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soziologie heute August 2016

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Seit den Ereignissen von 9/11<br />

spricht man in einschlägigen Kreisen<br />

von einer neuen Form des Terrorismus.<br />

Direktes Ziel terroristischer<br />

Aktionen sind nicht mehr nur staatliche<br />

Einrichtungen und politische<br />

Repräsentanten; direkte Ziele sind<br />

vordringlich Zivilisten – Touristen,<br />

Konzertbesucher, Pilger, (U-)Bahn-<br />

Reisende, Kirchenbesucher, Flugpassagiere,<br />

Besucher von Einkaufszentren<br />

usf. Überall dort, wo es<br />

Menschenansammlungen gibt, wo<br />

Menschen fernab der Politik ihrem<br />

Alltag nachgehen, hinterlässt diese<br />

neue Form des Terrorismus ihre<br />

Spuren. Man spricht von „weichen<br />

Zielen“, also ungeschützten oder<br />

unter normalen Umständen nicht<br />

zu schützende Zielen, Orten des<br />

öffentlichen Lebens mit vielen Menschen<br />

oder auch einer weitreichenden<br />

wichtigen Infrastruktur. Indirekt<br />

werden damit die Regierungen unter<br />

Druck gesetzt. Sie werden für<br />

fehlende oder mangelnde Sicherheitsvorkehrungen<br />

angeprangert,<br />

reagieren mit erhöhter Polizei- und<br />

Militärpräsenz, verstärkten Überwachungsmaßnahmen<br />

bis hin zu Ausgangssperren.<br />

Im Kampf gegen den Terror drohen<br />

Staaten zu Präventionsstaaten zu<br />

werden, welche Polizei und Geheimdiensten<br />

nie dagewesene Eingriffsmöglichkeiten<br />

in unser Privatleben<br />

gewähren und unsere Rechtstraditionen<br />

in Frage stellen. Sicherheit wird<br />

<strong>heute</strong> mit dem Instrumentarium der<br />

Überwachung und Abschreckung<br />

praktiziert und hält ungebrochenen<br />

Einzug in alle Lebensbereiche. Der<br />

Bürger steht dieser Entwicklung<br />

hilfl os und oft auch ahnungslos gegenüber,<br />

vertraut er doch – ganz<br />

im Sinne der politischen Staatsidee<br />

von Thomas Hobbes - auf den Staat<br />

„Heute sind die Ängste diffus, disparat und undefi niert. Es<br />

ist schwer, sie genau zu benennen oder ihre Ursache zu<br />

klären... Wir brauchen also Intellektuelle, die uns helfen,<br />

uns der Wirklichkeit bestimmter Gefahren bewusst zu werden,<br />

die für das ungeübte Auge unsichtbar sind. Außerdem<br />

müssen sie uns auf die zu politischen und kommerziellen<br />

Zwecken erfundenen Phantasie-Bedrohungen aufmerksam<br />

machen.”<br />

Zygmunt Baumann<br />

anlässlich eines Interviews im französischen Fernsehsender Télérama (Jänner 2008)<br />

als Garanten für die Sicherheit, und<br />

dieser fi ndet sich – vermehrt oder<br />

zumindest temporär – in der undankbaren<br />

Rolle, demokratische<br />

Grundrechte zu beschränken, was<br />

Terroristen wiederum als Erfolg für<br />

sich verbuchen. Terroristen – so<br />

zeigte der Risikoforscher Gerd Gigerenzer<br />

1 treffend auf – schlagen<br />

zweimal zu. Zuerst mit physischer<br />

Gewalt und dann mithilfe unserer<br />

Gehirne, unserer Angst. Ihr eigentliches<br />

Ziel ist es, eine Gesellschaft zu<br />

destabilisieren.<br />

Verstärkt wird diese Situation durch<br />

den Einfl uss der (sozialen) Medien,<br />

die einerseits zwar Teil und Ausdruck<br />

freier, westlicher Demokratien<br />

und ihrer Werte sind, andererseits<br />

von Gegnern längst für deren eigenen<br />

Zwecke missbraucht werden.<br />

Wer einmal in den ungeheuren Sog<br />

des Strudels der Angst geraten ist,<br />

tut sich angesichts der stets nachströmenden<br />

Gewalten schwer, hieraus<br />

unbeschadet aufzutauchen.<br />

Eine Abhilfe erscheint nur dann<br />

möglich, wenn es gelingt, Ströme<br />

von Beginn an in Bahnen zu lenken,<br />

die ein Auftreten solcher Strudel erschweren<br />

bzw. gar nicht erst entstehen<br />

lassen.<br />

Doch wo ansetzen in einer pluralistischen,<br />

von Krisen geschüttelten<br />

Welt, deren Bewohner stets von<br />

Neuem erkennen müssen, Opfer ihrer<br />

selbst verschuldeten Unmündigkeit<br />

zu sein?<br />

Der Soziologe Wolfgang Sofsky 2<br />

meint, wir kehren zurück in normale,<br />

historisch gefährliche Zeiten und<br />

schlägt vor, dass wir lernen müssen,<br />

mit der Angst zu leben, denn dann<br />

reduziert sich auch der Sicherheitsanspruch<br />

an den Staat und dessen<br />

überalarmierte Reaktion. Die oberste<br />

Aufgabe des demokratischen<br />

Staates jedoch besteht darin, die<br />

Freiheit der Bürger zu sichern.<br />

Wir sind mit großen politischen<br />

und gesellschaftlichen Herausforderungen<br />

konfrontiert. Die Schere<br />

Präsenz der Sicher-<br />

heitskräfte in Brüssel<br />

im Nov. 2015<br />

(Foto: Jessykoffi , wikimedia<br />

commons)<br />

Viele Staaten fi nden sich vermehrt<br />

in der undankbaren<br />

Rolle, demokratische Grundrechte<br />

zu beschränken, was<br />

Terroristen wiederum als Erfolg<br />

für sich verbuchen können.<br />

<strong>August</strong> <strong>2016</strong> <strong>soziologie</strong> <strong>heute</strong> 11

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