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Materialsammlung - Theater Marburg

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Arbeitsteilung, der Beschränkung der Frau auf häusliche Tätigkeiten, Kindergebären und -aufzucht,<br />

der rechtlichen Ungleichstellung der Frau, ihrer Verwandlung in das faktische oder sogar rechtliche<br />

Eigentum des Mannes durch ein entsprechendes Erbfolgerecht. Wenn sich so auch das<br />

Familienwesen in ein Eigentumsverhältnis verwandelt, ist es nur folgerichtig, dass bei einem<br />

Zerbrechen dieser Gemeinschaft auch der Streit um das »Eigentum Kind« beginnt. Unter den<br />

Bedingungen des Patriarchats wird dabei die Frau als Mutter immer die geringeren Chancen haben,<br />

zu ihrem Anteil an diesem »biologischen Eigentum« zu kommen. Sie wird um so geringere<br />

Chancen haben, wenn sie einer anderen Rasse angehört und keine gleichen staatsbürgerlichen und<br />

zivilrechtlichen Rechte besitzt. Wenn schon das Verlassen werden durch den Mann zu einer hohen<br />

Affektation der Frau führen kann und zu einer noch höheren führen muss, wenn damit auch das<br />

Recht auf das gemeinsame Eigentum Kind eingeschränkt wird, so wird die äußerste und<br />

wirksamste Reaktion fast zwangsläufig in der »Medea-Lösung« bestehen, nämlich sich am Mann<br />

auch und gerade dadurch zu rächen, dass ihm sein Nachwuchs genommen wird. Dass diese<br />

»Medea-Lösung« nach dem Zusammenbruch des westlichen, aber auch östlichen Kolonialismus<br />

nach dem Zweiten Weltkrieg in gesteigertem Maße gesucht und gewählt wurde, ist nur folgerichtig,<br />

wenn die Mütter nicht nur der Kinder beraubt wurden, sondern selbst das Asyl- oder<br />

Aufenthaltsrecht verloren hatten und abgeschoben wurden. Die »Medea-Lösung« trägt sich aber<br />

nicht weniger häufig bei heutigen ethnischen, rassischen und religiösen Konflikten zu. Aber auch in<br />

Gesellschaften, in denen durch eine entsprechende Gesetzgebung der beiderseitige Anteil<br />

geschiedener Ehe- oder anderer Gemeinschaftspartner am »Eigentum Kind« geregelt ist, ist eine<br />

solche »Medea-Lösung« nicht ausgeschlossen. Ob aus dem Gefühl der Benachteiligung oder aus<br />

purer Eifersucht, ob aus Neid auf »neues Glück« des Partners oder aus unbezähmbarer Eigensucht<br />

heraus, ist auch in unserer Gesellschaft die »Medea-Lösung« im Anwachsen.<br />

Aber wenn in der Tragödie Médée von Pierre Corneille im Jahr 1635 erstmals auch der Vater aus<br />

Rachsucht an der Mutter willens ist, die eigenen Kinder zu töten, so ist diese Bereitschaft<br />

inzwischen zu einem Tatbestand geworden, der eine ganze Gesellschaft zum öffentlichen<br />

Nachdenken veranlasst. Am 17. Februar 1997 fand sich in der Berliner Zeitung ein Bericht mit dem<br />

Titel »Eltern ermorden ihre Kinder«. Falk Medeja berichtete darin aus Amsterdam, dass in den<br />

Niederlanden eine öffentliche Debatte darüber geführt werde, dass bei Scheidungen oder sonstigen<br />

Familienzerwürfnissen nicht nur Mütter, sondern auch Vätzer ihre Kinder in den Freitod mitnehmen:<br />

»In immer kürzeren Abständen wird die niederländische Öffentlichkeit von entsetzlichen Morden<br />

aufgeschreckt. In nur zwei Monaten gab es fünf dieser Fälle. 1996 waren es neun Fälle von 17 toten<br />

Kindern.« Der New Yorker Psychologe Charles Ewing, der das Phänomen seit 20 Jahren untersucht,<br />

hält solche Morde an eigenen Kindern für eine »aus dem Ruder gelaufene Abstrafung« des<br />

verlorenen Ehepartners.<br />

Zusammenfassend lässt sich aber in Bezug auf die »Medea-Lösung« als spezifische Form<br />

weiblicher Rache am männlichen Partner auf alle Fälle sagen, dass der Medea-Mythos seine<br />

tödliche Lebenskraft solange bewahren und ausstrahlen wird, solange die Frau ein erniedrigtes und<br />

beleidigtes, nur eingeschränkte Freiheiten genießende Geschlechts- und Gesellschaftswesen ist.<br />

Zu einem solchen Bewusstsein beigetragen zu haben und beizutragen, ist auch das Verdienst<br />

dramatischer Dichter von Euripides bis Heiner Müller.<br />

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