Lucky Dezember 2017
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GESCHICHTE<br />
23<br />
Gefangen im KZ: Musik, um zu überleben<br />
Wenn Esther Bejarano mit der Rap-Band Microphone<br />
Mafia auf der Bühne steht, ist das immer etwas ganz<br />
Besonders: Denn Esther ist 92 Jahre alt, und sie singt<br />
und erzählt von einer Zeit, die niemand mehr erleben<br />
möchte. In Trier ist sie mit ihrem Sohn Joran und Kutlu,<br />
einem Freund, aufgetreten. Unsere <strong>Lucky</strong>-Reporterin<br />
war dabei.<br />
<strong>Lucky</strong>: Als Sie ins KZ Auschwitz kamen, haben Sie sich für<br />
das Mädchenorchester gemeldet.<br />
Esther Bejarano: Ich habe mich gemeldet, weil ich Klavier<br />
spielen kann. Ich musste im KZ schwere Arbeit bewältigen.<br />
Das Einzige, was mir helfen konnte war, dass<br />
ich ins Orchester komme.<br />
Sie haben dort aber Akkordeon gespielt.<br />
Bejarano: Es gab dort kein Klavier. Ich hatte vorher nie<br />
ein Akkordeon in der Hand gehabt. Ich sagte trotzdem,<br />
dass ich das könne. Es gelang mir sogar, die richtigen<br />
Akkorde zu treffen. Ich wusste: Ich muss ins Orchester<br />
kommen, sonst werde ich das nicht überleben.<br />
Sie machen nach all diesen Erlebnissen heute noch Musik.<br />
Wie ist das möglich?<br />
Bejarano: Ich mache Musik, weil sie mir hilft, über Unmenschlichkeit<br />
und Rassismus aufzuklären. Ich singe als<br />
Erinnerung an diese Zeit. Ich singe, damit die Menschen<br />
nicht schweigen, damit sie ihren Mund aufmachen.<br />
Welche Lieder singen Sie bei Ihren Konzerten?<br />
Bejarano: Die meisten sind Lieder gegen den Krieg, für<br />
die Freiheit. Lieder aus den Gettos. Manche wurden auch<br />
in den KZs gesungen.<br />
Diese Stolpersteine sollen auffallen –<br />
und erinnern. Sie glänzen golden zwischen den grauen<br />
Pflastersteinen vieler Städte. Jeder Stein ist einem<br />
Menschen gewidmet, der Opfer der Nationalsozialisten<br />
wurde. Vor vielen Häusern in Deutschland, in denen<br />
diese Männer und Frauen zuvor wohnten, liegen<br />
heute Stolpersteine. Auf ihnen stehen die Namen der<br />
Menschen, wann sie geboren wurden, und wo sie getötet<br />
wurden. Dahinter steckt eine Aktion eines<br />
Künstlers. Solche Steine gibt es auch bei uns, zum<br />
Beispiel in Trier, Saarburg, Bernkastel-Kues, Bollendorf<br />
oder Wittlich.<br />
Mehr Infos zu Stolpersteinen in der Region auf<br />
<strong>Lucky</strong>s Internetseite www.volksfreund.de/kinder<br />
Warum machen Sie Hip Hop, eine Musik für junge Menschen?<br />
Bejarano: Das Wichtigste für mich ist es, die Jugend<br />
aufzuklären über diese schreckliche Zeit, über die Verbrechen,<br />
die damals begangen wurden.<br />
Wie ist die Resonanz bei den jungen Menschen?<br />
Bejarano: Ich bekomme ein gutes Feedback von den<br />
Schülern. Sie bedanken sich. Viele haben noch nie etwas<br />
von der Nazizeit gehört, weil ihre Vorfahren nichts erzählen.<br />
Deshalb ist es so wichtig, dass es Menschen wie<br />
ich tun. Auch wenn es für mich schmerzhaft ist.<br />
Warum denken Sie, dass Sie das tun müssen?<br />
Bejarano: Es ist wahnsinnig wichtig. Wir haben so wenige,<br />
die das machen können. Denn bald ist unsere Generation<br />
weg. Ich werde so lange erzählen und singen, bis<br />
es keine Nazis mehr gibt.<br />
Interview: Mechthild Schneiders<br />
Zur Person: Esther Bejarano wird am 15.<br />
<strong>Dezember</strong> 1924 in Saarlouis im Saarland<br />
geboren. Sie ist Jüdin, und als 1933 die Nazis<br />
an die Macht kommen, wird ihr Leben<br />
wie das aller Juden in Deutschland zunehmend<br />
schwieriger. Als die Nazis den Zweiten<br />
Weltkrieg beginnen, ist Esther 14 Jahre<br />
alt. Ihre Eltern werden ermordet. Esther<br />
kommt erst in ein Arbeitslager, dann im<br />
Jahr 1943 ins KZ Auschwitz. Dort muss sie<br />
in einem Arbeitskommando Steine schleppen.<br />
Als ein Mädchenorchester gegründet wird,<br />
meldet sie sich. Sie spielen, wenn die Arbeitskolonnen<br />
das Lager verlassen und zurückkommen,<br />
geben Konzerte für Aufseher<br />
und deren Chefs. Gut ein halbes Jahr später<br />
kommt Esther ins Frauenstraflager Ravensbrück,<br />
weil ihre Großmutter väterlicherseits<br />
Deutsche ist. Dort sind die Lebensbedingungen<br />
etwas besser, die Arbeit<br />
nicht so hart. Als das Lager 1945 geräumt<br />
wird, müssen die Häftlinge zu Fuß Richtung<br />
Westen gehen. Esther gelingt die<br />
Flucht. „Meine Befreiung war meine zweite<br />
Geburt“, sagt die KZ-Überlebende.<br />
mehi<br />
Fotos: dpa, Miguel Castro, Mechthild<br />
Schneiders/TV-Archiv