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Heimat-Rundblick Nr. 122 Herbst 2017

Magazin für die Region um Hamme, Wümme und Weser

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<strong>Herbst</strong> <strong>2017</strong><br />

Einzelpreis € 4,50<br />

3/<strong>2017</strong> · 30. Jahrgang<br />

ISSN 2191-4257 <strong>Nr</strong>. <strong>122</strong><br />

RUNDBLICK<br />

AUS DER REGION HAMME, WÜMME, WESER<br />

GESCHICHTE · KULTUR · NATUR<br />

Zu dieser Bremer<br />

Sehenswürdigkeit<br />

finden Sie zwei<br />

lesenswerte Artikel<br />

in diesem Heft!<br />

Foto: pixabay.com<br />

I N H A L T<br />

unter anderem:<br />

Jürgen Christian Findorff in Osterholz<br />

Hinter Stacheldraht im Teufelsmoor<br />

Vor 100 Jahren<br />

„Let the good times roll“<br />

Worpsweder Dorfplatz<br />

Aufruhr im Kloster Lilienthal<br />

Eine Oase für Kinder<br />

Bremer Kahnschifffahrt<br />

Staatsforst Düngel<br />

I N H A L T


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Lilienthal Tel.: 0 42 98 / 3 03 67 · Bremerhaven Tel.: 0471 / 4 60 53<br />

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Mit freundlicher Genehmigung der Firma Carl Fiedler · www.glaserei-fiedler.de<br />

Redaktionssitzung<br />

Termin und Ort der nächsten<br />

Redaktionssitzung standen<br />

zum Redaktionsschluss<br />

leider noch nicht fest.<br />

Die Teilnehmer werden dazu gesondert<br />

per Postkarte oder E-Mail eingeladen.


Aus dem Inhalt<br />

Aktuelles<br />

Harald Steinmann<br />

Arno Schmidt und Lilienthal Seite 15<br />

BRAS e. V.<br />

Köksch un Qualm Seite 19<br />

Gerhard Behrens<br />

Lauenburg an der Elbe Seite 21<br />

Maren Arndt / Ursula Villwock<br />

„Let the good times roll“ Seite 22<br />

Axel Spellenberg<br />

Worpsweder Dorfplatz Seite 23<br />

Johannes Rehder-Plümpe<br />

Europäisches Kulturerbejahr 2018 Seite 26<br />

Jürgen Langenbruch<br />

Redaktionssitzung Seite 29<br />

<strong>Heimat</strong>geschichte<br />

Wilhelm Berger<br />

Jürgen Christian Findorff<br />

in Osterholz Seite 4 – 8<br />

Herbert Rüßmeyer<br />

Hinter Stacheldraht<br />

im Teufelsmoor Seite 12 – 13<br />

Rudolf Matzner<br />

Anschlag im Pressehaus<br />

der „Bremer Nachrichten“ Seite 18 – 19<br />

Rupprecht Knoop<br />

Aufruhr im Kloster Lilienthal Seite 24 – 25<br />

Johannes Rehder-Plümpe<br />

Die Bremer Kahnschifffahrt Seite 28 – 29<br />

Kultur<br />

Herbert A. Peschel<br />

Die Stadtmusikanten in Namibia Seite 9<br />

Rudolf Matzner<br />

Die Bremer Stadtmusikanten<br />

in Riga Seite 14 – 15<br />

Natur<br />

Maren Arndt<br />

Na, wo sind sie denn? Seite 10<br />

Susanne Eilers<br />

Das Gänseblümchen Seite 11<br />

Wilko Jäger<br />

Eine Oase für Kinder Seite 27<br />

Wilko Jäger<br />

Der Staatsforst Düngel Seite 30 – 31<br />

Serie<br />

Jan Brünjes<br />

Lach- und Torfgeschichten Seite 20<br />

Peter Richter<br />

Bauernregeln Seite 9<br />

Vor 100 Jahren Seite 16 – 17<br />

Fast vergessen Seite 21<br />

‘n beten wat op Platt Seite 23<br />

Redaktionsschluss für die nächste<br />

Ausgabe: 15. November <strong>2017</strong><br />

Liebe Leserinnen<br />

und Leser,<br />

das letzte Quartal des Jahres ist angebrochen,<br />

weiteres Warten auf einen<br />

sonnigen Sommer ist wohl zwecklos -<br />

die dunkle Jahreszeit dräut uns.<br />

Aber auch diese hat ihre spezifischen<br />

Reize, ein goldener <strong>Herbst</strong> und ein vielleicht<br />

weißer Winter gehören zum Wandel<br />

der Jahreszeiten in unserer Region -<br />

und läßt in uns die Vorfreude auf einen<br />

kommenden Frühling entstehen. Die<br />

dunklen Abende geben Ihnen vielleicht<br />

die Gelegenheit, bei gemütlicher<br />

Beleuchtung die Artikel des aktuellen<br />

<strong>Heimat</strong>-<strong>Rundblick</strong>s <strong>Nr</strong>. <strong>122</strong> zu studieren.<br />

Unserer Redakteurinnen und<br />

Redakteure haben sich wie immer viel<br />

Mühe mit der Abfassung der Artikel<br />

gemacht und ein buntes und interessantes<br />

Kaleidoskop erarbeitet.<br />

So beginnt es mit einem Artikel über<br />

Jürgen Chr. Findorff in Osterholz, der<br />

viele Informationen zur Geschichte des<br />

Ortes darstellt. Und wenn Sie der Meinung<br />

sind, dass man die „Bremer Stadtmusikanten“<br />

nur in unseren Gefilden<br />

kennt, dann können Sie zwei Texte zu<br />

Stadtmusikanten in Namibia und Riga<br />

vielleicht vom Gegenteil überzeugen. Es<br />

folgen Pilze und die Heilpflanze des Jahres<br />

<strong>2017</strong>, das Gänseblümchen. Im Teufelsmoor<br />

gab es in der Nazizeit ein<br />

Zwangsarbeitslager, von dem Herbert<br />

Rüßmeier berichtet. Arno Schmidt,<br />

bekannt ist sicher das Fragment „Lilienthal<br />

1801 oder die Astronomen“, war<br />

Thema einer Lesung im „Borgfelder<br />

Landhaus“. Ein Rückblick auf die Zeit<br />

vor 100 Jahren gibt angesichts der heutigen<br />

Fülle an Lebensmitteln zu denken,<br />

ebenso ein Anschlag im Jahre 1951 mit<br />

einer Briefbombe. Weiter geht es mit<br />

„Lach- und Torfgeschichten“ und über<br />

Lauenburg als Geburtsort der Findorff-<br />

Brüder. Musikalisch geht es bei einer<br />

Ausstellung im Kreishaus zu, bei dem es<br />

um den „Musikladen“ geht - Dr. Zaft<br />

aus Garlstedt hat sich mit großem Aufwand<br />

und Erfolg um die Erhaltung<br />

bemüht. Worpswede einmal etwas<br />

anders gedacht - ein Vorschlag zur<br />

Umgestaltung von Axel Spellenberg.<br />

„Aufruhr im Kloster Lilienthal“ - auch<br />

das hat es gegeben. Es folgen Berichte<br />

zum „Europ. Kulturerbejahr 2018“, von<br />

einem Naturspielplatz in Meyenburg,<br />

der Bremer Kahnschifffahrt und dem<br />

Staatsforst „Düngel“ bei Meyenburg.<br />

Das war’s - viel Spaß beim Lesen<br />

wünscht Ihnen<br />

Ihr Jürgen Langenbruch<br />

Impressum<br />

Herausgeber und Verlag: Druckerpresse-Verlag UG<br />

(haftungsbeschränkt), Scheeren 12, 28865 Lilienthal,<br />

Tel. 04298/46 99 09, Fax 04298/3 04 67, E-Mail<br />

info@heimat-rundblick.de, Geschäftsführer: Jürgen<br />

Langenbruch M.A., HRB Amtsgericht Walsrode 202140.<br />

Redaktionsteam: Wilko Jäger (Schwanewede),<br />

Rupprecht Knoop (Lilienthal), Dr. Christian Lenz (Teufelsmoor),<br />

Peter Richter (Lilienthal), Manfred Simmering<br />

(Lilienthal), Dr. Helmut Stelljes (Worps wede).<br />

Für unverlangt zugesandte Manuskripte und Bilder wird<br />

keine Haftung übernommen. Kürzungen vorbehalten. Die<br />

veröffentlichten Beiträge werden von den Autoren selbst<br />

verantwortet und geben nicht unbedingt die Meinung<br />

der Redaktion wieder. Wir behalten uns das Recht vor,<br />

Beiträge und auch Anzeigen nicht zu veröffentlichen.<br />

Leserservice: Telefon 04298/46 99 09, Telefax 04298/3 04 67.<br />

Korrektur: Helmut Strümpler.<br />

Erscheinungsweise: vierteljährlich.<br />

Bezugspreis: Einzelheft 4,50 €, Abonnement 18,– € jährlich<br />

frei Haus. Bestellungen nimmt der Verlag entgegen;<br />

bitte Abbuchungsermächtigung beifügen. Kündigung<br />

drei Monate vor Ablauf des Jahresabonnements.<br />

Bankverbindungen: Für Abonnements: Kreissparkasse<br />

Lilienthal IBAN: DE27 2915 2300 1410 0075 28,<br />

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Für Spenden und Fördervereins-Beiträge: Kreissparkasse<br />

Lilienthal, IBAN: DE96 2915 2300 0000 <strong>122</strong>1 50,<br />

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Druck: Langenbruch, Lilienthal.<br />

Erfüllungsort: Lilienthal, Gerichtsstand Osterholz-Scharmbeck.<br />

Der HEIMAT-RUNDBLICK ist erhältlich:<br />

Bremen: Böttcherstraße/Ecke Andenkenladen<br />

Worpswede: Buchhandlung Netzel, Aktiv-Markt, Philine-<br />

Vogeler-Haus (Tourismus-Info), Barkenhoff.<br />

Hinweis der<br />

Redaktion<br />

Liebe Leser!<br />

Aus aktuellem Anlass möchten wir Sie<br />

bitten, bei der Bezahlung Ihrer Rechnungen<br />

für das Abonnement des <strong>Heimat</strong>-<strong>Rundblick</strong>s<br />

auf der Überweisung<br />

unbedingt zu vermerken, für welche<br />

Rechnungs-Nummer die Zahlung<br />

erfolgt. Hilfreich wäre auch die Angabe<br />

der Kunden-<strong>Nr</strong>., die Sie ebenfalls auf<br />

Ihrer Rechnung finden.<br />

Es würde uns bei der Zuordnung<br />

Ihrer Zahlung sehr helfen.<br />

Die Redaktion<br />

Titelbild:<br />

Die Bemer Stadtmusikanten<br />

Foto: pixabay.com<br />

RUNDBLICK <strong>Herbst</strong> <strong>2017</strong><br />

3


Jürgen Christian Findorff in Osterholz<br />

Erste Karte des Fleckens aus dem Jahre 1756 Teil 3<br />

Anhand der bisherigen Untersuchungen<br />

konnte aufgezeigt werden, dass sich Osterholz<br />

aus zwei Komplexen gebildet hatte.<br />

Da war zum einen der aus dem ehemaligen<br />

Kloster erwachsene Bereich des Amtes<br />

und der Kirche, zum anderen eine Ansiedlung<br />

überwiegend bäuerlicher Natur;<br />

durch die von Findorff gewählte Gestaltung<br />

sind beide in der Karte farblich unterschieden.<br />

Zwischen beiden bestanden<br />

enge Zusammenhänge. So hatte sich der<br />

Flecken Osterholz in unmittelbarer Nähe<br />

zum Kloster entwickelt. Das Grundgerüst<br />

dieser Siedlung bildeten die Stellen der<br />

zehn alten Hofleute sowie der fünfzehn<br />

kleinen alten Hofleute. Dazu waren weitere<br />

Ansiedler gekommen, so dass die Zahl der<br />

Feuerstellen bis 1753 auf 59 angewachsen<br />

war.<br />

Insgesamt gesehen nehmen die Siedlungsflächen<br />

aber nur einen kleinen Anteil<br />

an der gesamten Karte ein; besonders<br />

nach Südosten hin sind bis zur Hamme<br />

und z. T. darüber hinaus siedlungsfreie<br />

Flächen von Findorff kartiert worden. Ein<br />

besonderes Augenmerk liegt dabei auf den<br />

Flächen, die er als zu diesem Amte gehörigen<br />

Pertinentz-Stücke bezeichnet und die<br />

sowohl auf der Geest als auch in der Niederung<br />

liegen. Diese werden am oberen<br />

Kartenrand tabellarisch aufgeführt. In der<br />

Summe ergeben sich rund 144,9 Morgen<br />

Saatland, 183,6 Morgen Wiesen, 227,5<br />

Morgen Weiden und 7,2 Morgen Gartenland,<br />

zusammen 562,3 Morgen, etwa 142<br />

ha. Dieser nicht unerhebliche Grundbesitz<br />

dürfte durch die Bediensteten des Vorwerks<br />

bewirtschaftet worden sein.<br />

Die Hofleute benötigten aber auch Land<br />

zur Bewirtschaftung. Der Karte kann man<br />

hierzu einerseits entnehmen, dass die<br />

Hausstellen von Gartenland umgeben<br />

sind, andererseits gibt es ganz wenig Saatland,<br />

aber relativ viel Grünland, das in der<br />

o. g. Tabelle nicht erfasst ist und somit den<br />

Hofleuten zugeordnet werden kann. Dies<br />

waren Gemeinschaftsweiden. Zu jeder<br />

Der Kern von Osterholz im Luftbild von 1952 mit dem noch offen verlaufenden Scharmbecker Bach im Vordergrund.<br />

© Sigrid Hofmann, Schwanewede<br />

Stelle gehörte ein Rübhof; darüber hinaus<br />

besaßen die Hofleute Ackerland in der Langen<br />

Heide und eine Torfstich-Gerechtigkeit<br />

im herrschaftlichen Sandhausener<br />

Moor. 44)<br />

Ein Jahr zuvor (1755) hatte Findorff<br />

detaillierte Kartierungen von Teufelsmoor<br />

durchgeführt. Die dort vermerkten ausführlichen<br />

Angaben zur Besitz- und Nutzungsstruktur<br />

der einzelnen bäuerlichen<br />

Betriebe finden in der Karte über Osterholz<br />

jedoch keine Entsprechung 45) , so dass für<br />

die einzelnen Landwirte keine genauen<br />

Flächenangaben vorliegen<br />

Der vorrangige Erwerb der Osterholzer<br />

Siedler entstammte der Landwirtschaft,<br />

einem individuell betriebenen Ackerbau<br />

auf der Geest sowie einer Viehhaltung mit<br />

Milchviehhaltung, Rinder- und Schweinemast;<br />

dazu kam noch Kleintierhaltung. Im<br />

Sommer standen für die Rinder Gemeinheitsweiden<br />

in der Hammeniederung zur<br />

Verfügung, die ursprünglich vom Kloster<br />

bereitgestellt und m. H. eines Kuhhirten<br />

gemeinschaftlich beweidet wurden. Zur<br />

Schweinemast stand den Bauern das Recht<br />

zu, ihre Tiere zeitweise im Klosterholz<br />

Eicheln suchen zu lassen. Zu den Hofstellen<br />

gehörten anfangs Flächen von 54 – 60<br />

Morgen (rund 14 – 15 ha). 46)<br />

Der wirtschaftliche Bezug zum Kloster<br />

und später zum Amt dürfte es mit sich<br />

gebracht haben, dass eine Nachfrage nach<br />

Diensten vorhanden war, die durch die<br />

Flecken-Bewohner zu befriedigen war. Eine<br />

daraus erwachsene Spezialisierung auf<br />

bestimmte Berufe kann aber nicht belegt<br />

werden.<br />

Siedlungen nahe Osterholz<br />

Zu Osterholz kamen später Siedlungen,<br />

die zu Findorffs Zeit noch eigenständig<br />

waren. Dazu gehören Muskau, Weyerdamm<br />

und Ahrensfelde. Zum Amt Osterholz<br />

gehörten 1753 das Dorf Muskau mit<br />

Ausschnitt aus der Karte „Osterholz 1756“ (NLA Stade, Karten Neu <strong>Nr</strong>. 12929).<br />

4 RUNDBLICK <strong>Herbst</strong> <strong>2017</strong>


Ausschnitt aus der Karte „Osterholz 1756“ (NLA Stade, Karten Neu <strong>Nr</strong>. 12929). Bereich Muskau<br />

9 und die Moorsiedlung Weyerdamm mit<br />

16 Feuerstellen; das zur Börde Scharmbeck<br />

gehörige Dorf Ahrensfelde zählte 13 Feuerstellen.<br />

47)<br />

Von den genannten Siedlungen ist von<br />

Findorff nur das Dorff Muskau kartographisch<br />

erfasst, von Ahrensfeld finden wir<br />

Andeutungen.<br />

Über die Namen der Bewohner weiß<br />

man bereits seit dem 16. Jahrhundert. 48)<br />

Durch die Schweden wurde die Ortschaft<br />

Arenßfeldt dann 1647 aufgelistet. Damals<br />

lebten dort 4 Bauleuthe und 2 Köther in<br />

stattlichen Behausungen, hatten Saatland<br />

und besaßen einen ansehnlichen Viehbestand.<br />

49) Rund 70 Jahre später schrieb<br />

Georg von Roth: „Ahrensfeld lieget von<br />

Scharmbek ein klein Feld weges ins Nord-<br />

Nord-Osten und bestehet nur aus 4 gantzen,<br />

2 halben Bauhöfen und 2 Käthern.“ 50) ,<br />

nachdem im Contributions-Hebungsregister<br />

von Scharmke 1712 noch 9 Namen verzeichnet<br />

waren. 51)<br />

Auf dem Weg von Osterholz dorthin<br />

befindet sich der kleine Weiler Muskau mit<br />

5 erkennbaren Wohnstätten, nachdem G.<br />

v. Roth 1718 festgestellt hatte: „Muskau<br />

lieget Osterholtz nach Nord-Osten und<br />

enthält 9 Häuser.“ 52) Auch deren Bewohner<br />

lebten von der Landwirtschaft,<br />

besaßen als Kötner allerdings nur einen<br />

geringeren Rang.<br />

Erwähnenswert sind zwei am Kartenrand<br />

befindliche Wohnstätten abseits der<br />

geschlossenen Bebauung. Dort verläuft<br />

steigungsarm zwischen Osterholz und<br />

Scharmbeck, ohne die beiden Orte zu<br />

berühren, die Frachtstraße von Bremen<br />

nach Stade; an ihr findet man das Tormans<br />

Haus und etwas östlich davon des<br />

Abdeckers Wohnung. Beim Abdecker ist es<br />

klar, dass man ihn und sein anrüchiges<br />

Gewerbe nicht in Siedlungsnähe haben<br />

wollte. Aber welche Aufgabe hatte der Tormann?<br />

Eine Stadt mit Tor gab es nicht;<br />

auch verließ die Straße dort kein Territorium,<br />

an dessen Grenzen man Zoll hätte<br />

kassieren können. Eventuell war es ein<br />

Wegegeld, das man für das Befahren der<br />

Straße entrichten musste.<br />

Osternheide<br />

Ein Weiler südwestlich von Osterholz an<br />

dem Weg nach Bremen. Erzbischof Johan<br />

Adolf zu Holstein hatte dem Kloster, vertreten<br />

durch Propst Ortgies Schulte und<br />

Domina Gössen von Brobergen, „den<br />

Wind verliehen“ 53) , d. h. die Genehmigung<br />

zum Bau einer Windmühle erteilt. Ob diese<br />

Windmühle dann jemals gebaut worden<br />

ist, kann als umstritten gelten; sie taucht<br />

nicht wieder auf, auch Spuren von ihr und<br />

ihrem Standort fehlen bisher.<br />

Wohl aber hat sich eine Siedlung gebildet,<br />

zu der 9 Familien im Jahre 1698<br />

gehörten. Um die Zeit existierten noch<br />

eine Schäferei sowie Fischteiche des<br />

Klosters. 54) Diese Wirtschaftsbetriebe haben<br />

also offensichtlich das Ende des Klosters<br />

überdauert und sind in der Folge weitergeführt<br />

worden.<br />

Roth hält 1718 fest: „Osterheyde lieget<br />

südwerts [von Osterholz] gegen das Dorf<br />

Lintel, hat eine Walckmühle, und bestehet<br />

nebst derselben aus 7 Häusern.“ 55)<br />

Auf der Karte von Findorff besteht die<br />

Siedlung Osterheide aus 5 Häusern. Die<br />

Feldmark befindet sich als ackerbaulich<br />

genutztes Land auf der Geest. Neben dem<br />

Scharmbecker Bach erkennt man einen<br />

größeren und einen kleineren Fischteich.<br />

Die oben erwähnte Walkmühle liegt weiter<br />

bachabwärts jenseits des Heid-Camps (auf<br />

dem folgenden Kartenausschnitt zu erkennen).<br />

Ihre Wasserversorgung wurde durch<br />

einen Teich reguliert. Über die Mühle ist<br />

aus früherer Zeit nichts bekannt. Bei Segelken<br />

wird sie als „herrschaftliche Mühle“<br />

bezeichnet. 56) Dann müsste sie 1718 noch<br />

ganz neu gewesen sein, was v. Roth aber<br />

nicht erwähnt.<br />

Erwähnenswert auf dem Kartenausschnitt<br />

ist noch der jenseits der Straße<br />

gelegene Justitz-Platz. Offensichtlich stand<br />

auf dieser Gerichtsstätte der Galgen, der<br />

Schauplatz der letzten Hinrichtung im<br />

Jahre 1680 gewesen ist. 57)<br />

Herrschaftliche Ziegelei<br />

Im Anschnitt noch auf dem Ausschnitt<br />

von Osterheide erkennbar ist das Gelände<br />

der Ziegelei am Heidkamp, das in einem<br />

weiteren Ausschnitt im Zusammenhang<br />

präsentiert wird.<br />

Als Herrschaftliche Ziegelei wurde der<br />

Betrieb unter dem Drost Burchard Georg<br />

von Schwanewede und dem Amtschreiber<br />

und späteren Amtmann Anton Friedrich<br />

Meiners im Jahre 1734 aufgenommen. Um<br />

eine Ziegelei zu betreiben, müssen<br />

wesentliche Bedingungen erfüllt sein.<br />

Erstens muss der erforderliche Rohstoff,<br />

also Ton bzw. Lehm, vorhanden sein. Zwei-<br />

Ausschnitt aus der Karte „Osterholz 1756“ (NLA Stade, Karten Neu <strong>Nr</strong>. 12929). Bereich Osternheide<br />

RUNDBLICK <strong>Herbst</strong> <strong>2017</strong><br />

5


Ausschnitt aus der Karte „Osterholz 1756“ (NLA<br />

Stade, Karten Neu <strong>Nr</strong>. 12929). Bereich Ziegelei<br />

tens benötigt man Heizmaterial, um die<br />

Ziegel zu brennen. Drittens werden<br />

Arbeitskräfte benötigt, die mit der Technik<br />

der Ziegelherstellung vertraut sind. Viertens<br />

braucht man Abnehmer für die fertigen<br />

Ziegel und fünftens Verkehrswege, auf<br />

denen Rohstoffe an- und Fertigwaren<br />

abtransportiert werden können.<br />

Die Ziegelei war auch der Anstoß für<br />

eine erste Kartierung, die älteste, die überhaupt<br />

für den Flecken Osterholz vorliegt.<br />

In dieser recht anschaulich gestalteten<br />

Karte von F. v. Haerlem werden der Bereich<br />

der Ziegelei und die angrenzenden<br />

Flächen maßstäblich dargestellt, während<br />

entfernter liegende Bereiche wie der Ortsbereich<br />

von Osterholz nur bildhaft eingezeichnet<br />

sind. Gut erkennbar sind auch der<br />

oben erwähnte Fisch Teich und die Walk<br />

Mühle (R) mit Stauteich, ferner der Heydkamp<br />

(Q). Die Findorff-Karte von 1756<br />

stimmt damit weitestgehend überein; in<br />

Karte der Ziegelei, erstellt von F. v. Haerlem 1749 (NLA Stade, Karten Neu <strong>Nr</strong>. 13062)<br />

der älteren Karte werden jedoch die einzelnen<br />

Gebäude, Flächen und deren Funktion<br />

näher benannt. Bei aller inhaltlichen<br />

Übereinstimmung wird bei den kurz nacheinander<br />

erschienenen Karten ein Fortschritt<br />

der Kartographie deutlich. Ist v.<br />

Haerlem 1749 noch bei einer gegenständlichen<br />

Darstellung, wie sie auch beim Heinbach-Plan<br />

der Stadt- und Landgebiete Bremens<br />

aus dem Jahre 1748 praktiziert worden<br />

ist, 58) so sind Findorffs Karten abstrakter<br />

und nur noch der maßstabsgetreuen<br />

Flächendarstellung verpflichtet.<br />

Die Vielzahl der Gebäude lässt auf eine<br />

umfangreiche und differenzierte Produktion<br />

schließen. Eine besondere Rolle spielt<br />

dabei der Canal (T). Auf ihm wird der Torff<br />

angefahren, wobei der Kanal direkt in das<br />

Torff Schauer (C) führt. Als Brennmaterial<br />

dient er in der Kalck Brennerey (D) und den<br />

Brennöfen (J und K).<br />

Standortfaktoren<br />

für die Ziegelei<br />

Oben sind fünf Bedingungen genannt<br />

als Voraussetzung für einen wirtschaftlichen<br />

Betrieb der Ziegelei, die man als<br />

Standortfaktoren bezeichnen kann. Als<br />

weitere Bedingungen kann man noch<br />

die Besitz- und Genehmigungsfragen<br />

anführen.<br />

Zum ersten Standortfaktor: Die Scharmbecker<br />

Geest als Teil der Stader Geest ist an<br />

zahlreichen Stellen durchsetzt von Tonvorkommen,<br />

die vielerorts die Grundlage für<br />

eine große Zahl von Ziegeleien gebildet<br />

haben. Man findet diese Lagerstätten als<br />

„Lauenburger Ton“ eingebettet in die<br />

Ablagerungen der drittletzten Eiszeit, der<br />

Elster-Eiszeit, die vor rund 400 000 Jahren<br />

weite Teile Norddeutschlands mit ihren<br />

Gletschern geprägt hat.<br />

Ein oberflächennahes Vorkommen bot<br />

sich am Übergang von der Geest zur Niederung<br />

hin im Bereich des heutigen Stadions,<br />

bei Findorff als Lehm-Grafft bezeichnet.<br />

59) Wann dort zuerst Ton gegraben<br />

worden ist, lässt sich nicht sagen. Es ist<br />

aber anzunehmen, dass das Material für<br />

die Backsteine der Klosterkirche bereits<br />

dort gewonnen worden ist. In der Karte<br />

deuten aber weiter nördlich noch der Ziegel-Camp<br />

und das nahe gelegene Ziegel-<br />

Camps-Holtz auf mögliche frühere Tongruben<br />

hin. Eine systematische Erschließung<br />

der o. g. Grube hat dann aber erst zur Zeit<br />

der Ziegelei-Gründung stattgefunden.<br />

Mit Schreiben vom 11. Dezember 1730<br />

an die Kammer in Hannover wurde durch<br />

v. Schwanewede und A. F. Meiners erstmals<br />

der Bau einer Ziegelbrennerey angeregt.<br />

60) Sie sprechen darin von „vielen fetten<br />

Leimen“ in einer Tiefe von 10 – 12 Fuß<br />

und in einer solchen Menge vorhanden,<br />

„daß es daran nimmermehr mangeln<br />

kann“.<br />

In der Vergangenheit habe es zu klösterlichen<br />

Zeiten bereits 8 Ziegelhütten gege-<br />

6 RUNDBLICK <strong>Herbst</strong> <strong>2017</strong>


Schematisches geologisches Profil (Ausschnitt);<br />

aus: Hans-Gerhard Kulp, Der Weyerberg und das<br />

Teufelsmoor; Lilienthal 1995, S. 11. Links gesamt,<br />

rechts Ausschnitt<br />

ben, die jedoch während des Dreißigjährigen<br />

Krieges, in den „ehemahligen schweren<br />

Kriegeszeiten ruiniret und eingegangen<br />

sind.“ Für die Qualität der Vorkommen<br />

spreche auch, dass die noch vorhandenen<br />

Steine der ehemaligen Klostergebäude<br />

neue Steine aus Bremen an Festigkeit<br />

„weit übertreffen“.<br />

Ein weiterer zeitgenössischer Bericht<br />

beschreibt die Vorkommen als „blau bzw.<br />

schwarz“ und „fett“ 61) , also von offenbar<br />

sehr guter Qualität. Auch war die Menge<br />

so eingeschätzt, dass für die Ziegelei gute<br />

Perspektiven vorlagen.<br />

In der Karte von 1749 steht dazu unter<br />

dem Buchstaben U: „Platz in der Forst,<br />

alero seit 17 Jahren die Ziegel Erde zu<br />

Mauer Steinen aus gegraben worden. Hält<br />

2 Morgen 73 ½ Ruthen.“ Das wären ca.<br />

0,66 ha bei einem Beginn des Abbaus<br />

1732.<br />

Ein interessanter Aspekt bei den Vorkommen<br />

im Klosterholz war, dass die<br />

Leimgräber bei ihrer Tätigkeit dann und<br />

wann auf Bernstein stießen, der offenbar<br />

gar nicht so selten in den Tonschichten<br />

eingelagert war.<br />

Zum zweiten Faktor: Das Angebot an<br />

Torf erwies sich als der entscheidende Faktor<br />

für die Anlage der Ziegelei in Osterholz;<br />

positiv war auch, dass das zusätzlich zum<br />

Brennen benötigte Erlen- und Birkenholz<br />

im Nahbereich zu beschaffen wäre.<br />

Im Jahre 1730 befinden wir uns am<br />

Anfang jener Zeit, in der der Staat – hier<br />

also das Kurfürstentum Hannover –<br />

begann, über die Nutzung der wilden<br />

Moorgebiete die ersten Pläne zu erstellen.<br />

Hierin besaß Hannover mit v. Schwanewede<br />

und Meiners eifrige Unterstützer, die<br />

diesen Prozess mit eigenen Vorschlägen<br />

fördern wollten, da „die Verbeßerung der<br />

Herrschaftlichen möhre unß auserst angelegen<br />

seyn“. 60) Im Interesse stand dabei die<br />

Gewinnung des unten liegenden<br />

schwarzen Torfes; dazu musste zunächst<br />

aber der obere, weiße Torf abgetragen<br />

werden. Bei diesem gab es nun ein Überangebot,<br />

da er „gar schlecht sey auch<br />

RUNDBLICK <strong>Herbst</strong> <strong>2017</strong><br />

nicht anders alß zum Ziegel- und Kalck-<br />

Brennen abgesetzet werden könne“. Da<br />

dieser Verkauf oftmals nicht einmal die<br />

Kosten der Gewinnung deckte, machten<br />

die Osterholzer Beamten also den Vorschlag,<br />

eine eigene Ziegelbrennerei zu<br />

errichten und diese mit dem weißen Torf<br />

zu befeuern, um ihn „in loco zu consumiren“.<br />

Zum dritten Faktor: Aufbau und Betrieb<br />

einer Ziegelei setzte ein gehöriges Maß an<br />

Fachwissen voraus. Aus der Karte kann<br />

man ja erschließen, dass es um einen<br />

imposanten Betrieb ging, den man evtl.<br />

sogar schon als industriell bezeichnen<br />

kann und für den etliche Arbeitskräfte<br />

benötigt wurden.<br />

Außer einem „in der Nähe wohnenden<br />

Töpfer“ waren vermutlich keine weiteren<br />

Fachkräfte mehr vor Ort. Für den Arbeitsmarkt<br />

würden sich aber gute Perspektiven<br />

ergeben, da „durch dieses werck zugleich<br />

verschiedene unterthanen dieses Orthes<br />

Ihre beständige arbeit finden können“.<br />

Offen blieb zunächst, wer das Werk<br />

bauen und betreiben sollte, ob dies Hannover<br />

in Eigenregie machen oder dem Amt<br />

Osterholz genehmigen würde, die Ziegelei<br />

auf eigene Kosten zu errichten und gegen<br />

einen gewissen Zins an die Landesherrschaft<br />

zu betreiben.<br />

Zum vierten Faktor: Im ländlich geprägten<br />

Gebiet war die Verwendung von Backstein<br />

zunächst einmal nicht typisch; es<br />

herrschte eindeutig der Fachwerkbau vor.<br />

Etwa bis zum Jahre 1700 konnten sich die<br />

Hofleute auch darauf verlassen, dass sie<br />

Holz zum Bauen aus dem Klosterholz<br />

gestellt bekamen.<br />

Ziegel für Mauerwerk und Dacheindeckung<br />

waren für den gewöhnlichen<br />

Dorfbewohner zu teuer. So waren es ja<br />

auch zunächst die auf längere Zeiträume<br />

veranschlagten Kirchenbauten, für die dieses<br />

Material in Frage kam. Von der Klosterkirche<br />

heißt es, dass sie auf einem Fundament<br />

von Feldsteinen und zersprengten<br />

Findlingen ehemaliger Hünengräber<br />

gegründet sei. Dieses Baumaterial wurde<br />

dann jedoch nicht weiter verwendet, stattdessen<br />

stellt die Kirche eins der frühesten<br />

Zeugnisse über die Verwendung von Backstein<br />

dar. Auch das ehemalige Armen- und<br />

Pflegehaus ist aus Backstein gebaut.<br />

Als privater Abnehmer taucht für das<br />

Jahr 1754 die Adelsfamilie von Sandbeck<br />

auf. Joh. Steeneck legt eine Rechnung aus<br />

jenem Jahre vor mit einem „Verzeichniß<br />

derer Pfannen, so dero Hochwohlgeborene<br />

der Herr von Sandbeck von hiesiger<br />

Ziegelei abholen lassen“. 62) Das waren im<br />

Laufe des Jahres knapp 1000 Dachpfannen.<br />

Ob das Bauen mit diesen Tonziegeln<br />

billig war, wie Steeneck behauptet, sei<br />

dahingestellt. Aus der Aufstellung geht<br />

jedenfalls hervor, dass für 200 Dachpfannen<br />

2 Thlr. und 3 grt. bezahlt werden mussten.<br />

Laut Quittung des Ziegeleibetreibers<br />

A. L. Specht hat Herr von Sandbeck die<br />

Pfannen im August 1754 bar bezahlt.<br />

Wenn nun hier eine Ziegelei angesiedelt<br />

wurde, muss das auch etwas mit einem<br />

veränderten Verständnis zu tun haben,<br />

dass nämlich Osterholz als Amtsort durch<br />

moderne Bauten etwas von seiner Provinzialität<br />

ablegen sollte. So sind dann auch<br />

die amtlichen Bauten als erste Abnehmer<br />

für die gebrannten Ziegel zu sehen. Von<br />

denen aus erhoffte man sich wahrscheinlich<br />

dann den Impuls, der auf die private<br />

Bauwirtschaft seine Auswirkung finden<br />

sollte.<br />

Daneben waren v. Schwanewede und<br />

Meiners auch selbstbewusst genug, sich<br />

gute Chancen auf dem bremischen Markt<br />

auszurechnen. In erster Linie wurde der<br />

Raum Vegesack ins Auge gefasst, wo man<br />

die Steine billiger und in besserer Qualität<br />

anbieten könne. „Wir zweifeln hieran umb<br />

so viel weniger weil a) die bremischen Ziegelbrennereyen<br />

niemahlen so viel Steine<br />

liefern können, alß erfordert werden und<br />

daher gar viele mit großen Kosten die<br />

Weser herunter gebracht werden müßen<br />

b) daneben unß zuverläßig bekand, wie<br />

jenen die erde zu mangeln beginne c) die<br />

hiesigen Steine denen bremischen an<br />

bonität vorgehen und d) selbige allemahl<br />

7


wohlfeiler alß die bremer gegeben werden<br />

können“. 60)<br />

Tatsächlich entwickelte sich der Absatz<br />

nach Bremen als tragende Säule des<br />

Betriebs. So wandte sich A. F. Meiners 63)<br />

mit der Bitte an Bürgermeister und Rat der<br />

Stadt, ihm einen Platz auf dem Teerhof zu<br />

vermieten, um die benötigten Steine in<br />

ausreichender Menge vor Ort verfügbar zu<br />

haben. In diesem Schreiben vom 22. September<br />

1738 betonte er, dass er die<br />

meisten Steine und Pfannen nach Bremen<br />

absetze. Mit Schreiben vom 1. Dezember<br />

1738 wurde ihm der gewünschte Stapelplatz<br />

tatsächlich bewilligt. 64)<br />

Noch etwas ist diesem Schriftwechsel zu<br />

entnehmen. Meiners schreibt, „daß ich allhier<br />

eine Ziegelbrennerey angeleget<br />

[habe]“. Er war also selbst und alleine der<br />

Betreiber der Ziegelei.<br />

Zum fünften Faktor: Ziegel sind Massenprodukte,<br />

die von Stückzahl und Gewicht<br />

nicht für längere Transporte prädestiniert<br />

sind. Bei Ton und Torf haben wir gesehen,<br />

dass die Transportwege kurz gehalten<br />

und im Falle des Torfs per Schiff erledigt<br />

werden konnten, wobei „der transport<br />

des Torffes bis Bremen gespart werden<br />

kann.“ 60) Beim Kalk ist die Aussage nicht<br />

ganz so einfach. Kalksteinvorkommen bietet<br />

die Region nicht, sie wären im Weserbergland<br />

vorhanden. Denkbar ist aber<br />

auch, dass wie für die Mörtelbereitung auch<br />

Muschelkalke Verwendung fanden, die<br />

man von der Nordseeküste her beziehen<br />

konnte.<br />

An der Ziegelei vorbei verläuft auf der<br />

Findorff-Karte der Scharmbecker Lange-<br />

Damm, der durch die Niederung in Richtung<br />

Hamme führt und diese auch mit<br />

einer Brücke überquert. In direkter Nachbarschaft<br />

wird der Damm von einem<br />

Schiff-Graben begleitet, der dann auf das<br />

Ziegelei-Gelände führt.<br />

Es gab also bereits 1756 eine schiffbare<br />

Verbindung von der Hamme her zur Ziegelei,<br />

die noch ergänzt wurde durch einen<br />

rechtwinklig von NO aus Richtung der<br />

Moore bei Pennigbüttel einmündenden<br />

Schiff-Graben.<br />

Zur Hamme hin muss es bereits früher<br />

einen Graben gegeben haben, der vermutlich<br />

nur zur Entwässerung diente. Im<br />

Kostenanschlag für die Ziegelei taucht eine<br />

Position auf, worin es darum geht, „einen<br />

Graben von der Ziegelhütte bis in die<br />

Hamme auffzureinigen und schiffbahr zu<br />

machen inclusive einer darin anzulegenden<br />

Schleuse“. 60) Und zwar so leistungsfähig,<br />

dass die Steine „in den großen<br />

eichen 65) nach Bremen und anderer orthen<br />

verfahren werden können“.<br />

Als einziges Gebäude nördlich des Dammes<br />

befindet sich die Wohnung des Ziegeleiverwalters<br />

an einem – wie es scheint –<br />

Sandhügel, bevor sich dann der von einer<br />

Art Hecke eingefasste Bereich des Heid-<br />

Camps anschließt, der zu den o. g. zum<br />

Amt gehörigen Saat-Ländereien gehört.<br />

Im Norden grenzt an dieses mit gut 15<br />

Morgen angegebene Ackerland der Teich<br />

der Walck-Mühle.<br />

Wilhelm Berger<br />

Anmerkungen<br />

44) Anm. 1 – 43 s. HRB <strong>Nr</strong>. 120, S. 25 und<br />

<strong>Nr</strong>. 121, S. 13. Von Hermann Meyer,<br />

Osterholz, erhielt ich wertvolle Informationen,<br />

für die ich ihm sehr dankbar bin.<br />

45) Vgl. Wilhelm Berger, Was die Findorff-<br />

Karte über die Dorfbewohner verrät; in:<br />

HRB 4/2013, S. 12 – 14<br />

46) J. Segelken (1967), a. a. O., S. 115, 116<br />

47) H. Fitschen, Das Amt Osterholz bei seinem<br />

Uebergange an Hannover 1715;<br />

in: HB 19/1927, S. 74. Muskau und<br />

Weyerdamm gehören kirchlich seit 1696<br />

zu Osterholz; Ahrensfelde (und Ahrensfelderdamm)<br />

kamen erst 1779 dazu.<br />

48) J. Segelken (1967) referiert über die Entwicklung<br />

von Ahrensfelde (S. 209 –<br />

211). Für weitere Informationen sei darauf<br />

verwiesen.<br />

49) Landesbeschreibung 1647, Band 6, S.<br />

618, 619 (NLA Stade Rep. 5 b Fach 117<br />

<strong>Nr</strong>. 170)<br />

50) G. v. Roth, a. a. O.<br />

51) Kreisarchiv Osterholz, o. Sign., S. 117 –<br />

121<br />

Lesenswert<br />

„Regionale Museen im Landkreis<br />

Osterholz – Geschichte entdecken –<br />

Kultur erleben“, eine Reise in die<br />

Vergangenheit und Gegenwart<br />

einer ganz besonderen Region.<br />

Hier möchten wir einmal auf eine sehr<br />

informative und lesenswerte Broschüre<br />

hinweisen, die der Landkreis Osterholz vor<br />

Kurzem herausgegeben hat.<br />

Hierbei handelt es sich auf 44 Seiten um<br />

Beschreibungen der im Landkreis Osterholz<br />

ansässigen Museen, die es sich zur<br />

Aufgabe gemacht haben, die Geschichte<br />

der jeweiligen Orte und ihrer Menschen<br />

lebendig zu erhalten und den interessierten<br />

Besuchern näher zu bringen.<br />

Es sind Informationen enthalten zu<br />

Ansprechpartnern und Öffnungszeiten<br />

und auch eine Übersichtskarte mit allen<br />

Museen ist enthalten.<br />

Ganz besonders möchten wir auf diesem<br />

Wege dem Landkreis Osterholz dafür<br />

danken, dass der <strong>Heimat</strong>-<strong>Rundblick</strong> auch<br />

mit einer Seite vertreten ist – und das völlig<br />

kostenlos.<br />

Diese Broschüre ist erhältlich beim<br />

Landkreis Osterholz, Osterholzer Straße<br />

23, in Osterholz-Scharmbeck.<br />

52) G. v. Roth, a. a. O.<br />

53) J. Segelken (1967), S. 260, 261<br />

54) ebd., S. 108, 109<br />

55) G. v. Roth, a. a. O.<br />

56) J. Segelken (1967), S. 259<br />

57) Wilhelm Berger, Fürstliche Zeiten (III); in:<br />

HRB 2/2015, S. 16<br />

58) Bremen und sein Landgebiet 1748. S. a.<br />

Joh. Rehder-Plümpe, Die Karte!; in: HRB<br />

2/<strong>2017</strong>, S. 18, 19<br />

59) Den Nutzungswandel schildert: Hans<br />

Siewert, Der Wandel von einer Tongrube<br />

zum Osterholzer Waldstadion; in: HRB<br />

3/2009, S. 21<br />

60) NLA Stade, Rep. 74 Osterholz <strong>Nr</strong>. 799<br />

61) H. P., Bernsteinfunde im Gebiet des Kreises<br />

Osterholz; in: HB 1/1927, S. 2<br />

62) Joh. Steeneck, Die Osterholzer Ziegelei,<br />

in: HB 8/1933, S. 35<br />

63) Laut H.-C. Sarnighausen, a. a. O. S.<br />

370, 371, war A. F. Meiners 1737 zum<br />

Amtmann aufgestiegen, nachdem B. G.<br />

v. Schwanewede im selben Jahr als<br />

Oberhauptmann zum Amt Verden<br />

gewechselt war.<br />

64) Staatsarchiv Bremen 2-Ss.5.b.44.a<br />

65) große Eichenschiffe, die von Berufsschiffern<br />

v. a. aus Bremen überwiegend für<br />

die Torfschifffahrt eingesetzt wurden<br />

8 RUNDBLICK <strong>Herbst</strong> <strong>2017</strong>


Die Stadtmusikanten in Namibia<br />

Eine überlieferte Geschichte der Ovambo<br />

Im Süden Afrikas fand ich vor Jahren eine<br />

seltsam bekannte Geschichte in einer Zeitung.<br />

Sie erkennen sie bestimmt.<br />

In der Volksdichtung einiger afrikanischstämmiger<br />

Volksgruppen Namibias finden<br />

sich oftmals auch Erzählungen, die<br />

ursprünglich aus Europa stammen. Die<br />

Geschichten sind an die örtlichen Verhältnisse<br />

angepasst und nach eigenen Vorstellungen<br />

umerzählt. Ein Beispiel dafür ist das<br />

folgende Märchen der Ovambo, das von<br />

Missionaren eingeführt wurde...<br />

Es war einmal …<br />

… ein Mann, der einen Esel besaß. Der<br />

Esel war schon alt und konnte nicht mehr<br />

richtig arbeiten. Deshalb beschloss der<br />

Mann, den Esel zu töten. Dieser ahnte<br />

jedoch das Unheil und lief fort, hinaus ins<br />

Feld. Nachdem er eine Weile gelaufen war,<br />

traf er auf einen Hund, der unter einem<br />

Busch lag: ,,Lieber Freund, warum siehst<br />

du so traurig aus“, fragte der Esel. ,,Ach“,<br />

sagte der Hund, ,,ich bin aus dem Kraal<br />

(traditionelles Gehöft) meines Herrn<br />

geflüchtet. Er denkt, ich sei zu alt zum<br />

arbeiten, und will mich töten.“ Da erzählte<br />

der Esel dem Hund von seinem eigenen<br />

Schicksal. Und weil sie beide unter dem<br />

Busch vor Hunger sterben würden, schlug<br />

der Esel vor: ,,Lass uns zu einem Ort gehen,<br />

der weit entfernt ist, nach Kiimbili<br />

(gemeint ist Kimberley, Südafrika) und<br />

nach Diyala (De Aar, Südafrika).“ (*)<br />

Zu dritt nach Kiimbili<br />

Während sie liefen, trafen sie eine Katze,<br />

die in einem Busch lag. ,,Ich bin aus dem<br />

Kraal meines Herrn geflüchtet“, erzählte<br />

die Katze, ,,man meint, ich sei alt geworden<br />

und könne keine Mäuse mehr fangen.“<br />

Und da die Katze in dem Busch vor<br />

Die Bremer Stadtmusikanten<br />

Foto: pixabay.com<br />

Hunger sterben würde, beschlossen sie, zu<br />

dritt nach Kiimbili und nach Diyala zu wandern.<br />

Kurz darauf sahen die drei Freunde<br />

einen Hahn ganz traurig in einem Baum<br />

sitzen. ,,Ich bin aus dem Kraal geflüchtet“,<br />

klagte er ihnen sein Leid. ,,Mein Herr<br />

meint, ich sei ein Dieb, weil ich das Korn<br />

aus den Feldern scharre.“ So machten sie<br />

sich zu viert auf nach Kiimbili und nach<br />

Diyala.<br />

Als sie dort ankamen, schaute der Esel<br />

durch das Fenster eines Hauses und<br />

erblickte viele gute Speisen. Doch sie wollten<br />

die Speisen nicht stehlen. Deshalb<br />

beschlossen sie, Lieder zu singen, damit<br />

die Leute ihnen die Speisen zur Belohnung<br />

geben. Als die Menschen im Haus jedoch<br />

ihre Lieder hörten, liefen sie fort.<br />

Daraufhin gingen Esel, Hund, Katze und<br />

Hahn in das Haus und aßen die Speisen.<br />

Ein guter Platz<br />

Die Katze legte sich auf den Tisch, der<br />

Hund an die Tür des Hauses, der Esel in<br />

den Hof und der Hahn stellte sich oben auf<br />

das Dach. Nach einer Weile kam ein Mann<br />

zum Haus zurück, um nachzuschauen, wer<br />

dort sei. Er ging hinein und griff nach der<br />

Lampe auf dem Tisch. Es waren jedoch die<br />

Augen der Katze, die da geleuchtet hatten.<br />

Mutig sprang die Katze dem Mann an den<br />

Hals. Vor Schreck lief dieser aus dem Haus.<br />

An der Tür biss ihn der Hund ins Bein, im<br />

Hof versetze der Esel ihm einen Tritt in den<br />

Magen und der Hahn krähte ihm vom<br />

Dach hinterher.<br />

So floh der Mann Hals über Kopf und<br />

erzählte den anderen Menschen: ,,Ich<br />

gehe nicht in das Haus zurück. Da war ein<br />

Junge, der packte mich am Hals, ein Mann<br />

schlug mir an der Tür mit einem Beil ins<br />

Bein, im Hof war ein Greis, der mich mit<br />

einem Baumklotz traf und vom Dach rief<br />

ein Polizist: ,Haltet ihn’.“<br />

Und so kehrten die Menschen von Kiimbili<br />

und Diyala nicht in das Haus zurück.<br />

Esel, Hund, Katze und Hahn aber hatten<br />

einen guten Platz zum Wohnen gefunden.<br />

Nacherzählt wurde diese Geschichte<br />

von Michaela Kanzler in der deutschsprachigen<br />

Zeitung „Allgemeine Zeitung“ in<br />

Windhoek, mit deren Erlaubnis ich sie weitergegeben<br />

habe.<br />

Herbert A. Peschel<br />

(*) Dem Sprachforscher Ernst Dammann<br />

zufolge hat der Erzähler des Märchens<br />

diese Orte genannt, ohne die zugrunde<br />

liegenden Namen verstanden zu haben.<br />

Das Diamanten-Bergwerk Kimberley und<br />

der Eisenbahnknotenpunkt De Aar waren<br />

den Wanderarbeitern der Ovambo jedoch<br />

ein Begriff.<br />

Bauernregeln<br />

Oktober – November – Dezember<br />

Oktober<br />

Wenn's im Oktober wettert und leuchtet,<br />

viel Regen noch den Acker befeuchtet.<br />

Ein kalter Oktober den Bauern freut,<br />

er bringt den bösen Raupen Leid.<br />

November<br />

November hell und klar<br />

ist übel für das nächste Jahr.<br />

Sankt Elisabeth (19.11.) setzt sich schon mit Dank<br />

am warmen Ofen auf die Bank.<br />

Dezember<br />

Besser die Weihnacht knistert,<br />

als wenn sie flüstert.<br />

Wer sein Holz zu Weihnachten fällt,<br />

dessen Gebäude zehnfach hält.<br />

RUNDBLICK <strong>Herbst</strong> <strong>2017</strong><br />

9


Na, wo sind sie denn?<br />

Mit der Kamera auf Pilzsuche im Wald<br />

Eichensteinpilz Erdstern im Winter Geweihförmige Holzkeule<br />

Pilze sammeln ist immer schon ein<br />

beliebtes Hobby gewesen.<br />

September und Oktober gelten als<br />

Hauptsaison für Pilze. Doch ist der Sommer<br />

feucht und warm, kann die Pilzsaison<br />

durchaus früher starten. So finden wir den<br />

schmackhaften Pfifferling schon im Juli.<br />

Und den Eichensteinpilz spätestens Anfang<br />

August.<br />

fischem Wege finden. Pilze zu fotografieren<br />

und dann im Internet bestimmen zu<br />

lassen, zum Beispiel im Forum der Webseite<br />

www.123pilze.de, das kann ein erster<br />

Weg sein, um ein Pilzkenner zu werden.<br />

Die Deutsche Gesellschaft für Mykologie<br />

e,V. hat sogar in vielen Städten sachverständige<br />

Berater organisiert. Zu finden auf<br />

der Webseite www.dgfm-ev.de. Leider gibt<br />

kann schnell eine Sammlerleidenschaft<br />

entstehen. Es dürfen in der Regel pro Person<br />

im Wald nur so viele Pilze gesammelt<br />

werden, wie zu einer Mahlzeit benötigt<br />

werden. Die Höchstmenge liegt bei 1 Kilo<br />

pro Person. Fotos kann man dagegen<br />

machen, so viele man will. Einige Pilzarten<br />

drohen bereits für immer zu verschwinden.<br />

Für Mutter Natur ist es also viel bes-<br />

<strong>Herbst</strong>lorchel Schopftintlinge Hundsrute<br />

Die kleine Welt der Pilze ist faszinierend.<br />

Im Erdreich verbreiten sie sich, versorgen<br />

Bäume und Pflanzen mit Wasser und Nährstoffen,<br />

sie zersetzen unermüdlich organische<br />

Materie und bilden Humus. Ihre<br />

Fruchtkörper dienen uns und der Tierwelt<br />

als Nahrung. Aber Vorsicht, nicht alles was<br />

Tieren schmeckt und auch gut bekommt,<br />

ist für uns Menschen genießbar. Schnecken<br />

zum Beispiel futtern den giftigen grünen<br />

Knollenblätterpilz ohne Schaden zu nehmen.<br />

Ein Knollenblätterpilz reicht aber aus,<br />

um einen gesunden Erwachsenen zu töten.<br />

Die giftigsten Pilze sollte man als Sammler<br />

genau kennen, um Verwechslungen mit<br />

begehrten Speisepilzen auszuschließen. So<br />

erscheint der grüne Knollenblätterpilz auch<br />

mit gelbem Hut und sogar ganz in weiß.<br />

Er ist dann leicht zu verwechseln mit dem<br />

beliebten Champignon.<br />

Wer sich mit Pilzen für die Bratpfanne<br />

nicht so gut auskennt, der kann sein<br />

Sammlerglück durchaus auch auf fotograes<br />

keine Hausfrauentricks, um giftige Pilze<br />

von essbaren zu unterscheiden.<br />

Pilze wachsen im Wald nicht nur im<br />

Laub unter Bäumen. Auch auf Bäumen<br />

wachsen sogenannte Holzpilze, wie die<br />

Geweihförmige Holzkeule oder der Zystidenkammpilz,<br />

um nur zwei Beispiele zu<br />

erwähnen. Es gibt sehr viele fotogene Pilze<br />

in unglaublichen Farben und Formen. So<br />

Zystidenkammpilz<br />

ser, wenn sich im Wald umweltbewusste<br />

Pilzfotografen tummeln.<br />

Die skurrilsten Pilze sind meistens nicht<br />

essbar, sodass mir einige besonders merkwürdige<br />

Exemplare für ein Foto Modell<br />

standen. Die gemeine Hundsrute hält sich<br />

nicht lange standhaft aufrecht. Sie<br />

bekommt schnell einen roten Kopf und<br />

fällt in sich zusammen. Der lateinische<br />

Name Mutinus caninus bedeutet „kleiner<br />

Hundepenis“. Sehr flott kommt der Erdstern<br />

daher, der sich bis in den Winter hält<br />

und dann im Schnee fotogen sein Pulver -<br />

sprich Sporen - verschießt. Schopftintlinge<br />

sind essbar, solange sich nicht die<br />

schwarze Tinte zeigt, die dem Pilz seinen<br />

Namen gab. Bei den <strong>Herbst</strong>lorcheln sieht<br />

jeder Pilz anders aus und mit ein bisschen<br />

Fantasie sieht man Märchengestalten. Und<br />

das sind nur einige wenige Beispiele aus<br />

der wunderbaren Welt der Pilze in norddeutschen<br />

Wäldern.<br />

Text und Bilder: Maren Arndt<br />

10 RUNDBLICK <strong>Herbst</strong> <strong>2017</strong>


Das Gänseblümchen<br />

Heilpflanze des Jahres <strong>2017</strong><br />

Schon kleine Kinder kennen und lieben<br />

das freundliche Gänseblümchen, das Wiesen<br />

mit leuchtenden weiß-gelben Tupfern<br />

verziert. Das Gänseblümchen ist ursprünglich<br />

in Südeuropa heimisch, kam jedoch<br />

schon im Altertum auch nach Mitteleuropa,<br />

als es dort immer mehr Wiesen gab.<br />

„ausdauernde Schöne“<br />

In der Botanik trägt das Gänseblümchen<br />

den hübschen Namen Bellis perennis. Dieser<br />

Name leitet sich vom lateinischen „bellus“<br />

(schön, hübsch) ab und „perennis“<br />

bedeutet „ausdauernd“. Im Deutschen<br />

wird das Gänseblümchen auch Tausendschön<br />

oder Maßliebchen genannt. Den<br />

Namen „ausdauernde Schöne“ trägt das<br />

Gänseblümchen nicht zu unrecht, denn<br />

das Gänseblümchen blüht 10 Monate und<br />

bei sehr milden Wintern sogar ganzjährig.<br />

Die mehrjährige Pflanze wird bis zu 15<br />

Zentimeter hoch. Im Frühjahr treibt die<br />

Wurzel zunächst verkehrt eiförmige Blätter<br />

aus. In Bodennähe wachsen sie als Blattrosette.<br />

Die Blüten erscheinen vom frühen<br />

Frühjahr bis in den späten <strong>Herbst</strong> hinein.<br />

Sie sitzen jeweils einzeln auf dünnen Stängeln.<br />

Als Korbblütler haben sie viele weiße<br />

Zungenblüten an der Außenseite und<br />

gelbe Röhrenblüten im Inneren, ähnlich<br />

wie Margeriten, Kamille oder Mutterkraut.<br />

Tee fördert die Verdauung<br />

Die moderne Phytotherapie verwendet<br />

das Gänseblümchen nicht. Aber die Volksheilkunde<br />

setzt es für vielerlei Beschwerden<br />

ein: Ein Tee aus den Blättern des Gänseblümchens<br />

regt Appetit und Stoffwechsel<br />

an, fördert die Verdauung, hilft gegen<br />

Erkältungen und kann durch seine krampfstillenden<br />

Fähigkeiten auch Husten lindern.<br />

Dank seiner harntreibenden Eigenschaften<br />

kann Gänseblümchen-Tee auch<br />

Ödeme schwinden lassen.<br />

Außerdem hilft Gänseblümchen gegen<br />

Frühjahrsmüdigkeit und wird traditionell<br />

gegen viele Erkrankungen eingesetzt, die<br />

im Frühling auftreten. Auch Beschwerden<br />

im Magen-Darmbereich können durch<br />

Gänseblümchen-Tee gelindert werden.<br />

Kann unreine Haut klären<br />

Gänseblümchen hilft äußerlich eingesetzt<br />

auch gegen Gliederschmerzen, unabhängig<br />

davon, ob sie rheumatischer Natur<br />

sind oder durch äußerliche stumpfe Verletzungen<br />

verursacht wurden. Äußerlich<br />

angewandt kann Gänseblümchen-Tee<br />

Ausschläge lindern, unreine Haut klären<br />

und hartnäckige Wunden heilen.<br />

In der Homöopathie wird das Gänseblümchen<br />

z.B. bei Unterleibsbeschwerden<br />

eingesetzt. In der Küche kann man junge<br />

Gänseblümchen-Blätter und Blüten als<br />

Salatbeigabe oder frisches Grün in Kräuterquarks<br />

verwenden. Susanne Eilers<br />

Lesenswert<br />

Der sehr lesenswerte Inhalt des Buches<br />

zeigt einen mit Humor geschriebenen<br />

Berufslebenslauf, mit dem wirtschaftlichen<br />

Aufschwung der jungen Bundesrepublik<br />

Deutschland im Hintergrund. Noch ist das<br />

Bauen eines Architekten fern von seinem<br />

Bürostandort nicht alltäglich. Hamburg<br />

festigt seinen Ruf als Wirtschaftsstandort<br />

und Medienzentrum, Bonn, die provisorischen<br />

Hauptstadt, wird nicht zu „Bonn<br />

2000“ ausgebaut, und in Bremen werden<br />

für unzählige Neubürger Wohnungen in<br />

modernen Stadtteilen errichtet. Private<br />

Bauherren lassen sich ihre Träume vom<br />

Eigenheim verwirklichen. Visionäre Ideen<br />

der Stadtentwicklung in Bremen werden<br />

begleitet von dem massiven Protest der<br />

Bürger, um letztlich aufgegeben zu werden.<br />

Neues Leben entsteht in alten, zum<br />

Abriss vorgesehenen Wohnquartieren. Der<br />

Autor zeigt an seinem beruflichen Lebensweg,<br />

ganz besonders mit ausgesuchten<br />

Bauten aus Bremen, welche Möglichkeiten<br />

einem Architekten mit einem breiten<br />

beruflichen Wissen gegeben sein können,<br />

wenn umfassende technische Grundlagenkenntnisse<br />

erworben wurden.<br />

Der Inhalt des Buches reflektiert auf den<br />

jeweiligen Zeitgeist, dem das Bauen<br />

gestern wie heute unterliegt. Und wer Lust<br />

dazu hat, kann sich die Frage stellen:<br />

War früher alles besser oder eben nur<br />

anders?<br />

Das Buch ist erhältlich im Buchhandel<br />

zum Preis von € 18,– unter der ISBN-<strong>Nr</strong>.<br />

9783947269020.<br />

RUNDBLICK <strong>Herbst</strong> <strong>2017</strong><br />

11


Hinter Stacheldraht im Teufelsmoor<br />

Bremisches Arbeitszwangslager ab 1934 im Ort Teufelsmoor<br />

Titelseite „Wohlfahrtsblatt“ – Amtliches Organ der<br />

bremischen Wohlfahrtsbehörde, Dezember 1938<br />

Ein Arbeitszwangslager in dem schönen<br />

idyllischen Ort Teufelsmoor?<br />

Im Dezember 1938 beschreibt das<br />

„Amtliche Organ der bremischen Wohlfahrtsbehörde“<br />

auf 8 Seiten umfassend<br />

„das bremische Arbeitszwangslager Teufelsmoor“<br />

als „Erziehungsmaßnahme für<br />

Arbeitsscheue, säumige Unterhaltspflichtige<br />

und Trinker“.<br />

Es beginnt mit einer Art Präambel: „Die<br />

vielfältige und weitgehende Fürsorge des<br />

Dritten Reiches für alle Volksgenossen, die<br />

in irgendeiner Form der Hilfe bedürfen, ist<br />

an eine unabdingbare Voraussetzung<br />

gebunden, dass nämlich die Volksgenossen<br />

dieser Fürsorge würdig sein müssen.<br />

Dieser Grundsatz bedarf keines Kommentars.<br />

Staatsmittel, wie alle von der Gemeinschaft<br />

des Volkes aufgebrachte Mittel, dürfen<br />

nicht für Unterstützung minderwertiger<br />

Elemente verschwendet werden.“<br />

Damaliger Theorie folgend, kommt es<br />

neben Verwarnung und vorbeugender<br />

Überwachung nicht ohne „Verwahrung<br />

des Asozialen in geschlossener Anstaltsfürsorge“<br />

aus. Das wird weiter konkretisiert:<br />

So war es bereits 1934 zur Gründung des<br />

Arbeitszwangslagers Teufelsmoor gekommen.<br />

Die Rechtsgrundlage der Einweisung<br />

wird erläutert, wie auch die Arbeitsverordnungen,<br />

Kosten der Unterbringung, die<br />

baulichen Einrichtungen, einschließlich<br />

Erweiterungen. Die Lagerordnung beinhaltet<br />

„Durchführung straffer militärischer<br />

Disziplin“. Die Arbeitszeit im Sommer ist<br />

von 6 bis 17 Uhr, im Winter von 8 bis 16.30<br />

Uhr. An Sonntagen jeweils eine Stunde<br />

weniger. Seiner „besonderen Vorzüge<br />

wegen“ wurde das Lager auch „von anderen<br />

Städten beschickt“. Im Wohlfahrtsblatt<br />

1938 wird erwähnt, dass bisher 280<br />

„Fälle“ zwischen 6 und 11 Monate erfolgreich<br />

„durchgeführt“ wurden. „Ausnahme<br />

bildeten aber die Trinker“, weil bei denen<br />

„eine anhaltende Besserung schwierig“<br />

sei. Im Bericht wird erwähnt, dass durch<br />

den erfolgten Ausbau zukünftig die Belegung<br />

von 50 auf 100 „Insassen“ erhöht<br />

werden kann.<br />

Auf dieses Amtsblatt stieß ich während<br />

meines Weiterbildungsstudiums an der<br />

Bremer Universität im Frühjahr 1988. Für<br />

mich war es schon ein Schock, hatte ich<br />

doch meine Kindheit und die Ferien in<br />

meiner Schulzeit vielfach bei meinen<br />

Großeltern im Teufelsmoor verbracht.<br />

Nichts hatte ich davon mitbekommen,<br />

auch auf den Fahrten mit der Lore-Bahn zu<br />

den Verwandten „Up de Tangen“. Selbst in<br />

den Jahren danach wurde darüber nicht<br />

gesprochen. Aber es war bekannt, wie<br />

meine anschließenden Recherchen in<br />

Familie, Verwandtschaft, wie auch im<br />

Bekanntenkreis, ergaben.<br />

Im Kreisarchiv des Landkreises fand ich<br />

wiederum eine „Nebenakte Landratsamt<br />

Osterholz Arbeitszwangslager Teufelsmoor“.<br />

Diese umfasst den Zeitraum<br />

27.08.1934 bis 28.02.1941. Sie beginnt<br />

mit dem Protestbrief des Landrats Dr.<br />

Lampe der Kreisverwaltung an den Regierungspräsidenten<br />

in Stade. Darin<br />

beschwert er sich über die „Errichtung<br />

eines Lagers in Teufelsmoor auf dem<br />

Gelände der „Gesimo“. Es geht vornehmlich<br />

um Zuständigkeitsfragen. Am<br />

22.11.1934 kommt es zur Einigung. Es<br />

werden 30 - 35 Torfarbeiter aus dem Kreis<br />

Osterholz auf dem Torfwerk zusätzlich eingestellt<br />

und die Lagergröße für „Insassen“<br />

auf 50 begrenzt. Zwischenzeitlich hatte<br />

der Gendarmerie-Posten Pennigbüttel am<br />

30.10.1934 eine Besichtigung des Lagers<br />

durchzuführen. Die Sicherheit war zu<br />

überprüfen, da: „In letzter Zeit sind mehr<br />

Lagerinsassen ausgebrochen und haben<br />

die Umgebung unsicher gemacht.“ So<br />

werden der Stacheldrahtzaun und die<br />

Baracke mit den 2 Schlafräumen überprüft.<br />

Der Präsident der Bremer Wohlfahrts-<br />

Baracke hinter Stacheldraht im Zwangslager Teufelsmoor Werkstatt 1988<br />

12 RUNDBLICK <strong>Herbst</strong> <strong>2017</strong>


ehörde teilt am 16.11.1934 dem Landrat<br />

Dr. Lampe mit, dass es zwischenzeitlich zur<br />

Einigung aller beteiligten Behörden<br />

gekommen sei. Darin heißt es weiter: „das<br />

Torfwerk der „Gesimo“ wieder auf eine<br />

finanziell gesunde Basis zu stellen“, und,<br />

wie bereits erwähnt, „dass im Laufe von 14<br />

Tagen eine Anzahl von ca. 30 -35 Torf-<br />

Facharbeitern aus der dortigen Umgebung<br />

eingestellt werden, wodurch die von Ihnen<br />

geschilderte Arbeitslosigkeit Ihres Kreises<br />

eine gewisse Entlastung erfährt“. Weiter zu<br />

den „Fürsorgezwangsarbeitern ... die Versicherung,<br />

dass keineswegs mehr als 50<br />

Personen in Frage kommen“.<br />

Zu der Nebenakte gehören auch 6<br />

Listen über die „Lagerinsassen“. Die erste<br />

vom 4.12.1934 weist 30 Personen aus, die<br />

letzte vom 28.2.1941 insgesamt 74 Personen.<br />

Die Liste vom 29.2.1940 dokumentiert<br />

allerdings im Gegensatz zu den<br />

gemachten Zusagen mit 121 Personen<br />

den höchsten Stand.<br />

Antrag auf Auflösung<br />

des Arbeitszwangslagers<br />

Den Unterlagen des Bremer Staatsarchivs<br />

ist zu entnehmen, dass das Wohlfahrsamt<br />

Bremen Ende 1941 den Antrag<br />

auf Auflösung des Arbeitszwangslagers<br />

gestellt hatte, dass von den noch 34<br />

„Insassen“ nur noch 4 aus Bremen kamen.<br />

Von den Aufsehern waren mehrere zum<br />

Militärdienst eingezogen, und die verbliebenen<br />

waren nicht fähig, das Lager zu<br />

führen. So kam es zum Einverständnis mit<br />

der bremischen Firma „Turba“, die die<br />

Zusage erhielt, eine große Zahl von Kriegsgefangenen<br />

einzusetzen. Welchen Status<br />

das Lager dann hatte, war für mich nicht<br />

zu ermitteln.<br />

Der Ort Teufelsmoor gehörte zu diesem<br />

Zeitpunkt zur Kirchengemeinde St. Willehadi<br />

in Osterholz-Scharmbeck. Das Friedhofsverzeichnis<br />

für den Friedhof Langestraße<br />

weist für den Zeitraum der Existenz<br />

des Lagers 3 Todesfälle aus. Ein 34-jähriger<br />

polnischer Zwangsarbeiter hatte sich<br />

erhängt (beerdigt am 29.07.1942), ein 41-<br />

jähriger russischer Zivilarbeiter starb am<br />

Herzschlag (03.08.1942). Bei einem weiteren<br />

34-jährigen russischen Zivilarbeiter<br />

ist die Todesursache nicht erwähnt<br />

(21.01.1943). Zu diesem Zeitpunkt war<br />

das Lager nicht mehr von der Bremer<br />

Wohlfahrtsbehörde getragen. Alle drei<br />

sind in den vorliegenden 6 Listen nicht aufgeführt.<br />

Aus dem von dem Pahl-Rugenstein-Verlag<br />

herausgegebenen heimatgeschichtlichen<br />

Wegweiser zu Stätten des<br />

Widerstandes und der Verfolgung wäre folgendes<br />

zu zitieren: „Auf den Friedhöfen im<br />

Bereich der Gemeinde Osterholz-Scharmbeck<br />

liegen Gräber ausländischer Menschen<br />

u.a. von 12 Sowjetbürgern.“<br />

Die Nebenakte im Kreisarchiv endet, wie<br />

erwähnt, mit dem 28.02.1941. Das Lager<br />

bestand aber nach vielen Aussagen mir<br />

bekannter Menschen bis zum Kriegsende.<br />

Zu Beginn des Jahres 1942 wurden dort<br />

Kriegsgefangene eingesetzt. Eine Episode<br />

besagt, dass der letzte Lagerbetriebsleiter<br />

sich nach Ende des Krieges gerade vor polnischen<br />

„Inhaftierten“ verstecken musste.<br />

Es lag die Vermutung nahe, dass mit<br />

dem Überfall Deutschlands am 22. Juni<br />

1941 auf die Völker der ehemaligen<br />

Sowjetunion das Lager der Militärverwaltung<br />

unterstellt wurde. Somit könnten sich<br />

die weiteren Aktenteile im Militärarchiv in<br />

Freiburg befinden. Diese Annahme<br />

bestätigte sich nicht. Das entsprechende<br />

Bundesarchiv in Freiburg teilt mir am<br />

21.12.2000 mit, dass dort kein Nachweis<br />

über ein dort gelegenes Lager ermittelt<br />

werden konnte. Und „ein vollständiger<br />

Nachweis über die Außenstellen und<br />

Arbeitslager einzelner Kriegsgefangeneneinrichtungen<br />

ist heute auf Grund der<br />

Überlieferungslücken kaum noch möglich“.<br />

Diese Recherchen hatte ich 1989 für das<br />

Projekt „50 Jahre Reichspogromnacht“ in<br />

Osterholz-Scharmbeck erstellt. Damit verbunden<br />

war auch eine Besichtigungsfahrt<br />

nach Teufelsmoor. Mit der Antwort im<br />

Jahre 2000 vom Bundesarchiv Freiburg<br />

schloss ich meine Recherchen ab.<br />

In der unmittelbaren Nachkriegszeit<br />

diente das ehemalige Lager als Unterkunft<br />

für Flüchtlinge; und danach befand sich<br />

auf dem Gelände eine Gärtnerei mit Baumschule.<br />

Herbert Rüßmeyer<br />

Quellen:<br />

Universität Bremen<br />

Bremer Staatsarchiv<br />

Kreisarchiv Osterholz<br />

Friedhofsbuch der Kirchengemeinde St. Willehadi<br />

Dagobert Biermann – vom Gefängnis Bremen-Oslebshausen ins Teufelsmoor zur Zwangsarbeit<br />

Eindrucksvoll erzählt der bekannte Liedersänger<br />

Wolf Biermann in seiner 2016<br />

erschienenen Autobiografie von seinem<br />

Vater Dagobert, der als Kommunist<br />

wegen Hochverrat und Landesverrat zu<br />

sechs Jahren Zuchthaus vom Volksgerichtshof<br />

verurteilt wurde und ins Gefängnis<br />

nach Bremen-Oslebshausen kam. (Die<br />

Eltern gehörten einer Widerstandsgruppe<br />

an.) „Mein Vater hatte nach drei Jahren<br />

Einzelhaft einen Antrag auf Gemeinschaftshaft<br />

gestellt. Der Antrag wurde<br />

abgelehnt. Stattdessen kam Dagobert<br />

jetzt öfter zu Arbeitseinsätzen in das<br />

Arbeitslager Teufelsmoor, wo politische<br />

und kriminelle Häftlinge zusammengelegt<br />

waren“, schreibt er in seiner Biografie.<br />

Dreimal im Jahr gab es einen Besuchstermin<br />

für jeweils eine halbe Stunde,<br />

jedoch nicht für Kinder. „Doch meine<br />

Mutter nahm mich ein einziges Mal einfach<br />

mit“, erinnert sich Wolf Biermann.<br />

Weiter berichtet er sehr authentisch und<br />

berührend: „Aufregend die Eisenbahnfahrt<br />

von Hamburg nach Bremen. Es war<br />

ein kalter Wintertag. Mein Vater war beim<br />

Arbeitseinsatz im Moor. Kilometerweit tippelte<br />

ich an der Hand meiner Mutter im<br />

Schnee durch märchenhafte Moorlandschaft.<br />

Vorbei an überzuckerten Birken, an<br />

Pyramiden aus Torfstücken, die zum Trocknen<br />

aufgestapelt waren. Endlich standen<br />

wir vor dem Tor. Stacheldraht, Wachturm,<br />

Baracken, Appellplatz. Die Posten wollten<br />

mich nicht reinlassen. Kinder ins Lager mitzubringen<br />

war verboten. Ich weiß nicht,<br />

wie meine Mutter es schaffte, den Posten<br />

zu bezirzen, zu rühren, zu besabbeln, zu<br />

bestechen. Ich kann nicht wissen, ob er bei<br />

seinen Vorgesetzten um eine Sondergenehmigung<br />

nachfragte. Schließlich aber<br />

durfte ich doch mit rein. So lief ich mit meiner<br />

Mutter in das Lager. Wir kamen zu<br />

einer Baracke. Rechts von der Tür sah ich<br />

ein sonderbares Fenster. Es war von innen<br />

mit ausgemergelten Männergesichtern<br />

ausgefüllt. Die Häftlinge drängelten, jeder<br />

wollte ein echtes Kind und eine echte Frau<br />

sehen. Mitten im Lager eine Frau mit Kind!<br />

Wir kamen in den Aufenthaltsraum des<br />

Wachpersonals. Fußlappenschweiß. Kalter<br />

Zigarettenrauch. Zwei Stühle,<br />

getrennt durch einen langen Tisch. Ein<br />

Uniformierter links am Schreibtisch. Ich<br />

saß auf dem sicheren Schoß meiner Mutter.<br />

Mein Vater wurde hereingeführt. Ich<br />

kannte ihn nicht. Ich fremdelte nicht,<br />

denn er war mir so nah wie die Mama. Sie<br />

hatte mir jeden Abend von ihm eine Gutenachtgeschichte<br />

erzählt und jeden Morgen<br />

eine Gutenmorgengeschichte, bevor<br />

sie zur Arbeit ging (…).“ Ergreifend<br />

erzählt Wolf Biermann über seinen geliebten<br />

Vater, den er hier ein letztes Mal im<br />

Straflager sah und diese Augenblicke für<br />

ein Leben lang in sich bewahrte. Am 22.<br />

Februar 1943 wurde Vater Dagobert in<br />

Auschwitz ermordet, nur weil er Jude<br />

war…!<br />

Harald Kühn<br />

Quelle:<br />

Autobiografie Wolf Biermann „Warte nicht<br />

auf bessre Zeiten!“<br />

Erschienen im Propyläen-Verlag<br />

RUNDBLICK <strong>Herbst</strong> <strong>2017</strong><br />

13


Die Bremer Stadtmusikanten in Riga<br />

Ein Dokument der Städtepartnerschaft<br />

Bevor ich auf den Kern des Themas<br />

komme, erlauben Sie mir bitte, dass ich den<br />

Umweg über unsere „Gräfin Emma von<br />

Lesum“ wähle.<br />

Bekanntlich haben die nordbremischen<br />

Tages- und Wochenzeitungen, wie auch der<br />

„Lesumer Bote“, mehrmals und ausführlich<br />

über unsere Gräfin Emma berichtet. Dabei<br />

wurde auch erwähnt, dass die von Vegesack<br />

nach Oldenburg umgesiedelte Künstlerin<br />

Christa Baumgärtel das am 06. Juni 2009<br />

eingeweihte Emma-Denkmal im Auftrag des<br />

Lesumer <strong>Heimat</strong>- und Verschönerungsverein<br />

entworfen hat. Während der Einweihung<br />

der 180 cm großen Bronzeskulptur waren<br />

zahlreiche Zuschauer anwesend, darunter<br />

auch Christa Baumgärtel, der Bronzegießer<br />

Lothar Rieke und ein älterer Herr aus<br />

Schwachhausen, der sich ebenfalls für die<br />

Biografie der Gräfin Emma interessierte.<br />

Auch in Riga gibt es die<br />

Bremer Stadtmusikanten …<br />

Von dem erfuhr ich, dass sich in Riga eine<br />

Tierplastik der Bremer Stadtmusikanten<br />

befindet, die ebenfalls auf einen Entwurf der<br />

Künstlerin Christa Baumgärtel zurückgeht.<br />

Mein Informant war von dieser Tiergruppe<br />

sehr angetan.<br />

In einem Gespräch mit Christa Baumgärtel<br />

erinnerten wir uns daran, dass Bremen zu<br />

Riga eine städtepartnerschaftliche Verbindung<br />

pflegt. Als in der lettischen Hauptstadt<br />

Riga der Plan entwickelt wurde, dort einen<br />

Freundschaftspark zu schaffen, wollte sich<br />

Bremen mit einer passenden Skulpturengruppe<br />

beteiligen. Nichts ist in der weiten<br />

Welt über Bremen so bekannt, wie die Bremer<br />

Stadtmusikanten und so wurde Christa<br />

Baumgärtel beauftragt, ein als Geschenk<br />

vorgesehenes Kunstwerk zu schaffen.<br />

Christa Baumgärtel<br />

Foto: Albrecht-Joachim Bahr<br />

Die Stadtmusikanten-Skulptur in Riga<br />

… neben der<br />

St. Petri-Kirche im Zentrum<br />

Der Freundschaftspark wartet wohl heute<br />

noch auf seine Vollendung, doch die Bremer<br />

Stadtmusikanten haben ihren Platz neben<br />

der St. Petri-Kirche im Stadtzentrum gefunden.<br />

Die St. Petri-Kirche wurde in der Zeit<br />

von 1408 bis 1491 erbaut und sie wurde im<br />

Jahre 1690 mit einem 140 m hohen<br />

Glockenturm versehen.<br />

Das von den Brüdern Grimm überlieferte<br />

Märchen von den Bremer Stadtmusikanten<br />

soll bereits im 12. Jhdt. bekannt gewesen<br />

sein. Dabei handelt es sich um vier verstoßene<br />

Tiere, die sich auf Wanderschaft<br />

befanden und nach Bremen wollten, um<br />

hier Stadtmusikanten zu werden. In einem<br />

Räuberhaus im Wald erschreckten und vertrieben<br />

sie mit ihrem Gebrüll und Geschrei<br />

die Räuber und fanden dadurch eine passende<br />

Bleibe, ohne jemals Bremen erreicht<br />

zu haben.<br />

Haben Sie gewusst, dass die Tiere auch<br />

einen Namen haben? Der Esel heißt Grauschimmel,<br />

der Hund heißt Packan, die Katze<br />

heißt Bartputzer und der Hahn heißt Rotkopf.<br />

Und was sagt der Grauschimmel zu<br />

dem Hahn, als der ihm sein Leid klagte? - Ei<br />

was, zieh lieber mit uns fort, wir gehen nach<br />

Bremen und werden Stadtmusikanten.<br />

Etwas Besseres als den Tod findest du allemal.<br />

Du hast eine gute Stimme und wenn<br />

wir zusammen musizieren, so muss es fein<br />

klingen.<br />

Füße sind schon<br />

blank geworden<br />

Foto: Wikipedia<br />

In Bremen gibt es mehrere kleine Plastiken<br />

und ein in Lebensgröße geschaffenes Denk-<br />

14 RUNDBLICK <strong>Herbst</strong> <strong>2017</strong>


mal, bei dem Esel, Hund, Katze und Hahn<br />

traditionell übereinanderstehen. Das Bremer<br />

Kunstwerk wurde von Professor Gerhard<br />

Marcks geschaffen und es steht seit 1953 an<br />

der Westseite des Bremer Rathauses. Den<br />

Touristen wird von den Gästeführerinnen<br />

empfohlen, die beiden Vorderfüße des Esels<br />

anzufassen und was man sich dann wünscht,<br />

das geht in Erfüllung. Würde man den Esel<br />

nur mit einer Hand einen Fuß anfassen, so<br />

heißt es, dann gibt ein Esel dem anderen Esel<br />

die Hand. Und nun achten Sie einmal darauf,<br />

wie blank die Füße des Esels schon geworden<br />

sind.<br />

Somit haben wir eine schöne Geschichte<br />

mit Anknüpfung von Lesum zu Christa<br />

Baumgärtel mit Bremens Stadtgeschichte<br />

zur Partnerstadt Riga. Man könnte daraus<br />

eine nicht ganz ernst gemeinte Städte-achse<br />

mit der Gräfin Emma von Lesum, über die<br />

Bremer Stadtmusikanten nach Riga in Lettland<br />

konstruieren.<br />

Über Riga ist noch zu berichten, dass diese<br />

lettische Stadt i.J. 1201 von Bischof Albert<br />

von Buxhövden, der aus einem bremischen<br />

Geschlecht stammte, gegründet wurde. Er<br />

starb am 17.01.<strong>122</strong>9 in Riga. Ab 1255 zum<br />

Erzbischofssitz erhoben und seit 1282 Mitglied<br />

im Hansebund, wurde Riga 1621 vom<br />

„Gräfin Emma von Lesum“, Skulptur von Christa<br />

Baumgärtel<br />

Foto: Rudolf Matzner<br />

Arno Schmidt und Lilienthal<br />

Lesung aus seinen Werken<br />

Schwedenkönig Gustav Adolf übernommen.<br />

Ebenso wie in Estland folgte 1710 die russische<br />

Herrschaft über dieses Land. Erst 1889<br />

wurde die ehemals gültige deutsche Verfassung<br />

aufgehoben. Auch in Riga hatte die<br />

Bruderschaft der Schwarzhäupter eine einflussreiche<br />

Stellung. Dass im 14. Jhdt.<br />

erbaute Schwarzhäupterhaus in Riga wurde<br />

im 17. und 19. Jhdt. verändert und es zählt<br />

in seiner Pracht zu einem der repräsentativsten<br />

Häuser der Stadt. Verbindungen zu<br />

Bremen werden von der Bruderschaft der<br />

Schwarzhäupter noch gepflegt.<br />

Wie auch in den beiden anderen baltischen<br />

Ländern Estland und Litauen erlangte<br />

auch Lettland durch die politische Wende<br />

der Neuzeit seine Selbstständigkeit zurück.<br />

Abschließend noch die Anmerkung, dass<br />

das Internationale Kulturforum (IKTB) in drei<br />

Kategorien erstmals 2009 den Bremer Stadtmusikantenpreis<br />

ausgeschrieben hatte.<br />

Neben dem Schauspieler Müller-Stahl wurden<br />

auch Vicco von Bülow, Henning Scherf<br />

und Brigitte Boehme mit dieser Ehrung ausgezeichnet.<br />

Im Jahre 2010 wurden Katja Riemann,<br />

Sabine Postels und 2011 Hape Kerkeling<br />

mit diesem besonderen Preis bedacht.<br />

Rudolf Matzner<br />

RUNDBLICK <strong>Herbst</strong> <strong>2017</strong><br />

Der Lilienthaler Bürgermeister Kristian<br />

Willem Tangermann eröffnete mit einleitenden<br />

Worten und einer Schilderung der geografischen<br />

Lage des Borgfelder Landhauses<br />

eine Leserunde, die den Zuhörern noch<br />

lange in Erinnerung bleiben wird. Sowohl<br />

vorn als auch hinten mussten weitere Stuhlreihen<br />

aufgestellt werden. Gebannt lauschten<br />

dann, in der Bedeutung des Wortes, die<br />

Anwesenden angespannt und stumm den<br />

drei Vortragenden: Jan Philipp Reemtsma,<br />

Bernd Rauschenbach und Joachim Kersten,<br />

die bei der abwechselnd vorgetragenen<br />

Lesung selbst Regie führten. Bis zum letzten<br />

Augenblick gewährten die drei nebenbei<br />

einen tiefen Einblick in das Leben des<br />

„Hauptdarstellers“: Arno Schmidt. Als der<br />

das gedankliche Fundament für den Roman<br />

„Lilienthal 1801 oder die Astronomen“ vollendet<br />

hatte, begann er, in Zettelkästen weitere<br />

Bausteine abzulegen. Seine zahlreichen<br />

Versuche, das Werk denn doch zu vollenden<br />

... oder zu beginnen … Es bleibt bei<br />

Ansätzen. Von Darmstadt aus reiste er mit<br />

dem Zug nach Bremen, weiter mit der Linie<br />

4 und dem Bus an den Ort, in dem sein<br />

Roman spielen sollte. Um weitere Gedanken<br />

zu fassen, doch es wollte nicht gelingen.<br />

Es blieb bei gut gefüllten Zettelkästen<br />

mit Notizen. - Im mehr als ausverkauften<br />

Saal vergeht ein Augenblick, bevor das<br />

Publikum das Ende der Lesung erfasst.<br />

Doch mit nicht endenwollendem Beifall zeigen<br />

die Zuhörer ihre Begeisterung und<br />

Anerkennung. Erheben sich von ihren<br />

Stühlen, um auch damit noch mehr Beifallsbekundung<br />

zu zeigen. - Arno Schmidt<br />

wurde am 18. Januar 1914 in Hamburg-<br />

Hamm geboren, gestorben ist er am 3. Juni<br />

1979 in Celle. In seinem Haus in Bargfeld<br />

bei Celle wird der persönliche und der<br />

literarische Nachlass bis auf wenige Ausnahmen<br />

erhalten; Haus und Grundstück<br />

Von links: Jan Philipp Reemtsma, Joachim Kersten, Bernd Rauschenbach<br />

werden von der Arno-Schmidt-Stiftung<br />

betreut. In der angrenzenden (umgebauten)<br />

„Alten Schmiede“ befinden sich ein<br />

Arno-Schmidt-Museum und eine Forschungsstätte.<br />

Vorarbeiten zur Fouqué-Biographie<br />

werden im Deutschen Literaturarchiv<br />

Marbach aufbewahrt. (Wikipedia)<br />

Text: Harald Steinmann<br />

Foto: Dr. Helmut Stelljes, Worpswede<br />

15


Vor 100<br />

Jahren ...<br />

<strong>Heimat</strong>-Rückblick:<br />

Wie sich der Erste Weltkrieg<br />

in der hiesigen Presse<br />

widerspiegelt<br />

Mit der Ausgabe <strong>Nr</strong>. 114 beendeten wir<br />

vorübergehend den Blick in die Presseberichte<br />

von 1915, durch die wir an das<br />

Geschehen in unserer <strong>Heimat</strong> vor 100 Jahren<br />

erinnern wollten. Nun setzen wir in unregelmäßigen<br />

Abständen die Serie fort, um wieder<br />

das gegenwärtig werden zu lassen, was<br />

unsere Vorfahren in der für sie damals<br />

äußerst schwierigen Zeit erleben und ertragen<br />

mussten.<br />

Die Not der Bevölkerung<br />

Der Krieg währt nun schon drei Jahre.<br />

Obwohl im Osten mit der russischen Revolution<br />

und dem damit verbundenen Frieden<br />

von Brest-Litowsk hier die Kriegshandlungen<br />

beendet wurden, nimmt die Herausforderung<br />

im Westen zu. Hier sind die USA im<br />

April 1917 in den Krieg eingetreten, weil die<br />

Angriffe der deutschen U-Boote auf die amerikanischen<br />

Handelsschiffe große Verluste<br />

gefordert hatten. Die Kämpfe toben also mit<br />

unverminderter Härte weiter.<br />

Von Jahr zu Jahr verschlimmern sich die<br />

Probleme der Menschen. Die Lebensmittelproduktion<br />

ist gesunken. Es fehlt an Arbeitskräften,<br />

Dünger, Saatgut und Zugpferden.<br />

Der Staat beschlagnahmt Vorräte an Mehl,<br />

Brot, Kartoffeln und Obst. Die Bevölkerung<br />

darf nur mit Lebensmittelmarken die ihnen<br />

zugeteilte Nahrungsmenge erstehen. Weitgehende<br />

Unterernährung ist die Folge. Weil<br />

1916 die Kartoffelernte katastrophal ausgefallen<br />

war, mussten sich die Menschen im<br />

„Kohlrübenwinter“ 1916/17 von Steckrüben<br />

ernähren, die eigentlich an das Vieh verfüttert<br />

werden sollten. Eine Vielzahl von<br />

Ersatzlebensmitteln soll den Mangel ausgleichen.<br />

So gibt es als Ersatz für Eier gefärbtes<br />

Kartoffel- oder Maismehl. Puddingersatz<br />

besteht aus Leim, an Stelle von Pfeffer verwendet<br />

die geplagte Hausfrau ein Mittel, das<br />

zum größten Teil aus Asche besteht. Es<br />

blühen Wucher und Schwarzhandel.<br />

Hülsenfrüchte beschlagnahmt<br />

– Erbsenstroh<br />

statt Tabak<br />

Auch bei Hülsenfrüchten wird peinlichst<br />

genau die Verteilung der geernteten Menge<br />

vorgeschrieben: „Bei dem Kriegsernährungsamt,<br />

der Reichshülsenfruchtstelle und<br />

der Reichsgetreidestelle, der im neuen Wirtschaftsjahr<br />

die Bewirtschaftung der Hülsenfrüchte<br />

obliegt, gehen neuerdings zahlreiche<br />

Anträge von Händlern und industriellen<br />

Werken auf Sonderzuweisungen ein. Alle<br />

derartigen Gesuche sind zwecklos und müssen<br />

ausnahmslos abgelehnt werden. Sämtliche<br />

Hülsenfrüchte sind durch die Reichsgetreideordnung<br />

vom 21. Juli 1917 beschlagnahmt.<br />

Alle Landwirte haben hiernach ihre<br />

Hülsenfrüchte, mit Ausnahme der ihnen ausdrücklich<br />

zur eigenen Ernährung und als<br />

Saatgut belassenen Mengen, restlos an die<br />

Kommissionäre ihrer Kommunalverbände<br />

oder an die Reichsgetreidestelle abzuliefern.<br />

Die abgelieferten Mengen gelangen, soweit<br />

sie nicht für Heer und Marine bestimmt sind,<br />

nach einem einheitlich aufgestellten Plan<br />

ausschließlich durch die zuständigen Behörden,<br />

Kommunalverband, Magistrat, Bezirkszentralen<br />

usw. zur Verteilung.“ Dass auch die<br />

Raucher am Mangel leiden, davon erfährt<br />

der Leser in folgendem Bericht:<br />

„Unangenehme Aussichten für die Raucher<br />

eröffnet eine Anzeige in einem Dresdener<br />

Blatt, in der zur Gründung einer Tabak-<br />

Ersatz-Fabrik eine kapitalkräftige Persönlichkeit<br />

gesucht wird. Die Erfindung soll vollständig<br />

ausprobiert, bereits zum Patent<br />

angemeldet sein und einen tatsächlichen<br />

Tabakersatz darstellen. Rohstoffe seien<br />

genügend vorhanden und das Absatzgebiet<br />

des jetzigen Tabakmangels groß. - Von<br />

einem Leser wird mitgeteilt, daß er versucht<br />

hat, getrocknete Erbsen zu brennen und als<br />

Kaffee zu verwenden. Dieser Versuch hat zu<br />

einem glänzenden Erfolg geführt, indem die<br />

gebrannten Erbsen im Geschmack dem Kaffee<br />

ziemlich gleichkommen. Ebenso ist der<br />

Gewährsmann des Lobes voll über getrocknetes<br />

Erbsenstroh, das er als Rauchtabakzusatz<br />

verwendet hat. Auch getrocknete<br />

Kamille soll gut zu rauchen sein. - Wer't mag,<br />

de mag't woll mögen...“<br />

Papiermangel –<br />

Zwetschensteine als<br />

Ölquelle<br />

„Der Papiermangel hat sich derart verschärft,<br />

daß Geschäftsdrucksachen in nächster<br />

Zeit wohl nicht mehr hergestellt werden<br />

können. Die Papierlieferanten nehmen Aufträge<br />

für bestimmte Papiersorten überhaupt<br />

nicht mehr an und liefern nur noch für<br />

behördliche Aufträge, die bescheinigt werden<br />

müssen. Die Preise sind so hoch gestiegen,<br />

daß man im Vergleich zu den Friedens-<br />

16 RUNDBLICK <strong>Herbst</strong> <strong>2017</strong>


Auch die Kartoffelernte unterliegt nun der<br />

Kontrolle durch staatliche Stellen, um in diesen<br />

Zeiten der Not regulierend in die Versorgung<br />

eingreifen zu können. „Du glööfst jo<br />

gornich, watt wie allens mitmokt hebbt<br />

tomols! Eens Doogs keem de Schandarm bi<br />

us an de Döör un wull dat Loger vun de Tuffeln<br />

kontrolleern. He meen, us Vadder harr<br />

datt nich recht mookt mit dat Opschrieven.<br />

Bi de Grötte vun usen Hoff harrn datt doch<br />

veel mehr Tuffeln wesen musst! Na un denn<br />

gung he in usen Stall un bekeek sick den groten<br />

Hopen. Man he weer denn doch tofreden<br />

un suus woller af.“ So berichtete vor Jahren<br />

einmal Oma Cordes aus ihrer Kinderzeit.<br />

Und tatsächlich ist in der damaligen Presse<br />

im Monat Oktober ein Erlass des Landkreises<br />

zu finden mit dem Titel „Betrifft Feststellung<br />

der Ernteerträge der Kartoffelerzeuger“. Da<br />

heißt es unter anderem: „Jeder Kartoffelerzeuger<br />

hat schon während der Ernte das<br />

Gewicht der geernteten Mengen fortlaufend<br />

täglich festzustellen und in eine Kartoffelliste<br />

einzutragen, die der Nachprüfung durch die<br />

Ortsbehörde unterliegt. (…) Die Kartoffellisten<br />

sind nach Beendigung der Ernte, spätestens<br />

am 6. Oktober aufzurechnen und der<br />

Gemeindebehörde einzusenden. Diese hat<br />

nun zu prüfen, ob alle Erzeuger Listen eingereicht<br />

haben und Säumige zur Einlieferung<br />

anzuhalten.“ Im lokalen Teil erfährt der<br />

Leser, warum damals diese Anordnung und<br />

deren Kontrolle notwendig gewesen ist.<br />

„Wie wir erfahren, wird die Reichskartoffelstelle<br />

den Kommunalverbänden ab dem 1.<br />

November außer den für die Winterversorgung<br />

der Bevölkerung vorgesehenen acht<br />

Pfund pro Kopf und Woche weitere 8oo<br />

Gramm Kartoffeln überweisen, die diese<br />

nach eigenem Ermessen - als Frischkartoffeln<br />

oder als Kartoffelmehlzusatz - an die Verbraucher<br />

abgeben können. Bäckerkreise<br />

haben jedoch schon ernste Bedenken gegen<br />

eine Streckung des Mehls durch Kartoffelmehlzusatz,<br />

da sie befürchten, daß ein daraus<br />

hergestelltes Brot bei der starken Auspreisen<br />

schon von Phantasiepreisen sprechen<br />

kann.“<br />

„Sammelt die Zwetschensteine!“ Schon in<br />

der auffordernden Überschrift derselben<br />

Ausgabe wird eine ungewöhnliche Rohstoff-<br />

Quelle hingewiesen. Dazu heißt es: „Bei<br />

dem großen Mangel an Fetten zur Herstellung<br />

von Margarine und für maschinelle<br />

Zwecke ist es notwendig, alles zu tun, um<br />

durch Sammlungen von ölhaltigen Kernen<br />

dem Ausfall an tierischen Fetten abzuhelfen.<br />

Darum wird gebeten, die Zwetschensteine,<br />

gekocht oder ungekocht, zu sammeln, vom<br />

Fleisch zu reinigen und getrocknet an die<br />

Sammelstellen abzuliefern. Das Kilo gut<br />

getrockneter Zwetschensteine wird mit 10<br />

Pfennig vergütet.“<br />

Über einem weiteren Artikel steht: „Sammelt<br />

Kürbiskerne!“ Im Text dazu wird der<br />

Grund erklärt:<br />

„Angesichts der überaus reichen Kürbisernte<br />

in diesem Jahr wird erneut auf den<br />

hohen Wert der Kürbiskerne hingewiesen.<br />

Kein Haushalt, kein Wirtschaftsbetrieb spare<br />

die Mühe! Die reiche Ausbeute aus den Kürbiskernen<br />

an Oel und Futtermitteln hilft als<br />

Beitrag zum Durchhalten. Die Obstkernsammelstellen<br />

sind verpflichtet, den Sammlern<br />

15 Pfennige für das Kilogramm getrockneter<br />

Kürbiskerne zu vergüten.“<br />

Briketts aus Zeitungspapier<br />

Die bevorstehende Jahreszeit lässt für die<br />

Menschen die Sorgen wachsen, ob nach den<br />

Erfahrungen des vergangenen strengen<br />

Winters ausreichend Heizmaterial zur Verfügung<br />

steht. Die Kreisverwaltung erlässt eine<br />

Verordnung, nach der die Moorgemeinden<br />

die Hälfte des abgebauten Torfes dem Kreis<br />

zum Ankauf anbieten müssen. Der dadurch<br />

entstandene Vorrat soll den bedürftigen<br />

Haushalten zugeteilt werden.<br />

Der Einfallsreichtum erfinderischer Bürger<br />

dazu wird an einer besonders ungewöhnlichen<br />

Herstellung von Heizmaterial deutlich:<br />

RUNDBLICK <strong>Herbst</strong> <strong>2017</strong><br />

„Aus Zeitungspapier lassen sich Briketts<br />

herstellen, die einen ziemlichen Heizwert<br />

haben, obwohl die Arbeit nicht besonders<br />

sauber ist. Man legt 100 bis 200 Bogen Zeitungspapier<br />

übereinander und besprengt sie<br />

mit Wasser, so daß sie gleichmäßig feucht<br />

sind, etwa wie halbtrockene Wäsche. Auf 2<br />

bis 3 Bogen, die man abnimmt, streut man<br />

nun möglichst feine Koks- oder Kohlenasche<br />

und rollt sie zu wurstartigen Gebilden<br />

zusammen. Diese werden mehrere Tage im<br />

Freien an einem luftigen Ort getrocknet. Sie<br />

können dann wie Holz im Ofen verbrannt<br />

werden und geben eine gute Heizwirkung<br />

ab. Eine Beimischung von Sägemehl beim<br />

Bestreuen erhöht diese sogar noch.“<br />

Kartoffelernte unter<br />

staatlicher Kontrolle<br />

mahlung des Getreides schlecht genießbar<br />

und schwer verdaulich sein werde.“<br />

Abgabe von Gold<br />

und Schmuck<br />

Zur Vervollständigung des Bildes der<br />

damaligen Lage sei noch ergänzt, dass unter<br />

dem Motto „Gold geb ich für Eisen“ die<br />

Bevölkerung aufgefordert wurde, ihren<br />

Gold- und Schmuckvorrat als Beitrag zur<br />

Finanzierung und damit zur Beendigung des<br />

Krieges abzugeben. An die Moral der Menschen<br />

gerichtet lautet ein entsprechender<br />

Text: „Müssen wir nicht erröten, wenn wir,<br />

die wir in vollster Sicherheit zu Hause sitzen,<br />

uns noch mit Gold, Steinen und Perlen<br />

behängen, anstatt sie für das Vaterland hinzugeben,<br />

während unsere tapferen, nicht<br />

genug zu bewundernden Feldgrauen<br />

draußen in Feindesland ihre Gesundheit und<br />

das Leben für uns opfern?“<br />

Die Sparkasse unterstreicht mit einer<br />

Anzeige und einem Text im Lokalteil unter<br />

den Titel „Ernste Mahnung“ die Wichtigkeit<br />

der Maßnahme: „(...) Sowohl die Schlagkraft<br />

unseres Heeres als auch die Möglichkeit<br />

inneren Durchhaltens, also die Erreichung<br />

eines ehrenvollen Friedens, hängt von der<br />

Stärke unseres Reichsgoldschatzes ab. Wer<br />

es gut meint mit unserem Vaterland, muß<br />

sich dies ernsthaft vor Augen halten. Das<br />

Festhalten an Gold und Schmuck hat keine<br />

Berechtigung und keinen Sinn mehr in einer<br />

Zeit, in der auf Tod und Leben um das deutsche<br />

Sein gerungen wird. Möge diese<br />

Erkenntnis auch die Letzten dazu bringen,<br />

mit der Abgabe allen Goldes und Juwelenschmuckes<br />

zur baldigen Herbeiführung<br />

eines gedeihlichen Friedens beizutragen.“<br />

Peter Richter<br />

Anmerkung: In den Originaltexten wurde die<br />

damals gültige Rechtschreibung beibehalten<br />

Quelle: Zeitungsarchiv des <strong>Heimat</strong>vereins Lilienthal<br />

e.V.<br />

17


Anschlag im Pressehaus der „Bremer Nachrichten<br />

Eine Briefbombe stürzte Bremen 1951 in Angst und Schrecken<br />

Dr. Adolf Wolfard, zur Tatzeit 49-jährig<br />

Noch waren die Nachwehen des Zweiten<br />

Weltkrieges in Bremen zu spüren, doch<br />

die friedliche Stimmung in Deutschland<br />

ließ eine Hoffnung auf eine gute Zukunft<br />

aufkommen. Plötzlich erschütterte am Vormittag<br />

des 29. November 1951 eine<br />

furchtbare Sprengstoffexplosion im Pressehaus<br />

der BREMER NACHRICHTEN das<br />

Gebäude. Dabei wurde der Hauptschriftleiter<br />

Dr. Adolf Wolfard getötet, als ein an<br />

ihn persönlich adressiertes Päckchen von<br />

ihm geöffnet wurde und der Inhalt explodierte.<br />

Cedrik Erich von Halcz, zur Tatzeit 22-jährig<br />

Der Feuillonredakteur Dr. Werner Wien<br />

wurde schwer verletzt und die Chefsekretärin<br />

Helge Emmimnghaus, die Dr. Wolfard<br />

im selben Zimmer gegenüber saß,<br />

kam glücklicherweise mit Splitterverletzungen<br />

davon. Es war eine furchtbare Tat,<br />

die durch nichts zu erklären war.<br />

Doch damit nicht genug. Im Schalterraum<br />

des Eystruper Postamtes wurde zur<br />

selben Zeit die achtzehnjährige Kontoristin<br />

Margarete Grüneklee durch einen explodierenden<br />

Sprengsatz auf der Stelle in den<br />

Tod gerissen. Dabei wurden zehn weitere<br />

Personen z. T. schwer verletzt.<br />

Unmittelbar nach dem Attentat auf Dr.<br />

Wolfard in Bremen wurde bekannt, dass<br />

der Fabrikant Anton Honig in Verden ebenfalls<br />

per Post eine graubraune Papprolle<br />

mit dem Aufdruck „Nur vom Empfänger<br />

persönlich zu öffnen“, erhielt. Anton<br />

Honig war der Besitzer des Kraftfutterwerkes<br />

Niedersachsen. Die todbringende Post<br />

erreichte ihn etwa eine Stunde vor Dr. Wolfards<br />

Tod. Der Adressat Honig öffnete vorsichtig<br />

den Deckel und wurde misstrauisch.<br />

Später stellte sich heraus, dass er<br />

den Zünder der Höllenmaschine um Haaresbreite<br />

nicht zur Explosion gebracht<br />

hatte. Er glaubte zunächst an einen<br />

Scherzartikel, dann entdeckte er eine Flasche,<br />

zu deren Hals eine Schnur führte. Als<br />

Vorsichtsmaßnahme wurde die 35 cm<br />

lange und 15 cm breite Papprolle in den<br />

Keller gebracht und es wurde die Polizei<br />

verständigt. Inzwischen wurden alle Mitarbeiter<br />

aus Sorge vor möglichen Explosionen<br />

vom gesamten Betriebsgelände entfernt,<br />

zumal man in der Zwischenzeit von<br />

dem Bremer Attentat erfahren hatte.<br />

Feuerwerker der Bremer Kriminalpolizei<br />

schafften den Sprengsatz in den Keller des<br />

Bremer Polizeihauses. Als der gefährliche<br />

Gegenstand entschärft war, kam der<br />

Sprengmeister nach erfolgreicher Arbeit<br />

triefendnass aus dem Keller. Mit der nun<br />

unschädlichchen Briefbombe fuhr er zum<br />

kriminaltechnischen Institut nach Hamburg.<br />

Dort stellten die Experten fest, dass<br />

es sich einwandfrei um den Sprengstoff<br />

Der von der Briefbombe verwüstete Redaktionsraum des Hauptschriftleiters<br />

Dr. Adolf Wolfard unmittelbar nach der Explosion<br />

Die Höllenmaschine des Erich von Halacz. So präzise konstruiert sah die abgefangene<br />

und nicht zur Explosion gekommene Briefbombe aus<br />

18 RUNDBLICK <strong>Herbst</strong> <strong>2017</strong>


Donarit I aus deutscher Fabrikation handelte.<br />

Der Inhalt war 700 Gramm schwer<br />

und er sollte nur beim Öffnen ohne Zeitangabe<br />

explodieren. Die Suche nach dem<br />

Täter gestaltete sich als recht schwierig,<br />

sodass in Bremen umgehend die Bevölkerung<br />

durch Handzettel um Mithilfe bei der<br />

Aufklärung aufgerufen wurde. Der in Bremen<br />

gegründeten Sonderkommission „S“<br />

schlossen sich alle europäischen Staaten<br />

der „Interpol“ an, sowie die Kripo der<br />

damaligen Ostzone. Das war die größte<br />

kriminaltechnische Aktion der Nachkriegszeit<br />

in Europa, so wurde berichtet.<br />

Anfangs kaum Hinweise<br />

Die Suche nach dem Täter ließ dem Leiter<br />

der Sonderkommission Dr. Zirpens und<br />

seinen Mitarbeitern keine Ruhe. Es war<br />

kaum ein Hinweis zu entdecken, bis man<br />

erfuhr, dass am Tage zuvor, als die Rollen<br />

bei der Post aufgegeben wurden, bei den<br />

Opfern telefonisch angefragt wurde, ob sie<br />

auch am folgenden Tag in ihrem Büro<br />

anzutreffen seien.<br />

Es dauerte 13 Tage, bis man auf einen<br />

älteren Herren in Nienburg aufmerksam<br />

gemacht wurde, der im Ersten Weltkrieg<br />

als Sprengmeister eingesetzt war. In dem<br />

Gespräch ließ er erkennen, dass er den<br />

Sprengstoff Donarit I kannte. Dabei<br />

nannte er auch den Namen seines Pflegesohnes<br />

Erich von Halacz, der in Drakenburg<br />

in einer kleinen Baracke lebte. Sein<br />

offizieller Name, Cedrik Erich von Halcz,<br />

war ein arbeitsloser technischer Zeichner.<br />

Während der ersten Durchsuchung war er<br />

in seiner Behausung nicht anzutreffen und<br />

es schien so, als würde diese Aktion ergebnislos<br />

verlaufen, bis der Blick auf eine<br />

Schreibmaschine fiel. Die darauf eingegebenen<br />

Schriftproben brachten den entscheidenden<br />

Hinweis. Dabei entdeckten<br />

die Ermittler, dass der Buchstabe „r“ genau<br />

so fehlerhaft war, wie die Adressenangabe<br />

an die Mordopfer auf den Briefbomben.<br />

Damit war die Frage nach dem Täter<br />

gelöst.<br />

Was war das Motiv?<br />

Und die Frage nach den Tatmotiven,<br />

zumal er die Getöteten nicht kannte?<br />

Nach endlosen Verhören hat Erich von<br />

Halacz gestanden, dass er den Hinterbliebenen<br />

in der bevorstehenden Weihnachtszeit<br />

drohen wollte, sie ebenfalls umzubringen,<br />

wenn nicht die Geldsumme von<br />

5000,- DM an einem bestimmten Ort hinterlegt<br />

werden würde.<br />

Der Mörder Cedrik Erich von Halacz<br />

wurde zu einer lebenslangen Zuchthausstrafe<br />

verurteilt. Wie üblich, wird das Urteil<br />

nach 12 Jahren anhand einer Wiedereingliederungsprognose<br />

von der Staatsanwaltschaft<br />

überprüft. Der Briefbombenmörder<br />

wurde schon etwas früher aus der<br />

Strafhaft entlassen. Er lebt unter einem<br />

fremden Namen in einer unbekannten<br />

Umgebung und heiratete eine vermögende<br />

Witwe.<br />

So grausam und unverständlich diese<br />

Mordtat auch war, gehört sie doch zur Bremer<br />

Stadtgeschichte. Möglicherweise können<br />

sich noch ältere Zeitzeugen an diese<br />

grauenvolle Tat erinnern, wie auch der<br />

Schreiber dieses Berichtes.<br />

Text: Rudolf Matzner<br />

Bilder: Georg Schmidt, Veröffentlichung<br />

mit frdl. Genehmigung des WESER-KURIER<br />

Quellenangabe:<br />

Georg Schmidt. Bremer Tage, die die Stadt<br />

bewegten<br />

Herbert Schwarzwälder. Das große Bremer<br />

Lexikon<br />

Eigenes Zeitungsarchiv<br />

Gesprächsinformationen<br />

Wir bedanken uns bei der Chefredaktion<br />

des WESER-KURIER für die<br />

Zusage, die hier verwendeten Fotos<br />

aus dem Nachlass des Georg Schmidt<br />

veröffentlichen zu dürfen.<br />

Köksch un Qualm<br />

Donnerstagsprogramm bietet für jeden etwas in der Stader Landstraße 46<br />

Ob Sie uns erstmals kennenlernen wollen<br />

oder zu den regelmäßigen Gästen gehören<br />

– für alle haben wir wieder ein abwechslungsreiches<br />

Donnerstagsprogramm bis<br />

zum Jahresende zusammengestellt.<br />

In diesem Programm beginnen wir eine<br />

neue Reihe, die wir in loser Folge wieder<br />

aufgreifen wollen: Es geht um namhafte<br />

Frauen unserer Zeit und wir beginnen mit<br />

der beeindruckenden Persönlichkeit von<br />

Bertha von Suttner.<br />

Angela Piplak wird uns mit großem Wissen<br />

und wunderbaren Geschichten den<br />

historischen Weg des Kaffees in die Hansestadt<br />

nachzeichnen.<br />

Neben den beliebten Lesungen von Christine<br />

Bongartz steht wieder das Selbermachen<br />

auf dem Programm mit Sauerkrauterstellung,<br />

Drucktechniken mit Lavendel und<br />

diversen weihnachtlichen Arbeiten in der<br />

Adventszeit.<br />

Sehen Sie das Programm selbst einfach<br />

durch und schreiben Sie sich gleich Ihre<br />

Lieblingsveranstaltungen in den Kalender!<br />

Wir freuen uns, Sie bald mal wieder bei<br />

uns zu sehen, entweder an einem Donnerstag<br />

oder mit einem Freundeskreis zu einem<br />

gebuchten Termin.<br />

Donnerstag, 12.10.17, um 15.30 Uhr<br />

Sauerkrautherstellung – einfach lecker!<br />

Anmeldung erwünscht<br />

Donnerstag, 19.10.17, um 15.30 Uhr<br />

Damenmode einst und jetzt!? Einfach<br />

SPITZE!<br />

Anmeldung erwünscht<br />

Donnerstag, 26.10.17, um 15.30 Uhr<br />

Eine „unerhörte“ Reise<br />

Anmeldung erforderlich!<br />

Donnerstag, 2.11.17, um 14.00 Uhr<br />

Drucktechnik mit Lavendel<br />

Anmeldung erforderlich!<br />

Donnerstag, 9.11.17, um 15.30 Uhr<br />

Namenhafte Frauen unserer Zeit: Bertha<br />

von Suttner – Die Friedenstifterin<br />

Anmeldung erwünscht<br />

Donnerstag, 16.11.17, um 14.00 Uhr<br />

Adventsgeschenke aus der Küche<br />

Anmeldung erforderlich!<br />

Donnerstag, 23.11.17, um 14.00 Uhr<br />

Dekorative Adventskränze<br />

Anmeldung erforderlich!<br />

Donnerstag 30.11.17, um 15.30 Uhr<br />

Wie der Kaffee nach Bremen kam<br />

Anmeldung erforderlich!<br />

Donnerstag, 7.12.17, um 15.30 Uhr<br />

Weihnachten – so simpel wie einfach<br />

Anmeldung erforderlich!<br />

Donnerstag, 14.12.17, um 14.00 Uhr<br />

Süßes für den bunten Teller – mit viel Liebe<br />

selbst herstellen!<br />

Anmeldung erforderlich!<br />

Donnerstag, 21.12.17, um 14.00 Uhr<br />

Kleine Papeterie-Geschenke zaubern<br />

Anmeldung erforderlich!<br />

Eintritt für das Donnerstagsprogramm<br />

3,00 €; inklusive szenischer Museumsführung<br />

durch die Ausstellung in Kombination<br />

mit dem jeweiligen Hauptprogramm/<br />

ggf. zzgl. Materialkosten (je nach Veranstaltungsart),<br />

wie tagesaktuell ausgewiesen.<br />

Ermäßigungen bitte an der Kasse erfragen!<br />

Kaffee-Menü: 3,80 € / Kinder 1,50 €<br />

Anmeldung unter:<br />

Telefon 0421 636958-66 oder<br />

E-Mail zigarrenfabrik@brasbremen.de<br />

www.koeksch-un-qualm.de<br />

RUNDBLICK <strong>Herbst</strong> <strong>2017</strong><br />

19


Lach- und Torfgeschichten<br />

Lüttje Jan un de Football<br />

No’n letzten Krieg, anfangs de 50iger<br />

Johrn, at de slechten Tieden sinnig woller<br />

beter worn, leben in’n Dorp Düwelsmoor<br />

veele Menschen, de ut eer angestammte<br />

Heimot vor den Krieg, Gewalt un Vorbreeken<br />

un luter Angst utnei’en mussen. Up de<br />

Buernhööf, de groten Deelen un in de<br />

Ställe un bie’n Torfwerk in e Logerbaracken<br />

harrn se een Dack obern Kopp funnen.<br />

Disse Lü’e arangiern sick in’n Dorp, se<br />

arbeiten bi de Buern un up’n Torfwerk, to<br />

doon geeft jo genog, jed’een bo’e sick wat<br />

up.<br />

„Teutonia Teufelsmoor“<br />

geef dat nich mehr<br />

Arbeiten weer ober jo nich alles, de Lü’e<br />

wullen uck mol Spoß hebben, sick freuen<br />

un lachen, sick bewegen un Sport moken<br />

– so oder so! To de Tied harrn de Dorpsvereine<br />

eenen gewaltigen Toloop un veel<br />

ne’e Mitgleeder kömen to jemm. Ik denk<br />

dor an usen Schützenverein „Torfteufel“ bi<br />

Jan Schoster an de „lüttje Reeg“ un an us<br />

örtliche Füerwehr, – ik weet wol, se is keen<br />

Verein – ober dor weern veel Lü’e mit Eifer<br />

dorbi. Un denn harr sick uck noch een<br />

Footballverein neet grünnt, de heet „Teutonia<br />

Teufelsmoor“ un speel in grönwitte<br />

Hemden toerst bi Hof Lütjen <strong>Nr</strong>. 8 up de<br />

Brinkweid an’ne Dorpstroot, loter hen<br />

Der Bornreiher Fanschal wärmt auch unseren<br />

Moorteufel<br />

Foto: Jan Brünjes<br />

Bornreihe hat es geschafft: Meister Landesliga 2006, Aufstieg in Niedersachsen-Liga<br />

weer eer Platz vorn bi de Hammbrügg. De<br />

Balken mit dat Vereinsemblem stünnen<br />

dor noch lang an de Infohrt, bit in de<br />

60iger Johrn, do geef dat dissen Verein al<br />

lange nich mehr – worum, wer weet dat?<br />

„Hexe“ Wendelken<br />

weer mien Vorbild<br />

Dor weern veele gode Footballer bi, de<br />

sünnt denn no annere Vereine goon. De<br />

meisten in’t Noberdorp to „Blau-Witt<br />

Bornriehe“. Dor wor to de Tied al hochklassigen<br />

Football speelt. Hans „Hexe“<br />

Wendelken ut Düwelsmoor speel dor alles<br />

an’ne Wand un mok Tore wie an sien Fließband<br />

up’n Torfwerk. He föhr dor den<br />

„Sammler“, de grode Moschin to’n Uploden<br />

von witten Torf. Hans dat weer mien<br />

Vorbild, ik, de lüttje Jan, weer wol so bi<br />

twolf Johr olt un „verrückt“ no Football. Bi<br />

Schoolmester „Hannes“ Steffens bolzen<br />

wie in jede Pause up’n Schoolhoff oder<br />

vorn an Torfmoor, to annere Tieden up de<br />

Weiden, usen Sandweg un de Hoffsteen.<br />

„Afseits“ geeft nich un dree Ecken geven<br />

ee’n Olbenmeter – ganz eenfache Regeln.<br />

De Bornriehster Jungs in mien Oller kömen<br />

mit Rad jümmer bi us vorbi non’n witten<br />

Torf, se wallen de langen Strecken ut un<br />

vordee’n sick Taschengeld. So hebbt wi us<br />

kennenlehrt. Ik weer domols noch smächtig<br />

von Statur un drof in’n Verein noch nich<br />

speelen, mien Papa un Opa meenen jümmer:<br />

„De haut di de Knoken kaputt, de<br />

Jung schall up’n Hoff mithelpen un sick ne<br />

up’n Footballplatz afmarachen!?“ So weer<br />

dat Gesetz! Ik harr ober mien Ball un heff<br />

alleen ööft un speelt, jümmer an de<br />

Schüünwand un den trüch geballert. Ober<br />

jede Week harr jo eer’n Sonndag, dor freu<br />

ik mi jümmer up un denn lööp ik no’n Middag<br />

los no’n Torfwerk an de Gleisen un<br />

denn Moorgroben hoch no Verlüßmoor,<br />

dor de Stroten lang bit no’n Footballplatz<br />

bi Postel in Bornriehe.<br />

Dat weern de<br />

besten Sonndoge<br />

Foto: Jan Brünjes<br />

Dor töben mien Kumpels all up mi un<br />

wie hebbt us blau-witten Helden speelen<br />

sehn, meistens hebbt se gewunnen, „us<br />

Hans Hexe“ mok alle platt. Intritt bruken<br />

wie nich betohlen, wie sammeln de leddigen<br />

Buddels tohoop, dor geeft uck noch<br />

een Ies bi to. Wat weer dat for een „Spiejöök“.<br />

Wenn dat Spill to en’n weer, denn<br />

hör de Platz us too’n Bolzen un Ackern, dor<br />

wor al’s nospeelt, wat wie de „Groten“<br />

afkeken harrn. Dat weern de besten Sonndoge<br />

in mien Jungstied, se hebbt mi prägt<br />

un ik will se nich missen.<br />

Ik stoh hüüttodoogs noch bi jede Gelegenheit<br />

up’n Sportplatz bi Postel in Bornriehe,<br />

am leevsten jümmer Sonndagnomdags.<br />

Text und Fotos:<br />

Johann (Jan) Brünjes<br />

20 RUNDBLICK <strong>Herbst</strong> <strong>2017</strong>


Lauenburg an der Elbe<br />

Geburtsort der Findorff-Brüder<br />

Lauenburg an der Elbe ist bekanntlich<br />

die <strong>Heimat</strong> des Moorkommissars Jürgen<br />

Christian Findorff. Als Geburtshaus galt ein<br />

schmuckes Fachwerkhaus in der Straße<br />

„Hohler Weg“.<br />

Die Eigentümerin hatte einen Teil des<br />

Hauses als Museum hergerichtet mit den<br />

von ihr gesammelten Unterlagen über Jürgen<br />

Christian Findorff und dem Bruder<br />

Johann Dietrich, Hofmaler in Schwerin. Ein<br />

Findling neben der Eingangstür wies mit<br />

entsprechender Inschrift auf die Bedeutung<br />

des Gebäudes hin.<br />

Aus Altersgründen musste die Dame das<br />

Haus aufgeben. Die Exponate kamen mit<br />

ihrem Einverständnis nach Iselersheim in<br />

das Haus des dortigen <strong>Heimat</strong>vereins.<br />

Geburtshaus von<br />

Jürgen Christian Findorff<br />

in der Elbstraße 77<br />

Wie ich jetzt erfahren habe, war nach<br />

Feststellung örtlicher <strong>Heimat</strong>forscher dieses<br />

Haus nie im Besitz eines Mitgliedes der<br />

Familie Findorff, dafür aber das Anwesen<br />

Elbstraße <strong>Nr</strong>. 77.<br />

Aus den mir von Herrn Eggert vom <strong>Heimat</strong>bund<br />

und Geschichtsverein Lauenburg<br />

übersandten Unterlagen und den<br />

Daten aus der von Jürgen Christian Findorff<br />

erstellten Ahnentafel ergibt sich folgendes:<br />

Der Großvater unseres Moorkommissars,<br />

Hans Findorff, stammte aus Bienenbüttel.<br />

Dessen Vater Daniel Vindorf betrieb<br />

dort die Wassermühle am Vierenbach.<br />

Hans, geb. 1661, zog es über die Elbe nach<br />

Lauenburg. Er heiratete Margarethe, Tochter<br />

des Ratszimmermeisters Hans Deutzmann<br />

und kaufte 1698 das Haus Elbstraße<br />

Franz-Hinrich Findorff<br />

Foto: Hermann Röttjer<br />

Lauenburg, Elbstraße 77, Geburtshaus der Findorff-Brüder<br />

Foto: Gerhard Behrens<br />

<strong>Nr</strong>. 77. Dabei führte er, wie auch später<br />

sein Sohn Hinrich, aus bisher unbekannten<br />

Gründen zeitweilig den Nachnamen Möller.<br />

Hinrich, geb. 1692, Ratstischler, ist<br />

1717 als Hauseigentümer verzeichnet. Er<br />

ehelichte Sophia Hedewig Hoffmann aus<br />

Sterley. Die beiden hatten die Kinder<br />

Johann Peter, geb. 1718, gest. 1720, Jürgen<br />

Christian, geb. 1720, gest. 1792,<br />

Johann Dietrich, geb. 1722, gest. 1772,<br />

Margarethe Dorothea, geb. 1724, gest.<br />

1769, Franz Hinrich, geb. 1727, gest.<br />

1802, Otto Peter, geb. 1729, gest. 1769,<br />

und Christine Elisabeth, geb. 1731, gest.<br />

1735.<br />

Nach dem Tod von Hinrich im Jahr 1739<br />

führte der Sohn Jürgen Christian mit seiner<br />

Mutter den Betrieb. Die Mutter erscheint<br />

1745 in der Hausgeschichte als Eigentümerin.<br />

Nachdem Jürgen Christian ab 1753 mit<br />

Arbeiten im Teufelsmoor beauftragt<br />

wurde, soll der Bruder Otto-Peter den<br />

Tischlereibetrieb geführt haben.<br />

1766 ist Franz-Hinrich Findorff als Freitischler<br />

mit einer Hausreparatur in der<br />

Hausgeschichte Elbstraße 77 nachgewiesen.<br />

1773 ist dann der Konkurs und der<br />

Verkauf des Hauses verzeichnet. Die 80-<br />

jährige alte Mutter zog nach Harsefeld zu<br />

den Kindern der bereits verstorbenen<br />

Tochter. Franz Hinrich hatte mit Hilfe seines<br />

Bruders Jürgen Christian die Anstellung<br />

als Moorvogt in Hüttenbusch bekommen.<br />

Er musste sich mit seiner Familie,<br />

Ehefrau und 4 Kinder, aus der Stadt kommend<br />

an ein Leben im Teufelsmoor<br />

gewöhnen.<br />

Gerhard Behrens<br />

Fast<br />

vergessen …<br />

Stimmungsbilder aus Moor und<br />

Heide im Spiegel der Dichtkunst<br />

Mit dem Gedicht „Unwetter“ setzen<br />

wir die Reihe der Erinnerungen an fast<br />

vergessene Dichtkunst unserer Gegend<br />

fort. Noch einmal zeichnet Franz Diederich<br />

(1865 – 1921, vgl. auch Ausgaben<br />

<strong>Nr</strong>. 120 und <strong>Nr</strong>. 121) mit kraftvollen Worten<br />

ein Wetterschauspiel und lässt damit<br />

wiederum seine gefühlvolle Nähe zu<br />

Mensch, Landschaft und Natur erkennen.<br />

Nur allzu gut können wir heute ein solches<br />

Unwettertoben in jenen Tagen<br />

nachvollziehen...<br />

Peter Richter<br />

Unwetter<br />

Der Sturm hat schwarz den Tag erdrückt,<br />

kommt wütend durch das Dorf gesaust,<br />

reißt grünes Gezweig, in Büschel zerstückt,<br />

von den Eichen herunter mit rüder Faust.<br />

Sturm, Donner, Hagel und plötzliche Nacht,<br />

und in der Straßen Wasserschwall<br />

flammt blitzeschmetternd die Himmelsschlacht<br />

wildweiß unheimlich überall.<br />

Der Sturm heult über die Heide herein,<br />

kracht ineinander den alten Forst,<br />

Urtannen stürzen, die Wipfel schrein,<br />

hoch kippt aus dem Boden der Wurzelhorst.<br />

Der Regen rast und schwemmt und schlägt,<br />

übers ganze Land peitscht höllische Wut,<br />

alle Saaten sind niedergefegt,<br />

in alle Gärten spült die Flut.<br />

Auf alle Dächer prasselt der Fluch.<br />

Bangklein erglimmt hinter Fenstern Licht.<br />

Die Alten greifen zum frommen Buch,<br />

und alles schweigt und rührt sich nicht.<br />

Und Blitz und Donner, Knall und Hall<br />

bleiche Gesichter durchfährt der Graus,<br />

an den Ketten zerrt das Vieh im Stall,<br />

ein Klirren schreckt durchs ganze Haus.<br />

Der Sturm heult auf; - ein Schatten hetzt<br />

spukgroß am niederen Fenster hin:<br />

der alte Birnbaum liegt zerfetzt,<br />

dumpf starrt zu Boden die Bäuerin.<br />

Foto:<br />

Franz Diederich<br />

© Wikipedia<br />

RUNDBLICK <strong>Herbst</strong> <strong>2017</strong><br />

21


„Let the good times roll“<br />

Fotos von Marlies Leckebusch im Kreishaus vom 9. Oktober bis 29. Dezember <strong>2017</strong><br />

Am 13. Dezember 1972 wurde der<br />

MUSIKLADEN das erste Mal von Radio Bremen<br />

ausgestrahlt. Er löste den legendären<br />

Beat Club ab, wurde moderner und den<br />

wilden 70ern angepasst. Zu der Zeit war<br />

Marlies Leckebusch Pressefotografin bei<br />

Radio Bremen und hat während der laufenden<br />

Sendungen die Stars und Sternchen<br />

fotografiert. Schon während der Proben entstanden<br />

Fotos und so kam im Laufe der 90<br />

Musikladensendungen ein wahrer Schatz an<br />

zeitgenössischen Fotos aus der Musikszene<br />

der 70er und 80er Jahre zusammen. Für viele<br />

Akteure war der Musikladen das Sprungbrett<br />

den wieder lebendig. Unvergessen auch die<br />

Moderatoren Uschi Nerke und Manfred<br />

Sexauer.<br />

Marlies und Mike Leckebusch wohnten in<br />

Garlstedt. Mike Leckebusch betrieb bis zu<br />

seinem Tod im Jahr 2000 im Keller des Hauses<br />

ein TV-Studio. Auch dort gaben sich<br />

Künstler die Klinke in die Hand und es wurden<br />

Musikvideos hergestellt.<br />

Im Jahre 2008 erwarb Dr. Siegfried Zaft<br />

das Anwesen und hält seitdem das ehemalige<br />

TV-Studio von Mike Leckebusch und das<br />

Andenken an die Musikladenzeit lebendig.<br />

Mit der Hilfe von Siegfried Zaft wurden über<br />

Leckebusch ist anwesend. Nach einer<br />

Begrüßung durch den Landrat gibt Dr. Siegfried<br />

Zaft im Großen Saal eine Einführung in<br />

die Ausstellung und zeigt ca. eine Stunde<br />

ausgewählte Highlights aus Musikladensendungen.<br />

Diese Begleitveranstaltungen runden die<br />

Ausstellung ab:<br />

– Herr Dr. Zaft hat sich bereit erklärt, am 18.<br />

Oktober <strong>2017</strong> zwei kostenlose Führungen<br />

(18 und 19 Uhr) durch das Studio in<br />

Garlstedt für jeweils 25 Personen anzubieten.<br />

Interessierte Personen melden sich<br />

dazu bitte mit Angabe der Personalien<br />

zu einer großen Karriere. Marlies Leckebusch<br />

hat sie alle im Bild festgehalten.<br />

Erinnerungen an ABBA,<br />

Tina Turner und mehr<br />

Einige dieser Bilder werden nun in einer<br />

Ausstellung im Foyer des Kreishauses Osterholz<br />

gezeigt. Das Motto ist: „Let the good<br />

times roll“ und die Eröffnung der Ausstellung<br />

ist am 9. Oktober um 17 Uhr. Marlies<br />

Leckebusch wird anwesend sein. Erinnerungen<br />

an vergangene Zeiten mit ABBA, Tina<br />

Turner, David Bowie und vielen mehr wer-<br />

50.000 Dias und Negative der Fotografin<br />

Marlies Leckebusch gescannt und digitalisiert.<br />

So wurde diese Ausstellung möglich.<br />

Unter dem Motto: „Mit dem Musikladen<br />

durch das Jahr 2018“ hat Dr. Siegfried Zaft<br />

aus dem Fundus der Musikladenfotografien<br />

auch für das kommende Jahr wieder einen<br />

Kalender zusammengestellt, die Sammler-<br />

Edition 2.<br />

Ausstellungseröffnung am 9. Oktober<br />

<strong>2017</strong> um 17 Uhr im Foyer des Kreishauses,<br />

Osterholzer Str. 23. Dauer der Ausstellung<br />

bis 29. Dezember <strong>2017</strong>. Zur Eröffnung sind<br />

alle Interessierten eingeladen. Marlies<br />

unter der Telefonnummer 04791 930245<br />

an. Eine Teilnahme ohne Anmeldung ist<br />

nicht möglich.<br />

– „Kalenderblatt Musikladen“, offene Veranstaltung<br />

für alle Interessierten am 29.<br />

November <strong>2017</strong> von 16.30 Uhr bis 18.30<br />

Uhr im Bistro des Kreishauses. Die<br />

Geschichte des Musikladens wird erzählt,<br />

es gibt eine Führung durch die Ausstellung<br />

mit Dr. Zaft und Marlies Leckebusch,<br />

Fragen können gestellt werden, kleine<br />

Bewirtung mit Kaffee, Tee, Adventsgebäck.<br />

Text: Maren Arndt und Ursula Villwock<br />

22 RUNDBLICK <strong>Herbst</strong> <strong>2017</strong>


Worpsweder Dorfplatz<br />

Ideen zur Umgestaltung<br />

Worpswede ist erst seit 2014 meine<br />

neue <strong>Heimat</strong> geworden. 68 Jahre zuvor<br />

verbrachte ich in Württemberg, Karlsruhe<br />

und Stuttgart.<br />

Aber mir liegt auch in Worpswede am<br />

Herzen, was „<strong>Heimat</strong>“ ausmacht, ein Ort,<br />

Identität und Geborgenheit vermittelnd.<br />

Zur Identität gehört für mich das „Dorf<br />

Worpswede“, das seinen Dorfcharakter<br />

jedoch mehr und mehr verliert. Mitten im<br />

historischen Dorfkern werden Immobilienbauten<br />

errichtet, die weder den Charakter<br />

der ursprünglich bäuerlichen Bauweise<br />

noch die vorhandene, dörfliche Bauweise<br />

aufnehmen.<br />

Dorfplatz nicht erkennbar<br />

Es gibt auch einen „Dorfplatz“ hier, aber<br />

niemand würde ihn erkennen, stünde dort<br />

nicht ein Hinweisschild. Der neu angelegte<br />

Platz wird von einem großflächig versiegelten<br />

Autoparkplatz dominiert, der auf<br />

eine unerklärliche Weise zweigeteilt und<br />

daher weit ausgedehnt ist. Ein dort unpassend<br />

stehender Toilettenzweckbau hat<br />

auch ganz und gar keinen dörflichen<br />

Anklang.<br />

Ich habe versucht, diese aus meiner<br />

Sicht reichlich verplante und wenig einladende<br />

Dorfmitte gestalterisch zu reparieren<br />

und aufzuwerten:<br />

1. mit der Zusammenlegung der Parkplätze<br />

Richtung östliches Areal mit nur<br />

Vorschlag zur Umgestaltung<br />

noch einer Zu- und Abfahrt von der<br />

Hembergstraße (der heute baumlose<br />

Parkplatz wird mit Bäumen bepflanzt),<br />

2. mit der dadurch möglichen Vergrößerung<br />

des westlich an den Parkplatz<br />

anschließenden Grünareals und Schaffung<br />

einer Fläche für eine Festwiese,<br />

3. mit dem Neubau eines Dorf- und <strong>Heimat</strong>museums<br />

in Fachwerk und Reetdach<br />

anstelle des Toilettenbaus (neue<br />

Toilettenanlagen wären im Neubau vorgesehen).<br />

Das Luftbild zeigt eine Nutzung der<br />

neuen Festwiese, z. B. durch das Worpsweder<br />

Erntefest, das bisher in einer schattigen<br />

Parkplatzecke an der Findorffstraße<br />

stattgefunden hat. Hier käme das <strong>Heimat</strong>fest<br />

in die Dorfmitte neben den Dorfplatz<br />

und der Parkplatz neben Rossmann müsste<br />

nicht gesperrt werden. Der Dorfplatz<br />

würde vergrößert werden und bis an das<br />

neue <strong>Heimat</strong>museum grenzen.<br />

Schon wieder ein Museum in<br />

Worpswede? – Ja, denn 800 Jahre<br />

Worpswede haben es verdient, entsprechend<br />

gewürdigt zu werden.<br />

Orts- und<br />

<strong>Heimat</strong>geschichte<br />

unter einem Dach<br />

Orts- und <strong>Heimat</strong>geschichte und die<br />

Geschichte des Künstlerdorfs unter einem<br />

Dach vereint zu präsentieren, das hat<br />

Worpswede bislang nicht zu bieten. Vorstellen<br />

könnte ich mir in dem Museum<br />

u. a. ein „Rilke-Zimmer“, denn nirgendwo<br />

in dem Dorf, in dem einer der großen<br />

europäischen Dichter und Lyriker zeitweise<br />

gewohnt und gearbeitet hat, gibt es einen<br />

solchen Gedenkort. Ein solches Museum<br />

wird ganz sicher noch weitere, zahlreiche<br />

Besucher nach Worpswede locken.<br />

Bleibt die Frage der Finanzierung: Leider<br />

scheitern neue dorfverschönernde und<br />

kreative, architektonische Ideen im „Dorf<br />

der Künstler“ immer zuerst, kostet zu viel.<br />

Die heutige, ziemlich unwirtliche Dorfmitte<br />

aber so zu lassen, wie sie sich Besuchern<br />

aus allen Regionen und auch dem<br />

Ausland bietet, kann auch keine Lösung<br />

sein.<br />

Text und Zeichnung:<br />

Axel Spellenberg<br />

‘n beten wat<br />

op Platt<br />

Redensarten unserer<br />

engeren <strong>Heimat</strong><br />

Dat is'n Meisterstück, sä de Timmermann,<br />

harr'n Hunnehütt boot un dat<br />

Lock vergeten.<br />

Wat se nich allns vör Geld mokt, sä de<br />

Bur, do seet'n Aap up'n Kamel.<br />

Wenn't kummt, denn kummt up'n<br />

Hopen, sä de Snieder, do kreeg he<br />

twee Nachtmützen to maken.<br />

Rat' mi good, sä de Brut, ober rat' mi<br />

nich af.<br />

Lot den Ossen man trecken, sä de<br />

Buur, Melk geben deit he nich.<br />

Mit Dampfbetrieb, schreef de Schoster<br />

an't Finster, do steek he sien Piep an.<br />

Wat wi doch nüdlich sünd, wenn wi<br />

jung sünd, sä de Jung, do bekeek he<br />

de Farken.<br />

Veel Kopp, veel Sinn, sä de Düwel, do<br />

schöw he en Koor vull Poggen.<br />

(aus „<strong>Heimat</strong>bote“, Osterholz, 1926)<br />

Peter Richter<br />

RUNDBLICK <strong>Herbst</strong> <strong>2017</strong><br />

23


Aufruhr im Kloster Lilienthal<br />

von Karl Lilienthal<br />

Eine Geschichte von Karl Lilienthal (1890 –<br />

1956) nach einer, wie es heißt, wahren<br />

urkundlich belegbaren Begebenheit, die sich<br />

im Kloster Lilienthal um 1600 zugetragen<br />

haben soll.<br />

Es war im Jahre 1594, dem 18. Regierungsjahr<br />

Kaiser Rudolfs II., als sich im Kloster Lilienthal,<br />

das damals von der Aebtissin Thibbeke<br />

von Marßel und der Priorin Gese Raschen geleitet<br />

wurde, ein bis dahin nie gewesener Vorfall<br />

ereignete, der großes Aufsehen erregte, dem<br />

Kloster schweren Schaden zufügte und eine<br />

Reihe von Vorgängen im Gefolge hatte, die im<br />

Zusammenhang mit den geschichtlichen<br />

Umwälzungen jener Zeit zur Auflösung des Klosters<br />

beitrugen. Will man diesen Vorfall recht<br />

verstehen, so muß man wissen, daß sich seit<br />

den Tagen der Reformation (Wittenberg 1517)<br />

im Lilienthaler Konvent so mancherlei und Entscheidendes<br />

zugetragen hatte. Jahre später,<br />

etwa um 1670, waren die Schwestern zum<br />

evangelischen Glauben übergetreten und hatten<br />

damit einen Schritt getan, der schwerwiegende<br />

Folgen nach sich zog. Ein Teil der Nonnen,<br />

der von der katholischen Lehre nicht<br />

ablassen wollte, verließ das Kloster, ein anderer<br />

auch nicht bekehrter Teil verblieb darin, siedelte<br />

ins Siechenhaus, das sogenannte Infirmarium<br />

(Kranken- und Pflegestation), über und hielt,<br />

gnädig geduldet, mit Buß- und Gebetsübungen<br />

an den Ordensregeln und der apostolischen Kirche<br />

fest. Die große Mehrzahl der Klosterleute<br />

aber, die Konversi, die einstmals vor Jahrhunderten<br />

das Kloster erbaut und seinen Grund<br />

besiedelt und seither den groß gewachsenen<br />

inneren Wirtschaftsstaat des Klosters mit<br />

betriebsamer Hand geleitet und in schwerer<br />

Zeit aufrecht erhalten hatten, wandten dem<br />

Kloster, durch den Glaubensabfall hart getroffen<br />

fast fluchtartig den Rücken. Dieser Lauf der<br />

Dinge traf den Konvent schwer, aber beides, die<br />

Zerstörung der Schwestergemeinschaft sowohl<br />

wie der Fortgang der Laienbrüder und der Laienschwestern,<br />

ließen sich überwinden. Weit<br />

gefährlicher für den Bestand des Klosters aber<br />

wirkten sich die überall im Lande aufflackernden<br />

Revolten und Zinsweigerungen aus, mit<br />

denen die dem Kloster durch Jahrhunderte verbundenen,<br />

von Bremen über Oldenburg nach<br />

dem „Norderland“ (Ostfriesland), weserauf,<br />

weserab wohnenden Hörigen und Zinspflichtigen<br />

an den Fronketten zerrten und mit List und<br />

Gewalt versuchten, von ihnen und dem verhaßten<br />

Kloster loszukommen. Um die Zeit, als<br />

die nachfolgende Geschichte passierte, war der<br />

innere und äußere Niederfall der Klosterherrschaft<br />

schon auf einen festen Fuß gebracht<br />

worden. Die Landbestände, der Erzbischof und<br />

die feste Hand der Aebtissin Thibbeke von<br />

Marßel hatten das Schlimmste abzuwenden<br />

vermocht. Was verloren war, blieb verloren. Mit<br />

der Einschrumpfung der Zins- und Zehnteinnahmen<br />

hatte man sich umso eher abfinden<br />

können, als die Bedürfnisse des auf 20 Nonnen<br />

und wenige Laien geminderten Konvents<br />

bedeutend geringer wurden, während die<br />

Arbeit der Klosterleute unter diesen Umständen<br />

leicht von gedingtem Personal, Knechten, Mägden,<br />

Vögten und Hofmeyern ausgeführt werden<br />

konnte. Es kam nur darauf an, weitere Aufsässigkeiten<br />

zu hindern, das Vorhandene zu<br />

schirmen und vor allem den neuen Glauben<br />

und das geliebte Klosterleben in den schwankenden<br />

Zeiten bei den wechselnden Machthabern<br />

erhalten und durch Privilegien gesichert zu<br />

sehen.<br />

Borgfeld war ein<br />

„ernster Aufruhrherd“<br />

Dennoch nahmen namentlich auch in der<br />

Umgebung des Klosters die Unruhen, Zwistigkeiten,<br />

Treuebrüche und Losreißungen kein<br />

Ende. Ein ernster Aufruhrherd war Borgfeld. Die<br />

Unterhörigen dieses Ortes, vom dortigen<br />

Gericht unterstützt, fischten mit Klaffnetzen<br />

und Garn bei hellem Tage in der Wümme,<br />

deren Fischereirecht das Kloster besaß. Darob<br />

aufgebracht, geht der Klostervogt gegen die<br />

säumigen Hörigen mit strengen Strafen vor.<br />

Dem Pastor nimmt er eine Kuh, dem Gerichtsvogt<br />

Kessel und Speckseiten, Friedrich Behrens<br />

Töpfe mit Bohnen weg. Daniel Tietjens hochschwangere<br />

Frau fühlt sich von ihm beschimpft<br />

und tätlich bedroht. Der Klosterhofmeyer treibt<br />

drei Kühe aus der Borgfelder Weide ins Klostergericht.<br />

Ein Dietrich von Marßel wird von den<br />

Klosterleuten auf offener Straße überfallen. Es<br />

handelt sich um Repressalien und Vergeltungen<br />

für geweigerte Zinsen. Aber der offene und versteckte<br />

Krieg ist in vollem Gange, die Borgfelder<br />

wissen wieder umzuschlagen und Ohrfeigen<br />

durch Fausthiebe zurückzugeben. Im Frühjahr<br />

des obengenannten Jahres bildete sich in Katrepel-Borgfeld<br />

gegen das Lilienthaler Kloster eine<br />

regelrechte Verschwörung, deren Kopf ein<br />

Weib, eine aus dem Klosterdienst wegen Verfehlungen<br />

entlassene Magd namens Womme<br />

Waagschal, wurde und die es sich zum Ziele<br />

machte, das verhaßte Kloster in Lilienthal zu<br />

beunruhigen, zu drangsalieren und zu schädigen,<br />

wie und wo es möglich war. Man störte die<br />

Nonnen bei der Andacht und schreckte sie in<br />

der Dämmerung, wenn sie von Gängen aus<br />

dem Klosterholz und Besuchen aus Bremen<br />

heimkamen. Einmal flog über die nördliche Kirchenmauer<br />

ein dicker Stein durch das Kirchenfenster,<br />

traf den Flügel des Altars und den<br />

Deckel des Reliquienschreins und hätte um ein<br />

Haar das greise Fräulein von der Lieth zu Tode<br />

gebracht, hätte eine jüngere Schwester, die das<br />

Unglück kommen sah, nicht schnell die Betende<br />

vom Schemel weggerissen und in Sicherheit<br />

gebracht. Verschiedentlich gelang es der Waagschal<br />

und ihrer Sippe, dem Kloster nächtliche<br />

Besuche zu machen, durch die verwaisten<br />

Räume des Refektoriums ins Heilige der Klausur<br />

einzudringen und Gelegenheiten zum Stehlen<br />

auszuspähen. Schwarze Schatten huschten um<br />

die Kreuzgänge, wuchsen gespenstisch an den<br />

Fenstern der Tagesräume hoch, und dann duckten<br />

sich die schwarzen Hauben, flogen die<br />

formlosen Gewänder und flohen die lilienhaften<br />

Frauen wie vor dem Leibhaftigen und seiner<br />

Sippe selbst vor das schützende Marterholz<br />

und die Flügel des heiligen Schreines. Hatte der<br />

Böse nicht wenigstens seine Hand im Spiel ? Am<br />

Abend des Himmelfahrtstages lag der Küster<br />

lahmgeschlagen auf der Mühlenbrücke; den<br />

Hofmeyer Lippert fand man völlig durchnäßt,<br />

gebunden und mit einem Knebel im Munde<br />

besinnungslos vor der Pförtnerwohnung. Fensterflügel<br />

schlugen laut zusammen, Scheiben<br />

klirrten, und die Vögel im Wald und am Wörpeufer<br />

stießen verstört und heiser ihre Warnrufe<br />

in die Nächte. Da mußte was Finsteres im<br />

Werke sein. Niemand zweifelte mehr. Es kam so<br />

weit, daß keine von den ehrbaren Schwestern<br />

sich nach dem Dunkeln aus den Mauern des<br />

Klosters herauswagte. Die Bediensteten trugen<br />

scharfe Waffen unter dem Kittel und hielten sich<br />

zusammen, wenn sie draußen waren und ihrer<br />

Arbeit nachgingen.<br />

Überfall auf das Backhaus<br />

des Klosters geplant<br />

Die Borgfelder Aufrührer und Schrecker aber<br />

hatten ihre Rechnung ohne den Klostervogt<br />

gemacht, einen Kerl von ganz besonderem Fasson,<br />

der die Spuren der nächtlichen Diebe bald<br />

auffand und Maßnahmen traf, ihnen das<br />

Handwerk gründlich zu legen. Auf irgendeine<br />

Weise bekam er heraus, daß die Borgfelder für<br />

die letzte Mainacht einen Überfall auf das<br />

Backhaus des Klosters geplant hatten und die<br />

Mehlkisten dort berauben wollten. Da hieß es<br />

scharf und rücksichtslos zupacken und den Dieben<br />

einen Denkzettel zu erteilen, der ihnen das<br />

Wiederkommen ein für alle Mal verleidete. Es<br />

gelang ihm, zwei verwegene Burschen vom Klosterpersonal,<br />

den Schuster Johann Suhrmann<br />

und den Wagenknecht Dietrich Meyer, zu überreden,<br />

in der fraglichen Nacht im Backhaus<br />

Wache zu halten und die Mehlräuber dingfest<br />

zu machen.<br />

Und so geschah es. Die beiden Männer versahen<br />

sich mit „thüringischen Tholchen“, wie<br />

es in der Urkunde heißt, mit Schlagring und<br />

Knüppel und begaben sich gegen 10 Uhr am<br />

besagten Tage in das Backhaus, versteckten<br />

sich hinter der dem Ofen am nächsten stehenden<br />

Kiste und harrten der Dinge, die sich begeben<br />

würden. Vom Turm der Klosterkirche schlug<br />

es eben Mitternacht, da schlichen 4 Menschen<br />

im Schutze der nördlichen Klausurmauer zur<br />

Wörpe hin, um von dort zum Backhaus zu<br />

gelangen. Ein schwelender Feuerkessel, der<br />

manchmal rot aufzuckte und den einer der<br />

24 RUNDBLICK <strong>Herbst</strong> <strong>2017</strong>


Männer unter einem langen Umhang zu verbergen<br />

suchte, warf dann und wann flackernde<br />

Lichter über die nächtlichen Besucher und die<br />

von großer Aufregung verzerrten Gesichter<br />

zweier Frauen, die an der Spitze des Zuges marschierten<br />

und sich wiederholt ängstlich<br />

umschauten, um sich zu vergewissern, ob die<br />

Männer ihnen folgten. Die zweite Person war<br />

die Schwägerin der wegweisenden Womme<br />

Waagschal und die Männer, derb, stark und<br />

bereit, unter Verachtung jedweder Gefahr das<br />

Aeußerste für ihre Sache einzusetzen, hießen<br />

Kord Thölken und Diedrich Pauls und waren<br />

Untersassen aus Borgfeld. Man fand glücklich<br />

die in die Ostmauer des Klosters eingelassene<br />

Tür, an der, wie man zuvor festgestellt hatte,<br />

ein Übersteigen der Mauer möglich war. Die Tür<br />

war nur angelehnt. Ohne Argwohn schritt<br />

Womme Waagschal hindurch, stand einen<br />

Augenblick mit schrägem Kopf lauschend im<br />

Garten und zog, als alles ruhig und unverdächtig<br />

blieb, die Komplizen nach sich.<br />

Einbrecher von den<br />

seltsamen Tönen gebannt<br />

Es war totenstill in der Runde. Siechenhaus,<br />

Kapitelhaus und Refektorien lagen in der<br />

schweigenden Finsternis wie erstarrt. Nur aus<br />

den hohen Kirchenfenstern schimmerte blasses<br />

Licht in den Klausurhof und geisterte mit mattem<br />

Geleucht am First des großen Ostbaues,<br />

des Domus monachorum. Dann huschte ein<br />

gelbes Licht in einem Zellenfenster des zweiten<br />

Stockwerks auf, eine schwarze Silhouette<br />

wuchs darin hoch wie das Schattenbild einer<br />

flüchtenden Frau und erlosch schnell. Die Vigil<br />

hub an, das Gotteslob der weißen Frühe. Orgeltöne,<br />

Stimmen von überirdischem Klang blühten<br />

auf, hoben sich gedämpft in die Höhe und<br />

wehten dann leise um den Ring der Kirche, bis<br />

sie plötzlich abbrachen. Mit verhaltenem Atem<br />

standen die Einbrecher Augenblicke in verschränkter<br />

Wirrnis, von den seltsamen Tönen<br />

gebannt, dann drangen sie mit einem erhöhten<br />

Gefühl der Sicherheit gegen das Backhaus vor.<br />

Kord Thölken tastete sich als erster über die<br />

Schwelle, Diedrich Pauls folgte den Frauen. Ein<br />

Talglicht flammte auf und fand Platz auf einer<br />

der geschlossenen Mehlkisten, die zu beiden<br />

Seiten eines schmalen Ganges standen, der<br />

zum Backofen führte. Unter gepreßten Anrufen<br />

und Ermunterungen begannen die vier ihr Diebesgeschäft.<br />

Einer der Männer stieg in die<br />

größte der Kisten, füllte mit einem hölzernen<br />

Löffel Mehl und schüttete es in einen der von<br />

den Frauen aufgehaltenen Säcke.<br />

Er hatte eben einen Bremer Scheffel gefüllt,<br />

da fiel plötzlich, durch eine ungeschickte Bewegung<br />

der Waagschal veranlaßt, die Kerze um<br />

und erlosch. Thölken stieß einen gräßlichen<br />

Fluch aus, sprang hoch und hob instinktiv den<br />

Arm zur Abwehr hoch. Es geschah im nächsten<br />

Herzschlag nichts, aber die gähnend aufbrechende<br />

Dunkelheit breitete unter allen lähmendes<br />

Entsetzen aus. Den Frauen stockte vollends<br />

der Atem.<br />

In diesem Augenblick fielen die Wächter über<br />

die Diebe her, sprangen den Männern, deren<br />

Standorte sie noch wußten, wie bissige Hunde<br />

an den Hals und kriegten sie unter sich. Die<br />

Überraschung machte sie überlegen. Sie hatten<br />

aber ihre Rechnung ohne die Frauen gemacht.<br />

Schnell hatten diese sich von dem lähmenden<br />

Schrecken erholt. Nun brachen sie über die Klosterleute<br />

mit Kratzen und Würgen, Stoßen und<br />

Schlagen ein. Die Waagschal stülpte dem Schuster<br />

recht unsanft einen leeren Himpten über<br />

den Kopf, während die Brand den Knecht Meyer<br />

mit einem „Grapen“, in dem man das Feuer zur<br />

Entzündung des Lichtes gehabt, bearbeitete. So<br />

kam es, daß die beiden Wächter zuletzt in<br />

schlimme Bedrängnis gerieten und von den<br />

Borgfelder Untersassen in die äußerste Ecke des<br />

schmalen Backhausganges getrieben wurden.<br />

Schon spannten sich dem Johann Suhrmann<br />

eiserne Fäuste wie ein Schraubstock um den<br />

Hals, sein Hilferuf verröchelte tonlos in den<br />

engen Wänden des tonnenhaften Steingewölbes,<br />

da stieß er in höchster Not mit seinem Dolche<br />

zu und bohrte ihn tief in die Brust eines seinen<br />

Bedränger.<br />

Ein Schrei und ein Fall. Hochauf springt ein<br />

Blutstrahl und trifft warm die schweißigen,<br />

heißen Gesichter der Kämpfenden. Im Nu entwirrt<br />

sich der dichte Haufen. Blindlings über den<br />

Gestochenen stolpern die Diebe, von den Knüppelhieben<br />

der Wächter getroffen, den Gang<br />

hinab durch die Backhaustür ins Freie. Einer findet<br />

den Weg durch die Mauertür, die anderen<br />

klettern in besessener Hast die Mauer hinauf<br />

und sprangen auf der anderen Seite mitten in<br />

die vom Wasser hochgeschwellte Wörpe. Die<br />

Wächter laufen ihnen nach, ohne ihrer habhaft<br />

zu werden. Noch lange hörten sie aus der Richtung<br />

des Vorwerks die gellenden Schmerzensund<br />

Hilferufe einer Frau, bis der Glockenschlag<br />

der ersten Frühstunde hineinhallte und die Klagelaute<br />

aufsog.<br />

Man fand eine Nonne<br />

verblutet liegen …<br />

Der Alarm, den die Wächter schlugen, und<br />

die Hilferufe lockten in kurzer Zeit die Domina,<br />

den Konvent und einen Teil des Gesindes herbei.<br />

Da fand man denn die Womme Waagschal<br />

mit ausgebreiteten Armen verblutet und tot im<br />

Backhaus liegen. Ihre Rechte umschloß krampfhaft<br />

ein kurzes, vom Blut gerötetes Messer.<br />

Schauerlich war ihr Gesicht von Kratzwunden<br />

und Blutflecken entstellt. Der Vogt schrieb auf,<br />

was man am Tatort fand und was als Beweis für<br />

den Ueberfall bei der gerichtlichen Verfolgung<br />

in Frage kam: einen gefüllten und zwei leere<br />

Säcke, eine hölzerne Schüssel, zwei Himte, drei<br />

Bretter, „einer thüringischen Thonnen gleich,<br />

mit Garn zusammengebunden, an beiden<br />

Enden offen und in der Mitte mit einem kleinen<br />

Loche, welches sie bei der Kisten anstatt einer<br />

Leuchten gebraucht, einen Grapen (Kessel mit<br />

drei Füßen), darinnen sie Feuer zur Entzündung<br />

des Lichtes gehabt“.<br />

Die Untersuchung des Totschlags zog sich<br />

durch Stunden hin. Nichts ließ die Domina<br />

unversucht den ungewöhnlichen Vorfall genauest<br />

zu klären und das Kloster von jeder Schuld<br />

reinzuwaschen. In der milchweißen Frühe des<br />

Junimorgens, der sein glitzerndes Geschmeide<br />

über Tau und Gärten des Konvents breitete, trugen<br />

vier Bedienstete die unglückliche Tote, mit<br />

einem schwarzen Tuch auf einer Bahre bedeckt,<br />

ins Siechenhaus. Gleich am anderen Tage übernahm<br />

Herr Otto von Düringen, des Klosters<br />

Gerichtsherr und Domdechant, die gerichtliche<br />

Verfolgung in die Hand. Emma Brand hatte eine<br />

schwere Kopfverwundung davongetragen, und<br />

so wurde ihre Mittäterschaft bald festgestellt.<br />

Auch die anderen Helfershelfer entdeckte man.<br />

Der Prozeß begann, wurde aber auf Betreiben<br />

der Borgfelder, die ein hartes Urteil fürchteten,<br />

nicht durchgeführt. Statt dessen schworen sie<br />

Urfehde. Darüber heißt es im Urkundenbrief:<br />

„Ob nun wohl nach diesen traurigen Ereignissen<br />

die Domina und der Konvent genugsam<br />

befugt, gegen das tote Weib mit der Schärfe des<br />

Rechtes, anderen zum Abscheu zu prozedieren,<br />

wie auch zu solchem Behuf das Gericht verfertigt<br />

und der Nachrichten schon zur Stelle gewesen,<br />

so hatten sie sich doch auf das flehentliche<br />

Bitten und Anhalten der Freunde und Verwandten<br />

der Waagschal dahin erklärt, daß sie das<br />

fürhabende Gericht einstellen und die Tote zur<br />

Bestattung freigeben wollten, wenn die Sippe<br />

der Waagschal, geborenen und ungeborene<br />

Erben, Meyer und Untersassen an Eides statt<br />

und durch handgegebenen Brief gelobten, daß<br />

sie alle Kosten erlegen und wegen der Entleibung<br />

der Waagschal und der Schläge, die die<br />

anderen empfangen, gegen des Domdechanten,<br />

den Konvent und alle ihre Diener, insonderheit<br />

gegen die beiden Wächter nichts Tätliches,<br />

weder mit Worten noch mit Werken,<br />

heimlich oder öffentlich, noch für ihre Person<br />

noch für andere vornehmen und vornehmen<br />

lassen wollten.“<br />

… sie wurde „im Holze“<br />

begraben<br />

Auf solche gegebene „Urphede“ wurde die<br />

Leiche der Waagschal zurückgegeben und gnädig<br />

verstattet, daß sie „im Holze, wo man den<br />

seligen Toten die Kreuze setzt,“ begraben<br />

wurde.<br />

Ueber die Verhandlungen und die Urfehde<br />

stellte der kaiserliche Rat und hochlöblich<br />

immatrikulierter uns approbierter Notarius<br />

Andreas aus Bremen zwei Instrumente aus,<br />

wovon eins, das dem vorliegenden Berichte als<br />

Grundlage diente, sich im Staatsarchiv zu Hannover<br />

befindet. Zwar hatte das Kloster in dieser<br />

Sache obgesiegt, aber es sollte sich des gewonnenen<br />

Rechtes und Sieges nicht lange erfreuen.<br />

Die Borgfelder Revolte war nur ein Signal zu<br />

weiteren Aufsässigkeiten, und der große Glaubenskrieg,<br />

der so viele wirtschaftspolitische und<br />

staatsrechtliche Bande zerriß, sprengte auch<br />

die Siegel obgenannten Instrumentes und<br />

machte den Borgfelder Schwur bedeutungslos.<br />

1651 schloß das Kloster seine Pforten für<br />

immer. Schweden trat sein Erbe an. Aus seinem<br />

Grab aber blühte ein neues Gemeinwesen auf:<br />

das junge Lilienthal.<br />

Rupprecht Knoop<br />

Quelle: Archiv <strong>Heimat</strong>verein Lilienthal e.V. /<br />

WÜMME ZEITUNG 23./24. Dezember 1933<br />

RUNDBLICK <strong>Herbst</strong> <strong>2017</strong><br />

25


Europäisches Kulturerbejahr 2018<br />

„Sharing Heritage“ – gemeinsam am Erbe teilhaben<br />

2018 soll das Jahr des europäischen Kulturerbes<br />

werden. Das hat im August des<br />

letzten Jahres die Europäische Kommission<br />

beschlossen und für das nächste Jahr das<br />

Europäische Kulturerbejahr unter dem<br />

Motto „SHARING HERITAGE“, gemeinsam<br />

am Erbe teilhaben, ausgerufen.<br />

Kulturelles Erbe erzählt<br />

europäische Geschichte<br />

„Europa soll nicht als etwas Fernes,<br />

Abgehobenes wahrgenommen werden,<br />

sondern als das Europa, das zu uns gehört.<br />

Denn unser kulturelles Erbe erzählt uns<br />

unsere gemeinsame europäische<br />

Geschichte.“ Dazu sollen mit Projekten<br />

grenzüberschreitende Gemeinsamkeiten<br />

in Geschichte und Gegenwart in den Blick<br />

gerückt werden.<br />

In jeder Region und an jedem Ort gibt es<br />

Spuren europäischer Geschichte, überall<br />

umgibt uns europäisches kulturelles Erbe.<br />

Wo erkennen wir dieses Erbe in unseren<br />

Städten, Dörfern und Kulturlandschaften?<br />

Was verbindet uns, was wollen wir verändern,<br />

was wollen wir erreichen?<br />

Dazu soll das Gemeinschaftliche und<br />

Verbindende herausgestellt, das Bewusstsein<br />

für unser reiches Erbe gefördert,<br />

Bereitschaft zu seiner Bewahrung geweckt,<br />

die gemeinsamen Wurzeln entdeckt,<br />

unsere Umgebung mit neuen Augen gesehen<br />

werden.<br />

Gerade junge Menschen<br />

sollen gewonnen werden<br />

Ziel ist es, gerade junge Menschen für<br />

unser gemeinsames Kulturerbe und deren<br />

Erhalt zu gewinnen und zu begeistern.<br />

Zielgruppe sind Kinder und Jugendliche,<br />

„die Erben des Erbes“.<br />

Deutschland, Bund und Länder haben<br />

beschlossen, ein Europäisches Jahr des kulturellen<br />

Erbes zu unterstützen mit dem<br />

Schwerpunkt auf das Thema baukulturelles<br />

Erbe.<br />

Denkmale und Kulturgüter sind aufgrund<br />

ihrer Authentizität und Anschaulichkeit<br />

besonders geeignet, „die Breite der<br />

Gesellschaft mit Geschichte und Kultur in<br />

Berührung zu bringen“, sind „das vielseitige<br />

und unterschiedliche kulturelle Erbe“,<br />

sind „Teil einer lokalen Identität“, sind „Teil<br />

unser europäischen Geschichte und<br />

Grundpfeiler unser kulturellen Vielfalt“,<br />

sind das „Verbindende der gemeinsamen<br />

kulturellen Wurzeln“.<br />

Denkmale und Kulturgüter bieten sich<br />

an, „gerade die jüngere Generation mit<br />

Geschichte und Kultur in Berührung zu<br />

bringen“, „Kinder und Jugendliche sowie<br />

die Menschen, die bislang nur bedingt<br />

Zugang zum kulturellen Erbe gefunden<br />

haben“ zu erreichen und den „gemeinsamen<br />

europäischen Kulturraum sichtbar zu<br />

machen“.<br />

Das bauliche und archäologische Erbe<br />

lässt auch „andere Aspekte des materiellen<br />

und immateriellen Kulturerbes (…) erfahrbar<br />

werden, (…) wie sie zum Bespiel in<br />

Museen und Archiven bewahrt, erforscht<br />

und präsentiert werden“.<br />

Unterstützt und gefördert werden sollen<br />

gesamtstaatlich bedeutsame Projekte<br />

durch die Beauftragte der Bundesregierung<br />

für Kultur und Medien (BKM). Der<br />

Programmbeirat und die Geschäftsstelle<br />

befinden sich beim Deutschen Nationalkomitee<br />

für Denkmalschutz in Berlin.<br />

Die EU hat für das Jahr des europäischen<br />

Kulturerbes 8 Mill. Euro, der Bund für ausgewählte<br />

Projekte rund 3,6 Mill. Euro zur<br />

Verfügung gestellt. Weitere Mittel sollen<br />

von den Ländern und kommunalen Spitzenverbänden<br />

kommen.<br />

Ein im Frühjahr d.J. gestarteter Aufruf zur<br />

Beteiligung am Kulturerbejahr wurde<br />

inzwischen von mehr als 200 Institutionen<br />

unterzeichnet. Aufgerufen ist die Zivilgesellschaft,<br />

alle, die das Anliegen unterstützen<br />

und fördern, bürgerschaftliches Engagement<br />

einbringen möchten.<br />

Mitwirken sollen möglichst alle öffentlichen<br />

und privaten Träger, Bewahrer und<br />

Vermittler des kulturellen Erbes, wie z.B.<br />

Museen, Gedenkstätten, Archive, Bibliotheken<br />

bzw. Verwaltungen, Eigner, Träger,<br />

Vereine, Fachgesellschaften, Förderkreise<br />

usw.<br />

Bislang 34 Projekte vom<br />

Bund gefördert<br />

Der Bund fördert bislang 34 Projekte im<br />

Rahmen des Europäischen Kulturerbejahres<br />

2018. „Die jetzt geförderten Projekte<br />

bieten neue Perspektiven und Zugänge<br />

zum kulturellen Erbe, regen an zur Entdeckerfreude,<br />

Auseinandersetzung und<br />

Selbstvergewisserung und tragen dazu<br />

bei, insbesondere Kinder und Jugendliche<br />

für das Kulturerbe zu begeistern …“.<br />

Der Aufruf zur Mitwirkung am Europäischen<br />

Kulturerbejahr 2018 befindet sich<br />

auf der Website www.dnk.de, kann dort<br />

gelesen und unterzeichnet werden.<br />

Auf der Plattform www.sharingheritage.eu<br />

befindet sich eine Vielzahl an Informationen<br />

zum Europäischen Kulturerbejahr<br />

2018 und hier vor allem zum Thema<br />

Denkmalschutz.<br />

Projektanträge sind mit einer formlosen<br />

E-Mail mit Projektbeschreibung unter<br />

contact@sharingheritage.eu an die SHA-<br />

RING HERITAGE Koordinierungsstelle zur<br />

Prüfung und Aufnahme einzureichen.<br />

Förderanträge mit Antragsformular können<br />

über die Hompage www.dnk.de des<br />

Deutschen Nationalkomitees für Denkmalschutz<br />

eingesehen und ausgedruckt werden.<br />

Förderanträge sind einzureichen bei der<br />

Beauftragten der Bundesregierung für Kultur<br />

und Medien (BKM) über die Geschäftsstelle<br />

des Deutschen Nationalkomitees für<br />

Denkmalschutz, Köthener Straße 2 in<br />

10963 Berlin und zwingend per Mail an:<br />

DNK@bkm.bund.de<br />

Johannes Rehder-Plümpe<br />

Quellen:<br />

- SHARING HERITAGE Europäisches Kulturerbejahr<br />

2018<br />

- DNK, Deutsches Nationalkomitee Denkmalschutz,<br />

Europäisches Kulturerbejahr<br />

2018<br />

- KMK Kultusministerkonferenz April 2016<br />

- epd, Evangelischer Pressedienst<br />

26 RUNDBLICK <strong>Herbst</strong> <strong>2017</strong>


Eine Oase für Kinder<br />

Naturspielplatz in Meyenburg<br />

Meinem Wohnhaus vis-a-vis am Meyenburger<br />

Dorfrand, dort, wo die Landstraße<br />

in Richtung Uthlede entlangführt, liegt ein<br />

kleines verwildertes Grundstück, tief<br />

beschattet von zahlreichen Laubbäumen.<br />

Efeu rankt sich um die Stämme und<br />

Gestrüpp und abgebrochenes Totholz versperren<br />

größtenteils den Zugang. Zur<br />

<strong>Herbst</strong>zeit entsorgen Nachbarn dort ihr<br />

zusammengekehrtes Laub. Früher, gleich<br />

nach dem letzten Kriege, stand an diesem<br />

Ort eine Wohnbaracke als bescheidene<br />

Behausung für ein älteres aus Westpreußen<br />

häuser errichten und natürliches Spielgut<br />

finden. Mir scheint es ein urmenschlicher<br />

Wesenszug zu sein, mit dem Nahen des<br />

Frühlings, dem Wachsen und Werden in<br />

der Natur kreativ nach zu eifern.<br />

So habe ich denn meine stille Freude am<br />

nimmermüden Treiben in unmittelbarer<br />

Nachbarschaft und beobachte die kleinen<br />

Akteure, wie sie Tag für Tag ein Spieldorf<br />

gestalten. Ich darf ungehindert Zaungast<br />

sein, weil mich meine neuen Nachbarn<br />

von der Schule her kennen. Mit meiner<br />

Fotokamera dokumentiere ich das emsige<br />

einem Spielplatz wie diesem, bleibt ihre<br />

Konkurrenz bescheiden.<br />

Über viele Wochen bis in den Sommer<br />

hinein in die ersehnte Ferienzeit nach den<br />

Zeugnissen hielt das Treiben an. Es entstanden<br />

ein Klettergarten, eine Gärtnerei,<br />

eine Apotheke, eine Post und eben auch<br />

ein Versammlungsraum für Clubmitglieder<br />

mit Ausweis. Den Mitbegründern wurde<br />

nämlich die ständige Neugier weiterer<br />

Dorfkinder zu lästig. An einem Schlagbaum<br />

sollten nicht erwünschte Ankömmlinge<br />

zurückgewiesen werden. Mich über-<br />

In der „Gärtnerei“<br />

Der Versammlungsplatz<br />

geflüchtetes Ehepaar. Der Abbruch des<br />

Häuschens hinterließ keinerlei Spuren. Es<br />

blieb eine abseitige Nische, ein stiller Winkel,<br />

wo sich natürliches Leben ungehindert<br />

entfalten konnte.<br />

Doch dann schlug erst kürzlich die<br />

Stunde der kleinen Pioniere aus dem Dorf.<br />

Die Osterferien nahten und die Märzensonne<br />

lockte ins Freie. Dieser Drang nach<br />

draußen, verbunden mit mutiger Entdeckerfreude,<br />

ist auch mir noch aus Kindertagen<br />

vertraut: Höhlen bauen, Baum-<br />

Geschehen. Mich überrascht die Intensität<br />

des Handelns beim Umsetzen sprudelnder<br />

Ideen.<br />

Moderne Spielplätze<br />

sind keine Konkurrenz<br />

Spielplätze mit sicherheitsüberprüften<br />

Geräten finden sich überall in unserer<br />

großen Gemeinde. Sie sind wohl allenthalben<br />

unverzichtbar. Doch verglichen mit<br />

raschte dieses Gebaren, das die Kinder als<br />

notwendig ansahen, weil es aus ihrer Sicht<br />

eine Not zu wenden galt.<br />

Als zur gleichen Zeit in unmittelbarer<br />

Nähe Meyenburgs erste und bislang einzige<br />

Verkehrsampel installiert wurde,<br />

meinten die kleinen Pioniere, diese sei<br />

wohl extra für ihr Spieldorf aufgestellt worden.<br />

Mir fiel es ausgesprochen leicht, diese<br />

Vermutung mit ihnen zu teilen. Also dann:<br />

Grünes Licht für unsere Kinder!<br />

Text und Fotos: Wilko Jäger<br />

Die „Apotheke“<br />

Eingang zum Kletterpark<br />

RUNDBLICK <strong>Herbst</strong> <strong>2017</strong><br />

27


Die Bremer Kahnschifffahrt<br />

Böcke, After, Bullen, Maß-Kähne auf der Weser<br />

Ein kleines Zweiständerhaus mit Reetdach<br />

am Weserdeich, vor 1830 erbaut, ist<br />

seit 1992 Domizil zweier Vereine, dem<br />

Schifferverein Rekum und Umgebung von<br />

1919 und dem <strong>Heimat</strong>verein Farge-<br />

Rekum, gegründet 1934 (1948). Dessen<br />

Vorläufervereine gehen jedoch auch auf<br />

die Zeit um den Ersten Weltkrieg zurück.<br />

Das war zum einen der Verein für Gemeinwohl<br />

Rekum (1919) und der Bürgerverein<br />

Farge (bis 1912, wiedergegründet 1927).<br />

Das heute Kahnschifferhaus genannte<br />

Gebäude wurde als Anbauerstelle erbaut,<br />

über Jahre von Kleinbauern genutzt,<br />

jedoch zum Ende des 19. Jahrhunderts von<br />

Schiffern und einem Kahnknecht<br />

bewohnt.<br />

Der Berufszweig des<br />

Kahnschiffers entstand im<br />

19. Jahrhundert<br />

Aus den Unterlagen des <strong>Heimat</strong>vereins<br />

Farge-Rekum e.V. und dessen Internetseite<br />

www.heimatverein-farge-rekum.de ist zu<br />

entnehmen:<br />

Im 19. Jahrhundert versandete die<br />

Weser immer mehr, zudem waren die<br />

Schiffe größer geworden und konnten den<br />

Weserkahn „Franzius“<br />

Frachtkahn „Weserkahn“<br />

Hafen an der Schlachte in Bremen nicht<br />

mehr erreichen. So übernahmen den<br />

Warentransport auf der Weser von und<br />

nach Bremen mehr und mehr kleinere<br />

Schiffstypen wie der „Weserkahn“, der<br />

Berufszweig des „Kahnschiffers“ entstand.<br />

Bald gab es mindestens elf selbstständige<br />

Schiffer In den Häusern „Unterm<br />

Berg“ am Weserdeich in Rekum. Deren<br />

hölzerne Segelkähne hatten eine Ladefähigkeit<br />

von 60-180 Tonnen. Ab 1885<br />

wurden die Segelkähne nach und nach<br />

durch Schleppkähne ersetzt. Das waren<br />

Schiffe aus Eisen ohne eigene Maschine<br />

mit bis zu 1400 Tonnen Tragfähigkeit.<br />

1914 verkehrten etwa 400 bis 450 dieser<br />

Schleppkähne auf der Weser. Allein der<br />

„Norddeutsche Lloyd“ hatte an die 170<br />

Schleppkähne im Einsatz. Die Hochzeit des<br />

„Weserkahns“ war vorbei.<br />

Weserkahn war spezieller<br />

Schiffstyp auf der Weser<br />

Schon im 17. Jahrhundert war auf der<br />

Weser als Frachtkahn ein spezieller Schiffstyp<br />

unterwegs, der später als „Weserkahn“<br />

oder als „Bremer Kahn“ bezeichnet wurde.<br />

Diese wurden eingesetzt, um Waren auf<br />

der Weser vor allem zwischen Bremen,<br />

Vegesack und Geestemünde, Bremerhaven,<br />

jedoch auch zu den kleineren Häfen<br />

an der Weser und ihren Nebenflüssen zu<br />

transportieren. Größere Weserkähne wurden<br />

auch in der Küstenschifffahrt eingesetzt.<br />

Im 19. Jahrhundert war die Weser vollkommen<br />

versandet, Schiffe mit größerem<br />

Tiefgang konnten den Warenumschlagplatz<br />

an der Schlachte in Bremen nicht<br />

erreichen. Den Warentransport übernahmen<br />

kleinere Schiffstypen, die „Weserkähne“.<br />

Diese sicherten über einen langen<br />

Zeitraum die Stellung Bremens als Hafenstadt.<br />

In der Blütezeit der Weserkähne<br />

befuhren mehr als 200 Schiffe dieser Art<br />

die Weser. Die Fracht der großen Segelschiffe,<br />

der Windjammer aus Übersee,<br />

musste in den kleinen Seehäfen an der<br />

Küste und Unterweser auf die Lastensegler<br />

mit geringem Tiefgang umgeladen werden.<br />

Auf der Rückfahrt von Bremen über<br />

die Unterweser an die Küste nahmen die<br />

Frachtsegler bis zum Bau der Eisenbahn<br />

nach Geestemünde/Bremerhaven Auswanderer<br />

mit, die dort auf die Großsegler<br />

umstiegen, um nach Übersee zu gelangen.<br />

Ab 1888 nach Abschluss der „großen<br />

Weserkorrektion“ durch den Wasserbauingenieur<br />

und bremischer Oberbaudirektor<br />

Ludwig Franzius (1832-1903), mit der<br />

Begradigung und Vertiefung der Unterweser<br />

und der Fertigstellung des neuen<br />

„Europahafens“ konnten wieder Schiffe<br />

mit größerem Tiefgang Bremen erreichen.<br />

Weserkähne verschwanden nach und nach<br />

von der Weser und „aus dem alltäglichen<br />

Bild der Flussregion Unterweser“.<br />

Bis zu dieser Zeit hatten sich die Schiffe<br />

auf der Weser dem natürlichen Flusslauf<br />

angepasst.<br />

Nun wurde der Fluss, wurde die Natur<br />

der technischen Weiterentwicklung, den<br />

wachsenden Tonnagen und Tiefgängen<br />

der Schiffe angepasst. Die Weser wird bis<br />

heute immer wieder ausgebaggert, um<br />

immer größeren Schiffen das Anlaufen der<br />

bremischen Häfen zu ermöglichen.<br />

Ein „Weserkahn“ ist ein Plattbodenschiff<br />

mit großen Seitenschwertern und ist für<br />

gewöhnlich ein Ein- oder Anderthalbmaster<br />

mit einer Gaffeltakelung. Die Schiffe<br />

waren je nach Größe zwischen 12 und 25<br />

Meter lang, zwischen vier und sieben<br />

Meter breit und gingen zwischen einein-<br />

Seitenriss eines Weserkahns<br />

28 RUNDBLICK <strong>Herbst</strong> <strong>2017</strong>


halb und drei Meter tief. Die größten<br />

Schiffe hatten bis zu 120 BRT. Je nach<br />

Größe bestand die Besatzung aus zwei bis<br />

vier Leuten.<br />

Weserkähne hatten durch den platten<br />

Boden einen „flachen Spiegel“, einen „auffällig<br />

großen vorderen Sprung“ und große<br />

Laderaumöffnungen. Diese waren mit<br />

Lukenabdeckungen in Spitzdachform versehen.<br />

Der geringe Tiefgang ermöglichte<br />

Fahrten in flachen Gewässern und auch ein<br />

Trockenfallen bei Ebbe im Wattenmeer in<br />

der Küstenschifffahrt.<br />

Gebaut wurden die Schiffe in den kleinen<br />

und mittleren Bootsbauwerften an der<br />

Unterweser und in Bremen. Jede Werft<br />

hatte eine eigene handwerkliche Bauart.<br />

„Böcke“ waren<br />

Schleppkähne, die<br />

getreidelt wurden<br />

Die größten Weserkähne mit bis zu 36<br />

Metern Länge, aber nur drei Metern Breite<br />

wurden als „Böcke“ bezeichnet. Das waren<br />

Schleppkähne, die getreidelt werden mussten.<br />

40 bis 70 Personen, die „Lienlooper“,<br />

zogen den Kahn an langen Leinen vom<br />

Ufer aus gegen die Strömung. Auch Pferde<br />

kamen als Zugtiere zum Einsatz. Diese<br />

Kähne konnten Lasten bis zu 250 Tonnen<br />

aufnehmen und wurden meist im Flussgebiet<br />

südlich der Weser eingesetzt. Eine<br />

etwas kleinere Art der Schleppkähne auf<br />

der Weser hießen „After“, auch „Achterhang“.<br />

Diese wurden an die „Böcke“<br />

angehängt und konnten Lasten bis zu 50<br />

Tonnen transportieren. Die kleinste Art der<br />

Schleppkähne im Wesergebiet mit Lasten<br />

bis zu 20 Tonnen wurde „Bulle“ genannt.<br />

Auf der Weser waren noch in den<br />

1950er Jahren Schleppzüge zusammengestellt<br />

aus Weserkähnen und Schleppkähnen<br />

ein alltägliches Bild.<br />

In der Binnenschifffahrt gibt es auch<br />

heute noch einen „Weserkahn“. Der<br />

„Weser-Maß-Kahn“ ist ein genormtes Binnenschiff<br />

eingeteilt in Klassen. Im Idealfall<br />

sind diese 60,50 Meter lang, 8,80 Meter<br />

breit, haben einen Tiefgang von 1,90<br />

Meter und können 650 Tonnen tragen.<br />

Heute ist kein „Weserkahn“ mehr im<br />

Original erhalten. Bei Ausgrabungen<br />

wurde ein Weserkahn aus dem 17. Jh. am<br />

Rande der Bremer Innenstadt frei gelegt.<br />

Im Jahre 1999 wurde auf der Werft „Bremer<br />

Bootsbau Vegesack“ in moderner<br />

formverleimter Holzbauweise ein Nachbau<br />

erstellt, der den Namen „Franzius“ erhielt.<br />

Dieser hat eine Länge von 28 Metern, eine<br />

Breite von 6,50 Metern und eine Segelfläche<br />

von 273 qm. Heute ist der Verein<br />

„Bremer Weserkahn Franzius“ Eigner.<br />

Die „Franzius“ sticht regelmäßig zu<br />

Gästefahrten in See, kann für Tagesausflüge<br />

oder für Fahrten ins Wattenmeer<br />

gebucht werden. www.franzius-weserkahn.de.<br />

Johannes Rehder-Plümpe<br />

Quellen<br />

- Johannes Rehder-Plümpe, Auszüge aus<br />

Bericht „Canal Link“ für Landkreis Osterholz,<br />

Bremen 2005<br />

- Wikipedia „Weserkahn“, wikipedia.org<br />

- Weserkahn „Franzius“ www.franziusweserkahn.de<br />

- Radio Bremen Eins, 16. Sept. <strong>2017</strong>,<br />

www.radiobremeneins/serien/hier ....<br />

Redaktionssitzung<br />

Freundlicher Empfang im Kahnschifferhaus<br />

Am 22. Juli <strong>2017</strong> weilten wir zur Redaktionskonferenz<br />

im „Kahnschifferhaus“ in<br />

Farge-Rekum. Dieses ehemalige Zweiständerhaus<br />

aus dem Jahr 1800 konnte vor<br />

einigen Jahren vom „<strong>Heimat</strong>verein Farge-<br />

Rekum e.V.“ und dem „Schifferverein<br />

Rekum und Umgegend von 1919 e.V.“<br />

erworben und restauriert werden.<br />

Es erfüllt heute vielfältige Zwecke für<br />

Verwaltung, Ausstellungen und Besichtigungen.<br />

Der Berufszweig des „Kahnschiffers“<br />

bildete sich in der 2. Hälfte des 19. Jh.<br />

heraus, als durch die Versandung der<br />

Weser größere Schiffe nicht mehr Bremen<br />

erreichen konnten, sondern die Häfen der<br />

Wesermündung anliefen. Für den Verkehr<br />

zwischen diesen und Bremen wurden kleinere<br />

Schiffstypen eingesetzt, die für den<br />

Warentransport sorgten.<br />

So waren viele „Kahnschiffer“ in Rekum<br />

ansässig.<br />

Zur Sitzung:<br />

Verleger Jürgen Langenbruch begrüßte<br />

den Gastgeber, Herrn Wolfgang Kobbe,<br />

die Redakteure und Gäste. Herr Kobbe<br />

erzählte aus der Geschichte des Hauses<br />

und von den vielfältigen Aktivitäten seines<br />

Vereins, während seine liebenswürdige<br />

Tochter sich um die Verpflegung mit Kaffee<br />

und Kuchen kümmerte.<br />

Die Entwicklung der Abonnentenzahlen<br />

ist leicht rückläufig, es ist sehr schwer, neue<br />

Interessenten zu finden. Für Werbemaßnahmen,<br />

insbesondere auf Veranstaltungen,<br />

steht eine Werbetheke auf Anforderung<br />

zur Verfügung.<br />

Eine Praktikantin des Verlags hat eine<br />

Datei mit allen Artikeln, nach Autoren und<br />

Thema sortierbar, erstellt.<br />

Nach einem Rückblick auf die letzte Ausgabe<br />

gaben die Anwesenden ihre Artikelthemen<br />

für die <strong>Nr</strong>. <strong>122</strong> bekannt. Die<br />

geplante Leserreise wurde noch einmal<br />

angekündigt, leider musste sie inzwischen<br />

aufgrund mangelnder Teilnahme storniert<br />

werden. Nach reger Diskussion und einem<br />

Schlusswort löste sich die Versammlung<br />

auf - bis zum nächsten Mal!<br />

Text: Jürgen Langenbruch<br />

Fotos: Maren Arndt<br />

RUNDBLICK <strong>Herbst</strong> <strong>2017</strong><br />

29


Der Staatsforst Düngel bei Meyenburg<br />

Ein Streifzug durch seine Geschichte<br />

Nordöstlich von Meyenburg erstreckt<br />

sich bis zur Feldmark des Dorfes Lehnstedt<br />

der Forst Düngel. Es handelt sich um ein<br />

uraltes Waldgebiet, das bereits zu germanischer<br />

Zeit als Thingloh mit einer Versammlungs-<br />

und Gerichtsstätte Bedeutung<br />

hatte. Davon leitet sich auch der<br />

Name ab.<br />

Megalithgräber sind<br />

steinerne Zeugen<br />

Als steinerne Zeugen einer Besiedlung<br />

vor etwa 5000 Jahren verblieben mächtige<br />

man einstmals der Meinung, dass derartige<br />

Steinkolosse nur von solchen Giganten<br />

bewältigt werden konnten. So brachte<br />

noch vor etwa 400 Jahren der Gelehrte<br />

Johan Picardt aus Amsterdam diese Zeichnung<br />

heraus. Folgt man dem Mythos<br />

unserer Vorfahren vom Diesseits und Jenseits<br />

im menschlichen Dasein, immmer<br />

getrennt durch einen Wasserlauf, so lässt<br />

sich diese Vorstellung auf Meyenburg<br />

bezogen augenfällig belegen. Der Bachlauf<br />

der Mühlbeeke, später Flutgraben,<br />

begrenzt jene zwei Welten deutlich. Vom<br />

Brakland, wo mehrere bronzezeitliche<br />

für gesellschaftliche Vergnügungen sorgten.<br />

Standort der Staleke<br />

im Düngel?<br />

Da Hagen gerade Erwähnung findet,<br />

scheint eine neuerliche Annahme des<br />

Historikers Dr. Bernd Ulrich Hucker erwähnenswert.<br />

Er glaubt nämlich, den wahren<br />

Standort der legendären Staleke mit dem<br />

Gerichtsstuhl im Düngel zu vermuten. Der<br />

von Hermann Allmers besungene Baum<br />

vor dem Schloss zu Hagen ist erst seit dem<br />

„Grenzübergang“ aus zwei stattlichen Rotbuchen<br />

Megalithgräber. Archäologen gehen<br />

davon aus, dass diese Steinsetzungen als<br />

Auftragsarbeiten erstellt wurden. Baukundige<br />

Spezialisten mit dem nötigen Wissen<br />

über Transport und Hebelkraft sollen für<br />

ihre Errichtung bemüht worden sein. Im<br />

Volksmund ist auch die Bezeichnung<br />

Hünengräber gebräuchlich, die aus<br />

Hünensteinen gebaut wurden. In der<br />

Mythologie werden sie auch mit<br />

Hünenmenschen (Riesen) in Verbindung<br />

gebracht. Selbst in der Wissenschaft war<br />

Grabhügel nachgewiesen wurden, bis hin<br />

zum Düngel mit seinen Großsteingräbern,<br />

erstreckt sich das einstmals jenseitige Reich<br />

der Verstorbenen.<br />

Einst bevorzugtes<br />

Jagdrevier<br />

Idyllische Wege laden zum Spaziergang ein<br />

Der Düngel galt auch einmal als bevorzugtes<br />

Jagdrevier der Bremer Erzbischöfe,<br />

die als Landesherren in ihrer Sommerresidenz,<br />

der Burg zu Hagen, standesgemäß<br />

18. Jahrhundert bezeugt. Die älteste<br />

Erwähnung einer Staleke iuxta castrum<br />

Haghen datiert aus dem Jahre 1248. Dieser<br />

Baum könnte ein Grenzpunkt zwischen<br />

dem Gericht Meyenburg und der Vogtei<br />

Hagen gewesen sein.<br />

Im Zuge der Naherholung bietet sich der<br />

Düngel für ausgedehnte Spaziergänge und<br />

Wanderungen an. Aufgelockert durch vielerlei<br />

Laubgehölze vermittelt er natürliche<br />

Anmut und Farbstimmungen im Wechsel<br />

der Jahreszeiten. Besonders beeindruckend<br />

Großsteingräber im und am Düngel<br />

Zeichnung von Johan Picardt aus Amsterdam<br />

30 RUNDBLICK <strong>Herbst</strong> <strong>2017</strong>


Der „Woolddüwel“, Karikatur von Anna Seebeck<br />

ist ein „Grenzübergang“, gebildet aus zwei<br />

stattlichen Rotbuchen nahe der alten Hofstelle<br />

Seedorf, die schon seit dem Jahre<br />

1110 urkundlich bezeugt ist.<br />

Leider erfuhr dieses einst so abgelegene<br />

Waldgebiet eine gravierende Zäsur durch<br />

den Bau der A 27 zur Mitte der 70iger Jahre<br />

im vorigen Jahrhundert. Zu allem Überfluss<br />

wurde damals auch noch ein riesiges<br />

Waldstück für die zunächst geplante Raststätte<br />

„Seedorfer Holz“ gefällt.<br />

Vor über 100 Jahren residierte im Düngel<br />

der sogenannte „Woolddüwel“. Vom<br />

Hörensagen her trug er diesen außergewöhnlichen<br />

Spitznamen. Er soll der Prototyp<br />

eines gestrengen Waldhüters gewesen<br />

sein. Hatte der gefürchtete Förster einmal<br />

emsige Beerensammler ohne amtliche<br />

Genehmigung erwischt, riss er ihnen oftmals<br />

das Sammelgefäß aus den Händen,<br />

schüttete den mühsam zusammengetragenen<br />

Inhalt auf den Waldboden und zertrat<br />

ihn zornig.<br />

Anna Seebeck, ein begabtes Meyenburger<br />

„Original“ aus jener Zeit, hatte die Auftritte<br />

des „Woolddüwels“ selbst erlebt und<br />

ihren Zeichenstift zwecks Karikatur<br />

bemüht.<br />

Ein äußerst agiler und fachlich mitteilsamer<br />

Forstmann war dagegen Gerold Müller.<br />

Bis zum heutigen Tag verbindet mich<br />

mit ihm eine herzliche Freundschaft. Er<br />

brachte es fertig, binnen kurzer Zeit einen<br />

Waldlehrpfad im Düngel einzurichten und<br />

stellte eigens dafür eine launig verfasste<br />

und wissenswerte Broschüre zuammen.<br />

Als er mit seiner Familie 1977 den Düngel<br />

verließ, um bei Wiesmoor in Ostfriesland<br />

ein „Traumrevier“ zu betreuen, schrieb ich<br />

ihm ins Gästebuch:<br />

Abschied vom Düngel<br />

Die Ricke ist ganz außer sich,<br />

läßt wieder mal ihr Kitz im Stich.<br />

Der Specht, soweit er trommeln kann,<br />

verbreitet es per „Trommelgramm“.<br />

Die Taube ist noch ganz verstört,<br />

es sei denn, sie hat sich verhört,<br />

weil, das ist oft schon hier passiert,<br />

sie sich mit ihrem Ruf blamiert,<br />

denn der, der so verlangend lockte,<br />

ganz unverblümt im Forsthaus hockte.<br />

Der Fuchs klemmt seine Lunte ein.<br />

Im Schmerz möcht’ er allein(e) sein.<br />

Kurzum: Des Düngels Kreatur<br />

klagt pausenlos in Moll und Dur.<br />

Bald weiß es auch das letzte Tier:<br />

Der Gerold wechselt das Revier.<br />

„Ja, ja, das hab’ ich gleich gewußt.<br />

Das Wandern ist des Müllers Lust“,<br />

meint Meister Lampe ganz lakonisch.<br />

Zwei Eulen finden das ironisch<br />

und senken schluchzend ihre Lider:<br />

„Ihn zieht es ja zur <strong>Heimat</strong> wieder.“<br />

Und fragt man euch, wie ihr das findet,<br />

was euch der Förster dort verkündet<br />

im Kreise, wo die Weser mündet.<br />

So hält man’s erst für einen Jux,<br />

wie das mit diesem blöden CUX.<br />

Manch einer es nicht fassen kann:<br />

„Dat weer doch just de rechte Mann!“<br />

Ein „Univers(i)algenie“<br />

für unsere Weiße Industrie.<br />

Und die Verwaltung – ohne Zagen –<br />

bekennt: „Das will uns nicht be-Hagen!“<br />

Wir fürchten jetzt der Zeiten schlimme,<br />

denn er ist unsere beste Stimme!“<br />

Der Uthleder Kirchenboß,<br />

der „Schwarzkittel“, der Pastor Voss,<br />

kommt auf Anhieb zum Ergebnis:<br />

Müller = Naturerlebnis.<br />

Und Dr. Aust, im weiten Land<br />

durch seine „Wühlarbeit“ bekannt,<br />

erklärt mit Falten im Gesichte:<br />

„Die Sache hat auch Vorgeschichte!“<br />

Auch im Dorfe Meyenburg<br />

sickert diese Nachricht durch.<br />

Jetzt wird, so kann man es hier hören,<br />

wohl niemand mehr im Düngel röhren.<br />

Sheriff Freddy und die Bauern<br />

Försters Abschied tief bedauern.<br />

doch darin sind sich alle einig,<br />

die Art, es ihm zu danken, mein’ ich.<br />

Waidmannsheil gilt diesem Mann,<br />

der, weil er glüht, auch zünden kann.<br />

Text und Fotos: Wilko Jäger<br />

Großsteingräber im und am Düngel Das ehemalige Forsthaus im Düngel um 1960<br />

RUNDBLICK <strong>Herbst</strong> <strong>2017</strong><br />

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