild zu sehen? Bei welchem Instrument ist der<br />

Fisch zu sehen? Auf welchem Bild ist der Besen zu sehen? Welches<br />

Instrument ist über der Harfe abgebildet? Füllwörter: 1. Kaffee, 2. Burg,<br />

3. Hof, 4. Schiff, 5. Fest, 6. Ofen, 7. Reise, 8. Ziel, 9. Regen, 10. Tor,<br />

11. Güter, 12. Blatt, 13. Steig, 14. Raketen, Lösung: Frohe Feiertage.<br />

Assoziationen: 1. Brücke, 2. Zebrastreifen, 3. Dresden, 4. Maikäfer,<br />

5. Anzeige, 6. Zirkel, 7. Kino, 8. Auster, 9. Freiheitsstatue, 10. Volksfest,<br />

11. Steuer, 12. Schlagzeilen, 13. Publikum, 14. Märchen, 15. Hammer.<br />

Das große Weihnachtsrätsel:<br />

1 2 3 4 5<br />

Name Meier Müller Hansen Beckmann Schmitz<br />

Farbe gelb blau rot weiß grün<br />

Schmuck Lichterkette Leuchtengel<br />

Plätzchen<br />

Lied<br />

Zimtsterne<br />

Tochter Zion<br />

Rätselhaftes: 1. Nase, 2. Telefonkarte, 3. Ostern, 4. Fingerabdruck,<br />

5. Honig, 6. Gehirn.<br />

Zu guter Letzt …<br />

Berliner<br />

Es ist ein<br />

Ros’…<br />

Türkranz<br />

Tannenbaum<br />

Spritzgebäck<br />

O Tannenbaum<br />

Nussmakronen<br />

Stille Nacht<br />

Plastik<br />

Gewürzpl.<br />

O du fröhliche<br />

… wollen wir noch die erfreuliche Nachricht weitergeben,<br />

dass die Welt wieder mal nicht untergegangen ist.<br />

Der irische Buchmacher Paddy Power hatte im Internet Wetten<br />

darauf angeboten, dass Freitag, 13. Oktober, die Welt untergehe.<br />

Für den Einsatz von einem Euro sollten die Wetter<br />

im Fall eines Weltuntergangs 1000 Euro erhalten. Die Frage<br />

bleibt, was die Gewinner im Falle des erwiesenen Weltuntergangs<br />

mit ihrem Geld hätten anfangen können.<br />

durchblick<br />

Herausgeber:<br />

durchblick-siegen Information und Medien e.V., im Auftrag der<br />

Stadt Siegen – Seniorenbüro<br />

Anschrift der Redaktion:<br />

„Haus Herbstzeitlos“ · Marienborner Straße 151 · 57074 Siegen<br />

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dienstags bis donnerstags von 10.00 bis 12.30 Uhr<br />

dienstags auch von 15.00 bis 18.00 Uhr<br />

Redaktion:<br />

Maria Anspach; Friedhelm Eickhoff (verantw.); Eberhard Freundt;<br />

Dieter Gerst; Inge Göbel; Dorothea Istock; Erich Kerkhoff; Erika<br />

Krumm; Horst Mahle<br />

An dieser Ausgabe haben ferner mitgewirkt:<br />

Barbara Kerkhoff; Fritz Fischer; Thomas Benauer; Astrid E. Schneider;<br />

Helga Siebel-Achenbach; Michael Kringe; Sabine Völkel; Christiane<br />

Luke; Gerda Greis; Mathias Kraus; Marie Mildner; Beate Gräbener<br />

Fotos/Zeichnungen/Grafik (soweit nicht im Bild angegeben):<br />

SATURN, M. Anspach, D. Istock, E. Freund, F. Fischer, T. Benauer,<br />

E. Kerkhoff, Astrid E. Schneider, F. Eickhoff, Rita Petri, Reiner<br />

Olesch, D. Gerst, Christiane Luke, Marie Mildner, Yvonne Neumann<br />

Gestaltung: F.-M. Brösel, C. Petri<br />

Gesamtherstellung:<br />

Vorländer · Obergraben 39 · 57072 Siegen<br />

Verteilung:<br />

Helga Siebel-Achenbach Ltg., alle Redakteure, Ulrike Schneider,<br />

Ellen Schumacher, Fred Schumacher, Hannelore Münch, Fritz Fischer,<br />

Paul Jochem, Elisabeth Flöttmann, Helga Sperling, Hermann Wilhelm,<br />

Dieter Wardenbach, Karl-Wilhelm Steinmetz, Ingrid Drabe<br />

Erscheinungsweise:<br />

März, Juni, September, Dezember<br />

Auflage:<br />

10000. Der durchblick liegt kostenlos bei den Sparkassen, Apotheken,<br />

Arztpraxen, den Zeitungsverlagen der City-Galerie, in Geschäften<br />

des Siegerlandzentrums und in öffentlichen Gebäuden aus. Für<br />

die Postzustellung berechnen wir für vier Ausgaben jährlich 8 Euro.<br />

Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die<br />

Meinung der Redaktion wieder. Die Redaktion behält sich vor, eingesandte<br />

Beiträge und Leserbriefe zu kürzen. Unverlangte Beiträge<br />

werden nicht zurückgeschickt. Für unsere Anzeigenkunden gilt die<br />

Preisliste 6/20<strong>04</strong>.<br />

50 durchblick 4/<strong>2006</strong>

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