GSa Heft 90 Mai 2005_komplett
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Thema: VERA – Die Diskussion geht weiter<br />
hen« und »neu«.) bemängelt Bartnitzky,<br />
hier werde »nichts von dem (gezeigt), was<br />
für den Lernbereich Sprachbetrachtung<br />
[…] wichtig ist. Dies nämlich sind die<br />
Denkleistungen der Kinder, die hinter den<br />
Entscheidungen für eine Wortart stehen.«<br />
(S. 12) – Zunächst: Nach wie vor ist jedenfalls<br />
auch wichtig, ob die Kinder zu richtigen<br />
oder falschen Ergebnissen kommen.<br />
Darüber hinaus ist gar nicht ausgemacht,<br />
ja eher unwahrscheinlich, dass Kinder im<br />
Rahmen eines Tests ihre Entscheidungen<br />
angemessen verbalisieren können. Sollen<br />
sie etwa einen kleinen Text schreiben?<br />
Das wäre zeitaufwändig und eine objektive<br />
Auswertung sehr schwierig. Wie<br />
seinem Anliegen im Rahmen eines Tests<br />
Rechnung getragen werden könnte, erörtert<br />
Bartnitzky leider mit keinem Wort.<br />
Vielmehr wendet er sich generell gegen<br />
das »rasch Angekreuzte« und »reines Abfragen«<br />
(S. 12), so dass erneut der Eindruck<br />
entsteht, es gehe nicht speziell um VERA,<br />
sondern um die Kritik an standardisierten<br />
Tests überhaupt.<br />
2.4 Aufgaben zur Orthografie<br />
Bartnitzky mutmaßt, die Testkonstrukteure<br />
wären auf Satzdiktate gekommen,<br />
weil sie aus ihrer eigenen Schulzeit<br />
nichts anderes kennen würden. Für die<br />
Orthografie stand nur sehr wenig Zeit zur<br />
Verfügung. Statt irgendeiner Version von<br />
Diktat hätte man z. B. auf orthografische<br />
Aspekte von »freien« Texten setzen können.<br />
Diese Option verbietet sich aber aus<br />
nahe liegenden Gründen. Daraus, dass<br />
jemand einen orthografisch einfachen<br />
Text richtig schreibt, folgt ja nicht, dass er<br />
leistungsfähiger ist als jemand, der einen<br />
orthografisch anspruchsvollen Text mit<br />
vielen Fehlern schreibt. Und: Dass unter<br />
den restriktiven Bedingungen eines standardisierten<br />
Tests auf eine Diktatversion<br />
gesetzt wird, impliziert nicht, dass nun<br />
auch in »normalen« Lernsituationen Diktate<br />
als Königsweg der Überprüfung von<br />
Rechtschreibwissen zu verstehen wären.<br />
»Jeder Satz hat seine Tücken, deshalb<br />
wurde er so konstruiert.« – Was hier,<br />
Bartnitzkys Stil entsprechend, negativ<br />
formuliert ist, lässt sich auch anders fassen.<br />
Es geht darum, Fehlerschwerpunkte<br />
auszumachen, eine qualitative Diagnose<br />
als Voraussetzung für eine gezielte Förderung<br />
zu leisten.<br />
2.5 Ein knappes Fazit<br />
Der außerordentlich scharfe Ton der Kritik<br />
Bartnitzkys an VERA erweist sich als völlig<br />
unangemessen. So blendet er Restriktionen,<br />
die mit einem standardisierten Test<br />
nun mal gegeben sind, systematisch aus<br />
und seine Lesart von Aufgaben sind zum<br />
Teil tendenziös, zum Teil auch (im Fall des<br />
Textes »Christian«) rational nicht mehr<br />
nachvollziehbar. Was Details angeht, so<br />
sind einige seiner Hinweise allerdings<br />
durchaus hilfreich.<br />
Wir finden es sehr bedauerlich, dass<br />
Bartnitzky auf die im Kontext von VERA<br />
formulierten Hypothesen über Fähigkeitsniveaus<br />
in den Kompetenzbereichen<br />
Lesen, Schreiben, Sprachbetrachtung und<br />
Orthografie nicht genauer eingegangen<br />
ist. Darüber hinaus erwähnt er mit keinem<br />
Wort, dass im Rahmen von VERA<br />
versucht wurde, Gesichtspunkten eines<br />
fairen Vergleichs Rechnung zu tragen.<br />
Es ist zu hoffen, dass seine Darstellung<br />
nicht das letzte Wort des Grundschulverbandes<br />
ist.<br />
3 Zu Selters Kritik<br />
der VERA-Aufgaben<br />
im Fach Mathematik<br />
Auch Selter hat in seinem Artikel eine<br />
Reihe von Kritikpunkten genannt, die wir<br />
als konstruktive Hinweise zur Kenntnis<br />
nehmen. Dies heißt jedoch keineswegs,<br />
dass wir mit allen genannten Aspekten<br />
einverstanden sind. Erneut kann aus<br />
Platzgründen nur auf einige wenige<br />
Punkte eingegangen werden.<br />
Selter bemängelt in Bezug auf Aufgabe<br />
2 (Arithmetik), dass »in manchen<br />
Bundesländern […] die Vorrangregel<br />
›Klammer vor Punkt- vor Strichrechnung‹<br />
erst Inhalt des 4. Schuljahres« sei und<br />
weiter, bezogen auf alle Arithmetikaufgaben:<br />
»Die Aufgabenanforderung entstammt<br />
zudem nicht dem Kernbereich<br />
des Arithmetikunterrichts der Klassen 1<br />
bis 4, so wie ihn die einzelnen Lehrpläne<br />
und die bundesweiten Bildungsstandards<br />
vorsehen.«<br />
Dies ist so nicht korrekt: Im Lehrplan<br />
Schleswig-Holsteins ist bereits für Klasse<br />
3 die Behandlung des Stoffes vorgesehen<br />
(S. 84). Für alle übrigen Bundesländer sind<br />
die Inhalte des Mathematik-Unterrichts<br />
der Klassen 3/4 im Lehrplan/Rahmenplan<br />
zusammengefasst, z. B. in der Lehrplanversion<br />
für Brandenburg (S. 36). Selbstverständlich<br />
werden nicht alle Kinder zu<br />
Beginn der vierten Klasse den gesamten<br />
Stoff kennen gelernt haben. Dass daraus<br />
nicht gefolgert werden kann, dass nur<br />
Inhalte der Klassenstufen 1/2 in einem<br />
solchen Test abgefragt werden dürfen,<br />
war oben schon dargelegt worden.<br />
Bezüglich der zentralen Aufgabe 9<br />
(Geometrie) kritisiert Selter: »… dass<br />
vernünftige Leistungen von Kindern<br />
nicht immer angemessen berücksichtigt<br />
werden. Die Figur beispielsweise durch<br />
das Anzeichnen eines zweiten Rechtecks<br />
zu erweitern und eine Symmetrieachse<br />
einzuzeichnen, ist eine produktive Leistung.<br />
[…] Nirgendwo steht aber explizit,<br />
dass man die vorgegebenen Figuren nicht<br />
verändern darf.« Die Aufgabenstellung<br />
ist jedoch eindeutig: Alle Spiegelachsen<br />
sollen (in die abgebildete Figur) eingetragen<br />
werden. Dem Arbeitsauftrag<br />
entsprechend wird es nur als vollständig<br />
richtige Lösung gewertet, wenn alle Spiegelachsen<br />
eingetragen wurden. Anders<br />
ist eine objektive Auswertung nicht zu<br />
realisieren. Wenn man erlaubt, dass die<br />
Figur verändert werden darf: Was ist dann<br />
eine richtige Lösung? Die Einzeichnung<br />
aller (also unendlich vieler) Spiegelachsen<br />
außerhalb der Figur? Der geneigte Leser<br />
ist eingeladen, selbst eine Korrekturanweisung<br />
hierzu zu entwerfen, die alle<br />
möglichen Antworten der Kinder umfasst<br />
und kategorisiert. Selter schreibt zur zentralen<br />
Aufgabe 10 (Sachrechnen/Größen):<br />
»Die Antwort C anzukreuzen, würde der<br />
(häufig in der Schule vermittelten) Alltagserfahrung<br />
entsprechen, dass große<br />
Mengen relativ gesehen günstiger sind.«<br />
Dies ist korrekt. Allerdings soll in der<br />
Schule auch über Alltagserfahrungen<br />
Hinausgehendes erlernt werden, z. B. die<br />
situationsangemessene Überprüfung<br />
solcher Erfahrungen unter Nutzung<br />
mathematischer Hilfsmittel.<br />
Abschließend ist noch anzumerken,<br />
dass die Aufgaben unter Mitarbeit von<br />
Lehrkräften und Fachdidaktikern entwickelt<br />
und auf Konformität mit den Lehrplänen<br />
und Standards überprüft wurden.<br />
Albert Bremerich-Vos, Jana Groß<br />
Ophoff, Andreas Helmke, Ingmar<br />
Hosenfeld, Sonja Wagner<br />
6 GSV aktuell <strong>90</strong> • <strong>Mai</strong> <strong>2005</strong>