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SPORT | WENGEN<br />

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<strong>SonntagsBlick</strong> | 3. Dezember 2017<br />

Am 6. Juli 2007 sind am Lauberhorn<br />

bittere Tränen geflossen. Der Berner<br />

Oberländer Bruno Kernen hat an<br />

diesem Tag an einer Medienkonferenz im<br />

Abfahrts-Starthaus seinen Rücktritt erklärt.<br />

Rund zehn Jahre später schaut der mittlerweile<br />

45-Jährige trotz einigen Gewitterwolken<br />

über der Jungfrau Region bestens<br />

gelaunt vom Hundschopf hinunter. «Es läuft<br />

mir momentan beruflich wie privat sehr gut.<br />

Mein zehnjähriger Bub Cem bereitet mir<br />

besonders viel Freude», erzählt Kernen.<br />

Cem ist an diesem Tag zwar zu Hause<br />

geblieben, dafür wird der stolze Papa bei<br />

seinem Spaziergang über die geschichtsträchtigste<br />

Strecke seiner bewegenden<br />

Alpin-Laufbahn von seinem «<strong>Ski</strong>-Göttibub»<br />

Gilles Roulin begleitet. Der 23-jährige<br />

Zürcher Oberländer hat im letzten Winter<br />

die Europacup-Gesamtwertung gewonnen<br />

und sich damit einen Fix-Platz für den Weltcup<br />

gesichert.<br />

EINE HASSLIEBE: KERNEN<br />

UND DAS BRÜGGLI-S<br />

«Ohne Bruno wäre ich definitiv nie <strong>Ski</strong>rennfahrer<br />

geworden», hält Gilles Roulin zwischen<br />

Hundschopf und Minschkante fest<br />

und beginnt dann das erste Kapitel seines<br />

Lebens zu erzählen: «Ich habe zwar schon<br />

im Kindergarten ins Poesiealbum eines<br />

Kollegen hineingeschrieben, dass ich Velooder<br />

<strong>Ski</strong>-Profi werden möchte. Aber dann<br />

habe ich bis zu meinem neunten Lebensjahr<br />

vor allem auf dem Snowboard gestanden.»<br />

Kernen schmunzelt: «Zum Glück bin ich dir<br />

dann in die Quere gekommen ...» Gilles<br />

nickt. «Ja, weil mein Vater Lizenznehmer von<br />

Kernens damaligem Sponsor Navyboot war,<br />

hat er mir ein <strong>Ski</strong>tag mit ihm organisiert.<br />

Brunos <strong>Ski</strong>-Künste haben mich damals derart<br />

beeindruckt, dass ich mich am nächsten<br />

Tag im <strong>Ski</strong>-Club angemeldet habe.»<br />

Roulin passiert das legendäre Brüggli,<br />

welches im Januar 2008 zu Ehren von Bruno<br />

Kernen-S getauft wurde. An dieser Stelle hat<br />

er 2003 mit einer genialen Linie den Grundstein<br />

für seinen Lauberhorn-Sieg gelegt.<br />

In den Wintern 1997 und 2005 ist er aber<br />

an dieser Stelle böse gestürzt. Den ersten<br />

Abflug hat Bruno in besonderer Erinnerung.<br />

«Vor 20 Jahren sind die taillierten <strong>Ski</strong> aufgekommen.<br />

Bis zu diesem Zeitpunkt hat man<br />

im Brüggli immer einen Gegenschwung<br />

gemacht. Ich hatte aber das Gefühl, dass das<br />

mit den neuen <strong>Ski</strong> nicht mehr nötig ist. Die<br />

Trainingszeiten haben mir recht gegeben –<br />

ich habe ohne Gegenschwung die beste<br />

Abschnittszeit aufgestellt. Aber am Renntag<br />

war diese Stelle in einem viel eisigeren und<br />

unruhigeren Zustand. Deshalb bin ich im<br />

Netz gelandet. Das hat richtig wehgetan, aber<br />

zwei Wochen später bin ich in Sestriere dennoch<br />

Weltmeister geworden.»<br />

Roulin war damals noch nicht ganz drei<br />

Jahre alt. Nun wird er in diesem Winter<br />

voraussichtlich seine Weltcup-Premiere am<br />

Lauberhorn feiern. Bruno gibt ihm den<br />

ultimativen Kernen-S-Tipp mit auf den Weg:<br />

«Der Rechtsschwung muss einfach ganz<br />

geschmeidig in einem Zug in den Linksschwung<br />

reingehen. Und du brauchst hier<br />

extrem viel Geduld. Wenn du das Gefühl<br />

hast, dass du die Kurve verpasst hast und<br />

dann trotzdem noch einmal richtig draufstehst,<br />

ist es genau richtig.»<br />

Kernen und Roulin marschieren im<br />

Gleichschritt weiter in Richtung Wasser-<br />

station und Langentrejen. Hier machen sich<br />

im Gespräch über die Abfahrer- Ernährung<br />

aber Differenzen bemerkbar. Während Metzgerssohn<br />

Bruno am liebsten Cordons bleus<br />

vernascht, bevorzugt Gilles vegetarische Gerichte.<br />

«Im Europacup haben wir oft in<br />

Hotels gelebt, in denen ganz schlechte<br />

Fleisch speisen serviert wurden. Deshalb<br />

habe ich immer mehr auf die vegetarischen<br />

Alternativen zurückgegriffen. Weil ich damit<br />

sehr gute Erfahrungen gemacht habe, esse<br />

ich nur noch in Ausnahmesituationen<br />

Fleisch.»<br />

ROULIN IST DAS SUPERHIRN<br />

DES SKISPORTS<br />

Roulin hebt sich aber auch mit seinem Jura-<br />

Studium vom durchschnittlichen <strong>Ski</strong>rennfahrer<br />

ab. «Ich betrachte mein Studium als<br />

etwas, das ich machen muss, damit ich <strong>Ski</strong>fahren<br />

darf. Für mich ist es wirklich ein Privileg,<br />

dass ich diese Sportart ausüben darf.<br />

Die <strong>Ski</strong>-Welt aber ist sehr speziell, sie erinnert<br />

mich oft an eine künstliche Blase. Deshalb<br />

tut es mir wahnsinnig gut, wenn ich<br />

zwischendurch ausbrechen kann. Darum<br />

stellt das Fernstudium für mich den idealen<br />

Ausgleich dar, es gibt mir mehr Sicherheit.»<br />

Plötzlich fühlt sich das Superhirn des<br />

Schweizer <strong>Ski</strong>sports aber nicht mehr so<br />

sicher. Aus den dunklen Wolken über Eiger,<br />

Mönch und Jungfrau schiessen Blitze.<br />

Deshalb beenden Roulin und Kernen<br />

ihren Spaziergang nach dem Haneggschuss.<br />

Die riskante Linie im Ziel-S spart sich Gilles<br />

für sein Debüt im Januar auf. «Götti» Bruno<br />

wird ihm dann als Kamerafahrer fürs<br />

Schweizer Fernsehen die richtige Spur in<br />

den Schnee zaubern. •<br />

«OHNE BRUNO WÄRE ICH NIE<br />

SKIRENNFAHRER GEWORDEN»<br />

Gilles Roulin

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