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soziologie heute August 2016

Das erste und einzige illustrierte soziologische Fachmagazin im deutschen Sprachraum. Wollen Sie mehr über Soziologie erfahren? www.soziologie-heute.at

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Ich sah mich schon als PIONIER<br />

der neuen Sozialkapital-Praxis, der<br />

„bottom-up action research“, einer<br />

Symbiose von exakter Messung und<br />

davon geleiteter Praxis, in einem<br />

„learning system“. Wie die moderne<br />

Medizin schien die moderne computer-gestützte<br />

Soziologie imstande,<br />

Schwächen und Krankheiten des Zusammenlebens<br />

durch gezielte Diagnose<br />

und Therapie zu kurieren und<br />

zu vermeiden, von der Familie bis zur<br />

Weltpolitik. Sicherlich nur in einer<br />

längeren und mühsamen Entwicklung.<br />

Aber „die neue Welt“ schien<br />

entdeckt. Und ich wollte in der Crew<br />

des neuen Columbus sein.<br />

Doch auch Columbus erreichte nicht<br />

Indien. Und das Sozialkapital-Programm<br />

landete nur auf ein paar armseligen<br />

Inselchen.<br />

International und auch in Österreich<br />

wurden der Begriff und die Theorie<br />

von der akademischen Wissenschaft<br />

nicht aufgenommen. Die öffentliche<br />

Finanzierung zog sich zurück. Weder<br />

die „sozial“ orientierte noch die<br />

„kapitalnahe“ Politik benützt den<br />

zweiseitigen Begriff. Am ehesten<br />

greifen vereinzelte humanitäre Gemeinschaften<br />

<strong>heute</strong> noch darauf zurück.<br />

Oder schon? Es wird dann wohl<br />

nicht mehr Sozialkapital heißen, sondern<br />

aufgeteilt in Bio-, Psycho-, Ökound<br />

Sozio-Techniken der Toleranz, Integration,<br />

Kooperation und Kohäsion<br />

anbieten.<br />

Nun bin ich neunzig. Mit meiner Frau<br />

schaue ich mich noch gern nach<br />

schönen Möbeln für unsere Wohnung<br />

um, wo wir mitten in Wien auf<br />

den Terrassen Gemüse und Salat<br />

bauen und Tee und Gewürze ernten.<br />

Bei islamischen Religionslehrern predige<br />

ich Integration und mit tschetschenischen<br />

Flüchtlingen rede ich<br />

russisch. Darüber schreibe ich dann<br />

auch zuweilen in Fachzeitschriften.<br />

Nur für den Lehrauftrag an der TU,<br />

bei kommenden Architekten und Planern,<br />

bin ich schon zu alt geworden.<br />

Und wenn Staat und Gesellschaft<br />

neuerlich um den sozialen Zusammenhalt<br />

besorgt sein sollten, gibt es<br />

nun genug „akademisches Präkariat“,<br />

das auch dieses Feld preisgünstig<br />

beackert. Pioniere der nächsten<br />

Epoche werden andere sein – oder<br />

die elektronischen Medien.<br />

Kurz: ich möchte nichts mehr werden,<br />

sondern nur mehr durch mein<br />

Sein wirken.<br />

Was ich nicht geworden bin: Möbelhändler,<br />

Priester, Dolmetsch, Bauer,<br />

Schriftsteller, Universitätsprofessor,<br />

Zukunftsforscher, Sozialkapital-Pionier.<br />

Oder doch ein wenig von dem<br />

allen?<br />

***<br />

Das Redaktionsteam von<br />

<strong>soziologie</strong> <strong>heute</strong> wünscht<br />

dem Jubilar<br />

Prof. DI Ernst Gehmacher<br />

zum 90-er von Herzen<br />

alles Gute und freut sich<br />

auf eine noch lange währende,<br />

fruchtbare Zusammenarbeit.<br />

Foto: <strong>soziologie</strong> <strong>heute</strong><br />

<strong>August</strong> <strong>2016</strong> <strong>soziologie</strong> <strong>heute</strong> 35

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