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Glänzendes Comeback - und Handelskammer Nord Westfalen

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Fallbeispiel Insolvenz<br />

Neustart bei Niessing<br />

<strong>Glänzendes</strong> <strong>Comeback</strong><br />

Die zentrale Person ist Klaus Kaufhold.<br />

Er hatte über viele Jahre<br />

gleich drei Schmuckhäuser in Köln<br />

<strong>und</strong> Berlin aufgebaut <strong>und</strong> dabei –<br />

als Partner <strong>und</strong> K<strong>und</strong>e – den Wert<br />

der Marke Niessing kennen <strong>und</strong><br />

schätzen gelernt. „Niessing ist ein<br />

ganz wesentliches Stück deutscher<br />

Schmuckkultur“, so Kaufhold, „ja,<br />

ein faszinierender Impulsgeber über<br />

den Schmuck hinaus. Den kann<br />

man nicht einfach so untergehen<br />

lassen!“<br />

Tagebuch einer Rettung<br />

Niessings Krise begann im Jahr 2005 mit<br />

dem Einstieg eines Private-Equity-Investors<br />

– „einer Art von Unternehmen, von der<br />

man heute weiß, dass es auf schnelle, hohe<br />

Gewinne abzielt <strong>und</strong> mit Begriffen wie Unternehmens-,<br />

Schmuck- oder Designkultur<br />

eher weniger anfangen kann“, wie Kaufhold<br />

trocken anfügt. Das passte nicht zusammen.<br />

„Niessings Probleme stammten<br />

weder aus einem uneinheitlichen Auftritt<br />

noch aus marktfernen Produkten, sondern<br />

aus einer unglücklichen Finanzierung <strong>und</strong><br />

einer kaufmännischen Leitung ohne die<br />

notwendige Fortune“, analysiert Michael<br />

56 wirtschaftsspiegel 9 · 2009<br />

Schmuck- <strong>und</strong> sogar Designgeschichte hat der<br />

Vredener Schmuckhersteller Niessing in seinen<br />

136 Jahren geschrieben. Zum letzten Jahreswechsel<br />

jedoch stand das Traditionshaus vor dem endgültigen<br />

Aus: Die Geschichte einer Rettung.<br />

Die Erfolgsgeschichte der Schmuckmanufaktur<br />

Niessing begann 1873,<br />

als Hermann Niessing in Vreden<br />

eine Schmuckwerkstatt eröffnete. Ringe<br />

standen im Mittelpunkt seine Geschäfts,<br />

wobei technische Neuerungen aus dem<br />

Hause Niessing immer Raum für neue Erfolge<br />

garantierten: 1904 war es die Erfindung<br />

des fugenlosen Traurings, 1928 die<br />

Graviermaschine, 1930 eine Maschine zur<br />

Mönig, der spätere Insolvenzverwalter des<br />

Unternehmens. Im Herbst 2008 war Niessings<br />

Abwärtsbewegung schließlich an einem<br />

kritischen Punkt angekommen: Am<br />

Insolvenzverwalter führte kein Weg mehr<br />

vorbei. Mönig übernahm diese Aufgabe mit<br />

viel Engagement <strong>und</strong> führte Gespräche mit<br />

gleich vier potenziellen Investoren. Doch<br />

die Konzepte aller vier vermeintlichen Retter<br />

erwiesen sich aus Sicht der Niessing-<br />

Vertreter als nicht marktgerecht. Der Stichtag<br />

6. Januar 2009 - das Datum, an dem bei<br />

Niessing die Lichter ausgehen würden –<br />

rückte unerbittlich näher.<br />

Änderung der Ringweiten. Den mageren<br />

Kriegsjahren trug Niessing durch goldummantelte<br />

Silberringe Rechnung. Um 1950<br />

war Niessing der führende Trauringhersteller<br />

in Deutschland. Knapp 100 Jahre nach<br />

Gründung der Firma läutete die Enkelin des<br />

Gründers, Ursula Exner, ein neues Zeitalter<br />

Kaufhold – eigentlich seit kurzem im wohlverdienten<br />

Ruhestand – bot sich zunächst<br />

spontan als Vermittler zwischen den verschiedenen<br />

Interessengruppen r<strong>und</strong> um<br />

Niessing an, nur als Vermittler wohlgemerkt.<br />

Erst als sich mehr <strong>und</strong> mehr Optionen<br />

für das Unternehmen zerschlugen <strong>und</strong><br />

die Situation zunehmend kritisch wurde,<br />

griff er aktiv ins Geschehen ein. Fragt man<br />

ihn nach seiner Motivation, antwortet er:<br />

„Es lohnt sich schlichtweg, Niessing zu erhalten<br />

– aus menschlichen, ökonomischen<br />

ein: Der Schwerpunkt wurde jetzt auf zeitgenössische<br />

Gestaltung gelegt, externe<br />

Designer wurden eingeb<strong>und</strong>en. Seit den<br />

Geschichte in Sachen Design<br />

1970-er Jahren wurde Niessing ein ums<br />

andere Mal zum Trendsetter. Die Synthese<br />

von Platin <strong>und</strong> Feingold, der fast legendäre<br />

Spannring (der einen kostbaren Stein


Das Unternehmen: Die Gebrüder Niessing GmbH<br />

& Co. KG war seit Jahrzehnten ein Trendsetter der<br />

Schmuckbranche. Aus der Insolvenz ging das<br />

Unternehmen hervor wie Phönix aus der Asche.<br />

Foto: Niessing<br />

<strong>und</strong> kulturellen Gründen.“ Den monetären<br />

Aspekt sieht er im Unternehmen eher nachgeordnet:<br />

Niessing habe die Ideen, die gefragt<br />

sind, <strong>und</strong> müsse diese wieder in den<br />

Vordergr<strong>und</strong> stellen. „Das Geldverdienen –<br />

<strong>und</strong> damit die Absicherung von Unternehmen<br />

<strong>und</strong> Mitarbeitern – muss eine angenehme<br />

Zwangsläufigkeit werden.“<br />

scheinbar ohne Halterung schweben lässt),<br />

neue Farbgoldlegierungen oder der Niessing<br />

Flechtschmuck sind nur einige Beispiele<br />

aus der Niessing´schen Designgeschichte<br />

der letzten Jahrzehnte. Kurz vor<br />

der Jahrtausendwende verstärkte das Unternehmen<br />

seinen nationalen <strong>und</strong> internationalen<br />

Auftritt, indem es eine ganze<br />

Reihe von „Flagstores“ <strong>und</strong> Vertretungen<br />

zwischen Berlin <strong>und</strong> Seoul errichtete.<br />

Das neue Team<br />

Buchstäblich in letzter Minute konnte<br />

Klaus Kaufhold seine späteren Mitstreiter<br />

gewinnen <strong>und</strong> erklärte sich mit diesem<br />

Team bereit, unmittelbare Verantwortung<br />

zu übernehmen. Michael Mönig als Insolvenzverwalter<br />

hatte das Sagen, die späteren<br />

Gesellschafter <strong>und</strong> Geschäftsführer<br />

jedoch waren voll in die Entscheidungen<br />

r<strong>und</strong> um den Übergang einbezogen. Mönig<br />

zählt auf, was die Rettung möglich machte:<br />

„Es lag eine starke Marke mit positivem<br />

Image vor, die der Markt kannte <strong>und</strong> wollte.<br />

Und es gab ein überaus gutes Betriebsklima.“<br />

Mit Nachdruck wurde an einer<br />

langfristig tragfähigen finanziellen Lösung<br />

gearbeitet – mit der Sparkasse Westmünsterland<br />

<strong>und</strong> der Sparkasse KölnBonn <strong>und</strong><br />

mithilfe einer Landesbürgschaft. Klaus<br />

Kaufhold: „Meine Mitstreiter <strong>und</strong> ich sind<br />

dabei bis an die äußersten Grenzen unserer<br />

menschlichen wie finanziellen Möglichkeiten<br />

gegangen. Insbesondere der bürokratisch<br />

aufwändige Bürgschaftsantrag kostete<br />

viel Kraft, Zeit <strong>und</strong> Nerven.“<br />

Nach einem für alle Beteiligten turbulenten<br />

halben Jahr nahm am 1. Mai 2009 die neue<br />

Niessing Manufaktur GmbH & Co. KG offiziell<br />

ihre Arbeit auf. Etwa 20 Mitarbeitern<br />

musste gekündigt werden, 109 Arbeitsplätze<br />

waren gerettet. Der Neustart wurde<br />

sowohl in der Region als auch in der Fachwelt<br />

mit großer Freude aufgenommen.<br />

Mitte Juni waren dann auch die letzten<br />

Papiere unterzeichnet <strong>und</strong> hinterlegt, die<br />

neuen Gesellschafter <strong>und</strong> Geschäftsführer<br />

damit „Herren im eigenen Haus“. Mit zum<br />

Gesellschafter-Team gehören neben Kaufhold<br />

auch Johanna Lenz von der Lenz &<br />

Lenz GbR in Köln <strong>und</strong> Günter Henrich,<br />

Gründer <strong>und</strong> Gesellschafter der deutschen<br />

Schmuckmanufaktur Henrich & Denzel.<br />

Wilhelm Tigges ist neben Kaufhold in dem<br />

neuen Unternehmen Geschäftsführer. Er<br />

war ehemals Assistent der Geschäftsleitung<br />

<strong>und</strong> später Prokurist bei der Gebrüder<br />

Niessing GmbH & Co. KG.<br />

Weiterhin entscheidender Teil des „neuen<br />

Niessing“ sind darüber hinaus die Mitarbeiter,<br />

die sich über ihre Vertretungen sehr<br />

konstruktiv an der Rettung des Unternehmens<br />

beteiligten. „Ich sehe <strong>und</strong> spüre eine<br />

derart mitreißende Motivation <strong>und</strong> eine so<br />

umfassende Loyalität, wie ich sie bisher<br />

kaum erlebt habe“, lobt Klaus Kaufhold.<br />

„Mit dem Verlauf der ersten sechs, acht<br />

Wochen sind wir sehr zufrieden. Allerdings<br />

ist es natürlich noch weiterhin so, dass<br />

etwa 80 Prozent meines Engagements in<br />

die ‚Vergangenheitsbewältigung‘ gehen –<br />

ein Anteil, der aber wohl kleiner werden<br />

Der Retter:<br />

Der ehemalige<br />

Kölner Schmuckhändler<br />

Klaus<br />

Kaufhold kam als<br />

Vermittler im<br />

Insolvenzfall<br />

Niessing - <strong>und</strong><br />

rettete gemeinsam<br />

mit seinem<br />

Team das Unternehmen,<br />

die<br />

Marke <strong>und</strong> über<br />

100 Arbeitsplätze.<br />

Foto: Jakoby<br />

Fallbeispiel Insolvenz<br />

Die Produkte: Trauringe waren <strong>und</strong> sind eine Säule des Geschäfts. Foto: Niessing<br />

Zum Thema Insolvenz siehe auch Wirtschaftsspiegel<br />

7/8 Seite 46: „Insolvenz<br />

ist kein Makel“, Interview mit dem<br />

Insolvenzverwalter Michael Mönig<br />

sowie der Leserbrief dazu auf Seite 6<br />

wirtschaftsspiegel 9 · 2009<br />

57


58 wirtschaftsspiegel 9 · 2009<br />

Fallbeispiel Insolvenz<br />

Das Team: Eine „mitreißende Motivation“ erlebte Kaufhold bei den Mitarbeitern. Sinnbild der Identifikation<br />

war das Mitarbeiterfest zum Neuanfang: Ein „unvergänglicher“ Gingko-Baum wurde im Firmenpark<br />

gepflanzt. Foto: Niessing<br />

wird.“ Kaufholds bisherige Linie lässt erkennen,<br />

wie wichtig ihm das soziale <strong>und</strong><br />

wirtschaftliche Wohl der Mitarbeiter bei der<br />

Rettung Niessings war. Doch der stärkste<br />

Impuls ergab sich für Kaufhold aus einer<br />

anderen Überlegung: „Die Designlandschaft<br />

Deutschland wäre ohne Niessing ein<br />

bisschen ärmer geworden.“<br />

Um das Gewicht Niessings beurteilen zu<br />

können, hilft es, die Branche zu betrachten.<br />

„Nirgendwo sonst auf dieser Welt“, sagt<br />

Kaufhold, „gibt es eine derart hochentwickelte<br />

Schmuckkultur, ein derart ausgeprägtes<br />

Schmuckdesign wie in Deutschland.“<br />

Design, so führt er aus, bezeichne für<br />

ihn dabei den Mittel zum Zweck, etwas das<br />

der Kunst abgehe. „Richtig gute Schmuckdesigner<br />

gibt es in nahezu jedem Land.<br />

Aber nur hier haben sich so viele <strong>und</strong> so<br />

prägende Häuser herausgebildet <strong>und</strong> etabliert.“<br />

Niessing zähle er dabei unter die<br />

Top 3 in dieser Branche.<br />

Dass diese Design-Impulse nicht aus Paris,<br />

London oder Berlin, sondern aus Vreden<br />

kamen, beweist für Hans-Bernd Felken,<br />

Leiter der IHK-Geschäftsstelle Bocholt, die<br />

Relevanz der Standortfaktoren: „Deutsches<br />

Schmuckdesign – auch das von Weltruf –<br />

sitzt überwiegend ‚auf dem Lande‘, einige<br />

davon in <strong>Westfalen</strong>. Hier sind Unternehmen<br />

wie Niessing in ihrem Umfeld verwurzelt,<br />

hier erfahren sie entsprechende Unter-<br />

stützung <strong>und</strong> haben den Raum zum Atmen,<br />

Nachdenken, Entwickeln.“<br />

Die momentane Krise der Schmuckbranche<br />

ist in erster Linie nicht eine Krise der<br />

Schmuckhersteller <strong>und</strong> ihrer Ideen, sondern<br />

trifft über die allgemein sinkende Kaufkraft<br />

zuerst den Handel <strong>und</strong> wirkt sich von dort<br />

als sinkende Nachfrage auf die Hersteller<br />

aus. „Wir sind indirekt Betroffene“, meint<br />

Kaufhold mit einem bitteren Lächeln, „was<br />

es allerdings nicht leichter macht.“<br />

Sanfte Nachfolge<br />

Spätestens in 2010 wird Niessing – geht es<br />

nach dem Willen der neuen Leitung – wieder<br />

eine tonangebende Kraft im deutschen<br />

Design sein. Auch über seine persönliche<br />

Zukunft hat sich Klaus Kaufhold bereits<br />

Gedanken gemacht: „Natürlich ist das Aufgabe<br />

<strong>und</strong> Spaß in einem. Aber ich werde ja<br />

nicht jünger <strong>und</strong> bin bereits aus dem Ruhestand<br />

zu Niessing gestoßen. Insofern zielen<br />

wir wohl darauf ab, das Unternehmen in<br />

etwa drei Jahren operativ so ausgebaut <strong>und</strong><br />

wirtschaftlich so gefestigt zu haben, dass<br />

wir eine sanfte Nachfolge für mich installieren<br />

können.“ Der Fall Niessing – ein<br />

Musterbeispiel für das, was selbst in diesen<br />

Krisenzeiten wirtschaftlich alles möglich<br />

ist, wenn wirklich alle Beteiligten an einem<br />

Strang ziehen.<br />

Michael Jakoby

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