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SPORT | WENGEN<br />
«ICH VERSUCHE TÄGLICH, MINDESTENS<br />
1000 SCHRITTE ZU MACHEN»<br />
Karl Erb<br />
16<br />
<strong>SonntagsBlick</strong> | 3. Dezember 2017<br />
ganz schlechter Sicht auf einer mit vielen<br />
Schlägen bestückten Piste unterwegs ist.»<br />
Dem 91-Jährigen macht die Augenkrankheit<br />
Makuladegeneration das Leben schwer.<br />
Die Erinnerungen an seine berufliche Blütezeit<br />
sind aber immer noch glasklar. Und Erbs<br />
kranke Augen leuchten noch einmal richtig<br />
auf, wenn er erzählt, wie er an einem frostigen<br />
Februar-Tag in Schweden die Geburt der<br />
Rennen am Chuenisbärgli mit eingeleitet hat.<br />
«Als Journalist bei der WM 1954 hatte ich<br />
einen guten Draht zum Medaillen-Anwärter<br />
Fred Rubi, dem Sohn des ersten Lauberhornsiegers<br />
Christian Rubi. Nachdem Fred im<br />
Abfahrts-Training schwer gestürzt war, habe<br />
ich den gebürtigen <strong>Wengen</strong>er im Zimmer<br />
besucht. Ich habe an seinem Bett gesessen,<br />
als er durch einen Telefonanruf erfahren hat,<br />
dass ihn die Adelbodner als Kurdirektor<br />
gewählt haben. Ich habe ihm sofort eingetrichtert,<br />
dass er dort unbedingt ein internationales<br />
<strong>Ski</strong>rennen organisieren müsse.»<br />
1962 WAR ER ERSTMALS ALS<br />
TV-KOMMENTATOR ZU HÖREN<br />
Karl Erb klopft kräftig auf seinen Stubentisch.<br />
«Viele Adelbodner behaupten heute, dass das<br />
erste grosse Rennen in ihrem Dorf 1956<br />
ausgetragen wurde. Aber das stimmt nicht,<br />
der Zermatter Martin Julen hat den ersten<br />
internationalen Vergleich in <strong>Adelboden</strong><br />
bereits 1955 gewonnen. Fred Rubi war OK-<br />
Chef, ich war als Platzsprecher und Pressechef<br />
im Einsatz.»<br />
Dieselbe Rolle hat Erb in jenem Winter<br />
auch in <strong>Wengen</strong> interpretiert. Hier sind dann<br />
die Herren vom Schweizer Fernsehen auf den<br />
sprachgewandten Zürcher mit Berner Oberländer<br />
Wurzeln aufmerksam geworden. Im<br />
Winter 1962 war Erb schliesslich erstmals als<br />
TV-Kommentator im Einsatz.<br />
Seine erste Live-Übertragung vom Lauberhorn<br />
hat er bis heute nicht vergessen. «Vom<br />
Start, Hundschopf, Minschkante und Brügg li<br />
gab es damals noch keine Live-Bilder. Die<br />
Rennfahrer tauchten erst im Haneggschuss<br />
auf dem Schwarz-Weiss-Monitor auf. Und<br />
Zwischenzeiten hat es zu dieser Zeit natürlich<br />
auch noch keine gegeben.» Erb war in<br />
jener Epoche der einzige Reporter, der die<br />
Zuschauer trotzdem mit Zwischenzeiten<br />
beglücken konnte. «Weil es beim Haneggschuss<br />
eine auffällige Tanne gab, habe ich<br />
immer meine mit der offiziellen Rennuhr<br />
synchronisierte Stoppuhr betätigt, sobald ein<br />
Fahrer diese Tanne passiert hat. Auf diese<br />
Weise konnte ich zumindest inoffizielle<br />
Zwischenzeiten durchgeben.»<br />
In den Jahren danach hat Erb gemeinsam<br />
mit Lauberhorn-Vater Ernst Gertsch für eine<br />
weitere Neuerung gesorgt. «Ich wollte, dass<br />
der TV-Zuschauer mit eigenen Augen sehen<br />
kann, wann der Rennfahrer zur Zwischenzeit<br />
kommt. Deshalb habe ich Ernst gefragt, ob er<br />
bei der entsprechenden Stelle im Hanegg<br />
nicht mit Tinte eine Linie in den Schnee<br />
ziehen kann. Er hat diese Idee mit grösster<br />
Begeisterung umgesetzt.»<br />
Den vielleicht emotionalsten Moment<br />
seiner Reporter-Laufbahn hat Erb in <strong>Wengen</strong><br />
aber neben der Piste erlebt. «In den 60ern<br />
war ich mit dem Nidwaldner Slalom-Star Dölf<br />
Mathis und dem Toggenburger Kitzbühel-Abfahrtssieger<br />
Willi Forrer mit der Männlichenbahn<br />
unterwegs. Plötzlich haben Dölf und<br />
Willi von der Gondel aus eine blinde Gämse<br />
entdeckt, die sich in einer steilen Felswand<br />
verirrt hatte. Nachdem wir die Bergstation<br />
erreicht hatten, sind Mathis und Forrer sofort<br />
in diese Wand gestiegen und haben das Tier<br />
gerettet. Diese Aktion hat mich tief berührt.»<br />
Erb trinkt einen Schluck Weisswein auf<br />
diese Zeiten und erinnert sich dann mit<br />
trauererfüllter Stimme an einen im Jahr 2011<br />
verstorbenen Fernseh-Kollegen: «Willy Kym<br />
war im Leutschenbach auch bekannt dafür,<br />
dass er ausser Fussball, Rad und seiner Familie<br />
fast alles als ‹risä Säich› bezeichnet hat.<br />
Willy ist mit nur 70 Jahren gestorben, und ich<br />
denke oft an ihn. Und ich muss mir in Kyms<br />
Worten eingestehen, dass alt werden wirklich<br />
ein ‹risä Säich› ist.»<br />
HANTEL-TRAINING MIT<br />
ZWEI BÜCHERN<br />
Geschlagen gibt sich der Mann mit dem grossen<br />
Herz für den Sport aber noch nicht. «Ich<br />
schaue, dass ich pro Tag mindestens 1000<br />
Schritte machen kann. Und wenn ich im<br />
Fernsehsessel sitze, bewege ich zwei Bücher<br />
wie Hanteln – das ist mein Krafttraining.»<br />
Auch deshalb hat Erb immer noch genug<br />
Power, um den Aufgaben des eigenen Haushalts<br />
gerecht zu werden. Für den Tag, an dem<br />
er diese Kraft nicht mehr aufbringen kann,<br />
hat der Vater einer 41-jährigen Tochter vorgesorgt:<br />
«Ich bin Mitglied bei Exit. Sobald ich<br />
spüre, dass ich meine Selbständigkeit verliere,<br />
werde ich meinem Leben mit Hilfe der<br />
Sterbe-Organisation ein Ende setzen.»<br />
Karl zeigt in seiner Küche auf eine Autogrammkarte<br />
des grossen Franzosen Jean-<br />
Claude Killy. Die Widmung des dreifachen<br />
Olympiasiegers kommt einer Adelung gleich.<br />
«Pour Karl Erb, le meilleur Speaker du<br />
monde». Karl Erb, der beste Sprecher der<br />
Welt. •