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Inhaltsübersicht:<br />
Aus der Redaktion<br />
Seite<br />
Aus der Redaktion 03<br />
Die Kraft der Stille <strong>04</strong><br />
Die Weihnachtskrippe 06<br />
Weihnachtsplätzchen! Knusprig – zart? 08<br />
Perspektiven 10<br />
Ein Stück Lebenshilfe 12<br />
Ein Mensch wird 80 16<br />
Hübbelbummler (wird geändert!) 18<br />
Die Fußgängerin um die Obernau 22<br />
Der Reiter und der Bodensee 23<br />
Der etwas andere Laden 25<br />
Auf einmal ist der Alltag Nebensache 26<br />
Aus dem Seniorenbeirat 32<br />
Marias Krimi 33<br />
Gedächtnistraining 34<br />
Portrait: Rotraud Ewert 36<br />
Liebe(s):Spiele(n) 38<br />
Mobilität im Alter 40<br />
Eine Reise durch den Norden Irans 42<br />
Mit warmer oder kalter Hand 44<br />
Oawwerschdatt – Kaufhof – Oawweres Schloss 45<br />
Das Frauenbild der 50er Jahre 46<br />
Wieder einmal nichts passiert 49<br />
Das fiel uns auf…/ Lösungen / Impressum / Zu guter Letzt 50<br />
Mit großer Freude stellen wir Ihnen heute unsere Geburtstagsausgabe vor. Im Innenteil ist<br />
eine 48-seitige Sonderausgabe eingeheftet, die die 20-jährige Entwicklung der Siegener<br />
Seniorenzeitung verdeutlicht. Den neuen durchblick haben wir um acht auf 52 Seiten erweitert,<br />
insgesamt umfasst dieses Heft also 100 Seiten! Wie angekündigt beträgt erstmals<br />
seit Bestehen des durchblick die Auflage mehr als 10 000 Exemplare.<br />
Für das Geburtstags-Titelbild haben die 20 Macher des durchblick, Redakteure und<br />
Mitarbeiter, der Siegener Fotokünstlerin Rita Petri Modell gestanden. In dieser Riege fehlt<br />
lediglich unsere Organisationsleiterin Helga Siebel-Achenbach, sie war zwischen Festlegung<br />
und Ausführung des Fototermins unerreichbar, wie vom Erdboden verschluckt.<br />
Eingesprungen ist dafür Matz, (aufmerksame Betrachter werden schon das Kindergesicht<br />
im Titelfoto entdeckt haben) er war zufällig anwesend und hat „als Hauptdarsteller einiger<br />
‚Zu-guter-Letzt’-Beiträge ja auch einen besonderen Bezug zum durchblick,“ wie Rita Petri<br />
anmerkt.<br />
Die Redaktion wünscht allen Leserinnen und Lesern besinnliche Weihnachtstage, einen<br />
„guten Rutsch“ und ein frohes neues Jahr.<br />
Ihnen nun viel Freude beim Lesen des neuen durchblick.<br />
Titelfoto: Rita Petri/Reiner Olesch<br />
durchblick 4/<strong>2006</strong> 3
Zur Adventszeit<br />
Die Kraft der Stille<br />
dankbare Geste, ein überraschender<br />
Telefonanruf, ein fröhlicher Brief und<br />
vieles mehr. Sie ist also das Tor zu einer<br />
Wirklichkeit, in der wir uns erneuern<br />
können und gleichzeitig auch das<br />
Tor, durch das Andere uns erreichen<br />
können.<br />
Benediktinerkloster Maria Laach<br />
Wir leben in einer lauten und unruhiger Welt. Tempo<br />
und Lärm prägen unseren Alltag. Es scheint, als<br />
wäre es kaum noch möglich, Ruhe und Stille zu finden.<br />
Ruhe, Stille sind Fremdwörter unserer Zeit geworden.<br />
Sie stehen gegen den heutigen Trend.<br />
Hetze, Lärm, Lautstärke ist angesagt. Hetze, Stress,<br />
Wettkampf im Berufsleben. Hetze und Lärm auf den<br />
Straßen. Hetze in der eigenen Wohnung – im Alltag. Lautstärke<br />
vor allem bei der Jugend, auf den Straßen, Discotheken,<br />
im Haus. Das Laute, Lärmende ist zu einer Haltung<br />
geworden. Ist die Stille befreiend oder beklemmend? Bedeutet<br />
die Stille nicht das Fehlen von Kommunikation und<br />
Tätigkeit, von Leistung und Fortschritt, von Leben schlechthin?<br />
Nein, die Stille ist etwas Unentbehrliches für den Menschen,<br />
der seine Seele, seinen Geist und auch seinen Körper<br />
gesund erhalten will. Wenn wir die Stille nicht mehr<br />
finden, verlieren wir uns. Sie ist das Atemholen der Seele,<br />
die Kraftquelle zum Leben. In der Stille wohnen die Freuden<br />
des Lebens, die wir vor lauter Hetze verloren haben.<br />
Aus ihr wachsen die kleinen Aufmerksamkeiten, die viel<br />
weniger Zeit brauchen als wir meinen, ein verständnisvolles<br />
Zuhören, ein gutes Wort, ein freundliches Gesicht, eine<br />
Ich habe in diesem Sommer das<br />
Kloster Maria Laach besucht. Die Klosteranlage<br />
liegt inmitten grüner Wälder,<br />
Wiesen und Felder nahe dem größten<br />
Eifelsee Laach. Die Abtei zählt heute<br />
56 Mönche und wird nach der im Jahre<br />
529 verfassten Klosterregel St. Benedikts<br />
von einem Abt geleitet. Wer<br />
aus dem Lärm und der Hetze der Straße<br />
in ein Kloster tritt, sollte meiner<br />
Meinung nach eine geheimnisvolle Stille<br />
empfinden. Erst mal war ich enttäuscht.<br />
Ich musste erleben, wie ein<br />
Kloster auch als Unternehmen funktioniert.<br />
Am Eingang der Klosteranlage<br />
stehen mehrere Läden mit einem reichen<br />
Angebot von Obstbrände, Kräuterschnäpse,<br />
Bio-Produkte, Lebensmittel,<br />
Kunsthandwerke und Andachtsgegenstände,<br />
alles Erzeugnisse der Mönche.<br />
Schließlich ist das Wirken der Mönche<br />
nach der bekannten Devise „Ora et labora“,<br />
„Bete und arbeite“, vom Gebet<br />
und von der Arbeit geprägt. Auch die Klöster stehen im<br />
Wandlungsprozess der Geschichte. Von den Klöstern des<br />
frühen Mittelalters strömten Bildung und Kultur ins Land.<br />
Heute sieht der Tagesablauf der Mönche ganz anders aus.<br />
Seelsorge, Wissenschaft und Kunst, Obst- und Gartenbau,<br />
Arbeit in den Werkstätten, in einem Buch- und Kunstverlag,<br />
einigen Kunstwerkstätten und in einer gut besuchten<br />
Buch- und Kunsthandlung füllen den Tag der Mönche aus.<br />
Dabei werden sie von zahlreichen Laienkräften in ihrem<br />
vielfachen Bemühen unterstützt. Für viele Dienste in Kirche<br />
und Gesellschaft werden sie in Anspruch genommen.<br />
Als ich dann weiter ging, den Klostergarten besuchte und<br />
vor der Klosterkirche stand, änderten sich meine Gefühle<br />
und Eindrücke. Der wunderschön angelegte Klostergarten<br />
mit Blumen und Kräuter ist ein spürbarer Ort der Stille und<br />
Erholung.Teresa von Avila (1515–1585, Mystikerin, Heilige)spricht<br />
auch von der „Grünkraft des Lebens“. Die Farben<br />
des Gartens lassen den Menschen zur Entspannung<br />
kommen und schenken ihm Kraft für den Alltag.<br />
Ein Blick auf den Außenbau der Klosterkirche zeigt ein<br />
klares romanisches Baugefüge, eine dreischiffige, doppelchörige<br />
Basilika mit zwei Querhäusern, überhöht ➤<br />
4 durchblick 4/<strong>2006</strong>
Zur Adventszeit<br />
von sechs Türmen. Betritt man das Innere<br />
der Abteikirche wird man von der<br />
„königlichen Halle“ umfangen. Der<br />
Raum hat etwas Bezwingendes und<br />
vermittelt einen ehrwürdig-feierlichen<br />
Eindruck. Nachdem ich die Innenausstattung<br />
der Kirche bewundert habe,<br />
bin ich in einen Nebenraum gegangen,<br />
der der Anbetung und stillen Einkehr<br />
dient. Hier wollte ich Stille erleben,<br />
musste aber feststellen, dass das nicht<br />
so einfach ist. Denn kaum entsteht die<br />
Stille, so füllt sie sich mit Gedanken,<br />
es kamen Sorgen auf und meine Gedanken<br />
kreisten um alle möglichen<br />
Dinge herum. Ich musste feststellen,<br />
dass es mir an innerer Disziplin mangelte,<br />
die eine Ruhe des Geistes hervorbringt.<br />
Allmählich beruhigten und<br />
klärten sich meine Gedanken und<br />
Emotionen. Es geschah eine Verwandlung,<br />
die beunruhigende, beklemmende<br />
und bedrängende Stille wurde beruhigend,<br />
erholsam, tröstend, stärkend.<br />
Die Gedanken sortierten sich und kamen<br />
ins richtige Verhältnis.<br />
„Je größer das Maß an Ruhe in unserem<br />
Geist, je größer unser geistiger<br />
Frieden, desto eher werden wir ein glückliches<br />
und freudvolles Leben genießen<br />
können“. (Der XIV. Dalai Lama)<br />
Stille kann man nicht nur im „Haus Gottes“ erleben. Es<br />
gibt viele Möglichkeiten, einen geeigneten Weg zu inneren,<br />
Ruhe zu finden, zum sich-Niederlassen, zum Pausemachen,<br />
wo wir die Spannung des Tages an uns und in uns lockern,<br />
ganz bewusst jeden Muskel hängen lassen, von der Stirn bis<br />
zur Fußspitze, alles loslassen. Mit jedem Ausatmen fällt etwas<br />
mehr von uns ab und mit jedem Einatmen werden wir<br />
offener für Neues. Je mehr wir loslassen können, desto<br />
mehr können wir zulassen und ganz allmählich werden wir<br />
dabei gelassener und ruhiger. Was in der Stille auf uns einwirkt,<br />
das wirkt sich auch auf uns aus, und auf andere um<br />
uns herum.<br />
Gewächshaus, das zum Klostergarten der Abtei gehört<br />
Eine Möglichkeit, vollkommen in sich zu versinken, zu<br />
Gelassenheit und zu sich selbst zu finden, ist die Meditation.<br />
Sie blickt auf eine Jahrtausende alte Geschichte in<br />
fernöstlichen Kulturen zurück, aber auch in den großen<br />
abendländischen Religionen wird sie praktiziert. Meditierten<br />
die Menschen einst vor allem mit dem spirituellen Ziel,<br />
sich einem höheren Wesen (Gott) anzunähern, einen höheren<br />
Bewusstseinszustand zu erreichen und Erleuchtung zu<br />
erlangen, so sind „moderne“ Meditationsziele viel greifbarer.<br />
Der moderne, stressgeplagte Mensch sucht in der Meditation<br />
eine Zuflucht, eine Oase der Ruhe, oder auch Seelenfrieden<br />
und Stabilität für seine Psyche. Andere versinken<br />
in sich um stressbedingte Beschwerden loszuwerden.<br />
Die heilsame Kraft der Meditation wird heute in der Psychotherapie<br />
genutzt um Geist, Seele und Körper in Einklang<br />
zu bringen.<br />
Lebensfeste und Jahresfeste bieten uns eine andere<br />
Möglichkeit zur Ruhe, zu sich selbst zu kommen, zurückzukehren<br />
zur Stille, zur Quelle ihrer Kraft. Wir stehen kurz<br />
vor der Adventzeit. Advent sagt man, sei die stillste Zeit im<br />
Jahr. Es ist die Zeit der Besinnung, der Vorfreude auf das<br />
Fest der Geburt Christi. Für viele Menschen ist die Weihnachtszeit<br />
eine hektische Zeit. Man muss laufen um Geschenke<br />
zu kaufen, den Tannenbaum besorgen, Einkäufe<br />
für das Festessen machen und hat man das beisammen, beginnt<br />
die Hektik zu Hause. Wünschenswert wäre es, wenn<br />
wir uns mehr Zeit nehmen würden, zum Nachdenken über<br />
sich selbst und über die Umwelt, über die großen Zusammenhänge<br />
in Geschichte und Kultur, dann würden wir auch<br />
zur Ruhe kommen und das Weihnachtsfest mit Besinnung,<br />
Frieden und Freude erleben.<br />
Dorothea Istock<br />
durchblick 4/<strong>2006</strong> 5
Weihnachtliches<br />
„Und sie gingen hin und fanden das Kind in der Krippe“<br />
Die Weihnachtskrippe<br />
Weihnachtsfest wurden sie festlich gekleidet und als Christuskind<br />
in eine Krippe gelegt. Dazu wurden Wiegenlieder<br />
gesungen, um das Jesukind in den Schlaf zu wiegen.<br />
„Da droben auf dem Berge, da wehet der Wind, da sitzet<br />
Maria und wieget ihr Kind.“<br />
Seit den Tagen des heiligen Franziskus haben die Menschen<br />
nicht aufgehört, Krippen aufzustellen. Jede Zeit und<br />
jede Epoche hat ihre eigenen Vorlieben für die Gestaltung<br />
der biblischen Szenen gefunden. Mit viel Phantasie und<br />
künstlerischem Geschick wurde und wird das Wunder der<br />
Weihnacht den Menschen vor Augen geführt.<br />
Dorothea Istock<br />
Die Weihnachtskrippe, die Darstellung der Geschichten<br />
von der Geburt Jesu, gehört für viele zu den unentbehrlichen<br />
Bestandteilen des Christfestes.<br />
Die erste Weihnachtskrippe stand im Jahre 1225 in einer<br />
Höhle bei Greccio in den Sabiner Bergen. Der heilige<br />
Franziskus von Assisi hatte zu einer Futterkrippe Ochs und<br />
Esel gestellt. Er verkündete den Bettlern dieser Gegend die<br />
Weihnachtsbotschaft und wollte ihnen zeigen, dass auch<br />
der menschgewordene Gottessohn arm und mittellos war.<br />
Das Bild der Krippe mit Maria, Joseph, die Hirten mit ihrer<br />
Herde und die Engel hat seinen Ursprung im Text des<br />
Lukasevangeliums, nach dem Matthäusevangelium ergänzen<br />
die drei Weisen und die Sterne das Krippenbild. Der<br />
Ochse und der Esel, die dazugehören, kommen in den beiden<br />
Evangelien nicht vor und sind wahrscheinlich auf die<br />
erste aufgestellte Krippe von Assisi zurückzuführen.<br />
Eine andere Wurzel hat der Krippenbrauch im Kindleinwiegen,<br />
das in vielen Frauenklöstern üblich war. Den<br />
aus reichen Familien stammenden Töchtern gab man als<br />
Trost für die Entsagung im Kloster „Trösterlein“ mit. Zum<br />
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Aus einem Weihnachtsbuch von Paul Weismantel<br />
möchte ich eine Geschichte über Ochs und Esel wiedergeben.<br />
Ochs und Esel.<br />
An keiner Krippe dürfen wir fehlen. Wir gehören einfach<br />
dazu. Bereits im Alten Testament werden wir ausdrücklich<br />
erwähnt. Wir haben unseren Stammplatz ganz<br />
vorn. Wir sind einfach nicht wegzudenken. Wir werden zusammen<br />
genannt und zusammen an die Krippe gestellt, obwohl<br />
wir doch zwei ganz verschiedene und je eigenständige<br />
Wesen sind. Wir stehen gleichberechtigt nebeneinander,<br />
ohne dass man uns einfach gleich machen könnte.<br />
Als Esel bin ich schon noch ein bischen tiefer mit dem<br />
Jesuskind verbunden, nicht erst seit der Dichter Waggerl die<br />
Geschichte über mein störrisches Wesen geschrieben hat,<br />
sondern von der Heilsgeschichte her. Ich darf das Kind und<br />
seine Mutter nach Ägypten tragen, wenn sie vor dem<br />
machtgierigen Herodes fliehen müssen. Ich werde den<br />
Herrn am Palmsonntag bei seinem Einzug in Jerusalem auf<br />
meinem Rücken trage. So bin ich gleichsam sein Lieblingsgefährt.<br />
Ja, ich lebe mit ihm auf Tuchfühlung.<br />
Wie gedankenlos die Menschen doch manchmal daherreden,<br />
wenn sie unsere beiden Namen als Schimpfwörter<br />
gebrauchen. Dabei tun wir keinem von ihnen auch nur das<br />
Geringste zu Leide. Im Gegenteil, wir dienen ihnen. Aber<br />
so ist es eben, wer anderen nützt, wird auch leicht ausgenützt.<br />
Und Dankbarkeit ist überhaupt für viele heute eher<br />
eine vergessene Tugend.<br />
Wir sind dankbar für unseren Platz an der Krippe. Er gefällt<br />
uns. Es ist ein schöner Platz, eine Ehrenplatz gewissermaßen.<br />
Ehre jedoch zuerst dem Schöpfer des Himmels<br />
und der Erde, der Tiere und der Menschen.<br />
Dorothea Istock<br />
6 durchblick 4/<strong>2006</strong>
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durchblick 4/<strong>2006</strong> 7
Weihnachtliches<br />
Weihnachtsplätzchen! Knusprig – zart?<br />
Von wegen! Na ja – es waren meine ersten und gerochen<br />
haben sie richtig gut. Auch ihr Aussehen hätte preisgekrönt<br />
werden können …. wenn, ja wenn. Also erst einmal der<br />
Reihe nach.<br />
Jung verheiratet, erste Wohnung, erste Weihnacht! Was<br />
lag da näher, als auch die ersten Plätzchen zum Fest zu machen.<br />
Meine kleine Küche wurde für das große Backfestival<br />
vorbereitet. Platz geschaffen für Schüsseln und Töpfe,<br />
Gläser und Näpfe. Dann ich mitten drin! Steif gestärktes<br />
Halbschürzchen, hochroten Kopf voller Ideen, wie die<br />
süßen Leckereien dekoriert werden sollten. Backeuphorie<br />
pur!<br />
Also an die Arbeit. Wie war das doch noch? Ein Rührteig<br />
war flüssig, ein Plätzchenteig fest, sodass man ihn ausrollen<br />
konnte. Nun, das lag doch auf der Hand, Rührteig<br />
machen und dann so viel Mehl hinein, bis er fest war. Prima,<br />
es klappte wie am Schnürchen. Dann Teig ausrollen<br />
und nun kam das Schönste: Plätzchen ausstechen. Weil ich<br />
noch keinen Herd mit Backofen besaß, hatte ich mir vom<br />
nahen Bäcker ein großes – ein sehr großes – Blech geholt.<br />
Das fettete ich nun ein, und nach einigen Stunden harter,<br />
mehliger Arbeit lagen sie da, die prächtigsten Weihnachtsplätzchen,<br />
die ich je gesehen hatte! Ich strich mir das Mehl<br />
von der Stirn. Da sollten sie nur alle staunen, alle die da<br />
glaubten, ich sei für so was nicht geeignet. Ihre Vorurteile<br />
müssten sie gründlich revidieren müssen, wenn sie erst das<br />
hier gesehen und probiert hätten. Ich sah mich bereits, wie<br />
ich mit einem Michelin-Stern gekürt, nur noch mit den<br />
großen Köchen an den Herden der Welt stand. Zurück in<br />
meine Küche! Da lagen sie nun, die Kränzchen und Sternchen,<br />
die Zöpfe und Engel, die Tannenbäume und Nikoläuse,<br />
verziert mit Nüssen, braunem Zucker, Schokolade<br />
und Marzipan. Alle fein ausgerichtet, in Reih und Glied, alle<br />
im gleichen Abstand. Dieses Kuchenblech war ein<br />
Kunstobjekt. Es hätte in den Louvre gehört – oder noch besser<br />
– in das Museum of Modern Art. Stattdessen deckte ich<br />
es fein säuberlich mit Handtüchern ab und schleppte (ja es<br />
war eben keine leichte Kunst), also ich schleppte es zum<br />
Bäcker, damit es dort im vorgeheizten Ofen zu dem unvergleichlichen<br />
Backwerk würde, wozu ich es auserkoren hatte.<br />
Zu Hause brachte ich dann meine Küche wieder in ihren<br />
ursprünglichen Zustand zurück. Wischte die Mehlspuren<br />
von den Stühlen, Fegte den Zucker vom Tisch und kratzte<br />
rosa und weißes Marzipan von den Schranktüren ab. Die<br />
Schokoladen und Kakaoflecken auf dem Fußoden würden<br />
wohl mit Gottes Hilfe und Meister Proper mit der Zeit verschwinden.<br />
Dann kam das Größte. Ich holte meine Prachtstücke<br />
vom Bäcker ab. Ein Korb, ausgelegt mit frischen Handtüchern,<br />
sollte den Lohn der Arbeit aufnehmen. Mensch,<br />
war ich stolz, als der Bäckermeister vorsichtig, damit auch<br />
nicht eines der zauberhaften Dinger Schaden nahm, dieselben<br />
vom Blech in den Korb gleiten ließ.<br />
Im Laden bezahlte ich dreißig Pfennig Backlohn und ich<br />
wartete nur auf den Moment, in dem es sich ergab, und ich<br />
der Bäckersfrau großzügig und mit Gönnermiene an- ➤<br />
8 durchblick 4/<strong>2006</strong>
Weihnachtliches<br />
Sie wurden nicht mürbe, nicht Ostern, und auch nicht zu<br />
Pfingsten.<br />
bot, doch ruhig mal eines meiner ersten Weihnachtsplätzchen<br />
zu probieren. Dankend und lachend nahm sie an, griff<br />
in den Korb und nahm einen mit rosa Marzipan verzierten<br />
Engel heraus. Sie biss zu und das Lachen erstarb ihr wortwörtlich<br />
auf den Lippen. Sie biss erneut, aber ihre Zähne<br />
klappten auf das Gebäck wie auf eine Betonplatte. Erneut<br />
griff sie in den Korb. Ein Kringel mit braunem Zucker aber<br />
bot denselben Widerstand wie der Engel. Erst jetzt begriff<br />
ich, was da passierte. Hastig griff ich in den Korb, aber auch<br />
meine Zähne erlagen dem Kampf mit einem niedlichen<br />
Weihnachtsbäumchen, verziert mit silbernen Perlchen. Wie<br />
aus weiter Ferne hörte ich die Worte der Bäckersfrau:<br />
„Mein Gott, Frau Göbel, was ist denn da passiert?“ Ja, eher<br />
hätte ich eine Antwort auf die Frage gehabt, warum der Nil<br />
jedes Jahr Hochwasser führt. Hierzu wusste ich nichts zu<br />
sagen. Tränen rannen über meine Wangen und benetzten<br />
meine Betonplätzchen. „Haben Sie denn kein Kochbuch,<br />
oder warum haben Sie nicht mit Ihrer Mutter über das Rezept<br />
gesprochen?“ wurde ich weiter gefragt. Meine Antwort<br />
war so simpel wie entwaffnend: „Ich dachte, so was<br />
könnte man doch einfach … als Frau!“ Nun hatte auch die<br />
Bäckersfrau Tränen in den Augen, immerhin war ich erst<br />
19! Sie gab mir noch eine große Blechdose und meinte, da<br />
drinnen würden die Plätzchen unter Umständen bis Weihnachten<br />
noch mürbe. Sie wurden nicht mürbe, nicht Weihnachten,<br />
nicht Ostern, und als ich sie Pfingsten einer Nachbarin<br />
vermachte, die sich Hühner hielt, mussten sie noch<br />
im Mixer zerkleinert werden, um als Hühnerfutter endlich<br />
ein nahrhaftes Ende zu finden.<br />
Inge Göbel<br />
durchblick 4/<strong>2006</strong> 9
Gesellschaft<br />
Perspektiven<br />
Ob Katharina im Jahr 2024 das Abitur macht, kann niemand vorhersagen.<br />
Ob Katharina im Jahr 2024 das Abitur macht, kann niemand<br />
vorhersagen. Aber die Fachleute im Statistischen<br />
Bundesamt (Wiesbaden) gehen davon aus, dass sie den<br />
Sommer des Jahres 2088 erlebt. Dann hat die Kleine ein<br />
Alter von 82 Jahren erreicht und das entspricht der prognostizierten<br />
Lebenserwartung für Mädchen des Jahrgangs<br />
<strong>2006</strong>.<br />
Dank besserer Lebensbedingungen und großer Fortschritte<br />
in der Medizin ist die Lebenserwartung den letzten<br />
130 Jahren erheblich angestiegen. Für die Vorausberechnung<br />
wird davon ausgegangen,<br />
dass sie auch weiter, allerdings<br />
langsamer als in der<br />
Vergangenheit, zunehmen<br />
wird. Das ist die eine Seite<br />
des demographischen Wandels.<br />
Gleichzeitig gibt es<br />
immer weniger Frauen und<br />
Männer, die sich für Kinder entscheiden. Wir werden also<br />
weniger und älter. Bevölkerungsvorausberechnungen zeigen,<br />
wie sich die Bevölkerung zahlenmäßig und in ihrem<br />
Altersaufbau entwickelt. Naturgemäß werden die Voraussagen<br />
unsicherer, je weiter sie in die Zukunft weisen. Andererseits<br />
verlaufen demographische Prozesse sozusagen in<br />
„langen Wellen“. Daher ist ausgeschlossen, dass ein rascher<br />
Wiederanstieg der Geburtenrate auf zwei Kinder pro<br />
Glücklicherweise sind viele Ältere nicht<br />
einfach nur an sich selbst interessiert,<br />
sondern haben ein starkes Interesse an<br />
ihren Kindern und Enkeln.<br />
Frau in den nächsten Jahrzehnten die<br />
Alterung und den gleichzeitigen Bevölkerungsschwund<br />
noch abwenden<br />
könnte.<br />
In Zahlen: Die Geburtenziffer je<br />
Frau verharrt seit drei Jahrzehnten bei<br />
knapp 1,4 Kindern. Die Statistiker<br />
schreiben diese Zahl zunächst fort und<br />
gehen davon aus, dass auch in absehbarer<br />
Zukunft 100 Frauen insgesamt<br />
weniger als 140 Kinder zur Welt bringen.<br />
Bedauerlicherweise handelt es<br />
sich dabei nur um etwa 70 Mädchen.<br />
Schließlich zeigt sich in einer weiteren<br />
Generation, dass den jetzt lebenden<br />
100 Frauen nur 30 bis 35 Enkelinnen<br />
gegenüberstehen.<br />
Beginnend mit dem Geburtsjahrgang<br />
1960 wird demnach ein Drittel<br />
der deutschen Bevölkerung enkellos<br />
sterben. Ein weiteres Achtel wird allenfalls<br />
ein Enkelkind haben. Bei den<br />
Jüngeren werden diese Anteile noch<br />
höher sein. Damit ist für annähernd die<br />
Hälfte der Bevölkerung so gut wie<br />
gewiss, dass sie in der nächsten, spätestens aber in der<br />
übernächsten Generation keine Nachkommen mehr haben<br />
wird. Verwandtschaftliche Beziehungen schwinden rapide.<br />
Familie im engeren oder weiteren Verständnis kann daher<br />
vielen auch keinen Lebenssinn mehr geben. In den Kommunen<br />
wird sich der demographische Wandel auf nahezu<br />
alle Handlungsfelder auswirken. Vielfach lassen sich bereits<br />
heute rückläufige Einwohnerzahlen feststellen. Die<br />
Altersstruktur der Bevölkerung wird sich zudem schon in<br />
wenigen Jahren gravierend verändern. Flankiert werden<br />
diese Entwicklungen von defizitären Haushalten; denn die<br />
Schere zwischen Einnahmen<br />
und Ausgaben geht<br />
immer weiter auseinander.<br />
Die Kluft zwischen dem<br />
Wunsch, den aktuellen Umfang<br />
und die hohe Qualität<br />
kommunaler Dienstleistungen<br />
und Infrastruktur aufrechtzuerhalten,<br />
und den finanziellen Möglichkeiten wird<br />
von Tag zu Tag größer. Zunehmend wird dies auch in Kommunal-<br />
und Kreisverwaltungen erkannt und es werden<br />
Fachleute beauftragt, entsprechende Zusammenhänge ressortübergreifend<br />
zu vermitteln. Eine besondere Herausforderung<br />
liegt darin, die Wahrnehmung nicht auf negative<br />
Angst-Szenarien zu beschränken, vielmehr kann der demographische<br />
Wandel auch als Chance für Innovati-<br />
10 durchblick 4/<strong>2006</strong><br />
➤
Gesellschaft<br />
on in Kommunen begriffen werden. Vor diesem Hintergrund<br />
ist es notwendig, eine Gesamtstrategie zur Gestaltung<br />
des demographischen Wandels zu erarbeiten. Die zukunftsfähige<br />
Gestaltung von Kommunen glückt nur dann,<br />
wenn Bürger, Wirtschaft und Verbände von der Politik aktiv<br />
in die Entscheidungsprozesse einbezogen werden. Gemeinsam<br />
sollten sie Verantwortungsgemeinschaften bilden,<br />
in denen jeder Akteur mit seinen Interessen, Ressourcen<br />
und Möglichkeiten beteiligt ist und für das Gemeinwesen<br />
Verantwortung trägt.<br />
Über allem steht die Bereitschaft, auch unangenehme<br />
Wahrheiten zu verkünden. Und das ohne Rücksicht auf bestimmte<br />
Wählergruppen. Es muss zum Beispiel erwähnt<br />
werden, dass die jetzt ältere Generation im Durchschnitt<br />
über weitaus größere finanzielle Handlungsmöglichkeiten<br />
verfügt, als vor und nach ihr jede Generation hatte oder<br />
erwarten kann. Aber es gibt in unserer Gesellschaft eine zunehmende<br />
Altenmacht. Das heißt, rund ein Drittel der<br />
Wahlberechtigten ist bereits über 60 Jahre alt und Ältere gehen<br />
häufiger zur Wahl als Jüngere. Mit dieser Wählergruppe<br />
will sich keine Partei anlegen.<br />
Glücklicherweise sind viele Ältere nicht einfach nur an<br />
sich selbst interessiert, sondern haben ein starkes Interesse<br />
Rebecca Schneider und Mechthild Wienkamp haben keinen<br />
Generationenkonflikt.<br />
an ihren Kindern und Enkeln. Es gibt demnach starke Solidaritätsbeziehungen,<br />
die ein mögliches Konfliktpotenzial<br />
zwischen den Generationen verringern. Es ist zu hoffen,<br />
dass die Medien und die politischen Akteure alles unterlassen,<br />
was zu unnötigen Polarisierungen führen könnte.<br />
Erich Kerkhoff<br />
… wo man zu Hause ist.<br />
„Haus an der Weiß“<br />
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durchblick 4/<strong>2006</strong> 11
Gesellschaft<br />
Ein Stück Lebenshilfe<br />
Jede Menge Senioren-Paten für junge Leute gesucht<br />
Schülerinnen und Schüler der Geschwister-Scholl-Schule werden von Schulrektor<br />
i. R. Ekkhard Bieneck liebevoll betreut und angeleitet.<br />
Menschen helfen Menschen – Uta Fiedler (bbz) startete<br />
tolles Projekt an Schwelle von Schule zum Beruf<br />
Michael zum Beispiel. 18 Jahre alt. Die Eltern kennt er<br />
nicht. Das Leben hält viele Schattenplätze für ihn bereit.<br />
Sonne – das ist etwas ganz Besonderes: dort, in Michaels<br />
Welt, wo das Klima rau ist. Ein Jahr ist Michael alt, als er<br />
zu einer Pflegefamilie kommt. 13 Jahre bleibt er da. Dann<br />
zieht er aus. Zunächst in eine Wohngruppe. Später in eine<br />
kleine Wohnung. Im Frühjahr <strong>2006</strong> lernt er Uta Fiedler kennen.<br />
Die Leiterin der „Servicestelle Übergang Schule/Beruf“<br />
im Berufsbildungszentrum (bbz) der Siegener Industrie-<br />
und Handelskammer (IHK). Und ihr erzählt er, wie<br />
sehr er sich gewünscht habe, adoptiert zu werden – von der<br />
Pflegefamilie. Denn: „Ich wollte gerne richtig dazugehören.“<br />
Das klappte nicht. Und deshalb packte er auch<br />
bei der Pflegefamilie die Koffer. Wie gesagt, das Leben<br />
hält viele Schattenplätze für Michael bereit. Uta Fiedler:<br />
„Er möchte einfach dazugehören.“ Zum Alltag und zum<br />
Sonntag, zum Leben, zur Welt.<br />
Oder Lisa: 15 Jahre alt. Ihr Vater kommt mit ihr über<br />
die Hügel Siebenbürgens nach Deutschland. Lisa ist gerade<br />
mal zwölf Monate alt, als es auf den Treck von Ost nach<br />
West geht. Was mit ihrer Mutter passiert ist, weiß Lisa<br />
nicht. Alles ist offen. Nebulös. In Deutschland lebt Lisa<br />
zunächst beim Vater. Manchmal bei der Großmutter. Und<br />
dann: Großmutter stirbt eines Tages. Der Vater gerät aus<br />
dem Gleichgewicht – samt Lisa. Sie kommt in eine Wohngruppe.<br />
Und Maik geht es auch nicht viel besser. 16 Jahre alt ist<br />
er. Seine Eltern stehen in strammem Schichtdienst. Unge-<br />
regeltes Leben. Und: Eltern nicht da,<br />
wenn man sie braucht. Dazu: Maik<br />
muss sich um seine Geschwister kümmern,<br />
wenn er nach Haus kommt. Da<br />
geht die Post ab. Ruhe findet Maik<br />
kaum. Der Weg zu sich selbst? Pustekuchen!<br />
Nicht in Sicht.<br />
Michael, Lisa und Maik haben eines<br />
gemeinsam: Das geregelte Leben<br />
hat ihnen rasch Lebewohl gesagt.<br />
Oder: Es hat sie gar nicht erst begrüßt.<br />
Ein flüchtiger Abschied. Ein Hauch.<br />
Überhastet und in Eile, ohne Zeit sie zu<br />
lehren, wie man es anstellt, beide Beine<br />
fest auf den Boden zu kriegen.<br />
Michael, Lisa und Maik bekommen<br />
ein onduliertes Weltbild. Ohne Fittiche<br />
ist das alles zugig, klamm, schutzlos.<br />
Der Asphalt ist rau auf diesen Pfaden<br />
des Lebens.<br />
Uta Fiedler weiß: „Derartige Lebensgeschichten<br />
kommen nicht vereinzelt<br />
daher. Es gibt Tausende davon<br />
im Kreis Siegen-Wittgenstein. Sie kennt die Szene, kennt<br />
die Probleme. Denn: „Viele habe ich seit dem 1. Februar<br />
dieses Jahres kennengelernt.“ Seit dieser Zeit leitet sie nämlich<br />
die Servicestelle „Übergang Schule/Beruf im bbz der<br />
IHK Siegen.“ Keine leichte Aufgabe. Immerhin beinhaltet<br />
das die Betreuung von 28 Gesamt-, Haupt- und Förderschulen<br />
im Kreis Siegen-Wittgenstein. Wichtigstes Thema:<br />
Das breite Feld der Berufsvorbereitung.<br />
Uta Fiedler, selbst Mutter, ist eigentlich ins viel zitierte<br />
kalte Wasser gesprungen. Die engagierte junge Frau erzählt:<br />
„Angefangen habe ich, indem ich mich mit den Lehrern<br />
der Schulen zusammengesetzt und die spezifischen<br />
Probleme der Jugendlichen an jeder einzelnen Schule erörtert<br />
habe.“ In diesen Gesprächen hat Uta Fiedler viel gelernt.<br />
Und fast alle Situationsberichte haben sie nachdenklich<br />
gemacht. Zugleich aber auch einen Energieschub<br />
ausgelöst. Sie hat die Dinge angepackt.<br />
Uta Fiedler fühlt sich zur Stunde Null unwissend, denn:<br />
„Bis zu diesem Zeitpunkt wusste ich nicht, dass viele Kinder<br />
hier im Siegerland aufwachsen ohne regelmäßige<br />
Mahlzeiten, ohne gelernt zu haben, dass man sich zu verschiedenen<br />
Anlässen unterschiedlich kleidet oder benimmt.“<br />
Deshalb: „Diese Informationen habe ich als Vertreterin<br />
der Servicestelle zunächst einmal in mich<br />
aufgenommen und strukturiert.“ Heraus kommt dies: Die<br />
kompetente Frau organisiert verschiedene Projekte. So<br />
richtig aus dem Leben gegriffene Aktionen stehen an. Beispielsweise:<br />
Berufsvorbereitung über diverse Praktika.<br />
Aber es geht auch um „Klamotten“. Das Angebot umfasst<br />
nämlich auch einen „Wettbewerb für Bekleidungs-<br />
12 durchblick 4/<strong>2006</strong><br />
➤
outfit“. Das bedeutet jetzt nicht, derart messerscharfe Bügelfalten<br />
zu tragen, dass man damit die runterhängende<br />
Tischdecke einschneidet, aber ein gewisser Ordnungsfaktor<br />
sollte schon sein.<br />
Wie benimmt man sich eigentlich richtig? Wer’s wissen<br />
will, kann es bitteschön erfahren: Eine Knigge-Unterrichtsreihe<br />
befindet sich zur Zeit in der Erprobungsphase.<br />
Erste Forschritte sind zu verzeichnen. Und da geht noch einiges<br />
mehr. Guter Umgang macht Freunde. Eines haben die<br />
jungen Menschen schon kapiert: Benimm-Defizite schaffen<br />
keine Freunde. Stoffel oder Rüpel sind einsam wie<br />
Waldläufer. Uta Fiedler hat die Sache mit dem Knigge-Pauken<br />
gemeinsam mit Lehrern erarbeitet.<br />
Beileibe kein einfaches Unterfangen: Weil der Knigge<br />
kompliziert ist und die Jugendlichen nicht einfach sind.<br />
Das Prestigeduell Knack-Jeans gegen Bundfaltenhose ist<br />
angepfiffen. Und wie geht es aus? Wird schon werden.<br />
Schritt für Schritt. Mit rasanten Wandlungen rechnet hier<br />
niemand. Uta Fiedler: „Die Jugendlichen sind nicht einfach.<br />
Natürlich haben wir es hier auch mit jenen Jugendlichen<br />
zu tun, die sich nicht benehmen können, die wenig Respekt<br />
vor dem Alter haben oder durch Piercings auffallen.“<br />
Das ist die eine Seite der Erfahrung. Jetzt die andere: „Aber<br />
ich habe bei meiner Arbeit auch festgestellt, dass viele dieser<br />
Kinder und Jugendlichen einfach nur jemanden brauchen,<br />
der sie an die Hand nimmt und ihnen zeigt, wie der<br />
Weg in die Zukunft aussehen kann.“ Ein bisschen Liebe.<br />
Das Teilhabenlassen am Erfahrungsschatz der sogenannten<br />
Silberlocken-Generation.<br />
Zumindest der Weg in die berufliche Zukunft ist auch<br />
nicht mehr der, der er einst war. Die Expertin: „Das Erkennen<br />
dieser Wege ist nicht mehr so wie früher. Damals<br />
beispielsweise bat ein Vater den ortsansässigen<br />
Schreiner, den Filius auszubilden.<br />
Und in den meisten Fällen<br />
klappte das dann auch.“ Die guten alten<br />
Zeiten. Und heute? „Und heute“,<br />
sagt Uta Fiedler, „bewerben sich bis zu<br />
100 Jugendliche auf ein und dieselbe<br />
Lehrstelle. Zwangsläufig gehen viele<br />
leer aus.“ Wenn die Lehrstelle zur<br />
Leerstelle wird, ist guter Rat teuer. Uta<br />
Fiedler: „Das führt zur Frustration und<br />
Irritation bei den Jugendlichen. Sie sehen<br />
oft nicht mehr, wie sie ihre Chancen<br />
verbessern können. Und die Eltern<br />
sehen das auch oft nicht, wenn diese<br />
sich überhaupt darum kümmern.“<br />
Bestritten werden die Projekte vorwiegend<br />
aus Mitteln des Landes und<br />
Gesellschaft<br />
auch das bbz schießt zu. Aber: Das<br />
Geld für soziale Angelegenheiten liegt<br />
in knapper Kiste. Deshalb ist Uta Fiedler<br />
auf Hilfe aus dem ehrenamtlichen<br />
Bereich angewiesen. Ohne ein zukünftiges<br />
derartiges Engagement sind oben geschilderte Weiterbildungsmaßnahmen<br />
nicht dauerhaft zu gewährleisten.<br />
Die Initiatorin macht sich da nichts vor: „Nur auf einer soliden<br />
ehrenamtlichen Basis hat unser Projekt Bestand.“ Es<br />
müsse doch zu machen sein, dass bald an jeder Schule, sagen<br />
wir mal, fünf bis sechs Seniorinnen oder Senioren tätig<br />
werden, die Hilfe zur Selbsthilfe geben. Müssen beileibe<br />
nicht nur pensionierte Lehrer sein. Da kann jede oder jeder<br />
mitmachen. Bisschen Grundvoraussetzung sollte jedoch<br />
schon vorhanden sein, wie: Selbstvertrauen, gesunder Menschenverstand,<br />
Bildung (in erster Linie Herzensbildung),<br />
soziales Engagement. Motto: Gestandene Leute nehmen<br />
schwache an die Hand.<br />
Also: Paten sind gefragt. Die gehen natürlich nicht völlig<br />
unvorbereitet auf die Sache los. Uta Fiedler: „Wir werden<br />
einen Einführungskurs organisieren.“ Ein Kurs der ersten<br />
Schritte. Dabei in erster Linie wichtig: „Das Anpassen<br />
der unterschiedlichen Sprachebenen.“ Damit wird ein unbefangener<br />
Helfer (es sei denn, er ist Lehrer und an einiges<br />
gewöhnt) auf Anhieb konfrontiert. So ist die Bezeichnung<br />
„Grufti“ für eine Seniorin oder einen Senior nicht unbedingt<br />
bös’ gemeint, aber in jedem Fall ausgesprochen gewöhnungsbedürftig.<br />
Und „da gehen mir die Schuhe auf“<br />
bedeutet nicht, dass einem die Treter gleich von den Socken<br />
rutschen, sondern will sagen: Da bin ich aber platt, erstaunt,<br />
konfus, begeistert!<br />
Hauptaufgabe also das Heranführen des Klientels an eine<br />
gepflegte Sprache, oder ihr zumindest die Spitzen der<br />
Verrohung abschneiden. Auch Alltagsfragen wie: Warum<br />
wähle ich? Warum sollte ich die Tageszeitung lesen? Wie<br />
sitze ich ordentlich? Wie benehme ich mich richtig? Wie<br />
fülle ich dieses oder jenes Formular aus? Wie esse ich richtig?<br />
Fragen, die für viele lapidar klingen, gar albern ➤<br />
Die engagierten Bürger Eberhard Schnutz und Friedel Burk (beide hinten) stellten<br />
sich als Zeitzeugen zur Verfügung und berichteten von der „guten alten<br />
Zeit“. War sie wirklich so gut? Das wollten die Zuhörerinnen und Zuhörer genau<br />
wissen.<br />
durchblick 4/<strong>2006</strong> 13
Gesellschaft<br />
Programm nicht nur finanziell machbar<br />
wird, sondern auch zukunftsorientiert<br />
auf eine breitere Basis gestellt<br />
werden kann. Als Dauerbrenner.<br />
Um es noch einmal klipp und klar<br />
zu sagen: Aus den betroffenen jungen<br />
Menschen sollen keine Musterknaben<br />
oder Supergirls werden, die mit Fussel-<br />
Rollbürsten in der Jacke herumlaufen,<br />
steif vor Arbeitseifer sind, Haltungsschäden<br />
vom Schuheputzen bekommen,<br />
und jeden Tag so viel Ordnung<br />
schaffen als ständen sie vor einer<br />
Haushaltsauflösung. Nein, nein. So ist<br />
das nicht gedacht. Aber aufzeigen, was<br />
wo und wann angebracht ist, das geht<br />
völlig in Ordnung. Oder sich mit ihnen<br />
über Piercing oder Haargel (Opa nennt<br />
es Pomade) unterhalten, auch das ist in<br />
Ordnung. Aber, jetzt Abziehbildchen,<br />
Sammeltassen, Manschettenknöpfe<br />
(Oberhemden-Piercing) oder Mittelscheitel<br />
als Alternativen anbieten, das<br />
haut nicht hin! Ja, aber was dann? Ja,<br />
spontan fällt mir da auch nichts ein,<br />
aber das wird schon noch. Bin mir<br />
sicher.<br />
Dieter Gerst<br />
Projekt-Initiatorin Uta Fiedler mit Schülerinnen und Schülern der Kindelsberg-<br />
Schule und der Haardter-Berg-Schule.<br />
oder selbstverständlich. Uta Fiedler: „Für die jungen Menschen,<br />
die wir ansprechen wollen, sind sie jedoch enorm<br />
wichtig.“ In vielen Fällen wird in gewisser Weise das Elternhaus<br />
nachgeholt. Denn das war oft nachlässig. Oft unfähig.<br />
Oft gar nicht vorhanden.<br />
Doch nicht nur die Theorie wird großgeschrieben. Auch<br />
in der Praxis soll sich etwas tun. Gedacht ist an einen Schulgarten,<br />
der gehegt und gepflegt wird. Praktische Grundlage<br />
für: Natur, Landschaft, Umweltschutz usw. Na ja, es gibt<br />
da so vieles, was organisiert werden kann. Quasi können<br />
alle Lebensbereiche angesprochen und behandelt werden.<br />
Probleme sind halt nicht an bestimmte Sparten gebunden,<br />
sondern sind mal hier, mal da und kommen unerwartet.<br />
Ein Projekt läuft schon. Ekkhard Bieneck, pensionierter<br />
Rektor der Geschwister-Scholl-Hauptschule, betreut bereits<br />
mehrere Schülerinnen und Schüler ehrenamtlich. Und<br />
die Sache läuft gut. An dieser Schule stellten sich übrigens<br />
auch die beiden engagierten Bürger Eberhard Schnutz und<br />
Friedel Burk als Zeitzeugen zur Verfügung.<br />
Zurzeit werden bereits sechs Förderschulen, drei Gesamtschulen<br />
und 19 Hauptschulen von Uta Fiedler betreut.<br />
Da geht es in erster Linie um das Fach „Lernen“. Alles andere,<br />
wie praktische Lebenshilfe usw., ist noch nicht komplett.<br />
So, und jetzt müssen die Ehrenamtler her, damit das<br />
Wer wird Pate?<br />
Jugendliche, die einen Paten suchen und Seniorinnen sowie<br />
Senioren, die Paten werden möchten, treffen sich und lernen sich kennen.<br />
Uta Fiedler: „Die Jugendlichen und Paten wählen sich gegenseitig<br />
nach Sympathie aus und berichten, welche Erwartungen sie hegen.<br />
Die Paten werden nicht allein gelassen, sondern werden von Profis unterstützt.“<br />
Pate kann jeder werden, der Interesse an Problemen Jugendlicher<br />
hat und sich ehrenamtlich engagieren möchte.<br />
Nicht nur die Berufsvorbereitung und die Lehrstellensuche sind<br />
vordergründig, sondern auch die Unterstützung während der Schulzeit.<br />
In vielen Hauptschschulen gibt es schon Schularbeitenhilfen, die aber<br />
nicht ausreichen, da es an ehrenamtlichen Helfern fehlt, die bereit sind,<br />
derartige Maßnahmen zu organisieren. Uta Fiedler: „Ich bin mir sicher,<br />
dass es viele fitte Seniorinnen und Senioren gibt, die in Rechtschreibung,<br />
Rechnen oder sogar Englisch Hilfestellung geben können.<br />
Außerdem wissen sie, wie man sich kleidet, benimmt und bei Firmen<br />
auftritt.“<br />
Also: Wer macht mit? Bitte melden bei Uta Fiedler, bbz der IHK,<br />
Birlenbacher Hütte 10, in 57078 Siegen, Telefon: 0271/8 90 57 21, oder<br />
Anruf in der durchblick-Redaktion, Telefon: 02 71/6 16 47<br />
14 durchblick 4/<strong>2006</strong>
(Montag - freitag) je<br />
Auf Wunsch werden alle Gerichte<br />
püriert oder das Fleisch geschnitten.<br />
Essen ist mehr als bloße Nahrungsaufnahme.<br />
Wir sehen darin ein Stück Lebensqualität, auf das<br />
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In unserer Großküche kochen wir daher noch<br />
frisch und vitaminschonend. Mit Gemüsen,<br />
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berücksichtigen wir bis 8.00 Uhr des Liefertages.<br />
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Bindung ein.<br />
Ihre Ansprechpartner:<br />
Ulrike Müller<br />
Tel. 027 37 / 505-160<br />
Werner Stenzel<br />
Tel. 027 37 / 505-161<br />
Fax 02 371 / 3386-240<br />
AWO-Kreisverband<br />
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57250 Netphen<br />
durchblick 4/<strong>2006</strong> 15
Alter<br />
Ein Mensch wird 80<br />
Der Beruf als Gymnasiallehrer führte<br />
ihn – im Anschluss an eine vorherige<br />
Tätigkeit in Meschede – 1958 nach<br />
Siegen, wo er bis 1989 am Fürst-Johann-Moritz-Gymansium<br />
unterrichtete.<br />
In seiner freien Zeit war Adalbert<br />
Knoche lange Jahre in kirchlichen<br />
Gremien – hier vor allem in der Eine-<br />
Welt-Arbeit – aber auch in Initiativen<br />
engagiert, außerdem als Siegener<br />
Stadtführer usw. usw. Besondere Anerkennung<br />
verdient seine langjährige<br />
ehrenamtliche Tätigkeit im Weidenauer<br />
St.-Marien-Alten- und Pflegeheim.<br />
Beiläufig erwähnt er dazu: „Das mache<br />
ich nur an drei Tagen in der Woche,<br />
jeweils für eine oder eineinhalb Stunden.“<br />
Adalbert Knoche<br />
Das Alter eines Menschen ist nicht ohne die dazugehörige<br />
Lebensgeschichte zu verstehen. Oft ist (oder war)<br />
diese historischen Abläufen unterworfen, sie hat aber auch<br />
einen familiären und beruflichen Hintergrund. Letztlich<br />
zeigt die Lebensgeschichte eines alten Menschen, welche<br />
Werte ihn getragen haben – vor allem, wenn er diese in der<br />
nachberuflichen und nachfamiliären Lebenszeit ausprägt.<br />
Denn dann beginnt eine neue Freiheitsgeschichte.<br />
Ende November vollendet Adalbert Knoche sein 80. Lebensjahr<br />
- nach einer Bekanntschaft von ca. 35 Jahren<br />
sehe ich ihn jetzt nur noch selten. Aber wenn ich von ihm<br />
höre oder an ihn denke, dann geschieht dies mit großer<br />
Sympathie und Dankbarkeit. Adalbert ist für mich ein<br />
Mensch, dessen gelungenes Altern beispielhaft ist, der die<br />
damit verbundene Aufgabe beherzt und verantwortlich<br />
wahrnimmt. Mit diesem Bild verbinde ich die beste Mischung<br />
aus Menschlichkeit, Humor, Engagementbereitschaft,<br />
Mut und auch Bescheidenheit.<br />
Adalbert Knoche ist seit 51 Jahren verheiratet, Vater<br />
von fünf Kindern und Großvater von acht Enkelkindern.<br />
Immerhin jetzt schon mehr als 16<br />
Jahre. Und der Einsatz summiert sich<br />
in dieser Zeit auf ca. 3.200 Stunden. Kein<br />
Wunder, dass eine sonst sehr schweigsame<br />
Heimbewohnerin ihm sagte: „Herr<br />
Knoche, Sie sind unentbehrlich!“<br />
Das sehe ich auch so.<br />
Erich Kerkhoff<br />
Adalbert Knoche,<br />
der Opa<br />
Immer, wenn ich zu meinen Großeltern<br />
gehe, hat mein Opa schon irgendetwas<br />
mit mir vor. Oft spielen wir miteinander,<br />
manchmal gehen wir auch zum Minigolf. Auf<br />
jeden Fall kommt nie Langeweile auf. Als ich mal das Einmaleins<br />
üben musste, war ich zufällig an diesem Wochenende<br />
bei meinen Großeltern. Ich ging mit meinem Opa<br />
durch den Wald und er fragte mich ab. Zum Ansporn versprach<br />
er mir ein großes Eis, wenn ich das Einmaleins erlernt<br />
hätte. Wir übten während des Spaziergangs, und ich<br />
bekam nachher das Eis. So macht mit meinem Opa sogar<br />
die Schule Spaß.<br />
Christoph Diehl, 14 Jahre<br />
Adalbert Knoche als Kollege<br />
Als ich vor 34 Jahren als junge Kollegin ans Fürst-Johann-Moritz-Gymnasium<br />
kam, war Adalbert Knoche nur<br />
ein Kollege in einem mir unübersehbar groß erscheinenden<br />
Kollegium. Schon bald jedoch lernte ich seine Qualitäten<br />
kennen und schätzen:<br />
Besonders als Fachkollegin in Religion bewunderte ich<br />
ihn für seine Ideen (z. B. besuchte er mit den Religionsgruppen,<br />
mit denen er den Islam im Unterricht be- ➤<br />
16 durchblick 4/<strong>2006</strong>
Alter<br />
sprach, die nahe gelegene Moschee), und ich schmunzelte<br />
über seine manchmal etwas unkonventionellen pädagogischen<br />
Methoden.<br />
Bei den regelmäßigen Treffen unseres Religionslehrerkreises<br />
erlebte ich Adalbert immer als fachkundigen Kollegen,<br />
der die Gespräche oft durch seinen Humor und zugleich<br />
durch seine Ernsthaftigkeit, mit der er sich mit<br />
religiösen und theologischen Fragen auseinandersetzte, bereicherte.<br />
Bei ihm finde ich Menschlichkeit, Ideenreichtum und<br />
einen Sinn für tiefsinnigen Humor, gepaart mit großem sozialem<br />
Engagement, besonders in seiner Kirchengemeinde<br />
St. Joseph.<br />
Helena Kassel<br />
Adalbert Knoche, der Gärtner<br />
Ein steiles Grundstück zum Norden hin – wo andere nur<br />
noch einen Rasen und ein paar Zierpflanzen halten, dort hat<br />
Adalbert Knoche einen großen Gemüsegarten. Von Frühjahr<br />
bis Herbst verbringt er manche Stunde auf den terrassenförmig<br />
angelegten Beeten. Mit Geduld zieht er im<br />
Gewächshaus aus den Samen die unterschiedlichsten Pflanzen.<br />
Sein unermüdlicher Einsatz sorgt für reiches Wachstum<br />
von Salaten und Kohlrabi, Kartoffeln, Tomaten,<br />
Johannis- und Stachelbeeren usw. So ist Frische und Abwechslung<br />
in der Knoche’schen Küche garantiert. Blumen<br />
aller Arten sorgen für Farbenpracht im Garten und auf dem<br />
Wohnzimmertisch. Der gute Kompost, mit Liebe aufgesetzt,<br />
lässt manches zu rekordverdächtiger Größe heranwachsen.<br />
Noch im letzten Jahr waren Knoches Zucchini in<br />
einer hiesigen Lokalzeitung abgebildet, während es in<br />
früheren Jahren einer seiner Kürbisse sogar bis in ein überregionales<br />
Magazin geschafft hat. Diese Erfolge widerlegen<br />
eindrucksvoll den Spruch von den dümmsten Bauern<br />
und den dicksten Kartoffeln … Dorothee Diehl<br />
Adalbert Knoche als<br />
Eine-Welt-Engagierter<br />
Neben anderen war es entscheidend Adalbert Knoche,<br />
der 1972 dafür plädierte, dass die Pfarrgemeinde neben den<br />
großen Kollekten Misereor, Missio und Adveniat sich noch<br />
an einer anderen Stelle engagierte. Dieser Beschluss des<br />
Pfarrgemeinderates von St. Joseph mündete in eine bis heute<br />
bestehende Aktion, verbunden mit den anderen Gemeinden<br />
im Pfarrverband (heute Pastoralverbund)..<br />
Und natürlich war Adalbert Knoche Mitglied im Eine–<br />
Welt-Kreis dieser Gemeindegruppe, die bis heute insgesamt<br />
neun verschiedene Projekte mit einer Summe von ca.<br />
300.000 Euro unterstützt hat.<br />
Adalbert Knoche lag sehr viel daran, zielgerichtet zu arbeiten.<br />
So hat der Eine-Welt-Kreis zusammen mit ihm die<br />
Kriterien formuliert, nach denen immer wieder neue Projekte<br />
vorgeschlagen und ausgewählt wurden, nachdem das<br />
laufende Projekt in den Gemeinden gut bekannt und der zugesagte<br />
Spendenbetrag eingegangen war. Es mussten Projekte<br />
aus den unterschiedlichen Bereichen kirchlicher Arbeit<br />
sein – pastorale, soziale, medizinische Aufgaben, auch<br />
Katastrophenhilfe. Der persönliche Kontakt zuerst über<br />
Briefe, dann auch Besuche waren ihm wichtig für eine<br />
wirkliche partnerschaftliche Beziehung zwischen den Menschen<br />
in den jungen Kirchen und unseren katholischen Gemeinden<br />
hier im Siegerland. Die ausländischen Freunde<br />
waren stets auch bei Familie Knoche zu Besuch.<br />
Bei den Hungermärschen, die der Kreis einmal im Jahr<br />
durchführt, ist A. Knoche noch immer selbst mitgelaufen<br />
und zwar mit einer der längsten Sponsorenlisten. Es geht<br />
aber letztlich nicht um die finanzielle Seite, so wichtig sie<br />
in der Entwicklungshilfe auch sein mag, betonte A. Knoche<br />
bei dieser Arbeit immer wieder: Es ist die tiefe Überzeugung,<br />
dass in der „Einen Welt“ für uns hier in Deutschland<br />
und Europa eine Verantwortung liegt, die wir in<br />
christlichem Geist annehmen und ausfüllen müssen.<br />
Willi Zeumer<br />
Herr Knoche – ehrenamtlicher<br />
Mitarbeiter im Marienheim<br />
Herr Knoche besucht das Marienheim (Alten- und Pflegeheim)<br />
dreimal in der Woche und wir Mitarbeiter können<br />
sagen: „Welch ein Glück!“ Er kommt morgens in den<br />
Wohnbereich III und hilft einigen Bewohnern. Diese freuen<br />
sich sehr, denn Herr Knoche bringt nicht nur das Frühstück,<br />
er bringt auch Zeit für ein Gespräch und viel Geduld<br />
mit. Sehr umsichtig<br />
und einfühlsam sitzt<br />
er eine Weile bei<br />
einzelnen Bewohnern,<br />
reicht ihnen das Essen,<br />
spricht mit ihnen<br />
und hört ihnen zu.<br />
Wo uns die Zeit<br />
davonläuft, findet er<br />
immer noch etwas<br />
davon. Herr Knoche<br />
hat eine jeden einzelnen<br />
Menschen sehr<br />
wertschätzende Art,<br />
die ihm schon so manche<br />
Tür zum Herzen<br />
geöffnet hat. Seine<br />
Gelassenheit und die<br />
Ruhe, die er ausstrahlt,<br />
machen ihn für uns<br />
und für die Bewohner<br />
zu einem wertvollen<br />
und gern gesehenen<br />
Gast.<br />
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durchblick 4/<strong>2006</strong> 17
Siegen<br />
„Fahrt doch in die Oberstadt“<br />
Hübbelbummler: Die rollende Verbindung zwischen Burg und Bär<br />
Ein Riesenvergnügen ist eine Fahrt mit dem nostalgischen Gefährt nicht nur, aber ganz besonders für Kinder.<br />
... Hoch auf dem gelben Wagen erleben begeisterte<br />
Siegener seit Ende September mit kurzer Unterbrechung<br />
ihre Stadt in ganzer Schönheit von oben.<br />
„Das ist wie bei Stadtrundfahrten im Sight-Seeing-Bus“,<br />
sagt eine junge Frau mit hessischem Akzent beim Einstieg<br />
in das attraktive, doppelstöckige Gefährt auf dem Bahnhofsvorplatz.<br />
„Aber dieser Bus mit dem komischen Namen<br />
gefällt mir viel besser.“ Fahrer Horst Kuhn im beinahe historischen,<br />
nostalgischen Kostüm erklärt, was inzwischen<br />
auch Zugereiste begriffen<br />
haben: „Hübbel heißt Berg,<br />
und bummeln muss der Bus<br />
auch, so wie der gebaut ist.“<br />
Vor dem Aufstieg beginnt<br />
unter den herbeigeströmten<br />
Fahrgästen ein sanftes Gedrängel.<br />
Jeder will nach<br />
oben. Das ist so, wie überhaupt<br />
im Leben. Es dauert<br />
ein Weilchen, bis der Schaffner<br />
zur Glocke greift um die<br />
Fahrt einzuläuten. Fahrer<br />
Horst Kuhn mahnt zum Aufbruch. Die Zeiten müssen eingehalten<br />
werden. Wenn das hohe, kastenförmige und nicht<br />
gerade schmalbrüstige Gefährt mit Gegenverkehr konfrontiert<br />
wird, muss präzise manövriert werden. Dann wird es<br />
eng, auch mit der Zeit.<br />
Ganz besonders die Kinder, die ihre Begeisterung hier<br />
lautstark zeigen dürfen, finden die in einem nostalgischen<br />
Heut kommt der Hübbelbus<br />
Freut sich die Miss<br />
Ob-er-aber-übern-Oberstadtbezirk<br />
Oder-aber-übern-Unterstadtbezirk<br />
Oder-aber-überhaupt nicht kommt<br />
Ist nicht gewiss<br />
Faltblatt der VWS angekündigte „Reise in die Vergangenheit“<br />
einfach „super“. Ein Knirps will vom Schaffner wissen,<br />
ob er den Bus auch steuern kann. Nein, das kann er<br />
nicht. Dazu braucht er den Omnibus-Führerschein, aber<br />
den haben zurzeit nur die drei Fahrer und eine blondbezopfte<br />
Fahrerin der VWS, die vorläufig den gelben Wagen<br />
führen. Das Schaffner-Team, zwei Herren und zwei Damen<br />
im schicken, nostalgischen Outfit, haben ihren Job über Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen<br />
bekommen. „Wenn die Sache<br />
so gut weiterläuft, können wir später von der VWS<br />
übernommen werden und<br />
den Schein noch machen“,<br />
erklärt der Schaffner, der<br />
gerade einer mit Taschen<br />
beladenen Frau den Weg zu<br />
einem seitlichen Fensterplatz<br />
bahnt. „Die sind alle<br />
so freundlich und immer<br />
gut gelaunt“, lobt ein älterer<br />
Herr. „Das ist in den normalen<br />
Linienbussen nicht<br />
immer so.“ Aber, dass unter<br />
vielen Zeitgenossen nicht<br />
alle nett sein können, sieht er ein; das sei auch normal.<br />
„Wie lange gibt es Euch und den Bus denn noch?“ Das<br />
möchten zwei Schwestern wissen, die in den Schlosspark<br />
wollen. Fahrer Horst Kuhn klärt auf: „Mich gibt es hoffentlich<br />
noch lange, aber der Bus wird ausgewechselt.“ Der<br />
Name bleibt, so wie die Uniformen und das ganze dazu passende<br />
Ambiente. Was dann kommt, heißt weiter Hüb- ➤<br />
18 durchblick 4/<strong>2006</strong>
Siegen<br />
belbummler und bietet mit stilvoll zeitgenössischer Einrichtung<br />
von anno 1900 ebenfalls nostalgischen Charme,<br />
wie der Doppelstöcker, gepaart mit sehr viel mehr Komfort.<br />
Das war von Anfang an geplant, aber die Lieferung hat<br />
sich verzögert, deshalb der Glücksgriff nach der rollenden<br />
Touristenattraktion, die sonst auf Messen und in Freizeitparks<br />
herumfährt; aber etwas ganz Besonderes ist der<br />
Nachfolger wohl auch.<br />
Bei einer nächsten Fahrt am anderen Tag mit gewechselter<br />
Besatzung steigt eine Japanerin mit den ersten Gästen<br />
ein. Schaffner Roland Brosius spricht mit ihr englisch,<br />
ganz perfekt, aber Hübbelbummler kann er nicht wörtlich<br />
übersetzen. Er ist gern auf Rädern unterwegs. Die erste<br />
Fahrt mit Fahrer Horst Kuhn war voll besetzt, es war Nachmittag,<br />
vormittags sind die Kinder in der Schule. Da ist für<br />
den „durchblick“ noch mehr Zeit für Fragen an die Fahrgäste:<br />
„Wir fahren jetzt nur noch zum Einkaufen“, sagt ein<br />
älteres Ehepaar. „Der Weg hoch hinauf zur Marburger<br />
Straße oder zum Wochenmarkt und dann mit schweren Taschen<br />
zurück, das ging nicht mehr.“<br />
„Na, dann können wir ja bald auf dem Weihnachtsmarkt<br />
am Unteren Schloss eine Runde auf der Eisbahn drehen,<br />
so etwas gibt es doch diesmal da“, neckt sie ihr Mann.<br />
Viele genießen das Vergnügen als reine Rundfahrt mit<br />
toller Aussicht und ganz besonderer Atmosphäre. „Man<br />
meint, man wäre nicht in Siegen, sondern in der Großstadt“,<br />
lautet ein Kommentar, der nicht weiter gedeutet wird. Die<br />
Frage: „Wie lange wird denn der neue Hübbelbummler<br />
bleiben“, verweist Roland der Schaffner an den Vorgesetzten<br />
bei der VWS.<br />
„Geh nicht in die Oberstadt, mach’s wie Deine Brüder“,<br />
diesen Refrain aus einem der frühen Texte des gesellschaftskritischen<br />
Barden und Liedermachers Franz Joseph<br />
Degenhardt könnte, auf Siegen bezogen, aktualisiert werden,<br />
etwa so: „Fahr doch in die Oberstadt, mach’s wie Deine<br />
Brüder; die fahr’n mit dem Hübbelbummler gern und<br />
immer wieder.“ Gern und oft fuhren bereits um 1910 unsere<br />
Vorfahren mit der „elektrischen Oberstadtbahn“ den<br />
Berg rauf und wieder runter. Es war schon ein Glücksgriff<br />
in die vollgepackte Truhe der Siegener Vergangenheit, als<br />
Petra Hof-Jacobs und Horst Kuhn beim Abfertigen der<br />
Fahrgäste.<br />
die Gesellschaft für Stadtmarketing gemeinsam mit den<br />
Verkehrsbetrieben nach einer Denkpause herausholte, was<br />
im Ansatz schon vor vielen Jahren – auch vom durchblick<br />
– ins Gespräch gebracht worden war.<br />
Auf dem informativen Faltprospekt mit Fahrplan, der<br />
beim Fahrer zu haben ist, prangt das Bild des erwarteten<br />
Transportmittels, das demnächst über den Siegberg rollt.<br />
Im Text wird mitgeteilt: „Der Hübbelbummler ähnelt<br />
den berühmten Cable-Cars aus San Franzisko und damit<br />
auch ein wenig der historischen Siegener Oberstadtbahn<br />
von 1910.“ Unser Fotovergleich beweist: Da ist was dran.<br />
Das Projekt ist angerollt. Die Sparkasse und andere<br />
großzügige Sponsoren machten es möglich.<br />
Was jetzt hier passiert, das ist viel mehr, als die Entlastung<br />
für müde Füße. Der vor längerer Zeit gestartete, kurze<br />
Versuch, den „Hübbel“ mit einem ganz normalen Kleinbus<br />
zu erobern, setzte sich nicht durch. Jetzt sieht das<br />
anders aus. Bus und Bürger bummeln nämlich jetzt gemeinsam.<br />
Sie fahren ein Stückchen langsam und gemütlich<br />
bergauf, und die Fahrgäste können auf Kurzstrecken mehrfach<br />
aus- und einsteigen und weiter bummeln. Sie können<br />
die Schaufenster der meist durch Jahre vertrauten, individuell<br />
geprägten Geschäfte der Einzelhändler auf der Fahrt<br />
in breitem Spektrum bewundern und ihr ausgewähltes Ziel<br />
auf kurzer Strecke erreichen. Lohnende Ziele bieten ➤<br />
Die elektrische Oberstadtbahn fuhr<br />
von 1910 bis 1914.<br />
Die „Hübbelbummler-Zwischenlösung“.<br />
So soll die neue Siegener „Oberstadtbahn“<br />
aussehen.<br />
durchblick 4/<strong>2006</strong> 19
Siegen<br />
Unter der Nikolaikirche: Der Marktplatz mit besonderem Flair.<br />
sich in großer Zahl: Das Obere Schloss mit seinen Kostbarkeiten<br />
aus bewahrter Vergangenheit, der Marktplatz mit<br />
besonderem Flair und individuelle kleine Lokale und<br />
Straßencafés oder die angrenzende Altstadtidylle sind da<br />
im Angebot. Die Kultur boomt demnächst im Krönchen-<br />
Center, auf dem historischen Boden, der schon im Mittelalter<br />
Handelszentrum für unsere Vorfahren war. Hier empfiehlt<br />
sich ein Abstecher in reizvolles Neuland: Kurz vor der<br />
Vollendung steht da das Krönchencenter, der neue Treffpunkt<br />
für Bildung und Kultur in der Oberstadt, ein bisschen<br />
so wie bisher das Haus Seel, aber„ein bisschen viel größer“.<br />
Unter anderem gibt es dort für Bildungshungrige bei „KulturSiegen“<br />
Volkshochschule, Stadtarchiv und Stadtbibliothek<br />
mit Lesecafé. Für den Appetit auf Gaumenfreuden<br />
sorgt unter anderem die Firma Dornseifer mit einem<br />
Großangebot an Feinkost. Die Eröffnung des Feinkostgeschäfts<br />
ist schon für Ende November geplant.Von der Marburger<br />
Straße, über Schusswende und Kölner Tor geht die<br />
Fahrt vorbei am „Berliner Bären“ wieder zurück zum Sieg<br />
Carré. Der graue „Beton-Teddy“ ist nach Meinung von drei<br />
Studentinnen „ganz schön hässlich“, aber als Geschenk<br />
„des Partnerbezirks Spandau“ durchaus liebenswert. Am<br />
zentralen Omnibusbahnhof (ZOB) ist beim Abschied vom<br />
Bummlerteam Erfreuliches zu erfahren: „Die meisten kommen<br />
immer wieder. Es gibt schon viele Stammkunden, man<br />
kennt sich inzwischen.“ Da lässt sich nur sagen: „Glück<br />
auf“, auch wenn das zweite Gefährt keine Treppe nach oben<br />
hat. Aufwärts, den Hübbel hoch, geht es auf alle Fälle.<br />
Die Reaktion der Geschäftsleute auf die belebenden<br />
Veränderungen stellt der durchblick nach einer weiteren<br />
Gewöhnungszeit in der nächsten Ausgabe vor.<br />
Kurz notiert ein erster Eindruck: Die Sprecherin der<br />
Marburger Straße, Barbara Zöllner, versichert: „Das Klagelied<br />
über das Veröden der Oberstadt, das öffentlich immer<br />
noch in der Welt ist, hat für uns längst die negative Aussage<br />
verloren. Wir haben mit der Vielzahl der kleinen ➤<br />
Nach dem Ziel befragt, was die Initiatoren bewogen<br />
hat, den Verkehr in der Obertstadt wie einst in der<br />
Vergangenheit wieder aufleben zu lassen, stellte<br />
Betriebsleiter Krumm das Projekt anschaulich vor:<br />
Eine Belebung der Oberstadt mit neuem Anreiz sei<br />
von der VWS und der Gesellschaft für Stadtmarketing<br />
– auch im Hinblick auf die Neugestaltung mit<br />
dem Sieg Carré – als nicht mehr aufschiebbar erkannt<br />
worden. Dabei habe das Vorbild aus der Historie, die<br />
Straße auf den Siegberg befahrbar zu machen, Pate<br />
gestanden. Die wegen Lieferschwierigkeiten eingetretene<br />
Verzögerung habe man mit der doppelstöckigen<br />
Touristenattraktion ausgeglichen, die sofort ihre<br />
Fangemeinde gehabt habe. Mit dem nostalgischen<br />
Ambiente und den Panoramafenstern sei ein anhaltender<br />
Erfolg durch die Zustimmung der Bürger zu<br />
erwarten. Das gelte ebenso für den zweiten, bequemeren<br />
und gleichfalls außergewöhnlichen „Hübbelbummler“,<br />
mit dessen Ankunft demnächst gerechnet<br />
wird.<br />
„Mit dem Personal sind wir sehr zufrieden“, stellte<br />
der Betriebsleiter fest. Die vier als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme<br />
eingestellten Schaffner und Schaffnerinnen<br />
seien im Einführungskurs über Besonderheiten<br />
der Oberstadt informiert worden. Der Zukunftswunsch:<br />
„Wir hoffen sehr, dass wir die Leute<br />
übernehmen können. Wenn das erste Probejahr erfolgreich<br />
beendet ist und die Bürger das Projekt angenommen<br />
haben, dann ist eine Dauer von acht Jahren<br />
angepeilt.“ Die Möglichkeiten der Umschulung<br />
des Schaffner-Teams mit Omnibusführerschein zu<br />
fahren sei schon in Einzelheiten angedacht. Eine Aufstockung<br />
des Personals ist auch ohne Doppelstöcker<br />
geplant. Darauf wird sich eingestellt. Krumm verweist<br />
in diesem Zusammenhang auf Guido Buchborn<br />
vom Modehaus Schulze in Bürbach. Der Leiter der<br />
Herrenmode-Abteilung sorgt im Auftrag des nun<br />
auch im Sieg Carré eröffneten Geschäfts für den weiteren<br />
Bestand des schmuckhaften Outfits der Bummler-<br />
Belegschaft. Alle Kostüme wurden von ihm selbst<br />
entworfen, angelehnt an preußische Vorbilder und<br />
auch auf Damenmaß zugeschnitten.<br />
Krumm<br />
20 durchblick 4/<strong>2006</strong>
Siegen<br />
und weitgehend alteingesessenen Fachgeschäfte wieder ein<br />
Stammpublikum.“ Der Auszug vieler Einzelhändler in die<br />
Unterstadt habe dazu geführt, dass Befürchtungen zunächst<br />
berechtigt schienen. Das sei vorbei. Dazu erklärt Harald<br />
Hahn, Geschäftsführer der Immobilien- und Standortgemeinschaft<br />
Oberstadt (ISG): „Nach der Eröffnung der City-<br />
Galerie hatten wir zunächst etwa 35 Leerstände. Jetzt stehen<br />
noch fünf Läden leer, und wir können uns über neue<br />
und ins Bild passende Zuzüge freuen.“<br />
Das Lied von der sterbenden Oberstadt hat auch für den<br />
ISG-Geschäftsführer keine Gültigkeit mehr. Der Frust beim<br />
Start der City-Galerie scheint endgültig überwunden und<br />
die zahlreichen Attraktionen mit dem Krönchen-Center,<br />
dem Weihnachtsmarkt am Unteren Schloss und vielen umgesetzten<br />
neuen Ideen stimmen weiterhin positiv.<br />
Der Hübbelbummler wird von Frank Nowak vom „Vinum“<br />
als „Vorzeige-Werbekampagne“, aber doch mit Sympathie<br />
betrachtet. Viele nutzen die Chance, für einen Euro<br />
ihre Ziele schneller, bequemer und unterhaltsamer zu erreichen,<br />
als bisher zu Fuß oder mit dem eigenen Wagen und<br />
vorprogrammierten Parkplatzproblemen. Die neue Siegener<br />
Oberstadtbahn, die vermutlich für lange Zeit vor den<br />
Fenstern der Geschäfte am „Hübbel“ auf sich aufmerksam<br />
macht, wird bald ein rollender Bestandteil zwischen Nassauer<br />
Burg und Berliner Bär werden.<br />
Maria Anspach<br />
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durchblick 4/<strong>2006</strong> 21
Geschichten<br />
Der Reiter und der Bodensee<br />
(Die Fußgängerin und die Obernautalsperre)<br />
Die Obernautalsperre, ein Paradies für Spaziergänger.<br />
Ich sitze da und schaue auf meine Terrasse. Melancholie<br />
trübt meinen Blick. Meine Hortensien zeigen morbide<br />
Farben und Formen – sie werden sich durch nichts Blühendes<br />
mehr ersetzen lassen – mein Bambus ringt mit der Entscheidung,<br />
ob er weiterleben oder sich ergeben soll. Das<br />
unbeschreibliche Farbenspiel des Herbstes gehört vorerst<br />
der Vergangenheit an, der große Teil des Laubes modert in<br />
einem hässlichen Braun zu meinen Füßen. Tote Natur, oberflächlich<br />
gesehen.<br />
Zwangsläufig eilen meine Gedanken voraus, dem Winter<br />
entgegen. Je älter ich werde, um so drohender baut sich<br />
dieser unerbittliche Geselle vor mir auf. Ich spüre schon<br />
seine Kälte und beginne zu frösteln.<br />
„Als ich noch im Flügelkleide“ habe ich den Winter geliebt,<br />
den Schisport in vollen Zügen genossen. Vielleicht<br />
hat sich an meinen Empfindungen etwas verändert, weil<br />
ich, die ich mich schon im Herbst meines Lebens befinde,<br />
meinen eigenen Winter näherkommen sehe.<br />
Er nimmt mir das Gefühl der körperlichen und geistigen<br />
Freiheit. Die luftigen Kleider werden eingemottet. Das<br />
Gewicht des schweren Wintermantels lastet schon auf meinen<br />
Schultern, ich fühle mich gefangen. Die Füße in Stiefel<br />
gezwängt, die Hände tief in den Taschen vergraben.<br />
Sonne war schon immer mein Lebenselexier, ich habe<br />
Zeit „verschwendet“, um in ihr zu sein: Sie hat schon auch<br />
für mich eine erotische Komponente. Ich habe mich meistens<br />
im Sommer verliebt, und auch der ganz großen Liebe<br />
meines Lebens begegnete ich in der warmen Jahreszeit.<br />
Der November ist oft Vorgeplänkel des dräuenden Winters.<br />
Ich erinnere mich an einen ungewöhnlich warmen<br />
Sonnentag. Es lag schon Schnee. Eine Freundin war umgezogen<br />
und wollte ihren Einzug in ihre neue Wohnung feierlich<br />
mit mir begehen. Wir saßen bei Kaffee und Kuchen<br />
am festlich gedeckten Tisch, auf dem auch eine Kerze nicht<br />
fehlen durfte. Sie trug dort, wo sie in den Leuchter mündet,<br />
ein Kränzchen aus Kunststoff, ein begehrtes Accessoir in<br />
der damaligen Zeit. Ich schlug einen Spaziergang an die<br />
Obernau vor, meine Freundin zierte sich, sie läuft nicht gerne,<br />
willigte aber ein. Unsere Füße stampften durch den sich<br />
in Auflösung befindlichen Schnee. Es gibt die kleine und<br />
die große Runde, die man drehen kann. Sie wollte sich<br />
drücken und den kürzeren Weg einschlagen. Ich bestand auf<br />
der erweiterten Version.<br />
Wir hatten etwa die Hälfte der 10 km langen Strecke<br />
zurückgelegt, als sie abrupt stehen blieb, die Hand aufs<br />
Herz gepresst, und mit versagender Stimme die bange Frage<br />
an mich stellte: „Hast du die Kerze gelöscht?“ Ich konnte<br />
mich nicht an eine derartige Handlung meinerseits erinnern.<br />
Sie wusste genau, dass sie es nicht getan hatte. Uns<br />
war der Kerzenschimmer bei dem hellen Sonnenschein<br />
nicht aufgefallen. Sie stöhnte und jammerte: „Jetzt brennt<br />
die Wohnung ab, das ganze Haus, und ich bin gerade ➤<br />
22 durchblick 4/<strong>2006</strong>
Geschichten<br />
Der Reiter und der Bodensee<br />
Von Gustav Schwab<br />
Der Reiter reitet durchs helle Tal<br />
Auf Schneefeld schimmert der Sonne Strahl.<br />
Er trabet im Schweiß durch den kalten Schnee.<br />
Er will noch heut an den Bodensee.<br />
Noch heut mit dem Pferd in den sicheren Kahn,<br />
will drüben landen vor Nacht noch an.<br />
Auf schlimmem Weg über Dorn und Stein,<br />
er braust auf rüstigem Ross feldein.<br />
Aus den Bergen heraus, ins ebene Land,<br />
das sieht er den Schnee sich dehnen wie Sand.<br />
Weit hinter ihm schwinden Dorf und Stadt,<br />
der Weg wird eben, die Bahn wird glatt.<br />
In weiter Fläche kein Bühl, kein Haus,<br />
die Bäume gingen, die Felsen, aus.<br />
So fliegt er hin, eine Meil und zwei,<br />
er hört in den Lüften der Schneegans Schrei,<br />
es flattert das Wasserhuhn empor,<br />
nicht andern Laut vernimmt sein Ohr,<br />
kein Wandersmann sein Auge schaut,<br />
der ihm den rechten Pfad vertraut.<br />
Fort geht’s, wie auf Samt, auf dem weichen Schnee,<br />
wann rauscht das Wasser, wann glänzt der See?<br />
Da bricht der Abend, der frühe, herein,<br />
von Lichtern blinket ein ferner Schein.<br />
Es hebt aus dem Nebel sich Baum an Baum,<br />
und Hügel schließen den weiten Raum.<br />
Er spürt auf dem Boden Stein und Dorn,<br />
dem Rosse gibt er den scharfen Sporn.<br />
Und Hunde bellen empor am Pferd,<br />
und es winkt im Dorf ihm der warme Herd.<br />
Die Maid, sie staunet den Reiter an:<br />
„Der See liegt hinter dir und der Kahn,<br />
und deckt ihn die Rinde von Eis nicht zu,<br />
ich spräch, aus dem Nachen stiegest du.“<br />
Der Fremde schaudert, er atmet schwer:<br />
„Dort hinten die Ebene, die ritt ich her!“<br />
Da recket die Magd die Arm in die Höh:<br />
„Herr Gott, so rittest du über den See!<br />
An den Schlund, an die Tiefe bodenlos,<br />
hat gepocht des rasenden Hufes Stoß!<br />
Und unter dir zürnten die Wasser nicht,<br />
nicht krachte hinunter die Rinde dicht?<br />
Und du wurdest nicht die Speise der stummen Brut?<br />
Der hungrigen Hecht‘ in der kalten Flut?“<br />
Sie rufet das Dorf herbei zu der Mär,<br />
es stellten die Knaben sich um ihn her,<br />
die Mütter, die Greise, sie sammeln sich:<br />
„Glückseliger Mann, ja segne dich!<br />
Herein zum Ofen, zum dampfenden Tisch,<br />
brich mit uns das Brot und iss vom Fisch!“<br />
Der Reiter erstarret auf seinem Pferd,<br />
er hat nur das erste Wort gehört.<br />
Es stocket sein Herz, es sträubt sich sein Haar,<br />
dicht hinter ihm grinst noch die grause Gefahr.<br />
Es sieht sein Blick nur den grässlichen Schlund,<br />
sein Geist versinkt in den schwarzen Grund.<br />
Im Ohr ihm donnerts wie krachend Eis,<br />
wie die Well umrieselt ihn kalter Schweiß.<br />
Da seufzt er, da sinkt er vom Roß herab,<br />
da ward ihm am Ufer ein trockenes Grab.<br />
„Willkommen am Fenster, Mägdelein,<br />
an den See, an den See, wie weit mags sein?“<br />
durchblick 4/<strong>2006</strong> 23
Geschichten<br />
erst dort eingezogen. Oh, mein Herz, mein Herz!“ Die Dramatik<br />
des Augenblicks erschloss sich mir erst ganz allmählich.<br />
Ich versuchte, zu beruhigen: „Üblicherweise brennt<br />
die Kerze doch nieder und erlischt.“ Sie konterte: „Aber das<br />
Kränzchen, das Kränzchen“, – der Blick- und Flammenfang.<br />
Die Tragikomik der Situation war durch nichts zu überbieten.<br />
Hier ein Mensch, zur Salzsäule erstarrt, von dem ich<br />
nicht wusste, ob er diesen Tag überleben würde oder nicht,<br />
dort die Flammen, die aus dem Dachstuhl züngelten. Was<br />
tun? Ihr Jammern wurde eindringlicher, keine menschliche<br />
Seele außer uns weit und breit. Ich<br />
kannte sie schon lange und musste die<br />
Situation abschätzen. Herzbeschwerden<br />
hatte sie vorher noch nie geäußert.<br />
Ich traf meine Entscheidung. Am Ausgangspunkt<br />
unserer verhängnisvollen<br />
Wanderung gab es ein Restaurant. Ich<br />
hätte telefonieren können, doch sie vertraute<br />
mir noch an, dass keiner ihrer<br />
Söhne an dem Tag zu erreichen war.<br />
Ich startete den Lauf meines Lebens<br />
als Mittler zwischen zwei Welten, im<br />
Verbund mit tausend Unwägbarkeiten.<br />
Weniger zünftig gekleidet als elegant,<br />
versuchte ich, auf glatter Bahn, die<br />
restliche Strecke zurückzulegen. Eine Ballade tauchte entfernt<br />
in meiner Erinnerung auf: „Der Reiter und der Bodensee“,<br />
von Gustav Schwab. Der Text war mir nicht mehr<br />
so recht geläufig. Dennoch spürte ich noch recht deutlich<br />
die ihr innewohnende Dramatik, die meiner eigenen Situation<br />
so ähnlich war.<br />
Ob der sengenden Sonne war ich innerhalb kürzester<br />
Zeit in Schweiß gebadet. Den Spaziergängern, denen ich<br />
vereinzelt begegnete und die, im Vergleich zu mir, den Eindruck<br />
machten, als würden sie sich nur die Füße vertreten,<br />
muss ich wie eine Erscheinung vorgekommen sein. Ich flog<br />
und floh dahin und erinnerte sicherlich an eine der früheren<br />
Souffragetten, die ich von alten Werbeplakaten kenne.<br />
Die Bäume, die ich streifte, schienen mich zu verhöhnen.<br />
Ein Hotelbrand schlich sich in meine Gedanken, den ich<br />
vor langen Jahren auf Korsika durchlebte. Auch hier war<br />
Kunststoff der fatale Zünder. Ein Kurzschluss an einem<br />
Kabel im Flur hatte die Plastikverkleidung der Wände entflammt.<br />
Der daraus resultierende Schwelbrand machte es<br />
unmöglich, das Zimmer mittels Tür zu verlassen. Ich stand<br />
hinter dem schweren Store des Fensters und wartete in Todesangst<br />
auf die Feuerwehr. Es dauerte, da sie zuerst vor<br />
dem Gebäude ihre Leitern anlegten, bis sie begriffen, dass<br />
der Hotelbrand sich im hinteren Gebäude des Hotels abspielte.<br />
Ich erreichte mein am Start geparktes Auto und fuhr in<br />
Richtung Geisweid. Dank der fast täglichen dramatischen<br />
Abläufe während meines beruflichen Daseins war ich sehr<br />
gefasst. Ich tat, was ich konnte.<br />
Als ich mich dem Domizil näherte, meinen durchdringenden<br />
Blick in die Ferne gebohrt, bot sich mir kein Flammenmeer<br />
dar. Ich verspürte Erleichterung und stürzte nach<br />
oben. Die Wohnungstür zierte eine Glasscheibe und ich erkannte,<br />
dass die Flamme der Kerze sich besagtem Kränzchen<br />
gefährlich näherte. Diesen Teil der Katastrophe vermochte<br />
ich abzuwenden. Aber was war mit der drohenden<br />
Ohnmacht an den Ufern der Obernau. Das Telefon klingelte.<br />
Es war meine Freundin. Sie hatte den sicheren Hafen<br />
in Gestalt des Restaurants erreicht. Ich glaube, sie hat<br />
in ihrer Wohnung nie wieder eine Kerze angezündet.<br />
Erika Krumm<br />
24 durchblick 4/<strong>2006</strong>
Geschichten<br />
Der Reiter und der Bodensee<br />
Von Gustav Schwab<br />
Der Reiter reitet durchs helle Tal<br />
Auf Schneefeld schimmert der Sonne Strahl.<br />
Er trabet im Schweiß durch den kalten Schnee.<br />
Er will noch heut an den Bodensee.<br />
Noch heut mit dem Pferd in den sicheren Kahn,<br />
will drüben landen vor Nacht noch an.<br />
Auf schlimmem Weg über Dorn und Stein,<br />
er braust auf rüstigem Ross feldein.<br />
Aus den Bergen heraus, ins ebene Land,<br />
das sieht er den Schnee sich dehnen wie Sand.<br />
Weit hinter ihm schwinden Dorf und Stadt,<br />
der Weg wird eben, die Bahn wird glatt.<br />
In weiter Fläche kein Bühl, kein Haus,<br />
die Bäume gingen, die Felsen, aus.<br />
So fliegt er hin, eine Meil und zwei,<br />
er hört in den Lüften der Schneegans Schrei,<br />
es flattert das Wasserhuhn empor,<br />
nicht andern Laut vernimmt sein Ohr,<br />
kein Wandersmann sein Auge schaut,<br />
der ihm den rechten Pfad vertraut.<br />
Fort geht’s, wie auf Samt, auf dem weichen Schnee,<br />
wann rauscht das Wasser, wann glänzt der See?<br />
Da bricht der Abend, der frühe, herein,<br />
von Lichtern blinket ein ferner Schein.<br />
Es hebt aus dem Nebel sich Baum an Baum,<br />
und Hügel schließen den weiten Raum.<br />
Er spürt auf dem Boden Stein und Dorn,<br />
dem Rosse gibt er den scharfen Sporn.<br />
Und Hunde bellen empor am Pferd,<br />
und es winkt im Dorf ihm der warme Herd.<br />
Die Maid, sie staunet den Reiter an:<br />
„Der See liegt hinter dir und der Kahn,<br />
und deckt ihn die Rinde von Eis nicht zu,<br />
ich spräch, aus dem Nachen stiegest du.“<br />
Der Fremde schaudert, er atmet schwer:<br />
„Dort hinten die Ebene, die ritt ich her!“<br />
Da recket die Magd die Arm in die Höh:<br />
„Herr Gott, so rittest du über den See!<br />
An den Schlund, an die Tiefe bodenlos,<br />
hat gepocht des rasenden Hufes Stoß!<br />
Und unter dir zürnten die Wasser nicht,<br />
nicht krachte hinunter die Rinde dicht?<br />
Und du wurdest nicht die Speise der stummen Brut?<br />
Der hungrigen Hecht‘ in der kalten Flut?“<br />
Sie rufet das Dorf herbei zu der Mär,<br />
es stellten die Knaben sich um ihn her,<br />
die Mütter, die Greise, sie sammeln sich:<br />
„Glückseliger Mann, ja segne dich!<br />
Herein zum Ofen, zum dampfenden Tisch,<br />
brich mit uns das Brot und iss vom Fisch!“<br />
Der Reiter erstarret auf seinem Pferd,<br />
er hat nur das erste Wort gehört.<br />
Es stocket sein Herz, es sträubt sich sein Haar,<br />
dicht hinter ihm grinst noch die grause Gefahr.<br />
Es sieht sein Blick nur den grässlichen Schlund,<br />
sein Geist versinkt in den schwarzen Grund.<br />
Im Ohr ihm donnerts wie krachend Eis,<br />
wie die Well umrieselt ihn kalter Schweiß.<br />
Da seufzt er, da sinkt er vom Roß herab,<br />
da ward ihm am Ufer ein trockenes Grab.<br />
„Willkommen am Fenster, Mägdelein,<br />
an den See, an den See, wie weit mags sein?“<br />
durchblick 4/<strong>2006</strong> 23
Gesellschaft<br />
Wir sind verpflichtet,<br />
uns für die strukturellen<br />
Veränderungen<br />
einzusetzen, die<br />
einem gerechten und<br />
menschlicherem Leben<br />
den Weg ebnen.<br />
Ungerechte soziale<br />
Strukturen sind die<br />
Wurzel aller Gewalt.<br />
Oscar Romero<br />
Der etwas andere Laden<br />
(nicht reden – fair handeln)<br />
Seit neun Jahren<br />
engagiere ich mich im<br />
Eine-Welt-Laden – St.<br />
Michael, in Siegen. Ich<br />
betrachte es nach wie<br />
vor als eine sinnvolle<br />
Aufgabe und fühle mich<br />
sehr wohl und gut aufgehoben<br />
in einem Team<br />
von etwa 16 ehrenamtlichen<br />
Mitarbeitern. Noch immer beeindruckt mich der hohe<br />
Einsatz, die Motivation, der fürsorgliche Umgang mit<br />
den Mitmenschen, der Umwelt und mit ihren eigenen finanziellen<br />
Ressourcen. Sie sind mir Weggefährten.<br />
Neben dem Verkauf von Lebensmitteln, Lederwaren, Schmuck und Holzspielzeug, steht im<br />
Eine-Welt-Laden – St. Michael auch eine Bücher- und Medienausleihe zur Verfügung<br />
Es stehen uns angenehme Räumlichkeiten zur Verfügung,<br />
die in die St.-Michaels-Kirche integriert sind.<br />
Unsere Buch- und Medienausleihe ist sensationell bestückt.<br />
Sie umfasst alle Bereiche der Eine-Welt-Thematik:<br />
Fairer Handel, Kinder in der Welt, Frieden und Gerechtigkeit,<br />
Globalisierung.<br />
Es stehen Videos, Dias, CD’s, DVD’s zur Verfügung.<br />
Ein gemütlicher Leseraum lädt zum Verweilen ein. Das<br />
Ausleihen der Materialien ist kostenlos.<br />
Was machen wir?<br />
Faire Produkte verkaufen, Projekte aufbauen und<br />
begleiten. Mit Öffentlichkeitsarbeit über den fairen Handel<br />
informieren, Unterrichts- und Internetmaterialien bereitstellen.<br />
Was wollen wir?<br />
Mit Informations- und Bildungsarbeit die Sensibilität<br />
für bestehende ungerechte Verhältnisse verstärken, Partnerschaften<br />
fördern, die dazu beitragen, dass beide Partner<br />
die Lebenssituation, die Kultur und die Wertevorstellungen<br />
des jeweils anderen besser verstehen und dass sie voneinander<br />
lernen.<br />
Welches sind unsere Produkte?<br />
Honig, Kaffee, Tee, Wein, Brotaufstrich in reichhaltiger<br />
Auswahl – aus exotischen Ländern – mit speziellem Aroma<br />
und Geschmack, Musikinstrumente, Holzspielzeug, Lederwaren,<br />
echter Schmuck, Kinderbücher, eine aparte Auswahl<br />
an Papierwaren.<br />
In der Vorweihnachtszeit: Kalender „Der andere Advent“,<br />
Bio-Adventskalender mit Schoko-Spekulatius, Bio-<br />
Nikoläuse und Bio-Weihnachtsmänner.<br />
Die Produkte der Entwicklungsländer sind nicht zum<br />
Schnäppchenpreis zu haben. Aber ist Geiz auch geil, wenn<br />
es um die Not in der Welt geht?<br />
Unsere Einkäufe tätigen wir bei der Gepa, der Gesellschaft<br />
zur Förderung der Partnerschaft mit der sogenannten<br />
Dritten Welt. Diese GmbH hat sich dem fairen Handel<br />
verpflichtet. Kriterien des fairen Handels sind:<br />
Arbeitsrechtliche und ökologische Mindeststandards,<br />
Verbot der Zwangs- und Kinderarbeit, Gesunde Arbeitsbedingungen,<br />
Demokratisch kontrollierte Organisationen,<br />
Unabhängige Gewerkschaften, Gewährung von Sozialleistungen.<br />
Die Gepa fördert dies durch Zahlung fester Preise,<br />
Beratung bei der Produktentwicklung, Aufbau von langfristigen<br />
Handelsbeziehungen, Förderung ökologischer<br />
Produktionsmethoden.<br />
Schauen sie einfach mal vorbei. Sie werden von reizenden<br />
Menschen empfangen und beraten:<br />
montags bis freitags von 16.30–18.30<br />
sonntags nach dem Gottesdienst in der St.-Michaels-<br />
Kirche. Oder, vielleicht, hätten sie sogar Lust, in unserem<br />
Team mitzuwirken?<br />
Erika Krumm<br />
durchblick 4/<strong>2006</strong> 25
Wie alles begann<br />
Seinen Anfang nahm alles bei einer Routineuntersuchung<br />
im Krankenhaus und der Aussage des Professors:<br />
„Sie müssen operiert werden, Frau Freundt. Ihr Aneurysma<br />
an der Aorta hat sich vergrößert und es besteht die Gefahr,<br />
dass es reißt und sie innerlich verbluten. Ich habe sie<br />
bereits kurzfristig in Bad Oeynhausen zur Operation angemeldet.“<br />
Annette, meine Frau, die vor zweieinhalb Jahren einen<br />
Herzinfarkt erlitten hatte, und ich, wussten von dieser Erweiterung<br />
der Hauptschlagader unmittelbar am Herzen.<br />
Aber, so alle bisherigen ärztlichen Aussagen, bestand kein<br />
Grund zu Besorgnis, solange sich dieses Aneurysma nicht<br />
weiter ausdehnt. Warum sollte es auch? Der Blutdruck ist<br />
normal, der Alltag auch. Keine besonderen Vorkommnisse.<br />
Die regelmäßig durchgeführten Kontrolluntersuchungen<br />
bestätigten dies. Alles im grünen Bereich. Der Alltagstrott<br />
kann weitergehen wie bisher nach jeder Kontrolle.<br />
So dachten wir. Ein großer Irrtum. Diesmal kam alles anders.<br />
Das, was wir beide bisher gut verdrängt glaubten, jeder<br />
für sich aber unausgesprochen wohl doch immer schon<br />
befürchtet hatte, war plötzlich eingetreten. Eine nicht ganz<br />
ungefährliche Herzoperation, bei der der ausgedehnte und<br />
beschädigte Teil der Aorta herausgeschnitten und durch ein<br />
Kunststoffteil ersetzt wird, war<br />
nun unumgänglich. Mit diesem<br />
Tatbestand konfrontiert, gerieten<br />
wir in einen, in unserer Ehe<br />
bisher nicht erprobten Ausnahmezustand<br />
und die Gefühle begannen<br />
mit uns Achterbahn zu<br />
fahren und bewegten sich zwischen<br />
Zuversicht und Niedergeschlagenheit.<br />
Nachstehend der<br />
Versuch, diese ungewollte, nicht<br />
alltägliche Grenzerfahrung in<br />
ihren einzelnen Phasen ein wenig<br />
nachzuzeichnen.<br />
Phase 1 – Rege<br />
Betriebsamkeit<br />
Nach der Auflösung eines<br />
schockähnlichen Zustandes und<br />
der Erkenntnis, dass wohl kein<br />
Weg an dieser Operation vorbeiführt,<br />
es sei denn, wir riskieren<br />
ihr Leben, entwickelte meine<br />
Frau eine rege Betriebsamkeit.<br />
Was musste, aus ihrer Sicht, vor<br />
so einer großen Operation nicht<br />
alles bedacht und noch erledigt<br />
werden. Man weiß ja nie. Also,<br />
Gesundheit<br />
Auf einmal ist der Alltag Nebensache<br />
Wenn der Lebenspartner plötzlich schlapp macht<br />
Während der Zeit der Operation und des Wartens<br />
sah ich diesen Baum im Kurpark. Auch bei ihm war<br />
ein Eingriff notwendig, damit der Lebenssaft weiter<br />
in ihm fließen konnte.<br />
ein Plan musste her, in dem alles notiert wurde, was vorher<br />
noch zu tun war. Alles wurde durchforstet. Angefangen bei<br />
notwendigen Haushaltsaufgaben, über die Gartenpflege,<br />
bis hin zu der Frage: Und wer versorgt eigentlich den großen<br />
Hund, die uns zugelaufene Katze und die „Liebeskummer-<br />
Hasen“, ein Überbleibsel unserer jüngsten Tochter, bevor<br />
sie auszog. Alle erforderlichen Aufgaben und Pflichten<br />
wurden gleichmäßig auf die Familienmitglieder verteilt,<br />
die, und dies erwies sich jetzt als Vorteil, alle in Siegen und<br />
Umgebung wohnen. Neben diesen haushalterischen Aufgaben<br />
wurden aber auch ihre „Nebentätigkeiten“ und ehrenamtlichen<br />
Aufgaben auf ihren Istzustand überprüft und,<br />
falls erforderlich, auf einen aktuellen Stand gebracht. Sie<br />
telefonierte mit Gott und der Welt, saß stundenlang an<br />
ihrem PC, buchte noch nicht erfasste Belege in unterschiedlichen<br />
Buchführungen und erstellte Steuererklärungen.<br />
Dem Finanzamt wurde auch noch ein Besuch abgestattet.<br />
Es gab viel zu tun, die Zeit wurde knapp. Der Tag<br />
der Abreise rückte immer näher, die innere Unruhe wuchs<br />
und mit ihr die Angst.<br />
Angst, wovor? Jetzt, nachdem die Operation glücklich<br />
überstanden ist, gesteht mir meine Frau, sie hatte große<br />
Angst, sie würde „alles“ nie mehr wiedersehen. Ihre große<br />
Familie, ihre Kinder und Enkelkinder, ihren schönen Garten,<br />
die Tiere, Freunde und Bekannte,<br />
all das eben, was ihr<br />
wichtig und wertvoll ist und<br />
ihrem Leben einen Sinn gibt.<br />
Natürlich auch mich. Sie hatte,<br />
unbemerkt von mir, heimlich<br />
Abschied genommen von „allem<br />
und allen“.<br />
Ich selbst unterstützte meine<br />
Frau in ihren Aktivitäten, so gut<br />
ich konnte. Meine Sorge um sie<br />
versuchte ich auf eine andere<br />
Art zu bewältigen. Information<br />
ist alles, dachte ich. Also habe<br />
ich im Internet recherchiert und<br />
mich ausführlich über die Methoden<br />
und Risiken der anstehenden<br />
Operation informiert.<br />
Auch über die Klinik selbst und<br />
den von ihr veröffentlichten<br />
Qualitäts- und Leistungskatalog.<br />
Was ich dort alles erfuhr, war<br />
alles andere als aufbauend und<br />
steigerte nicht gerade meine Zuversicht.<br />
Was bei so einer Operation<br />
nicht alles passieren kann.<br />
Ach du meine Güte. Da ➤<br />
26 durchblick 4/<strong>2006</strong>
kann einem ja Angst und Bange werden. Nur nichts meiner<br />
Frau sagen. Was sie nicht weiß, macht sie nicht heiß, lautete<br />
meine Devise ihr gegenüber. Sie hatte sich, seit sie von<br />
der Notwendigkeit der Operation wusste, in meinen Augen<br />
ohnehin schon etwas verändert. Trotz ihrer regen Betriebsamkeit<br />
wirkte sie irgendwie nachdenklicher und stiller als<br />
sonst. Ich beobachtete sie, wie sie des Öfteren in sich versunken<br />
und allein auf ihrem Lieblingsplatz unserer Terrasse<br />
saß. Heute weiß ich warum.<br />
Phase 2 – Abschied von zu Hause<br />
Beide versuchten wir, die Zunahme der inneren Anspannung<br />
dem anderen gegenüber nicht anmerken zu lassen.<br />
Letzte Reisevorbereitungen wurden getroffen. Reisevorbereitungen<br />
der besonderen Art, wie ich feststellte, denn<br />
es ist ja schon ein Unterschied, ob ich einen bunten Urlaubskoffer<br />
oder einen tristen Krankenhauskoffer packe.<br />
Da ich mich entschlossen hatte, während der Zeit des Krankenhausaufenthaltes<br />
bei meiner<br />
Frau in Bad Oeynhausen zu<br />
bleiben, musste noch ein geeignetes<br />
Quartier gefunden werden.<br />
Schließlich waren alle Vorbereitungen<br />
getroffen, der Tag<br />
der Abreise, es war ein Freitag,<br />
war gekommen. Tags zuvor hatten unsere Kinder noch ein<br />
gemeinsames „Abschiedskaffeetrinken“ auf unserer Terrasse<br />
organisiert. Es konnte losgehen. Mit vielen guten<br />
Wünschen im Gepäck und gestärkt durch die Gewissheit,<br />
dass uns viele fürsorgliche Gedanken und fürsprechende<br />
Gebete der Familie, unserer Freunde, Bekannten und Nachbarn<br />
begleiten, fuhren wir los. Während der Fahrt spürten<br />
wir, wie die Gefühlsspannung weiter wuchs. Jetzt, nachdem<br />
alle Vorbereitungen abgeschlossen und keine ablenkenden<br />
Tätigkeiten mehr zu erledigen waren, fokussierten sich unsere<br />
Gedanken mehr und mehr auf die bevorstehende Operation.<br />
Ganz besonders bei meiner Frau. Sie saß still neben<br />
mir. Ihr Blick war, fast starr, nur nach vorne gerichtet. Nicht<br />
wie sonst üblich, lebhaft und mit erklärenden Kommentaren<br />
versehen auf die an uns vorübereilende Landschaft. Es<br />
schien, als habe sie ihre äußere Wahrnehmung bewusst eingeschränkt,<br />
sich „Scheuklappen“ aufgesetzt und die Einstellung<br />
eingenommen, wenn denn diese Operation schon<br />
sein muss, dann bitte schön so schnell wie möglich. Am besten<br />
morgen schon, dann hab ich’s hinter mir. Einfach Augen<br />
zu und durch. Als wenn das so einfach wäre. Schließlicht<br />
können wir in solch schwierigen Situationen unsere<br />
von Angst durchtränkten Gedanken nicht einfach ausschalten<br />
wie das Licht einer Lampe mit einem Lichtschalter.<br />
Wie heißt es so treffend in einem alten Volkslied: „Die<br />
Gedanken sind frei, wer kann sie erhaschen, sie fliegen vorbei<br />
wie nächtliche Schatten …“<br />
Phase 3 – Aufnahme in der Klinik<br />
In der Klinik angekommen, durchliefen wir die übliche<br />
Prozedur einer Anmeldung: zuerst langes Warten und<br />
Gesundheit<br />
Angst, „alles“ nie mehr<br />
wiederzusehen<br />
anschließend viele Formulare unterschreiben. Ein „Zivi“<br />
führte uns auf die Station mit dem urlaubsträchtigen Namen<br />
„Toskana“. Dort hingen wunderschöne Bilder und<br />
Gemälde aus der Toskana. Sicherlich haben sich die Verantwortlichen<br />
bei der Namensgebung etwas gedacht, denn<br />
jedes Zimmer hat neben einer Zimmernummer zusätzlich<br />
den klangvollen Namen eines toskanischen Urlaubsortes.<br />
Meine Frau bekam das Zimmer „Viareggio“, der Name einer<br />
Hafenstadt, die in den Reiseführern als größtes Seebad<br />
und Perle der Versilia bezeichnet wird, eine italienische<br />
Küstenlandschaft am Fuß der dem Apennin vorgelagerten<br />
Apuanischen Alpen. Ein wunderschöner Urlaubsort. Nur<br />
leider hatten wir so gar keine Urlaubsstimmung.<br />
Nachdem wir die Koffer ausgepackt und das „Viareggio“<br />
so gemütlich wie eben möglich eingerichtet hatten,<br />
setzten wir uns auf die zum Zimmer gehörige kleine Terrasse<br />
und warteten auf die Dinge, die da kommen würden.<br />
Und sie kamen – und das nicht zu<br />
knapp. Zunächst bekamen wir<br />
die Information, dass meine Frau<br />
nur bis zum Operationstag in<br />
diesem Zimmer bleiben könne,<br />
mit der Begründung, dass während<br />
des Operationstages und<br />
dem anschließenden Aufenthalt auf der Intensivstation die<br />
Zimmer nicht unbenutzt bleiben dürften. Optimierung der<br />
Zimmerbelegung nennt man das wohl. Während für meine<br />
Frau die ersten Untersuchungen anstanden, suchte ich mein<br />
eigenes Quartier in Bad Oeynhausen auf. Es war eine Privatpension<br />
direkt am Kurpark gelegen, ca. 2 km von der<br />
Klinik entfernt. Für mich als guter Fußgänger kein Problem,<br />
obwohl es Tage gab, an denen ich bis zu 15 km Wegstrecke<br />
zurückgelegt habe.<br />
Es war später Nachmittag. Alle Voruntersuchungen waren<br />
für diesen Tag abgeschlossen.<br />
Die Unterlagen und Formulare, die wir bei der Anmeldung<br />
und beim Eintreffen auf der Station bekommen hatten,<br />
lagen auf dem Tisch. Wir lasen alle Informationen ausführlich<br />
durch. Angefangen bei der Bedienung des Telefons<br />
und des Fernsehapparates bis hin zur Benutzung der hauseigenen<br />
Bibliothek. Noch vor meiner Frau las ich das über<br />
6-seitige gelbe Informationsblatt über die Risiken und Nebenwirkungen<br />
der anstehenden Operation. In ihm fand ich<br />
alle Informationen, die ich mir im Vorfeld aus dem Internet<br />
besorgt hatte, bestätigt. Um meine Frau nicht noch mehr<br />
zu verängstigen, versuchte ich ihr gegenüber die Risiken so<br />
gut es ging zu bagatellisieren, nach dem Motto, da stehen<br />
halt die üblichen Risiken, die eine Narkose und OP mit sich<br />
bringen kann. Das Dumme war nur, sie musste dieses Info-<br />
Blatt zwecks Einwilligung vor der Operation unterschreiben<br />
und es ist ihre Art, alles genau zu lesen, bevor sie etwas<br />
unterschreibt. Was also sollte ich tun? Die Entscheidung<br />
hierüber wurde mir schnell abgenommen. Durch wen? ➤<br />
durchblick 4/<strong>2006</strong> 27
Phase 4 – Das unheilvolle Aufklärungsgespräch<br />
Durch eine noch relativ junge, gertenschlanke und, so<br />
mein späterer Eindruck, sehr ehrgeizige Stationsärztin. Als<br />
sie ins Zimmer trat und sich vorstellte, wirke sie erschöpft<br />
und überarbeitet. Hat wohl eine harte Woche hinter sich<br />
dachte ich noch, als sie ihre Untersuchung bei meiner Frau<br />
mit der Bemerkung begann: „20 Kilo weniger, Frau<br />
Freundt, wären für die OP sicher günstiger, denn da müssten<br />
wir uns nicht durch so viel durcharbeiten.“ Das saß.<br />
Meine Frau und auch ich waren im Moment völlig konsterniert<br />
und unfähig entsprechend zu reagieren. Dass meine<br />
Frau kein Idealgewicht auf die Waage bringt und ein paar<br />
Kilo weniger nicht schaden könnten, wussten wir ja. Aber<br />
die zu vielen Kilos auf diese Art und in dieser seelisch angespannten<br />
Situation vorgehalten zu bekommen, war schon<br />
starker Tobak. Aber damit nicht genug. Auf einem Besucherstuhl<br />
sitzend, ihre Beine übereinandergeschlagen, begann<br />
sie, das 6-seitige Info-Blatt<br />
über die Risiken und Nebenwirkungen<br />
der Operation Punkt für<br />
Punkt ausführlich zu erläutern.<br />
Diese Erläuterungen waren aus<br />
rechtlicher Sicht gesehen zwar<br />
völlig korrekt, aber sie machten<br />
all meine Bemühungen, meiner<br />
Frau etwas von ihrer Angst zu<br />
nehmen, mit einem Schlag zunichte.<br />
Sie bekam alles zu hören,<br />
was als mögliche Folgen eintreten könnte. Angefangen bei<br />
dem Risiko, während der OP einen Schlaganfall zu bekommen,<br />
über die Gefahr einer späteren Querschnittslähmung<br />
durch eine mögliche Schädigungen des Rückenmarks in<br />
Folge von Durchblutungsstörungen, bis hin zu der Aussage,<br />
dass während der Operation für einige Minuten alle Maschinen,<br />
auch die Herz-Lungen-Maschine, ausgeschaltet<br />
werden müssten, um das Aneurysma zu beseitigen. Ein absoluter<br />
Herz- und Kreislaufstillstand. „Sie sind während<br />
dieser Zeit dann quasi tot, Frau Freundt“, so ihre nüchternmedizinische<br />
Aussage. Sachlich korrekt machte sie hinter<br />
jedem besprochenen Punkt, also auch hinter diesem, einen<br />
großen Kringel. Thema abgehakt. Und meine Frau? Ich<br />
sehe sie heute noch auf der Bettkante sitzen. Ihr ohnehin<br />
schon etwas blasses Gesicht war noch eine Spur blasser geworden<br />
als sie sagte: „Sie machen mir aber viel Mut, Frau<br />
Doktor.“ Ohne auf diese angsterfüllte Aussage in irgendeiner<br />
Form zu reagieren, bat sie meine Frau am Ende ihrer<br />
Ausführungen, dieses, in allen Punkten nun abgehakte Info-Blatt,<br />
zwecks Einverständnis bis zur Operation zu unterschreiben.<br />
Die Operation würde am kommenden Dienstag,<br />
also erst in vier Tagen durchgeführt. Mit dieser Aussage<br />
und den Ampullen des vorher abgenommen Blutes unterm<br />
Arm, verschwand sie mit wehendem weißen Kittel aus dem<br />
Zimmer. Und meine Frau? Sie saß auf ihrer Bettkante wie<br />
ein begossener Pudel. „Mir ist kalt“, sagte sie. Kein Wunder.<br />
Über sie hatte die junge Ärztin soeben einen Kübel kalter,<br />
nackter und nicht gerade erbaulicher Informationen<br />
Gesundheit<br />
Zur Ablenkung eine Stadtrundfahrt mit dem Wolkenschieber<br />
ausgeschüttet, dabei aber vergessen, ihr ein „seelisches<br />
Handtuch“ zu reichen, mit dem sie ihre durchnässte Seele<br />
ein klein wenig trocknen und wärmen konnte. Ihr erster<br />
Kommentar, den Blick dabei vor sich auf den Boden gerichtet:<br />
„Ich will nicht operiert werden, lass uns wieder<br />
nach Hause fahren.“ Und ich? Mir waren ja all diese Risiken<br />
und Nebenwirkungen bekannt. Aber dass meine Frau<br />
sie auf diese Art und Weise nun doch noch erfahren musste,<br />
machte mich wütend. Zunächst versuchte ich sie wieder<br />
ein wenig zu beruhigen, mit wenig Erfolg. Das wiederum<br />
machte mich noch wütender. Was sollte ich tun? Mit<br />
meiner Frau wieder nach Hause fahren und darauf hoffen,<br />
dass das Aneurysma noch lange halten würde? Eine riskante<br />
Entscheidung. Nach einiger Zeit entschloss ich mich,<br />
dieses Aufklärungsgespräch nicht einfach so hinzunehmen.<br />
Ich ging ins Ärzte- und Stationszimmer. Die junge Ärztin<br />
war schon nach Hause gegangen. Das war mir egal, ich beschwerte<br />
mich trotzdem und<br />
machte meiner Wut gegenüber<br />
dem anwesenden Personal in einer<br />
angemessenen Form Luft.<br />
Mit allem Nachruck wies ich<br />
darauf hin, was dieses Gespräch<br />
bei meiner Frau psychisch angerichtet<br />
hatte. Sie brauche, so<br />
meine auffordernde Bitte, nun<br />
dringend eine „seelische Aufbauspritze“,<br />
um ihr Einverständnis<br />
für diese Operation überhaupt zu geben. Mit dem Empfinden,<br />
wenigstens etwas getan zu haben, ging ich zurück<br />
ins „Viareggio“ und versuchte weiter, so gut es ging, meiner<br />
Frau ihre Angst etwas zu nehmen. Es war schon spät<br />
am Abend als ich mich von ihr, ungern und einem bedrückenden<br />
Gefühl der Hilflosigkeit, verabschiedete und<br />
mein Quartier aufsuchte. Ich schlief sehr unruhig. Meine<br />
Beschwerde vom Vortage zeigte Wirkung, denn als ich am<br />
darauf folgenden Tag, es war Samstag, ins Zimmer kam,<br />
erzählte mir meine Frau, dass die Ärztin schon früh bei ihr<br />
gewesen sei und sie in den Arm genommen hätte, um sie<br />
zu beruhigen und ihr Mut zuzusprechen. Sie habe ihr daraufhin<br />
ihre Patientenverfügung gegeben, die wir vorsorglich<br />
mitgenommen hatten. In ihr ist ausführlich beschrieben,<br />
welche medizinischen Maßnahmen in welchen<br />
Situationen noch getan werden sollen und welche nicht.<br />
Spätestens nach dem Lesen dieser Patientenverfügung hat<br />
die junge Ärztin wohl begriffen, in welch einer seelischen<br />
Verfassung meine Frau war, denn von diesem Zeitpunkt an<br />
war ihr Verhalten, wie soll ich sagen, besorgt-herzlich. Als<br />
medizinische Maßnahme verordnete sie ein Beruhigungsmittel.<br />
„Wenn ich diese Tabletten nicht bekommen hätte,<br />
wäre ich wahrscheinlich heimlich fortgelaufen“, sagt sie<br />
heute.<br />
Phase 5 – Die lange Zeit des Wartens,<br />
ein intensives Wochenende<br />
Bei der Chefvisite am selben Morgen bestätigte der Professor<br />
den Operationstermin für den kommenden<br />
28 durchblick 4/<strong>2006</strong><br />
➤
Gesundheit<br />
Dienstag. Er werde die Operation selbst vornehmen. War<br />
das nun gut oder eher besorgt zu deuten? Ich entschloss<br />
mich für die erste Variante. Wie dem auch sei, es war Wochenende<br />
und es standen keine medizinischen Untersuchungen<br />
an. Vor uns lagen drei lange Tage des Wartens und<br />
der Ungewissheit.<br />
Andachtsraum der Klinik, war das nicht möglich. Vielleicht<br />
hilft ja beten? Aber, so unsere gemeinsame Auffassung, ist<br />
Gott keine Instanz, deren Ratschluss wir beeinflussen können.<br />
Gott ist nicht manipulierbar, kein Erfüllungsgehilfe<br />
des Menschen und schon gar nicht der liebenswerte Weihnachtsmann,<br />
der uns unsere Wünsche erfüllt.<br />
Wie verbringt man diese Zeit? Die Zeit vor einer so<br />
schwierigen Operation, deren Ausgang die gemeinsame<br />
Zukunft gravierend verändern kann? Es könnten ja unsere<br />
letzten gemeinsamen Stunden sein, wer weiß? Wie sollten<br />
wir sie gestalten?<br />
Eine schwierige Frage. Vielleicht ist es ja gut, nicht so<br />
genau darüber nachzudenken, geschweige denn, ausführlich<br />
darüber zu reden. Einfach versuchen, uns abzulenken<br />
und die Zeit bis Dienstag irgendwie „totschlagen“? Oder ist<br />
es besser, offen über unsere Situation, alle Eventualitäten,<br />
unsere Gefühle und Ängste zu sprechen und diese Zeit nutzen,<br />
einmal Rückblick zu halten auf den nun fast 50-jährigen<br />
gemeinsamen Lebensweg mit einer hoffentlich nur vorläufigen<br />
Zwischenbilanz? Wir taten beides, uns ablenken<br />
und viel miteinander reden. Schließlich gab es ja genügend<br />
Gesprächsstoff, bei einem fast halben Jahrhundert gemeinsam<br />
gestalteter Lebensjahre. Da kommt schon einiges zusammen<br />
an Höhen und Tiefen, an guten und schlechten<br />
Zeiten, an schicksalhaften Ereignissen, die unsere ganze<br />
Kraft forderten, aber auch an vielen schönen, glücklichen<br />
Tagen und Stunden zu denen<br />
ganz besonders die Geburten<br />
unserer vier gesunden Kinder<br />
zählen. Wir kamen überein, unsere<br />
Ehe und unsere Liebe mit<br />
einem alten Haus zu vergleichen,<br />
das über die Jahrzehnte<br />
hinweg den vielen äußeren Umwelteinflüssen<br />
getrotzt und dabei<br />
einige Risse und schadhafte<br />
Stellen an der Fassade davongetragen<br />
hat, dass der Kern und die<br />
Substanz aber noch gut erhalten<br />
ist.<br />
Was blieb, war unsere Angst.<br />
Bei meiner Frau war es die<br />
Angst, die Operation nicht zu<br />
überleben und bei mir die große<br />
Sorge, dass sie irreversible Schäden<br />
davontragen würde. Was<br />
konnte helfen, unsere Angst zu<br />
mildern? Vielleicht sollten wir<br />
eine Kerze anzünden? Ein Ritual,<br />
das meine Frau zu Hause immer<br />
dann vollzieht, wenn ein<br />
Familienmitglied eine schwierige<br />
Prüfung oder Zeit zu bestehen<br />
hat. Hier, im ökumenischen<br />
Der Kurpark in Bad Oeynhausen: wunderschöne<br />
Blumenrabatte und ein herrlicher, alter Baumbestand.<br />
Das Einzige, was wir uns erhofften, war, dass wir die<br />
Kraft besitzen würden, diese schwierige Lebenszeit gemeinsam<br />
zu bewältigen. Außerdem: Es gab in der Klinik<br />
wesentlich schlimmere Schicksale als das unsere. Ich denke<br />
dabei nur an meinen zufälligen Besuch auf der Kinderstation<br />
während meine Frau schlief. Ich sehe heute noch die<br />
Tränen junger Eltern und höre heute noch das Schreien der<br />
kleinen Patienten mit angeborenem Herzfehler, die um ihr<br />
gerade erst begonnenes Leben kämpften. Sie wirkten so<br />
zerbrechlich und völlig verloren in einer Umgebung, in der<br />
es nur große, medizinische Geräte zu geben schien. Bei<br />
diesem Anblick drängte sich mir, wieder einmal mehr, die<br />
nicht zu beantwortende Theodizee-Frage auf, die Frage nach<br />
der Unvereinbarkeit der Existenz eines gütigen Gottes und<br />
dem unsäglichen Leid auf dieser Erde. Wo ist der barmherzige<br />
Gott inmitten dieses Leids völlig unschuldiger Kinder<br />
und verzweifelter Eltern? Nein, so mein vielleicht etwas<br />
naiv wirkender Gedanke, wenn es eine Hilfe Gottes<br />
überhaupt geben sollte, dann hatten andere Menschen vor<br />
uns einen Anspruch darauf.<br />
Die Einnahme des Beruhigungsmittels<br />
versetzte meine<br />
Frau in einen zunehmend lethargisch,<br />
apathischen Zustand. Ich<br />
hatte des Gefühl, als würde die<br />
Dosis langsam erhöht, denn je<br />
näher der Zeitpunkt der OP<br />
kam, umso eingeschränkter wurde<br />
ihre Wahrnehmung und ihr<br />
Interesse für die Dinge um sie<br />
herum. Hatten wir am Sonntag,<br />
um uns abzulenken, noch eine<br />
ausführliche Stadtrundfahrt mit<br />
dem bekannten „Wolkenschieber“<br />
durch Bad Oeynhausen gemacht,<br />
so fixierten sich unsere<br />
Gedanken am Montag mehr<br />
und mehr auf die bevorstehende<br />
Operation und ihre eventuellen<br />
Folgen.<br />
Verstärkt wurden diese<br />
noch, als der Narkosearzt kam,<br />
um mit meiner Frau die notwendigen<br />
Narkosemaßnahmen<br />
zu besprechen. Ganz im Gegensatz<br />
zum Aufklärungsgespräch<br />
der jungen Stationsärztin verlief<br />
dieses Gespräch in einer ➤<br />
durchblick 4/<strong>2006</strong> 29
Gesundheit<br />
Der Jordansprudel im Kurpark, ein Ort der Entspannung.<br />
sachlich offenen, aber sehr beruhigenden<br />
Atmosphäre. „Sie<br />
haben mir etwas von meiner<br />
Angst genommen Herr Doktor“,<br />
war die Aussage meiner<br />
Frau am Ende des Gespräches.<br />
Für den Rest des Tages<br />
und des Abends blieben wir<br />
allein. Auch wenn meine Frau,<br />
durch die Medikamente verursacht,<br />
äußerlich ruhig wirkte,<br />
spürte ich ihre zunehmende<br />
innere Anspannung. Was konnte<br />
ich jetzt noch für sie tun?<br />
Nichts mehr. Nur noch da sitzen,<br />
bei ihr sein und warten,<br />
dass die Zeit vergeht. Den<br />
Partner leiden zu sehen und,<br />
wie in meinem Fall, ihm seine<br />
Angst nicht nehmen zu können,<br />
die eigene ohnmächtige<br />
Hilflosigkeit zu spüren und<br />
akzeptieren zu müssen, ist<br />
eine Situation, die nur sehr<br />
schwer auszuhalten ist. Jeder,<br />
der diese Erfahrung schon einmal<br />
machen musste, wird<br />
meine, auf wen auch immer<br />
gerichtete, ohnmächtige Wut,<br />
verstehen können. Zum Glück<br />
hat meine Frau an diese Stunden<br />
nur noch sehr schwache<br />
Erinnerungen. Das Einzige, an<br />
was sie sich noch gut erinnern<br />
kann ist, dass sie mir gesagt<br />
hat, sie liebe mich noch immer.<br />
Dass ihr dabei Tränen über das Gesicht liefen, hat sie<br />
vergessen. Damit hat sich ihr Wunsch fast erfüllt, den sie<br />
vorher geäußert hatte: „Ich möchte von der Operation und<br />
allem Drum und Dran nichts mitbekommen, nur nach der<br />
Operation einfach wieder aufwachen und dich ‚anbegucken‘<br />
(ein Ausspruch aus ihrer Kindheit von einem ihrer<br />
Vettern, als er etwas Bestimmtes gerne noch einmal sehen<br />
wollte)“. Erst mit einem zusätzlichen Schlafmittel, es war<br />
schon fast Mitternacht, schlief sie endlich ein. Als ich aus<br />
dem Zimmer ging und noch einen letzten Blick auf meine<br />
Frau warf, hatte ich nur den einen bedrückenden Gedanken:<br />
Wie werde ich sie wiedersehen?<br />
Auf dem Fußweg in meine Pension fiel mir der Anruf<br />
meiner Tochter Katharina vom Nachmittag wieder ein. Sie<br />
hatte mir mitgeteilt, dass Herr „A“, den ich im Rahmen<br />
meiner Hospizarbeit in den letzten Monaten seines Lebens<br />
begleiten durfte und den auch meine Frau kennengelernt<br />
hatte, ganz plötzlich gestorben sei. Vor meiner Abreise nach<br />
Bad Oeynhausen hatte ich noch mit ihm gesprochen und<br />
mich von ihm verabschiedet. Dass es ein Abschied für immer<br />
sein würde, daran habe<br />
ich, trotz seiner schweren<br />
Krankheit, nicht gedacht. Eine<br />
traurige Nachricht, die<br />
meine ohnehin schon gedrückte<br />
Stimmung noch verstärkte.<br />
Phase 6 – Der Tag der<br />
Entscheidung<br />
Es war Dienstag, der alles<br />
entscheidende Operationstag.<br />
Von der Stationsärztin hatte<br />
ich erfahren, dass meine Frau<br />
im Laufe des Vormittags, vermutlich<br />
„in der zweiten Staffel“<br />
dran käme. Wie sich das<br />
anhörte. Aber kein Wunder,<br />
bei täglich durchschnittlich<br />
15 Herzoperationen in 6 Operationssälen.<br />
Da kommt der<br />
Eindruck von „Fließbandarbeit“<br />
auf. Ich würde nach der<br />
OP direkt aus dem Operationssaal<br />
heraus auf meinem<br />
Handy angerufen und über<br />
den Ausgang der OP informiert.<br />
Was also konnte ich<br />
tun? Nichts. Nur warten. Und<br />
wo? Außerhalb der Klinik,<br />
denn das „Viareggio“ mussten<br />
wir ja tags zuvor wieder<br />
räumen. Am besten spazieren<br />
gehen. Gott sei Dank hat Bad<br />
Oeynhausen einen wunderschönen<br />
Kurpark mit einem<br />
herrlichen Baumbestand. Das Wetter spielte auch mit. Was<br />
aber so gar nicht zu diesen guten äußeren Bedingungen<br />
passte, war meine Stimmung. Mein Blick war mehr nach<br />
innen gerichtet. Wen wundert’s?<br />
Was mir während dieser Zeit des Wartens nicht alles so<br />
durch den Kopf ging. Es tauchten Fragen auf, die ich mir<br />
im alltäglichen Leben so noch nie gestellt hatte. Was mache<br />
ich, wenn, was tue ich, falls …, alles hypothetische Fragen,<br />
auf die ich in diesem Moment überhaupt keine Antwort<br />
zu geben wusste. In meinem Kopf herrschte ein<br />
ziemliches Durcheinander, in dem sich immer wieder der<br />
eine Gedanke durchsetzte: Hoffentlich geht alles gut. Aufgeschreckt<br />
aus meinen wirren Gedanken wurde ich, als<br />
plötzlich mein Handy klingelte. Ach du lieber Gott, schoss<br />
es mir durch den Kopf, es ist doch noch viel zu früh, die<br />
OP kann doch noch gar nicht vorbei sein, ist etwas Unvorhergesehenes<br />
passiert? Aufgeregt suchte ich in meinen Taschen<br />
nach dem Handy. „Guten Morgen Eberhard, hier ist<br />
Friedhelm, wollte Dir nur sagen, dass alle Redaktionsmitglieder<br />
des „durchblick“ in Gedanken bei Euch sind.“<br />
30 durchblick 4/<strong>2006</strong><br />
➤
Aufatmen. Gleichzeitig überkam mich ein wohltuendes<br />
Gefühl der Dankbarkeit und Freude über diesen Anruf, dem<br />
später noch weitere folgen sollten. Zu erleben und zu<br />
spüren, dass die Gedanken anderer Menschen einen in<br />
solch schwierigen Augenblicken fürsorglich begleiten, ist<br />
eine wunderbare Erfahrung.<br />
Am späten Vormittag kam unser ältester Sohn Michael,<br />
um mit mir gemeinsam die Zeit des Wartens zu verbringen.<br />
Trotz seines beruflich sehr engen Terminkalenders war es<br />
für ihn überhaupt keine Frage gewesen, seinem Vater an<br />
diesem Tag Beistand zu leisten. Natürlich hatten wir uns<br />
viel zu erzählen und ich spürte sein Bemühen, mich auf andere<br />
Gedanken zu bringen. Es wurde Nachmittag. Für mich<br />
verging die Zeit wie im Schneckentempo. Immer wieder<br />
warf ich einen Blick auf mein Handy, ob es auch eingeschaltet<br />
und empfangsbereit war. Langsam müssten sie ja<br />
mal aus dem OP anrufen. Hoffentlich ist nichts passiert.<br />
Meine Unruhe wuchs von Minute zu Minute. Wir saßen gerade<br />
in der Cafeteria, als mein Handy ertönte. Ich sprang<br />
auf und während ich aus der Caféteria mehr stürzte als ging,<br />
meldete ich mich mit Namen. „Sind Sie der Mann von Annette<br />
Freundt …“ Der Empfang war schlecht. Ich stellte<br />
mich ganz dicht an ein<br />
Fenster hinter einen<br />
großen Blumenkübel.<br />
„Ich kann Sie so<br />
schlecht verstehen, können<br />
Sie bitte noch einmal<br />
wiederholen“, so<br />
meine aufgeregte Bitte.<br />
„Ich wollte Entwarnung<br />
geben, Herr<br />
Freundt, die Operation<br />
war nicht leicht und<br />
ein hartes Stück Arbeit.<br />
Sie hat über vier<br />
Stunden gedauert, aber<br />
sie ist gut verlaufen.<br />
Ihre Frau kommt jetzt<br />
auf die Intensivstation,<br />
wo sie morgen<br />
früh mit ihr telefonieren<br />
und sie am Nachmittag<br />
besuchen können.“<br />
Plumps, ich glaube die vorbeigehenden Leute im<br />
Flur müssen es gehört haben, als der riesengroße Stein von<br />
meinem Herzen fiel. Mein Sohn war mir gefolgt. Er war<br />
natürlich der Erste, der diese „frohe Botschaft“ erfuhr. Sofort<br />
haben wir gemeinsam diese gute Nachricht per Handy<br />
oder SMS weitergegeben. So richtig erleichtert war ich allerdings<br />
erst, als ich am folgenden Tag, zusammen mit meiner<br />
Tochter Angelika, die mit dem Zug angereist war, meine<br />
Frau auf der Intensivstation besuchen und wir uns davon<br />
überzeugen konnten, dass keine der befürchteten Nebenwirkungen<br />
eingetreten waren. Für meine Frau, so sagt sie<br />
heute, war es ein sehr beglückender Augenblick, als ich<br />
Gesundheit<br />
„um die Ecke bog“ und sie mich wieder „anbegucken“<br />
konnte. Nach nur einem eintägigen Aufenthalt auf der Intensivstation<br />
kam sie zurück auf die Station ins Zimmer<br />
„Montalcino“, ein schmuckes Bergdorf in der Toskana. Für<br />
mich war es ein symbolisches Zeichen, dass es nun wieder<br />
„bergauf“ gehen sollte. In den darauf folgenden Tagen bekam<br />
sie täglich Besuch. Unsere Kinder hatten gemeinsam<br />
einen Besuchsplan aufgestellt und festgelegt, wann wer die<br />
Mama besucht und wer sich um den leicht angeschlagenen<br />
Papa kümmert. Als nächstes kam unser Sohn Hubertus, spät<br />
am Abend und völlig übermüdet. Er hatte stundenlang auf<br />
der Autobahn im Stau gestanden. Es folgte tags darauf unsere<br />
„Jüngste“, Katharina, die ihren 30. Geburtstag leider<br />
ohne ihre Mama feiern musste. In dieser Zeit des Hoffens<br />
und Bangens haben meine Frau und ich dankbar erfahren<br />
dürfen, was es bedeutet, Kinder zu haben, die auch in<br />
schwierigen Stunden helfend an unserer Seite stehen.<br />
Was bleibt?<br />
In der Zwischenzeit sind zwei Monate vergangen. In eine<br />
REHA wollte meine Frau nicht. Sie hatte nach der erfolgreichen<br />
OP nur einen Wunsch, so schnell wie möglich<br />
wieder nach Hause<br />
zu kommen. Deshalb<br />
strahlte sie auch über<br />
das ganze Gesicht, als<br />
ihr der Professor beim<br />
Abschlussgespräch<br />
ein neu entwickeltes<br />
und über zwölf Wochen<br />
dauerndes, ambulantes<br />
REHA-Programm<br />
empfahl, das sie bei<br />
uns zu Hause, unter<br />
regelmäßiger ärztlicher<br />
Kontrolle, durchführen<br />
konnte. Natürlich<br />
stimmte sie sofort zu.<br />
Während ich diese<br />
letzten Zeile schreibe,<br />
es ist ein wunderschöner<br />
Herbsttag, sitzt sie<br />
(wieder) still und in Gedanken<br />
versunken auf<br />
ihrem Lieblingsplatz unserer Terrasse. Auf meine Frage, ob<br />
es ihr gut geht, antwortet sie: „Ich kann es immer noch<br />
nicht so richtig glauben, wieder hier zu sein, aber ich genieße<br />
dankbar und glücklich jeden Augenblick.“ Nun, der<br />
Alltag hat uns wieder, er ist und bleibt wie er ist, Alltag<br />
eben. Bei meiner Frau und mir aber hat sich etwas verändert,<br />
hat diese Operation nicht nur körperliche Spuren hinterlassen.<br />
Der Blickwinkel auf unser gemeinsames Leben<br />
ist ein anderer geworden und bei dem Gedanken, dass sie<br />
während der OP für einige Minuten klinisch tot gewesen<br />
ist, läuft uns heute noch ein Schauer über den Rücken.<br />
Eberhard Freundt<br />
Schon an der Eingangstür ein herzliches Willkommen. Glücklich und<br />
dankbar, wieder zu Hause zu sein.<br />
durchblick 4/<strong>2006</strong> 31
Es war ein interessantes Völkchen, das Ende September<br />
mit dem Flugzeug aus Leeds nach Siegen kam: Zwölf Senioren<br />
und Seniorinnen – zwei mussten einen Tag vor der<br />
Abreise wegen Krankheit absagen – von „Morley Elderly<br />
Action“, die aus Anlass der 40-jährigen Partnerschaft zwischen<br />
den beiden Städten zusammen mit einer offiziellen<br />
Delegation und Schülergruppen aus drei englischen Schulen<br />
nach Siegen gekommen waren. Da war dabei der temperamentvolle<br />
und musikalische Patrick, der gleich nach<br />
der Ankunft im Haus Herbstzeitlos mit der Gitarre alle zum<br />
Mitsingen animierte. Oder John, der weitgereiste Professor,<br />
der in einem Gemisch aus Englisch und Deutsch die Gruppe<br />
unterhielt und sich auch als Gesangssolist betätigte.<br />
Nicht zu vergessen die imposante Heather, die sowohl von<br />
ihrem äußeren Habitus her als auch von ihrem Auftreten –<br />
sie war wohl früher Opernsängerin – in der Erinnerung<br />
bleibt. Typisch Englisch, denkt man als Deutscher, ein bisschen<br />
spleenig und verschroben, aber liebenswert.<br />
Wie man überhaupt sagen muss, dass von Anfang an eine<br />
große Harmonie zwischen den englischen Gästen und<br />
ihren deutschen Gasteltern und den weiteren Betreuern<br />
herrschte. Es war ein buntes Programm geplant, von Gruppenbegegnungen,<br />
wie einer 60er-Jahre-Party, bis zu Besichtigungen,<br />
z. B. der Mensa der Universität Siegen.<br />
Im Rahmen der Jubiläumsfeierlichkeiten wurde das<br />
neue Buch „… und samstags in die Zinkbadewanne“ präsentiert.<br />
Darin berichten Zeitzeugen aus ihrem Leben<br />
während der Kriegs- und Nachkriegszeit. Das Besondere<br />
daran ist, dass die Erinnerungen sowohl von deutschen als<br />
Aus dem Seniorenbeirat<br />
Deutsch-Englische Partnerschaft<br />
Besuch einer englischen Seniorengruppe in Siegen<br />
auch von englischen Senioren und Seniorinnen stammen.<br />
Deshalb ist das Buch auch in den beiden Sprachen gedruckt<br />
worden.<br />
Einer der Höhepunkte war der Festakt aus Anlass der<br />
40jährigen Partnerschaft in der Aula der Bertha-von-Suttner-Gesamtschule,<br />
an dem auch die Bürgermeister von<br />
Leeds und Morley teilnahmen. Bob Gettings, der Bürgermeister<br />
des 1974 eingemeindeten Stadtteils Morley, ist auf<br />
englischer Seite einer der Pioniere der Städtepartnerschaft<br />
und hat maßgeblich dazu beigetragen, Vorurteile der ehemaligen<br />
Kriegsgegner diesseits und jenseits des Kanals abzubauen.<br />
Eine abwechslungsreiche Revue über Ereignisse<br />
der letzten vier Jahrzehnte wurde gekonnt von Schülern<br />
der Oberstufe der Gesamtschule dargeboten, wobei sich<br />
besonders die älteren deutschen und englischen Gäste auf<br />
Anhieb angesprochen fühlten. Als Seniorteilnehmer der<br />
Veranstaltung hat mich das harmonische Miteinander von<br />
Alt und Jung beeindruckt, was auch in besonderem Maße<br />
im Anschluss an das offizielle Programm beim Buffet deutlich<br />
wurde.<br />
Aber im Rahmen des Austausches wurde auch über die<br />
Situation der älteren Menschen in beiden Ländern nachgedacht.<br />
So gab es eine Veranstaltung mit dem Thema „Leben<br />
im Alter“, die von der Europareferentin Annette Scholl<br />
vom Kuratorium deutsche Altershilfe moderiert wurde. So<br />
wurde im Rahmen dieser Veranstaltung festgestellt, dass<br />
die Mehrheit der älteren Menschen in England in eigenen<br />
Häusern wohnt und eine Unterstützung dabei stärker als in<br />
Deutschland verbreitet ist. Eine Wohnanpassung für das<br />
Leben im Alter hat dort<br />
eine längere Tradition.<br />
Es gibt in größerem Umfang<br />
haushaltsbezogene<br />
Hilfen mit grundpflegerischen<br />
Elementen, die<br />
bei uns allerdings in letzter<br />
Zeit auch forciert<br />
werden. Weit verbreitet<br />
sind auch Verpflegungsküchen,<br />
die bis nachmittags<br />
geöffnet haben. Bei<br />
uns setzt sich wohl mehr<br />
eine Belieferung älterer<br />
Menschen mit Essen<br />
durch, das sog. „Essen<br />
auf Rädern“.<br />
Die Besucher aus Leeds verstanden es zu feiern.<br />
In Deutschland nehmen<br />
wir eine Unterscheidung<br />
zwischen sozialen<br />
und gesundheitsbe- ➤<br />
32 durchblick 4/<strong>2006</strong>
Aus dem Seniorenbeirat<br />
zogenen Diensten vor, wofür dann auch ganz unterschiedliche<br />
staatliche Stellen oder freie Träger wie Diakonie oder<br />
Caritas zuständig sind. In Großbritannien ist die soziale Betreuung<br />
im Zuständigkeitsbereich der Kommunen; die gesundheitsbezogenen<br />
Dienste werden durch Health Services<br />
(Gesundheitsdienste) wahrgenommen. Bei den englischen<br />
Senioren wird viel Eigeninitiative erwartet, und tatsächlich<br />
gibt es dort wohl auch eine stärkere Bereitschaft, sich zu<br />
engagieren. Spezifische rechtliche Grundlagen für Hilfe im<br />
Alter sind kaum vorhanden. Es gibt sog. „Care Manager“,<br />
die die Notwendigkeit von Hilfe prüfen und dann ein entsprechendes<br />
Hilfepaket bei den Gemeinden „einkaufen“.<br />
Bei uns gibt es viele unterschiedliche Vorschriften und<br />
Sozialgesetze des Bundes und der Länder und im offenen<br />
Seniorenbereich viele freiwillige Leistungen.<br />
Viele Fragen blieben aus Zeitmangel leider offen, deutlich<br />
wurde aber, dass in beiden Ländern Senioren und Seniorinnen<br />
so weit wie möglich nach einem selbstbestimmten<br />
Leben im Alter streben. Dabei ist Eigeninitiative<br />
erforderlich, aber ohne Hilfe des Staates und anderer Stellen<br />
geht es nicht. Ich denke, auch die christlichen Kirchen<br />
haben hier noch ein reiches Betätigungsfeld.<br />
Horst Mahle<br />
Marias Krimi<br />
Späte Rache<br />
„Hast Du Lust, eine reiche Witwe zu<br />
heiraten und mit ihr hier in der Villa zu<br />
wohnen?“ Karl Mertens sah die zierliche<br />
blonde Frau, die ihm diese Frage stellte,<br />
fassungslos an. Susanne Keller war zwar<br />
außergewöhnlich reich, seit sie die Villa in<br />
der Burgunderstraße bezogen hatte, aber<br />
Witwe war sie nicht. Hugo Keller, der ihr<br />
angetraute Ehemann, war noch quicklebendig,<br />
obwohl es sicher manchen gab, der<br />
den skrupellosen Firmenchef gern ins Jenseits<br />
befördert hätte. Das galt vor allem für<br />
dessen Chauffeur Karl Mertens, der ihm<br />
einen Platz in der Hölle gern persönlich<br />
besorgt hätte. Susannes Hinweis auf ihren<br />
bevorstehenden Witwenstand ließ bei ihm<br />
Hoffnung aufkommen. „Nun sag es schon,“<br />
drängelte er, wie stellst Du Dir das vor?“<br />
Susanne entwickelte ihren Plan ganz präzise:<br />
„Das Ganze muss nach einem Einbruch<br />
aussehen, Hugo schläft wie ein Bär, wenn er ein<br />
Schlafmittel genommen hat. Du zerschlägst die Scheibe<br />
der Verandatür, steigst ein und stellst fest, ob er in seinem<br />
Bett liegt und schläft. Dann bringst Du die Knarre in<br />
Anschlag, zielst und schießt. Ich werde, bevor die Polizei<br />
kommt, einiges an Schmuck verstreuen und angeben, dass<br />
der Dieb und Mörder mit ein par Steinchen geflüchtet ist.“<br />
Hier meldete Mertens Zweifel an: „Wer soll das denn bezeugen,<br />
und welche Rolle spielst Du dabei?“ Die Antwort<br />
kam ohne Denkpause: „Ich bin die Augenzeugin. Ich werde<br />
sagen, dass ich noch wach war und geschrieen habe und<br />
dass Hugo dann auf den Kerl losgerannt ist, der sofort geschossen<br />
hat und dann in Panik verschwunden ist.“ Die<br />
Zweifel des Chauffeurs waren gebannt. Der Traum, demnächst<br />
im Fond hinter dem Fahrer zu sitzen, natürlich mit<br />
Susanne, war wieder nähergerückt. Die Frau des Chefs war<br />
für Mertens ebenso schön wie undurchschaubar. Schon als<br />
junges Mädchen hatte sie seine Träume beschäftigt und<br />
auch sein Boss war ganz versessen darauf, sie für sich zu<br />
gewinnen. Aber sie war verlobt mit dem Lehrer Thomas<br />
Rickers und hatte nur Augen für ihn.<br />
Keiner begriff damals, dass Susanne vor Ende des Trauerjahrs<br />
den allgemein unbeliebten Hugo Keller heiratete.<br />
Ihre Verzweiflung schien echt, als sie den Verlobten identifizieren<br />
musste, den man tot im Straßengraben gefunden<br />
hatte, überfahren von einem Wagen, den niemand gesehen<br />
hatte. Nun, anscheinend war ihr das Geld doch sehr wichtig.<br />
Aber das störte Mertens nicht. Bald würden sie beide<br />
Geld genug haben, wenn ihr Plan klappte. Und dann wäre<br />
auch sein Umzug aus dem Gartenhaus in die Villa fällig.<br />
„Also, Schätzchen, wann steigt die Sache?“ fragte Mertens<br />
drängend. Susanne hatte bereits terminiert. „Samstag<br />
nach Mitternacht. Wenn der Schuss gefallen ist, verschwindest<br />
Du schnell in den Garten und kommst unbemerkt<br />
in Deine Wohnung. Ich schreie dann wirklich ganz<br />
laut und alarmiere die Polizei.“<br />
➤<br />
durchblick 4/<strong>2006</strong> 33
Aus dem Seniorenbeirat<br />
zogenen Diensten vor, wofür dann auch ganz unterschiedliche<br />
staatliche Stellen oder freie Träger wie Diakonie oder<br />
Caritas zuständig sind. In Großbritannien ist die soziale Betreuung<br />
im Zuständigkeitsbereich der Kommunen; die gesundheitsbezogenen<br />
Dienste werden durch Health Services<br />
(Gesundheitsdienste) wahrgenommen. Bei den englischen<br />
Senioren wird viel Eigeninitiative erwartet, und tatsächlich<br />
gibt es dort wohl auch eine stärkere Bereitschaft, sich zu<br />
engagieren. Spezifische rechtliche Grundlagen für Hilfe im<br />
Alter sind kaum vorhanden. Es gibt sog. „Care Manager“,<br />
die die Notwendigkeit von Hilfe prüfen und dann ein entsprechendes<br />
Hilfepaket bei den Gemeinden „einkaufen“.<br />
Bei uns gibt es viele unterschiedliche Vorschriften und<br />
Sozialgesetze des Bundes und der Länder und im offenen<br />
Seniorenbereich viele freiwillige Leistungen.<br />
Viele Fragen blieben aus Zeitmangel leider offen, deutlich<br />
wurde aber, dass in beiden Ländern Senioren und Seniorinnen<br />
so weit wie möglich nach einem selbstbestimmten<br />
Leben im Alter streben. Dabei ist Eigeninitiative<br />
erforderlich, aber ohne Hilfe des Staates und anderer Stellen<br />
geht es nicht. Ich denke, auch die christlichen Kirchen<br />
haben hier noch ein reiches Betätigungsfeld.<br />
Horst Mahle<br />
Marias Krimi<br />
Späte Rache<br />
„Hast Du Lust, eine reiche Witwe zu<br />
heiraten und mit ihr hier in der Villa zu<br />
wohnen?“ Karl Mertens sah die zierliche<br />
blonde Frau, die ihm diese Frage stellte,<br />
fassungslos an. Susanne Keller war zwar<br />
außergewöhnlich reich, seit sie die Villa in<br />
der Burgunderstraße bezogen hatte, aber<br />
Witwe war sie nicht. Hugo Keller, der ihr<br />
angetraute Ehemann, war noch quicklebendig,<br />
obwohl es sicher manchen gab, der<br />
den skrupellosen Firmenchef gern ins Jenseits<br />
befördert hätte. Das galt vor allem für<br />
dessen Chauffeur Karl Mertens, der ihm<br />
einen Platz in der Hölle gern persönlich<br />
besorgt hätte. Susannes Hinweis auf ihren<br />
bevorstehenden Witwenstand ließ bei ihm<br />
Hoffnung aufkommen. „Nun sag es schon,“<br />
drängelte er, wie stellst Du Dir das vor?“<br />
Susanne entwickelte ihren Plan ganz präzise:<br />
„Das Ganze muss nach einem Einbruch<br />
aussehen, Hugo schläft wie ein Bär, wenn er ein<br />
Schlafmittel genommen hat. Du zerschlägst die Scheibe<br />
der Verandatür, steigst ein und stellst fest, ob er in seinem<br />
Bett liegt und schläft. Dann bringst Du die Knarre in<br />
Anschlag, zielst und schießt. Ich werde, bevor die Polizei<br />
kommt, einiges an Schmuck verstreuen und angeben, dass<br />
der Dieb und Mörder mit ein par Steinchen geflüchtet ist.“<br />
Hier meldete Mertens Zweifel an: „Wer soll das denn bezeugen,<br />
und welche Rolle spielst Du dabei?“ Die Antwort<br />
kam ohne Denkpause: „Ich bin die Augenzeugin. Ich werde<br />
sagen, dass ich noch wach war und geschrieen habe und<br />
dass Hugo dann auf den Kerl losgerannt ist, der sofort geschossen<br />
hat und dann in Panik verschwunden ist.“ Die<br />
Zweifel des Chauffeurs waren gebannt. Der Traum, demnächst<br />
im Fond hinter dem Fahrer zu sitzen, natürlich mit<br />
Susanne, war wieder nähergerückt. Die Frau des Chefs war<br />
für Mertens ebenso schön wie undurchschaubar. Schon als<br />
junges Mädchen hatte sie seine Träume beschäftigt und<br />
auch sein Boss war ganz versessen darauf, sie für sich zu<br />
gewinnen. Aber sie war verlobt mit dem Lehrer Thomas<br />
Rickers und hatte nur Augen für ihn.<br />
Keiner begriff damals, dass Susanne vor Ende des Trauerjahrs<br />
den allgemein unbeliebten Hugo Keller heiratete.<br />
Ihre Verzweiflung schien echt, als sie den Verlobten identifizieren<br />
musste, den man tot im Straßengraben gefunden<br />
hatte, überfahren von einem Wagen, den niemand gesehen<br />
hatte. Nun, anscheinend war ihr das Geld doch sehr wichtig.<br />
Aber das störte Mertens nicht. Bald würden sie beide<br />
Geld genug haben, wenn ihr Plan klappte. Und dann wäre<br />
auch sein Umzug aus dem Gartenhaus in die Villa fällig.<br />
„Also, Schätzchen, wann steigt die Sache?“ fragte Mertens<br />
drängend. Susanne hatte bereits terminiert. „Samstag<br />
nach Mitternacht. Wenn der Schuss gefallen ist, verschwindest<br />
Du schnell in den Garten und kommst unbemerkt<br />
in Deine Wohnung. Ich schreie dann wirklich ganz<br />
laut und alarmiere die Polizei.“<br />
➤<br />
durchblick 4/<strong>2006</strong> 33
Marias Krimi<br />
Hugo Keller war daran gewöhnt, dass seine Frau wenig<br />
mit ihm sprach. Aber das störte ihn nicht. Im Gespräch hatte<br />
er nie den Weg zu ihr gesucht. Sie war seine Frau geworden,<br />
und das genügte. Aber am Samstag fiel ihm doch<br />
auf, dass sie völlig stumm blieb und ihn nur mit großen Augen<br />
ansah.<br />
Abends nach dem Tee wurde Hugo Keller schnell müde<br />
und zog sich zurück.<br />
Mertens schlich sich um Mitternacht vom Gartenhaus<br />
zur Verandatür der Villa.<br />
Der Gedanke, den Mann zu beseitigen, nach dessen<br />
Pfeife er bisher zu tanzen hatte, stimmte ihn fast fröhlich.<br />
Mit dem Revolverknauf schlug er die Verandascheibe ein.<br />
Als alles still blieb, griff er zur Klinke und gelangte durch<br />
das große Wohnzimmer und den Flur zur angelehnten<br />
Schlafzimmertür. Er richtete den Lichtkegel der Taschenlampe<br />
auf die reglose Gestalt im Bett, zog den Revolver<br />
und drückte drei Mal ab.<br />
Plötzlich bewegte sich der Schaukelstuhl in der Ecke<br />
hinter dem Bett. Erleichtert atmete Mertens auf, als er die<br />
Gestalt erkannte, die langsam auf ihn zu kam. Es war Susanne.<br />
Sie nahm ihm den Revolver aus der Hand und sagte<br />
mit einer Stimme, die ihm plötzlich Angst einflößte:<br />
„Bravo! Jetzt habt ihr Euer Urteil. Für Dich dauert die Strafe<br />
wohl nur lebenslänglich, für Deinen Chef etwas länger.“<br />
Sie deutete auf den Toten, der ohne ein letztes Wort die<br />
irdische Welt verlassen hatte, und fuhr fort: „Jetzt muss ich<br />
Dir noch etwas erzählen: In wenigen Minuten wird die<br />
Polizei hier sein und Dich festnehmen. Sie werden sich beeilen.<br />
Ich habe ihnen gesagt, dass Du mich auch umbringen<br />
willst.“<br />
Während Mertens sie ungläubig ansah, spielte Susanne<br />
lässig mit der Waffe. „Auf diesen Moment habe ich über<br />
zwei Jahre gewartet, Du erinnerst Dich doch noch an Thomas<br />
Rickers. Oh, und ob Du Dich an ihn erinnerst. Ich habe<br />
nie einen anderen Mann geliebt.“ Mit gnadenloser Stimme<br />
fuhr Susanne fort: „Am Abend vor seinem Tod haben<br />
wir lange zusammen getanzt. Dann brachte er mich nach<br />
Hause. Ich blieb am Tor stehen und sah ihm nach. Da hörte<br />
ich einen Wagen langsam anrollen. Ein Sportcabriolet.<br />
Du saßest am Steuer. Neben Dir Hugo Keller, der Mann,<br />
der mich so aufdringlich verfolgte. Erinnerst Du Dich jetzt?<br />
Er sagte zu Dir: Da vorn geht der verdammte Kerl, der mir<br />
im Weg ist. Los, gib Gas und leg ihn um. Morgen kriegst<br />
Du einen Tausender. Jedes Wort konnte ich verstehen. Der<br />
Motor heulte auf. Ich rannte hinter dem Wagen her. Als ich<br />
Thomas Rickers fand, war er schon tot. In dieser Nacht habe<br />
ich mir geschworen, ihn zu rächen. Kein Gericht hätte mir<br />
geglaubt. Ich musste mir schon etwas einfallen lassen, um<br />
Euch beide zu erledigen. Er ist tot, Du bist ein Doppelmörder<br />
und ich bin befreit.“ Susanne beendete die Rede als Zeugin<br />
ihrer Mord-Anklage. „Oh, es hat geklingelt. Du hast doch<br />
nichts dagegen, dass ich den Kommissar hereinlasse“?<br />
Maria Anspach<br />
Gedächtnistraining<br />
Musikinstrumente<br />
Sehen Sie sich die Muskinstrumente genau an und versuchen Sie,<br />
sich deren Namen und ihre Lage im Raster einzuprägen. Danach prägen<br />
Sie sich auch die kleinen Zeichnungen ein und merken sich diese<br />
am besten mit einem Hinweis oder einer kleinen Geschichte, z. B.<br />
das Klavier hat Räder, damit man es wegrollen kann, der Flügel steht<br />
bei reichen Leuten in einem großen Haus usw.<br />
Füllwörter zum Jahresende<br />
Dies sind meine Wünsche zum Jahresende.<br />
Wie sie lauten? Ganz einfach: Füllwörter einsetzen und die markierte<br />
Spalte von oben nach unten lesen.<br />
Beispiel: Sommer – Wind – Schatten<br />
Sommerwind<br />
Windschatten<br />
Lösung: ……………………………………<br />
34 durchblick 4/<strong>2006</strong>
Marias Krimi<br />
Hugo Keller war daran gewöhnt, dass seine Frau wenig<br />
mit ihm sprach. Aber das störte ihn nicht. Im Gespräch hatte<br />
er nie den Weg zu ihr gesucht. Sie war seine Frau geworden,<br />
und das genügte. Aber am Samstag fiel ihm doch<br />
auf, dass sie völlig stumm blieb und ihn nur mit großen Augen<br />
ansah.<br />
Abends nach dem Tee wurde Hugo Keller schnell müde<br />
und zog sich zurück.<br />
Mertens schlich sich um Mitternacht vom Gartenhaus<br />
zur Verandatür der Villa.<br />
Der Gedanke, den Mann zu beseitigen, nach dessen<br />
Pfeife er bisher zu tanzen hatte, stimmte ihn fast fröhlich.<br />
Mit dem Revolverknauf schlug er die Verandascheibe ein.<br />
Als alles still blieb, griff er zur Klinke und gelangte durch<br />
das große Wohnzimmer und den Flur zur angelehnten<br />
Schlafzimmertür. Er richtete den Lichtkegel der Taschenlampe<br />
auf die reglose Gestalt im Bett, zog den Revolver<br />
und drückte drei Mal ab.<br />
Plötzlich bewegte sich der Schaukelstuhl in der Ecke<br />
hinter dem Bett. Erleichtert atmete Mertens auf, als er die<br />
Gestalt erkannte, die langsam auf ihn zu kam. Es war Susanne.<br />
Sie nahm ihm den Revolver aus der Hand und sagte<br />
mit einer Stimme, die ihm plötzlich Angst einflößte:<br />
„Bravo! Jetzt habt ihr Euer Urteil. Für Dich dauert die Strafe<br />
wohl nur lebenslänglich, für Deinen Chef etwas länger.“<br />
Sie deutete auf den Toten, der ohne ein letztes Wort die<br />
irdische Welt verlassen hatte, und fuhr fort: „Jetzt muss ich<br />
Dir noch etwas erzählen: In wenigen Minuten wird die<br />
Polizei hier sein und Dich festnehmen. Sie werden sich beeilen.<br />
Ich habe ihnen gesagt, dass Du mich auch umbringen<br />
willst.“<br />
Während Mertens sie ungläubig ansah, spielte Susanne<br />
lässig mit der Waffe. „Auf diesen Moment habe ich über<br />
zwei Jahre gewartet, Du erinnerst Dich doch noch an Thomas<br />
Rickers. Oh, und ob Du Dich an ihn erinnerst. Ich habe<br />
nie einen anderen Mann geliebt.“ Mit gnadenloser Stimme<br />
fuhr Susanne fort: „Am Abend vor seinem Tod haben<br />
wir lange zusammen getanzt. Dann brachte er mich nach<br />
Hause. Ich blieb am Tor stehen und sah ihm nach. Da hörte<br />
ich einen Wagen langsam anrollen. Ein Sportcabriolet.<br />
Du saßest am Steuer. Neben Dir Hugo Keller, der Mann,<br />
der mich so aufdringlich verfolgte. Erinnerst Du Dich jetzt?<br />
Er sagte zu Dir: Da vorn geht der verdammte Kerl, der mir<br />
im Weg ist. Los, gib Gas und leg ihn um. Morgen kriegst<br />
Du einen Tausender. Jedes Wort konnte ich verstehen. Der<br />
Motor heulte auf. Ich rannte hinter dem Wagen her. Als ich<br />
Thomas Rickers fand, war er schon tot. In dieser Nacht habe<br />
ich mir geschworen, ihn zu rächen. Kein Gericht hätte mir<br />
geglaubt. Ich musste mir schon etwas einfallen lassen, um<br />
Euch beide zu erledigen. Er ist tot, Du bist ein Doppelmörder<br />
und ich bin befreit.“ Susanne beendete die Rede als Zeugin<br />
ihrer Mord-Anklage. „Oh, es hat geklingelt. Du hast doch<br />
nichts dagegen, dass ich den Kommissar hereinlasse“?<br />
Maria Anspach<br />
Gedächtnistraining<br />
Musikinstrumente<br />
Sehen Sie sich die Muskinstrumente genau an und versuchen Sie,<br />
sich deren Namen und ihre Lage im Raster einzuprägen. Danach prägen<br />
Sie sich auch die kleinen Zeichnungen ein und merken sich diese<br />
am besten mit einem Hinweis oder einer kleinen Geschichte, z. B.<br />
das Klavier hat Räder, damit man es wegrollen kann, der Flügel steht<br />
bei reichen Leuten in einem großen Haus usw.<br />
Füllwörter zum Jahresende<br />
Dies sind meine Wünsche zum Jahresende.<br />
Wie sie lauten? Ganz einfach: Füllwörter einsetzen und die markierte<br />
Spalte von oben nach unten lesen.<br />
Beispiel: Sommer – Wind – Schatten<br />
Sommerwind<br />
Windschatten<br />
Lösung: ……………………………………<br />
34 durchblick 4/<strong>2006</strong>
Gedächtnistraining<br />
Assoziationen<br />
Hindenken auf einen Begriff<br />
Beispiel: Königin – Schleuder – emsig – summen<br />
Lösung: Biene<br />
1. Fluss – Zähne – Holz – Pfeiler …………………………………<br />
2. Fußgänger – Straße – Markierung – Tier ………………………<br />
3. Zwinger – Elbe – Stadt – Frauenkirche …………………………<br />
4. Schokolade – Engerling – Lied – Frühling ……………………<br />
5. Inserat – Zeitung – Polizei – Strafzettel ………………………<br />
6. Schenkel – Mittelpunkt – Kreis – Kasten ………………………<br />
7. Leinwand – Film – Orgel – Schlange …………………………<br />
8. Muschel – Perle – tauchen – schlürfen …………………………<br />
9. Statue – Einwanderer – Fackel – New York ……………………<br />
10. Stuttgart – September – Bierzelt – Riesenrad …………………<br />
11. Abgaben – Lenkrad – Einkommen – Finanzamt ………………<br />
12. Sensation – Titelseite – Meldung – wichtig ……………………<br />
13. Applaus – Eintritt – Fans – Theater……………………………<br />
14. Erzählen – Grimm – vorlesen – Buch…………………………<br />
15. Kopf – Gummi – Nagel – Eisen…………………………………<br />
Das große Weihnachtsrätsel<br />
1. Es gibt fünf Häuser in je einer anderen Farbe.<br />
2. In jedem Haus wohnt eine Familie.<br />
3. Jede Familie bevorzugt einen anderen Weihnachtsschmuck am Haus<br />
oder im Vorgarten, isst am liebsten eine Sorte von Weihnachtsplätzchen<br />
und hat ein Lieblings-Weihnachtslied.<br />
4. Jede Familie heißt anders, keine Familie hat den gleichen Weihnachtsschmuck,<br />
das gleiche Lieblingsplätzchen oder dasselbe Lieblingslied.<br />
FRAGE: Welche Familie singt am liebsten „Stille Nacht“?<br />
Lösung: ………………………………<br />
Ihre Hinweise:<br />
Familie Hansen wohnt im roten Haus.<br />
Familie Schmitz singt „O du fröhliche“ und hat einen Plastikschneemann<br />
im Vorgarten.<br />
Familie Müller hat einen Leucht-Engel im Vorgarten.<br />
Das weiße Haus steht links vom grünen Haus.<br />
Die Familie im weißen Haus hat einen wunderbaren Türkranz.<br />
Die Familie, die gerne Berliner Brot isst, singt „es ist ein Ros’ entsprungen“.<br />
Die Familie im mittleren Haus hat einen geschmückten Tannenbaum<br />
im Vorgarten.<br />
Die Familie im gelben Haus isst gerne Spritzgebäck.<br />
Familie Meier wohnt im ersten Haus.<br />
Die Familie, die Zimtsterne bevorzugt, lebt neben der, die „O Tannenbaum“<br />
singt.<br />
Die Familie, die „Tochter Zion“ singt, wohnt neben der Familie, die<br />
Spritzgebäck isst.<br />
Die Familie, die Gewürzplätzchen mag, hat nur einen Nachbarn.<br />
Familie Meier wohnt neben dem blauen Haus.<br />
Familie Beckmann mag am liebsten Nussmakronen und singt nicht<br />
„O Tannenbaum“.<br />
Die Familie, die Zimtsterne mag, hat Nachbarn mit Lichterketten in<br />
allen Fenstern.<br />
Der Plastikschneemann steht vor dem grünen Haus.<br />
Die Familie, die Berliner Brot isst, wohnt nicht im weißen Haus.<br />
Rätselhaftes<br />
1. a) Ich bin hervorragend.<br />
b) Nur weil ich Löcher habe, muss ich noch lange nicht kaputt<br />
sein.<br />
c) Mein Bein hat kein Knie, und auf meinem Rücken kann ich<br />
nicht liegen<br />
d) Mit meinen Flügeln kann ich nicht fliegen.<br />
e) Oft muss ich eine Brille tragen.<br />
f) Ich rieche gut.<br />
g) Gelegentlich sollte ich geputzt werden.<br />
Lösung: ………………………<br />
2. a) Wenn man mich benutzt, nehme ich ab, bleibe aber gleich groß.<br />
b) Auf mir kann es ganz schön bunt zugehen.<br />
c) Zu Hause braucht man mich nicht.<br />
d) Oft benutzt man mich in einer Zelle, aber nicht im Gefängnis.<br />
e) Kein Kleingeld? Mit mir kein Problem.<br />
f) Ich liege oft neben der Scheckkarte.<br />
Lösung: ………………………<br />
3. a) Ich habe eine eigene Insel.<br />
b) Ich werde als beweglich angesehen.<br />
c) Die Leute sagen, ich sei froh.<br />
d) Meine Glocken läuten nicht.<br />
e) Vor mir fällt jedes Huhn in Stress.<br />
f) Meine Eier sind berühmt.<br />
Lösung: ………………………<br />
4. a) Wer mich beseitigt, hat etwas zu verbergen.<br />
b) Wer mich nehmen will, braucht ein Kissen.<br />
c) Wer geht, lässt mich meist zurück.<br />
d) Ich werde oft fotografiert.<br />
e) Man braucht 10 von mir für einen Satz.<br />
f) Ich bin einer der Gründe, warum man Handschuhe anzieht.<br />
g) Ich bin ein Beweis.<br />
Lösung: ………………………<br />
5. a) Ich werde sozusagen im Fluge gewonnen.<br />
b) Kleine Tiere schwärmen für mich.<br />
c) Ich bin essbar und werde niemals schecht.<br />
d) Mein Zimmer hat sechs Ecken.<br />
e) Man nennt mich oft in Verbindung mit Tau.<br />
f) Ich bin wirklich ein bäriges Vergnügen.<br />
Lösung: ………………………<br />
6. a) Mein Schlag ist gefürchtet.<br />
b) Ich bin leicht zu erschüttern.<br />
c) Ich besitze einen Stamm und bestehe aus Zellen.<br />
d) Vor der Wäsche bin ich eine wahre Folter.<br />
e) Wenn ich blute, geht es um Leben und Tod.<br />
f) Mich sollte man immer benutzen.<br />
Lösung: ………………………<br />
durchblick 4/<strong>2006</strong> 35
Portrait<br />
Rotraud Ewert<br />
Rotraud Ewert ist im Oktober siebzig geworden, und ein<br />
Rückblick auf die vergangenen Jahrzehnte ist so interessant,<br />
so heiter und lebendig wie die ganze Frau. „Ich kenne<br />
mich mit der Aufzucht von Nerzen, Bibern und Waschbären<br />
aus, das habe ich damals in Ostberlin gelernt“, erzählt<br />
sie, nach ihrem beruflichen Werdegang befragt, dessen Verlauf<br />
vom Krieg und seinen Folgen geprägt war. Zwei Jahre<br />
vor Kriegsende wurde ihr Vater, der – als Polizist unter<br />
Hitler – wegen Äußerungen gegen das Nazi-Regime denunziert<br />
worden war, als „politisch unzuverlässig“ aus dem<br />
Polizeidienst entlassen. Er suchte, um drohenden Konsequenzen<br />
zu entgehen, mit Familie einen Neuanfang in<br />
Fürstenwalde, im Osten von Berlin, der später sowjetisch<br />
besetzten Zone. Dort machte er sich mit einer kleinen Pelztierfarm<br />
selbstständig, in der seine 14-jährige Tochter zur<br />
Pelztierzüchterin ausgebildet wurde.<br />
Nach der Flucht der Familie nach Westberlin 1953 musste<br />
die im Beruf gerade „sattelfest“ gewordene Pelztierzüchterin<br />
umsatteln: „Einen derart ausgefallenen Beruf gab<br />
es da noch nicht.“ Sie wechselte nahtlos über von der Farm<br />
zur Fabrik und wurde Autogenschweißerin.<br />
Da boten sich für die meisten „West-Frauen“ ungewohnte<br />
Arbeitsbedingungen bei dem Lärm der großen Maschinen<br />
und dem gleißenden Licht am Schweißbrenner.<br />
Heute kann die Fachfrau jungen Auszubildenden zeigen,<br />
wie metallische Einzelteile – zum Beispiel wie damals bei<br />
Electrolux –, Aggregate für Kühlschränke in Industriebetrieben<br />
im Akkord zusammengeschweißt werden. Dabei<br />
staunt die Fachfrau ein bisschen über die oft bauchfreie<br />
Mode am Arbeitsplatz: „Der als Blaumann populär gewordene<br />
Arbeitsanzug mit Latzhose, dazu Lederhandschuhe,<br />
Schweißerbrille mit dicken Gläsern, Gehörschutz gegen<br />
den Lärm und Schuhe mit Stahlkappen, war da weniger<br />
sexy, aber sinnvoller.“<br />
Das Schweißen lernte Rotraud Ewert in der Akkumulatorenfabrik<br />
in Hagen. Durch den wechselvollen beruflichen<br />
Werdegang des Vaters landete die Tochter über Hamburg,<br />
Hagen, Weidenau und Netphen in der Siegener Firma<br />
Siegas, später Electrolux, heute Dometica. Als Mitglied der<br />
IG Metall wurde die früh gewerkschaftlich engagierte Frau<br />
1965 in den Betriebsrat der Firma Electrolux gewählt. Sie<br />
vertrat die Anliegen der 145 Frauen, die dort damals an drei<br />
Fließbändern arbeiteten. „Frauen können ebenso gut schweißen<br />
wie Männer“, sagt sie, „aber sie werden bis heute nicht<br />
ebenso gut bezahlt. Dass das anders wird, dafür habe ich<br />
immer gekämpft.“<br />
Bei einer Ansprache zum Geburtstag der Jubilarin hob<br />
die stellvertretende Kulturausschussvorsitzende Traute Fries<br />
im Oktober hervor, dass ihre Weggefährtin im Arbeitsleben<br />
als Seniorin selbst wunderbare Seniorenarbeit geleistet habe.<br />
Sie hatte über viele Jahre die ehrenamtliche Betreuung<br />
eines alten Mannes übernommen, der bis zu seinem Tod im<br />
94. Lebensjahr noch Fürsorge und Lebensqualität erfahren<br />
konnte.<br />
Wer im Siegener Kulturleben zu Hause ist, der kennt<br />
auch die temperamentvolle Hobbyfotografin, die mit flottem<br />
Schritt, die Kamera im Griff, Jagd auf lohnende Motive<br />
macht. Sie tut viel für ihr Hobby: „Ich habe Kisten und<br />
Alben zum Stapeln“, sagt sie. Da ist eine bunte Auswahl<br />
aus dem Siegener Kulturleben zusammengekommen.<br />
Eine Ausstellung<br />
dürfte sich lohnen.<br />
Rotraud Ewert wechselte von der Pelztierzüchterin in den damals für Frauen<br />
ungewöhnlichen Beruf einer Autogenschweißerin an der Kondensator-Wickelmaschine.<br />
In der „durchblick“-Buchreihe<br />
„… und samstags in die Zinkbadewanne“<br />
gibt Rotraud Ewert unter anderem<br />
amüsante Einblicke in ihre<br />
zeitgemäße Erziehung zu Beginn<br />
des 20. Jahrhunderts, zum Beispiel<br />
in Sachen Aufklärung: „Mein Vater<br />
hat mal zu mir gesagt: Wenn Du mit<br />
einem Jungen ins Bett gehst und<br />
kommst mit einen dicken Bauch nach<br />
Hause, dann steht der Koffer vor der<br />
Tür. Das hat viel Unwohlsein bei mir<br />
ausgelöst, weil ich nicht wusste, was<br />
er meinte.“ Sie erinnert sich: „Aufklärung<br />
gab es damals nicht. Ich<br />
weiß noch, dass ich mir ein Lexikon<br />
herausgesucht und in Bildtafeln angeguckt<br />
habe, wie eine Frau so ➤<br />
36 durchblick 4/<strong>2006</strong>
zusammengesetzt ist, oder ein Mann. Aber damit hat man<br />
wirklich nicht viel lernen können über Beziehungen zwischen<br />
Mann und Frau.“<br />
Wenn Rotraud Ewert erzählt, entstehen facettenreiche<br />
Bilder mit farbigen Konturen aus den vergangenen Jahrzehnten:<br />
Ihr Vater als einstiger Berliner Schupo hatte in der späteren<br />
DDR keine Perspektive. Er machte sich selbstständig<br />
mit der Pelztierfarm. Seine Tochter blickt zurück auf eine<br />
schöne Kindheit in ihrem<br />
Elternhaus an der<br />
Spree: „Aber dass ich<br />
im Arbeiter- und Bauernstaat<br />
nicht weiter<br />
auf der Schule bleiben<br />
durfte, weil mein Vater<br />
kein Bauer und kein<br />
Arbeiter war, das war schlimm und machte mich sehr traurig.“<br />
Erinnerungen an das Kriegsende und die Zeit danach<br />
unter sowjetischer Besatzung sind dann viel schlimmer:<br />
„Schöne Erlebnisse gab es aber auch.“ Es sind Kindereindrücke<br />
zwischen Kasernentor und Panjewagen.<br />
Nach dem Schulabschluss und der Lehrzeit auf der Farm<br />
war es dann 1953 wieder der Druck eines Regimes, der zum<br />
Aufbruch zwang. Das bleibt bis heute für die 70-Jährige unvergessen:<br />
„Die SED verlangte unter Drohungen mit der<br />
Pistole Spitzeldienste von meinem Vater.“ Nach abenteuerlichen<br />
Umwegen und dem Einsatz der Gruppierung „freiheitliche<br />
Juristen“ in West-Berlin gelang eine Aufnahme<br />
des Vaters im Auffanglager für politische Flüchtlinge, die<br />
den damals „neuen Bundesländern“ zugewiesen wurden.<br />
Von nun an ging’s bergauf: Die junge Bürgerin des Landes<br />
Nordrhein-Westfalen, die mit Eltern und zwei Geschwistern<br />
in Hagen blieb, hatte ein vorrangiges Ziel: „Ich<br />
wollte so schnell wie möglich Arbeit haben.“<br />
Das wurde in der Akkumulatorenfabrik in Hagen-Haspe<br />
möglich, wo die Ausbildung zur Schweißerin integriert<br />
war. An gleichen Lohn für Männer und Frauen war damals<br />
noch nicht zu denken, auch bei absolut ebenbürtiger Leistung.<br />
Ein Unterschied wurde bei der Ausführung der Tätigkeit<br />
vorgeschrieben. Da blieb auch viel Heiteres im Gedächtnis:<br />
„Frauen sollten (der Röcke wegen) nicht wie<br />
Affen an den Regalen hochkrabbeln, um die Aggregate runterzuholen.<br />
Die eingeführten Latzhosen erübrigten später<br />
das Verbot.“ Wieder war es dann der Beruf des Vaters, der<br />
einen Wechsel von Wohnung und Arbeitsstelle erforderte.<br />
Dem einstigen „Schupo“ aus Berlin wurde die Möglichkeit<br />
geboten, wieder bei der Polizei zu arbeiten, diesmal im Siegener<br />
Raum.<br />
Portrait<br />
An gleichen Lohn für Männer und Frauen<br />
war damals noch nicht zu denken,<br />
auch bei absolut ebenbürtiger Leistung.<br />
sich: „Viele kannten ihn, die stellten Weihnachten immer<br />
kleine Fläschchen oder Päckchen auf das Podest, die er<br />
dann mit zur Leitstelle brachte.“ Im Dezember 1955 wurde<br />
eine Wohnung auf dem Giersberg bezogen. 14 Tage später<br />
begann für die inzwischen 19-Jährige der erste Arbeitstag<br />
bei der Firma Siegas – Wilhelm Loh KG in Weidenau.<br />
Da wurde Umdenken notwendig für bundesdeutsche<br />
Neubürger. Rotraud Ewert erinnert sich: „Bei der Lohnzahlung<br />
habe ich protestiert. Ich wollte wissen, warum es<br />
hier 98 Pfennig gab,<br />
statt 1,28 Mark in der<br />
Hagener Fabrik mit<br />
dem gleichen Arbeitsangebot.<br />
Das war doch<br />
dasselbe Bundesland.“<br />
Gleichberechtigung<br />
im Arbeitsleben blieb<br />
über 40 Jahre ihr angestrebtes Ziel. Im Ruhestand und bei<br />
den Senioren ist da nichts mehr zu erkämpfen. Da macht<br />
der Einsatz mit gleicher Kraft für Mann und Frau ihr Freude.<br />
Was denkt sie über das Alter? Sie ist 70 Jahre alt, sportlich<br />
durchtrainiert, aktiv bei Wandersport und Volkstanz<br />
und dazu noch mit Kopf und Herz „ein bisschen weise“,<br />
aber so etwas würde sie niemals zugeben. Was soll’s? Sie<br />
sagt: „In mir drin hat sich eigentlich nicht viel geändert –<br />
und das Leben ist immer noch schön.“<br />
Maria Anspach<br />
Mancher Weidenauer kann sich vielleicht noch an den<br />
beliebten Polizisten mit weißer Mütze und weißen Handschuhen<br />
erinnern, der an der Kreuzung Haardter Brücke auf<br />
rundem Podest den Verkehr regelte. Seine Tochter entsinnt<br />
Rotraud Ewert: „In mir drin hat sich nicht viel geändert –<br />
und das Leben ist immer noch schön.“<br />
durchblick 4/<strong>2006</strong> 37
Kultur<br />
Liebe(s):Spiele(n)<br />
Ein intergeneratives<br />
Theaterprojekt des SENiorenTHEatersSIEgen<br />
zusammen mit theaterbegeisterten<br />
jungen Menschen<br />
in der Ausstellung<br />
„Loveletters vom Lennestrand<br />
– Liebe im Sauerland“<br />
in den Museen<br />
der Stadt Lüdenscheid.<br />
„Dialog zwischen zwei Generationen“, auf Initiative des Instituts für Bildung und Kultur,<br />
Remscheid<br />
Kann sich ein historisches<br />
Museum mit der Liebe<br />
beschäftigen? Es kann,<br />
wie die Ausstellung der<br />
Museen der Stadt Lüdenscheid<br />
mit dem augenzwinkernden<br />
Titel „Loveletters<br />
vom Lennestrand –<br />
Liebe im Sauerland“ bewies.<br />
Denn die Liebe hinterlässt<br />
Spuren im Alltag<br />
der Liebespaare, darunter<br />
auch viele gegenständliche<br />
Spuren – und die lassen<br />
sich in einem Museum präsentieren: Liebesbriefe, Fotos,<br />
Andenken u. v. m. Die Kuratorin Michaela Ernst, die<br />
diese Ausstellung mit viel Liebe zum Detail zusammengestellt<br />
hatte, orientierte sich an der Chronologie der Liebe.<br />
Der Rundgang erstreckte sich über die erste Phase des Kennenlernens,<br />
eines Klassenzimmers und einer Tanzschule.<br />
Von hier aus führte er über das Verliebtsein, die Sexualität<br />
und die Ehe bis zur Trennung und endete wieder beim Kennenlernen.<br />
Eingebunden in das landesweite Projekt „MehrKultur55+“,<br />
einer Initiative des Instituts für Bildung und Kultur<br />
in Remscheid, die zum Ziel hatte, den „Dialog zwischen<br />
den Generationen“ zu fördern sowie der Unterstützung des<br />
Servicebüros der Kulturregion Südwestfalen, wurde die<br />
Idee entwickelt, SpielerInnen unterschiedlicher Generationen<br />
zusammenzubringen.<br />
Seit längerer Zeit probte das SENiorenTHEaterSIEgen<br />
biografischen Szenen zum Thema „Liebe“ – mein erster<br />
Kuss, meine erste große Liebe, Hochzeit usw. Erinnerungen<br />
von unermesslich großem persönlichen Wert! Der Besuch<br />
der Ausstellung in Lüdenscheid zündete die Idee, die<br />
Spielszenen in der Ausstellung zu präsentieren: Die Ausstellungsräume<br />
als Spielräume zu nutzen, sie durch biografische<br />
Szenen lebendig werden zu lassen.<br />
Und dann die Frage: Gibt es Unterschiede zwischen<br />
dem „Liebesleben“ der jüngeren Generation zu dem der älteren?<br />
Und wie sieht das aus? Ist man/frau heute schneller<br />
bei der „Sache“, ist das gut/schlecht und wer beurteilt das?<br />
Auf der Suche nach Antworten haben uns junge Menschen<br />
geholfen. Spiel- und theaterbegeistert und mit großem<br />
Engagement waren sie dabei: Bianca, Eva, Kristina,<br />
Lena, Franziska und Markus. Die Jüngste gerade mal 12 mit<br />
Spielerfahrungen aus Kindergarten und Schule, der Älteste,<br />
28, schon bühnenerprobt. In kleinen und größeren Workshops<br />
wurde geprobt: Liebeserfahrungen von damals und<br />
heute nachgespürt, unerfüllte Sehnsüchte und Schmerzen<br />
wurden beweint, über glückliche Tage gelacht. Die Perspektiven<br />
der Älteren an Erinnerungen hängend, zurückgewandt,<br />
der Blick der Jüngeren nach vorn: So stell’ich mir<br />
meine Hochzeit vor …<br />
Wir mischten Jung und Alt, Erfahrungen und Erwartungen,<br />
probten biografische Szenen und platzierten sie in<br />
dem historischen Ambiente der Ausstellung. Mit viel<br />
Charme und sprühender Spielfreude belebte die gemischte<br />
Theatergruppe die Räume des Museums.<br />
Im Klassenzimmer, wo Walter Irma immer an den Zöpfen<br />
zog, weil er sie gerne mochte, und die Lehrerin noch<br />
mit dem Stöckchen auf die Finger schlug, begann der<br />
Rundgang für das Publikum. Franziska (12), die die Rolle<br />
der gestrengen Lehrerin übernahm, wollte das nicht wahrhaben:<br />
„Meine Lehrerin sammelt die Zettelchen („Liebesbriefchen“),<br />
die ich schreibe, immer ein und dann liest sie<br />
selbst in der Pause!“<br />
➤<br />
38 durchblick 4/<strong>2006</strong>
Kultur<br />
Eine der wenigen Möglichkeiten sich kennenzulernen –<br />
jedenfalls früher – war die Tanzstunde. Erst nach ausführlichem<br />
Unterricht in Sachen Etikette (gerade sitzen! lächeln!<br />
nur reden, wenn man (frau!) angesprochen wird!<br />
Beine nebeneinander stellen! Hände locker im Schoß!)<br />
durften sich die Geschlechter unter den strengen Augen der<br />
Tanzlehrerin begegnen. Und dann die Hoffnungen und<br />
Befürchtungen: „Hoffentlich kommt nicht der mit den<br />
Pickeln!“ „Die Blonde gefällt mir!“ Bis hin zum ersten<br />
„Aua!“ infolge der Tolpatschigkeit des Tanzpartners. So<br />
gespielt und erlebt von den Älteren. Das wandelten die Jungen<br />
in einen Abend in der Disco um und präsentierten ihre<br />
Erfahrungen im Kennenlernen. „Er“ protzt mit seinem neuen<br />
„Schlitten“, spendiert Getränke und baggert die Mädchen<br />
an. Die Auserwählte ist sich schnell mit ihm einig und<br />
lässt sich von der Freundin noch mit einem Kondom für den<br />
Fall der Fälle versorgen.<br />
Im „Hausball“ von damals zwischen Cocktailsesseln,<br />
Nierentisch, Käseigel und Erdbeerbowle wollte Mutter<br />
Schifferdecker ihre heiratsfähigen Kinder standesgemäß<br />
unter die Haube bringen.<br />
Erotisch knisternd war die Spannung beim Picknick am<br />
See, denn früher konnte man sich nur draußen miteinander<br />
vergnügen.<br />
Sich-Kennenlernen kann man auch per Anzeige in der<br />
Zeitung – jedenfalls früher. Da gab es über die „Herren der<br />
Schöpfung“ und ihre wunderlichen Verhaltensweisen das<br />
eine oder andere mehr oder weniger Amüsante zu berichten.<br />
Heute eröffnet der Chat-Room im Internet den jungen<br />
Leuten ganz andere Möglichkeiten.<br />
In einem weiteren Ausstellungsraum stickte die Oma<br />
wie früher in die Weißwäsche Monogramme, bewundert<br />
von der Enkelin über so viel Fleiß<br />
und Mühe, wo man das Ganze doch<br />
viel trendiger in den einschlägigen<br />
Läden kaufen kann!<br />
Die Realität einer heiß ersehnten Hochzeitsnacht ließ<br />
die Besucher schnell ernüchtern. Es ist wie bei den Königskindern:<br />
Das Wasser war viel zu tief! Deshalb trennte<br />
man sich nach langer Zeit von Bett und Tisch – aber auch<br />
die Jüngeren können schon von schmerzhaften Erfahrungen<br />
berichten: Er war mit der anderen zusammen: „Und<br />
jetzt? Wie soll es jetzt weitergehen?“<br />
Zum guten Schluss noch der Liebesbrief von damals:<br />
„… Ich möchte Sie einmal fragen, ob wir nicht Kameraden<br />
werden können...“ Und die prompte Antwort von heute per<br />
SMS: lassmatreffn! Hdgdl! (Hab dich ganz doll lieb!)<br />
Den letzten Tag der Ausstellung krönte die Inszenierung<br />
des Stückes „Der Krämerskorb“ von Hans Sachs,<br />
inszeniert mit SpielerInnen aus drei Generationen, die die<br />
Frage „Wie führe ich eine gute Ehe?“ aus den unterschiedlichsten<br />
Blickwinkeln thematisierten. Des Rätsels<br />
Lösung: „Einer trage des anderen Last!“<br />
Die Ausstellung „Loveletters vom Lennestrand“ wandert<br />
zzt. nach Menden und dann nach Iserlohn. Ende 2007<br />
wird sie von Frau Dr. Corinna Nauck ins Museum Wilnsdorf<br />
übernommen – bestimmt wieder mit biografischen<br />
Szenen!<br />
Ein ganz besonderer Dank gilt Frau Barbara Lambrecht-<br />
Schadeberg, die dieses Projekt finanziell großzügig unterstützt<br />
hat, Michaela Ernst vom Museum in Lüdenscheid,<br />
die uns tatkräftig und engagiert zur Seite stand, Hans-Adolf<br />
Müller vom Servicebüro Kulturregion Südwestfalen, der<br />
die Fäden in der Hand behielt, und dem IBK in Remscheid,<br />
das den Anstoß zu diesem Projekt gab.<br />
Beate Gräbener<br />
„Eigner Herd ist Goldes wert!“<br />
predigte die Oma am alten Kohleherd<br />
und schrubbte und wienerte,<br />
denn er ist ja der Stolz einer jeden<br />
Hausfrau! Zur Zeit der Jahrhundertwende<br />
schilderte sie all die Mühsalen<br />
des Kochens, Einweckens, Waschens<br />
und Backens, während die<br />
voll berufstätige Jüngere heute vor<br />
lauter Fit- und Wellnessterminen<br />
ihre komplett technisierte Küche gar<br />
nicht mehr richtig zu nutzen weiß –<br />
da sind selbst 10 Minuten für die<br />
Zubereitung eines Mikrowellengerichts<br />
schon zu lang!<br />
Wir mischten Jung und Alt, Erfahrungen und Erwartungen.<br />
durchblick 4/<strong>2006</strong> 39
In den letzten Artikeln ging<br />
es mir darum, verschiedene Bilder<br />
von dem aufzuzeigen, was<br />
Alter ausmacht. Dabei habe<br />
ich mich hauptsächlich mit Altersbildern<br />
beschäftigt, die ein<br />
gewisses Maß an Wohlstand,<br />
Beweglichkeit, Vermögen in<br />
finanzieller Hinsicht oder aufgrund<br />
von beruflichen Fähigkeiten<br />
darstellen.<br />
Natürlich ist das allein noch<br />
nicht ein vollständiges Bild<br />
von dem, was Alter ausmacht.<br />
Noch keinen Blick habe ich<br />
damit auf jene geworfen, die weniger wohlhabend sind, die<br />
in Armut leben, die behindert sind. Dazu komme ich auch<br />
heute nicht – denn bei der Arbeit mit den Altersbildern begegnete<br />
mir ein weiterer Aspekt von Mobilität. Er begegnete<br />
mir, als ich meinen Kindern neugierig über die Schultern<br />
schaute, als sie ihre Mobilität am Computer weiter<br />
ausbauten. Im Grundsatz bin ich ja eher skeptisch, wenn ich<br />
sie am Computer sitzen sehe. Ich habe gelernt, dass ich<br />
Altersbilder<br />
Mobilität im Alter<br />
Neue (oder nicht mehr ganz so neue) Wege im Internet<br />
Die Internetseite des „durchblick“<br />
KNEBEL<br />
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nicht danach fragen sollte,<br />
was sie denn ‚dort’ schon wieder<br />
treiben (führt zu sofortigem<br />
Augenverdrehen oder<br />
lässt wirklich jede Stimmung<br />
sofort noch mal um mindestens<br />
20 Grad fallen).<br />
Aber beim letzten Blick<br />
über deren Schultern habe ich<br />
etwas gelernt! Haben Sie schon<br />
einmal etwas von openBC gehört,<br />
oder von facebook, oder,<br />
um eine dritte Form zu nennen:<br />
Myface? Kennengelernt<br />
habe ich diese Begriffe aus dem<br />
Internetzeitalter in den letzten – sagen wir mal acht Wochen.<br />
Zuerst bei einer Gruppe, die hier am entferntesten<br />
scheint: den eigenen Kindern (denn in der Regel darf ich<br />
ihnen nicht zuschauen, wenn sie am Bildschirm sitzen;<br />
auch die scheinbar simpelsten Sachen unterliegen offensichtlich<br />
höchster Geheimhaltungsstufe).<br />
Als nächstes, einmal aufmerksam geworden, bei jüngeren<br />
Arbeitskollegen, die ich auf einer Fortbildung kennengelernt<br />
habe.<br />
Es handelt sich um ein Gebiet im Internet, bei dem es<br />
darum geht, sich Netzwerke aufzubauen, in Kontakt mit<br />
Leuten mit den gleichen Hobbies oder Interessen zu treten.<br />
Es geht darum, sich selbst darzustellen, von sich zu berichten,<br />
Bilder von sich zu veröffentlichen, Meinungen auszutauschen.<br />
Nicht zuletzt geht es darum, Menschen mit<br />
ähnlichen Interessen kennenzulernen. Und diese Menschen<br />
können im selben Ort – sie können aber auch am anderen<br />
Ende der Welt wohnen. Was mich überraschte: es ist kostenlos,<br />
wenn man einmal davon absieht, dass man einen<br />
Computer braucht und einen Internetanschluss. Faszinierend<br />
ist, dass diese Angebote tatsächlich ohne zusätzliche<br />
Kosten sehr viel bieten. Ein Problem ist, dass einige dieser<br />
Angebote Englischkenntnisse erfordern – doch zeigt sich<br />
schnell, dass dies nicht eine zwingende Voraussetzung ist<br />
(es erleichtert allerdings die ersten Schritte wesentlich).<br />
Wenn Sie einen Computer zur Hand haben, dann öffnen<br />
Sie das Programm, mit dem Sie üblicherweise ins Internet<br />
gehen und geben beispielsweise folgende Adresse ein:<br />
www.openBC.de. Sie befinden sich jetzt auf einer Internetseite,<br />
die deutschsprachig ist. Melden Sie sich dort an<br />
(im Internetzeitalter sagt man dazu: lassen Sie sich registrieren).<br />
Sofort habe Sie die Möglichkeit, Menschen zu finden,<br />
die ähnliche Hobbys haben wie Sie. Und Sie können<br />
sich dort ebenfalls eine Seite einrichten, ihre Interes- ➤<br />
40 durchblick 4/<strong>2006</strong>
Altersbilder<br />
sen dort eintragen, nach anderen Menschen suchen, die<br />
gleiche Hobbys haben, diesen kurze Briefe schreiben, in<br />
einen Austausch mit ihnen treten.<br />
Versuchen Sie einmal die folgende Adresse:<br />
www.myface.com. Nun befinden Sie sich auf einer allerdings<br />
leider nur auf englisch geführten Seite. Sie müssen<br />
sich ebenfalls anmelden, können dann in einem nächsten<br />
Schritt ebenfalls ihre Interessensgebiete eintragen lassen –<br />
und können wieder nach Menschen suchen, die ähnliche<br />
Interessen haben.<br />
Eine dritte Adresse noch: www.facebook.com. Es handelt<br />
sich ebenfalls um ein englischsprachiges Angebot.<br />
Ich habe diese Seiten anfangs nur aus Neugierde durchgeblättert.<br />
Und ich war überrascht, wie differenziert sich<br />
dort Menschen (sogar mit eigenem Bild) darstellen. Manche<br />
Seiten enthalten umfangreiche Fotoalben, Tagebucheintragungen,<br />
Stellungnahmen zu bestimmten Themen.<br />
Man kann besuchte Schulen oder Universitäten oder Arbeitsstellen<br />
angeben, wenn man beispielsweise hofft, so<br />
frühere Bekannte zu finden. Ein Beispiel: Ich gebe in<br />
openBC als Suchbegriff Theater ein, weil ich mich eben für<br />
Theaterarbeit und Schauspiel interessiere. Aber auch, weil<br />
ich mich auf diesem Gebiet etwas auskenne und gerne überprüfen<br />
möchte, ob dort wirklich auch Leute zu finden sind,<br />
die ebenfalls dieses Interesse haben. Und ich staune nicht<br />
schlecht, dass ich über vierzig Namen aufrufen kann – und<br />
auf Menschen stoße, die ausgewiesene Kenntnisse haben,<br />
sogar eigene Projekte darstellen. Manche laden dazu ein,<br />
mit Ihnen einen fachlichen Austausch zu führen. Über ihre<br />
E-Mail-Adresse kann ich direkt mit ihnen in Kontakt treten.<br />
Was mich zudem erstaunt: Ich finde darunter sowohl<br />
Menschen um die 30 wie auch welche um die 60 Jahre. Drei<br />
wohnen sogar in Siegen-Wittgenstein. Und dazu muss ich<br />
nicht reisen oder kompliziert recherchieren! Und, denke ich<br />
auf einmal, dies ist doch eine ideale Möglichkeit, den eigenen<br />
Bekanntenkreis gezielt zu erweitern. Dies ist eine<br />
hervorragende Möglichkeit, andere Menschen mit gleichen<br />
Interessen zu finden. Genau hierzu nutzen unsere Kinder<br />
den Computer zunehmend. Natürlich gehe ich davon aus,<br />
dass sie auch gerne Computerspiele spielen, wenn sie am<br />
Computer sitzen. Aber sie machen mehr damit. Sie bauen<br />
sich eigene Internetseiten (oft kostenlos), sie treten in einen<br />
kostengünstigen Kontakt mit Jugendlichen aus anderen<br />
Ländern und Kontinenten (wesentlich billiger als jedes<br />
Telefongespräch auch nur in die Nachbargemeinde). Die<br />
jüngeren Kollegen, von denen ich oben berichtete, tauschen<br />
sich über fachliche Themen aus. Berichten über ihren Arbeitsalltag.<br />
Laden sich zu Seminaren ein (manches mag eine<br />
geschickte Art der Werbung sein – doch denke ich, dass<br />
hier der Nutzen die Nachteile überwiegt). Ich habe auch<br />
mitbekommen, dass man sich mitteilt, wenn irgendwo eine<br />
interessante Stelle frei wird, von der man denkt, dass der<br />
Kontaktpartner sich dort gerne bewerben möchte (und ich<br />
habe erlebt, dass jemand sich um solch eine Stelle beworben<br />
hat und sie bekam). Hier begegnet mir eine mir neue<br />
Art von Mobilität – die aus meiner Sicht weit über das hinaus<br />
geht, was ich bisher kennengelernt habe. Sie bietet gezielt<br />
die Möglichkeit, freie Netzwerke zu bilden und einen<br />
Informationsaustausch zu gestalten, der weit über die bisherigen<br />
Möglichkeiten hinausgeht; zumindest weit hinaus<br />
für die meisten Menschen. Und unsere Jugend ist zunehmend<br />
in der Lage, dieses Neue kreativ zu gestalten und für<br />
sich zu nutzen.<br />
Matthias Kraus<br />
durchblick 4/<strong>2006</strong> 41
Die Absicht, den Iran zu bereisen, rief angesichts der politischen<br />
Lage in meiner Umgebung Unverständnis, ja sogar<br />
Entsetzen hervor. Aber da ich auf früheren Reisen das<br />
Land besucht und festgestellt hatte, dass die Bevölkerung<br />
freundlich und gastlich ist, sah ich keinen Grund, die Reise<br />
abzusagen. Es stellte sich aber heraus, dass sich andere<br />
vor etwaigen Feindseligkeiten fürchteten. So bestand unsere<br />
Gruppe nur aus drei Reisenden, außer mir fand sich nur<br />
noch ein Ehepaar am Treffpunkt ein, auch sie reiseerfahrene<br />
Leute. Damit gestaltete sich unsere Reise fast wie ein<br />
Privatunternehmen. Unser Fahrer, ein liebenswürdiger junger<br />
Mann, hatte zwar von der Geschichte und Kunst seines<br />
Landes wenig Ahnung, aber er zeigte uns Dinge, die wir<br />
mit einer großen Gruppe nicht gesehen hätten. Er fuhr uns<br />
dreitausend Kilometer sicher in einem Landrover durch den<br />
Norden Irans, von der türkischen Grenze – am Kaspischen<br />
Meer entlang – bis in die Nähe der afghanischen Grenze.<br />
Wir starteten in Teheran, einer Stadt von gigantischen<br />
Ausmaßen mit brausendem Verkehr – kein Wunder bei einem<br />
Preis für Benzin von 8 Cent und für Diesel von 2 Cent<br />
– und fuhren zunächst in den Nordwesten. Dieser Teil des<br />
Iran ist hauptsächlich von Aserbeidjanern und Kurden bewohnt,<br />
beides Volksgruppen mit<br />
eigener Sprache. Die Perser, deren<br />
Sprache, das Farsi, die Amtssprache<br />
ist, bilden nur 50 % der Bevölkerung.<br />
Wir kamen bald an einem<br />
Menschenauflauf vorbei und<br />
erfuhren, dass eine kurdische Hochzeit<br />
stattfand. Als wir uns neugierig<br />
näherten, wurden wir freundlich<br />
eingeladen, an den Festlichkeiten<br />
teilzunehmen, wir mussten mittanzen<br />
und wurden in die Häuser geführt.<br />
Als Erstes wurde uns Tee<br />
angeboten. Leider waren die auf<br />
einem Spieß bratenden Hammel<br />
noch nicht gar, und unser Fahrer<br />
drängte zur Weiterfahrt. Eine Verständigung<br />
stieß wegen der Sprachschwierigkeiten<br />
schnell an Grenzen.<br />
Die Frauen der Kurden sind<br />
bunt gekleidet und nicht verschleiert,<br />
ein schöner Gegensatz zu dem<br />
traurigen Schwarz der Perserinnen.<br />
Das nächste Ziel war Tabriz, eine<br />
Millionenstadt im äußersten<br />
Westen. Die Blaue Moschee, ein<br />
herrlicher Bau, ist leider schon vor<br />
langer Zeit durch ein Erdbeben<br />
Leserbeitrag<br />
Eine Reise durch den Norden Irans<br />
Von Marie Mildner<br />
Frau Loos und Marie Mildner vor dem Heiligtum<br />
der Schiiten in Mashads<br />
zerstört worden, aber die Wiederherstellung der blauen<br />
Fliesenwände geht gut voran. An der Grenze zu Armenien<br />
besuchten wir eine wohlerhaltene christliche Kirche, wo<br />
einmal im Jahr die Armenier aus dem Iran und der ganzen<br />
Welt ein großes Fest feiern. Beeindruckend waren immer<br />
wieder die abwechslungsreichen Landschaften, weite Ebenen<br />
in wechselnden Farben und hohe Berge bis zu 5000<br />
Metern, auf denen bis in den Sommer hinein Schnee liegt.<br />
Nachdem wir das Elborzgebirge überquert hatten, an dessen<br />
Nordhängen sich große Laub- und Nadelwälder ausbreiten,<br />
durchfuhren wir die Küstenebene des Kaspischen<br />
Meeres, wo Tee und Reis – die Hauptnahrung der Iraner –<br />
angebaut werden. Das Meer ist ungeheuer fischreich, dort<br />
wird der Stör gefangen, aus dem man den Kaviar gewinnt,<br />
und eine Bootsfahrt durch die Lagune von Bandar Anzali<br />
führte uns durch die Nistgebiete von zahlreichen Wasservögeln.<br />
Dann ging es wieder über das Gebirge, unversehens<br />
gerieten wir aus einem fast subtropischen Klima in Nebel<br />
und Schnee. Überall haben wir uns in einheimischen Lokalen,<br />
oft auch in Garküchen am Wegesrand, verpflegt und<br />
dabei die Küche Irans kennengelernt. Die wenigen Fünf-<br />
Sterne-Hotels, in denen wir übernachteten, waren fast langweilig,<br />
die kleinen Gasthöfe einfach, aber sauber.<br />
Auf der Südseite des Gebirges<br />
fuhren wir am Rand der großen<br />
Wüste auf den Spuren der ehemaligen<br />
Seidenstraße, links und<br />
rechts der Straße lagen zahlreiche,<br />
meist verfallene Karawansereien.<br />
Auch die kleinen Städte auf der<br />
Route wirkten so, als ob gleich eine<br />
Karawane auftauchen würde. Wir<br />
besuchten in Nishapur das Mausoleuem<br />
von Omar Kayam, dem<br />
Dichter und Philosophen aus dem<br />
11. Jahrhundert. In einer schönen<br />
Gartenanlage gelegen, etwas abseits<br />
der Hauptstraße, befindet sich<br />
die Ruinenstadt Tus, die schon<br />
in achämenidischer und sassanidischer<br />
Zeit bestand. Dort ist der<br />
größte Dichter Persiens, der Schöpfer<br />
des Königsepos Shahnahmeh,<br />
begraben. Anlässlich seines 1000.<br />
Geburtstags wurde 1934 ein herrliches<br />
Mausoleum geschaffen, das<br />
in einem großen Garten mit zahlreichen<br />
Wasserbecken liegt. Es<br />
wird ständig von vielen Menschen<br />
aus allen Teilen Persiens besucht,<br />
die den großen Dichter verehren,<br />
so wie die Iraner auch zu den ➤<br />
42 durchblick 4/<strong>2006</strong>
Leserbeitrag<br />
Grabstätten ihrer anderen Dichter,<br />
Hafiz und Saadi, in Schiraz<br />
pilgern. Diese Mausoleen werden<br />
vor allem von Brautpaaren<br />
besucht, die in Andacht an den<br />
Särgen ihrer Dichter verharren.<br />
Der Iran hat ja bekanntlich eine<br />
lange Geschichte, die bis in die<br />
Vorzeit zurückreicht, und die<br />
Kunst und Wissenschaft, die um<br />
die Jahrtausendwende ihren<br />
Höhepunkt erreichten, haben<br />
das Abendland befruchtet und<br />
bereichert.<br />
Ein Höhepunkt der Reise war<br />
der Besuch Mashads, der zweitgrößten<br />
Stadt Irans im äußersten<br />
Osten, nicht weit von der Grenze<br />
Afghanistans. Nach der heiligen<br />
Stadt Ghom südlich von<br />
Teheran ist sie der wichtigste Pilgerort<br />
der Schiiten. Selbst Pilger<br />
aus Afghanistan und dem Irak<br />
sind dort anzutreffen. Im Zentrum<br />
befindet sich eine riesige theker Farid al-Din Attar<br />
Mausoleum für den mystischen Dichter und Apo-<br />
Anlage von Moscheen und Medresen,<br />
das Allerheiligste ist das Grab des Iman Reza, der<br />
große Verehrung genießt. Wir waren erstaunt, dass man uns<br />
den Eintritt in den heiligen Bezirk erlaubte, natürlich angetan<br />
mit dem Schador, einem überaus unbequemen Kleidungsstück,<br />
das nur Frauen tragen müssen und in dem wir<br />
uns ständig verhedderten. Außerhalb der Moscheen genügte<br />
das Tragen eines Kopftuchs und Kleidung, die Beine und<br />
Arme bedeckt. In das Allerheiligsten kamen wir nicht hinein,<br />
aber der Anblick der goldgeschmückten Gebäude war<br />
schon ein Erlebnis. Es werden noch ständig neue Moscheen<br />
gebaut, an keinem Ort der islamischen Welt ist mir die<br />
Macht dieses Glaubens so bewusst geworden.<br />
Meine Mitreisenden, mit denen ich so viel gesehen und<br />
mit denen ich viel gelacht hatte, kehrten nach Deutschland<br />
zurück. Ich selbst flog für 5 Tage nach Isfahan, der wunderschönen<br />
Stadt am Rande der<br />
Wüste, und besuchte noch einmal<br />
die Moscheen und Gärten,<br />
die diese Stadt so sehenswert<br />
machen. Ich besuchte Freunde<br />
und erlebte die Gastfreundschaft<br />
dieser Menschen, die sich<br />
über einen Besuch aus Deutschland<br />
freuten. Von den Spannungen,<br />
die zwischen dem Iran und<br />
der EU und den USA durch die<br />
Absicht der Iraner entstanden<br />
sind, die Urananreicherung und<br />
damit die Möglichkeit zum Bau<br />
einer Atombombe voranzutreiben,<br />
war wenig zu merken. Die<br />
Menschen dort sind mit der<br />
Bewältigung ihres schwierigen<br />
Alltags beschäftigt. Vor allem<br />
die Jugend beklagt sich über<br />
den Mangel an Perspektiven<br />
und die strenge Aufsicht der<br />
Mullahs. Mögen die Wirrungen<br />
der Politik nicht verhindern,<br />
dass noch viele Menschen dieses<br />
interessante Land besuchen.<br />
Die Rückfahrt nach Teheran ging per Zug vor sich, für<br />
die 900 Kilometer lange Strecke bezahlten wir 12 Euro. Ich,<br />
die ich hinreichende Erfahrungen mit russischen Zügen gemacht<br />
hatte, war angenehm enttäuscht. Die Wagen nebst sanitären<br />
Anlagen waren blitzsauber, das Personal freundlich<br />
und hilfsbereit. Der Zug hielt abends und morgens zu den<br />
Gebetszeiten an einem Bahnhof, um den Menschen Zeit zur<br />
Verrichtung ihrer Gebete zu geben. In Teheran besichtigten<br />
wir einige der zahlreichen Museen und die Altstadt, die abgerissen<br />
werden soll, um neuen hässlichen Hochhäusern<br />
Platz zu machen. Teheran ist kein Ort, an dem man sich<br />
gern aufhält.<br />
durchblick 4/<strong>2006</strong> 43
Glaubt man den Statistikern, werden in den kommenden<br />
Jahren erhebliche Vermögenswerte, vor allem in Form<br />
von Haus und Hof, an die nächste Generation vererbt. Wer<br />
nur ein wenig die in der Presse wiedergegebenen Diskussionen<br />
um Erbschaftssteuern und die höchstrichterlichen<br />
Urteile der letzten Jahre verfolgt hat, ahnt, dass auch der<br />
Staat seinen Teil von diesem Vermögen beanspruchen will.<br />
Erbschaftssteuer ist das Zauberwort und man muss in Zeiten<br />
wie diesen kein Prophet sein, wenn man voraussagt,<br />
dass sie sich in den nächsten Jahren sicherlich nicht vermindern<br />
wird.<br />
Da es steuerlich weitgehend keinen Unterschied macht,<br />
ob ich zu Lebzeiten etwas verschenke oder beim Tod vererbe,<br />
scheint Eile geboten, um einer Erhöhung der Erbschafts-<br />
und Schenkungssteuer zuvorzukommen. Noch bestehen<br />
für die Abkömmlinge und Ehepartner relativ hohe<br />
Freibeträge, so dass weitergegebenes Vermögen, das diese<br />
nicht überschreitet, steuerfrei bleibt. Noch wird auch das<br />
eigengenutzte Eigenheim steuerlich bevorzugt, da es nur etwa<br />
mit der Hälfte seines Verkaufswertes in die steuerliche<br />
Berechnung einfließt.<br />
Wer jedoch nur auf die Steuerersparnis, ein Zauberwort<br />
auch für den Steuerpflichtigen, starrt, der überblickt nicht<br />
einmal ein Zehntel der Überlegungen, die bei der Frage, ob<br />
und wann ich Vermögenswerte an die nächste Generation<br />
weitergebe, anzustellen sind. Insbesondere die Frage, ob<br />
ich zu Lebzeiten – mit warmer Hand, wie der Siegerländer<br />
sagt – oder erst bei meinem Tod – mit kalter Hand – die<br />
kommende Generation bedenke, will wohl, und zwar nicht<br />
allein anhand steuerlicher Überlegungen, bedacht sein.<br />
Dabei sind es gerade steuerliche Fragen, die den Ausgangspunkt<br />
einer Diskussion um die Weitergabe zu Lebzeiten<br />
bilden. Der Sohn/die Tochter wollen sich im elterlichen<br />
Haus einrichten, es renovieren, erweitern – ah-, drah-,<br />
on ümbaue. – Investitionen können aber nur dann steuerlich<br />
nutzbar gemacht werden, wenn sie dem eigenen Eigentum<br />
zugute kommen. Die Eltern als Rentner haben aber<br />
weder die flüssigen Mittel noch steuerliche Vorteile. Die<br />
Kinder können beides jedoch in die Waagschale werfen.<br />
Also heißt das Motto: Umschreibung auf das Kind!<br />
Aber Vorsicht: Mit der Umschreibung des Eigentums<br />
geht auch die Machtstellung des Übergebers verloren. Das<br />
Haus teilt jetzt das Schicksal des Kindes und wird von seinen<br />
Entscheidungen beeinflusst. Das Kind kann das Haus<br />
verkaufen, verpfänden, vermieten. Das Kind kann infolge<br />
von Arbeitslosigkeit oder Krankheit in finanzielle Schwierigkeiten<br />
kommen, so dass der Staat (Hartz IV als Stichwort)<br />
oder Gläubiger direkt oder indirekt Zugriff nehmen<br />
können.<br />
Was etwa, wenn das Kind vor mir verstirbt? Was, wenn<br />
seine Ehe geschieden wird? Absicherungen sind gefragt.<br />
Leserbeitrag<br />
Mit warmer Hand oder mit kalter Hand<br />
oder: Wie gebe ich Vermögen an die jüngere Generation weiter<br />
Das lebenslange, unentgeltliche Wohnungsrecht etwa. Das<br />
sichert den Senior jedoch nur, wenn nicht Geldgeber mit<br />
hohen Beträgen (Grundschuld, Hypothek) im Grundbuch<br />
vor diesem Wohnungsrecht eingetragen sind. Gut in Erinnerung<br />
ist mir noch die 86-jährige Großmutter, die ihr Haus<br />
vor Jahren der Enkelin übertragen hatte. Natürlich hatte sie<br />
deren Bitten immer wieder entsprochen und Grundschulden<br />
für Banken den Grundbuchvorrang vor ihrem Wohnungsrecht<br />
eingeräumt. Ergebnis: Das Haus wurde<br />
zwangsversteigert, das Wohnungsrecht gelöscht, ein Geldbetrag,<br />
der als Ersatz hätte gezahlt werden können, stand<br />
nicht mehr zur Verfügung, weil die Banken vorrangig Anspruch<br />
auf den Versteigerungserlös hatten. Die alte Frau<br />
musste in eine Mietwohnung ziehen.<br />
Stirbt mein Kind vor mir, werden dessen Erben Eigentümer<br />
des Hauses. Geschieht dies in jungen Jahren, ist<br />
es wahrscheinlich, dass die Schwiegertochter/der Schwiegersohn<br />
erneut heiraten und mit der Zeit „fremde“ Personen<br />
Eigentümer „meines“ Hauses sind.<br />
Nach meinem Gefühl bleibt das Haus mir,<br />
auch wenn ich es an mein Kind übergeben habe. Auch<br />
das ist bei meiner Entscheidung, Eigentum aufzugeben, zu<br />
berücksichtigen. Ich kann Vermögen nicht weitergeben und<br />
zugleich bestimmen, wo es langgeht. Wem daran gelegen<br />
ist, bis zum Schluss das Sagen zu haben, der vererbt und<br />
gibt nicht zu Lebzeiten weiter.<br />
Was ist mit den Geschwistern?<br />
Eine weitere Frage, die sich dem Älteren stellt, da er die<br />
Kinder, die das Haus nicht erhalten, ja nicht zu kurz kommen<br />
lassen will. Familienrat ist das Stichwort. Jeder sollte<br />
seine Vorstellungen offen äußern. Es hilft nicht weiter,<br />
wenn aus falsch verstandenem Schamgefühl (man könnte<br />
ja denken, ich misstraue ihm) die möglichen Probleme (bei<br />
uns passiert so etwa nicht) unter dem Teppich gekehrt und<br />
nicht offen angesprochen werden. Klar ist auch, dass jeder<br />
aus „seiner Hose heraus“ argumentiert. ‚Der kriegt das<br />
Haus und ich soll nur mit so einem kleinen Betrag abgefunden<br />
werden?‘ ‚Mit dem Haus habe ich aber auch die Verantwortung<br />
dafür, laufende Kosten und zukünftige Reparaturen’,<br />
so zwei der häufig vertretenen Standpunkte. Und<br />
ich ergänze beispielhaft anstelle des Hausübernehmers:<br />
‚Wer muss sich denn um die Eltern kümmern, wenn etwas<br />
passiert? Ich, weil ich am Nächsten dran bin?‘ Das lässt sich<br />
unter Umständen in Geld überhaupt nicht ausdrücken. Ja,<br />
sprechen Sie auch über solche Konsequenzen!<br />
Und darüber sollten sich alle Beteiligten klar sein: Es<br />
gibt keine absolute Gerechtigkeit.<br />
Der spitze Bleistift<br />
darf nicht ausgepackt werden, der dicke Daumen ist gefragt.<br />
Wer meint, durch pingeliges Rechnen es allen ➤<br />
44 durchblick 4/<strong>2006</strong>
Leserbeitrag<br />
recht machen zu können, irrt. Und wenn der Familienrat<br />
sich nicht einigen kann, dann entscheide ich. Denn rechtlich<br />
kann mir keins meiner Kinder dreinreden. Meiner Entscheidung<br />
haben sich alle zu fügen. Pflichtteilsrechte – die<br />
im Siegerland immer mal wieder ins Spiel gebracht werden<br />
– haben bei der Übertragung keine Bedeutung (möglicherweise<br />
beim Tod des Übergebers innerhalb von 10 Jahren<br />
ab Übergabe, aber nicht jetzt).<br />
Die 10-Jahres-Frist<br />
spielt auch bei der Frage eine Rolle, ob im Falle der Inanspruchnahme<br />
von Sozialhilfe bei Alten- und Heimunterbringung<br />
des Seniors der Staat (Sozialamt) auf den Wert<br />
eines Wohnungsrechts oder sogar auf den Wert der Übertragung<br />
gegenüber dem Übernehmer Zugriff nehmen kann.<br />
Hier ist sorgfältiges Überlegen und sorgfältige Beratung bei<br />
der Abfassung der Verträge gefragt, damit (noch) bestehende<br />
Möglichkeiten genutzt werden.<br />
Die hier angedeuteten Probleme werden ergänzt durch<br />
Fragen der Übernahme von<br />
Pflegeverpflichtungen,<br />
Nutzungs-(Nießbrauchs-)rechten und den Möglichkeiten,<br />
das übergebene Objekt unter bestimmten Voraussetzungen<br />
wieder auch dem Senior zurückübertragen zu können.<br />
Wer also die Frage, mit warmer oder kalter Hand geben,<br />
für sich beantworten will, sollte sich in Ruhe und mit Sachverstand<br />
auf deren Beantwortung vorbereiten.<br />
Michael Kringe, Wilnsdorf, Rechtsanwalt und Notar<br />
Oawwerschdatt – Kaufhof – Oawweres Schloss<br />
Min Fadder, d’r Schulze Robert,<br />
geboarn 1900, am 5. Mäjj, hadde det<br />
Schnirerhandwerk geloart. En d’r Marbuerjerschdrose<br />
kom hä zor Wält, ferbrochde<br />
sin Jogendzitt en d’r Oawwerschdatt<br />
on sin Läwe lang woar foar<br />
än en besonnere Aziungsponkt det<br />
„Oawwere Schloss“ en Seje.<br />
Och beroflech bleb hä met d’r Oawwerschdatt<br />
ferbonne. Bim „Botze Benner“<br />
en d’r Kölner Schdrose, bim<br />
„Schneider Wibbel“ Am Kölner Tor,<br />
da en de drissicher Joarn – on foar allem<br />
awer de lätzde 20 Joarn hadde hä<br />
em „Kaufhof“ als Schnirer gearbt. Nur<br />
ain Usszitt gobet fa 1938 bes 1945,<br />
do arbde hä bi d’r „Wehrmacht“, bi de<br />
57-ern om Hairebearch.<br />
Domols wuern Schomacher on<br />
Schnirer als Ziwielisde bi d’r „Wehrmacht“<br />
engeschdallt. On zo dä Zitt lesen<br />
sech altemo hochrangige Offeziere uss de bäsde Milidärschdoffe<br />
ear „Ussgoa-Uniforme“ priwat afeardijje. So<br />
och en jonger Offezier uss Bayern, dä en sinner Fräjjzitt<br />
molde. Sin Familje läbde of nem groase Buernshof on hä<br />
woll da dä Afeardigungsbriss met „Nadueralien“ begliche.<br />
Awer min Fadder säde zo äm:<br />
„En nä, Jong!“ „Du molst m’r no ner ale Postkade det<br />
‚Oawwere Schloss fa Seje‘ on ech ‚baue‘ d’r dofoar en ‚Ussgo’azoch‘.<br />
Ech woll schoa emmer emo os Schloss en<br />
‚Oel‘ ha“.<br />
On of ogeande Wis erfellde sech so 1940 sin Wonsch.<br />
Dat „Ölbild“ ewerschdonn zwo Bombea’greffe. Dä Ma –<br />
H. Schabal – dä dat Bild gemolt hät, ferlor sin Läwe en<br />
Russland.<br />
Gerda Greis<br />
Am Bahnhof 4–12 · 57072 Siegen<br />
Telefon 02 71/ 2 38 08 74<br />
Montag–Freitag 6.30 – 19.30 Uhr<br />
Samstag 7.30 – 18.00 Uhr<br />
Sonntag 8.00 – 18.00 Uhr<br />
durchblick 4/<strong>2006</strong> 45
Leserbeitrag<br />
recht machen zu können, irrt. Und wenn der Familienrat<br />
sich nicht einigen kann, dann entscheide ich. Denn rechtlich<br />
kann mir keins meiner Kinder dreinreden. Meiner Entscheidung<br />
haben sich alle zu fügen. Pflichtteilsrechte – die<br />
im Siegerland immer mal wieder ins Spiel gebracht werden<br />
– haben bei der Übertragung keine Bedeutung (möglicherweise<br />
beim Tod des Übergebers innerhalb von 10 Jahren<br />
ab Übergabe, aber nicht jetzt).<br />
Die 10-Jahres-Frist<br />
spielt auch bei der Frage eine Rolle, ob im Falle der Inanspruchnahme<br />
von Sozialhilfe bei Alten- und Heimunterbringung<br />
des Seniors der Staat (Sozialamt) auf den Wert<br />
eines Wohnungsrechts oder sogar auf den Wert der Übertragung<br />
gegenüber dem Übernehmer Zugriff nehmen kann.<br />
Hier ist sorgfältiges Überlegen und sorgfältige Beratung bei<br />
der Abfassung der Verträge gefragt, damit (noch) bestehende<br />
Möglichkeiten genutzt werden.<br />
Die hier angedeuteten Probleme werden ergänzt durch<br />
Fragen der Übernahme von<br />
Pflegeverpflichtungen,<br />
Nutzungs-(Nießbrauchs-)rechten und den Möglichkeiten,<br />
das übergebene Objekt unter bestimmten Voraussetzungen<br />
wieder auch dem Senior zurückübertragen zu können.<br />
Wer also die Frage, mit warmer oder kalter Hand geben,<br />
für sich beantworten will, sollte sich in Ruhe und mit Sachverstand<br />
auf deren Beantwortung vorbereiten.<br />
Michael Kringe, Wilnsdorf, Rechtsanwalt und Notar<br />
Oawwerschdatt – Kaufhof – Oawweres Schloss<br />
Min Fadder, d’r Schulze Robert,<br />
geboarn 1900, am 5. Mäjj, hadde det<br />
Schnirerhandwerk geloart. En d’r Marbuerjerschdrose<br />
kom hä zor Wält, ferbrochde<br />
sin Jogendzitt en d’r Oawwerschdatt<br />
on sin Läwe lang woar foar<br />
än en besonnere Aziungsponkt det<br />
„Oawwere Schloss“ en Seje.<br />
Och beroflech bleb hä met d’r Oawwerschdatt<br />
ferbonne. Bim „Botze Benner“<br />
en d’r Kölner Schdrose, bim<br />
„Schneider Wibbel“ Am Kölner Tor,<br />
da en de drissicher Joarn – on foar allem<br />
awer de lätzde 20 Joarn hadde hä<br />
em „Kaufhof“ als Schnirer gearbt. Nur<br />
ain Usszitt gobet fa 1938 bes 1945,<br />
do arbde hä bi d’r „Wehrmacht“, bi de<br />
57-ern om Hairebearch.<br />
Domols wuern Schomacher on<br />
Schnirer als Ziwielisde bi d’r „Wehrmacht“<br />
engeschdallt. On zo dä Zitt lesen<br />
sech altemo hochrangige Offeziere uss de bäsde Milidärschdoffe<br />
ear „Ussgoa-Uniforme“ priwat afeardijje. So<br />
och en jonger Offezier uss Bayern, dä en sinner Fräjjzitt<br />
molde. Sin Familje läbde of nem groase Buernshof on hä<br />
woll da dä Afeardigungsbriss met „Nadueralien“ begliche.<br />
Awer min Fadder säde zo äm:<br />
„En nä, Jong!“ „Du molst m’r no ner ale Postkade det<br />
‚Oawwere Schloss fa Seje‘ on ech ‚baue‘ d’r dofoar en ‚Ussgo’azoch‘.<br />
Ech woll schoa emmer emo os Schloss en<br />
‚Oel‘ ha“.<br />
On of ogeande Wis erfellde sech so 1940 sin Wonsch.<br />
Dat „Ölbild“ ewerschdonn zwo Bombea’greffe. Dä Ma –<br />
H. Schabal – dä dat Bild gemolt hät, ferlor sin Läwe en<br />
Russland.<br />
Gerda Greis<br />
Am Bahnhof 4–12 · 57072 Siegen<br />
Telefon 02 71/ 2 38 08 74<br />
Montag–Freitag 6.30 – 19.30 Uhr<br />
Samstag 7.30 – 18.00 Uhr<br />
Sonntag 8.00 – 18.00 Uhr<br />
durchblick 4/<strong>2006</strong> 45
Mit viel Schwung in Mode,<br />
Musik und Design begann die junge<br />
Bundesrepublik, doch das Frauen-<br />
und Familienbild war ein sehr<br />
wertekonservatives. In den letzten<br />
Kriegsjahren mussten die Frauen<br />
die Arbeitskraft der Männer in der<br />
Produktion und in der Leitung von<br />
Firmen ersetzten. Diese Berufsfelder<br />
gaben viele wieder für die aus<br />
dem Krieg zurückgekehrten Männer<br />
frei. Ganz anders dagegen lief<br />
es in den Anfängen der ehemaligen<br />
DDR.<br />
Axel Schildt, Professor für neuere<br />
Geschichte an der Universität<br />
Hamburg, schreibt in einer Arbeit<br />
über die Sozial- und Kulturgeschichte<br />
über die 50er Jahre: „Die<br />
Verschränkung von dynamischer<br />
Moderne (Automobilboom, Massentourismus,<br />
Fernsehgesellschaft usw.) und das Zurücktasten<br />
zum Altvertrauten (z. B. hinsichtlich autoritärer Wertmuster<br />
in Ehe, Familie und Schule) lässt die Gründerjahre<br />
der Bundesrepublik zu einer faszinierenden Zeit werden.“<br />
Leben und Wohnen in den<br />
fünfziger Jahren<br />
Im Grundgesetz der Bundesrepublik stand zwar im Mai<br />
1949 in Artikel 3 des Grundgesetztes, dass Frauen und<br />
Männer gleichberechtigt seien. Doch das Bürgerliche Gesetzbuch<br />
(BGB) erkannte die Gleichberechtigung der Frauen<br />
keineswegs an. Der Mann hatte Anfang der 50er Jahre<br />
Wiederaufbau der 50er Jahre – Sozialer Wohnungsbau<br />
wurde durch familienpolitische Gesetze stark gefördert –<br />
Lindenbergsiedlung in Siegen Anfang der 60er Jahre.<br />
(Bild: Foto Loos, Weidenau)<br />
Leserbeitrag<br />
Das Frauenbild der 50er Jahre<br />
Im Petticoat am Nierentisch<br />
Dr. F-J. Würmeling, erster Bundesminister<br />
für Familienfragen im Kabinett<br />
Adenauer (1953–1962)<br />
die totale Verfügungsgewalt über seine<br />
Frau. Er bestimmte in der Ehe den<br />
Wohnort und nur er entschied über<br />
Erziehungsfragen der Kinder, er war<br />
allein für die Regelung der Finanzen<br />
zuständig und konnte Verträge, die die<br />
Frau geschlossen hatte, einfach kündigen.<br />
Die Frau ihrerseits war verpflichtet,<br />
die Hausarbeit zu verrichten und<br />
den Anweisungen ihres Mannes zu folgen.<br />
Erst ab 1. Juli 1958, mit der Reform<br />
des BGB, wurde der Frau die<br />
volle Vertragsberechtigung eingeräumt<br />
und ihr die Berechtigung zur Erwerbsarbeit<br />
eingeräumt. Willy Brandt sagte<br />
einmal im Rückblick zu dieser Zeit:<br />
„Die Emanzipation kam voran wie eine<br />
Schnecke auf Glatteis.“<br />
1949 fehlten in der BRD bedingt<br />
durch Kriegsschäden fünf bis sechs<br />
Millionen Wohnungen. Nach dem ersten<br />
Wohnungsbaugesetz vom 24. April 1950 wurden bis<br />
1956 zwei Millionen Wohneinheiten im Sozialen Wohnungsbau<br />
erstellt. Bei einer Durchschnittsgröße von 50 qm<br />
bestanden sie aus zweieinhalb Zimmern, Küche und Bad.<br />
Das zweite Wohnungsbaugesetz vom 27. Juni 1956 stellte<br />
die Eigentumsförderung und damit den Bau von Ein- und<br />
Zweifamilienhäusern in den Mittelpunkt der Wohnungsbaupolitik.<br />
Die Enge der Wohnung bedingte eine neue<br />
Raumnutzung. Statt der Wohnküche wurde nach schwedischem<br />
Vorbild die Einbauküche entwickelt.<br />
Eine ganz neue Bedeutung gewann im Laufe der fünfziger<br />
Jahre die Ausstattung mit Elektrogeräten. Ein Kühlschrank<br />
stand ganz oben auf der Wunschliste der Familien.<br />
Noch 1958 waren nur 21 % aller Haushalte damit ausgestattet.<br />
1953 hatten erst 3,5 % aller Haushalte eine Waschmaschine.<br />
Die Kochwäsche wurde einmal in der Woche auf<br />
dem Herd ausgekocht, von Hand gespült, ausgewrungen<br />
und zum Trocknen aufgehängt. Nach und nach wurde die<br />
Reinigung der Böden mit Bohnermaschinen und Staubsaugern<br />
bewältigt. Einen Hauch von Luxus versprachen<br />
Küchengeräte wie Mixer, Allesschneider, Toaster und<br />
Tischgrills.<br />
Slogan aus der Werbung der<br />
50er Jahre:<br />
„Für dich wasch ich perfekt“<br />
Viele dieser Wünsche versprach natürlich die Werbung<br />
den Frauen zu erfüllen: Artikel wie Haushaltgeräte oder<br />
Wasch- und Schönheitsmittel wurden auffällig oft von<br />
Männern für Frauen angepriesen, um ihnen die Hausarbeit<br />
zu erleichtern oder sie für sie attraktiver werden zu lassen.<br />
Aussage einer Frau in einer Waschmittelwerbung: „Für<br />
dich wasch ich perfekt.“ … Oder für Geschirrspül-<br />
46 durchblick 4/<strong>2006</strong><br />
➤
mittel: „Gleich habe ich Zeit für dich.“ Große Freude äußerte<br />
auch eine Frau über eine Jenaer-Glasschüssel am Weihnachtsabend:<br />
„Wie schön, das habe ich mir gewünscht!“<br />
Frauen wurde u. a. auch suggeriert, dass sie müde, energielos<br />
und unlustig seien (Frauengold). So konnte man das<br />
Selbstvertrauen, das sie sich nach 1945 mühsam erarbeitet<br />
hatten, wieder zerstören.<br />
Durch die aus der Kriegsgefangenschaft heimgekehrten<br />
Männer, die auf den Arbeitsmarkt drängten, wurden die<br />
Frauen wieder in die traditionelle Rolle der Hausfrau entsandt.<br />
Der Anteil der berufstätigen, verheirateten Frauen<br />
betrug Anfang der 50er Jahre ca. 25 %. Laut einer Umfrage<br />
des Instituts für Demoskopie Allensbach wollten Ende<br />
der fünfziger Jahre 60 % der Bundesbürger das „Doppelverdienertum“<br />
verboten wissen, um die „Verwahrlosung“<br />
des den durch die Tränen der „Schlüsselkinder“ erkauften<br />
Elternluxus zu beseitigen. In der Zeitschrift Constanze (eine<br />
der 3 größten Frauenzeitschriften in den 50er), Ausgabe<br />
Juli 1953, beschreibt eine Frau ihre Wünsche so: „Ich<br />
sehe die Aufgabe einer Frau nicht in einem Beruf. Genügt<br />
es nicht, dass schon viele Männer Sklaven ihres Berufes geworden<br />
sind? Ich sehne mich danach, aus meinem Beruf<br />
auszuscheiden, in dem die Uhr den Lebensrhythmus angibt,<br />
um nur Frau und Mutter zu sein.“ Die intakte Kleinfamilie<br />
war das gesellschaftspolitsche Ideal.<br />
Der erste Bundesminister für Familienfragen<br />
im Kabinett Adenauer, Dr.<br />
Franz-Josef Würmeling, selbst Vater<br />
von fünf Kindern, schrieb 1961 unter<br />
der Überschrift ,,Familien – Gabe und<br />
Aufgabe“: „Nichts führt so schnell zum<br />
Niedergang eines Volkes wie Kinderarmut<br />
und damit der Schwächung der heranwachsenden<br />
Generation. Außerdem<br />
sind Millionen innerlich gesunder Familien<br />
und rechtschaffen erzogene Kinder<br />
als Sicherung gegen die drohende<br />
Gefahr der kinderreichen Völker des<br />
Ostens mindestens so wichtig wie alle<br />
militärische Sicherung.“<br />
,,… und du, Frau an der Werkbank“<br />
Die DDR in den 50er Jahren<br />
Ganz anders verlief dagegen das<br />
Leben für die Frauen Anfang der 50er<br />
Jahre in der DDR. Der Drang der Frauen<br />
in die Erwerbstätigkeit war unverkennbar.<br />
Der Umstand, dass die Männer<br />
nach dem Krieg fehlten, versetzte<br />
die Frauen in die Lage, in sogenannten<br />
Männerberufen Beschäftigung zu suchen.<br />
Damit wurde an die Praxis der<br />
letzten Kriegsjahre angeknüpft. Aber<br />
Leserbeitrag<br />
Die intakte Kleinfamilie war das Ideal der Werbung in den<br />
50er Jahren.<br />
die Frauen hatten unter den Bedingungen<br />
des Dritten Reiches eine ganze Reihe<br />
negative Erfahrungen gesammelt:<br />
Unterbezahlung, mangelhafte Schulbildung<br />
und Berufsausbildung und schlechte Aufstiegsmöglichkeiten.<br />
Eine der ersten Forderungen der spontan<br />
sich bildenden Frauenausschüsse lautete daher: gleicher<br />
Lohn für gleiche Arbeit. 1950 erließ man ein Gesetz, in dem<br />
für die Frau die volle Gleichberechtigung festgelegt wurde<br />
und sie durch eine Eheschließung nicht daran gehindert<br />
werden durfte, einen Beruf auszuüben. Das Verhältnis von<br />
Mann und Frau zum Haushalt bestand überwiegend in der<br />
Tatsache, dass der Mann der Frau die Hausarbeit er- ➤<br />
„Der Idealtyp der Frau in der jungen DDR: intelligent, praktisch, flink, kameradschaftlich<br />
und von fortschrittlichem Geiste beseelt“ (Quelle: „Die Frau von<br />
heute“, 8/1949)<br />
durchblick 4/<strong>2006</strong> 47
Leserbeitrag<br />
leichterte, indem er technische Haushaltsgeräte anschaffte.<br />
Ina Merkel schreibt 1990 in ihrem Buch über das Leben der<br />
Frauen in den 50er Jahren (… und du, Frau an der Werkbank):<br />
„Die berufstätige Frau selbst fällt in zwei unabhängig<br />
voneinander existierende Wesen auseinander. Hier ist<br />
sie sachbezogen, kompetent, selbstbewusst und fordernd –<br />
dort der dienstbare, aufopferungsvolle, selbst verleugnende<br />
Hausgeist.“ In den Betrieben wurden 1952 Frauenförderpläne<br />
aufgestellt. Sie mussten konkrete Maßnahmen<br />
über die Einbeziehung von Frauen an der Produktion enthalten:<br />
z. B. die fachliche Qualifizierung von Ungelernten<br />
zu Angelernten, von Angelernten zu Facharbeiterinnen<br />
und Meisterinnen. Die planmäßige Entwicklung von Frauen<br />
und Mädchen für leitende Funktionen in Staat und Wirtschaft,<br />
durch Delegation an die Fach- und Technischen<br />
Hochschulen. Und die konsequente Durchsetzung des Prinzips:<br />
gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Seit Gründung der<br />
DDR am 7. 10. 1949 wurde die außerhäusliche Betreuung<br />
von Vorschul- und Schulkindern staatlich gefördert. 1989<br />
lagen die Betreuungsquoten für Krippen bei 80 %, für<br />
Kindergärten bei 95 %. Die Krippen waren von 6.00 Uhr bis<br />
18.00 Uhr geöffnet.<br />
Was trug Frau am Nierentisch?<br />
Die Lust an Mode war nach den Kriegsjahren wieder erwacht.<br />
1950 verwendete der durchschnittliche Haushalt<br />
13 %, 1953 sogar 14,7 % des Einkommens für Kleidung.<br />
Neue, preiswerte und zudem noch pflegeleichte Stoffe aus<br />
Kunst- und Mikrofasern wie Perlon, Dralon und Trevira<br />
kamen auf den Markt. Eine sensationelle Neuheit war die<br />
Einführung von Perlonstrümpfen für Damen. Die Damenmode<br />
der fünfziger Jahre hatte zwei Hauptrichtungen: Dominant<br />
war die schmale Linie, daneben gab es die jugendlich<br />
beschwingte Form. In jedem Fall war die Taille sehr<br />
eng, was eine entsprechende Unterkleidung nötig machte.<br />
Im Falle der schwingenden Linie trug man den Petticoat aus<br />
volanartig gerafftem Perlontüll, der in mehreren Lagen übereinander<br />
verarbeitet war und dafür sorgte, dass der Rock<br />
wippte.<br />
Christiane Luke<br />
Hintergrund: Familienpolitische Maßnahmen<br />
der BRD in den 50er Jahren<br />
• 1953 Gründung des Familienministeriums<br />
• 1953 Steuerfreibeträge für das dritte und jedes weitere Kind<br />
• 1954 25,00 DM Kindergeld für das dritte und jedes weitere Kind<br />
• 1956 Förderung beim Bau von Familieneigenheimen<br />
• 1956 Familiengerechte Wohnungsgrößen im<br />
Sozialen Wohnungsbau<br />
• 1956 Fahrpreisermäßigung für kinderreiche Familien<br />
bei der Bundesbahn<br />
48 durchblick 4/<strong>2006</strong>
Blickst Du zurück am Jahresende<br />
und lässt die Monde rückwärts gehen,<br />
reibst Du verzweifelt Dir die Hände.<br />
Da sollte doch viel mehr geschehn.<br />
Du hatt’s Dir so viel vorgenommen,<br />
die Vorsätz’ standen auf Papier.<br />
Doch Eins, Zwei, Drei, wars Jahr zeronnen,<br />
da kannst Du schließlich nichts dafür.<br />
Du wolltest 20 Pfund verlieren,<br />
na ja – auch 10 hätten’s getan.<br />
Mit täglich Joggen und trainieren<br />
so fing’s im Jänner ganz gut an.<br />
Doch als es schneite ohne Pause,<br />
und Dir der Wind blies ins Gesicht,<br />
da bliebst Du letztlich gern zu Hause<br />
auch dieser Vorsatz wurde nichts.<br />
Wie war das mit den Zigaretten?<br />
Von 30 runter nur auf 10?<br />
Da wolltest Du sogar drauf wetten,<br />
auch das sollte in die Hose gehen.<br />
Na, eines halt ich Dir zugute,<br />
das Lesen fingst Du wirklich an,<br />
doch’s Lesezeichen in dem Buche<br />
hängt noch bei Seite 90 dran.<br />
Die Tante Lies wollst Du besuchen,<br />
seit sie jetzt im Seniorenheim.<br />
Gesellschaft<br />
Wieder einmal nichts passiert<br />
Von Inge Göbel<br />
Mit Blumen und mit Streuselkuchen.<br />
Bis heut’ warst nicht dort, oh nein.<br />
Der Englischkurs, im März begonnen,<br />
in den Du voll Elan gestiegen,<br />
im Juno war auch der zerronnen,<br />
die teuren Bücher blieben liegen.<br />
Den Garten wolltst Du umgestalten<br />
und einen hübschen Fischteich bau’n,<br />
jedoch auch dort blieb es beim Alten.<br />
Du sagst, wir werden später schau’n!<br />
Ja, später, später, nur nicht heute,<br />
so klingt ein altes Sprichwort schon.<br />
Das sagen alle faulen Leute,<br />
doch wer nichts schafft kriegt keinen Lohn.<br />
Oh ja, ich könnt noch viel erzählen,<br />
was dieses Jahr noch liegen blieb,<br />
doch will ich Dich nicht weiter quälen.<br />
Dir waren halt andre Sachen lieb.<br />
Ein neues Jahr mit vielen Tagen<br />
steht bald vor Dir in voller Pracht,<br />
und im Dezember werd’ ich fragen,<br />
was diesmal Du daraus gemacht.<br />
Ein guter Vorsatz ist das Erste,<br />
wie’s weitergeht bleibt meistens offen,<br />
ihn einzuhalten ist das Schwerste,<br />
doch woll’n wir mal das Beste hoffen!<br />
durchblick 4/<strong>2006</strong> 49
Leserbriefe/Impressum<br />
Uns fiel auf …<br />
… dass Menschen im Rollstuhl attraktiv sind<br />
In Hannover fand ein Modelwettbewerb für behinderte<br />
Menschen im Rollstuhl statt. Es war dort die einhellige<br />
Meinung, dass sich niemand verstecken muss, der ein Handicap<br />
hat.<br />
… dass man auch sein Leben auf den Weltmeeren verbringen<br />
kann<br />
Wenn man genügend Kleingeld besitzt, kann man sich auf<br />
dem „Kahn der Millionäre“ ein Apartment für 1 bis über<br />
6 Mill. Euro kaufen und den Rest seines Lebens auf See zubringen.<br />
Der Chef der Management-Gesellschaft erklärte<br />
dazu: „Es ist nicht für jedermann erschwinglich.“<br />
… dass die weltberühmte Mona Lisa krank gewesen<br />
sein soll<br />
Der Medizin-Professor Jan Dequeker von der Universität<br />
Löwen behauptet, dass der frühe Tod der Mona Lisa durch<br />
eine erbliche Stoffwechselkrankheit bewirkt wurde. Außerdem<br />
hat er noch weitere 220 Personen berühmter Gemälde<br />
diagnostiziert. Er sagt selber dazu: „Mein Hobby ist ein wenig<br />
aus dem Ruder gelaufen.“<br />
Lösungen von Seite 34 Gedächtnistraining<br />
Musikinstrumente: Was ist in Bild 2 zu sehen? Was zeigt Bild 4?<br />
Welches Spielzeug liegt neben der Mundharmonika? Unter welcher<br />
Nummer ist der Flügel zu sehen? Was erkennt man auf dem Bild unter<br />
der Trompete? Was ist in Bild 3 abgebildet? Welches Instrument<br />
ist auf dem letzten Bild zu sehen? Bei welchem Instrument ist der<br />
Fisch zu sehen? Auf welchem Bild ist der Besen zu sehen? Welches<br />
Instrument ist über der Harfe abgebildet? Füllwörter: 1. Kaffee, 2. Burg,<br />
3. Hof, 4. Schiff, 5. Fest, 6. Ofen, 7. Reise, 8. Ziel, 9. Regen, 10. Tor,<br />
11. Güter, 12. Blatt, 13. Steig, 14. Raketen, Lösung: Frohe Feiertage.<br />
Assoziationen: 1. Brücke, 2. Zebrastreifen, 3. Dresden, 4. Maikäfer,<br />
5. Anzeige, 6. Zirkel, 7. Kino, 8. Auster, 9. Freiheitsstatue, 10. Volksfest,<br />
11. Steuer, 12. Schlagzeilen, 13. Publikum, 14. Märchen, 15. Hammer.<br />
Das große Weihnachtsrätsel:<br />
1 2 3 4 5<br />
Name Meier Müller Hansen Beckmann Schmitz<br />
Farbe gelb blau rot weiß grün<br />
Schmuck Lichterkette Leuchtengel<br />
Plätzchen<br />
Lied<br />
Zimtsterne<br />
Tochter Zion<br />
Rätselhaftes: 1. Nase, 2. Telefonkarte, 3. Ostern, 4. Fingerabdruck,<br />
5. Honig, 6. Gehirn.<br />
Zu guter Letzt …<br />
Berliner<br />
Es ist ein<br />
Ros’…<br />
Türkranz<br />
Tannenbaum<br />
Spritzgebäck<br />
O Tannenbaum<br />
Nussmakronen<br />
Stille Nacht<br />
Plastik<br />
Gewürzpl.<br />
O du fröhliche<br />
… wollen wir noch die erfreuliche Nachricht weitergeben,<br />
dass die Welt wieder mal nicht untergegangen ist.<br />
Der irische Buchmacher Paddy Power hatte im Internet Wetten<br />
darauf angeboten, dass Freitag, 13. Oktober, die Welt untergehe.<br />
Für den Einsatz von einem Euro sollten die Wetter<br />
im Fall eines Weltuntergangs 1000 Euro erhalten. Die Frage<br />
bleibt, was die Gewinner im Falle des erwiesenen Weltuntergangs<br />
mit ihrem Geld hätten anfangen können.<br />
durchblick<br />
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